Black´sche Löcher von YoungBlood ================================================================================ Kapitel 4: 3. Ebene: 1934 ------------------------- Cedrella Black *1916 --> 1934: 18 # Septimus Weasley *1916 → 1934: 18 * Arcturus Black & Lysandra *1884 → 1934: 50 *1885 → 1934: 49 Kinder: Charis (15), Callidora (20) → Harfang Longbottom *1912 → 1934: 22 1934 4. August „Ich hoffe, sie haben dich nicht erschreckt.“ Das langsam flüssig werdende Eis, welches von der Coladose perlte und meinen Nacken herunterfloss, lieferte sich einen Überlebenskampf mit meiner überhitzten Haut. Ausgebrannt von der Sonne ließen meine blässlichen Hände die Dose vom Nacken auf die andere Seite des Halses rollen. Ich seufzte nur und schüttelte den Kopf. Meine Zehen gruben sich in das grüne Gras hinein und erwartungsvoll hob ich den Blick, aber Sterne sah man eben nur in der Nacht. Wobei es sicherlich auch seinen Reiz hätte, würden sie auch am Tag strahlen. Doch gerade schien die gnadenlose Mittagssonne hinab, direkt auf die Hügel vom Wieselkopf und überzog alles, was in weiter Ferne lag, mit schlingernden Hitzeschleiern. Der Wind wehte nur sehr schwach, ließ die Grashalme sich wiegen und die Blätter der Obstbäume rascheln. Von hier konnte man bis in das nächste Dorf hinabblicken, so weit streckten sich die Hügel. Man fühlte sich dem Himmel so nah. Als ob man die Wolken berühren könnte. Wie sie sich wohl anfühlten? Wie Watte? Oder sollte man meinem Freund Tips glauben schenken, dann waren sie vermutlich eiskalt und würden unter ihren Händen dahinschmelzen. Vielleicht sollten sie sich einen Besen nehmen und ihnen einen Besuch abstatten, sie hätten sicherlich nichts dagegen. Vielleicht konnte man sich ja wirklich auf die flauschigen Wolken legen und einen größeren, weiteren, strahlenderen Himmel betrachten als von hier? Konnte Freiheit nur wegen diesem Anblick noch kostbarer werden? In der Stadt könnte man sich nie so fühlen. Die Sterne würden dort auch nie so klar scheinen wie gestern Nacht. Neben mir klickte der Verschluss einer weiteren Dose, es zischte kurz und als ich mich ins halbhohe Gras zurücklegte, konnte ich durch die Grashalme hindurch das rote Haar erspähen. Sie waren meinen gar nicht so fremd und doch hatten sie einen ganz anderen, einen ganz anziehenden Farbton. Wie das Rot der Blätter im Herbst, wenn die Kastanien fielen. Nur kurz erlaubte ich mir einen solchen Seitenblick und besah dann wieder die Wolken, die vereinzelt über den Himmel zogen, der hellblau das Firmament bedeckte. „Haben sie nicht.“ Ich konnte hören, wie er einen Schluck aus der Dose nahm und einen Moment inne hielt, um meine Worte wirken zu lassen. Auch wenn er nicht älter war als ich, so war er sicherlich um einiges reifer. Sein Handeln unterschied sich immer so grundlegend von meinen kindischen Taten, dass ich mir vorkam, als würde ich um Jahre hinter ihm zurückliegen. In allem. „Dann bin ich erleichtert“, flüsterte die tiefe Stimme zu den Wolken hinauf, während ich die Augen schloss. Seine Stimmfarbe hatte sich in den Jahren so verändert. Das helle Lachen, dass ich einstmals gehört hatte, war inzwischen ein tiefes Bellen und in jedem seiner Worte schwang ein beruhigender Basston mit, der mir das Herz schneller schlagen ließ. Der Tag sollte nie zu Ende gehen. Am besten die Wolken mit Hammer und Nägeln dort oben bewegungslos machen, die Zeit anhalten, den Wind aufdrehen. Ein Bild machen, dass diesen Moment in sich aufnahm, mit allen Einzelheiten, mit