Gut ist nur ein Wort von Die_Katzenhai (wenn Welten sich kreuzen) ================================================================================ Kapitel 5: Der Fotograf und das Model ------------------------------------- Die Wälder seiner Heimat waren Teil einer furchtbaren Geschichte, und doch liebte er sie. Ciel-Jupiter Chastal, ein junger Mann mit braunen Haaren und tiefblauen Augen, lief mit leichten Schritten zwischen den Bäumen hindurch. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er vom weiten ein Reh sah. Mit einer vorsichtigen Bewegung griff er nach dem Fotoapparat, den er um den Hals trug. Leise, so lautlos, wie es ihm möglich war, ging er in die Knie, doch noch bevor er den Auslöser drücken konnte, horchte das Reh auf und verschwand mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zwischen den Bäumen. Hast du die Bestie gehört?, dachte er schmunzelnd und stand auf. Dann nicht. Er würde noch genügend andere Motive finden. Und vielleicht würde er sie sehen. Die Bestie. Das Monster. Die Legende seiner Heimat. Ciel-Jupiter machte sich nicht viel aus solchen Geschichten, doch diese faszinierte ihn schon seit er ein Kind war. Damals, bevor er in einer der Vorstädte Paris gehen musste, hatte er Angst vor ihr. Glaubte daran, dass sie kam, wenn er unartig war und ihn mit Haut und Haar verschlingen würde. Wie der Wolf das Rotkäppchen. Nur blutiger. Ein Schauer lief über seine Rücken und das Gefühl beobachtet zu werden ließ ihn herumwirbeln. Er erwartete, dass sie hinter ihm stehen würde. Bereit ihn zu töten. Egal, ob er ein Mann war, oder nicht. Die Zeiten änderten sich. Nichts. Fast hätte er gelacht. Das war dämlich! Er war 24, da sollte man keine Angst mehr vor jahrhundertealten Legenden haben. Vor gar keiner Legende. Hier war ein Ort, an dem er sich wohl fühlte. Und wohlfühlen und Angst haben waren zwei Dinge, die man nicht zusammenbringen konnte. Er lief weiter und wusste nicht, wohin er lief. Er kam wieder raus, das kam er immer. Noch nie er hatte er sich verlaufen und heute sollte nicht der Tag sein, an dem es ihm zum ersten Mal passierte. Dennoch sollte es lange dauern, bis er seine kleine Wohnung wiedersehen würde. Aber davon wusste er noch nichts. Die Sonne ging unter und tauchte den Herbstwald in ein tiefes Rot. Ein Windstoß ließ die Blätter hochwirbeln und zu den Baumkronen empor steigen, nur um sie wieder zu Boden schweben zulassen. Er lächelte. Aus diesem Grund liebte er es hier. Die Natur war wunderbar. Mystisch. Und dann sah er ihn. Einen gewaltigen Baum. Eine Eiche, die ihm uralt erschien. Das Lächeln wurde zu einem Grinsen und bevor er über mögliche Gefahren nachdenken konnte, kletterte er, einem kleinen Jungen gleich, auf dem Baum. Ciel-Jupiter erreichte die Krone, lächelte in den Sonnenuntergang. Das war er hier sah, war wunderschön. Ein perfektes Bild. Er griff nach seiner Kamera, doch sollten seine Hände sie nie erreichen. Es knackte. Dann fiel er. Und hätte er schreien können, hätte er geschrien. Aber er konnte es nicht. Für einen Moment dachte Ciel-Jupiter, er wäre bewusstlos gewesen und am nächsten Morgen aufgewacht. Er registrierte, dass er nicht mehr in Frankreich sein konnte. Die Eiche war verschwunden, stattdessen lag er unter einem Baum, den er nicht kannte. Einen, den er nie zuvor gesehen hatte. Einen Moment später wollte er nach der Kamera greifen, fand aber nur Leere. Sie war verschwunden. Verwirrt stand er auf. Wo zum Teufel war er? Er kräuselte seine Stirn, blickte sich um und seufzte lautlos. Kein Zweifel – er war wo anders. Wo auch immer, aber nicht mehr zuhause. Ein kleiner Anflug von Panik