Hell called Home von Raschka ================================================================================ Kapitel 4: Ruhe vor dem Sturm ----------------------------- "Weißt du, der Winter ist ja ganz nett und schön anzusehen....aber der Sommer ist mir eindeutig lieber. Keine Kälte, kein schneidender Wind, nur Sonne und Wärme...und lange Ferien am Strand irgendwo am Ende der Welt", seufzte Aryn und ließ sich auf mein Bett fallen. Sie kuschelte sich tiefer in die dicke Decke, um die Erinnerung an die Eiseskälte, die draußen aufgezogen war, zu vertreiben. Ich ließ mich am Bettrand nieder und fischte mir einen Eiskaffee aus meinem Mini-Kühlschrank. "Ja...erdrückende Hitze und Luft, die so trocken ist, dass du daran erstickst", erwiderte ich und verzog mein Gesicht, als ich an den letzten Sommer dachte, während ich meinen Kaffee schlürfte. Aryn schwieg ungewöhnlich lange und reagierte auch sonst nicht auf meine Erwiderung, sodass ich mich irritiert zu ihr umdrehte. Und prompt ihren entgeisterten Blick begegnete. "...Aryn?" "Ich fass es nicht...", hauchte sie nur und starrte mich weiterhin an. Eine Weile lang saßen wir so da, ehe sich ein aberwitziges Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete und sie überglücklich rief: "Ich fass es einfach nicht!" Schon schlang sie die Arme um mich und umarmte mich innig, währenddessen ich verzweifelt versuchte, den Inhalt des Kaffeebechers zu retten. Es gelang mir auch, bis Aryn dicht an meinem Ohr murmelte: "Ich fass es nicht...Jinx...du bist wieder da..." Mit einem dumpfen Klonk traf der Becher auf dem Holzboden auf und verbreitete den ganzen Kaffee auf meinem Fußboden. Ich bemerkte dies ohne weiteres Interesse. Ich war nicht fähig, mich irgendwie zu bewegen, meinen Schock schien nun auch meine beste Freundin zu sehen, denn sie wich ein paar Zentimeter zurück und blickte mich fragend an. Ich konnte nicht antworten. Ich konnte nicht. Mir wurde kalt, eiskalt, und zum ersten Mal spürte ich die frostigen Finger, die mein Herz umklammert hielten, und sich noch fester darum schlangen, bis mein Herz schmerzhaft in meiner Brust schlug, sich verkrampfte und gegen meinen Brustkorb pochte. So fühlt sich der Tod an. Ich begriff. Ich war wieder vier Jahre alt. Hatte wieder Blut an meinen Händen kleben. Hörte mein Herz so laut schlagen wie noch nie, so laut in einer vollkommenen Stille. Ich rannte wieder...rannte und rannte. Und rannte. Meine Mutter schlug mich, immer und immer wieder, bis meine Wange genauso taub war wie mein Herz. Bis das Feuer erloschen war und es nur noch Asche gab. Bis alles Leben sich auch in mir verflüchtigt und der Tod auch meine Seele in seiner kalten Umarmung hatte. "...nx...JINX!" Der Schrei riss mich aus meiner Lethargie. Ich sah Aryn vor mir sitzen, besorgt und panisch. Aryn, die immer für mich da gewesen war, immer an meiner Seite, die mich immer geliebt hatte, mich immer akzeptiert hatte. So wie ich war. Aryn, die mich nie alleine ließ, obwohl sich selbst meine Eltern abgewandt hatten. Krack... Brechendes Eis. Ich brach in Aryns Armen zusammen, lautlose Tränen liefen mir über mein Gesicht und ich ignorierte die Schreie hinter der Tür und das laute Hämmern dagegen. Ich nahm nur wahr, wie Aryn mich weiterhin umarmte und mir sanft über den Kopf strich und einfach schwieg. Einfach schwieg und mich hinnahm, wie all die Jahre zuvor. Für eine Rückkehr war es zu früh und gleichzeitig zu spät. Chaos tobte überall in mir, beherrschte all meine Gedanken und Gefühle. Hilflos lag ich tagelang auf meinem Bett, mal weinend, mal schreiend und manchmal einfach nur ausgebrannt und leer. Ich nahm weder die Zeit war, noch meine tobenden Eltern vor der Tür, noch die Schule oder irgendetwas sonst in meiner Umgebung. Nachts erlag ich schreiend meinen Alpträumen, morgens brach alles aus mir heraus und ich weinte hemmungslos, bis ich schließlich keine Kraft mehr hatte und nur apathisch auf einen Punkt in meinem Zimmer starrte. So fand Aryn mich tagtäglich vor, wenn sie nach der Schule zu mir fuhr und erst wieder am späten Abend ging. Sie schwieg weiterhin und war einfach nur da, erzählte mir belanglose Geschichten und blieb manchmal auch die Nächte bei mir. Schlaf bekamen wir in der Zeit beide nicht und schon bald erkannte ich die unverhohlene Erschöpfung in ihren Augen und die dunklen Augenringe. Ich betrachtete Aryn, während sie schlief. Es war früher Morgen, die Schule würde bald beginnen, doch ich konnte sie nicht wecken. Nicht nach einer weiteren durchwachten Nacht wegen mir. Erneut kamen die Tränen in mir hoch, Tränen voller Hilflosigkeit gegen meine Gefühle, voller Hass auf mich selbst, voller Trauer. Sie schmeckten bitter. Bitter und salzig zugleich. "Jinx...", murmelte Aryn und erhob sich verschlafen, um mir die Tränen wegzuwischen. Ihre Stimme klang weder wie ein Vorwurf, noch klang sie genervt. Einfach nur erschöpft. Ich lächelte, zumindest war es ein trauriger Versuch eines Lächelns, und antwortete leise: "Du kommst zu spät zur Schule." "Ich lass dich nicht allein." "Ich komm schon klar. Geh endlich, wenn du dich beeilst erwischst du noch den Bus", sagte ich und wandte mich ab, während Aryn noch einen Moment zögerte, bevor sie sich seufzend entschloss, sich anzuziehen und aus meinem Fenster zu klettern. Nicht ohne einen letzten Blick. Ich blieb tapfer und lächelte weiter dieses verzerrte Lächeln. Erst als sie weg war, verblasste es. Und dann kam wieder die Leere. Ruhe vor dem Sturm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)