dieser Ruhe und dem Frieden. Am besten nie wieder hier weggehen. Einfach hierbleiben ... Mein feines, rostrotes Haar hatte sich um mich herum über das Gras verteilt. Vielleicht war es ja Schicksal gewesen? Ein gemeines Schicksal. Rote Haare galten früher als Zeichen der Teufelsgunst. Meine Großmutter hatte mir oft solche Schauermärchen erzählt, als sich meine blonden Kleinkindhaare langsam in rostrot gewandelt hatten. Eigentlich sollte man ja meinen, dass man in meiner Familie nichts gegen ein Kind vom Teufel einzuwenden hätte, aber anscheinend hatte auch sie Grenzen. Sie endeten wohl im Unvorstellbaren. Eine Zeit lang war es still. Der Wind strich uns übers Gesicht, ließ die Gräser unsere Wangen kitzeln und trieb den Duft von Apfelblüten herüber. Der perfekte letzte Tag in einem perfekten, goldenen Sommer. Heute Abend würde vermutlich wie an jedem anderen Abend die Sonne am honigfarbenen Firmament untergehen, uns in der Kälte zurücklassen. Und nur die Sterne würden unser Tun mit ihren großen, leuchtenden Augen überwachen. Ich blinzelte. Wenn ich so darüber nachdachte, dann wollte ich nicht mehr weg. Wer dem Vogel die Käfigtür öffnete, sollte nicht damit rechnen, dass er so schnell wieder in dieses von Gitterstäben gezeichnete Paradies zurückkehrte. Die kleinen Flügel musste man ihm dann schon stutzen, wollte man ihm am Fliegen hindern, hinauf in die Wolken, die so leinenlos ziehen konnten, wohin sie wollten. Seit ich meine letzten Sommerferien hier verbracht hatte, war es, als ob meine Eltern meinen Käfig in einen bunten, leuchtenden Garten gestellt hätten. Wie wild flatterte ich in dem kleinen Raum herum, den man mir ließ, aber die wundersamen Pflanzen draußen würde ich nie von nahem betrachten können. Ich konnte durch meine Gitterstäbe hindurch alles sehen, aber erreichen oder haben würde ich es nicht. Nicht solange man meine Tür verschlossen hielt und den Schlüssel im Bauch der Bestie verschwinden ließ. Jetzt verglich ich mich schon mit einem Vogel … so langsam wurde das panische Gefühl in mir eben doch stärker und ich hatte ihm immer noch kein Wort gesagt. Für ihn war die Welt noch in Ordnung. Da gab es keine Gitter, keine Schlösser und keine unerreichbaren Träume, die von Freiheit und Liebe handelten. Er hatte diesen weiten Himmel. Wie ungerecht das doch war. Wie konnte er nur da sitzen und diesen Tag einfach so verstreichen lassen. Sicherlich, weil er wusste, dass er diesen Himmel jeden Tag betrachten konnte, wenn er wollte. Oder die Sterne. Ich streckte die rechte Hand nach oben, warf damit einen Schatten auf mein Gesicht, als ich mir vorstellte, die Wolken greifen zu können. „Vertraust du mir nicht mehr, Relly?“, fragte der Junge plötzlich und schon hatte er je ein Knie auf beide Seiten meiner Hüfte gestellt, legte seine Handfläche auf meine nach oben geneigte und verschränkte seine Finger mit meinen. Mir war sein Anblick genauso lieb wie der Himmel, allerdings glaubte ich, dass der Himmel splittern würde, wenn er mich verließ. So etwas schönes konnte einfach ohne ihn nicht existieren. Da war ich mir sicher. Und deswegen lächelte ich nur und zog ihn zu mir hinab. Die verflochtenen Hände über meinem Kopf ablegend, küsste ich nur flüchtig die weichen Lippen. „Dir entgeht wohl nichts“, wich ich aus, spürte wie sein Atem über meine Wange strich und sein Blick auf mir ruhte. Ich konnte ihn nicht ansehen. War es nicht sein Traum gewesen, nach Persien zu gehen, um dort die alten Flüche und Geheimnisse zu entdecken? Warum