Federspiel von Miuu ================================================================================ Kapitel 1: Der Anfang --------------------- Er sah nicht auf, als sich am Himmel dichte schwarze Wolken zu einer immer größer werdenden Masse zusammenballten. Sicher würde es bald ein Gewitter geben, doch das sollte ihn nicht weiter stören. Viele Menschen fürchteten sich davor, doch er liebte es, wenn das tiefe Donnergrollen ertönte, wenn hellgrelle Blitze über den Himmel zuckten. Dies waren die Augenblicke, in denen er vergessen konnte, was in den letzten Jahren geschehen war, Momente, in denen er losgelöst von alldem war. Ein rauer Wind begann zu wehen, und es würde wohl wirklich nicht mehr lange dauern, bis die ersten Regengüsse niedergingen. Mit einer gewissen Selbstzufriedenheit beobachtete der sechzehnjährige Junge, wie die Menschen nach und nach die Straßen verließen und sich in ihre Häuser flüchteten. Er lächelte nur vergnügt. Ihn würde nichts hier weg holen. Sicher, es war nicht ganz ungefährlich, aber andererseits, was war in dieser Welt schon frei von Gefahr? Und was hatte er zu verlieren? Nachdem sie sich einer nach dem anderen alle aus den Augen verloren hatten, war er, abgesehen von seinen Pokémon natürlich, immer allein gewesen. Er hatte nichts zu verlieren. Die ersten waren Tracey und Rocko gewesen, die irgendwann ihre eigenen Wege gegangen waren. Danach war er vielleicht noch ein Jahr mit Misty zusammen geblieben, bis auch sie ihn eines Tages ohne weitere Erklärungen verlassen hatte. Nicht einmal Gary war mehr da, war irgendwann spurlos verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Eine Zeit lang hatte er sie noch vermisst, auch Gary, obwohl dieser jahrelang sein Rivale gewesen war. Doch mit der Zeit war seine Trauer geringer geworden, bis sie schließlich ganz verschwunden war. Sie hatten sich nie wieder gemeldet, es lag ihnen wohl nichts an ihm. „Pi!“ Das Elektropokémon, das bis jetzt ruhig neben ihm gesessen hatte, zuckte plötzlich mit den Ohren und richtete sich blitzschnell auf, blickte zum Himmel hinauf. „Was ist, Pikachu? Es ist nur ein Gewitter, nichts weiter.“ Doch auch er sah nun auf, blickte in das dichte Wolkenmeer, und die Farbe des Himmels, die Spannung, die in der Luft lag, der Wind, der sich irgendwie anders anfühlte als sonst, all das ließ ihn mit einem Mal daran zweifeln, dass es sich nur um ein gewöhnliches Gewitter handelte. „Du hast recht.“ Sein Blick verfinsterte sich. „Irgendetwas stimmt nicht. Ganz und gar nicht.“ Wie zur Bestätigung seiner Worte konnte er am Himmel plötzlich die Gestalt eines Wesens ausmachen. Eines riesigen Wesens. „Was zum…“ Doch weiter kam er nicht, denn im nächsten Augenblick zuckte ein gigantischer Blitz vom Himmel. Kein gewöhnlicher Blitz, und Ash zweifelte keine Sekunde daran, dass es kein bevorstehendes Gewitter war, was ihn hervorgerufen hatte. Aber was um Himmels Willen war es dann? Was konnte eine dermaßen hohe Elektrizität erzeugen? Die Antwort darauf ließ nicht lange auf sich warten, erschien plötzlich mit mächtigen Schwingen aus den Wolken, spitz der lange Schnabel, der ganze Körper umgeben von einer unvorstellbaren Energie, die sich immer wieder in kleinen, zuckenden Blitzen entlud. „Zapdos?!“ Ungläubig starrte er auf das gigantische Vogelpokémon. Was machte Zapdos hier, hier mitten in Alabastia, mitten in der Stadt? Er wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen, als ein Blitz direkt neben ihm in einen Baum schlug. Verwundert blickte er auf und sah in das zornige Antlitz des mächtigen Elektropokémons. Dann folgte ein weiterer Angriff, der Ash wiederum nur um Haaresbreite verfehlte. „Es… greift mit Absicht an?