Lyle von abgemeldet (~ Das Buch der Ewigkeit ~) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- „Du sagtest, dass es ungefährlich ist.“ „Das sagte ich. Vertrau mir, kleiner Bruder.“ Finster erklang das leise Lachen in dieser sternenlosen Nacht und jagte Timeo eine Gänsehaut über Rücken und Arme. „Ich vertraue dir immer, aber dennoch ist mir nicht ganz wohl dabei. Weder du noch ich, sind in den Künsten der Magie bewandert. Was wenn etwas schief geht? Ich will nicht als Asche in alle Winde zerstreut werden, Cas.“ Angst. In Timeo nistete sie wie Vögel in einem Baum und flüsterte ihm sacht, leise Gefahren ins Ohr. Hektisch huschte sein Blick durch die Dunkelheit und suchte nach Anzeichen, doch fand er keine. Ob er darüber jedoch erfreut sein sollte, wusste er nicht. Es gab genügend Bedrohungen, die man erst sah, ehe es zu spät war. Zittrig ausatmend wand er sich wieder seinem älteren Bruder zu. „Zügel deine Angst, kleiner Bruder. Er wird sie riechen können, wenn er erst einmal erwacht ist.“ Hart schluckend nickte der Jüngere und schloss die blassen Finger wieder fester um den Stab, den sie dem alten Magier gestohlen hatten. Oh, gern wollte er seinem Bruder vertrauen in der Hinsicht, hatte er ihm doch schon sein ganzes Leben fast blind vertraut. Aber warum fiel es ihm dann gerade jetzt so schwer? „Warum willst du ihn eigentlich wecken? Er wird schließlich nicht umsonst versiegelt wurden sein.“ Cas seufzte und legte den Totenschädel auf den Altar. Seine, in Samt gekleideten Hände, lagen still auf dem Knochen, als er seinen Bruder scharf ansah. Seine Geduld wurde gerade ziemlich strapaziert, dass sah der Jüngere nur zu deutlich. „Zum letzten Mal, Tim, wir wecken ihn, weil es unsere Pflicht ist. Der Alte hat uns beide erwählt.“ Timeo schnaubte abfällig. Natürlich! Cas hatte schon immer gern an den faltigen Lippen des Alten gehangen, auch wenn die Geschichten noch so schaurig gewesen waren. „Nur weil wir seit hunderten von Jahren wieder das erste Zwillingspaar sind? Was können wir, was den anderen nicht vergönnt war?“ Cas verdrehte die Augen. „Das wirst du schon noch sehen.“, erwiderte der Ältere nur und wand sich wieder dem Altar zu. Das wirst du schon noch sehen. Das sagte er immer. Langsam hatte Timeo es satt mit diesen lapidaren Worten vertröstet zu werden. Seit ihrer Kindheit, war Casander immer der gewesen, der sie in Schwierigkeiten gebracht hatte. Meist war diesen, dieser Satz, vorrausgegangen. Das wirst du schon noch sehen. Timeo wurde dieses nagende Gefühl nicht los, dass sie dieses Mal aber nicht nur mit einer Tracht Prügel rechnen mussten, wenn etwas schief ging. Unbehaglich musterte der Rothaarige den Altar. Fein säuberlich, Knöchelchen für Knöchelchen, hatte sein Bruder die Reste eines Verstorbenen dort angeordnet. Es war nur ein Verbrecher gewesen, den sie am Galgen hängend, bei Nacht und Nebel, gefunden hatten. Still und heimlich hatten sie ihn losgeschnitten und ihm das Fleisch von den Knochen geschält, denn das war ja nicht weiter wichtig gewesen, für die Tat, die sie planten. Um den Altar waren Zeichen angebracht. Timeo hatte sie mit dem Blut einer jungen Ziege aufmalen müssen, dass mit verschiedenen Kräutern versetzt gewesen war. Bei dem Gestank hatte er sich fast auf die bröckligen Steinfliesen übergeben. Noch, mit leicht flauem Gefühl im Magen, hatte er anschließend die schwarzen Kerzen platziert. Fünf waren es, für jede Spitze eine. Lang und dünn wie die Finger eines Toten. Nun stand er an der Seite, den goldenen Stab in Händen und das ungute Gefühl nistete in seinem Bauch und grub ihm wie ein Tier die Zähne in die Eingeweide. Casander trat an die Stirnseite des steinernen Tisches und schlug die Kapuze des schwarzen Mantels nach hinten. Mit einem Zischen entflammten sich die Kerzen und ließen das Haar des Älteren wie seidiges Blut erscheinen. Timeo hatte ihm dieses satte Rot immer geneidet, war seine Farbe doch eher einen ticken goldener. Das war der einzige Unterschied zwischen den beiden. Cas atmete tief