Breve Fabula Fumiko Magicae von Alaiya (Die kurze Geschichte der Fumiko Magica) ================================================================================ Capitulum I: Puella Innocens ---------------------------- Stumm sah das Mädchen auf das moderne Schulgebäude vor ihr. Es war soweit. Endlich kam sie, Nagasaki Fumiko, auf die Mittelschule. Endlich würde sich alles ändern, dessen war sie sich sicher. Immerhin hatte sie so lang gewartet. Mit klopfendem Herzen setzte sie das erste Mal als Schülerin einen Fuß auf den Schulhof und sah sich um. Wie alle Erstklässler sollte sie sich in der Aula der Schule einfinden, zur Aufnahmezeremonie. Sie sah sich um. Sie war nur einmal hier gewesen, mit ihrem Vater, als sie sie angemeldet hatten. Da sie nur das eine Mal hier gewesen war und vollkommen allein war, fühlte sie sich orientierungslos. Doch so groß konnte das Schulgelände nicht sein, oder? Aber war die Aula in der Sporthalle? Oder im Schulgebäude? Sie hatte ihren Vater am Morgen nicht fragen können, da dieser bereits früh das Haus verlassen hatte. So blieb sie nach nur wenigen Schritten stehen. Ihr Blick glitt hilfesuchend umher. Andere Schüler liefen an ihr vorbei, doch niemand schien ihr viel Beachtung zu schenken. Kein Wunder, immerhin war sie kleiner, als die meisten von ihnen. Ja, obwohl sie dieselbe gelbliche Schuluniform anhatte, wie die anderen Mädchen, mit derselben roten Schleife und demselben braunkariertem Rock, so konnte man doch meinen, dass sie eine Grundschülerin war, die sich hierher verlaufen hatte. Immerhin war sie klein gewachsen und ihr verspielt zu zwei Zöpfen gebundenes rötliches Haar half nicht diesen Eindruck zu mindern. Sie seufzte. Vielleicht würden sich die Dinge doch nicht ändern. „Uhm, kann ich dir helfen?“, fragte eine leise Stimme. Fumiko drehte sich zum Besitzer der Stimme herum. Es war ein anderes Mädchen in derselben Schuluniform. Auch ihr Haar war zu zwei Zöpfen gebunden, auch wenn es blond war. „Äh...“ Überrascht starrte Fumiko sie an. „I... Ich bin neu hier“, flüsterte sie dann. „Und ich... Ich weiß nicht wo die Aula ist...“ Dabei wurde ihre Stimme so leise, dass sie bei den letzten Worten kaum noch zu vernehmen war. Voller Scham sah sie zu Boden. „Du bist auch in der ersten Klasse?“, fragte das andere Mädchen nur und lächelte sie an. „Ich bin auch eine Erstklässlerin.“ Fumiko sah nicht auf, sondern starrte nur weiter auf ihre Füße. „Ich glaube, ich weiß noch, wo die Aula ist“, meinte ihr Gegenüber dann. „Komm mit.“ Sie schenkte ihr ein breites Lächeln und verschüchtert sah Fumiko nun auf. „Jetzt komm schon“, sagte das blonde Mädchen zu ihr und ging vor. Unsicher folgte Fumiko ihr in das moderne Schulgebäude hinein. Die gesamte Außenfront der Konstruktion war verglast, so dass viel Licht ins Innere dringen konnte. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte das andere Mädchen auf einmal, während sie den anderen Schülern folgten, von denen die meisten in dieselbe Richtung liefen. „Äh“, begann Fumiko erneut unsicher und wurde rot. „Nagasaki...“ Ihre Stimme war noch immer leise. „Nagasaki Fumiko.“ „Ich bin Tomoe Mami“, erwiderte das Mädchen. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Nagasaki-san.