kam in ihm auf. Es war nicht alltäglich, an einem anderen Ort aufzuwachen. Besonders dann nicht, wenn man nicht betrunken war und Ciel-Jupiter war sich sicher, dass er nichts getrunken hatte, bevor er herunter gefallen war. Apropos – war Herunterfallen aus großen Höhen ,und die Eiche war riesig gewesen, nicht eigentlich mit Schmerzen, wenn nicht sogar dem Tod verbunden? Natürlich war es das, und gerade er sollte das wissen, aber er war eindeutig nicht verletzt oder tot. Wenn er so recht darüber nachdachte, fühlte er sich sogar ausgesprochen wohl. Hieß das also …? Nein. Ausgeschlossen. Tot war er nicht. Er stritt die Existenz von höheren Mächten nicht ab, obgleich er nicht an sie glaubte, doch war er sich sicher, dass es kein Leben nach dem Tod gab. Zumindest keines der Klassiker. Weder einen Himmel, noch Walhall* oder das Weiterleben als Geist. Erst recht nicht in einem seltsamen Wald, der sich von den heimatlichen unterschied. Ein Leben nach dem Tod, sofern es überhaupt existierte, begann sicher nicht auf diese Art. Abgesehen davon war der menschliche Körper erstaunlich widerstandsfähig. Nur weil man ein paar Meter tief auf weichen Waldboden gefallen war, starb man nicht gleich. Man brach sich den einen oder anderen Knochen, blutete oder zog sich eine Gehirnerschütterung zu, aber man überlebte. Das war zumindest das, was er sich versuchte einzureden. Natürlich war das Überleben des Sturzes im Bereich des Möglichen. Das war nicht das Problem. Aber er konnte bewusstlos sein, an seinem eigenen Erbrochenen ersticken oder in der Kälte des Herbstes erfrieren und selbst wenn er nicht ohnmächtig wäre, so konnte es dennoch sein, dass er sich nicht fortbewegen konnte und somit seinen Tod in vollen Zügen genießen konnte. Hilfe rufen? Mitten im Wald? Ohne Handyempfang? Unmöglich. Fantastisches Ende. Unwillkürlich musste er lachen. Lautlos. Er entschloss sich, los zu gehen. Irgendwen zu suchen. Oder Irgendetwas. Hier einfach stehen zu bleiben brachte ihn nicht weiter und wenn er laufen würde, würde er zumindest Meter hinter sich bringen. Der Wald war schön, hatte beinahe etwas magisches, und Ciel-Jupiter bereute es, die Kamera verloren zu haben. Wenn er schon an einem ungewohnten Ort war, konnte er auch gleich fotografieren. Die Stille. Die Harmonie. Es war perfekt. Aber was nicht möglich war, war nicht möglich. Und er hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken … Als er zwischen einigen eng aneinander stehenden Bäumen hindurch trat, sah er ein Mädchen. Zumindest glaubte er, dass es ein Mädchen war. Es fiel ihm schwer, ihr eigentliches Alter einzuschätzen. Ihr Körper war weiblich, recht große Brüste, eine schmale Taille und ein breites Becken. Ihr Gesicht jedoch wirkte kindlich. Nicht älter als sechzehn, oder höchstens siebzehn. Ihre blonden Haare breiteten sich unter ihrem Kopf aus und endeten in roten Strähnen. Sie schlief. Vorsichtig näherte sich Ciel-Jupiter ihr, ging vor ihr in die Knie und rüttelte leicht an ihrer Schulter. Jetzt vom Nahen wurde er sich immer sicherer, dass sie noch im Alter eines Teenagers war. Trotz des Piercings in ihrer Nase war es das Gesicht eines Kindes. Sie schlug ihre Augen auf. Sie waren dunkelblau. „W-wo bin ich?“, fragte sie verwirrt. Ihre Stimme glich ihrem Äußeren. Kindlich, aber reif. Ciel-Jupiter zuckte mit den Schultern. „Aha.“ Sie richtete sich auf, blickte sich um und sah zu ihm. „Du warst nicht mit beim Shooting oder? Ich hab dich nicht gesehen.