ein, schloss die Augen und hob die Hände zum Himmelszelt. Sein Gesicht war vollkommen entspannt, die Augen geschlossen. Ein sachter Wind kam auf und umschmeichelte die zarten Setzlinge, die zwischen den Bänken und Stühlen wuchsen. Timeo hatten diese Ruine bei einem seiner vielen Streifzüge entdeckt. Dieser Ort schien einmal eine alte Magierschule gewesen zu sein, doch wahr sie schon seit Jahrzehnten verlassen. Die Natur eroberte sich den Bau bereits mit aller Macht zurück. Das Dach fehlte schon als der jüngere Zwilling zum ersten Mal zwischen die weißen Steine gestolpert war und selbst eine Vielzahl der Wände war eingestürzt. Das Einzige unversehrte, war der Altar auf dem nun die im Mond- und Kerzenlicht schimmernden Knochen lagen. Mit dem Flüstern des Windes drang auch ein sachter Singsang an sein Ohr. Wieder war Timeos Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt. Cas‘ Lippen bewegten sich kaum und doch war seine samtene Stimme bis in den letzten Winkel der Nacht zu hören. Die Silben, aber die seine Lippen verließen, erzählten von Tod und Leid, von Grausamkeiten und Folter in einer Sprach die schon lange niemand mehr sang. Es war die Sprache der Teufel und Dämonen, der Schwarzmagier. Der Alte hatte sie ihnen beigebracht, nur zu dem Zweck einen bestimmten Mann zu erwecken. Timeo hatte sich damals schon geweigert, auch nur eine Silbe, der verhassten Sprache zu lernen, aber der Alte hatte sie ihm wortwörtlich eingeprügelt und so musste der damals 10 Jährige kleinbei geben. Langsam wurde der Wind stärker. Schweiß glänzte auf Cas‘ Stirn, die sich zunehmend kräuselte. Die Worte kamen ihm immer schwerer über die Lippen, fast als verbrannten sie ihm die Zunge. Timeo zitterte im Wind, am liebsten wäre er zu seinem Bruder gestürmt, hätte ihn weggerissen und wäre mit ihm davon gelaufen, doch wollte er das dem Älteren nicht antun. Für Casander war dies hier so wichtig, fast sein Leben lang hatte er darauf hingearbeitet. Timeo wollte ihm das jetzt nicht verderben. Plötzlich schoss krachend ein roter Blitz vom Himmel und schlug in den steinernen Altar ein. Fast hätte es beide Brüder von den Füßen gefegt. Der Wind jaulte auf, wie ein verwundetes Tier und in diese Klagelaute, mischte sich ein animalisches Knurren. Mit, vor Schrecken, geweiteten Augen, blickten die Männer auf das Skelett, um das sich Stück für Stück fleischige Fasern legten und Sehnen und Muskeln formten. Ein Hautloser Arm streckte sich gen Himmel und endete in langen Krallen, scharf wie Rasierklingen. Der kahle Schädel riss den Mund auf, entblößte gelbe, lange Fangzähne und in den leeren Höhlen bildeten sich grün glühende Augen. Timeo zitterte wie Espenlaub. Seine Hände hatten sich so fest um den Stab gekrampft, dass seine Knöchel weiß hervor schienen und auch Casander konnte sich eines ängstlichen Schauderns nicht erwehren. Doch hatte der Ältere sich schneller wieder in der Gewalt, als sein kleiner Bruder. „Tim! Der Stab!“, schrie der andere mit sich überschlagender Stimme über den brausenden Sturm und das Schmatzen, des sich ordnenden Fleisches, hinweg. Doch Tim konnte nicht, wie auch. Der Anblick der sich ihm bot, war schlimmer als der Gestank des Ziegenblutes. Mit schneeweißem Gesicht versuchte der Jüngere die Galle wieder hinunter zu würgen, die sich in seinem Mund sammeln wollte. Den Stab hielt er krampfhaft fest, sonst wäre er gestürzt. „Tim! Mach schon!“, schrie der Bruder wieder, doch reagierte der Jüngere immer noch nicht. Er konnte nicht. Panik kochte in ihm hoch - alles verschlingende, kalte Panik. Und das Knurrend und Jaulen verstummte. Witternd hob der Dämon die Nase in den Wind, ehe der gehörnte Kopf herum fuhr. Die Grünen Augen auf Timeo gerichtet teilten sich die Lippen in der hässlichen Fratze. Eine schwarze, gespaltene Zunge zuckte aus dem Schlund, der sich zu einem Grinsen verzog. Das letzte was der jüngere Bruder noch hörte, war sein Name. „Timeo!“ Sein Bruder - voller Angst in der Stimme. „Timeo …“ Der Teufel. Samten schnurrend, bevor er ihn, mit kalten Klauen, an sich riss. Und alles wurde schwarz. ... Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Wie hatte das nur geschehen können? Mit sorgengefurchter Stirn, flogen die Blicke Mariks über die Landschaft, doch nahm er sie nicht wirklich war. Seine Gedanken waren weit weg, im Palast, bei seinem König. Wieder glaubte er, das totenstarre Gesicht des Monarchen vor seinem inneren Auge zu erblicken. Kalkweiße Haut, vor entsetzen geweitete Augen, die zur Decke starrten, ein geöffneter Mund erstarrt in einem stummen Schrei des Grauens. Ein Schaudern rann über seinen Rücken. „Meister Calai?“ Erschrocken blickte Marik auf und sah in die grasgrünen Augen seines jungen Begleiters. Dieser blickte ihn fragend an, die Stirn gerunzelt, die linke Hand locker auf dem Knauf seines Schwertes. „Du sollst mich Marik nennen.“ Der Ton war schärfer als Marik es beabsichtigt hatte und fast augenblicklich bereute er es, den Jungen angefahren zu haben. Doch hatte er ihm schon gefühlte tausend Mal gesagt, dass er ihn nicht bei seinem Titel nennen sollte. Es würde sonst schlimm für sie enden. Der Jugendliche verzog kurz beleidigt den Mund, hatte aber bei der Rüge den Kopf zwischen die Schultern gezogen. „Es ist eben die alte Gewohnheit.“, murmelte er in seinen nichtvorhandenen Bart, worauf Marik ihm einen finsteren Blick zuwarf. Rüge und Warnung zugleich. Scheinbar einsichtig, blickte der Junge zur Seite, ehe sie beide ihren Weg fortsetzten. Ein Wind kam auf und wehte Marik die heiße Luft ins Gesicht. Kurz flog sein Blick zur Sonne und er schätzte die ungefähre Uhrzeit. Nachmittag. Seit drei Tagen waren sie nun schon unterwegs und noch immer erstreckte sich ihnen von Horizont zu Horizont nur Sand. Trostlos und karg, scheinbar ohne Leben. Die Goldwüste. Benannt war sie, nach den einstigen Schätzen, die man in ihrem Sand, tief vergraben, gefunden hatte. Unmengen von Reichtümern aus längst vergangenen und vergessenen Tagen, in denen die Wüste noch klein und das Land Vulsaria noch fruchtbar war. Doch seit dem großen Krieg - dank dem Blut der Gefallenen – war, das einstige grüne Königreich, nun ein Wüstenstaat. Das Einzige was im Übermaß in Vulsaria zu finden war, waren Sand und Magier. Magier wie er. Magier wie der Mann der ihren König scheinbar … Marik wollte gar nicht daran denken, denn täte er es, würde er wieder die grünglühenden Augen vor sich sehen. Augen die ihn gelähmt hatten, aufgrund der kalten Mordlust, die sie verrieten. „Wie weit ist es denn noch Mei-, ich meine Marik?“ Lyle sah wieder zu ihm und dem Magier entfuhr ein Seufzer. „Morgen sollten wir den Tires erreichen. Dort setzen wir mit der Fähre über und dann ist es nicht mehr weit bis zum Forgens.“, erläuterte Marik ruhig. Lyle stöhnte genervt auf, doch wagte er keine Widerworte. Er wusste, genauso gut wie der Magier selbst, dass sie sowieso nichts an ihrer Lage änderten. Weder verkürzte es ihnen den Weg noch schmälerte es die Hitze. „Warum hast du mich eigentlich mitgeschleift?“, fragte der Junge dann doch. Er konnte es sich nicht verkneifen. „Das sagte ich dir bereits. Dein Vater meinte dass es dir mal gut tun würde, etwas von deinem zukünftigen Reich zu sehen.“ Eine Lüge. Der König hatte nichts dergleichen empfohlen. Marik hatte den Jungen aus eigenen Antrieb mit sich genommen, um ihn zu retten, zu schützen. „Und warum muss ich mich dann Oliver nennen und inkognito reisen, anstatt als Prinz, was ich nun mal bin und wie es sich gebührt?“, fragte er weiter. „Weil das Reich deines Vaters noch nie besonders sicher war. Armut schürt Neid auf die, denen es besser geht. Du willst mir doch nicht etwa wirklich sagen, dass du gern mit geöffneter Kehle im Sand liegen willst, während dir die Geier die Augen aus den Höhlen picken.“ Der junge Prinz wurde blass und faste sich unweigerlich an den Hals, wie um zu prüfen, ob nicht doch ein tiefer Schnitt seine Kehle zierte. „N-Natürlich nicht. Aber soweit würde es nie kommen. Immerhin habe ich ja dich bei mir und mein Schwert.