“ „Ja, ebenso“, murmelte Fumiko. Dann gingen sie weiter. Tatsächlich erreichten sie nicht viel später die Aula der Schule, die im Erdgeschoss des Hauptgebäudes gelegen war, jedoch halb in einer Art einstöckigem Anbau lag. Auch die Wände der großen Halle waren zu zwei Seiten größtenteils verglast. Einzig die Rückwand war vollkommen solide gebaut. „Da sind wir ja“, meinte Mami freundlich. „Danke“, flüsterte Fumiko, woraufhin die andere ihr ein warmes Lächeln schenkte. „Nicht dafür.“ Wie immer ging der erste Schultag, der praktisch nur aus der Aufnahmezeremonie und der Einteilung der ersten Klassen bestand, sehr schnell. Tatsächlich jedoch konnte Fumiko sich freuen, denn sie hatte Glück gehabt und war in dieselbe Klasse eingeteilt worden, wie Mami; zumindest für dieses Schuljahr. Ein glückseliges Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit, während sie die letzten Schritte nach Hause ging. Vielleicht würde es ja doch anders werden, dieses Schuljahr. Vielleicht würde sie nicht vollkommen allein sein. Mit den anderen Mädchen hatte sie bisher kaum gesprochen, aber vielleicht konnte sie es ja probieren. Vielleicht, wenn sie den Mut aufbrachte... Denn leider hatte sie sich immer schon schwer getan, Fremde von sich aus anzusprechen. Sie war immer schon schüchtern gewesen und hatte nie gewusst, wie sie sich anderen Kindern gegenüber verhalten sollte. Die Tatsache, dass sie zu Grundschulzeiten so oft krank gewesen war, hatte ihr nicht geholfen. Nun stand sie endlich vor ihrem Haus. Das moderne, beinahe würfelförmige Gebäude hatte einen kleinen Vorgarten und eine offene Garage, die im Moment jedoch leer war. Natürlich... Für einen Moment verblasste ihr Lächeln und sie ging zur Haustür hinüber. Mit dem Finger auf dem Scanner öffnete sie die Tür und trat in das Haus hinein. Eigentlich wäre Taro, ihr älterer Bruder, der heute in die zweite Klasse der Oberschule gekommen war, schon zuhause. Doch im Moment lag er wieder im Krankenhaus. Schon seit einer Woche. Sie schloss die Tür hinter sich und zog ihre Schuhe aus. Schon immer hatte sie das leere Haus etwas gespenstisch gefunden. Leise seufzte sie und machte sich dann auf den Weg in ihr Zimmer, das im Obergeschoss des Hauses lag. Dort legte sie ihre Schultasche neben den Schreibtisch, zog ihre Schuluniform aus und ließ sich auf einen kleinen Sessel fallen, der dort neben einem Glastisch stand. Nach einigen Momenten jedoch rappelte sie sich auf. Sie wusste, dass sie eigentlich schon längst hätte ihren Blutzucker messen sollen. Doch sie hatte es aufgeschoben, weil sie das mobile Messgerät nicht mochte. Sie ging ins Bad, um sich die Hände zu waschen, ehe sie ihr normales Messgerät aus ihrer Nachttischschublade nahm. Sie zuckte leicht zusammen, als es ihr in den Finger stach, obwohl sie es eigentlich gewohnt sein müsste. Immer sagten alle, dass man sich daran gewöhnte. An die Stiche, an die Spritzen, doch obwohl Diabetes bei ihr schon vor vielen Jahren festgestellt worden war, hatte sie sich nie daran gewöhnt. Früher hatte sie einmal eine Pumpe gehabt, aber nachdem sie einmal durch ein Problem ins Krankenhaus gekommen war, hatte ihre Mutter ihr diese weggenommen. Ihre Mutter, die immer sagte, dass sie sich doch schon lange daran gewöhnt haben sollte. Immerhin hatte sich ihr Vater auch daran gewöhnt. Ihr Vater und ihr Bruder, und ihrem Bruder ging es dabei doch so viel schlechter als ihr. Ihr Blutzucker