Breve Fabula Fumiko Magicae von Alaiya (Die kurze Geschichte der Fumiko Magica) ================================================================================ Capitulum I: Puella Innocens ---------------------------- Stumm sah das Mädchen auf das moderne Schulgebäude vor ihr. Es war soweit. Endlich kam sie, Nagasaki Fumiko, auf die Mittelschule. Endlich würde sich alles ändern, dessen war sie sich sicher. Immerhin hatte sie so lang gewartet. Mit klopfendem Herzen setzte sie das erste Mal als Schülerin einen Fuß auf den Schulhof und sah sich um. Wie alle Erstklässler sollte sie sich in der Aula der Schule einfinden, zur Aufnahmezeremonie. Sie sah sich um. Sie war nur einmal hier gewesen, mit ihrem Vater, als sie sie angemeldet hatten. Da sie nur das eine Mal hier gewesen war und vollkommen allein war, fühlte sie sich orientierungslos. Doch so groß konnte das Schulgelände nicht sein, oder? Aber war die Aula in der Sporthalle? Oder im Schulgebäude? Sie hatte ihren Vater am Morgen nicht fragen können, da dieser bereits früh das Haus verlassen hatte. So blieb sie nach nur wenigen Schritten stehen. Ihr Blick glitt hilfesuchend umher. Andere Schüler liefen an ihr vorbei, doch niemand schien ihr viel Beachtung zu schenken. Kein Wunder, immerhin war sie kleiner, als die meisten von ihnen. Ja, obwohl sie dieselbe gelbliche Schuluniform anhatte, wie die anderen Mädchen, mit derselben roten Schleife und demselben braunkariertem Rock, so konnte man doch meinen, dass sie eine Grundschülerin war, die sich hierher verlaufen hatte. Immerhin war sie klein gewachsen und ihr verspielt zu zwei Zöpfen gebundenes rötliches Haar half nicht diesen Eindruck zu mindern. Sie seufzte. Vielleicht würden sich die Dinge doch nicht ändern. „Uhm, kann ich dir helfen?“, fragte eine leise Stimme. Fumiko drehte sich zum Besitzer der Stimme herum. Es war ein anderes Mädchen in derselben Schuluniform. Auch ihr Haar war zu zwei Zöpfen gebunden, auch wenn es blond war. „Äh...“ Überrascht starrte Fumiko sie an. „I... Ich bin neu hier“, flüsterte sie dann. „Und ich... Ich weiß nicht wo die Aula ist...“ Dabei wurde ihre Stimme so leise, dass sie bei den letzten Worten kaum noch zu vernehmen war. Voller Scham sah sie zu Boden. „Du bist auch in der ersten Klasse?“, fragte das andere Mädchen nur und lächelte sie an. „Ich bin auch eine Erstklässlerin.“ Fumiko sah nicht auf, sondern starrte nur weiter auf ihre Füße. „Ich glaube, ich weiß noch, wo die Aula ist“, meinte ihr Gegenüber dann. „Komm mit.“ Sie schenkte ihr ein breites Lächeln und verschüchtert sah Fumiko nun auf. „Jetzt komm schon“, sagte das blonde Mädchen zu ihr und ging vor. Unsicher folgte Fumiko ihr in das moderne Schulgebäude hinein. Die gesamte Außenfront der Konstruktion war verglast, so dass viel Licht ins Innere dringen konnte. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte das andere Mädchen auf einmal, während sie den anderen Schülern folgten, von denen die meisten in dieselbe Richtung liefen. „Äh“, begann Fumiko erneut unsicher und wurde rot. „Nagasaki...“ Ihre Stimme war noch immer leise. „Nagasaki Fumiko.“ „Ich bin Tomoe Mami“, erwiderte das Mädchen. „Freut mich, dich kennen zu lernen, Nagasaki-san.“ „Ja, ebenso“, murmelte Fumiko. Dann gingen sie weiter. Tatsächlich erreichten sie nicht viel später die Aula der Schule, die im Erdgeschoss des Hauptgebäudes gelegen war, jedoch halb in einer Art einstöckigem Anbau lag. Auch die Wände der großen Halle waren zu zwei Seiten größtenteils verglast. Einzig die Rückwand war vollkommen solide gebaut. „Da sind wir ja“, meinte Mami freundlich. „Danke“, flüsterte Fumiko, woraufhin die andere ihr ein warmes Lächeln schenkte. „Nicht dafür.“ Wie immer ging der erste Schultag, der praktisch nur aus der Aufnahmezeremonie und der Einteilung der ersten Klassen bestand, sehr schnell. Tatsächlich jedoch konnte Fumiko sich freuen, denn sie hatte Glück gehabt und war in dieselbe Klasse eingeteilt worden, wie Mami; zumindest für dieses Schuljahr. Ein glückseliges Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit, während sie die letzten Schritte nach Hause ging. Vielleicht würde es ja doch anders werden, dieses Schuljahr. Vielleicht würde sie nicht vollkommen allein sein. Mit den anderen Mädchen hatte sie bisher kaum gesprochen, aber vielleicht konnte sie es ja probieren. Vielleicht, wenn sie den Mut aufbrachte... Denn leider hatte sie sich immer schon schwer getan, Fremde von sich aus anzusprechen. Sie war immer schon schüchtern gewesen und hatte nie gewusst, wie sie sich anderen Kindern gegenüber verhalten sollte. Die Tatsache, dass sie zu Grundschulzeiten so oft krank gewesen war, hatte ihr nicht geholfen. Nun stand sie endlich vor ihrem Haus. Das moderne, beinahe würfelförmige Gebäude hatte einen kleinen Vorgarten und eine offene Garage, die im Moment jedoch leer war. Natürlich... Für einen Moment verblasste ihr Lächeln und sie ging zur Haustür hinüber. Mit dem Finger auf dem Scanner öffnete sie die Tür und trat in das Haus hinein. Eigentlich wäre Taro, ihr älterer Bruder, der heute in die zweite Klasse der Oberschule gekommen war, schon zuhause. Doch im Moment lag er wieder im Krankenhaus. Schon seit einer Woche. Sie schloss die Tür hinter sich und zog ihre Schuhe aus. Schon immer hatte sie das leere Haus etwas gespenstisch gefunden. Leise seufzte sie und machte sich dann auf den Weg in ihr Zimmer, das im Obergeschoss des Hauses lag. Dort legte sie ihre Schultasche neben den Schreibtisch, zog ihre Schuluniform aus und ließ sich auf einen kleinen Sessel fallen, der dort neben einem Glastisch stand. Nach einigen Momenten jedoch rappelte sie sich auf. Sie wusste, dass sie eigentlich schon längst hätte ihren Blutzucker messen sollen. Doch sie hatte es aufgeschoben, weil sie das mobile Messgerät nicht mochte. Sie ging ins Bad, um sich die Hände zu waschen, ehe sie ihr normales Messgerät aus ihrer Nachttischschublade nahm. Sie zuckte leicht zusammen, als es ihr in den Finger stach, obwohl sie es eigentlich gewohnt sein müsste. Immer sagten alle, dass man sich daran gewöhnte. An die Stiche, an die Spritzen, doch obwohl Diabetes bei ihr schon vor vielen Jahren festgestellt worden war, hatte sie sich nie daran gewöhnt. Früher hatte sie einmal eine Pumpe gehabt, aber nachdem sie einmal durch ein Problem ins Krankenhaus gekommen war, hatte ihre Mutter ihr diese weggenommen. Ihre Mutter, die immer sagte, dass sie sich doch schon lange daran gewöhnt haben sollte. Immerhin hatte sich ihr Vater auch daran gewöhnt. Ihr Vater und ihr Bruder, und ihrem Bruder ging es dabei doch so viel schlechter als ihr. Ihr Blutzucker war zu niedrig. Doch es war noch nicht Zeit zu essen, weshalb sie nur etwas Traubenzucker nahm und sich dann wieder in den Sessel fallen ließ. Stumm starrte sie an die weiße Zimmerdecke und an die LED-Lampen, die von dieser hinabhingen. Ihr Zimmer war recht groß und sehr ordentlich. Über ihrem breiten Bett hing ein Bücherregal - neben dem Kopfende stand der Nachtschrank. Neben der Tür, die zu ihrem kleinen Balkon führte, standen der kleine Tisch und der Sessel, auf dem sie saß. An der Wand daneben ihr Schreibtisch, über dem ein weiteres Regal hing. Beide ihre Eltern arbeiteten, wenn auch ihre Mutter nur halbtags, da sie sich ja immerhin auch um den Haushalt kümmern musste. Und um Taro, wenn es diesem nicht so gut ging. Ihr Vater war Manager und daher manchmal für eine ganze Woche nicht daheim. Nicht dass es sie wirklich gestört hätte... Nein... Es störte sie nicht, weil es sie nicht stören durfte. Aber manchmal, ja, manchmal fühlte sie sich einsam. Nun schloss sie die Augen. Vielleicht wurde es aber jetzt anders. Vielleicht... Sie hörte, wie die Haustür sich mit leisem Surren öffnete und schlug die Augenlider wieder auf. Noch bevor sie die Treppe erreichte, wusste sie von der Art der Schritte, dass es ihre Mutter war, die soeben nach Hause gekommen war. „Hallo, Mama“, sagte sie leise, als sie in die Küche hineinging. Ihre Mutter, die eine weiße Plastiktüte auf den Küchentisch abgestellt hatte, sah auf. „Ah, du bist schon da, Fumi-chan“, murmelte sie und schüttelte dann den Kopf, wie um sich selbst zu korrigieren. „Natürlich bist du schon da.“ Ihre Mutter hatte wie sie rotes Haar, das lockig über ihre Schultern fiel. Sie trug hellen, roten Lippenstift auf den Lippen und hatte auch ihre Augen geschminkt. Trotzdem konnte sie damit nicht kaschieren, dass sie wenig geschlafen hatte in den letzten Nächten. „Wie geht es Taro?“, fragte Fumiko und lehnte gegen sich gegen den Türrahmen. „Etwas besser“, erwiderte ihre Mutter und ging zu der Tüte hinüber. In ihr waren Medikamente. „Sie haben gesagt, dass er in zwei, drei Tagen vielleicht wieder nach Hause kann.“ „Das ist doch gut“, murmelte das Mädchen, wenn auch nicht sonderlich enthusiastisch. „Ja...“ Ihre Mutter nahm eine Box aus der Tüte. „Ich habe aus dem Krankenhaus neues Insulin mitgenommen.“ Fumiko sah die Medikamentenschachtel, die ihre Mutter nun in den Kühlschrank stellte, an. „Gut“, murmelte sie. Ihren Tonfall ignorierend sah ihre Mutter auf die Uhr. „Macht es dir was, wenn wir etwas zu essen bestellen?