“ Zuversicht und kindlicher Leichtsinn klangen in seiner Stimme mit, dass Marik skeptisch eine Augenbraue hob. In Lyles Alter, glaubte man noch die Welt einreißen zu können, wenn man ihr nur frech ins Gesicht grinste. Ruhig musterte Marik den Thronfolger. Das haselnussbraune Haar hatte er von seinem Vater geerbt, sowie auch die grasgrünen Augen. Überhaupt sah der 12-Jährige dem König zu ähnlich. Der sandfarbene Umhang verhüllte die prinzliche Robe nur dürftig. Im nächsten Dorf würde der Magier ihm neue Kleider kaufen müssen, die eher einem reisenden Händler entsprachen, als die himmelblaue Weste aus Brokat und das seidene Hemd. Selbst die Schwarzen Stiefel aus Ziegenleder, waren viel zu gut gearbeitet, aber die Reise würde schon ihre Spuren hinterlassen. Doch auch er war nicht entsprechend seiner Lüge gekleidet. Nicht, dass die Magier im Reich verhasst wären, eher das Gegenteil. Doch Marik hatte seine Gründe zu verheimlichen, was er war. Auch sein Umhang konnte kaum die Robe verbergen, die seinen Stand schier in die Welt hinaus schrie. Violett und Rot; Glaube und Majestät, die Symbole eines wahrhaftigen Magiers. Desweiteren waren die fließenden Stoffe mit Rubinen und Almandinen geschmückt, als Zeichen der Elementarklassen der er mächtig war. Gedankenverloren umkreiste sein Daumen einen der funkelnden Rubine. Auch wenn es an Frevel anmutete, er würde die kostbaren Steine wohl verkaufen müssen. Anders würde es nicht gehen, denn der Prinz hatte auf Grund der plötzlichen Abreise nicht einen müden Kupferling in der Tasche. Leicht seufzte der Magier. Es dauerte seine Zeit, aber bald waren die beiden Reisenden am Tires angekommen. Azurblau schimmerndes Wasser in mitten von goldenem Wüstensand. Marik hatte dieser Fluss bereits auf seinen letzten Reisen fasziniert, darum verstand er es zu gut, dass der junge Königssohn die Augen weit aufriss vor Staunen. Wann sah man als Wüstenbewohner schon einmal einen Fluss solchen Ausmaßes. Dicht an dicht hatten sich an seinen Ufern, Menschen und andere Bewohner des Reiches angesiedelt. In sämtlichen Braunschattierungen reihten sich die Lehmhäuser entlang das blauen Bandes, das sich mächtig durch das Land schlängelte. Nur ab und an zeigten sich Flecken von grün im Meer der Hütten und Tempel. Tuchhändler, Obstverkäufer, Barbiere, Goldschmiede. Das kleine Dörfchen am Ufer des Tires hatte sich zu einer Stadt gemausert. Wohlhabende Bürger, schritten in teuren Roben von Stand zu Stand und betrachteten sich die Waren, welche die Händler feil boten. Eifrige Diener, trugen die bereits erworbenen Besitztümer und zerlumpte Bettler, baten, oft vergebens, um Almosen. Wie jede Stadt hatte auch diese ihre lichten und dunkeln Seiten. Tioresol, so nannten die Bürger sie. Niemand würdigte sie eines Blickes, was dem Magier ganz recht war. Innerlich hoffte er, dass die Nachricht der jüngsten Ereignisse, sich noch nicht herumgesprochen hatte. Doch schlimme Nachrichten waren meist schneller als der Wüstenwind. Marik wurde dies all zu schnell bewusst, als ein Tumult ausbrach. „Magier!“, schrie ein Mann über die Menge. Kurz zuckte Marik zusammen, war versucht sich umzuwenden. Aber das wäre zu verdächtig. Stattdessen zog er den jungen Prinz von der Hauptstraße in eine Seitengasse und bedeutete ihm, den Mund zu halten. Keinen Meter an ihrem Versteck, sah er einen jungen Mann vorbei stürmen. Die Kapuze seines Reiseumhangs war ihm vom Kopf gerutscht, so dass man deutlich sein langes weißblondes Haar sehen konnte. Seine blauen Augen blickten sich gehetzt nach seinen Verfolgern um. Die Magierrobe blitzte deutlich unter dem braunen Umhang hervor. Blauer Tobas und Lapislazuli. Der Mann war ein Wassermagier. Ihm dicht auf den Fersen folgend, eilten ein paar Bürger an Marik vorbei. In ihren Händen trugen sie Werkzeuge, die eigentlich bei der Feldarbeit zum Einsatz kamen und nicht auf der Jagd nach Magiern. Marik hatte die Angst in den blauen Augen seines gehetzten Kollegen gesehen. Todesangst. Angst, die ihn ebenfalls in den Nächten wach hielt. Still wartete er bis die aufgebrachten Schreie im gleichmäßigen Gemurmel der Marktbesucher untergingen. Dann erst trat er wieder aus der Gasse, aber nicht eher, als dass er noch einmal penibel geprüft hatte, ob ihre Umhänge auch alles verdeckten. Mit tiefsitzender Kapuze und schroffem Schritt steuerte er den nächsten Tuchstand an. Lyle hörte er hinter sich her stolpern. „Was darf es sein, der Herr?