Last Kiss von Wolfram (KagaKuro) ================================================================================ Kuroko war schlagartig schlecht geworden, als er Kagamis Stimme durch das Telefon diese Worte sagen hörte. Nein, so war es alles nicht geplant gewesen. Vor fünf Tagen hatte er ihn zum Flughafen gebracht, damit der Größere seinen Flug nach Los Angeles bekam. Es waren Sommerferien, er hatte seine Eltern besuchen wollen. Kuroko hatte gewusst, dass er ihn vermissen würde, ihn, sein Lachen, seine laute Stimme, seine Wärme. Aber nach zwei Wochen sollte er schließlich wiederkommen. Noch am Flughafen hatte er mit ihm geschimpft, als Kagami ihn einfach gepackt und ihn geküsst hatte, denn Tetsuya meinte, er solle dies nicht vor allen Leuten tun. Als es Dank Kurokos geringer Präsenz sowieso niemand bemerkt hatte, hatten beide noch lachen müssen. Bis Kagamis Flieger abgehoben hatte, hatte Kuroko gewartet, ehe er gegangen war, auch wenn er zugegeben am Liebsten gefolgt wäre. Sie hatten irgendwie zusammengefunden, hatten sich gegenseitig in ihren Bann gezogen. „Schatten und Licht gehören zusammen“, hatte Izuki sie noch bestätigt, ehe er vergebens nach einem weiteren Wortwitz damit gesucht hatte. Seit bestimmt zehn Minuten schwieg er nun den Hörer an. Nicht etwa, weil er nichts sagen wollte, er konnte nicht. Er konnte nicht reden. Er konnte nicht einmal weinen. Ihm war einfach nur schlecht. Vorsichtig fragte Taiga am anderen Ende des Hörers immer wieder nach, ob alles in Ordnung bei ihm sei, ob es ihm gut ginge. Ohne es zu merken hatte der Kleinere für eine Zeit sogar aufgehört zu atmen, es drang nicht bis zu seinem Verstand durch. Irgendwann hörte er ein Tuten durch den Hörer; der andere musste wohl gedacht haben, die Verbindung wäre unterbrochen worden. Zum ersten Mal schaffte er es, wieder nach Luft zu schnappen, was in einem erstickten Geräusch endete. Mit welcher Überzeugung und Motivation er es ihm gesagt hatte. Den Worten, dass es nur seine Eltern so wollten, konnte er nicht wirklich Glauben schenken. Natürlich, Kagami war manchmal ein Trampel und schaffte es gut, in Fettnäpfchen zu treten – aber das hätte er nicht gedacht. Den Hörer, an dessen anderem Ende niemand mehr war, immer noch in der Hand halten sank er im Hausflur an der Wand zusammen, vergrub sein Gesicht an seinen Knien. Er weinte nicht einmal wirklich. Zuerst versuchte er, es zu realisieren. Kagami… würde in Los Angeles bleiben. Er würde dort die Schule zu Ende machen. Dort leben. Nicht… wieder zurückkommen nach Japan. Nur langsam sickerten einzelne Informationen durch, fraßen sich in seinen Verstand, der sich immer noch wehrte und behauptete, es sei nicht real. Es konnte nicht real sein. Viel zu sehr hatte er sich an ihn gewöhnt. Er war ein Teil von ihm geworden. Alles an ihm erinnerte sich noch an ihn, es war doch erst fünf Tage her. Wie sollte seine Wärme, die er noch am ganzen Körper spürte, sein strahlendes Grinsen, was er mit jeder Wimper noch vor seinem inneren Auge sah, seine kräftige Stimme, die er noch eben gehört hatte – wie sollte all dies auf einmal weg sein? Er war die Person, die ihm wieder Mut gegeben hatte. Er hatte ihn dazu gebracht, Basketball wieder genießen zu können, es fühlte sich sogar noch besser an, als damals, wo er begonnen hatte. Er zog seine Beine näher an seinen Körper, was sich als Fehler erwies; er trug noch das T-Shirt des Größeren, in dem er geschlafen