Breve Fabula Fumiko Magicae von Alaiya (Die kurze Geschichte der Fumiko Magica) ================================================================================ Capitulum III: Puella Desperata ------------------------------- Das Klingeln der Pausenglocke wirkte erlösend auf Fumiko und sorgte dafür, dass sie aus ihrem wohligen Halbschlaf aufwachte. Endlich war Mittagspause. Danach noch ein Block Naturwissenschaften und sie hatte ihren Schultag für heute überstanden. Und übermorgen wäre endlich Wochenende. Zwei herrliche Tage, an denen sie ausschlafen könnte. „Fumiko-chan“, hörte sie eine vertraute Stimme hinter sich, als Segawa, die mit Vornamen Reika hieß, ihre Hände auf Fumikos Schultern legte. „Schläfst du schon?“ Statt zu antworten gähnte Fumiko nur und richtete sich auf. „Lass uns hoch in die Mensa gehen“, meinte Itou Sayaki nun ruhig zu ihnen. Noch immer schwieg Fumiko und nickte nur, ehe sie ein weiteres Mal gähnte. „Hast du gestern Abend zu lange ferngesehen?“, fragte Sayaki als sie sich den Strom der Schüler, die sich ihr Mittagessen in der Mensa besorgen wollten anschlossen. „So in etwa“, antwortete Fumiko und streckte sich. Die Wahrheit war, dass Kyubey sie in der Nacht zuvor geweckt hatte, weil eine weitere Hexe erschienen war. Und es war nicht das erste Mal im vergangenen Monat gewesen. Während sie die Treppe zur Mensa hinauf gingen, begannen Reika und Sayaki eine Unterhaltung über eine Serie, deren neuste Folge am Abend zuvor gelaufen war und Mami ließ sich zu Fumiko zurückfallen. „Alles in Ordnung?“, fragte sie mit gesenkter Stimme. „Ja, ja“, antwortete Fumiko schnell, „natürlich.“ „Du schläfst schlecht, in letzter Zeit, oder?“ Die Stimme des anderen Mädchens klang besorgt. Für einen Moment überlegte Fumiko. Sie hatte bisher keiner ihrer drei Freundinnen von Kyubey, dem Seelenstein oder den Hexen erzählt, auch wenn sie zu Beginn darüber nachgedacht hatte. Doch sie hatte es nicht über sich gebracht, auch wenn sie nicht ganz sagen konnte warum. Dabei hatte sie ein schlechtes Gewissen, die drei schon wieder anzulügen. „Ja“, erwiderte sie so. „Du wirst doch nicht wieder krank?“ Mami blickte ihr ins blasse Gesicht. „Nein, bestimmt nicht“, sagte Fumiko mit schwacher Stimme. Sie hatte das Gefühl jeden Moment einzuschlafen. „Ich... Vielleicht liegt es nur am Wetter.“ Sie waren nun in der Mensa angekommen, wo sie den grauen Himmel draußen sehen konnten. Die Monsunsaison hatte begonnen und würde für mindestens zwei weitere Wochen andauern, wie es aussah - wahrscheinlich noch etwas länger. Doch zumindest kam mit diesem Gedanken, auch der Gedanke daran, dass in zwei Wochen die Sommerferien beginnen würden. Sieben Wochen, in denen sie sich nicht um die Schule kümmern musste. Sieben Wochen, in denen sie ausschlafen konnte, wenn sie von den Kämpfen gegen die Hexen ermüdet war. „Nagasaki-san?“, drang Mamis Stimme durch ihre Gedanken und sie fand langsam ihren Weg in die Realität zurück. Sie standen in der Schlange vor der Theke der Mensa und waren nun vorn. „Oh“, machte Fumiko und bestellte das normale Mittagsmenü, ehe sie etwas später mit dem Tablett in der Hand zu dem Tisch hinüberging, an dem Sayaki und Reika bereits saßen. Kurz nach ihr kam Mami, ebenfalls mit einem Tablett. Sie setzte sich neben Fumiko auf die Sitzbank und nahm einen Teller von dem Tablett herunter, um ihn vor ihre Sitznachbarin zu stellen. Fragend sah Fumiko sie an. „Für dich“, lächelte das Mädchen neben ihr. „Du magst Käsekuchen doch gern, oder?