“, fragte der Tuchhändler. Sein Gesicht war von einem dichten, braunen Bart geziert, welchen der Mann fein säuberlich gestutzt und in Form geschnitten hatte. Der mitternachtsblaue Stoff, welcher sich über seinem stattlichen Bauch spannte, war von Silberfäden durchwirkt. Beides Zeichen auf seinen Wohlstand, welchen er sich in seiner Zeit als Händler erworben hatte. Ob aber auf legalem und ehrlichen Wege, dass verrieten sie nicht. „Wir benötigen zwei Talare.“ Mariks Stimme klang ruhig, doch innerlich krampfte sich ihm das Herz zusammen, als der Dicke ihn, für seinen Geschmack, all zu genau musterte. „Natürlich, der Herr.“, sagte er in einem solch schmeichlerischen Ton, der Mariks Skepsis weckte. „ Für welche Gelegenheit werden denn die Roben benötigt? Ich habe Gewänder für Bälle, Kleider für Reisen, Audienzen bei Fürsten und Königen, Hemden für Diener und Sklaven jeder Art. Sagt Rukar einfach was euer Herz am meisten begehrt und ich bin sicher, dass wir uns einigen können.“ Marik besah sich die Gewänder genau, ohne aber dabei den Händler aus den Augen zu lassen, und deutete schließlich auf zwei einfach geschnittene lange Roben. Nicht zu auffällig in einem warmen Sandbraun. Er sah viele der einfachen Bürger und Reisenden in dieser Stadt mit ähnlichen Schnitten und Farben umher laufen. Rukar, wie der Händler hieß, begutachtete sich die Auswahl. „Oh, ich sehe, Ihr habt einen ausgesprochen guten Geschmack. Sie sind aus coronischer Seide. Der Gürtel, wie auch das Gewand selbst. Der Überwurf des einen besteht desweiteren aus feinem foranischen Samt. Wirklich exzellente Ware und sehr schöne Verarbeitung.“, schwärmte der Händler. Mit seinen beringten Fingern strich er fast zärtlich über die Stoffe. „Wie viel?“ Barsch klang seine Stimme und der Verkäufer sah ihn beleidigt an. Leicht reckte er das Kinn und wieder taxierten die wässrigen Augen Marik und Lyle. „Ich glaube kaum, dass ihr euch die Roben leisten könnt.“, gab er schnippisch zurück. Er musterte sie beide wie Käfer, bei denen er noch rätselte ob er sie lieber zertreten, oder ihnen jedes Bein einzeln ausreißen sollte. Deutlich hörte der Magier das missbilligende Schnauben Lyles in seinem Rücken. Gerade als der Prinz Atem holte um seinem Unmut Luft zu machen, kam ihm Marik zuvor. Er legte die Faust auf den aus groben Holzbrettern gefertigten Ladentisch und öffnete sie. Aus seinen Fingern rieselten zwei große rote Rubine auf den goldenen Samt eines Reiseumhangs, welcher auf dem Tisch zur Ansicht auslag. „Das sollte reichen.“, erwiderte der Magier ruhig und ein Lächeln huschte über seine blassen Lippen. Der Händler sah ungläubig auf die kostbaren Steine und schneller als man bis zwei zählen konnte, waren die Steine in seinem Goldbeutel verschwunden. Wortlos reichte er Marik die Talare. Dieser bedankte sich mit einem Nicken und ging dann mit Lyle davon, wobei er den Jungen etwas gröber, als beabsichtigt mit sich zog. Deutlich spürte er noch, wie der Händler im nachblickte. Unsanft stieß er ihn in eine Gasse und warf ihm die kleinere Robe in die Arme. „Zeih das an und versteck deine alten Sachen.“, sagte Marik, während er begann sich seiner Magierrobe zu entledigen. Doch Lyle machte keinerlei Anstalten, die neu erworbenen Gewänder anzulegen. Marik sah ihn fragend an. Sein Blick wanderte wieder auf die belebte Straße, auf der Suche nach Verfolgern. Wenn der Junge sich nicht gleich beeilte, würden sie noch auffallen, dachte sich der Magier. „Nun mach schon.