“ Auch Ash wurde nun wütend, denn selbst wenn ihn für gewöhnlich sämtliche Geschehnisse unberührt ließen, so würde er jetzt nicht einfach zusehen, wie der legendäre Vogel seine Heimatstadt zerstörte – seine Stadt, in der er vor langer Zeit einmal glücklich gewesen war. Hastig tastete er nach einem Pokéball. Er hatte sie schon lange nicht mehr zum Kämpfen benutzt, seine Pokémon nur von Zeit zu Zeit aus ihren Bällen gelassen, damit sie nicht immer darin eingesperrt waren. Einen winzigen Augenblick dachte er zurück an die Zeit, als er das zweite Mal bei der Pokémonliga angetreten war, dann jedoch einen Tag vor dem alles entscheidenden Finale aufgehört hatte zu kämpfen, von einem Augenblick auf den nächsten, als ihm klar geworden war, dass es ihm nichts mehr bedeutete. Von da an hatte er nie wieder wirklich gekämpft. Nie wieder, bis heute. Er verschwendete seine Zeit nicht mit weiteren Überlegungen, griff behände nach einem der Pokébälle und schleuderte ihn vor sich auf den Boden. Im Gegensatz zu früher, als er noch sämtliche seiner Aktionen mit lautem Rufen begleiten musste, stand er nun still da und sah schweigend auf den gelb-schwarzen Ball, der sich in diesem Augenblick öffnete und seinen Inhalt Preis gab. „Rizeros!“ Ash schwieg, fixierte nur mit finsterem Blick das Vogelpokémon, das noch immer seine Kreise am Himmel zog und von Zeit zu Zeit einen Blitz zur Erde schickte. „Steinschlag.“ Die Stimme des Jungen klang kühl, nicht mehr so lebhaft wie einst, wenn er mit seinen Pokémon gesprochen hatte. Dennoch gehorchte das Rizeros, ohne auch nur einen einzigen Moment zu zögern und führte die mächtige Attacke gegen das fliegende Pokémon aus. Zapdos wurde zwar getroffen, doch galt es nicht umsonst als das stärkste Elektropokémon überhaupt. Es taumelte nur kurz benommen, stand dann aber fest und stark wie zuvor am Himmel und fixierte den Jungen ausgiebig. Das war ungewöhnlich, denn selbst wenn die Pokémon in einem Kampf wussten, dass die Befehle für die Angriffe von den Trainern ausgingen, griffen sie niemals sie an, sondern konzentrierten sich auf ihre Pokémon-Gegner. Aber ihn überkam das Gefühl, dass Zapdos es ausschließlich auf ihn abgesehen hatte. Mehr Zeit zum Nachdenken blieb ihm jedoch nicht, als ein erneutes Blitzgewitter von Zapdos auf ihn zu stürzte – auf ihn, nicht auf sein Pokémon. Ash spielte mit dem Gedanken, ein weiteres Pokémon in den Kampf zu schicken, hatte bereits eine Hand an seinem Gürtel, als er in der Ferne am Horizont eine weitere große Gestalt ausmachen konnte. 'Doch nicht etwa noch eins von denen. Na wartet, euch mach ich fertig.' Angestrengt versuchte er nun, das zweite Pokémon zu erkennen, aber auch Zapdos nicht aus den Augen zu lassen, denn der gewaltige Donnervogel attackierte ihn weiterhin und Rizeros' Attacken wirkten beinahe hilflos gegen das legendäre Pokémon. Wieder wandte Ash seinen Blick kurz von Zapdos ab, um auf das Pokémon in der Ferne zu schauen. Inzwischen konnte er sehen, dass sich um den zweiten legendären Vogel, den Vogel des Eises, handelte. Arktos. „Na schön.“ Hastig griff er nun nach einem weiteren Pokéball und warf ihn auf den Boden. Auch diesmal hatte er seine Entscheidung mit Bedacht getroffen, auch wenn seine abgebrühte Schnelligkeit nicht darauf hätte schließen lassen. „Tornupto!“ Arktos war noch nicht so nah heran gekommen wie Zapdos, doch die Konturen des blauen Vogels konnte Ash bereits erkennen – genug, um sofort mit dem vernichtenden Angriff zu beginnen. „Feuerstu-“ Doch er brach jäh ab, als er plötzlich die Gestalt eines Menschen auf dem zweiten Pokémon ausmachen konnte. „Warte, Tornupto.“ Das Pokémon gehorchte widerstandslos und stoppte die Attacke sofort. Ash kniff die Augen zusammen, bemühte sich angestrengt, die Person auf dem Eisvogel genauer erkennen zu können, und vergaß beinahe den zornigen Donnervogel, der noch immer über ihm mit wütendem Geschrei umherflog. Schnell wandte er sich wieder von der sich nähernden Gestalt auf dem Vogel ab und wich einigen erneuten Blitzen seines gefiederten Feindes aus. Was zum Teufel hatte er Zapdos getan, dass es dermaßen auf ihn losging? „Ash!