hatte, wodurch ihm sein Geruch in die Nase stieg und seine Tränen zum Ausbruch brachte. Etwas drückte stark auf seine Brust, ließ ihn schreien wollen, aber er tat es nicht. Erst als er hörte, dass seine Eltern unten die Haustür aufschlossen, legte er den Hörer auf und verzog sich in sein Zimmer und fiel auf sein Bett. Sein Gesicht vergrub er in seinem Kissen, fühlte schnell den feuchten Stoff in seinem Gesicht. Er war nicht einmal fähig gewesen, eine trockene, emotionslose Antwort zu geben, wie er es sonst zu pflegen tat. Er tat den nächsten Fehler, als er zum Aufatmen aufsah und die Fotos an der Wand bemerkte. Ein Gruppenbild der Seirin Basketball-Mannschaft, ein altes Bild aus der Teikou und zwei oder drei einzelne, nur mit ihm und Kagami-kun. Der Versuch, sich zu beruhigen, endete in einem Desaster, als er ein weiteres Mal in stumme Tränen ausbrach. Der Aufprall seiner Faust wurde durch die Kissen auf dem Bett gedämmt, er rollte sich auf den Rücken, um besser atmen und einen klareren Kopf bekommen zu können. Er dachte nicht mehr. Er wollte auch gar nicht mehr denken für den Moment. Er wollte aufwachen aus diesem grausamen Traum. Aber dazu musste er erst wieder einschlafen… Die Tage vergingen, Kuroko blieb zu Hause, hatte keine Motivation, woanders hinzugehen. Es war leer in ihm. Er hatte nachgedacht, fand nicht einmal mehr Tränen, weil er keine mehr hatte. Wozu auch. Es schien beschlossene Sache gewesen zu sein. Er war nun allein. Ihm blieb nur noch die Erinnerung an den anderen, denn, so frei, wie er es erzählt hatte, würde wohl nur sein Vater nach Japan kommen, um seine Sachen zu holen. In seinem Kopf spielten sich all diese kleinen Momente wieder, die das Zusammensein mit ihm so glücklich gemacht hatten. Ob es nun all die Spiele war, die sie sich gegenseitig motiviert hatten, die kleinen, aber liebevollen Streitereien zwischen ihnen oder die zweisamen Momente, die sie geteilt hatten. Er spürte nach Kagamis Finger, die sie sich immer leicht um die von ihm geschlungen hatten, schüchtern und zurückhaltend, was sonst so gar nicht die Art des Rothaarigen gewesen war. Kuroko glaubte, sich an jedes einzelne „Ich liebe dich“, erinnern zu können, an jenes erste Gestotterte, weil der Große so nervös gewesen war, so wie jedes darauf folgende, freudige, selbstsichere und die leisen, geflüsterten, wenn Taiga sich in zutraulichen Momenten als zahm erwiesen hatte. Genauso erinnerte er sich an ihren allerersten Kuss, erinnerte sich, wie der Regen auf den Bürgersteig geprasselt war, wie der leichte, warme Regen, keinen von ihnen gestört hatte, weil sie nur Augen für den anderen gehabt hatten. Der erste Kuss war zaghaft gewesen, unsicher. Manchmal hatte Kagami ihn auch geküsst, wenn er gerade dabei gewesen war, etwas zu sagen, weil der Größere es nicht ausgehalten hatte, so lange zu warten, bis Kuroko fertig war. Jeder Kuss hatte eine gewisse Unschuld mit sich getragen, so auch der letzte. Schon wieder schnürte sich Tetsuyas Herz zusammen, als er dies dachte. „Der Letzte“. Er hatte gar nicht daran gedacht, dass es bei ihnen soetwas geben würde. Es war nicht so, als hätten sie groß ihre Zukunft geplant – aber an ein Ende von Ihnen hatte wohl keiner gedacht. Zwar hatte er sich einreden wollen, dass diese Distanz kein Aus bedeutete – aber er musste ehrlich zu sich selbst sein. Kagami würde ihn dort vergessen. Es war lachhaft, zu glauben, dass man gerade an ihn denken würde. Ihn, den