Federspiel von Miuu ================================================================================ Kapitel 2: Die Legende der Federn --------------------------------- Im Grunde war Ash froh, dass seine Mutter scheinbar nicht mitbekommen hatte, was für ein Spektakel sich da gerade wirklich in ihrer Heimatstadt ereignet hatte. Für sie waren es nur die ersten Anzeichen eines Gewitters gewesen und er ließ sie in dem Glauben. Sie hatte Misty verwundert, aber nicht ohne ihre typische Herzlichkeit begrüßt, hatte das Mädchen umarmt und sie gefragt, wie es ihr in all den Jahren denn so ergangen sei. Er hatte nur mit einem halben Ohr hingehört, während Misty alle Fragen freundlich, aber irgendwie inhaltslos beantwortet hatte. Seiner Mutter schienen die Antworten zu genügen, aber ihm genügte es nicht, und schließlich widerte ihn diese gespielte Sorglosigkeit so sehr an, dass er das Gespräch kurzerhand in sein Zimmer verlegte, auch, um Misty endlich unter vier Augen fragen zu können, was es mit dem ganzen Theater auf sich hatte. Seiner Erwartung entsprechend erstarb das freundliche Lächeln, das sie während der Unterhaltung mit seiner Mutter aufgesetzt hatte, augenblicklich, als er die Tür hinter ihnen schloss. „Kommst du dir dabei nicht irgendwie schäbig vor? Tauchst hier plötzlich auf, erzählst mir, dass Zapdos mich töten will, und dann dieses freundliche Getue bei meiner Mutter.“ „Warum sollte ich auch nicht freundlich zu deiner Mutter sein? Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu tun, ich will sie da nicht mit reinziehen.“ „Aber vielleicht könntest du mir endlich mal sagen, was hier vor sich geht. Was wollte Zapdos? Was soll das hier?“ Er hielt ihr den gelben Pokéball entgegen. „Warum wird Alabastia, oder viel mehr ich von diesem Pokémon attackiert, warum sollte ich es fangen? Warum bist du plötzlich wieder hier und“, seine Stimme wurde ruhiger und mit einem Mal fehlte ihr der Elan, „warum bist du überhaupt jemals abgehauen?“ Sie hatte während seines Redeschwalls bereits zu einer Antwort angesetzt, hatte ihm sagen wollen, dass sie ihm ja alles erklären würde und er sich gefälligst gedulden sollte. Aber seine letzten Worte hatten sie schweigen lassen. „Ich musste halt einfach fort.“ Sie wusste, dass ihn das nicht zufrieden stellen würde, aber er wusste, sah es an ihrer Haltung, hörte es an der Art, wie sie mit ihm sprach, dass sie ihm keine bessere Antwort geben würde. Natürlich nicht, sie hatte nie etwas gesagt, warum sollte sie jetzt damit anfangen. „Dann erklär mir wenigstens, was hier los ist. Warum hat Zapdos mich angegriffen? Und woher wusstest du das?“ Abermals blieb sie stumm, und er spürte den Ärger in sich aufsteigen, wollte sie anschreien, warum sie ihm nicht endlich die Antworten gab, auf die er wartete, aber da ergriff sie schließlich doch das Wort. „Weil du auserwählt bist.“ „Auserwählt? Wozu?“ „Um eine Feder zu werden und das Gleichgewicht der Welt wieder herzustellen. So lautet zumindest die Legende der Federn.“ „Was bitte ist die Legende der Federn?“ „Das ist kompliziert… Und so richtig verstehe ich das auch noch nicht. Nur, dass es wohl drei Auserwählte gibt und dass zu jedem dieser drei einer der legendären Vögel gehört. Sie suchen anscheinend diese Auserwählten und testen sie, wollen sehen, ob sie es würdig sind, ihr Schicksal anzutreten. „Und was, wenn nicht? Dann werden sie getötet?“ Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und wich Ashs Blick aus, bevor es weitersprach. „Ich weiß es nicht.“ „Aber du hast vorhin gesagt –“ „Ich hab es gesagt, damit du dir über den Ernst der Lage bewusst wirst und Zapdos in jedem Fall besiegst. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich nicht –“ An dieser Stelle unterbrach er sie. „Ich wäre mit Zapdos gut alleine fertig geworden! Du hast nicht viel dazu beigetragen, dass ich es gefangen hab, außer mir vorzulügen, es würde mich umbringen wollen!“ Für einen Augenblick dachte sie nach, nickte dann aber. „Ja, du hast recht. Du hättest es allein geschafft. Du hast es schließlich auch allein geschafft, Ellenki zu benutzen.