“ Daraufhin zuckte das Mädchen nur mit den Schultern. Egal was sie sagte, sie würden das Essen ja sowieso bestellen. Am nächsten Tag hatte Fumiko das erste Mal richtigen Unterricht. Sie hatte Glück, denn der Tag begann direkt mit Englisch und Literatur, zwei Fächer in denen sie gut war, da sie schon immer viel gelesen hatte. Mathe hatten sie im letzten Block vor der Mittagspause. Zu ihrem Glück nahm ihre Englischlehererin sie der Reihe nach dran. Denn während sie sich unsicher war, ob sie wirklich aufzeigen sollte, fiel ihr das Vortragen an sich leicht. „Very well. Sehr schön“, sagte Frau Toshiku, nachdem Fumiko mehrere Sätze auf Englisch vorgelesen und dann ins Japanische übersetzt hatte. „Wirklich sehr gut.“ Mami, die zwei Reihen vor ihr saß, lächelte ihr zu. Während des Unterrichts schrieb Fumiko mit. Sie war in den meisten Fächern eigentlich recht gut, wenn auch nur, weil sie viel lernte. So schaffte sie es immer, wenn sie dran kam, die richtige Antwort zu geben und merkte, wie ihr einige ihrer neuen Mitschüler bewundernde Blicke zuwarfen. Sie errötete. Schließlich begann die Mittagspause. Gerade als Fumiko, die zum Krankenzimmer musste, um sich ihr Insulin zu holen, zur Tür hinaus wollte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter. „Nagasaki-san?“, fragte Mamis Stimme. Fumiko drehte sich zu ihr herum. „Ja?“ „Willst du mit uns in die Mensa gehen?“, fragte sie und Fumiko sah zwei Mädchen, die hinter ihr standen. „Das sind Segawa-san und Itou-san. Ich war mit ihnen in der Grundschule“, erklärte Mami, als sie ihren Blick bemerkte. Unsicher sah Fumiko sie an. „Ich... Ich komme gleich nach“, sagte sie dann leise. „Ich muss noch wohin.“ Sie wollte ihnen nicht sagen, dass sie ins Krankenzimmer musste. Sie wollte nicht, dass es gleich alle wussten und sie bemitleideten oder glaubten, dass sie nichts vertrug. Es war an der Grundschule schon schlimm genug gewesen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte nun eins der beiden Mädchen - ihr Haar war lang, glatt und braun. Sie sah sie besorgt an. „Ja“, flüsterte Fumiko. „Ich... muss nur wohin.“ „Ach so...“ Offenbar schien das Mädchen – Segawa-san, so hatte Mami sie genannt - zu glauben, dass sie aufs Klo musste, doch Fumiko bemühte sich nicht sie zu korrigieren. „Ich komme gleich nach, okay?“, fragte sie besorgt, denn sie wollte niemanden vor den Kopf stoßen. „Ja, sicher, kein Problem“, meinte das andere Mädchen, dessen Haar nicht ganz so lang war und durch eine Spange an der Stirn zurückgehalten wurde. „Bis später.“ Fumiko nickte ihnen zu und machte sich dann auf den Weg zum Zimmer der Krankenschwester, das im ersten Stockwerk des Schulgebäudes lag. Diese war freundlich, aber distanziert. Wie immer maß Fumiko ihren Blutzucker, ehe die Schwester ihr die passende Menge Insulin in eine spezielle Spritze gab. Danach machte sie sich auf den Weg zur Mensa, die im obersten Geschoss des Gebäudes war. Als sie die Treppe hinaufkam und sich umsah, winkte Mami ihr zu, die mit den anderen Mädchen an einem Tisch direkt neben der Fensterfront saß. Lächelnd ging Fumiko zu ihnen hinüber. „Alles in Ordnung?“, fragte Itou, das Mädchen mit dem schwarzen Haar. „Ja“, erwiderte Fumiko, wie immer mit gesenkter Stimme. Sie holte die Bentobox heraus, die ihre Mutter ihr mitgegeben hatte. „Kaufst du dir nichts?“, fragte Segawa vorsichtig. Stumm schüttelte das Mädchen den Kopf. „Nein.“ Ihre Mutter hatte immer Angst, dass sie zu viel oder zu wenig aß, weshalb sie dabei blieb es zu kontrollieren. „Hast du das Bento selbst gemacht?“, fragte Mami nun und sah auf die Box. „Nein“, erwiderte Fumiko. „Das hat meine Mutter für mich gemacht...“ Sie schwieg für einen Augenblick. „Sie will, dass ich mich gesund ernähre.“ „Vielleicht sollte ich mich auch gesünder ernähren“, meinte Segawa, die gerade die Verpackung eines Schokoriegels geöffnet hatte, und sah auf die kalorienreiche Schokolade. „Würde dir sicher gut tun“, kommentierte Itou und knuffte sie in die Seite. „Vielleicht nimmst du dann ja etwas ab.“ Mit gekünstelter Empörung sah Segawa sie an. „Was soll das denn heißen?“ Mami lachte leise mit vorgehaltener Hand und nun merkte Fumiko, wie sich ein leichtes Lächeln um ihre Lippen kräuselte. Es fühlte sich gut an. Zwar merkte sie, wie ihr Gewissen protestierte, dass sie ihre neuen Freunde belog, doch war es so viel besser, als bemitleidet zu werden. Sie wollte nicht mehr diejenige sein, die von gleichaltrigen schuldbewusst angesehen wurde, wenn diese Süßigkeiten aßen. Sie wollte nicht mehr mit Samthandschuhen angefasst werden. „Übrigens“, meinte Mami, als sie sich auf den Rückweg zur Klasse machten. „Nagasaki-san...“ Sie verlangsamte ihren Schritt, so dass auch Fumiko nun stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. „Ja?“, fragte sie. „Wir wollten dich fragen, ob du am Wochenende nicht mit uns zum Einkaufszentrum willst?“ „Zum Einkaufszentrum?“ Fumiko konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Nun klopfte ihr Itou auf die Schulter. „Ja, shoppen und so. Mädchenkram.“ „Ich wollte mir außerdem die neue CD von Starshine holen“, meinte Segawa. Offenbar verriet Fumikos Gesichtsausdruck, dass sie nicht einmal wusste, was Starshine war, denn Segawa sah sie leicht schockiert an. „Sag bloß, du kennst Starshine nicht?“ Fumiko wurde rot und senkte den Blick. „Nein, tut mir leid.“ „Unglaublich“, stellte das andere Mädchen fest. Es schüttelte den Kopf. „Daran müssen wir dringend etwas ändern.“ „Du tust mir leid“, flüsterte Itou ihr ins Ohr. „Du wirst dir nun einiges anhören dürfen...“ Der Samstag kam. Bereits als sie aufwachte, stellte Fumiko fest, dass sie sich besseres Wetter nicht hatte wünschen können. Auch wenn sie wohl ohnehin im Einkaufszentrum sein würden, wo ihnen auch der Regen nicht geschadet hätte, so freute sie sich, als sie sah, dass der Himmel strahlend blau war und nur einzelne weiße Schäfchenwolken an ihm zu sehen waren. Es schien warm und angenehm zu sein. „Und du bist dir sicher, dass du das alles schaffst?“, fragte ihre Mutter beim Frühstück besorgt. „Denk daran, dass du um eins essen musst und nicht zu wenig.“ „Mach dir nicht so viele Sorgen, Mama“, meinte Tarou, der seit dem Vortag wieder Zuhause war. Anders als Fumiko hatte er braunes Haar, das kurz, aber von der Nacht noch kraus, von seinem Kopf hing. „Fumiko bekommt das sicher hin. Sie ist kein kleines Kind mehr. Irgendwann muss sie sich ohnehin selbst um alles kümmern.“ „Ich mach mir doch nur Sorgen“, verteidigte sich ihre Mutter. Ihr Vater aß nicht mit ihnen. Er war am vergangenen Tag erst spät nach Hause gekommen. „Ich denke schon an alles“, meinte Fumiko zurückhaltend. „Das kann ich doch schon lange.“ „Ich weiß doch, Fumiko-chan.“ Ihre Mutter sah sie an, wobei ihr zweifelnder Gesichtsausdruck jedoch etwas anderes sagte, als ihre Worte. „Aber du weißt, dass du vorsichtig sein musst.“ Ihr Blick glitt besorgt zu Tarou. „Jetzt lass ihr doch ihren Spaß, Mama“, erwiderte der, ähnlich wie Fumiko, für sein Alter recht kleine und hagere Junge. Tatsächlich ließ sich ihre Mutter jedoch nicht davon abbringen, Fumiko mehrfach zu ermahnen ja nicht zu viel oder zu wenig zu essen, dies zu den geregelten Zeiten zu tun, mit Snacks nicht zu übertreiben und ja darauf zu achten, sich vor dem Mittagessen die richtige Dosis Insulin zu spritzen, bis das Mädchen schließlich um kurz vor elf das Haus verließ. „Ich pass schon auf mich auf“, meinte sie zum Abschied. „Mach dir keine Sorgen, Mama.“ Sie wollte sich mit den anderen Mädchen um halb zwölf an der dem Einkaufszentrum am nächsten gelegenen Straßenbahnhaltestelle treffen und sie hatte sich schon lange nicht mehr so auf etwas gefreut. Ihre Freizeit mit anderen zu verbringen, die sie vollkommen normal behandelten, das hatte ihr so lange gefehlt. Sie wollte, dass es so blieb. Um jeden Preis! Und deswegen durften die anderen Mädchen nichts von ihrer Krankheit erfahren. Immerhin, wenn sie genug spritzte, sollte sie auch Süßigkeiten essen können, so lang sie es nicht übertrieb. Zumindest etwas... Denn ihre Mutter musste doch nichts davon wissen. Fumiko merkte, dass ihr Kopf schwirrte, als sie wieder aufwachte. Schon, als sie die weiße Decke sah, war ihr klar, dass sie im Krankenhaus war und schnell kam die Erinnerung an das passierte. Sie war ohnmächtig geworden, im Einkaufszentrum. Warum nur? Nun, eigentlich wusste sie, warum. Sie musste sich zu viel Insulin gespritzt haben. „Sie ist wach“, hörte sie eine leise Stimme sagen und legte den Kopf zur Seite. An der Wand des kleinen Krankenhauszimmers standen zwei Stühle, auf denen ihr Bruder und ihre Mutter saßen. Neben ihrem Bett standen außerdem ein EKG-Gerät und ein Ständer, an dem ein Beutel mit spezieller Ringerlösung – so vermutete sie – hing. Der Katheter steckte in ihrer linken Hand. Ihre Mutter sah nun auf. „Oh, Fumiko-chan. Du bist wach“, flüsterte sie und erhob sich. „Ja“, antwortete sie mit krächzender Stimme. Ihr Hals war trocken. Nun hatte ihre Mutter ihr Bett erreicht. „Wie geht es dir?“ Darauf antwortete Fumiko nichts. Was sollte sie auch antworten? Sie fühlte sich nicht gut. Ihr war etwas übel, ihr war schwindelig und ihr Kopf schmerzte. Außerdem fühlte sie sich matt. Aber sie wusste, dass dies ganz natürlich war und dass sie sich eigentlich glücklich schätzen könnte, dass es ihr nicht schlechter ging. „Wo sind Tomoe-san und die anderen?“, fragte sie schließlich, anstatt auf die Frage ihrer Mutter einzugehen. „Deine Freunde waren nicht hier“, erwiderte Tarou. „Sie durften sicher nicht mit dem Krankenwagen mitkommen“, erklärte er dann schnell. „Vielleicht kommen sie dich morgen besuchen.