hatte er den Zusatzkurs für Alte Runen bestritten, um am Ende doch nur an meiner Seite zu wachen, gelangweilt und um seine Träume beraubt? Und es würde so kommen, würde ich ihm sagen, dass ich nicht fort konnte. Ich konnte nicht davonfliegen, meine Flügel aufspannen und den Sonnenstrahlen entgegen steigen. Oder die Kellertür aufsperren, meine Fesseln abwerfen und losrennen. Wir hatten die letzten Tage zusammen verbracht, die Tage, bevor er seinen Weg gehen würde, in dieses ferne Land. Und ich hatte mit ihm gehen wollen. Hatte. Inzwischen lag sein Kopf über meinem Schlüsselbein, halb auf der Schulter, meine Hand hatte er immer noch nicht losgelassen, aber er erdrückte mich auch nicht. Das tat er nie. Er war immer darauf bedacht, mir alles von den Lippen abzulesen und spielte seine Rolle als mein Verehrer doch sehr zielstrebig und überaus peinlich genau. Hätte er eine andere Vorgeschichte, wäre er in einer anderen Familie aufgewachsen, dann hätte das meinen Eltern und meiner Sippe sicherlich gut gefallen. Deswegen wussten sie auch nichts hiervon. Und er wusste nicht, dass sie nicht wussten, dass ich hier war. Es war sowieso sehr seltsam, dass sie mich noch nicht gefunden hatten. Mein Cousin Pollux war doch eigentlich ein sehr tüchtiger Mann. Wenn er nach mir auf die Suche geschickt worden war, dann wunderte es mich wirklich, dass ich noch hier war. Nie würde es mir einfallen, irgendjemanden aus meiner Familie zu loben, aber Pollux abartiges Talent für Aufspürungen war wirklich etwas sehr ungewöhnliches. „Ein Jahr ist zu lang“, gab ich die Wahrheit darüber kund, warum ich mich so seltsam nachdenklich benahm und ließ die freien Finger in die rostroten Haare gleiten, „Ich kann kein Jahr mehr warten, Septimus — ich kann nicht darauf warten, dass du zurückkommst, darauf, dass wir eine sichere Zukunft haben. Ich kann nicht ein Jahr lang warten, dich zu heiraten. Aber du darfst nicht bleiben.“ Wieder hatte ich die Augen geschlossen, hörte ihn leise seufzen, doch ich wusste, dass das nur bedeutete, dass er mit etwas weitaus schlimmerem gerechnet hatte. Er verstand eben noch nicht die ganze Tragweite von dem, was wir gerade taten, von dem, was ich gerade plante. Vor ein paar Tagen hatten wir beide unser Abschlusszeugnis von der Hogwarts der Schule für Zauberei und Hexerei erhalten. Tips hatte die Zusage von seinem Studienplatz in Rumänien bekommen und hatte — obwohl es noch eine Woche dauerte, bis er endgültig aufbrach - bereits die gepackten Koffer daheim stehen. Viel besaß er nicht. Die Weasleys waren eine arme Familie, die quasi von der Hand im Mund lebten, weshalb ich mich jedes Jahr aufs neue gewundert hatte, wie Tips Eltern die Menge an Schulbüchern hatten bezahlen können. Aber er war das Jüngste der sechs Geschwister und sobald er nächste Woche den Fuchsbau verlassen würde, war es vorbei mit der Kindererziehung. Zumindest von dieser Generation, denn die nächste stand schon in den Startlöchern und ich hatte Schwierigkeiten gehabt, beim gestrigen Abendessen alle Anwesenden auseinanderzuhalten. Ich hatte immer gedacht, meine Familie wäre groß, aber im Vergleich zu den Weasleys waren wir nur ein kleiner Wanderzirkus voller Clowns mit schlechtem Make-up. Mich hatte nach meinem Abschluss nur eines erwartet: Meine Hochzeit. Meine arrangierte Hochzeit, von der Septimus nicht einmal etwas ahnte. Ich hatte alles mögliche unternommen, damit er davon nichts mitbekam. Hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Sache geheim