“ „Ellenki? Ich versteh nur noch Bahnhof…“ Er konnte sich daran erinnern, dass ihm vorhin, beim Kampf gegen Zapdos, dieses merkwürdige Wort über die Lippen gekommen war. Aber er wusste nach wie vor nicht, was es damit auf sich hatte, wie es ihm plötzlich in den Sinn gekommen war und was dieses Ellenki überhaupt war. „Ellenki ist…“ Aber sie verstummte abermals, schien nach den richtigen Worten zu suchen, schüttelte dann aber wie zu sich selbst gewandt den Kopf und begann stattdessen, in ihrer Tasche nach etwas zu suchen. Nur einen Moment später holte sie ein kleines Notizbuch daraus hervor, blätterte kurz darin und hielt es Ash dann aufgeschlagen entgegen. „Hier. Es ist einfacher, du liest es selbst.“ Schweigend nahm er das Buch an sich und ließ seinen Blick über die Seiten gleiten, wo sich in sauberer Handschrift Buchstabe an Buchstabe reihte.   Es gibt da drei Mächte, die verkörpern die Elemente und halten die Welt im Gleichgewicht. Ellenki, die Kraft des Windes und der Elektrizität; Wazu, die Kraft des Wassers und des Eises und Fii, die Kraft des Feuers und der Erde. Sie sind so alt wie die Zeit und werden von den Pokémon verkörpert, die auch alt wie die Zeit sind, Zapdos, Arktos und Lavados. Und wann immer das Gleichgewicht der Welt auseinander zu geraten droht, erwachen drei auserwählte Menschen, die drei Federn. In ihnen liegt eine starke Kraft verborgen, die es ihnen erlaubt, die Elementarmächte zu bändigen und sich ihrer zu bedienen. Die drei Vögel testen die drei Auserwählten, und wenn sie sich als würdig erwiesen haben, dann verbünden sie sich mit ihnen und bringen das Gleichgewicht der Welt wieder in Ordnung. Und wer einmal eine Feder war, der bleibt es bis zu seinem Tod und bleibt bis zu seinem Tod mit seinem Vogel verbunden. Und wenn der Auserwählte stirbt, kehrt der Vogel zurück und wartet, bis er eine neue Feder erwecken muss.   Danach folgten nur noch einige einzelne Wortgruppen und Wörter, die größtenteils jedes Zusammenhangs beraubt waren. Nachdenklich sah Ash auf. „Die Kraft des Windes und der Elektrizität also. Ich nehme an, du hast die des Wassers und des Eises?“ Misty nickte. „Ja, Wazu.“ „War nicht schwer zu erraten. Das Wasser war ja schon immer dein Element, und mit Arktos an deiner Seite…“ Sie schwieg. Er schwieg ebenfalls, wandte den Blick ab, seufzte schließlich, fasste sich an die Stirn, fuhr sich unsicher durch die Haare und sah sie dann wieder an. „Und du willst mir also sagen, dass wir auserwählt sind, um... die Welt zu retten?“ „Ich würde sagen, ja. Zumindest, wenn der Inhalt von diesem Text wahr ist, und bisher scheint er das ja zu sein.“ „Wo hast du ihn überhaupt her?“ „Er war in eine Felswand geritzt, auf einer kleinen, menschenleeren Insel draußen im Meer. Es war leider nicht mehr alles lesbar, du siehst ja die einzelnen Wortfetzen.“ Abermals wanderte sein Blick zu dem Buch in seiner Hand. „Dort steht etwas von einer weiteren Macht und dass sie anders ist und die Welt nicht im Gleichgewicht hält. Und wenn du mal umblätterst…“ Er folgte ihrer Anweisung.   für manch einen ist sie zu stark den stürzt sie ins Chaos außer Kontrolle und stürzt die ganze Welt ins Chaos erwachen auch die drei Federn und werden von den Vögeln zusammengeführt. Es ist ihre Aufgabe Träger in jedem Fall zu stoppen, was auch immer sie dafür tun müssen.   Sie kannte diese Worte beinahe auswendig, hatte sie schon unzählige Male gelesen, seitdem sie sie von den Felsen abgeschrieben hatte. „Es scheint also noch irgendeine böse Macht zu geben. Vielleicht gibt es da auch einen Auserwählten und ein Pokémon, vielleicht ist es seine Absicht, die Welt zu zerstören. Und wir beide sind dazu auserwählt, das zu verhindern.“ „Das klingt alles wie in einem Fantasy-Roman…“ Zornig sah sie ihn an. „Es ist aber real! Ash, ich hab das alles auch erst nicht glauben können. Als Arktos plötzlich aufgetaucht ist, da… Ich wusste mit einem Mal irgendwie, dass ich es fangen muss, dann hab ich plötzlich, ohne jemals davon gehört zu haben, Wazu benutzt, mein Pokéball hat sich verfärbt… Ich hab genau wie du überhaupt nichts mehr verstanden. Bis Arktos mich zu diesem Text geführt hat. Und nun weiß ich, dass es drei Auserwählte gibt und dass wir diese Welt retten müssen.“ „…Wer ist der dritte?