“ Natürlich. Mami oder eine der anderen musste den Krankenwagen gerufen haben. Wussten sie, was passiert war? Tatsächlich konnte Fumiko nicht umher zu hoffen, dass dem nicht so war. Sie wollte wirklich nicht, dass die anderen von ihrer Krankheit erfuhren. Sie hatte zu viel Angst davor, wie sie sie dann vielleicht behandeln würden. „Was machst du nur?“, brach es auf einmal aus ihrer Mutter hervor. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst darauf achten, wie viel du isst! Du weißt, wie gefährlich es sein kann. Denk doch an...“ Sie brach ab, doch sowohl Fumiko, als auch ihr Bruder wussten, dass sie „Denk doch an Tarou“ hatte sagen wollen. „Es tut mir leid“, flüsterte Fumiko und sah auf die weiße Decke unter der sie lag. „Ich...“ Doch sich dessen bewusst werdend, dass es eigentlich nichts gab, was sie dazu sagen konnte, um sich zu rechtfertigen oder ihre Mutter zu beruhigen, führte sie den Satz nicht zuende und verfiel in bedrücktes Schweigen. Ja, sie war dankbar, dass genau in diesem Moment eine Krankenschwester hineinkam. „Ah, Nagasaki-san ist wach“, stellte sie fest und sah dann zu Fumikos Mutter. „Sie hätten uns rufen sollen.“ „Ich bin erst gerade aufgewacht“, warf Fumiko schnell ein. Die noch recht junge Schwester musterte sie. „Gut“, meinte sie dann in neutralem Tonfall. „Wie fühlst du dich?“ Nun kam sie nicht um eine ehrliche Antwort herum. „Mir ist etwas schwindelig.“ Daraufhin nickte die Schwester. „Ja, natürlich.“ Sie wandte sich an Fumikos Mutter und Tarou. „Ich werde unseren Stationsarzt holen. Da die Besuchszeit gleich vorbei ist, muss ich Sie bitten, für heute zu gehen. Ihre Tochter scheint stabil zu sein. Sie müssen sich keine Sorgen machen.“ Ihre Mutter sah sie besorgt an, protestierte aber nicht. Dafür hatte sie ihre Kinder schon zu oft im Krankenhaus besucht. „Ich komme morgen wieder vorbei“, meinte sie sanft zu Fumiko und küsste sie auf die Stirn. „Sieh zu, dass du wieder gesund wirst“, sagte auch Tarou zu ihr und strich ihr durchs Haar, ehe er aus dem Zimmer ging. Fumiko schloss die Augen. Tatsächlich war sie froh, dass ihre Mutter hatte gehen müssen. Sie ertrug den besorgten Blick von ihr kaum. Ja, es wäre ihr so viel lieber, würde sie sauer werden, wenn so etwas passierte – denn es war nicht das erste Mal, dass dergleichen geschehen war. Nachdem der Arzt gegangen war, hatte eine andere Schwester noch einmal ihren Blutzucker gemessen und ihr etwas Insulin gegeben, da ihr Zuckerspiegel durch die Lösung im Tropf wieder gestiegen war. Dann ließ man sie allein. Draußen war es – wie immer im April – bereits dunkel und alles, was sie vom Fenster, das direkt neben ihrem Bett war, aus sehen konnte, waren der Himmel und Silhouetten einiger Hochhäuser in der Ferne. Sie hatten das Fenster gekippt, damit etwas Luft hineinkommen konnte und so sah Fumiko auf den vom Licht der Stadt etwas erhellten Nachthimmel. Die Sterne waren nicht zu erkennen, doch dafür hing ein großer, fast voller Mond in der Höhe und sandte sein weißes, mattes Licht auf sie hinab. Bald schon merkte sie, wie ihre Augen beinahe zufielen und sie fiel in einen nicht sonderlich tiefen Dämmerschlaf. Sie wusste nicht, wie lang sie so vor sich hin döste. Doch dann erwachte sie jäh. So jäh, dass sie sich unüberlegt aufsetzte und sich sogleich den dadurch schmerzenden Kopf halten musste. Sie blinzelte und der abgedunkelte Raum schien sich vor ihren Augen zu drehen. Was hatte sie geweckt? Ein Windzug ließ die weiße Gardine neben ihrem Bett leicht wirbeln und lenkte ihren Blick auf diese. Da sah sie es. Eine kleine Gestalt, die auf dem Fensterbrett saß und sie scheinbar durch den dünnen Gardinenstoff hindurch ansah. Ein Plüschtier? Fumiko runzelte die Stirn und streckte die Hand danach aus, ohne nachzudenken, als die katzenhafte Gestalt sich bewegte. Das Wesen sprang auf ihr Bett und erreichte mit einem weiteren Sprung den Bettrahmen zu ihren Füßen. Dort drehte es sich zu ihr um und sah sie mit blutroten Augen an. Nun spürte Fumiko ihr Herz angstvoll gegen ihre Brust hämmern. Was war dies für ein Wesen? Ein Geist? Oder träumte sie vielleicht nur? Zugegeben, das Wesen sah – von seinen roten Augen abgesehen – nicht sonderlich furchterregend aus. Es war gänzlich weiß, wie es schien, und hatte Ohren, die an die einer Katze erinnerten, aus denen jedoch weiteres Fell, wie die Schlappohren eines großen Hasen, hinabhing. Der Schwanz des Tieres war buschig und wippte hinter seinem Körper hin und her. Während sie es beobachtete brachte Fumiko kein Wort heraus. Wie war dieses Tier überhaupt in ihr Zimmer gekommen? Da erklang eine Stimme: „Nagasaki Fumiko.“ Verwirrt, aber nun etwas vorsichtiger, wandte sie sich um. Wer hatte gesprochen? „Nagasaki Fumiko“, wiederholte die jungenhafte Stimme und da wurde ihr klar, dass es das Wesen sein musste, das sprach. „Was...“, begann sie heiser. „Du... Woher...“ „Mein Name ist Kyubey“, antwortete das Wesen auf ihre unausgesprochene Frage. „Und ich beobachte dich schon sehr lang.“ Es beobachtete sie? Wieso? „Kyubey?“, wiederholte sie den Namen leise. Der Kopf des Wesens senkte sich in einem kaum merklichen Nicken. „Das ist richtig.“ Irgendwie schien dieses Tier – Kyubey – sprechen zu können, ohne seinen Mund zu bewegen. Als würde es über seine Gedanken mit ihr kommunizieren. „Das ist richtig“, wiederholte es nun und ihr wurde klar, dass es dabei auf das antwortete, was sie gerade gedacht hatte. Schweigend starrte sie das seltsame Tier an. „Was willst du von mir?“, fragte sie dann vorsichtig. „Ich will dir ein Angebot machen“, sprach Kyubey und seine Stimme klang in ihrem Kopf wider. „Denn ich suche Mädchen, die eine besondere Kraft haben. Die Kraft eine Puella Magi zu werden. Und du bist so ein Mädchen.“ „Ich?“, flüsterte Fumiko. Träumte sie oder erlaubte sich dieses Wesen einen Scherz mit ihr? „Puella Magi?“ „Ein magisches Mädchen“, erklärte Kyubey. „Ein Mädchen, das andere Menschen beschützt, indem es gegen Hexen kämpft. Denn du musst wissen, es gibt Wesen – für die meisten nicht sichtbar – die versuchen Menschen in tiefe Verzweiflung zu treiben und sie zu töten.“ Dabei klang seine Stimme vollkommen sachlich. „Puella Magi können gegen diese Hexen kämpfen, weshalb ich nach Mädchen suche, die die Kraft haben, Puella Magi zu werden.“ Ohne dass sie es bemerkte, stahl sich ein heiseres Lachen über Fumikos Lippen. „Ich habe keine Kraft“, flüsterte sie leise. „Sieh mich an. Ich bin klein, krank und schwach.“ Nun schüttelte das Wesen seinen Kopf. Es sprang wieder auf ihre Decke, machte einige Schritte und legte dann seine rechte Vorderpfote auf ihre Brust. „Die Kraft, auf die es ankommt, ist hier – in deinem Herzen. Mit allem anderen rüste ich dich aus.“ Kyubey hob nun wieder den Kopf und sah zu ihr auf. Auf diese geringe Entfernung konnte sie ihr eigenes Gesicht in seinen Augen erkennen. „Nagasaki Fumiko“, sprach er nun weiter. „Wenn du für mich eine Puella Magi wirst, wenn du für mich kämpfst, so erfülle ich dir einen Wunsch.“ „Einen Wunsch?“, wiederholte sie ungläubig. „Das ist richtig“, sagte Kyubey erneut und seine Ohren zuckten etwas. „Ich habe die Macht dir jeden Wunsch zu erfüllen.“ Er legte den Kopf schief. „Und es gibt etwas, das du dir wünscht, nicht? Einen Wunsch, nach dessen Erfüllung du dich schon lange sehnst, obwohl du weißt, dass es unmöglich ist, nicht?“ Fumiko schluckte. Ihr Hals schmerzte. Doch wusste sie, wovon dieses Wesen redete. „Kannst du wirklich...?“ „Ja“, antwortete Kyubey. „Ich habe die Macht diesen Wunsch zu erfüllen, wenn du dafür einen Pakt mit mir eingehst und Puella Magi wirst.“ „Puella Magi...“, flüsterte Fumiko. Erneut wehte der Wind die Gardinen etwas zur Seite und ließ das Fell Kyubeys im Licht des Mondes erstrahlen. Capitulum II: Puella Magi ------------------------- Immer wieder sah der ältere Arzt - Dr. Kanbara - auf die Ergebnisse des mittlerweile dritten Tests und dann zu Fumiko, die auf einem Stuhl im Besprechungszimmer der Station saß. Ihre Mutter, die neben ihr saß, schenkte dem Arzt einen fragenden Blick. „Was ist nun?“, erkundigte sie sich angespannt. Der Arzt schüttelte den Kopf und legte die hohe Stirn in Falten. „Ich kann es mir nicht erklären, Nagasaki-san“, meinte er schließlich, wobei er ein weiteres Mal den Kopf schüttelte, „aber die Blutwerte ihrer Tochter sind vollkommen in Ordnung.“ Sein Blick wanderte erneut zu Fumiko und sah sie mit unverhohlener Verwunderung an. „Ich kann es mir wirklich nicht erklären.“ Still erwiderte Fumiko seinen Blick und versuchte auch verwundert zu wirken. Ihre Hand war um einen Stein von oranger Farbe geklammert, den sie von dem seltsamen Wesen Kyubey erhalten hatte. Er hatte sie ermahnt den Stein stets bei sich zu tragen. Wäre er nicht gewesen, so hätte sie jenes Gespräch für einen Traum gehalten. Und doch... Es schien, als hätte das Wesen sein Versprechen erfüllt. Sie hatten es am nächsten Morgen erwähnt. Eine Schwester hatte ihr ihr morgendliches Insulin gespritzt, auch wenn sie verwundert war, dass ihr Blutzucker bereits wieder recht stabil war. Doch anstatt ihre Werte weiter zu stabilisieren, hatte sie diese erneut in den Keller getrieben. Als sie daraufhin untersucht worden war, hatten die Ärzte natürliches Insulin gefunden, und zwar in ausreichenden Mengen. Es folgten weitere Untersuchungen, die jedoch alle dasselbe Ergebnis hatten: Ihre Bauchspeicheldrüse war wieder gesund. Es war ein Wunder. Wie hatte dieses Wesen - wie hatte Kyubey dies vollbracht? „Also ist Fumiko gesund?