zu halten — und war vor gut drei Tagen von daheim geflohen. Ich weiß nicht warum. Ich hatte genau gewusst, dass Tips in wenigen Tagen nach Rumänien gehen würde und dass ich es niemals übers Herz bringen würde, ihn daran zu hindern. Und doch war ich nun hier, neigte den Kopf etwas zur Seite, stupste mit der Nasenspitze gegen seine Ohrmuschel. „Dann komm mit mir“, erreichten die gemurmelten Worte mein Ohr und bevor ich sie recht verstehen konnte, hatte sich Tips schon wieder aufgerichtet. Sein Kopf warf einen Schatten über meine Augen und ich ließ mich dazu hinreißen, meinen Traum mit den Fingerspitzen zu streifen: „Wie denn?“ „Wir sind volljährig, Relly. Meine Cousine Tessa hat deine Kleidergröße, Onkel Ernest hat ein Händchen für Stühle und Mum und Tante Ola beschaffen dir im Handumdrehen so viele bunte Blumen, dass du darin baden kannst“, zählte mir Septimus auf, „Vielleicht wird es kein weißes Kleid und vielleicht kann ich dir keine Reichtümer bieten, aber wenn du noch drei Tage warten kannst, dann werde ich dir eine Blumenhochzeit hier auf den Hügeln schenken.“ 11. August „Ich dachte mir, dass wir auf die Rosen verzichten könnten — der Raum wird ja sowieso nicht lange gebraucht, da lohnt es sich ja nicht das Geld dafür auszugeben, wenn man damit des Bräutigams Anzug veredeln kann“, führte Lycoris ihre Gedanken weiter aus und vollführte mit dem Sektglas in der Hand eine etwas zu schwungvolle Bewegung, sodass sie einige Tropfen des teuren Sekts auf dem dunklen Parkettboden vergoss. Gleichgültig starrte ich die kleinen Pfützen an und verglich ihre Größe. Der ganz linke war der Größte unter ihnen, umringt von kleinen Spritzern und ein paar kleineren Kreisen. Drei weitere Kleckse verteilten sich dann rechts daneben, direkt vor meinen seidenen Schuhspitzen. Es wäre sicherlich keinem aufgefallen, würde ich die Tropfen mit der Schuhsohle verreiben, aber mir war gerade nicht danach, mich zu bewegen. Dann hätte ich auf mich aufmerksam gemacht und das war im Moment das Letzte was ich wollte. Denn während meine Cousine in Begeisterung über meine Hochzeit den Boden verschmutzte, hatte ich nur die Ehre gehabt meinem Zukünftigen die Hand zu geben. Nur kurz. Er war mir vorgestellt worden — zwischen Tür und Angel — und dann hatten sich die Männer auch schon für die wichtigen Geschäfte zurückgezogen. Dass diese Verlobung so übereilt und fast schon nachlässig war, das interessierte niemanden. Sie war beschlossen und zeitgleich auch vom Oberhaupt abgesegnet worden. Und mein Onkel hatte sicher nicht meinen Seelenfrieden als wünschenswertes Ziel bedacht. Ich war ein Ausgleich — ein Ablenkungsmanöver, wenn man so wollte. Und ich wurde das Gefühl nicht los, dass man gleichzeitig versuchte sich die Longbottoms zu eigen zu machen. Die Familie war groß, sie war einflussreich und Henrik Longbottom war jemand, der nah um den Minister herum rangierte. Mit seinen inzwischen 57 Jahren war es schon längst überfällig gewesen, dass er für seinen einzigen Sohn und somit Stammhalter eine geeignete, junge Braut suchte, die die Linie sauber und ordentlich weiterführen würde. Auch wenn die Longbottoms keine Familie war, die auf Reinheit achtete, so war das Angebot der versprochenen Reichtümer doch sehr verlockend und die Zeiten durch den letzten Krieg der Muggel noch ziemlich mager. Außerdem war ich nicht die Tochter vom Oberhaupt, sondern nur das Mädchen vom jüngsten der drei Brüder. Anders als Lycoris hatte ich noch ein paar mehr Freiheiten, auch wenn mich