Gut ist nur ein Wort von Die_Katzenhai (wenn Welten sich kreuzen) ================================================================================ Kapitel 4: Vom Ertrinken und Explodieren ---------------------------------------- Was das heißen sollte hatte er ihn gefragt. Keine Zeit. Er wisse doch, dass er etwas Besonderes vor hatte, hatte er gesagt. Aber Ciaran Callahan konnte es nicht ändern. Die Arbeit mit Menschen gehörte zu denen, die am unvorhersehbarsten waren. So war es keine Seltenheit, dass man für einen Arbeitskollegen eine Schicht übernahm. Blöder weise war eben diese Schicht eine Nachtschicht und stand damit den Plänen für das Wochenende Ciarans besten Freundes Craigs im Weg. Es war nicht so, dass es Ciaran gefiel, Freitagnacht auf der Arbeit zu verbringen. Er liebte seine Arbeit, natürlich, aber dennoch würde er ein Treffen mit Craig einer Nachtschicht vorziehen. Besonders dann, wenn diese ereignislos verliefen. Es passierte nichts. Rein gar nichts. Die Stunden krochen dahin und dann, noch bevor die Sonne aufging, klingelte sein Handy. „Craig?“ Einiges Gemurmel. „Craig? Was ist los?“ Endlich hörte er ihn. Aber erfreulich war es nicht. Er klang betrunken und war schwer zu verstehen. Nur, dass er schnell kommen sollte, verstand Ciaran. Dann war das Handy aus. Für wenige Sekunden starrte Ciaran auf das Handy. Er fluchte, drehte sich um und lief mit hastigen Schritten durch das Gebäude zu seinem Kollegen, der am Tisch vor dem Kaffeeautomat saß. Fast am Schlafen. Vor ihm ein leerer Becher. Was los sei? Ein Notfall. Irgendwie schon. Es war keine Lüge. Craig ging es nicht gut. Garantiert nicht. So betrunken hatte er ihn lange nicht mehr gehört, und das letzte Mal war es eine einzige Katastrophe gewesen. Ja, alles war ruhig. Ja, es tut ihm leid. Nein, mit der Familie war alles in Ordnung. Nein, mit Craig nicht. Minutenlang wartete Ciaran vor dem Pub, an dem sie sich treffen wollten, bevor Ciaran die Schicht übernehmen musste. Doch niemand kam. Nervös trommelte er auf das Lenkrad, fuhr sich durch die kurzen braunen Haare, die unordentlich auf seinem Kopf lagen und seufzte. Mit einer unwirschen Bewegung löste er schließlich den Sicherheitsgurt und stieg aus. Seine braunen Augen suchten die Umgebung ab. Nichts. Niemand zu sehen. Er seufzte erneut und lief los. Craig konnte sich ja dennoch in der Nähe befinden. Die Sonne fing an aufzugehen und ließ den Himmel am Horizont heller und heller werden. Aus diesem Grund sah Ciaran seinen besten Freund endlich. Zusammen mit einer Gruppe anderer Männer standen sie an einer Klippe über dem irischen Meer. Lachend stießen sie sich gegenseitig an. Was für Idioten! Das Wasser war eiskalt und betrunken zu schwimmen war nicht einmal einen Versuch wert. Kopfschüttelnd lief Ciaran zu ihnen. Und Craig sah ihn. Mit freudigem Gesicht hob er lachend die Flasche, die er in der Hand hielt, rief Ciaran zu. Dann wurde er gestoßen. Craig fiel. Ciaran schrie. Rannte los. Er musste ihm helfen und vergaß alles um sich herum. Kaltes Wasser umschlang seinen Körper. Die Kleidung, vor allem die gefütterte Weste, sog sich voll, zog ihn unter Wasser. Eine Welle zerschellte an den Klippen. Keuchend tauchte Ciaran auf. Rief Craigs Namen und wurde erneut unter Wasser gezogen. Als er erneut Luft an seinem