“, fragte ihre Mutter nun ungläubig und sah den Arzt an, der seine dickrändrige Brille zurechtrückte. „Ja“, sagte er mit einem tiefen Seufzen. „Es sieht ganz danach aus.“ Mit einem Blick zur Seite bemerkte Fumiko, dass Tränen die Augen ihrer Mutter füllten. „Aber wie ist das möglich?“ Wieder schüttelte der Arzt den Kopf. „Ich weiß es nicht.“ Für einige Sekunden herrschte ein seltsames, ratlos wirkendes Schweigen in dem Zimmer, ehe es erneut Fumikos Mutter war, die die Stimme erhob. „Dann kann sie entlassen werden?“ Dr. Kanbara reagierte nicht sofort, nickte dann aber sehr langsam. „Ja, ich denke schon“, meinte er. „Ich sehe nichts, was dagegen spricht.“ Nur wenige Minuten später stand Fumiko auf dem Flur des Krankenhauses. Man hatte sie angewiesen zu warten, während ihre Mutter die Formalitäten regelte, und sie war froh, dass niemand Einwände dagegen gehabt hatte, dass sie das Zimmer verließ. Nun schlürfte sie durch den Flur, dessen linke Wand von zur kleinen Grünanlage des Krankenhausgelände ausgerichteten Fenstern durchsetzt war. Noch immer trug sie einen weißen Pyjama, wie immer wenn sie im Krankenhaus lag. Doch dies sollte das vorerst letzte Mal sein. Sie schlürfte weiter den Flur entlang und blieb schließlich vor einer der Ruhezonen, in der auch ein Getränkeautomat stand, stehen. Hier war die gesamte Wand verglast, so dass sie auf den sehr kleinen Park hinabsehen konnte. Es war ein Montagmorgen und es waren kaum Besucher hier. Langsam ging sie zum Fenster hinüber und sah hinaus. Nun, da sie gesund war, würde sich alles ändern... Oder? Sie öffnete die Hand und sah auf den halb durchsichtigen, eiförmigen Stein in ihrer Hand, der von einem goldenen Metall eingefasst war. „Seelenstein“ hatte Kyubey diesen Stein genannt. „Fumiko-chan?“, hörte sie eine schwache Stimme hinter sich. Erschrocken drehte sie sich herum und sah ein blasses Mädchen - etwa im selben Alter wie sie selbst - in einem Rollstuhl vor der offenen Tür des Ruhebereiches zu ihr herübersehen. Die Haare des Mädchens waren lang und schwarz und eine rot gefasste Brille saß auf ihrer Nase. „Homuhomu...“, murmelte Fumiko und sah dann zu der Schwester, die den Rollstuhl des Mädchens schob. Sie kannte dieses Mädchen schon länger, da sie, wie sie selbst und ihr Bruder, schon seit langer Zeit immer wieder in dieses Krankenhaus kam. Ihr Name war eigentlich Akemi Homura und sie war mit einem angeborenen Herzfehler auf die Welt gekommen, weshalb sie schon mehrfach operiert worden war. „Ich habe gehört, dir geht es besser?“, fragte das bleiche Mädchen. Mit einem etwas schlechten Gewissen sah Fumiko sie an. „Ja.“ Homura lächelte. „Das freut mich“, meinte sie freundlich. Unsicher erwiderte Fumiko ihr Lächeln, wusste aber, dass sie eher besorgt wirkte. „Und was ist mit dir?“ Auf diese Frage antwortete Homura nicht sofort. Sie reckte den Hals etwas, um sich zu der Schwester umzusehen, die etwas ungeduldig wirkte. „Nun, sie sagen, dass ich wahrscheinlich noch einmal operiert werden muss“, antwortete sie dann leise. „Tut mir leid“, flüsterte Fumiko. „Das muss es nicht“, antwortete Homura. „Vielleicht wird es danach ja besser gehen.“ Nach einem kurzen Zögern nickte Fumiko. „Ich drücke dir die Daumen.“ „Danke.“ Die Stimme des anderen Mädchens klang aufrichtig und sie sah lächelnd zu Fumiko, ehe die Schwester sie weiter in Richtung ihrer Station schob. Fumiko bemerkte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Dann jedoch folgte sie einem Impuls und lief auf den Gang hinaus. „Ich komme dich besuchen, Homuhomu“, rief sie dem anderen Mädchen halblaut hinterher. Dieses reagierte nicht, so dass sie sich nicht sicher war, ob sie es überhaupt gehört hatte. Mit einem weiteren Seufzen sah Fumiko auf den Seelenstein in ihrer Hand. Ob Kyubey auch Homura heilen konnte? Für einige Momente sah sie zu, wie der Stein im Licht der Sonne glitzerte. Sie hatte das Gefühl, das Licht würde durch ihn pulsieren, fast als wäre der Stein lebendig. War es vielleicht ein weiteres Wunder, das dieser Kyubey erzeugt hatte? Den Stein gegen die Brust gepresst, versprach sie, dass sie Homura besuchen kommen würde, damit diese nicht vollkommen allein war. Vielleicht konnte sie ja Mami und die anderen mitbringen? Sie lächelte leicht. Die drei Mädchen hatten sie am Samstagnachmittag besucht. Vielleicht hatte sie wirkliche Freunde gefunden... Der Lärm vieler Schüler schlug Fumiko am folgenden Tag entgegen, als sie das Schulgebäude betrat. Sie fühlte sich viel leichter als sonst, sicherer. Beschwingten Schrittes ging sie zwischen den anderen Schülern den Gang entlang und die Treppe zum zweiten Stock, in dem sich ihr Klassenzimmer befand hinauf. Sie konnte es kaum erwarten Mami und die anderen wiederzusehen. Zum Glück hatte sie nur einen Tag gefehlt. Als sie ankam saß Mami bereits auf ihrem Platz und schien in ein Buch vertieft zu sein. „Guten morgen, Tomoe-san“, begrüßte sie das Mädchen, als sie hinter ihm stand. Überrascht sah dieses sich um und sah sie an. „Du bist wieder da, Nagasaki-san?“, fragte es, ehe ihm auffiel, dass sie unfreundlich war. „Ich meine... Guten Morgen.“ Sie lächelte. Glücklich erwiderte Fumiko das Lächeln. „Ja, ich bin schon wieder da“, antwortete sie. „Ich bin gesund.“ Nun fiel ihr auf, dass Mami ihrem Blick unwillkürlich auswich. „Gesund?“ Mami wirkte verunsichert. „Du meinst, dir geht es besser, oder?“ Normal wäre Fumiko durch ihre Reaktion selbst verunsichert worden, doch heute, da sie so voller Hoffnung war, ließ sie sich nicht beirren. Natürlich hatte es sich nicht vermeiden lassen, dass Mami und die anderen beiden erfuhren, an welcher Krankheit sie litt, als sie von ihnen im Krankenhaus besucht worden war. „Nein“, sagte sie und lächelte. „Ich bin gesund.“ Für einen Augenblick schwieg sie. „Die Ärzte sagen, es sei ein Wunder“, ergänzte sie dann. Noch immer wirkte das andere Mädchen verunsichert. „Machst du einen Witz?“, fragte sie vorsichtig und eindeutig ungläubig. Fumiko schüttelte ihren Kopf. „Nein. Es stimmt wirklich. Die Ärzte können es sich auch nicht erklären, aber ich bin wieder gesund.“ Für eine Weile schwieg Mami und sah sie schließlich wieder an, wobei sie ihre Stirn runzelte. Als sie jedoch keine Spur von Schuld oder Zurückhaltung in Fumikos Gesicht entdecken konnte, lächelte sie schließlich. „Wirklich?“ Nun nickte Fumiko. „Ja. Wirklich.“ „Das ist ja unglaublich...“, murmelte Mami voller Verwunderung. „Ich weiß“, antwortete Fumiko. Mittlerweile hing der Seelenstein an einer Kette und wurde von ihrer Schuluniform verborgen. Der Stein fühlte sich überraschend warm auf ihrer Haut an, was sie in dem Eindruck, dass er lebte, noch mehr verstärkte. Wenn Kyubey die Macht hatte, ihre Krankheit zu heilen, vielleicht konnte er dann auch lebende Steine schaffen. Für einen Moment überlegte sie, Mami von dem seltsamen Wesen zu erzählen, ihr den Grund für die Wunderheilung zu verraten, doch dann verwarf sie den Gedanken. Vielleicht konnte sie ihr später davon erzählen, doch nicht jetzt; nicht hier. „Das ist wirklich unglaublich“, murmelte Itou Sayaki und sah auf den Käsekuchen, der auf dem Teller vor Fumiko lag. Eigentlich hatte ihre Mutter ihr noch immer kein Geld geben wollen, um sich etwas in der Schule zu kaufen, da sie selbst die Heilung noch nicht ganz glauben wollte. Doch letzten Endes war es ihr Vater gewesen, der heute morgen ausnahmsweise noch da gewesen war, als sie gefrühstückt hatten, und ihr etwas Geld gegeben hatte. Das rothaarige Mädchen antwortete nicht, da sie kaum Zeit zwischen den verschiedenen Bissen fand. Es war so lange her, dass sie etwas Süßes hatte essen können, ohne sich Gedanken um die Folgen machen zu müssen und ohne dass ihre Mutter sie böse dabei ansah. Und zumindest im Moment glaubte sie nie etwas so köstliches wie diesen Käsekuchen gegessen zu haben. „Ihr scheint es zu schmecken“, stellte Segawa fest und kicherte. „Jetzt mach dich nicht über sie lustig“, erwiderte Itou und sah ihre Freundin gespielt strafend an. „Mache ich gar nicht“, meinte das andere Mädchen grinsend. Fumiko griff nach dem Glas mit Cola, das vor ihr stand und nahm einen Schluck. Ihre Mutter hatte sie nie Limonaden trinken lassen. „Willst du wirklich heute nur Süßigkeiten essen?“, fragte Mami und klang dabei eher besorgt als belustigt. Anstatt zu antworten zuckte Fumiko, die schon wieder einen Bissen Käsekuchen im Mund hatte, mit den Schultern. „Ach, lass es ihr“, erwiderte Itou lächelnd. „Natürlich...“ Mami lächelte nun ebenfalls. „Ich meine nur... Man sollte es nicht übertreiben.“ Nun schluckte Fumiko. „Aber es schmeckt so gut“, meinte sie, ehe sie den nächsten Bissen nahm. „Pass nur auf, dass du nicht zu dick wirst“, lachte Itou und grinste sie an. „Ach was“, antwortete Fumiko. „Und selbst wenn...“ Sie nahm das letzte Stückchen, das von dem Kuchen übrig war und steckte es sich in den Mund. „Mir egal“, nuschelte sie dann mit vollem Mund. Segawa und Itou tauschten Blicke, ehe sie mit den Schultern zuckten. „Na ja, zumindest schmeckt es dir“, stellte Itou schließlich fest. „Auf jeden Fall.