das immer noch mehr einzuschränken schien als sie. Dennoch konnte ich hoffen, dass man mir in dieser neuen Familie anders gegenüber trat als in meiner eigenen. Zumindest hatte ich das in seinen Augen gesehen, in diesem kurzen Moment, nachdem er meinen Handrücken an seine Lippen geführt hatte. Der kleine Oberlippenbart hatte meine Haut gekitzelt. Still und stumm stand ich also neben meiner Mutter, die sich für den heutigen Empfang sehr prächtig herausgeputzt hatte. Das schlichte, dunkelgrüne Kleid klebte an ihrem molligen Körper, der Bauch drückte immer wieder gegen den Stoff, sodass er sich spannte. Sie war erst 48 und doch hatten die letzten Nächte ihr Aussehen, die umwerfenden Gene der Yaxleys, angekratzt. Zwar trug sie die ersten grauen Strähnen offen zur Schau, aber sie versuchte das Dauerlächeln aufrecht zu erhalten, damit man die hängenden Mundwinkel nicht sah. Meine Mutter wirkte mir so fern, ich brauchte nur die Hand auszustrecken und doch glaubte ich nicht daran, dass ich sie wirklich erreichen würde. In den letzten Tagen hatte sie mir nicht mal in die Augen gesehen und sie hatte ihr bereitgelegtes Hochzeitskleid wieder von einer unserer Hauselfen in ihren Kleiderschrank hängen lassen. Die Maße passten mir nicht. Ich war sehr enttäuscht. Ich hätte Mutters Kleid gerne getragen, hätte meiner Familie damit die Ehre erwiesen. Aber ich bin ja nur der Ausgleich, die Ablenkung. „Patrizia hat einen ganz wunderbaren Schneider, er hat sein Geschäft in Paris!“, lobte meine Mutter gleichzeitig Lycoris Vorschlag und den Sinn für Mode meiner zukünftigen Schwiegermutter — was ich nicht unbedingt bekräftigen konnte. Denn Patrizia hatte ihrem Sohn - dem Herrn sei dank - nichts weiter vererbt als die blauen, hellen Augen. Die dünnen, lichten Haare fielen ihr leblos auf den Rücken, beschwert mit einem silbernen Pendel an den Spitzen, das fast in dem silbergrau ihres Abendkleides verschwand. Der Körper war wie ihr Gesicht, ausgemergelt und kantig. Meiner Familie war vom ersten Treffen an sofort klar gewesen, warum Patrizia Longbottom nur ein Kind zur Welt gebracht hatte. Ein Wunder, dass sie überhaupt die Geburt überstanden hatte. Dabei sollte doch eine Frau in der Lage sein, viele gesunde Kinder zu gebären. Nur so machte man die Familie stolz — das Henrik sich nicht eine andere gesucht hatte, war schon fast ein Skandal. Aber nur fast. Hohe Stände verschlossen eben Münder — wenn auch nur bei offenen Türen. „Wir sollten das Maßnehmen noch diese Woche vornehmen lassen, wer weiß, wann mir Carter Crouch vor der Tür steht und die Festlichkeiten ruiniert“, redete Mutter mit einem tief trauernden Ton in der Stimme weiter, ehe sie sich sogar zu einem Schluchzen hinreisen ließ, das alle anderen Frauen, die um uns herum standen, dazu brachte, wehmütig und hörbar mit meiner Mutter mitzuleiden. Sie nahm das Spitzentaschentuch von Violetta entgegen, tupfte sich die Augen damit ab, während sie die tröstende Hand von Lycoris drückte. Sogar ich sah auf und begegnete dabei dem Blick meiner Cousine Cassiopeia, die mir sachte zulächelte. Ich konnte nicht lächeln. Meine Hände, die ich hinter meinem Rücken zusammengeführt hatte, drückten sich gegenseitig taub. Man konnte das blaue Auge von Cassiopeia selbst unter der großzügig aufgetragenen Schminke noch erahnen. Ein paar Äderchen waren sogar geplatzt und durchsetzten das Weiße im Augen nun mit rötlichen Schlieren. Sie tat mir nicht leid. Sie war schon immer ein Sorgenkind gewesen und obwohl wir gleich