“, fuhr Marik den jungen Mann an. Lyle zuckte zusammen und warf Marik noch einen etwas verunsicherten Blick zu, ehe er dann doch seine Kleider wechselte. Zum Glück passten ihnen beiden die Talare. Marik setzte sich dann auf eine Kiste, welche in der Gasse stand und löste mit geschickten Fingern die restlichen Edelsteine von seinem Magiergewand. Es waren genau zehn Rubine und zehn Almandine, sowie sein Goldschmuck. Damit würden sie nicht sonderlich weit kommen, aber für die Überfahrt würde es reichen. Sein Diadem, das ihn als Meistermagier auszeichnete nahm er ebenfalls ab und verstaute es in der schlanken Tasche, die er bei ihrem fluchtartigen Aufbruch gerade noch hatte fassen können. Mit dem Prinzen an seiner Seite, bahnte sich Marik einen Weg zu den Fähranlegestellen. Er konnte nur hoffen, dass sie heute noch eines der Schiffe übersetzen könnte, ansonsten würden sie die Nacht hier verbringen müssen, worauf der Magier nicht sehr erpicht war. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Das war doch zu erwarten, Marik. Warum solltest du gerade jetzt Glück haben? Sie hatten natürlich niemanden mehr gefunden, der sie vor Einbruch der Nacht übersetzte. Marik hatte fast alle Fährenbetreiber angefragt, doch entweder hatte er zu wenig bei sich um sie bestechen zu können, oder die Preise waren von vornherein viel zu hoch. Ihm war also nichts anderes übrig geblieben, als sich mit dem Prinzen eine Unterkunft zu suchen. Es war eine erbärmliche Absteige. Die Betten bestanden nur aus einem grobgezimmerten Holzgestell, ein Strohsack diente als Matratze. Das Kissen und die Decke waren so dünn und verdreckt, dass Marik sich gar nicht näher ausmalen wollte, wer, oder eher was, alles schon sein Haupt in den Stoffen zur Ruhe gebettet hatte. Die Fenster schlossen nicht richtig und es fehlte sogar eine Scheibe. Aber in diesem Lokal war das einzige noch frei Bett gewesen. Der Wirt hatte ihnen, auf Nachfrage, erklärt, dass in den nächsten Tagen der 25. Jahrestag ihres Königs gefeiert würde und aus diesem Grund viele Bewunderer in den Städten einreisten. Darum waren auch alle Gasthäuser, momentan, restlos überfüllt. 25 Jahre in denen das Land unter König Maximus in Frieden lebte und wieder aufzublühen begann. Allerdings, hatte der Wirt noch hinzugefügt, als Mariks Edelsteine in dem grobgewebten Leinenbeutel verschwanden, dass im Süden des Landes Unruhen herrschten. Hingegen war man sich, wenn man den Gerüchten glauben schenken konnte, nicht ganz sicher, welches Land dahinter steckte, ob Fragmenia, das Inselland oder doch Meridia das Seenland. Der Wirt hatte ihnen erst den Schlüssel gegeben, als Marik ungeduldig mit dem Finger auf die Platte des Tresens geklopft und ihm finstere Blicke zugeworfen hatte. Kaum waren sie durch die grobgezimmerte Tür getreten, war ihnen ein Schwall übelriechender Luft entgegen geweht, der Marik schon einen Teil seiner Selbstbeherrschung gekostet hatte, sich nicht jede Sekunde auf die Dielen zu erbrechen. Auch merkte der Magier, dass Lyle dieses Zimmer gar nicht gefiel. Der Prinz war anderes gewohnt, so wusste es der Zauberkundige, und wenn er ehrlich war, ging es ihm nicht anders. „Das Zimmer ist …“, begann der Prinz und suchte sichtlich nach Worten, während sein Blick durch die Kammer glitt. An einer dicken Spinne in einer der Zimmerecken blieb dieser hängen. „… rustikal und gut bürgerlich?“, half der Magier ihm auf die Sprünge, doch selbst in seiner Stimme schwang der Sarkasmus deutlich mit. Und für diese Bruchbude hatte ihnen der Wirt doch tatsächlich fast alles abgenommen was sie hatten? Nur für einen kurzen Moment wünschte sich Marik ein Schwarzmagier zu sein um diesem Mann, gerechtfertigt und mit inniger Freude, einen Fluch auf den Hals zu hetzen, den er nie wieder vergessen würde. Aber er war kein Schwarzmagier und er würde nicht auch noch damit beginnen in seiner ohnehin schon aussichtslosen Situation, schwarze Magie zu praktizieren. Nicht, dass er ihrer nicht mächtig war. Jedem Meister wurde sowohl die weise, die elementare als auch die schwarze Magie gelehrt. Mit einem tiefen Seufzer ließ sich der junge Prinz auf das Bett nieder und starrte an die Decke. „Hier stinkt es. Nach ungewaschenen Körpern und anderen widerlichen Sachen.