“ Fumiko merkte, wie sie rot wurde und sah auf das Stück Käsekuchen. „Danke“, murmelte sie dann. „Das ist gemein“, murmelte Sayaki, „mir schenkst du keinen Kuchen.“ Sanft kichernd sah Mami zu ihr hinüber. „Entschuldige bitte, Itou-san.“ Nun begannen auch Sayaki und Reika zu kichern. Nur Fumiko sah weiter müde aus dem Fenster und in den Regen hinaus. Als Fumiko am Abend nach Hause kam, fühlte sie sich vollkommen erschöpft und so müde, dass sie sich sicher war, sofort einzuschlafen, sobald sie sich nur in ihr Bett legte. Ihr Bett... Es gab im Moment für sie keine schönere Vorstellung, als sich in die weichen Kissen fallen zu lassen. „Du bist schon Zuhause?“, fragte ihre Mutter überrascht, aber offenbar zufrieden. Sie hatte sich öfter beschwert, dass Fumiko in den letzten zwei Monaten mindestens einmal die Woche sehr spät nach Hause kam. „Ja...“ Fumiko hörte ihre eigene Stimme wie von sehr weit her. Sie schwankte, während sie sich die Schuhe auszog. „Fumiko-chan, ist alles mit dir in Ordnung?“ Nun nahm die Stimme ihrer Mutter auf einmal einen besorgten Tonfall an. Sie kam zu ihrer Tochter hinüber und legte ihr, bevor diese protestieren konnte, die Hand auf die Stirn. „Ich bin nur müde“, seufzte Fumiko und stellte ihren Schirm in den dafür vorgesehenen Ständer ehe sie in die Diele schwankte. „Du siehst nicht gut aus, Liebes“, meinte ihre Mutter. „Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?“ „Ja, Mama“, meinte Fumiko. „Ich will mich nur etwas hinlegen und schlafen... Ich habe in den letzten Nächten nicht gut geschlafen...“ Weiterhin spürte sie den besorgten Blick ihrer Mutter auf sich. „Nun gut“, meinte diese schließlich. „Aber lass uns lieber zum Arzt gehen, wenn es in den nächsten Tagen nicht besser wird.“ Statt zu antworten nickte die 12-Jährige nur und ging zur Treppe, die ins obere Stockwerk des modernen Hauses hinauf führte, ehe sie die Stufen hinauf wankte. In ihrem Zimmer angekommen entledigte sie sich von ihrer teilweise durchnässten Schuluniform und ließ sich so, in ihrer Unterwäsche, in das Bett fallen. Vollkommen unbewusst, umfasste sie mit einer Hand den Seelenstein, da das warme Pulsieren des seltsamen Juwels sie beruhigte. So glitt sie schon bald in einen erschöpften und vollkommen traumlosen Schlaf, aus dem sie erst geweckt wurde, als es einige Stunden später leise an ihrer Tür klopfte. Sie schreckte auf und blinzelte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie ihr Licht angelassen hatte, während sie schlief. Sie war sich nicht dessen bewusst, was sie geweckt hatte, ehe es erneut an der Tür klopfte. „Nee-chan?“ „Ja?“, erwiderte sie leise und einen Moment später ging die Tür auf. Ihr Bruder kam herein. Er trug bereits seinen Pyjama und sah nun zu ihr hinüber. „Mutter sagte, ich solle dir noch etwas zu essen bringen.“ Nun erkannte Fumiko, dass er einen Teller in einer Hand hielt, den er, als er hineinkam, auf ihren Nachttisch stellte. „Alles in Ordnung?“, fragte Tarou an sie gewandt. „Ja“, log Fumiko erneut. „Ich bin nur etwas müde...