alt waren, so habe ich nie mit ihr spielen oder zu tun haben wollen. Sie war mir zu wild. Schon als Kind war sie mehr durch die Gegend getanzt als anmutig geschritten und wie sie sich schlussendlich mit meiner Schwester Cedrella angefreundet hatte, hatte ich schon gewusst, dass es ein böses Ende nehmen würde. Was ich dabei nicht erwartet hatte war, dass es für mich dabei auch ein schreckliches Erwachen geben würde. Während sie also lächelte, das blaue Auge versuchte zu verstecken und wie immer zappelig neben meiner Tante und ihrer Mutter Violetta stand, presste ich nur die Lippen zusammen und ließ meinen Blick schnell weiterwandern. Cassiopeia, Violetta, dann die hochmütige Hesper mit Lycoris. Danach kam mein Platz in der Runde, neben mir meine Mutter, Belvinas freier Platz und Melania beendete schließlich den Kreis. Und alle bedauerten meine Mutter zutiefst — alle außer Cassiopeia und ich. Sie war eine Schuldtragende und ich war der Ausgleich. „Crouch kann sich glücklich schätzen, von so einem Balg verschont geblieben zu sein“, mischte sich Hesper mehr hochnäsig als beruhigend ein, bedachte meine Mutter mit einem mehr als nur eindeutigen Blick, der sie sogleich zusammensinken ließ, „Außerdem ist es nicht so, als ob man ihm kein neues Angebot machen könnte — bald kann Charis heiraten, du musst immerhin alle deine Töchter unter die Haube bringen, Lysandra und die Crouches sind eine gute Partie.“ „Charis ist doch erst 15, zwei Jahre müsste man sie vertrösten!“, lachte Melania und legte belustigt eine Hand an die Wange, „Wer kann von Carter erwarten, seinen Sohn nochmals zwei Jahre warten zu lassen? Der Junge ist immerhin bereits 19.“ „Warum hat man ihm nicht gleich Callidora versprochen?“, näselte Lycoris und wurde kopfschüttelnd von ihrer Mutter unterbrochen. „Henrik zu binden hat Priorität, im Gegensatz zu den Longbottoms ist die Familie Crouch unserer Überzeugung, sie sind leichter zu halten.“ Mir wurde schlecht. Wenn ich mir Casper Crouchs übelriechendes Lachen vorstellte verging mir alles. Meine Nackenhaare stellten sich auf und mir lief ein Schauer über den Rücken. Auch wenn mir meine kleine Schwester leid tat, so unheimlich leid, so bin ich froh, diesen Klauen zu entkommen. Charis war so unglaublich zart, sie würde eingehen wie eine Blume im Winter, lange würde die Ehe nicht bestehen bleiben — aber Charis wurde nicht gefragt. Ich auch nicht. Mein zukünftiger Mann hieß Harfang Longbottom und ich kannte ihn seit einer knappen Stunde. Gesehen hatte ich ihn für zwei Wimpernschläge. Und Charis würde an Cedrellas Platz rücken, würde vermutlich in zwei Jahren ihre kleine Hand in Casper Crouchs Pranken legen. Und auch, wenn ich die Zeit nur noch an mir vorbeistreichen sah und mir wünschte, sie würde anhalten, ich würde die Stopptaste finden, so wusste ich doch genau, dass es nicht in meinen Händen lag. Eigentlich tat es das nie. Meine Geburt hatte mich gebunden, gefesselt. Mein Stand verpflichtete mich. Ich war die Erstgeborene, vor allem ich hatte der Familie mein Leben zu verschreiben. Mein Leben, dass in zwei Wochen in Harfang Longbottoms Hände übergeben werden sollte, der mich von da an führen sollte. Meine Knie zitterten leicht, aber ich schaffte es, das Brennen in meinen Augen zu verwünschen, schaffte es, den Druck in meiner Brust zu verscheuchen, nur um zu spüren, wie die Kälte mein Herz zusammendrückte. „Es sollte eine kurze Zeremonie sein, wir können nicht Stunden mit der Feier verschwenden. Callidora kann das