“ Fumiko grinste. So gut wie heute hatte sie sich seit Jahren nicht gefühlt. Noch immer leichten Schrittes ging sie die vom Licht der untergehenden Sonne beschienene Straße entlang, die nach Hause führte. An der Straßenbahnstation hatte sie sich von Itou und Mami verabschiedet, die noch etwas weitergefahren sind. Nun kramte sie einen Schokoriegel aus ihrer Tasche hervor. Sie wusste, dass ihre Mutter es nicht gerne sehen würde, selbst wenn sie nun gesund war. Also aß sie ihn jetzt, bevor sie nach Hause kam. Als Kind, bevor man die Krankheit festgestellt hatte, hatte sie ab und an immer etwas Schokolade von ihrem Vater bekommen, obwohl dieser selbst keine aß. Ihr Bruder und sie hatten wirklich Pech gehabt. So häufig wurde die Krankheit nicht vererbt und dass sie beide erkrankt waren, wäre eigentlich recht unwahrscheinlich gewesen. Und doch hatten sich bei ihnen beiden die Symptome schon früh gezeigt. Genussvoll biss sie in den Schokoriegel. Es war himmlisch, wie die Schokolade in ihrem Mund schmolz. So süß. Für einen Moment blieb sie stehen und atmete tief durch. Sie konnte endlich freier Leben. Mit anderen etwas essen - und ganz ohne Spritzen. „Fumiko-chan!“, hörte sie in dem Moment eine Stimme. Überrascht sah sie sich um, wer nach ihr gerufen hatte, als sie die Stimme erneut hörte. „Fumiko-chan!“ Ihr wurde klar, dass die Stimme in ihrem Kopf war, und dass sie jenem seltsamen Wesen gehörte, das sie geheilt hatte. „Kyubey?“, fragte sie laut, da sie nicht wusste, wie sie sonst mit ihm kommunizieren konnte. „Komm schnell“, wies die Stimme sie an. „Ich habe eine Hexe aufgespürt.“ Fumiko schreckte zusammen. Sie hatte schon fast den anderen Teil ihres Paktes vergessen. Sie würde als Puella Magi - wie das Wesen es genannt hatte - Hexen bekämpfen, die die Menschen bedrohten. Sie spürte etwas Angst in sich aufsteigen, doch dann versuchte sie sich zu beruhigen und klare Gedanken zu fassen. Kyubey hatte ihr magische Kräfte versprochen. Sie konnte kämpfen. Sie war nicht schwach. „Wo?“, fragte sie nun mit gesenkter Stimme. „Nicht weit von der Station, wo du ausgestiegen bist entfernt“, erwiderte das Wesen. „Komm schnell. Die Barriere wird sich bald öffnen, und dann könnte sich jemand verirren.“ Für einige Sekunden zögerte Fumiko. Doch dann griff sie nach dem Seelenstein unter ihrer Uniform und fasste sich ein Herz. Sie machte kehrt und rannte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Sie lief durch die schmale Straße des abgelegenen Wohnviertels, an verschiedenen kleineren Einfamilien- und Apartmenthäusern vorbei, deren Mauern im Licht der Sonne schimmerten. Kyubey hatte sie gerettet. Immerhin hatte er sie geheilt. Ein Glück von dem andere nicht sprechen konnten. Sie dachte an Homura, die wohl ein weiteres Mal operiert werden müsste, und an ihren Bruder. Ja, sie hatte Glück gehabt, dass Kyubey ihr diese Möglichkeit gegeben hatte. Was würde es schon machen ein wenig zu kämpfen? Was konnte ihr passieren? Sie erinnerte sich an die Heldinnen, die sie früher in verschiedenen Anime bewundert hatte, als sie noch in die Grundschule ging. Diese hatten es immer geschafft ihre Gegner zu besiegen, weil sie magische Kräfte hatten. Und wenn Kyubey ihr magische Kräfte gab.... Wieso sollte es bei ihr anders sein? Wenn es Magie gab... „Nach links“, wies Kyubeys Stimme sie an. Sie folgte und bog in die nächste linke Seitenstraße ein. Hier, nahe der Station, standen die Häuser etwas enger, als in der Gegend, wo sie lebte. „In die nächste Gasse links“, hörte sie die Stimme erneut. Mittlerweile schon etwas atemlos bog sie ab und lief an der Seite eines Restaurants vorbei. „Jetzt nach rechts!“ Sie folgte der Anweisung und bog in eine weitere, sehr dunkle Gasse ein. Und dann spürte sie es. Sie konnte das Gefühl nicht genau beschreiben, aber es war, als wäre sie durch eine Mauer aus Eis gelaufen. Nun war sie auf einem kleinen Hinterhof angelangt, auf dem einige Müllcontainer, die offenbar zu einem Geschäft gehörten, standen. Hier, mitten auf dem Hof, stand Kyubey und starrte auf einen Fleck in der Luft. Sie folgte seinem Blick und erkannte, dass dort etwas pulsierte - etwas dunkles. Langsam kam sie näher. „Du bist da“, sagte Kyubey zu ihr und sah sie an. „Gut.“ Schwer schluckte Fumiko, als sie näher an den dunklen Fleck kam, der in der Luft zu schweben schien und dann sah sie auf einmal, nur für einen kurzen Augenblick, ein Bild. Seltsam verschwommene Krähen, die von einem skizzenhaft wirkenden Baum flogen. „Die Barriere hat sich bereits geöffnet“, meinte Kyubey nun und sah sie an. „Wir müssen uns beeilen.“ „Was... Was soll ich tun?“, fragte Fumiko leise. „Strecke deine Hand aus“, sagte das seltsame Wesen und warf ihr einen Blick zu. Sie tat, wie ihr geheißen und streckte die rechte Hand der pulsierenden Stelle entgegen. Da bemerkte sie auf einmal einen Ring an ihrem rechten Ringfinger. War er vorher schon dort gewesen? Auf dem Ring saß ein Stein in demselben Orange, wie der Seelenstein, den Kyubey ihr gegeben hattte. Plötzlich öffnete sich eine Art Tür vor ihr, die in einen schwarzen Gang zu führen schien. Sofort sprang Kyubey hinein. „Schnell.“ Sie folgte ihm. Nun glaubte sie, zu wissen, was sie zu tun hatte. Während sie Kyubey folgte, hielt sie die rechte Hand vor ihre Brust und der Stein im Ring leuchtete auf, worauf der Seelenstein an ihrer Brust reagierte. Das Licht umgab sie, während sie lief, für einen Moment, und als sie das nächste Mal an sich hinunter sah, hatte sich ihre Kleidung komplett verändert. Statt ihrer Schuluniform trug sie nun ein rüschenbesetztes Kleid, das einen puffartigen Rock hatte. Es schien aus rotem und rosanem Stoff zu bestehen. Beide Farben flossen in Streifen an ihr herab. Und während der Seelenstein nun als oberster Knopf in Gestalt einer Schleife auf ihrer Brust saß, war ihr Hals von einem dunklen Kragen umfasst. Sie trug ebenso dunkle Stulpen an Armen und Beinen. Ihre Füße steckten in roten Lackstiefeln und in ihrer Hand war etwas erschienen, was an eine Mischung aus einem Zepter und einem Zauberstab erinnerte. Da hörte sie ein lautes Krächzen und aus der Dunkelheit, die sich vor und hinter ihr erstreckte, kamen rote Punkte auf sie zu. „Was...“, begann sie vollkommen überrascht. „Das sind die Untertanen der Hexe“, antwortete ihr Kyubey auf die unausgesprochene Frage. „Wir sind in ihrem Labyrinth. Und wir müssen sie möglichst bald finden.“ „Was soll ich tun?“, fragte Fumiko verzweifelt, als die seltsam schattenhaft wirkenden Krähen mit ausgestreckten Krallen auf sie zukamen. Sie zuckte zusammen, als die ersten Krallen ihre Haut durchschnitten. „Nutze deine Kräfte!“, rief Kyubey. Eine weitere Krähe zerkratzte die schützend über den Kopf gehobenen Arme, während eine andere an ihren Zöpfen zog. Für einen Moment wollte sie weglaufen, doch dann dachte sie wieder an Homura und daran, dass vielleicht andere in Gefahr waren, wenn sie nicht kämpfte. Da leuchtete der Zauberstab in ihrer Hand auf, an dessen Spitze eine samtene Kugel saß. Diese sandte nun ein seltsam gleißendes Licht aus, das die seltsamen Krähen zumindest zurückschrecken ließ. Fumiko sah auf den Stab in ihrer Hand. Was war nun ihre Fähigkeit? Konnte sie wirklich zaubern? Sie schloss die Augen und ließ den Stab durch die Luft sausen und stellte sich vor, wie sie selbst Monster rief, die sie beschützten. Als sie die Augen wieder öffnete schossen Schlangen aus Licht aus dem oberen Teil des Stabs hervor und verschlangen die schattenhaften Krähen gänzlich, ehe sie selbst verblassten und schließlich gänzlich verschwanden. Während sie selbst noch ungläubig in der seltsamen Dunkelheit stand, lief Kyubey voraus, drehte sich dann aber zu ihr um. „Komm, Fumiko-chan. Wir müssen weiter“, sagte er mit sachlicher Stimme. „Je länger wir warten, desto stärker wird die Hexe werden.“ Nach einem kurzen Zögern nickte das Mädchen und lief dem Wesen hinterher, dessen weißes Fell wie ein blendend helles Licht in ihrer beinahe komplett schwarzen Umgebung wirkte. „Hier kommen sie wieder“, warnte Kyubey sie vor. Tatsächlich konnte sie im nächsten Moment wieder das Krächzen der Krähen hören, zögerte dieses Mal jedoch nicht. Wieder schwang sie den zepterartigen Stab durch die Luft und dieselben Schlangen erschienen, um den unheilsvollen Vögeln entgegen zu schweben und sie zu verspeisen. Im Licht ihrer Schlangen fiel Fumiko etwas auf. „Die Kratzer sind schon verheilt...“ Ungläubig starrte sie auf ihre Arme. Kyubey sah sie nur kurz an. „Natürlich. Du heilst schneller, sogar schneller als andere Puella Magi, da dein Wunsch ein Wunsch der Heilung war.“ Dies sagte das Wesen in einem so sachlichen Ton, als wäre es komplett natürlich. Nun, vielleicht war es das auch für Kyubey. „Nun komm schon. Beeil dich.“ So liefen sie weiter und langsam begann der seltsame Gang weiter zu werden und seltsame rote Schlieren zierten nun die weiterhin schwarzen Wände. Rote Schlieren, die erschreckende Ähnlichkeit mit Blut hatten. Es lief Fumiko kalt den Rücken herunter und sie schüttelte sich. „Sei vorsichtig“, warnte Kyubey. „Wir kommen näher...“ Da kamen sie auf einmal in einen Raum - eine Art Saal, der komplett rund zu sein schien. Auch seine Wände waren von Schlieren durchzogen und dort waren Türen, drei an der Zahl, die gräulich schimmerten und von demselben Rot gerahmt waren. Auch die vier Fackeln - jeweils zu den Seiten der Türen - brannten in diesem Rot, wobei das rötliche Licht jedoch kein wirkliches Feuer zu sein schien. „Wo muss ich lang?“, fragte Fumiko leise. Kyubey lief an allen drei Türen vorbei, sah sie jeweils an und legte dann den Kopf zur Seite. „Ich kann es nicht sagen.“ Diese Feststellung ließ das Mädchen zusammenzucken. Ihr Herz hämmerte angstvoll. „Was soll ich dann tun?