“ Daraufhin erwiderte ihr Bruder nichts, während sie den Teller nahm und begann das süßlich schmeckende Curry, das ihre Mutter wohl zu Abend gemacht hatte, zu essen. Erst jetzt bemerkte sie, was für einen Hunger sie schon die ganze Zeit gehabt hatte. „Weißt du“, begann Tarou nach einer Weile auf einmal, „es ist schon wirklich unglaublich...“ Sie sah zu ihm auf, den Löffel noch immer in der Hand. „Was?“ „Dass du einfach wieder gesund bist“, erwiderte ihr Bruder. „Einfach so... Durch ein Wunder geheilt...“ Bei diesen Worten sah er sie nicht an, doch zumindest annähernd konnte Fumiko sich vorstellen, wie es in seinem Inneren aussah. Sie konnte sich vorstellen, wie sie sich gefühlt hätte, wenn er auf einmal geheilt worden wäre. Und ihm ging es doch viel schlechter, als ihr, denn immerhin waren einige seiner Organe geschädigt worden, ehe das Diabetes bei ihm festgestellt worden war. Deswegen erwiderte sie nichts, sondern aß stattdessen die letzten Löffel ihres Currys, ohne ihren Bruder anzusehen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie dann leise, als sie den Löffel sinken ließ. Ungläubig sah er sie an. „Ach was“, meinte er, wobei er seine Bitterkeit nicht gänzlich aus seiner Stimme vertreiben konnte. „Ich mein, du kannst ja nichts dafür, oder? Du hast dich ja nicht selbst geheilt, oder?“ Er lachte, doch sein Lachen klang furchtbar hohl. „Natürlich nicht“, brachte sie langsam hervor, mit schwerem Herzen. Eine weitere Lüge. Doch wie sollte sie ihm das erklären? „Freu' dich doch lieber“, murmelte Tarou. „Zumindest du bist jetzt gesund... Nee-chan.“ Sie sah auf ihre Bettdecke. Erneut wollte sie sich entschuldigen, doch keine Worte kamen ihr über die Lippen. Für mehr als eine Minute waren die beiden Geschwister in ihr Schweigen gehüllt, ehe Tarou schließlich aufstand. „Wenn du müde bist, solltest du weiterschlafen“, meinte er. Fumiko nickte nur. „Ich werde mich vorher waschen“, erwiderte sie dann und stand ebenfalls auf. Für einige Momente trafen sich ihre Blicke und erschrocken erkannte sie eine seltsame, kalte Emotion in den Augen ihres Bruders: Neid. Ohne ein weiteres Wort ging sie an ihm vorbei in den Flur und dann ins Bad. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich auf das Waschbecken. Tränen füllten ihre Augen erneut. Warum hatte sie nur sich mit dem Wunsch geheilt? Wäre es nicht auch anders möglich gewesen? Warum war sie nur so egoistisch gewesen? Zumindest tauchte in dieser Nacht keine weitere Hexe auf, so dass Fumiko sich am nächsten Tag etwas wacher fühlte. Dass sie ihre Hausaufgaben nicht fertig gemacht hatte, da sie den gesamten vergangenen Nachmittag verschlafen hatte, störte sie nicht einmal mehr. Sie ignorierte die strengen Worte ihrer Englischlehrerin, als diese die Aufgaben einsammeln wollte. Was hätte sie denn schon tun können? So müde, wie sie gewesen war, hätte sie ohnehin keine zwei Worte am Stück schreiben können. Den ganzen Tag dachte sie nur an eins: Das Wochenende, was nach dem Ende des Schultages beginnen konnte. „Hey, Fumiko-chan, hast du am Wochenende Zeit?“ Eine Hand legte sich auf Fumikos Schulter, als sie gerade das Schulgebäude verließ. Sie drehte sich um und sah in Sayakis Gesicht. Für einen Moment überlegte sie, sich dessen bewusst, dass sie kaum Zeit mit ihren neuen Freundinnen verbringen konnte. Sie zögerte. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie dann zurückhaltend. Immerhin konnte jederzeit eine neue Hexe auftauchen. „Ach, jetzt komm schon“, meinte auch Reika, die hinter Sayaki erschienen war. „Ich...