war zu niedrig. Doch es war noch nicht Zeit zu essen, weshalb sie nur etwas Traubenzucker nahm und sich dann wieder in den Sessel fallen ließ. Stumm starrte sie an die weiße Zimmerdecke und an die LED-Lampen, die von dieser hinabhingen. Ihr Zimmer war recht groß und sehr ordentlich. Über ihrem breiten Bett hing ein Bücherregal - neben dem Kopfende stand der Nachtschrank. Neben der Tür, die zu ihrem kleinen Balkon führte, standen der kleine Tisch und der Sessel, auf dem sie saß. An der Wand daneben ihr Schreibtisch, über dem ein weiteres Regal hing. Beide ihre Eltern arbeiteten, wenn auch ihre Mutter nur halbtags, da sie sich ja immerhin auch um den Haushalt kümmern musste. Und um Taro, wenn es diesem nicht so gut ging. Ihr Vater war Manager und daher manchmal für eine ganze Woche nicht daheim. Nicht dass es sie wirklich gestört hätte... Nein... Es störte sie nicht, weil es sie nicht stören durfte. Aber manchmal, ja, manchmal fühlte sie sich einsam. Nun schloss sie die Augen. Vielleicht wurde es aber jetzt anders. Vielleicht... Sie hörte, wie die Haustür sich mit leisem Surren öffnete und schlug die Augenlider wieder auf. Noch bevor sie die Treppe erreichte, wusste sie von der Art der Schritte, dass es ihre Mutter war, die soeben nach Hause gekommen war. „Hallo, Mama“, sagte sie leise, als sie in die Küche hineinging. Ihre Mutter, die eine weiße Plastiktüte auf den Küchentisch abgestellt hatte, sah auf. „Ah, du bist schon da, Fumi-chan“, murmelte sie und schüttelte dann den Kopf, wie um sich selbst zu korrigieren. „Natürlich bist du schon da.“ Ihre Mutter hatte wie sie rotes Haar, das lockig über ihre Schultern fiel. Sie trug hellen, roten Lippenstift auf den Lippen und hatte auch ihre Augen geschminkt. Trotzdem konnte sie damit nicht kaschieren, dass sie wenig geschlafen hatte in den letzten Nächten. „Wie geht es Taro?“, fragte Fumiko und lehnte gegen sich gegen den Türrahmen. „Etwas besser“, erwiderte ihre Mutter und ging zu der Tüte hinüber. In ihr waren Medikamente. „Sie haben gesagt, dass er in zwei, drei Tagen vielleicht wieder nach Hause kann.“ „Das ist doch gut“, murmelte das Mädchen, wenn auch nicht sonderlich enthusiastisch. „Ja...“ Ihre Mutter nahm eine Box aus der Tüte. „Ich habe aus dem Krankenhaus neues Insulin mitgenommen.“ Fumiko sah die Medikamentenschachtel, die ihre Mutter nun in den Kühlschrank stellte, an. „Gut“, murmelte sie. Ihren Tonfall ignorierend sah ihre Mutter auf die Uhr. „Macht es dir was, wenn wir etwas zu essen bestellen?“ Daraufhin zuckte das Mädchen nur mit den Schultern. Egal was sie sagte, sie würden das Essen ja sowieso bestellen. Am nächsten Tag hatte Fumiko das erste Mal richtigen Unterricht. Sie hatte Glück, denn der Tag begann direkt mit Englisch und Literatur, zwei Fächer in denen sie gut war, da sie schon immer viel gelesen hatte. Mathe hatten sie im letzten Block vor der Mittagspause. Zu ihrem Glück nahm ihre Englischlehererin sie der Reihe nach dran. Denn während sie sich unsicher war, ob sie wirklich aufzeigen sollte, fiel ihr das Vortragen an sich leicht. „Very well. Sehr schön“, sagte Frau Toshiku, nachdem Fumiko mehrere Sätze auf Englisch vorgelesen und dann ins Japanische übersetzt hatte. „Wirklich sehr gut.