“ Shooting? Von was redete sie? Gut, er hatte fotografiert, aber das konnte sie unmöglich wissen. Sie war garantiert nicht im Wald gewesen. High-Heels waren keine Schuhe, die man trug, wenn man in die Natur ging. Es mag Zufall sein, dass ausgerechnet ein Fotograf auf Sunny, so ihr Name, stieß, doch machte es die Situation nicht einfacher. Sunny liebte ihren Job. Posen, lächeln, fotografiert und bewundert werden. Was sie aber hasste, war das Warten. Doch damit, dass ihr dieses verhasste Warten zum Verhängnis wurde, hätte sie nie gerechnet. Make-Up wurde aufgetragen, die Haare frisiert und alles an ihr zu Recht gerückt. Mit einem strahlenden Lächeln unterhielt sie sich Sunny mit dem Team. Besonders die Visagistin, Anfang zwanzig, mollig, aber eine natürliche Schönheit mit den Namen Madison, war nett und machte ihre Arbeit hervorragend gut. Als sich Sunny im Spiegel bewundern konnte, war sie ehrlich überrascht. Die Klamotten, die Collegejacke, die Jeans und die High-Heels waren cool und genau ihr Style. „Wunderbar“, sagte sie lächelnd. Madison bedankte sich. Das war schließlich ihr Job und den machte sie gerne. Trotzdem hatte sie es gut gemacht, davon ließ sich Sunny nicht abbringen und Madison bedankte sich wieder. Nach einem kurzen „Bis später“ ging das Model zu dem Fotografen, der sich angeregt mit dem Auftraggeber unterhielt. Sie fragte, was los sei und wurde gar nicht gehört. Erst, als sie sich laut räusperte, schenkten die beiden Männer ihr gnädigerweise ihre Aufmerksamkeit. Irgendetwas passte mit den Kulissen nicht und ein Licht war kaputt. Dass das erst jetzt auffiel, wunderte Sunny. Eigentlich sollte so etwas vorher kontrolliert werden und nicht, wenn alle anderen schon fertig waren. Noch bevor sie etwas sagen konnte, wurde sie weggeschickt, sollte warten, da sie hier nur im Weg herum stände. Na, wenn sie meinten. Sie war nicht wirklich beleidigt, es gehörte nun einmal zum Job, doch hätte sie auch nichts dagegen, gleich mit dem Shooting anzufangen. Immerhin wurde sie für das fotografiert werden bezahlt und nicht für das Warten. Nickend und mit einem „Schon okay“ verschwand sie hinter den Kulissen und sah sich dort um. Trostlos. Sehr viele Kabel und anderer Technikkram, von dem sie keine Ahnung hatte. Mit einem Seufzen setzte sie sich auf einen Stuhl, der neben einem Tisch stand und betrachtete weiter die Einrichtung. Nichts außergewöhnliches … aber roch da nicht etwas komisch? Irgendwie nach verbranntem Kunststoff? Sunny stand auf und lief in die Richtung, aus dem sie den Geruch vernahm. Da sah sie es schon. Ein Kabel war angekohlt und Funken spürten heraus. „Fuck!“, rief das Model erstaunt aus, wollte ausweichen und stolperte über ein auf dem Boden liegendes Kabel. Mit normalen Schuhen wäre das kein Problem gewesen, aber sie hatte eben welche mit mörderisch hohen Absätzen an. Sie schaffte es nicht, sich wieder aufzurichten. Im Gegenteil. Ein dumpfes Geräusch, als ihr Kopf gegen den Tisch schlug. Ein weiteres, als sie bewusstlos zu Boden ging. Und dann hörte man züngelnde Flammen, die alles auffraßen, was sich ihnen in den Weg stellte. Das erste, was sie danah sah, war ein Paar dunkelblauer Augen, die an den Himmel bei Nacht erinnerten. Sie gehörten einem schönen jungen Mann, groß ,sie schätze ihn auf etwa einen Meter neunzig, vielleicht ein wenig kleiner, mit feinen Gesichtszügen und leichten, brauen Locken, die er sich zurück gebunden hatte. Die Haut von den letzten warme Strahlen des Herbsts gebräunt. Aber bis jetzt hatte er kein Wort gesprochen und mittlerweile fand Sunny das ziemlich unhöflich. Nicht jeder musste so viel sprechen wie sie, aber gar nicht mit jemanden reden war einfach nicht nett. „Und wie bist du hier her gekommen?