“, begann Fumiko erneut. „Wir wollen ins Kino gehen“, erklärte Sayaki. „Wäre ja auch nur für einen Abend. Wenn du kein Geld hast, kann ich dir was leihen.“ „Ich weiß noch nicht, ob ich kann“, flüsterte Fumiko und wich ihren Blicken aus. „Aber ich kann versuchen da zu sein.“ „Gut“, grinste das andere Mädchen. „Ruf mich einfach an. Wir wollen uns morgen Abend treffen.“ Stumm nickte Fumiko nur, als Mami auf sie zukam. Sie sah die anderen Mädchen an und runzelte die Stirn. „Ich habe euch doch gesagt, dass ihr es einfach akzeptieren sollt, wenn sie nicht kann.“ Energisch schüttelte Fumiko den Kopf. „Es passt schon, Tomoe-san“, meinte sie. „Wenn ich wirklich keine Zeit habe komme ich einfach nicht.“ „Ist doch alles in Ordnung.“ Reika winkte Mamis Beschwerde ab und sah dann noch einmal zu Fumiko. „Ich muss dann gehen. Wir sehen uns hoffentlich morgen.“ Das rothaarige Mädchen nickte. „Ja. Bis morgen.“ „Dann gehe ich auch“, sagte Sayaki. „Reika und ich haben bis zur Station denselben Weg.“ Sie wandte sich ab um dem anderen Mädchen zu folgen und drehte sich dann noch einmal zu Mami und Fumiko, um diesen zuzuwinken. „Bis morgen.“ Während die beiden ihre Regenschirme aufspannten und sich der Schar von Schülern einreihten, die auf das Schultor zugingen, sah Mami zu dem Mädchen neben ihr. „Weißt du, wenn du keine Zeit hast, musst du dich nicht zwingen lassen“, meinte sie und etwas Besorgnis lag in ihrer Stimme. „Ich weiß zwar nicht, was du machst, aber du wirkst in letzter Zeit ziemlich kaputt.“ Sofort wurde es Fumiko unwohl. Sie wollte es Mami sagen. Sie wollte ihr von all dem, was geschehen war, seit sie an jenem Wochenende ins Krankenhaus gekommen war, erzählen. Von Kyubey und den Hexen und davon, dass sie eine Puella Magi war. Doch nur bei dem Gedanken daran wurde ihr Mund trocken und es fiel ihr schwer auch nur ein Wort heraus zu bringen. „Ich schlafe nur schlecht...“, sagte sie leise. „Kommst du mit dem Schulstoff zurecht?“, fragte Mami. „Du hast deine Hausaufgaben in letzter Zeit oft nicht komplett gemacht...“ Unsicher sah Fumiko zu ihr. „Na ja, ich habe...“ Was sollte sie nur sagen? „Ich habe viele Lücken, glaube ich... Weil ich... Weil ich früher so oft krank war, weißt du?“ Mami warf ihr einen Seitenblick zu, der deutlich machte, dass sie ihr nicht glaubte, sagte dies aber nicht. „Gut“, meinte sie stattdessen. „Aber wenn du Hilfe brauchst, sag mir einfach Bescheid, okay?“ Leicht nickte die andere und sah auf den Boden, wo die scheinbar endlose Menge der Regentropfen immer neue Muster auf die Oberflächen der Pfützen zeichneten. „Danke“, flüsterte sie und fühlte sich umso schlechter, weil sie Mami nicht die Wahrheit sagte. Diese jedoch lächelte nur. „Gut.“ Sie erreichten die Treppe, die in die U-Bahnstation hinabführte und gingen hinunter. Doch gerade als Fumiko stehen bleiben wollte, um sich von Mami zu verabschieden, die normal an ein anderes Gleis musste, als sie selbst, wurde ihr klar, dass auch das andere Mädchen gerade in die gut ausgeleuchtete Röhre abbog, die zum dritten Gleis der Station führte - das Gleis, von dem auch Fumiko abfuhr. „Wieso gehst du hierher, Tomoe-san?