“ Mami, die zwei Reihen vor ihr saß, lächelte ihr zu. Während des Unterrichts schrieb Fumiko mit. Sie war in den meisten Fächern eigentlich recht gut, wenn auch nur, weil sie viel lernte. So schaffte sie es immer, wenn sie dran kam, die richtige Antwort zu geben und merkte, wie ihr einige ihrer neuen Mitschüler bewundernde Blicke zuwarfen. Sie errötete. Schließlich begann die Mittagspause. Gerade als Fumiko, die zum Krankenzimmer musste, um sich ihr Insulin zu holen, zur Tür hinaus wollte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter. „Nagasaki-san?“, fragte Mamis Stimme. Fumiko drehte sich zu ihr herum. „Ja?“ „Willst du mit uns in die Mensa gehen?“, fragte sie und Fumiko sah zwei Mädchen, die hinter ihr standen. „Das sind Segawa-san und Itou-san. Ich war mit ihnen in der Grundschule“, erklärte Mami, als sie ihren Blick bemerkte. Unsicher sah Fumiko sie an. „Ich... Ich komme gleich nach“, sagte sie dann leise. „Ich muss noch wohin.“ Sie wollte ihnen nicht sagen, dass sie ins Krankenzimmer musste. Sie wollte nicht, dass es gleich alle wussten und sie bemitleideten oder glaubten, dass sie nichts vertrug. Es war an der Grundschule schon schlimm genug gewesen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte nun eins der beiden Mädchen - ihr Haar war lang, glatt und braun. Sie sah sie besorgt an. „Ja“, flüsterte Fumiko. „Ich... muss nur wohin.“ „Ach so...“ Offenbar schien das Mädchen – Segawa-san, so hatte Mami sie genannt - zu glauben, dass sie aufs Klo musste, doch Fumiko bemühte sich nicht sie zu korrigieren. „Ich komme gleich nach, okay?“, fragte sie besorgt, denn sie wollte niemanden vor den Kopf stoßen. „Ja, sicher, kein Problem“, meinte das andere Mädchen, dessen Haar nicht ganz so lang war und durch eine Spange an der Stirn zurückgehalten wurde. „Bis später.“ Fumiko nickte ihnen zu und machte sich dann auf den Weg zum Zimmer der Krankenschwester, das im ersten Stockwerk des Schulgebäudes lag. Diese war freundlich, aber distanziert. Wie immer maß Fumiko ihren Blutzucker, ehe die Schwester ihr die passende Menge Insulin in eine spezielle Spritze gab. Danach machte sie sich auf den Weg zur Mensa, die im obersten Geschoss des Gebäudes war. Als sie die Treppe hinaufkam und sich umsah, winkte Mami ihr zu, die mit den anderen Mädchen an einem Tisch direkt neben der Fensterfront saß. Lächelnd ging Fumiko zu ihnen hinüber. „Alles in Ordnung?“, fragte Itou, das Mädchen mit dem schwarzen Haar. „Ja“, erwiderte Fumiko, wie immer mit gesenkter Stimme. Sie holte die Bentobox heraus, die ihre Mutter ihr mitgegeben hatte. „Kaufst du dir nichts?“, fragte Segawa vorsichtig. Stumm schüttelte das Mädchen den Kopf. „Nein.“ Ihre Mutter hatte immer Angst, dass sie zu viel oder zu wenig aß, weshalb sie dabei blieb es zu kontrollieren. „Hast du das Bento selbst gemacht?“, fragte Mami nun und sah auf die Box. „Nein“, erwiderte Fumiko. „Das hat meine Mutter für mich gemacht...“ Sie schwieg für einen Augenblick. „Sie will, dass ich mich gesund ernähre.“ „Vielleicht sollte ich mich auch gesünder ernähren“, meinte Segawa, die gerade die Verpackung eines Schokoriegels geöffnet hatte, und sah auf die kalorienreiche Schokolade. „Würde dir sicher gut tun“, kommentierte Itou und knuffte sie in die Seite. „Vielleicht nimmst du dann ja etwas ab.“ Mit gekünstelter Empörung sah Segawa sie an. „Was soll das denn heißen?