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Entscheide dich selbst“, erwiderte das seltsame Wesen. Ungläubig sah Fumiko Kyubey an, fast als würde sie erwarten, dass er einen Scherz machte. Doch als er kein Anzeichen zeigte, dass er dergleichen tat, wandte sie sich den Türen zu. Was lauerte hinter ihnen? Und was würde passieren, wenn sie die falsche Tür wählte? „Folge einfach deinem Instinkt“, schlug Kyubey ihr nun vor. Kurz warf sie ihm einen Blick zu, sah dann wieder zu den Türen. Schließlich ging sie auf die mittlere der drei Türen zu und streckte die Hand aus. Wonach wusste sie nicht, dann eine Klinke oder einen Türknauf konnte sie nirgends entdecken. Doch genau einen Moment, bevor sie die Tür berühren konnte verschwand diese auf einmal und einen Augenblick später schossen dornenbehaftete Ranken aus dem sich ergebenden Hohlraum hervor und schlangen sich um Fumiko herum. Noch ehe sie auch nur schreien konnte, wurde sie in die tiefe Dunkelheit hinter der Türöffnung gezogen, wo sich immer mehr Dornenranken immer enger um sie schlangen. Sie spürte die Spitzen der Dornen in ihre Haut schneiden, in ihr Fleisch. Tränen schossen in ihre Augen. Was sollte sie machen? Sie konnte sich ja nicht mal mehr bewegen. Nur das Zepter hielt sie noch immer umklammert. „Kyubey, hilf mir“, keuchte sie, bevor sich eine weitere Ranke auch um ihren Hals schlang. Sie bekam keine Luft mehr. Aus der Dunkelheit vor sich sah sie ein großes Wesen erscheinen. Es erinnert entfernt an eine Frau und war in ein dunkelrotes, aber halb zerfetztes Kleid gehüllt. Ein Schleier verdeckte das an einen Schädel erinnernde Gesicht nur knapp zur Hälfte und unter dem Kleid schienen weitere Ranken hervor zu wachsen. Fumiko hatte bereits im ersten Moment keinen Zweifel: Dies war die Hexe. Doch als sie dies erkannte schlangen sich die Ranken noch enger um sie, schnitten noch tiefer in ihr Fleisch. Würde sie so sterben? Wo war Kyubey? Von Angst und Schmerzen erfüllt kniff Fumiko ihre Augen zusammen. Konnte sie noch überhaupt irgendetwas tun? Oder sollte sie sich einfach ihrem Schicksal ergeben? Da schoss ihr ein Bild durch den Kopf. Es war die Erinnerung an Homura, die wohl noch immer im Krankenhaus lag und nicht von Kyubey geheilt worden war. Und die Erinnerung an ihren noch immer kranken Bruder. Konnte sie so einfach aufgeben? Und da durchzuckte sie ein Gedanke: Feuer. Es war vollkommen intuitiv, doch konnte es sein, wenn diese Hexe Pflanzen und Dunkelheit verkörperte, dass sie von Feuer geschwächt wurde? Tatsächlich drang auf einmal der flackernde Schein eines Feuers durch die Lider ihrer Augen und als sie diese öffnete, sah sie verschwommen Flammen, die die Ranken empor züngelten. Hatte sie diese etwa selbst beschworen? Als die Ranken sich um sie herum lockerten, machte ihr Herz einen Hüpfer. Schließlich ließen die Ranken sie ganz los und sie fiel zu Boden, wo sie für einen Moment keuchend liegen blieb. Noch immer standen einige der Ranken in Flammen. Doch gerade, als Fumiko wieder aufsah, schossen auf einmal weitere Dornenranken auf sie zu, so, als wollten sie sie dieses Mal nicht einfach umwickeln, sondern direkt durchstoßen. Natürlich. Die Hexe wollte sie umbringen. Auf einmal wurde sie von einer heißen, verzehrenden Wut durchflutet. „Brenne“, flüsterte sie und sah mit hasserfülltem Blick zu dem sicher sieben Meter großem Ungetüm. „Brenne!“ Die Schlangenwesen, die nun aus ihrem Zepter hervorkamen, schienen aus Feuer zu bestehen. Sie verschlangen die Ranken, die Fumiko angriffen und schossen dann weiter zu der Hexe, deren Kleid sie ebenfalls in Brand steckten, während sie sich um sie schlängelten. Ein seltsamer, kalter und von weit her kommender Schrei erfüllte die Dunkelheit und dann, sehr langsam, sank die Gestalt der Hexe in sich zusammen. Die Dunkelheit begann zu flackern und dann, vollkommen unvorbereitet, stand Fumiko auf einmal wieder auf jenem Hinterhof, wo sie das dunkle Portal gesehen hatte. Die magische Kleidung war verschwunden und stattdessen trug sie nun wieder ihre Schuluniform. Kyubey hockte neben ihr auf dem Boden. Bevor sie ihn jedoch anfahren, ihn fragen konnte, wo er gewesen war, fiel ein rundlicher kleiner Gegenstand zu Boden. Sie bückte sich und hob ihn auf. Es war ein seltsamer, beinahe komplett runder Anhänger aus dem zwei Stacheln hervorschauten. „Das ist ein Kummersamen“, erklärte Kyubey. „Das Herz der Hexe...“ Er sah zu ihr auf. „Du kannst ihn verwenden, um deinen Seelenstein zu reinigen.“ Capitulum III: Puella Desperata ------------------------------- Das Klingeln der Pausenglocke wirkte erlösend auf Fumiko und sorgte dafür, dass sie aus ihrem wohligen Halbschlaf aufwachte. Endlich war Mittagspause. Danach noch ein Block Naturwissenschaften und sie hatte ihren Schultag für heute überstanden. Und übermorgen wäre endlich Wochenende. Zwei herrliche Tage, an denen sie ausschlafen könnte. „Fumiko-chan“, hörte sie eine vertraute Stimme hinter sich, als Segawa, die mit Vornamen Reika hieß, ihre Hände auf Fumikos Schultern legte. „Schläfst du schon?“ Statt zu antworten gähnte Fumiko nur und richtete sich auf. „Lass uns hoch in die Mensa gehen“, meinte Itou Sayaki nun ruhig zu ihnen. Noch immer schwieg Fumiko und nickte nur, ehe sie ein weiteres Mal gähnte. „Hast du gestern Abend zu lange ferngesehen?“, fragte Sayaki als sie sich den Strom der Schüler, die sich ihr Mittagessen in der Mensa besorgen wollten anschlossen. „So in etwa“, antwortete Fumiko und streckte sich. Die Wahrheit war, dass Kyubey sie in der Nacht zuvor geweckt hatte, weil eine weitere Hexe erschienen war. Und es war nicht das erste Mal im vergangenen Monat gewesen. Während sie die Treppe zur Mensa hinauf gingen, begannen Reika und Sayaki eine Unterhaltung über eine Serie, deren neuste Folge am Abend zuvor gelaufen war und Mami ließ sich zu Fumiko zurückfallen. „Alles in Ordnung?“, fragte sie mit gesenkter Stimme. „Ja, ja“, antwortete Fumiko schnell, „natürlich.“ „Du schläfst schlecht, in letzter Zeit, oder?“ Die Stimme des anderen Mädchens klang besorgt. Für einen Moment überlegte Fumiko. Sie hatte bisher keiner ihrer drei Freundinnen von Kyubey, dem Seelenstein oder den Hexen erzählt, auch wenn sie zu Beginn darüber nachgedacht hatte. Doch sie hatte es nicht über sich gebracht, auch wenn sie nicht ganz sagen konnte warum. Dabei hatte sie ein schlechtes Gewissen, die drei schon wieder anzulügen. „Ja“, erwiderte sie so. „Du wirst doch nicht wieder krank?“ Mami blickte ihr ins blasse Gesicht. „Nein, bestimmt nicht“, sagte Fumiko mit schwacher Stimme. Sie hatte das Gefühl jeden Moment einzuschlafen. „Ich... Vielleicht liegt es nur am Wetter.“ Sie waren nun in der Mensa angekommen, wo sie den grauen Himmel draußen sehen konnten. Die Monsunsaison hatte begonnen und würde für mindestens zwei weitere Wochen andauern, wie es aussah - wahrscheinlich noch etwas länger. Doch zumindest kam mit diesem Gedanken, auch der Gedanke daran, dass in zwei Wochen die Sommerferien beginnen würden. Sieben Wochen, in denen sie sich nicht um die Schule kümmern musste. Sieben Wochen, in denen sie ausschlafen konnte, wenn sie von den Kämpfen gegen die Hexen ermüdet war. „Nagasaki-san?“, drang Mamis Stimme durch ihre Gedanken und sie fand langsam ihren Weg in die Realität zurück. Sie standen in der Schlange vor der Theke der Mensa und waren nun vorn. „Oh“, machte Fumiko und bestellte das normale Mittagsmenü, ehe sie etwas später mit dem Tablett in der Hand zu dem Tisch hinüberging, an dem Sayaki und Reika bereits saßen. Kurz nach ihr kam Mami, ebenfalls mit einem Tablett. Sie setzte sich neben Fumiko auf die Sitzbank und nahm einen Teller von dem Tablett herunter, um ihn vor ihre Sitznachbarin zu stellen. Fragend sah Fumiko sie an. „Für dich“, lächelte das Mädchen neben ihr. „Du magst Käsekuchen doch gern, oder?“ Fumiko merkte, wie sie rot wurde und sah auf das Stück Käsekuchen. „Danke“, murmelte sie dann. „Das ist gemein“, murmelte Sayaki, „mir schenkst du keinen Kuchen.“ Sanft kichernd sah Mami zu ihr hinüber. „Entschuldige bitte, Itou-san.“ Nun begannen auch Sayaki und Reika zu kichern. Nur Fumiko sah weiter müde aus dem Fenster und in den Regen hinaus. Als Fumiko am Abend nach Hause kam, fühlte sie sich vollkommen erschöpft und so müde, dass sie sich sicher war, sofort einzuschlafen, sobald sie sich nur in ihr Bett legte. Ihr Bett... Es gab im Moment für sie keine schönere Vorstellung, als sich in die weichen Kissen fallen zu lassen. „Du bist schon Zuhause?“, fragte ihre Mutter überrascht, aber offenbar zufrieden. Sie hatte sich öfter beschwert, dass Fumiko in den letzten zwei Monaten mindestens einmal die Woche sehr spät nach Hause kam. „Ja...“ Fumiko hörte ihre eigene Stimme wie von sehr weit her. Sie schwankte, während sie sich die Schuhe auszog. „Fumiko-chan, ist alles mit dir in Ordnung?“ Nun nahm die Stimme ihrer Mutter auf einmal einen besorgten Tonfall an. Sie kam zu ihrer Tochter hinüber und legte ihr, bevor diese protestieren konnte, die Hand auf die Stirn. „Ich bin nur müde“, seufzte Fumiko und stellte ihren Schirm in den dafür vorgesehenen Ständer ehe sie in die Diele schwankte. „Du siehst nicht gut aus, Liebes“, meinte ihre Mutter. „Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?“ „Ja, Mama“, meinte Fumiko. „Ich will mich nur etwas hinlegen und schlafen... Ich habe in den letzten Nächten nicht gut geschlafen...“ Weiterhin spürte sie den besorgten Blick ihrer Mutter auf sich. „Nun gut“, meinte diese schließlich. „Aber lass uns lieber zum Arzt gehen, wenn es in den nächsten Tagen nicht besser wird.