rote Abendkleid von Lycoris bekommen, wenn Belvina ihre goldene Halskette gibt, wird Henrik das sicherlich genügen. Schlicht sollte sich eine Frau aus guten Hause sowieso kleiden können, um ihren Ehemann nicht in den Schatten zu stellen“, kam die Stimme von Hesper Black, die sicherlich so klang, weil auf ihrer Brust fünf schwere Goldketten lagen — von Schlichtheit konnte man bei Tante Hesper sowieso nicht sprechen. Ihre Kleider waren allesamt Maß- und Sonderanfertigungen, feine Gold und Silberfäden wurden selbst in die einfachsten Socken mit eingefädelt und ihre Finger konnte sie gar nicht richtig bewegen, so sehr behinderten die vielen Ringe ihre Bewegungen. Sie war die Frau des Oberhaupt der Black´schen Familie, gerade sie sollte ihren Mann nicht überstrahlen. Doch daran hielt weder sie sich, noch eines ihrer Kinder. Sie hatten alle den verschwenderischen und protzigen Geist ihrer Mutter geerbt. Aber während Lycoris mit ihren Seidenkleidern und Salonterminen noch einigermaßen im Rahmen blieb, schlug Hespers ältester Sohn Arcturus und damit nächstes Oberhaupt vollkommen über die Stränge. Profitieren tat davon bis jetzt nur Melania, seine Ehefrau. Die geborene McMillan hatte ihrem stolzen Mann bereits eine Tochter und einen Sohn geschenkt und hatte sich damit zu aller erstaunen vom Kinderkriegen abgewandt. Lucretia war inzwischen genauso alt wie Walpurga, allerdings dreimal so hübsch und mindestens um zwei Längen klüger. Die beiden neun-jährigen Mädchen genossen jeden Tag Privatstunden und wurden von Hesper in jeglicher Art und Weise verhätschelt. Kein Wunder, immerhin wurde sogleich bei der Geburt von Orion — Melanias Sohn — beschlossen, dass Walpurga seine zukünftige Frau sein würde. Der Kleine war im Moment erst fünf Jahre alt. Wessen Einfall das gewesen war, konnte man leicht deuten, aber mir war schleierhaft, warum man diese sinnlose Verlobung nicht nach dem Tod von Oma Elladora aufgelöst hatte. Und so langsam bekam selbst ich ein leichtes Ziehen in den Schläfen, wenn ich darüber nachdenken musste, wie verzweigt meine Familie inzwischen war. Ich selbst zählte im groben Überblick für mich drei Tanten, die mich mit neun Cousins und Cousinen beglückten, von denen wiederum welche schon vier Kinder in die Welt gesetzt hatten. Und bald war ich an der Reihe. Meine Hochzeitsnacht rückte nun in großen Schritten näher und sicherlich erwarteten nicht nur die Blacks von mir gesunde Kinder. Aber daran wollte ich nicht denken. Ich zwang mich, wieder an meinen künftigen Ehemann zu denken, der sicherlich gerade mit meinem Vater über die neusten Entwicklungen in Frankreich sprach, die meiner Familie in den letzten Monaten viel Geld eingebracht hatten. Etwas, wovon ich nichts verstand. Das einzige, was ich verstand war, dass meine jüngere Schwester vor vier Tagen geheiratet hatte. Heimlich. Unter freiem Himmel getraut und in einer Scheune bejubelt. Nur um gestern an der Seite ihres Mannes England zu verlassen. Wer hätte wissen sollen, dass sie dazu fähig war, solchen Ärger zu verursachen? Carter Crouch wusste noch nicht, dass wir die Spur von Cedrella und ihrem Weasley verloren hatten, aber meine Familie arbeitet schon fleißig daran, alles unter den Teppich zu kehren. Cassiopeia hatte die Ohrfeige vorgestern erhalten. Meine Verlobung war gestern im Tagespropheten verkündet worden. Das Brandloch im Stammbaum war heute früh entstanden. Und Morgen würde wie an jedem Tag die Sonne aufgehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)