“ Mami lachte leise mit vorgehaltener Hand und nun merkte Fumiko, wie sich ein leichtes Lächeln um ihre Lippen kräuselte. Es fühlte sich gut an. Zwar merkte sie, wie ihr Gewissen protestierte, dass sie ihre neuen Freunde belog, doch war es so viel besser, als bemitleidet zu werden. Sie wollte nicht mehr diejenige sein, die von gleichaltrigen schuldbewusst angesehen wurde, wenn diese Süßigkeiten aßen. Sie wollte nicht mehr mit Samthandschuhen angefasst werden. „Übrigens“, meinte Mami, als sie sich auf den Rückweg zur Klasse machten. „Nagasaki-san...“ Sie verlangsamte ihren Schritt, so dass auch Fumiko nun stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. „Ja?“, fragte sie. „Wir wollten dich fragen, ob du am Wochenende nicht mit uns zum Einkaufszentrum willst?“ „Zum Einkaufszentrum?“ Fumiko konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Nun klopfte ihr Itou auf die Schulter. „Ja, shoppen und so. Mädchenkram.“ „Ich wollte mir außerdem die neue CD von Starshine holen“, meinte Segawa. Offenbar verriet Fumikos Gesichtsausdruck, dass sie nicht einmal wusste, was Starshine war, denn Segawa sah sie leicht schockiert an. „Sag bloß, du kennst Starshine nicht?“ Fumiko wurde rot und senkte den Blick. „Nein, tut mir leid.“ „Unglaublich“, stellte das andere Mädchen fest. Es schüttelte den Kopf. „Daran müssen wir dringend etwas ändern.“ „Du tust mir leid“, flüsterte Itou ihr ins Ohr. „Du wirst dir nun einiges anhören dürfen...“ Der Samstag kam. Bereits als sie aufwachte, stellte Fumiko fest, dass sie sich besseres Wetter nicht hatte wünschen können. Auch wenn sie wohl ohnehin im Einkaufszentrum sein würden, wo ihnen auch der Regen nicht geschadet hätte, so freute sie sich, als sie sah, dass der Himmel strahlend blau war und nur einzelne weiße Schäfchenwolken an ihm zu sehen waren. Es schien warm und angenehm zu sein. „Und du bist dir sicher, dass du das alles schaffst?“, fragte ihre Mutter beim Frühstück besorgt. „Denk daran, dass du um eins essen musst und nicht zu wenig.“ „Mach dir nicht so viele Sorgen, Mama“, meinte Tarou, der seit dem Vortag wieder Zuhause war. Anders als Fumiko hatte er braunes Haar, das kurz, aber von der Nacht noch kraus, von seinem Kopf hing. „Fumiko bekommt das sicher hin. Sie ist kein kleines Kind mehr. Irgendwann muss sie sich ohnehin selbst um alles kümmern.“ „Ich mach mir doch nur Sorgen“, verteidigte sich ihre Mutter. Ihr Vater aß nicht mit ihnen. Er war am vergangenen Tag erst spät nach Hause gekommen. „Ich denke schon an alles“, meinte Fumiko zurückhaltend. „Das kann ich doch schon lange.“ „Ich weiß doch, Fumiko-chan.“ Ihre Mutter sah sie an, wobei ihr zweifelnder Gesichtsausdruck jedoch etwas anderes sagte, als ihre Worte. „Aber du weißt, dass du vorsichtig sein musst.“ Ihr Blick glitt besorgt zu Tarou. „Jetzt lass ihr doch ihren Spaß, Mama“, erwiderte der, ähnlich wie Fumiko, für sein Alter recht kleine und hagere Junge. Tatsächlich ließ sich ihre Mutter jedoch nicht davon abbringen, Fumiko mehrfach zu ermahnen ja nicht zu viel oder zu wenig zu essen, dies zu den geregelten Zeiten zu tun, mit Snacks nicht zu übertreiben und ja darauf zu achten, sich vor dem Mittagessen die richtige Dosis Insulin zu spritzen, bis das Mädchen schließlich um kurz vor elf das Haus verließ. „Ich pass schon auf mich auf“, meinte sie zum Abschied. „Mach dir keine Sorgen, Mama.