“ Der Junge wandte sich erschrocken herum. Das Rufen war von der Person auf Arktos gekommen, und jetzt endlich konnte er zwischen ein paar Ausweichmanövern einen genauren Blick auf sie werfen. Es war ein Mädchen, doch wirklich erkennen konnte er es nicht, denn die Kapuze eines dunklen Mantels verbarg seine Gestalt und seine Gesichtszüge. Sie lenkte den großen Vogel ohne Schwierigkeit, obwohl dieser sich nur einmal hätte aufbäumen müssen, um sie abzuwerfen. Erst, als eine starke Windböe ihr die Kapuze vom Kopf riss, konnte er ihr Gesicht sehen, jung und hübsch, umrandet von langen, roten Haaren, aber auch versehen mit Sorgenfalten.  „Aber… aber das kann unmöglich sein, sie…“ Er traute seinen Augen nicht und seine Pokémon warteten vergebens auf einen neuen Befehl. „Ash, du musst Zapdos einfangen! Sofort!“ „A-aber, Misty, was machst du überhaupt hier, und die Vögel – was soll das alles?“ „Ash, ich erklär dir alles später, aber jetzt fang Zapdos ein! Wenn du es nicht einfängst, wird es dich töten!“ „Mich töten?!“ „Ash, stell' keine Fragen, fang es!“ Es lag so viel Besorgnis, vielleicht sogar Angst in ihrer Stimme, dass Ash nicht länger zögerte und nun sowohl Rizeros als auch Tornupto Zapdos angreifen ließ. „Steinhagel! Feuersturm!“ Sie wirkte einen Augenblick überrascht darüber, wie kühl seine Angriffe klangen, nicht mehr so voller Eifer wie früher. Doch dann wandte sie sich wieder dem Kampf zu. Es schien ihr wirklich viel daran zu liegen, dass er Zapdos fing – aber warum? Warum in aller Welt wollte Zapdos ihn töten? Warum kam sie nach all den Jahren so plötzlich zurück in sein Leben? „Ash!“ Mist, er kämpfte wirklich unkonzentriert, hatte nicht bemerkt, dass Tornupto fast am Ende seiner Kräfte war. Nun gut, dann würde er es halt so versuchen müssen. Schnell, aber dennoch mit einer beinahe furchteinflößenden Ruhe griff er nach einem leeren Pokéball und warf ihn mit voller Wucht auf den inzwischen immerhin etwas geschwächten Vogel. Das gigantische Pokémon wurde hinein gesogen, doch Ash zweifelte keinen Augenblick daran, dass es sich sofort wieder befreien würde. Da. Ein Wort. Ein Wort war durch seine Gedanken gehuscht, ein Wort, ein Gefühl, irgendetwas. „Ellenki!“ Es war über seine Lippen gekommen, noch bevor es ihm bewusst gewesen war. Im selben Moment, in dem er es ausgesprochen hatte, wurde der geworfene Ball plötzlich von einem gleißenden Licht umgeben; kleine, gefährlich zuckende Blitze formten eine Art Netz um ihn und machten es Zapdos anscheinend unmöglich, sich zu befreien, denn nach einem kurzen Augenblick blieb der Ball regungslos liegen. Das Licht verschwand, doch im selben Moment wurde der Ball plötzlich von einem intensiven, gelben Glühen erfasst. Ash versuchte, sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen, doch als auch das Glühen erlosch, entlockte ihm der Anblick des Pokéballs doch einen verwirrten Gesichtsausdruck; er trug nicht mehr die Farben von zuvor, sondern war nun strahlend gelb und auf seiner Vorderseite reihten sich ein paar Linien in einem blitzähnlichen Muster aneinander. Einen Moment blickte Ash noch verwundert auf den Ball, dann wurde seine Miene so kühl und ausdruckslos wie zuvor. Er registrierte nicht, dass Misty mit Arktos inzwischen neben ihm gelandet, von ihrem Pokémon herabgestiegen war und nun auf ihn zulief. Erst, als sie ihre Arme um ihn schlang und ihn fest an sich drückte, bemerkte er sie. Nur mühevoll widerstand er dem Bedürfnis, sie ebenfalls festzuhalten, schob sie stattdessen zur Seite, um den Pokéball mit dem sich darin befindenden Zapdos einzustecken. „Vielleicht kannst du mir mal erklären, was hier los ist, und warum ihr mich stören musstest.“ Seine Stimme klang eiskalt, und Misty fragte sich einen Moment, ob das wirklich noch der Ash war, den sie vor einigen Jahren gekannt hatte. Allerdings war inzwischen viel Zeit vergangen, und es wäre wohl naiv gewesen, zu denken, dass er sich nicht verändert hatte. Sie nickte schweigend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)