man schon bei körperlicher Anwesenheit übersah. Wie konnte man so jemanden auch vermissen? Es war wohl nicht möglich. Bisher hatte er sich immer mit seiner geringen Präsenz abgefunden, aber wohl zum ersten Mal hasste er sich dafür. Kagami würde sich nie an ihn erinnern, wie er es bei ihm tat. An sein schlafendes Gesicht, seinen ruhigen Atem, seinen Herzschlag, wie er ihn leise gefühlt hatte. Es war schlichtweg unmöglich. Er war verdammt dazu, vergessen zu werden. Erst als seine Mutter Kuroko inständig bat, doch endlich ein Telefonat anzunehmen, begab er sich langsam zum Telefon. Seine Stimme war monotoner als gewohnt. „Was ist los, Tetsu“, klang eine tiefere Stimme aus dem Hörer. Es verwirrte den Kleinen, gerade Aomine zu hören – was hatte er davon mitbekommen? „Kise sagt, dir geht es nicht gut“, erklärte der andere von selbst. Woher Kise diese Information hatte, war fraglich, aber unermüdlich, wie der Blonde war, hatte er die ganzen Tage schon angerufen. Wahrscheinlich hatte sich seine Mutter Sorgen gemacht und es dem anderen mitgeteilt, denn seinen Eltern hatte er das Problem nur im Gröbsten geschildert, denn für sie würde sich natürlich nicht erklären, wie eine ganze Welt für jemanden zusammenbrechen konnte, wenn „nur“ der beste Freund auswanderte. Tetsuya fand schwerlich Worte, schaffte es gerade, Aomine alles zu erklären, ohne dass seine Gefühle ihn wieder überwältigten. Das Gespräch dauerte nicht lange, der andere klang zwar ernst, aber dennoch gelangweilte wie immer. Wahrscheinlich hatte ihn Kise gedrängt, bei hm anzurufen. Tief atmete Kuroko durch. Es konnte so doch nicht weitergehen. Er hatte seitdem nichts mehr von Kagami gehört. Er wusste nicht, ob er es nur nicht geschafft hatte, ihn anzurufen, oder ob er es nicht gewollt hatte. Lange starrte er das Telefon an, las unendliche Male die unsaubere Handschrift des anderen, welcher ihm seine Telefonnummer dort aufgeschrieben hatte. Mehr von selbst als darüber nachzudenken wählten seine Finger unsicher die Nummer. Erst als er das Freizeichen vernahm, kehrten seine Gedanken langsam wieder zurück. Was sollte er überhaupt sagen? Konnte er überhaupt etwas sagen? Wie würde Kagami reagieren? Doch bevor er sich überlegen konnte, doch lieber wieder aufzulegen, hörte er am anderen Ende schon eine ärgerliche Stimme. „Ich habe es verstanden, in Ordnung?! Aomine, ich habe dir gerade schon gesagt, dass ich ihn nicht erreicht habe! Als ob ich ihn nicht vermisse! Aber wag es ja nicht, noch einmal Sturm zu klingeln! Hast du eine Ahnung, wie spät es hier ist?! Es ist mitten in der Nacht! Noch eine Standpauke um diese Uhrzeit brauche ich nicht, von dir erstrecht nicht!“ Tetsuyas Herz blieb fast stehen. Wieder blieb ihm die Luft weg, aber es war ein positives Gefühl. „…Kagami-kun“, brachte er schließlich heraus. Dann herrschte Stille an beiden Enden. „…ich wollte nicht stören“, ergriff Kuroko als Erster wieder das Wort. Sein Herz schlug wieder, schneller. Wieder Stille. Worte schienen nötig und gleichzeitig so überflüssig. „Kuroko… ich wollte dich letztens nicht so überrumpeln“, brauchte Kagami schließlich auch wieder ein Wort heraus. „Sorry“, schob er noch schnell hinterher. Tetsuyas zweite Hand legte sich um den Hörer, denn eine alleine zitterte zu sehr und drohte, den Hörer fallen zu lassen. „Schon gut. Ich hoffe, es ist schön bei dir dort“, festigte sich seine Stimme etwas. Für die paar Momente waren die Gedanken, dass