“ Sie wollte sich mit den anderen Mädchen um halb zwölf an der dem Einkaufszentrum am nächsten gelegenen Straßenbahnhaltestelle treffen und sie hatte sich schon lange nicht mehr so auf etwas gefreut. Ihre Freizeit mit anderen zu verbringen, die sie vollkommen normal behandelten, das hatte ihr so lange gefehlt. Sie wollte, dass es so blieb. Um jeden Preis! Und deswegen durften die anderen Mädchen nichts von ihrer Krankheit erfahren. Immerhin, wenn sie genug spritzte, sollte sie auch Süßigkeiten essen können, so lang sie es nicht übertrieb. Zumindest etwas... Denn ihre Mutter musste doch nichts davon wissen. Fumiko merkte, dass ihr Kopf schwirrte, als sie wieder aufwachte. Schon, als sie die weiße Decke sah, war ihr klar, dass sie im Krankenhaus war und schnell kam die Erinnerung an das passierte. Sie war ohnmächtig geworden, im Einkaufszentrum. Warum nur? Nun, eigentlich wusste sie, warum. Sie musste sich zu viel Insulin gespritzt haben. „Sie ist wach“, hörte sie eine leise Stimme sagen und legte den Kopf zur Seite. An der Wand des kleinen Krankenhauszimmers standen zwei Stühle, auf denen ihr Bruder und ihre Mutter saßen. Neben ihrem Bett standen außerdem ein EKG-Gerät und ein Ständer, an dem ein Beutel mit spezieller Ringerlösung – so vermutete sie – hing. Der Katheter steckte in ihrer linken Hand. Ihre Mutter sah nun auf. „Oh, Fumiko-chan. Du bist wach“, flüsterte sie und erhob sich. „Ja“, antwortete sie mit krächzender Stimme. Ihr Hals war trocken. Nun hatte ihre Mutter ihr Bett erreicht. „Wie geht es dir?“ Darauf antwortete Fumiko nichts. Was sollte sie auch antworten? Sie fühlte sich nicht gut. Ihr war etwas übel, ihr war schwindelig und ihr Kopf schmerzte. Außerdem fühlte sie sich matt. Aber sie wusste, dass dies ganz natürlich war und dass sie sich eigentlich glücklich schätzen könnte, dass es ihr nicht schlechter ging. „Wo sind Tomoe-san und die anderen?“, fragte sie schließlich, anstatt auf die Frage ihrer Mutter einzugehen. „Deine Freunde waren nicht hier“, erwiderte Tarou. „Sie durften sicher nicht mit dem Krankenwagen mitkommen“, erklärte er dann schnell. „Vielleicht kommen sie dich morgen besuchen.“ Natürlich. Mami oder eine der anderen musste den Krankenwagen gerufen haben. Wussten sie, was passiert war? Tatsächlich konnte Fumiko nicht umher zu hoffen, dass dem nicht so war. Sie wollte wirklich nicht, dass die anderen von ihrer Krankheit erfuhren. Sie hatte zu viel Angst davor, wie sie sie dann vielleicht behandeln würden. „Was machst du nur?“, brach es auf einmal aus ihrer Mutter hervor. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst darauf achten, wie viel du isst! Du weißt, wie gefährlich es sein kann. Denk doch an...“ Sie brach ab, doch sowohl Fumiko, als auch ihr Bruder wussten, dass sie „Denk doch an Tarou“ hatte sagen wollen. „Es tut mir leid“, flüsterte Fumiko und sah auf die weiße Decke unter der sie lag. „Ich...“ Doch sich dessen bewusst werdend, dass es eigentlich nichts gab, was sie dazu sagen konnte, um sich zu rechtfertigen oder ihre Mutter zu beruhigen, führte sie den Satz nicht zuende und verfiel in bedrücktes Schweigen. Ja, sie war dankbar, dass genau in diesem Moment eine Krankenschwester hineinkam. „Ah, Nagasaki-san ist wach“, stellte sie fest und sah dann zu Fumikos Mutter. „Sie hätten uns rufen sollen.