“ Statt zu antworten nickte die 12-Jährige nur und ging zur Treppe, die ins obere Stockwerk des modernen Hauses hinauf führte, ehe sie die Stufen hinauf wankte. In ihrem Zimmer angekommen entledigte sie sich von ihrer teilweise durchnässten Schuluniform und ließ sich so, in ihrer Unterwäsche, in das Bett fallen. Vollkommen unbewusst, umfasste sie mit einer Hand den Seelenstein, da das warme Pulsieren des seltsamen Juwels sie beruhigte. So glitt sie schon bald in einen erschöpften und vollkommen traumlosen Schlaf, aus dem sie erst geweckt wurde, als es einige Stunden später leise an ihrer Tür klopfte. Sie schreckte auf und blinzelte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie ihr Licht angelassen hatte, während sie schlief. Sie war sich nicht dessen bewusst, was sie geweckt hatte, ehe es erneut an der Tür klopfte. „Nee-chan?“ „Ja?“, erwiderte sie leise und einen Moment später ging die Tür auf. Ihr Bruder kam herein. Er trug bereits seinen Pyjama und sah nun zu ihr hinüber. „Mutter sagte, ich solle dir noch etwas zu essen bringen.“ Nun erkannte Fumiko, dass er einen Teller in einer Hand hielt, den er, als er hineinkam, auf ihren Nachttisch stellte. „Alles in Ordnung?“, fragte Tarou an sie gewandt. „Ja“, log Fumiko erneut. „Ich bin nur etwas müde...“ Daraufhin erwiderte ihr Bruder nichts, während sie den Teller nahm und begann das süßlich schmeckende Curry, das ihre Mutter wohl zu Abend gemacht hatte, zu essen. Erst jetzt bemerkte sie, was für einen Hunger sie schon die ganze Zeit gehabt hatte. „Weißt du“, begann Tarou nach einer Weile auf einmal, „es ist schon wirklich unglaublich...“ Sie sah zu ihm auf, den Löffel noch immer in der Hand. „Was?“ „Dass du einfach wieder gesund bist“, erwiderte ihr Bruder. „Einfach so... Durch ein Wunder geheilt...“ Bei diesen Worten sah er sie nicht an, doch zumindest annähernd konnte Fumiko sich vorstellen, wie es in seinem Inneren aussah. Sie konnte sich vorstellen, wie sie sich gefühlt hätte, wenn er auf einmal geheilt worden wäre. Und ihm ging es doch viel schlechter, als ihr, denn immerhin waren einige seiner Organe geschädigt worden, ehe das Diabetes bei ihm festgestellt worden war. Deswegen erwiderte sie nichts, sondern aß stattdessen die letzten Löffel ihres Currys, ohne ihren Bruder anzusehen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie dann leise, als sie den Löffel sinken ließ. Ungläubig sah er sie an. „Ach was“, meinte er, wobei er seine Bitterkeit nicht gänzlich aus seiner Stimme vertreiben konnte. „Ich mein, du kannst ja nichts dafür, oder? Du hast dich ja nicht selbst geheilt, oder?“ Er lachte, doch sein Lachen klang furchtbar hohl. „Natürlich nicht“, brachte sie langsam hervor, mit schwerem Herzen. Eine weitere Lüge. Doch wie sollte sie ihm das erklären? „Freu' dich doch lieber“, murmelte Tarou. „Zumindest du bist jetzt gesund... Nee-chan.“ Sie sah auf ihre Bettdecke. Erneut wollte sie sich entschuldigen, doch keine Worte kamen ihr über die Lippen. Für mehr als eine Minute waren die beiden Geschwister in ihr Schweigen gehüllt, ehe Tarou schließlich aufstand. „Wenn du müde bist, solltest du weiterschlafen“, meinte er. Fumiko nickte nur. „Ich werde mich vorher waschen“, erwiderte sie dann und stand ebenfalls auf. Für einige Momente trafen sich ihre Blicke und erschrocken erkannte sie eine seltsame, kalte Emotion in den Augen ihres Bruders: Neid. Ohne ein weiteres Wort ging sie an ihm vorbei in den Flur und dann ins Bad. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich auf das Waschbecken. Tränen füllten ihre Augen erneut. Warum hatte sie nur sich mit dem Wunsch geheilt? Wäre es nicht auch anders möglich gewesen? Warum war sie nur so egoistisch gewesen? Zumindest tauchte in dieser Nacht keine weitere Hexe auf, so dass Fumiko sich am nächsten Tag etwas wacher fühlte. Dass sie ihre Hausaufgaben nicht fertig gemacht hatte, da sie den gesamten vergangenen Nachmittag verschlafen hatte, störte sie nicht einmal mehr. Sie ignorierte die strengen Worte ihrer Englischlehrerin, als diese die Aufgaben einsammeln wollte. Was hätte sie denn schon tun können? So müde, wie sie gewesen war, hätte sie ohnehin keine zwei Worte am Stück schreiben können. Den ganzen Tag dachte sie nur an eins: Das Wochenende, was nach dem Ende des Schultages beginnen konnte. „Hey, Fumiko-chan, hast du am Wochenende Zeit?“ Eine Hand legte sich auf Fumikos Schulter, als sie gerade das Schulgebäude verließ. Sie drehte sich um und sah in Sayakis Gesicht. Für einen Moment überlegte sie, sich dessen bewusst, dass sie kaum Zeit mit ihren neuen Freundinnen verbringen konnte. Sie zögerte. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie dann zurückhaltend. Immerhin konnte jederzeit eine neue Hexe auftauchen. „Ach, jetzt komm schon“, meinte auch Reika, die hinter Sayaki erschienen war. „Ich...“, begann Fumiko erneut. „Wir wollen ins Kino gehen“, erklärte Sayaki. „Wäre ja auch nur für einen Abend. Wenn du kein Geld hast, kann ich dir was leihen.“ „Ich weiß noch nicht, ob ich kann“, flüsterte Fumiko und wich ihren Blicken aus. „Aber ich kann versuchen da zu sein.“ „Gut“, grinste das andere Mädchen. „Ruf mich einfach an. Wir wollen uns morgen Abend treffen.“ Stumm nickte Fumiko nur, als Mami auf sie zukam. Sie sah die anderen Mädchen an und runzelte die Stirn. „Ich habe euch doch gesagt, dass ihr es einfach akzeptieren sollt, wenn sie nicht kann.“ Energisch schüttelte Fumiko den Kopf. „Es passt schon, Tomoe-san“, meinte sie. „Wenn ich wirklich keine Zeit habe komme ich einfach nicht.“ „Ist doch alles in Ordnung.“ Reika winkte Mamis Beschwerde ab und sah dann noch einmal zu Fumiko. „Ich muss dann gehen. Wir sehen uns hoffentlich morgen.“ Das rothaarige Mädchen nickte. „Ja. Bis morgen.“ „Dann gehe ich auch“, sagte Sayaki. „Reika und ich haben bis zur Station denselben Weg.“ Sie wandte sich ab um dem anderen Mädchen zu folgen und drehte sich dann noch einmal zu Mami und Fumiko, um diesen zuzuwinken. „Bis morgen.“ Während die beiden ihre Regenschirme aufspannten und sich der Schar von Schülern einreihten, die auf das Schultor zugingen, sah Mami zu dem Mädchen neben ihr. „Weißt du, wenn du keine Zeit hast, musst du dich nicht zwingen lassen“, meinte sie und etwas Besorgnis lag in ihrer Stimme. „Ich weiß zwar nicht, was du machst, aber du wirkst in letzter Zeit ziemlich kaputt.“ Sofort wurde es Fumiko unwohl. Sie wollte es Mami sagen. Sie wollte ihr von all dem, was geschehen war, seit sie an jenem Wochenende ins Krankenhaus gekommen war, erzählen. Von Kyubey und den Hexen und davon, dass sie eine Puella Magi war. Doch nur bei dem Gedanken daran wurde ihr Mund trocken und es fiel ihr schwer auch nur ein Wort heraus zu bringen. „Ich schlafe nur schlecht...“, sagte sie leise. „Kommst du mit dem Schulstoff zurecht?“, fragte Mami. „Du hast deine Hausaufgaben in letzter Zeit oft nicht komplett gemacht...“ Unsicher sah Fumiko zu ihr. „Na ja, ich habe...“ Was sollte sie nur sagen? „Ich habe viele Lücken, glaube ich... Weil ich... Weil ich früher so oft krank war, weißt du?“ Mami warf ihr einen Seitenblick zu, der deutlich machte, dass sie ihr nicht glaubte, sagte dies aber nicht. „Gut“, meinte sie stattdessen. „Aber wenn du Hilfe brauchst, sag mir einfach Bescheid, okay?“ Leicht nickte die andere und sah auf den Boden, wo die scheinbar endlose Menge der Regentropfen immer neue Muster auf die Oberflächen der Pfützen zeichneten. „Danke“, flüsterte sie und fühlte sich umso schlechter, weil sie Mami nicht die Wahrheit sagte. Diese jedoch lächelte nur. „Gut.“ Sie erreichten die Treppe, die in die U-Bahnstation hinabführte und gingen hinunter. Doch gerade als Fumiko stehen bleiben wollte, um sich von Mami zu verabschieden, die normal an ein anderes Gleis musste, als sie selbst, wurde ihr klar, dass auch das andere Mädchen gerade in die gut ausgeleuchtete Röhre abbog, die zum dritten Gleis der Station führte - das Gleis, von dem auch Fumiko abfuhr. „Wieso gehst du hierher, Tomoe-san?“, fragte sie ihre Freundin, als sie diese erreichte, auch wenn sie die Antwort schon ahnte. „Ich werde dich begleiten“, antwortete Mami und lächelte sie warm an. „Ich muss sonst ja fürchten, dass du in der U-Bahn einschläfst und auf dem Abstellgleis landest.“ Unangenehm berührt wich Fumiko ihrem Blick nun wieder aus. „Das ist wirklich nicht nötig“, flüsterte sie gedämpft. „Ich komme schon allein zurecht.“ „Ach was.“ Mami winkte ab. „Mach dir keine Gedanken darum.“ Doch auch wenn Fumiko nickte, konnte sie nicht anders, als sich Gedanken zu machen. Während sie sich schweigend neben Mami an das Gleis, an dem auch viele andere Schüler standen, stellte, fühlte sie sich umso schlechter, dass sie jemanden, der so gut zu ihr war, belog. War sie wirklich ein gutes Mädchen? Sollte jemand wie sie, mit jemand so liebem wie Mami befreundet sein? „Jetzt mach nicht so ein Gesicht“, meinte diese, als sie in die moderne U-Bahn einstiegen und, da alle Sitzplätze besetzt waren, nicht weit von der Tür entfernt stehen blieben. „Es macht mir wirklich nichts aus. Meine Eltern sind wahrscheinlich ohnehin noch nicht zu Hause.“ „Meine auch nicht“, murmelte Fumiko, ohne darüber nachzudenken. „Aber vielleicht mein Bruder.“ „Tarou, nicht?“, erwiderte Mami. Fumiko nickte nur. „Wie geht es ihm? Er hat auch Diabetes, oder?“ Erneut nickte Fumiko und sah sie an. „Ihm geht es viel schlechter, als es mir ging.