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ja okay, das weiß ich auch nicht. Dann eben: Was hast du gemacht, bevor du hier her gekommen bist?“ Er seufzte lautlos und sah sie entschuldigend an. Sunny stöhnte. Na super. Die Gereiztheit nicht ganz zurück halten können, sagte sie: „Sag mal, kannst du nicht reden? Oder...“ Er nickte. „Oh“, das erklärte es, „sorry.“ Nun lächelte der junge Mann sie entschuldigend an. „Wie heißt du eigentlich? Kannst du es irgendwie aufschreiben?“ Er formte seinen Mund, als ob er seinen Namen aussprechen würde. Zum Schreiben hatte er also nichts dabei. „Ehm... englisch ist der Name nicht, oder?“ Kopfschütteln. Damit hatte sie also recht gehabt. Da war sie schon mal einen Schritt weiter. Er zeigte ihr seinen Namen noch mal. „Sorry, keine Ahnung.“ Das Raten blieb erfolglos, bis der Mann gen Himmel zeigte. Was zum...? Moment mal. Sie kramte ihre alten Französischkenntnisse hervor, zumindest die Grundsätze brauchte sie für ihren Job, wenn sie wirklich erfolgreich sein wollte, und strengte sich an. Himmel. Das hieß doch … „Ciel? Ist das dein Name?“ Er nickte. Endlich! Sie hatte den Namen, zumindest den ersten Teil davon. „Schlimm, wenn ich nicht den zweiten errate?“ Ciel schüttelte seinen Kopf und lächelte erneut. „Gut.“ Dann musste sie sich wenigsten nicht auch noch darum Gedanken machen. Immerhin war sie in irgendeinem Wald, irgendwo im nirgendwo und hatte keine Ahnung wieso. Sie war abenteuerlustig - keine Frage - aber, dass das alles doch komisch war, konnte sie nicht abstreiten. Vor allem eine Frage beschäftigte sie. „Weißt du, wie wir hier her gekommen sind?“ Ciel schüttelte seinen Kopf. „Oh.“ Das hätte sie sich auch Denken können. Und selbst wenn er es gewusst hätte, wie hätte er es hier sagen können? Sie lief einige Schritte umher. Die Bäume hier waren echt cool, wenn auch komisch. Noch nie hatte sie solche gesehen, doch kamen sie ihr seltsam vertraut vor. An irgendwas erinnerte sie das alles hier. Aber sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, an was. Sie sah zu Ciel, der ebenfalls die Umgebung inspizierte. Die Stirn gerunzelt, die Augen leicht zusammen gekniffen und eine Hand auf einen der Bäume, als ob er nicht glauben könnte, dass das alles hier real wäre. Sunny ging es nicht anders, es war schwer zu glauben, dass das hier kein Traum war, oder irgendeine abgefahrene Halluzination. Vielleicht hatten sie ihr beim Shooting irgendetwas ins Trinken getan. Gleich darauf tat sie diese Idee als Blödsinn ab, das ergab keinen Sinn. Ein Model, das high war, brachte keinem etwas. Sie musste Einsatz zeigen und auf Anweisungen hören. Plötzlich sah sie etwas unter einem Busch glänzen. Neugierig ging sie auf die Knie und schob die Blätter und Äste beiseite. „Was zum?“ Das konnte nicht wahr sein! Ein Shuriken! Wie zum Teufel kam das hier her? Ciel tauchte neben ihr auf und schaute genauso ungläubig, wie es Sunny tat. Vorsichtig streckte sie die Hand nach dem Wurfstern aus. Er war echt. Eindeutig aus Metall und kalt. „Autsch. Verdammt!“ Sunny fluchte und steckte einen Finger in den Mund. Sie hatte sich an den einer der Kanten geschnitten. Keiner der beiden, weder Sunny noch Ciel, merkten, wie sich ihnen zwei Personen, die die ganze Situation noch verrückter machen sollten, näherten. * Walhall (auch Valhall oder Walhalla) kommt auf der nordischen Mythologie. Es ist der Ort, dem in der Schlacht gefallene und tapfere Krieger nach ihrem Tod kommen. Tagsüber wird dort gekämpft, abends getrunken und gefeiert. Ein bisschen ist das wie ein coolerer Himmel, zumindest wenn man einigen Metalbands und deren Hörer glaubt. ;-) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)