“ „Ich bin erst gerade aufgewacht“, warf Fumiko schnell ein. Die noch recht junge Schwester musterte sie. „Gut“, meinte sie dann in neutralem Tonfall. „Wie fühlst du dich?“ Nun kam sie nicht um eine ehrliche Antwort herum. „Mir ist etwas schwindelig.“ Daraufhin nickte die Schwester. „Ja, natürlich.“ Sie wandte sich an Fumikos Mutter und Tarou. „Ich werde unseren Stationsarzt holen. Da die Besuchszeit gleich vorbei ist, muss ich Sie bitten, für heute zu gehen. Ihre Tochter scheint stabil zu sein. Sie müssen sich keine Sorgen machen.“ Ihre Mutter sah sie besorgt an, protestierte aber nicht. Dafür hatte sie ihre Kinder schon zu oft im Krankenhaus besucht. „Ich komme morgen wieder vorbei“, meinte sie sanft zu Fumiko und küsste sie auf die Stirn. „Sieh zu, dass du wieder gesund wirst“, sagte auch Tarou zu ihr und strich ihr durchs Haar, ehe er aus dem Zimmer ging. Fumiko schloss die Augen. Tatsächlich war sie froh, dass ihre Mutter hatte gehen müssen. Sie ertrug den besorgten Blick von ihr kaum. Ja, es wäre ihr so viel lieber, würde sie sauer werden, wenn so etwas passierte – denn es war nicht das erste Mal, dass dergleichen geschehen war. Nachdem der Arzt gegangen war, hatte eine andere Schwester noch einmal ihren Blutzucker gemessen und ihr etwas Insulin gegeben, da ihr Zuckerspiegel durch die Lösung im Tropf wieder gestiegen war. Dann ließ man sie allein. Draußen war es – wie immer im April – bereits dunkel und alles, was sie vom Fenster, das direkt neben ihrem Bett war, aus sehen konnte, waren der Himmel und Silhouetten einiger Hochhäuser in der Ferne. Sie hatten das Fenster gekippt, damit etwas Luft hineinkommen konnte und so sah Fumiko auf den vom Licht der Stadt etwas erhellten Nachthimmel. Die Sterne waren nicht zu erkennen, doch dafür hing ein großer, fast voller Mond in der Höhe und sandte sein weißes, mattes Licht auf sie hinab. Bald schon merkte sie, wie ihre Augen beinahe zufielen und sie fiel in einen nicht sonderlich tiefen Dämmerschlaf. Sie wusste nicht, wie lang sie so vor sich hin döste. Doch dann erwachte sie jäh. So jäh, dass sie sich unüberlegt aufsetzte und sich sogleich den dadurch schmerzenden Kopf halten musste. Sie blinzelte und der abgedunkelte Raum schien sich vor ihren Augen zu drehen. Was hatte sie geweckt? Ein Windzug ließ die weiße Gardine neben ihrem Bett leicht wirbeln und lenkte ihren Blick auf diese. Da sah sie es. Eine kleine Gestalt, die auf dem Fensterbrett saß und sie scheinbar durch den dünnen Gardinenstoff hindurch ansah. Ein Plüschtier? Fumiko runzelte die Stirn und streckte die Hand danach aus, ohne nachzudenken, als die katzenhafte Gestalt sich bewegte. Das Wesen sprang auf ihr Bett und erreichte mit einem weiteren Sprung den Bettrahmen zu ihren Füßen. Dort drehte es sich zu ihr um und sah sie mit blutroten Augen an. Nun spürte Fumiko ihr Herz angstvoll gegen ihre Brust hämmern. Was war dies für ein Wesen? Ein Geist? Oder träumte sie vielleicht nur? Zugegeben, das Wesen sah – von seinen roten Augen abgesehen – nicht sonderlich furchterregend aus. Es war gänzlich weiß, wie es schien, und hatte Ohren, die an die einer Katze erinnerten, aus denen jedoch weiteres Fell, wie die Schlappohren eines großen Hasen, hinabhing. Der Schwanz des Tieres war buschig und wippte hinter seinem Körper hin und her. Während sie es beobachtete brachte Fumiko kein Wort heraus. Wie war dieses Tier überhaupt in ihr Zimmer gekommen? Da erklang eine Stimme: „Nagasaki Fumiko.