“ „Keine Ahnung. In der Legende steht, dass die drei Vögel die drei Federn zusammenführen. Ich hab mich darauf verlassen und Arktos einfach fliegen lassen. So hat es schließlich erst Zapdos und dann dich gefunden. Ash, wir haben vielleicht einen großen Vorteil in diesem Kampf, schließlich kennen wir uns schon so lange und haben schon so oft zusammengekämpft. Vielleicht können wir sogar schon irgendetwas ausrichten, bevor wir Lavados finden und –“ „Oh nein, Misty. Fünf Jahre sind eine lange Zeit… wir haben uns beide verändert, wir kennen uns schon lange nicht mehr. Und diese ganze Sache klingt immer noch mehr als unglaubwürdig…“ „Es ist aber wahr…“ Für einen kurzen Moment schwiegen sie beide, bevor Ash abermals das Wort ergriff. „Bist du… deswegen damals weggegangen?“ Er stand auf, wollte ihr nicht länger ins Gesicht sehen. Stattdessen richtete er seinen Blick zum Fenster hinaus, wo nichts mehr auf den Kampf von zuvor schließen ließ. „Nein. Damals wusste ich noch nichts von allem.“ Mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen wünschte er sich, sie hätte sich die Mühe gemacht, ihn anzulügen. „Aber warum dann? Warum habt ihr mich alle einfach im Stich gelassen? Ich hätte euch so nötig gebraucht…“ „Das ist es doch eben!“ Verwundert wandte er sich zu ihr um, weil irgendetwas in ihrer Stimme mitschwang, das er dort nicht erwartet hätte. „Du hast uns nie wirklich gebraucht! Wir waren für dich ewig nur ein Hindernis. So manches Mal wärst du weiter gekommen, wenn du uns nicht erst um Rat gefragt hättest. Du hattest das Zeug zu einem wirklich guten Trainer, aber wir dir dabei im Weg. Das haben Rocko und Tracey wohl schon früher als ich begriffen. Aber irgendwann hab ich auch eingesehen, dass es wohl das Beste wäre, wenn du deinen eigenen Weg gehst, wenn du dich nicht immer auf andere verlässt. Deswegen bin ich damals gegangen.“ Er konnte nicht fassen, was sie da sagte. Jahrelang war er der Meinung gewesen, er hätte diesen Menschen nichts bedeutet, dass sie ihn deswegen verlassen hatten. Und nun sollte er glauben, dass alles ganz anders war, dass sie gegangen waren, gerade weil er ihnen etwas bedeutet hatte? Dass es seine Schuld gewesen war? Dass sie nicht gegangen wären, wenn er sich nicht auf sie und ihre Ratschläge verlassen hätte? Er wartete, dass sie noch etwas sagte, irgendetwas, irgendeine Entschuldigung, irgendeine Erklärung, die ihn mehr befriedigte als die Worte, die sie ihm gegeben hatte. Aber es kam nichts. Vielleicht war es das Beste, wenn sie einfach nie wieder darüber sprachen. „Also, was ist jetzt mit deiner Legende? Was soll ich tun?“ „Du kommst also mit?“ „Ich habe wohl keine Wahl. Wenn das wirklich wahr ist, was du da erzählst…“ Er wollte sich hinterher nicht vorwerfen müssen, jemandem im Stich gelassen zu haben. „Also, was machen wir? Suchen wir Lavados?“  „Ja, ich denke, das ist erst mal am sinnvollsten. Wenn die Vögel die drei Federn wirklich zusammenführen, ist es wohl das Beste, Arktos und Zapdos einfach fliegen zu lassen. Sie finden Lavados bestimmt.“ Er nickte. „Ach und Ash? Ich glaube, es ist besser, wenn du deine übrigen Pokémon bis auf Zapdos hier lässt.“ „Aber –“ „Ich weiß, Pikachu und du wart praktisch niemals getrennt, seitdem du es hast.“ Eigentlich wusste sie es nicht, aber es stimmte, und so entgegnete er nichts. „Aber gegen diese Macht können sie bestimmt sowieso nichts ausrichten und du solltest sie nicht in Gefahr bringen. Ich habe meine Pokémon auch zuhause gelassen.“ Er wollte ihr widersprechen, wollte nicht, dass sie einfach so für ihn entschied, wo sie ihm doch gerade erst vorgeworfen hatte, er hätte sich zu sehr auf die Ratschläge anderer verlassen Aber er wusste, dass sie recht hatte. Er wollte seine Pokémon nicht in Gefahr bringen.   Und so kam es, dass er seiner Mutter erzählte, er würde wieder für eine Weile fortgehen, auf eine neue Reise. Dass er seine Pokémon in ihre Obhut gab und ihr erklärte, dass er bei dieser Reise noch einmal von Null anfangen wollte. Dass er Pikachu beim Abschied liebevoll über den Kopf strich und sah, dass sein Pokémon zwar verwirrt war, aber irgendwie auch zu verstehen schien. Dass er sich auf Zapdos niederließ, das ihm nun widerstandslos gehorchte, und Misty auf Arktos folgte. Auf eine Reise, in der nichts als Ungewissheit auf sie wartete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)