Gesicht spürte, sah er ihn endlich. Craig schien sich gerade so über Wasser halten zu können, doch rief er noch nach Hilfe. Selbst Jahre später erinnerte sich Ciaran nicht mehr daran, wie er es geschafft hatte, zu Craig zu gelangen. Noch weniger, wie er ihn an Land gebracht hatte. Dort, wo die anderen, dem Rausch des Alkohols beinahe entkommen, Craig an Land zogen. Er war kein schwacher Mensch, garantiert nicht. Egal, wie schlank er war. Er war Sportler und schwamm oft genug. Aber Craig war größer und schwerer als er, das Wasser kalt und seine Kleidung viel zu schwer. Craig war an Land und Ciaran wollte ihm folgen. Er klammerte sich an den Felsen fest, zog sich hoch und wurde von einer Welle getroffen. In die Tiefe gezogen. Rasender Schmerz in seinem Bein. Über ihn die Rufe der anderen. Er klemmte fest. Die Luft entwich seinen Lungen. Die Sonne ging auf. Doch ihm war kalt. Sonnenschein, eine frische Brise. Aber war er nicht so eben ertrunken? Diese nasse Kleidung sprach dafür. Zitternd vor Kälte setzte er sich auf. Wo zur Hölle war er? Er schien am Rande eines Waldes zu sein, doch solche Bäume gab es nicht in Irland. Vielleicht nicht mal in Europa. Ciaran war oft wandern gewesen und kannte solch eine Flora nur aus dem Fernsehen. Aber das würde bedeuten, dass er von der Insel gekommen war. Und das war unmöglich. Schwachsinnig. Vollkommen idiotisch. Oder? Plötzlich kam ihn ein grausamer Gedanke. Er war tot. Und das hier war der Himmel, oder zumindest etwas, das ihm ähnelte. Eine Nachwelt, das Reicht der Toten, die Unterwelt, irgendetwas. Aber warum war ihm dann kalt? Warum trug er die Kleidung, in der er ertrunken war? Im Laufe seiner Arbeit war er vielen Religionen und damit Jenseitsvorstellungen begegnet. Frierend in irgendeinem Wald aufzuwachsen gehörte definitiv nicht das. War er also doch am lebend? Vielleicht. Aber wenn er es tat, wo wer er dann? Er öffnete die einst graue, nun vom Wasser beinahe schwarze, Weste und ließ sie auf den Boden fallen. Mit einem Platschen landete sie, hinterließ Wasserspritzer in ihrem Umfeld. Das weiße T-Shirt folgte. Lieber hatte er nichts an, als die kalten, am Körper klebenden Kleider. Als er sich zu den Schuhen runter beugen wollte, merkte er, dass er sie gar nicht mehr trug. Verloren gegangen in den eiskalten Fluten Irlands. Das rechte Hosenbein zwar zerfetzt, an der Stelle, an der er festgesteckt hatte. Ciaran wurde schlecht, verdrängte jedoch die Gedanken an seinen Tod. Seine Gedanken rasten, versuchten irgendeine Lösung zu finden, doch war es vergebens. Seufzend stand er auf, klaubte seine Kleidung vom Boden und lief los. Am Waldrand entlang. Vielleicht war er nicht alleine. Der Wald war schön, keine Frage. Und idyllisch, das war erst recht keine Frage. Er war es tatsächlich nicht. Nur noch wenigen Minuten Fußmarsch sah er vom weiten eine Mähne blonden Haares. Eine Frau, deren Haare, besonders am Hinterkopf, widerspenstig abstanden, saß auf einen großen flachen Stein. Ihr Blick schweifte umher und blieb schließlich an Ciaran hängen. Sie stand auf und winkte ihm zu. Als er näher kam, sah er ihr herzförmiges Gesicht und ein Piercing in der rechten Augenbraue. Ein Teil ihrer Haare war rot. Vermutlich gefärbt. Mit ihrer Schutzbrille und dem weißen Kittel wirkte sie furchtbar deplatziert in der Natur. „Hallo“, sagte sie. „Hallo“, antwortete Ciaran, „ich nehme an, dass du auch keine Ahnung hast, wo wir sind, oder?