“, fragte sie ihre Freundin, als sie diese erreichte, auch wenn sie die Antwort schon ahnte. „Ich werde dich begleiten“, antwortete Mami und lächelte sie warm an. „Ich muss sonst ja fürchten, dass du in der U-Bahn einschläfst und auf dem Abstellgleis landest.“ Unangenehm berührt wich Fumiko ihrem Blick nun wieder aus. „Das ist wirklich nicht nötig“, flüsterte sie gedämpft. „Ich komme schon allein zurecht.“ „Ach was.“ Mami winkte ab. „Mach dir keine Gedanken darum.“ Doch auch wenn Fumiko nickte, konnte sie nicht anders, als sich Gedanken zu machen. Während sie sich schweigend neben Mami an das Gleis, an dem auch viele andere Schüler standen, stellte, fühlte sie sich umso schlechter, dass sie jemanden, der so gut zu ihr war, belog. War sie wirklich ein gutes Mädchen? Sollte jemand wie sie, mit jemand so liebem wie Mami befreundet sein? „Jetzt mach nicht so ein Gesicht“, meinte diese, als sie in die moderne U-Bahn einstiegen und, da alle Sitzplätze besetzt waren, nicht weit von der Tür entfernt stehen blieben. „Es macht mir wirklich nichts aus. Meine Eltern sind wahrscheinlich ohnehin noch nicht zu Hause.“ „Meine auch nicht“, murmelte Fumiko, ohne darüber nachzudenken. „Aber vielleicht mein Bruder.“ „Tarou, nicht?“, erwiderte Mami. Fumiko nickte nur. „Wie geht es ihm? Er hat auch Diabetes, oder?“ Erneut nickte Fumiko und sah sie an. „Ihm geht es viel schlechter, als es mir ging.“ Sie hatte ihr schon etwas davon erzählt und wollte eigentlich auch nicht weiter darüber reden, zumal sie wieder an den Neid im Blick ihres Bruders dachte und an ihren Egoismus, dass sie sich nicht auch eine Heilung für ihn gewünscht hatte. Bald schon kamen sie im Wohnviertel an, wo sie, als sie die Station verließen, wieder ihre Schirme aufspannten. „Du musst mich wirklich nicht bis zur Tür begleiten“, meinte Fumiko, die umso mehr ein schlechtes Gewissen bekam. „Das macht doch nichts“, antwortete Mami und lächelte sie nur wieder mit ihrem sanften, wohlwollenden Lächeln an. Fumiko seufzte und machte sich auf den Weg nach Hause. Immer wieder warf sie Mami Seitenblicke zu. Diese sprach im Moment selbst nicht, sondern ging still neben ihr her und lächelte ihr ab und zu, wenn sie ihre Blicke bemerkte, zu. Erneut überlegte Fumiko, ob sie mit ihr nicht darüber reden könnte, ob sie ihr sagen sollte, dass sie eine Puella Magi war. Sie fragte sich, ob Mami, die immer so freundlich und rücksichtsvoll war, sie für den Egoismus ihres Wunsches verurteilen würde... Wenn sie ihr die Geschichte überhaupt glauben würde. Unbewusst berührte sie mit den Fingern die Ergebung des Seelensteins unter ihrer Kleidung, ehe sie stehen blieb. „Tomoe-san“, begann sie unsicher und sah Mami an, die nun ebenfalls stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. „Was ist?“, fragte sie, wobei etwas Besorgnis in ihrer Stimme mitschwang. Fumiko zögerte, denn sie wusste eigentlich nicht, wie sie beginnen sollte, war sie sich doch ohnehin nicht vollkommen sicher, ob es wirklich richtig wäre, ihrer Freundin von ihrem Geheimnis zu erzählen. „Ich...“, stotterte sie daher. „Ich wollte dir...“ Viel weiter kam sie nicht, ehe sie unterbrochen wurde - jedoch nicht von Mami, sondern von einer vertrauten Stimme in ihrem Kopf. „Fumiko-chan“, hörte sie Kyubey. „Fumiko-chan! Du musst schnell herkommen. Eine weitere Barriere hat sich geöffnet.“ Das Mädchen zuckte zusammen. „Ich kann nicht sofort herkommen“, erwiderte sie vorsichtig. „Ich bin gerade...