“, sagte er und verzog das junge Gesicht zu einer angeekelten Grimasse. Auch der Magier hatte den Geruch bemerkt, doch verbot er sich, die unterschiedlichen Düfte genauer zu definieren. Er hatte wichtigeres zu tun, immerhin mussten sie wieder an etwas Geld kommen. Er trat an die Fenster und zog die Motten zerfressenen Vorhänge zu. Niemand sollte sehen oder hören, was er nun vorhatte. Zur Sicherhit, nahm er auch noch den kürzlich erworbenen Mantel ab und hängte ihn zusätzlich an die morschen Gardinenstangen. Mit der löchrigen Bettwäsche verstopfte er die Spalten an der Tür. Als sich der Magier sicher war, dass jede Ritze verschlossen war, setzte er sich im Schneidersitzt auf die knarzenden Dielen. Er straffte den Rücken, schloss die Augen und legte die Arme entspannt auf seine Knie. In voller Konzentration besann er sich auf seine ihm innewohnenden Fähigkeiten und lockte sie durch pure Willenskraft an die Oberfläche. „Feuer meiner! Flamme deiner! Funke ihrer! Stein unser! Komm zu mir! Schreite auf den Brücken der Funken, reite auf den Flammenzungen und bette dich warm in mein Feuer!“, rezitierte Marik. Das Kerzenlicht in dem Zimmer schien dunkler zu werden, als der Magier in einem leicht rötlichen Licht erstrahlte. Seine Fingerspitzen fingen Feuer und loderten wie winzige Fackeln. In beiden Händen erschienen nur wenige Sekunden später zwei Beutel. Der eine war aus kunstvollem rotem Leder, der andere war aus grobgewebtem Leinen, doch in beiden klingelten verlockend Goldstücke. Langsam verlosch das Licht wieder. Marik öffnete ruhig die Augen. Ein leichtes Glimmen, wie heiße Glut in Asche, war noch in ihnen auszumachen, bis auch dieses verlosch. „Bei allen Wüstenwinden.“ Lyle sprang vom Bett und kniete sich vor den Magier. „Das war der totale Wahnsinn. Ich weiß zwar nicht, was du gerade getan hast, aber es war Wahnsinn.“ Euphorisch war die Stimme des Prinzen und mit den leuchtenden Augen eines kleinen Kindes, blickte er Marik an. Dieser aber gab nur ein halbherziges Schmunzeln von sich und stand dann auf. Ein tiefes Gähnen unterdrückte er dabei. „Was hast du gerade gemacht? Was ist in den Beuteln drinnen?“, fragte Lyle. Er war aufgestanden und wieder an seiner Seite. „Sind darin vielleicht Runensteine? Ich habe gelesen, dass sie sehr mächtig sind. Mit ihnen kann man sogar solch dicke Aasgeier, wie den Wirt verhexen. Oder sind es vielleicht Drachenzungen mit denen man selbst Feuer speien kann? Oder Greifenfedern mit denen man fliegen kann. Dann könnten wir in Windeseile in Forgens sein.“ Der junge Prinz war immer sehr begeistert und fasziniert, wenn Marik einmal doch vor seinen Augen Magie wirkte und erwartete in solchen Fällen immer die obskursten Wunder. Doch gab es selbst für Magier Dinge, die sie nicht konnten. Wortlos leerte der Feuermagier die Beutel auf dem Bett aus. Zum Vorschein kam ein beachtliches Häufchen an Gold- und Silbermünzen, und zwischen diesen funkelten rot wie Blutstropfen, die Rubine und Almandine, mit denen Marik heute noch die Kleider und das Zimmer für sie bezahlt hatte. Der Prinz wirkte fast schon enttäuscht, dass nur so etwas Banales wie Gold, der Inhalt der ominösen Beutel war und musterte den Magier skeptisch. „Du hast mit deiner Magie gestohlen?“, fragte er. Der Magier musste zugeben, dass Lyle doch ein schlauer Kopf war. Immerhin hatte der Prinz die Beutel wiedererkannt, was man in seinen Augen sehen konnte. „Wiederbeschafft was mir gehörte.“, berichtigte Marik. „Allerding kann ich es nicht beeinflussen, dass meine Edelsteine uns alles mitbringen was sie im Moment, ihres Herbeirufens, berühren.“ Verschmitzt grinste er den Prinzen an, welcher es erwiderte und eine Hand nach einem der großen Rubine ausstreckte. „Ach so. Na dann habe ich nichts gesagt, Marik.