er den andren womöglich nicht wiedersehen würde, wie weggeblasen. Seine Stimme machte es wieder gut, ebenso wie die Worte, die er fälschlicher Weise mitgehört hatte. „Hmm“, antwortete er knapp. Bevor die nächste Zeit der Stille einsetzte, erhob er abermals das Wort. „N-nicht so schön wie b-bei…“ Seine Stimme wurde wieder leiser. Sonderlich gut war er nie in solchen Worten gewesen, aber es brachte Kuroko leicht zum Lächeln. Er vergaß ganz seine Fragen, ob er nicht vielleicht doch zurückkam. Die Stimme des anderen ließ ihn alles vergesse, fühlte sich nur wie Balsam auf seiner Seele an. Sie Sprachen nicht lange. Alles Weitere war nur der typische Small-Talk, in dem beide nicht sonderlich bewandert waren. Dennoch legten sie beide mit einem Lächeln auf – dass Kagami gelächelt hatte, hörte Kuroko seiner Stimme an. Er dachte nicht über andere Umstände nach, er hatte durch ihn nun wieder etwas Kraft getankt, selbst wenn es nur für die nächsten Tage war. Eigentlich war er nicht sehr motiviert, zurzeit Basketball zu spielen, aber Kise hatte ihn so lange gedrängt, bis er zugestimmt hatte. Auch Aomine war mit von der Partie, selbst wenn er nur am Spielfeldrand des Platzes saß und gelangweilt in die Gegend starrte und ab und an seinem Handy rumspielte. Kuroko konnte sich denken, weshalb Kise so darauf bestanden hatte. Heute hätte Taiga aus L. A. wiederkommen sollen und sicherlich wollte er ihn ablenken. Gut klappen war etwas anderes, aber Tetsuya erkannte die Mühe dafür an, war trotzdem dankbar. Schnell war er aus der Puste, aber Kise drängte immer wieder, weiterzuspielen, ihm doch nochmal zu zeigen, wie genau der das mit dem Passen machte. Um sich selbst nicht zu sehr im Weg zu stehen raffte er sich immer wieder auf, spielte weiter, auch wenn er ohnehin nicht bei der Sache war. Sein Kopf war leer, als er Kise noch einmal einen Ball zupassen wollte und fühlte, wie dieser dabei war, ihm aus der Hand zu gleiten. „Kann ich mitmachen?“ Der Ball entglitt bei dieser Stimme vollends seinen Händen, schlug auf den Boden auf, als er sich schlagartig umdrehte. Selten sah man in Kurokos Gesicht eine Regung, doch nun sah man genau, wie wenig er mit ihm gerechnet hatte. Der Schatten des Großen fiel über den von Kuroko, der ebenso von der Sonne langezogen wurde. Diese paar Sekunden schienen ewig, bis er das schönste, verlegene Lächeln, was es für ihn gab, realisierte, realisierte, wer dort wahrhaftig vor ihm stand. Wann wachte er und wann träumte er nun? Er wusste es nicht mehr. Seine Lippen formten den Namen „Kagami-kun“, als sie im nächsten Moment schon in eine stürmische Umarmung verfallen waren. Selbst Kuroko, dem man eine solche Leidenschaft gar nicht zutraute, hielt ihn so fest er konnte, hatte Angst, dass er verschwinden würde, sobald er ihn loslies. Er bekam noch mit, wie Kise vor Rührung, wie nicht anders von ihm zu erwarten, in Tränen ausbrach und Aomine verächtlich schnaubte, auch wenn Ryouta später beteuerte, dass er auch bei ihm Tränen gesehen hätte. Danach nahm Kuroko nichts mehr wahr, außer der vertrauten Wärme des anderen, die er mit jeder Faser seines Körpers spürte. Das letzte, woran er sich noch erinnerte, waren die sanften Lippen des anderen, die die seinen berührten und wie seine sich nach diesen verzehrten. Und dieses Mal war er sich von ganzem Herzen sicher, dass es keinen solchen „letzten Kuss“ geben würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)