“ Doch erneut unterbrach Kyubey sie. „Es ist ein Mensch in die Barriere gekommen. Ein Mädchen. Fumiko-chan, wenn du dich nicht beeilst wird die Hexe sie töten.“ Diese Nachricht erschreckte Fumiko. Wie versteinert stand sie da vor Mami, während der Regen weiterhin auf ihren gepunkteten Regenschirm prasselte. „Was hast du, Nagasaki-san?“, fragte Mami und sah sie an. Fumikos Gedanken rasten. Sie hatte im Moment keine Zeit all das Mami zu erklären, wenn das Leben eines Menschen in Gefahr war. Sie wollte Mami nicht erneut anlügen, doch alles andere schien im Moment zu kompliziert. „Ich habe noch etwas vergessen“, sagte sie hastig. „Ich... Ich hatte meiner Mutter versprochen einkaufen zu gehen.“ Und noch bevor Mami darauf reagieren konnte drehte sie sich um und rannte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Fast zwanzig Minuten später - schneller hatte sie es nicht geschafft, denn selbst als Puella Magi konnte sie nicht fliegen - erreichte sie eine verlassene Gasse, direkt neben einer Einkaufsstraße, ein ganzes Stück von ihrem Wohngebiet entfernt. Hier saß Kyubey und wartete auf sie, während ein seltsames Wabern in der Luft vor ihm zu erkennen war. „Da bist du ja endlich, Fumiko-chan“, sagte er und sah sie an. Er schien den Regen, der auch auf ihn hinabprasselte gar nicht zu spüren, während auch Fumiko mittlerweile durchnässt war, da sie den Regenschirm geschlossen hatte, um schneller laufen zu können. „Es tut mir leid“, keuchte sie und stützte sich auf ihre Beine ab, um zu verschnaufen. „Ich habe es nicht schneller geschafft.“ Sie holte noch einmal tief Luft ehe sie ihren Seelenstein hervor holte und gegen das wabernde Fleckchen Luft hielt, woraufhin der Zugang zur Barriere erschien. Während sie hineinlief veränderte sich ihre Kleidung und ihr magischer Dress erschien, wie auch das Zepter in ihrer Hand. Diese Barriere erinnerte an das Innere einer Schneiderei. Die Wände schienen aus verschiedenen Stoffen zu bestehen, manche einfarbig, andere gestreift, gepunktet oder kariert. Stofffetzen hingen von einer unsichtbaren Decke hinab und einzelne kopflose Mannequins standen herum, teilweise mit Maßbändern versehen. „Schnell“, mahnte Kyubey und Fumiko nickte. Sie machte einen Schritt voran, damit rechnend jeden Moment angegriffen zu werden, und tatsächlich stürzten die Figuren auf sie zu, als sie den zweiten Schritt tat. Wie schon so oft zuvor schwang sie ihren Stab und die leuchtenden Schlangen erschienen, verschlangen die Puppen, ehe sie sich selbst wieder auflösten. Dann rannte Fumiko los, da die Stoffe einen geraden Gang bildeten, der sich vor ihr erstreckte. Sie fürchtete, dass sie zu spät kam und das Mädchen, von dem Kyubey berichtet hatte, vielleicht schon von der Hexe getötet worden war. Weitere Mannequins griffen sie an, doch sie wollte sich nicht aufhalten lassen. Sie wollte gar nicht daran denken, wie es wäre, eine Leiche vorzufinden. Was sollte sie dann nur tun? Aus einem Loch in einem Stoff, der für sie eine Wand darstellte, kam eine Schere geschossen, der sie gerade noch mit einem Sprung auswich, jedoch in den Oberschenkel geschnitten wurde, ehe sie auf die obere Schneide sprang und sich, als die Schere sich erneut öffnete, von ihr nach oben katapultieren ließ. Eine weitere Lichterschlange schnellte aus dem Zepter hervor und warf die Schere einfach um, ehe Fumiko, ihre Wunde ignorierend, weiterlief. „Wir kommen der Hexe immer näher“, verkündete Kyubey, „das kann ich spüren.