“, sagte er in gespielten hochnäsig, fürstlichen Ton, der überhaupt nicht zu seinem Wesen passte. Lyle war eher ein schüchterner Junge, zumindest Fremden gegenüber. So hatte Marik ihn das erste Mal kennen gelernt. Im späteren Verlauf ihrer Bekanntschaft, hatte er aber bemerkt, dass der Junge recht naiv war, allerdings auch abenteuerlustig, neugierig und sehr frech. Alles zusammen war eine gefährliche Mischung für einen Prinzen, dem an jeder Ecke Gefahr durch Attentäter drohen konnte. Marik verbeugte sich gespielt, da er das sonst auch nie tat. Magier verbeugten sich nicht. Sie krümmten nicht den Rücken vor den Königen, sie neigten nur den Kopf. „Zu gütig.“, gab der Magier säuselnd von sich. Doch dann wurde er wieder ernst und strich das Gold und die Edelsteine in seinen eigenen Geldbeutel. Ihm war nicht sonderlich wohl dabei. Er verabscheute Verbrecher und hielt sich immer strickt an die Regeln. Er kannte es nicht anders. Sein Vater hatte ihn in seiner Jugend immer streng zurechtgewiesen wenn er sich als Junge erlaubt hatte, die Regeln auch nur einmal etwas zu biegen oder zu dehnen. Doch war er bisher noch nie in solch einer prekären Lage gewesen. Der Magier schwor sich aber eines. Wenn diese Reise vorbei war, würde er sich dem König stellen. Er würde ihm alle vergangenen und künftigen Verbrechen beichten und seine gerechte Strafe empfangen, wie auch immer diese ausfiel. „Es wird Zeit. Wir sollten schlafen, denn morgen müssen wir früh zu den Anlegestellen.“, sagte Marik. Dabei breitete er seinen Mantel auf dem verwanzten Bett aus. Lyle gab einen resignierenden Ton von sich, gehorchte und legte sich auf dem provisorischen Laken nieder. In stiller Übereinkunft beschlossen die beiden, dass sie die Nacht ohne eine Decke verbringen würden. Weder Lyle noch Marik waren besonders erpicht auf Flöhe, Läuse oder andere Parasiten, welche die Gunst der Stunde nutzen könnten und sich in Haaren und Kleidern der Reisenden häuslich einrichten könnten. Der Magier löschte das Licht. Dunkelheit umfing sie und jenseits der Fenster waren die Geräusche der Nacht zu vernehmen. Ruhig schloss Marik die Augen um sich in die Trance zu versetzen, in die Magier anstatt des Schlafes sanken. In dieser luden sie die verbrauchten Energien wieder auf, zogen sie aus der Energie der Erde und waren gleichzeitig imstande sich vor etwaigen Gefahren schützen zu können. Da erklang ein sachtes Flüstern im Dunkeln. „Du sagtest, dass es ungefährlich ist.“ „Das sagte ich. Vertrau mir, kleiner Bruder.“ Augenblicklich war Marik hellwach und starrte in die Dunkelheit. „Ich vertraue dir immer, aber dennoch ist mir nicht ganz wohl dabei. Weder du noch ich, sind in den Künsten der Magie bewandert. Was wenn etwas schief geht. Ich will nicht als Asche in alle Winde zerstreut werden, Cas.“ Was waren das für Stimmen? „Zügel deine Angst, Kleiner Bruder. Er wird sie riechen können, wenn er erst einmal erwacht ist.“ Was wollten sie ihm sagen? Langsam drehte der Magier den Kopf und blickte Lyle an, dieser hatte die Augen geschlossen und atmete gleichmäßig. Scheinbar hörte er das Wispern nicht. Angestrengt lauschte der Magier in die Stille, doch die Stimmen schwiegen. Seltsam… „Ich warte auf dich.“ Schlagartig saß der Magier im Bett. Die Stimme war dunkler gewesen, eine andere. Aber der Magier hatte sie schon gehört. Sie war ihm nicht fremd gewesen. „Marik. Der Tag naht. Die Geschichte wiederholt sich.“ Marik zitterte wie Espenlaub als seine Augen, in der tiefen Dunkelheit, ein grünes Glimmen ausmachten. Ein Glühen, das er kannte. „Ich erwarte dich. Niemand kann seinem Schicksal entrinnen.“ Geisterhaft leuchtete ein weißes Gesicht in der Finsternis, schien von schwarzen Flammen umrahmt. Grüne Augen waren auf den Magier gerichtet. Der Hass der ganzen Welt blickte Marik entgegen und die Panik in seiner Brust drückte ihm die Luft ab. „Ich warte Feuermagier.“ Worte wie ein Versprechen, ein unheilvolles Versprechen. Dann begann das Gesicht sich langsam wieder aufzulösen. Das Glühen verschwand. Alles was blieb war Finsternis. Und in Marik löste sich der Druck und der Magier erbrach sich neben die Schlafstätte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)