“ „Nein“, sagte schüchtern. Sie sah sie wieder in der Umgebung um. „Ether verursacht doch keine Halluzinationen, oder?“ Ciaran blinzelte sie an. „Bitte was?“ Diese Frau war Ava Haddington, Mitte zwanzig, im Leben stehend und, das konnte jeder halbwegs empathischer Mensch nachvollziehen, komplett verwirrt. Und dieser Zustand war eine ganz natürliche Reaktion auf ihren Unfall. Schließlich war eine Explosion einer Chemikalie nicht alltäglich. Selbst, wenn man in einem Labor arbeitete und von einer Plexiglasscheibe geschützt war. Falls man die paar Millimeter als Schutz bezeichnen konnte. Es war ein schöner Tag gewesen. Ein normaler Tag. Vielleicht ein wenig zu warm, für einen gewöhnlichen Herbsttag, gerade für England, aber normal. Gewöhnlich. Wie jeder anderer Tag. Das dachte sie zumindest noch, als sie am Morgen aus ihrer Wohnung trat. Ein Lächeln auf den Lippen und mit den Gedanken schon bei der Arbeit, die sie liebte. Auch dort begann alles normal. Kollegen begrüßt, besonders Aidan, der mehr als nur das war. Ein guter Freund mit gewissen Extras, wie man es so schön sagte. Ein wenig unterhalten. Smalltalk über das letzte Fußballspiel, das neue Computerspiel, das erst gestern heraus gekommen war und sich schon in ihrem Besitz befand und das Wetter. Natürlich. Der Klassiker. Noch ein wenig über die Arbeit. Was zu tun war, auf was sie keine Lust hatten und auf was schon. Wenige Zeit später stand sie in ihrem Labor, arbeitete an einer Synthese für ein Medikament und unterhielt sich mit ihrem neuen Kollegen, dessen Namen sie peinlicherweise immer wieder vergaß. Irgendetwas mit B, vielleicht. Ben? Bobby? Irgendetwas in der Art zumindest. Er war nett und schien Ahnung von dem zu haben, was er tat. Also achtete sie nicht genau darauf, was er tat. Dachte, es würde schon nichts passieren. Darauf zu vertrauen war ein Irrtum. Wie sie war auch ihr Kollege am arbeiten. Gewissenhaft, so dachte Ava. Sie hörte, wie er etwas umfüllte. Ein kurzer Blick über ihre Schulter, organisches Lösungsmittel, etwa zwei Liter in einen Kanister, und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Sie hörte ein wenig Geklapper und ihn dann etwas sagen. Er müsse noch kurz wohin, noch etwas besprechen. Und weg war er. Ava zuckte mit den Schultern. Sie hatte auch nichts dagegen, alleine zuarbeiten. Ihre Synthese immer in Auge behaltend, schrieb sie einige Kleinigkeiten in ihr Notizbuch. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Sie liebte ihre Arbeit. Sie summte leise vor sich hin. Kein Lied, das an unbedingt von einer Frau erwarten würde, eher von einem typischen Mann, aber ein Lied, das ihr gefiel. Vielleicht sollte sie sich endlich mal die CD von dieser Band besorgen, dann könnte sie sie auch beim Autofahren oder hier hören. Ava schnüffelte. Irgendetwas stimmte nicht. Sie hörte auf zu summen und lief einige Schritte in den Raum hinein. Ether? Ganz eindeutig. Den Geruch erkannte man, wenn man in einem Labor arbeitet irgendwann im Schlaf. Mit einem unguten Gefühl trat sie zu dem Abzug. Neben einer ihrer Synthesen stand dort noch der Kanister mit dem Lösungsmittel. Bei dieser Hitze … „Oh Scheiße“, murmelte sie. Dann gab es einen Knall. Der Kanister explodierte, zersplitterte das Plexiglas und Ava wurde getroffen. Giftige Dämpfe. Blut, das an ihrem Kopf herunter lief. Der Boden. Dann wurde es um sie herum schwarz. „Und so kam ich hier her“, schloss sie ihre Erzählung ab. Sie saßen nun gemeinsam auf den Stein und wussten nun zumindest, was mit den anderen passiert war und wie er hieß. „Oh“, sagte Ciaran, „ich hab das Blut erst für Farbe gehalten.