“ Verwirrt, aber nun etwas vorsichtiger, wandte sie sich um. Wer hatte gesprochen? „Nagasaki Fumiko“, wiederholte die jungenhafte Stimme und da wurde ihr klar, dass es das Wesen sein musste, das sprach. „Was...“, begann sie heiser. „Du... Woher...“ „Mein Name ist Kyubey“, antwortete das Wesen auf ihre unausgesprochene Frage. „Und ich beobachte dich schon sehr lang.“ Es beobachtete sie? Wieso? „Kyubey?“, wiederholte sie den Namen leise. Der Kopf des Wesens senkte sich in einem kaum merklichen Nicken. „Das ist richtig.“ Irgendwie schien dieses Tier – Kyubey – sprechen zu können, ohne seinen Mund zu bewegen. Als würde es über seine Gedanken mit ihr kommunizieren. „Das ist richtig“, wiederholte es nun und ihr wurde klar, dass es dabei auf das antwortete, was sie gerade gedacht hatte. Schweigend starrte sie das seltsame Tier an. „Was willst du von mir?“, fragte sie dann vorsichtig. „Ich will dir ein Angebot machen“, sprach Kyubey und seine Stimme klang in ihrem Kopf wider. „Denn ich suche Mädchen, die eine besondere Kraft haben. Die Kraft eine Puella Magi zu werden. Und du bist so ein Mädchen.“ „Ich?“, flüsterte Fumiko. Träumte sie oder erlaubte sich dieses Wesen einen Scherz mit ihr? „Puella Magi?“ „Ein magisches Mädchen“, erklärte Kyubey. „Ein Mädchen, das andere Menschen beschützt, indem es gegen Hexen kämpft. Denn du musst wissen, es gibt Wesen – für die meisten nicht sichtbar – die versuchen Menschen in tiefe Verzweiflung zu treiben und sie zu töten.“ Dabei klang seine Stimme vollkommen sachlich. „Puella Magi können gegen diese Hexen kämpfen, weshalb ich nach Mädchen suche, die die Kraft haben, Puella Magi zu werden.“ Ohne dass sie es bemerkte, stahl sich ein heiseres Lachen über Fumikos Lippen. „Ich habe keine Kraft“, flüsterte sie leise. „Sieh mich an. Ich bin klein, krank und schwach.“ Nun schüttelte das Wesen seinen Kopf. Es sprang wieder auf ihre Decke, machte einige Schritte und legte dann seine rechte Vorderpfote auf ihre Brust. „Die Kraft, auf die es ankommt, ist hier – in deinem Herzen. Mit allem anderen rüste ich dich aus.“ Kyubey hob nun wieder den Kopf und sah zu ihr auf. Auf diese geringe Entfernung konnte sie ihr eigenes Gesicht in seinen Augen erkennen. „Nagasaki Fumiko“, sprach er nun weiter. „Wenn du für mich eine Puella Magi wirst, wenn du für mich kämpfst, so erfülle ich dir einen Wunsch.“ „Einen Wunsch?“, wiederholte sie ungläubig. „Das ist richtig“, sagte Kyubey erneut und seine Ohren zuckten etwas. „Ich habe die Macht dir jeden Wunsch zu erfüllen.“ Er legte den Kopf schief. „Und es gibt etwas, das du dir wünscht, nicht? Einen Wunsch, nach dessen Erfüllung du dich schon lange sehnst, obwohl du weißt, dass es unmöglich ist, nicht?“ Fumiko schluckte. Ihr Hals schmerzte. Doch wusste sie, wovon dieses Wesen redete. „Kannst du wirklich...?“ „Ja“, antwortete Kyubey. „Ich habe die Macht diesen Wunsch zu erfüllen, wenn du dafür einen Pakt mit mir eingehst und Puella Magi wirst.“ „Puella Magi...“, flüsterte Fumiko. Erneut wehte der Wind die Gardinen etwas zur Seite und ließ das Fell Kyubeys im Licht des Mondes erstrahlen. Hosted by Animexx e.V. 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