“ Stumm nickte die Puella Magi nur und rannte so schnell sie konnte weiter. Unvorhergesehen öffnete sich auf einmal um sie herum ein weiterer Saal, der nicht ganz rund war. Hier schien der Boden aus abertausenden Knöpfen zu bestehen, die sich unter ihren Füßen wie sehr trockener oder sehr nasser Sand, auf dem man kaum Halt fand, anfühlten. Es schien keine Ausgänge von diesem Saal aus zu geben, von dem Gang, durch den sie gekommen waren, abgesehen. Auch hier schienen die Wände aus endlos langen Bahnen aus verschiedenen Stoff zu bestehen, die allesamt durch überdimensionierte Reißverschlüsse miteinander verbunden waren. „Kyubey?“ Hilfesuchend sah sich Fumiko zu ihrem Begleiter um, der einige Schritte hinter ihr stehen geblieben war. „Wo muss ich hin?“ Doch bevor Kyubey antworten konnte, öffneten sich die Reißverschlüsse um einige Meter und weitere Mannequins kamen daraus hervor geschossen. Instinktiv sprang Fumiko in die Luft, um der ersten Figur, die sie erreichte, auszuweichen, und stieß sich am kopflosen Hals von dieser ab und sprang dann zur nächsten. Drei weitere Schlangen schossen nun auf ihre Angreifer zu, doch es waren über zwanzig Mannequins, die sich nicht so einfach vertreiben ließen. Acht von ihnen wurden durch die magische Attacke zwar vernichtet und die zwei, über die Fumiko gesprungen war, fielen zu Boden, aber mehr als zehn verblieben. Trotz ihrer gesteigerten Wundheilung blutete Fumikos Bein noch immer und sie knickte um, als sie - fast in der Mitte des Saals - wieder auf dem Boden aufkam. „Fumiko-chan!“, hörte sie Kyubeys Stimme und hob gerade noch rechtzeitig ihr magisches Zepter, um zwei weitere Mannequins abzuwehren, als sie merkte, dass der Knopfboden unter ihr nachgab. Ehe sie verstand, was geschah, öffnete sich ein Loch unter ihr, das sie mitsamt vieler, vieler Knöpfe und sechs der umstehenden Mannequins verschlang. Dann fiel sie und eine ihr seltsam greifbar anmutende Dunkelheit umhüllte, ehe sie auf einer beleuchteten Fläche landete. Gerade noch so schaffte sie es sich im Flug zu drehen und - wenn auch unter Schmerzen - auf beiden Beinen zu landen, doch dann erkannte sie auch, dass sie nun den Ort gefunden hatte, den sie gesucht hatte. Eine Puppe in der Größe einer Frau und mit stumpfen Knopfaugen starrte zu ihr herüber. Die mit heruntergefallenen Mannequins standen um sie herum. Die Puppe sah aus wie aus einem Horrorfilm. Statt einem hingen drei Paar Arme an ihren Seiten hinab und die Kleidung schien seltsam bunt zusammengenäht. Auch das Haar auf ihrem Kopf schien zerfranst, wie auch der Hut, wohl ehemals ein Zylinder, der auf diesem saß. Doch hatte Fumiko damit nicht nur die Hexe gefunden, sondern auch den Menschen, der so tief in die Barriere vorgedrungen war. Es war eine zierliche Mädchengestalt, die hinter der Hexe lag und - wie Fumiko schnell erkannte - die Uniform ihrer Schule trug. Die Uniform war jedoch zerrissen und an einigen Stellen sickerte Blut durch den Stoff. Doch das war nicht, was sie am meisten erschreckte. Nein. Was Fumiko so erschreckte, war die Feststellung, dass sie das Mädchen kannte: Es war Sagawa Reika, die sie nur etwa eine Stunde zuvor an