“ „Ich wünschte, es wäre so.“ Dann wären sie nicht … naja, wo auch immer sie gerade waren. Es war schon eine komische Halluzination, aber was sollte sie machen? Ändern konnte sie gerade nichts, nur hoffen, dass sie so schnell wie möglich vom Boden aufgesammelt und in ein Krankenhaus gebracht wurde. Immerhin schien sie eine Platzwunde am Kopf zu haben. Eine Gehirnerschütterung war auch möglich. Nachdenklich sah sie zu Ciaran. Für eine Einbildung, sah er erstaunlich detailliert aus. Sportlich, aber nicht sonderlich breit oder muskulös gebaut. Hohe und markante Wangenknochen. Braune Haare, die am Skalp ein Stück länger waren. Blasse Haut. Typisch für einen Iren. „Und du bist dir sicher, dass das alles nur eine Halluzination ist? Ich fühle mich ziemlich lebendig und real.“ „Was soll es sonst sein?“ Ciaran zuckte mit den Schultern. „Der Himmel?“ „Du denkst, wir sind tot?“ „Eigentlich nicht.“ „Aha.“ Darauf fiel ihr auch nichts mehr ein. Allerdings hatte Ciaran damit recht, dass es wirklich keine Halluzination sein könnte. Zugegebenermaßen hatte sie noch nie von solch einer Art gehört. Sie fragte sich, ob das überhaupt biologisch möglich war. Vor allem, wenn nur ein paar giftige Dämpfe dazu beitrugen. „Wollen wir ein wenig die Gegend erkunden? Wenn wir hier sind, können noch mehr hier sein und die könnten mehr wissen als wir.“ Ava zuckte mit den Schultern. „Können wir machen.“ Sie stand auf und blickte sich um. „Wo lang?“ Nun war es Ciaran, der mit den Schultern zuckte. „Keine Ahnung. Vielleicht ein wenig am Rand entlang? Oder in ihn hinein?“ „Waldrand“, sagte Ava bestimmt. Sie wusste nicht, was in diesem Wald war und wollte nichts riskieren. Nur für den Fall, dass es doch keine Halluzination war. Bald merkten sie, dass das Gelände anstieg. Sanft, aber bestimmt, tat sich ein Hügel vor ihnen auf. Ava schnaufte. So langsam wurde ihr heiß. „Willst du eine Pause machen?“, fragte Ciaran. „Nicht unbedingt, aber ich würde gerne was trinken.“ „Ich habe leider nichts dabei.“ „Dachte ich mir.“ Sie schwiegen. „Sag mal, hörst du das?“, fragte Ciaran plötzlich. Was meinte er? Es war doch nichts zu hören. Oder doch? Konzentriert lauschte sie. „Ein Bach?“ „Genau. Im Wald, denke ich. Da könntest du was trinken.“ „Das wäre klasse.“ Der Wald war nicht sonderlich schwer zu durchqueren. Er war hier licht und der Boden nicht sonderlich matschig. Ab und an fiel ihr ein Wassertropfen auf dem Kopf, vermutlich hatte es vor kurzem noch geregnet. Beim ersten Mal war Ava zusammengezuckt. Das alles machte sie nervös. Zu dem Plätschern des Baches gesellten sich Stimmen. Eine weibliche und eine männliche. Ciaran und Ava sahen sich an. Dann grinsten sie. „Wir sind tatsächlich nicht alleine“, jubelte Ava. „Zum Glück. Los, beeilen wir uns, bevor sie noch weggehen.“ Das taten sie auch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)