der Schule verabschiedet hatte. Wie aus dem Nichts erschien Kyubey neben dem Mädchen und sah an der Hexe vorbei zu Fumiko hinüber. „Sie lebt noch“, erklang seine Stimme in ihrem Kopf. Fumiko nickte und schluckte. Sie spürte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel, doch gleichzeitig merkte sie auch eine furchtbare Wut in sich aufkeimen. Wie konnte diese Hexe das nur tun? Wie konnte sie eine ihrer Freundinnen angreifen? Wieso griff sie überhaupt Menschen an? Das war unverzeihlich... Ihre Hand verkrampfte sich um das Zepter in ihrer Hand. „Unverzeihlich“, flüsterte sie und starrte zu der Hexe, deren Untertanten nun auf sie zukamen. Doch Fumiko wich nicht zurück. Mittlerweile war die Schnittwunde an ihrem Bein beinahe ganz verheilt und hatte aufgehört zu bluten, doch selbst wenn es anders gewesen wäre, so hätte sie es kaum gespürt. „Unverzeihlich“, wiederholte sie nur und hob das Zepter. Zwar raubte ihre Magie ihr langsam die Kraft, doch war ihr dies im Moment egal. Zwei große Schlangen schossen aus dem Zepter hervor und verschlangen die Mannequins, noch bevor diese das Mädchen erreichten. Im nächsten Augenblick stürzte sich die Hexe selbst, in den Händen Nadeln und Scheren, auf sie zu. Fumiko jedoch blieb stehen, bis die Hexe nur etwas mehr als eineinhalb Meter von ihr entfernt war. Dann sprang sie in die Luft und versetzte der Hexe einen Tritt, der diese ein ganzes Stück zurückwarf, so dass sie fast aus dem Kegel der unsichtbaren Lichtquelle verschwand. Weiße Flammen loderten aus Fumikos Zepter auf, als sie ihre Augen auf die Hexe richtete. „Stirb“, flüsterte sie erstickt. „Verschwinde endlich!“ Die Flammen schossen auf den Puppenkörper zu und umhüllten sie, verschlangen sie und Fumiko sah ihnen dabei zu. Wie die Flammen loderte ihre Wut noch immer. Nicht nur auf diese Hexe, sondern auf alle Hexen, auf die Existenz dieser seltsamen, beängstigenden, magischen Welt, die so gefährlich war. Doch dann fiel ihr auf einmal Reika wieder ein. Sie wandte sich zu dem anderen Mädchen um, neben dessen ohnmächtiger Gestalt noch immer Kyubey saß, und fühlte nach ihrem Puls. Sie lebte tatsächlich noch. „Segawa-san“, rief sie aufgeregt und versuchte den Körper des Mädchens anzuheben. „Sagawa-san! Wach auf! Bitte wach auf... Reika...“ Der Körper des Mädchens war mit Wunden übersät, deren Tiefe Fumiko nicht abzuschätzen vermochte. Vielleicht war sie gerade noch rechtzeitig gekommen. Sie musste Reika ins Krankenhaus bringen. Sie musste... Tränen liefen ihr über das Gesicht, während die Barriere sich nun, da die Hexe offenbar tot war, auflöste und sie sich wieder in der Gasse befanden, wo die Barriere sich geöffnet hatte. Der Kummersamen fiel neben Fumiko zu Boden, doch im Moment hielt sie Reika in ihren Armen. Ein Krankenhaus, dachte sie wieder und griff mit zitternden Händen nach dem Mobiltelefon in ihrer Tasche. Und während sie die Nummer wählte, kam ihr ein anderer Gedanke: Hätte sie Reika retten können, wenn sie früher da gewesen wäre? Und dann stellte sie sich eine weitere Frage: Warum war Reika überhaupt angegriffen worden? Konnte es sein, dass die Hexe von ihr gewusst hatte? Konnte es sein...? „Kyubey?“, fragte sie mit zitternder Stimme und drehte sich um. Doch das seltsame Geschöpf war nicht mehr hier. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)