“ Sie hatte ihr schon etwas davon erzählt und wollte eigentlich auch nicht weiter darüber reden, zumal sie wieder an den Neid im Blick ihres Bruders dachte und an ihren Egoismus, dass sie sich nicht auch eine Heilung für ihn gewünscht hatte. Bald schon kamen sie im Wohnviertel an, wo sie, als sie die Station verließen, wieder ihre Schirme aufspannten. „Du musst mich wirklich nicht bis zur Tür begleiten“, meinte Fumiko, die umso mehr ein schlechtes Gewissen bekam. „Das macht doch nichts“, antwortete Mami und lächelte sie nur wieder mit ihrem sanften, wohlwollenden Lächeln an. Fumiko seufzte und machte sich auf den Weg nach Hause. Immer wieder warf sie Mami Seitenblicke zu. Diese sprach im Moment selbst nicht, sondern ging still neben ihr her und lächelte ihr ab und zu, wenn sie ihre Blicke bemerkte, zu. Erneut überlegte Fumiko, ob sie mit ihr nicht darüber reden könnte, ob sie ihr sagen sollte, dass sie eine Puella Magi war. Sie fragte sich, ob Mami, die immer so freundlich und rücksichtsvoll war, sie für den Egoismus ihres Wunsches verurteilen würde... Wenn sie ihr die Geschichte überhaupt glauben würde. Unbewusst berührte sie mit den Fingern die Ergebung des Seelensteins unter ihrer Kleidung, ehe sie stehen blieb. „Tomoe-san“, begann sie unsicher und sah Mami an, die nun ebenfalls stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. „Was ist?“, fragte sie, wobei etwas Besorgnis in ihrer Stimme mitschwang. Fumiko zögerte, denn sie wusste eigentlich nicht, wie sie beginnen sollte, war sie sich doch ohnehin nicht vollkommen sicher, ob es wirklich richtig wäre, ihrer Freundin von ihrem Geheimnis zu erzählen. „Ich...“, stotterte sie daher. „Ich wollte dir...“ Viel weiter kam sie nicht, ehe sie unterbrochen wurde - jedoch nicht von Mami, sondern von einer vertrauten Stimme in ihrem Kopf. „Fumiko-chan“, hörte sie Kyubey. „Fumiko-chan! Du musst schnell herkommen. Eine weitere Barriere hat sich geöffnet.“ Das Mädchen zuckte zusammen. „Ich kann nicht sofort herkommen“, erwiderte sie vorsichtig. „Ich bin gerade...“ Doch erneut unterbrach Kyubey sie. „Es ist ein Mensch in die Barriere gekommen. Ein Mädchen. Fumiko-chan, wenn du dich nicht beeilst wird die Hexe sie töten.“ Diese Nachricht erschreckte Fumiko. Wie versteinert stand sie da vor Mami, während der Regen weiterhin auf ihren gepunkteten Regenschirm prasselte. „Was hast du, Nagasaki-san?“, fragte Mami und sah sie an. Fumikos Gedanken rasten. Sie hatte im Moment keine Zeit all das Mami zu erklären, wenn das Leben eines Menschen in Gefahr war. Sie wollte Mami nicht erneut anlügen, doch alles andere schien im Moment zu kompliziert. „Ich habe noch etwas vergessen“, sagte sie hastig. „Ich... Ich hatte meiner Mutter versprochen einkaufen zu gehen.“ Und noch bevor Mami darauf reagieren konnte drehte sie sich um und rannte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Fast zwanzig Minuten später - schneller hatte sie es nicht geschafft, denn selbst als Puella Magi konnte sie nicht fliegen - erreichte sie eine verlassene Gasse, direkt neben einer Einkaufsstraße, ein ganzes Stück von ihrem Wohngebiet entfernt. Hier saß Kyubey und wartete auf sie, während ein seltsames Wabern in der Luft vor ihm zu erkennen war. „Da bist du ja endlich, Fumiko-chan“, sagte er und sah sie an. Er schien den Regen, der auch auf ihn hinabprasselte gar nicht zu spüren, während auch Fumiko mittlerweile durchnässt war, da sie den Regenschirm geschlossen hatte, um schneller laufen zu können. „Es tut mir leid“, keuchte sie und stützte sich auf ihre Beine ab, um zu verschnaufen. „Ich habe es nicht schneller geschafft.“ Sie holte noch einmal tief Luft ehe sie ihren Seelenstein hervor holte und gegen das wabernde Fleckchen Luft hielt, woraufhin der Zugang zur Barriere erschien. Während sie hineinlief veränderte sich ihre Kleidung und ihr magischer Dress erschien, wie auch das Zepter in ihrer Hand. Diese Barriere erinnerte an das Innere einer Schneiderei. Die Wände schienen aus verschiedenen Stoffen zu bestehen, manche einfarbig, andere gestreift, gepunktet oder kariert. Stofffetzen hingen von einer unsichtbaren Decke hinab und einzelne kopflose Mannequins standen herum, teilweise mit Maßbändern versehen. „Schnell“, mahnte Kyubey und Fumiko nickte. Sie machte einen Schritt voran, damit rechnend jeden Moment angegriffen zu werden, und tatsächlich stürzten die Figuren auf sie zu, als sie den zweiten Schritt tat. Wie schon so oft zuvor schwang sie ihren Stab und die leuchtenden Schlangen erschienen, verschlangen die Puppen, ehe sie sich selbst wieder auflösten. Dann rannte Fumiko los, da die Stoffe einen geraden Gang bildeten, der sich vor ihr erstreckte. Sie fürchtete, dass sie zu spät kam und das Mädchen, von dem Kyubey berichtet hatte, vielleicht schon von der Hexe getötet worden war. Weitere Mannequins griffen sie an, doch sie wollte sich nicht aufhalten lassen. Sie wollte gar nicht daran denken, wie es wäre, eine Leiche vorzufinden. Was sollte sie dann nur tun? Aus einem Loch in einem Stoff, der für sie eine Wand darstellte, kam eine Schere geschossen, der sie gerade noch mit einem Sprung auswich, jedoch in den Oberschenkel geschnitten wurde, ehe sie auf die obere Schneide sprang und sich, als die Schere sich erneut öffnete, von ihr nach oben katapultieren ließ. Eine weitere Lichterschlange schnellte aus dem Zepter hervor und warf die Schere einfach um, ehe Fumiko, ihre Wunde ignorierend, weiterlief. „Wir kommen der Hexe immer näher“, verkündete Kyubey, „das kann ich spüren.“ Stumm nickte die Puella Magi nur und rannte so schnell sie konnte weiter. Unvorhergesehen öffnete sich auf einmal um sie herum ein weiterer Saal, der nicht ganz rund war. Hier schien der Boden aus abertausenden Knöpfen zu bestehen, die sich unter ihren Füßen wie sehr trockener oder sehr nasser Sand, auf dem man kaum Halt fand, anfühlten. Es schien keine Ausgänge von diesem Saal aus zu geben, von dem Gang, durch den sie gekommen waren, abgesehen. Auch hier schienen die Wände aus endlos langen Bahnen aus verschiedenen Stoff zu bestehen, die allesamt durch überdimensionierte Reißverschlüsse miteinander verbunden waren. „Kyubey?“ Hilfesuchend sah sich Fumiko zu ihrem Begleiter um, der einige Schritte hinter ihr stehen geblieben war. „Wo muss ich hin?“ Doch bevor Kyubey antworten konnte, öffneten sich die Reißverschlüsse um einige Meter und weitere Mannequins kamen daraus hervor geschossen. Instinktiv sprang Fumiko in die Luft, um der ersten Figur, die sie erreichte, auszuweichen, und stieß sich am kopflosen Hals von dieser ab und sprang dann zur nächsten. Drei weitere Schlangen schossen nun auf ihre Angreifer zu, doch es waren über zwanzig Mannequins, die sich nicht so einfach vertreiben ließen. Acht von ihnen wurden durch die magische Attacke zwar vernichtet und die zwei, über die Fumiko gesprungen war, fielen zu Boden, aber mehr als zehn verblieben. Trotz ihrer gesteigerten Wundheilung blutete Fumikos Bein noch immer und sie knickte um, als sie - fast in der Mitte des Saals - wieder auf dem Boden aufkam. „Fumiko-chan!“, hörte sie Kyubeys Stimme und hob gerade noch rechtzeitig ihr magisches Zepter, um zwei weitere Mannequins abzuwehren, als sie merkte, dass der Knopfboden unter ihr nachgab. Ehe sie verstand, was geschah, öffnete sich ein Loch unter ihr, das sie mitsamt vieler, vieler Knöpfe und sechs der umstehenden Mannequins verschlang. Dann fiel sie und eine ihr seltsam greifbar anmutende Dunkelheit umhüllte, ehe sie auf einer beleuchteten Fläche landete. Gerade noch so schaffte sie es sich im Flug zu drehen und - wenn auch unter Schmerzen - auf beiden Beinen zu landen, doch dann erkannte sie auch, dass sie nun den Ort gefunden hatte, den sie gesucht hatte. Eine Puppe in der Größe einer Frau und mit stumpfen Knopfaugen starrte zu ihr herüber. Die mit heruntergefallenen Mannequins standen um sie herum. Die Puppe sah aus wie aus einem Horrorfilm. Statt einem hingen drei Paar Arme an ihren Seiten hinab und die Kleidung schien seltsam bunt zusammengenäht. Auch das Haar auf ihrem Kopf schien zerfranst, wie auch der Hut, wohl ehemals ein Zylinder, der auf diesem saß. Doch hatte Fumiko damit nicht nur die Hexe gefunden, sondern auch den Menschen, der so tief in die Barriere vorgedrungen war. Es war eine zierliche Mädchengestalt, die hinter der Hexe lag und - wie Fumiko schnell erkannte - die Uniform ihrer Schule trug. Die Uniform war jedoch zerrissen und an einigen Stellen sickerte Blut durch den Stoff. Doch das war nicht, was sie am meisten erschreckte. Nein. Was Fumiko so erschreckte, war die Feststellung, dass sie das Mädchen kannte: Es war Sagawa Reika, die sie nur etwa eine Stunde zuvor an der Schule verabschiedet hatte. Wie aus dem Nichts erschien Kyubey neben dem Mädchen und sah an der Hexe vorbei zu Fumiko hinüber. „Sie lebt noch“, erklang seine Stimme in ihrem Kopf. Fumiko nickte und schluckte. Sie spürte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel, doch gleichzeitig merkte sie auch eine furchtbare Wut in sich aufkeimen. Wie konnte diese Hexe das nur tun? Wie konnte sie eine ihrer Freundinnen angreifen? Wieso griff sie überhaupt Menschen an? Das war unverzeihlich... Ihre Hand verkrampfte sich um das Zepter in ihrer Hand. „Unverzeihlich“, flüsterte sie und starrte zu der Hexe, deren Untertanten nun auf sie zukamen. Doch Fumiko wich nicht zurück. Mittlerweile war die Schnittwunde an ihrem Bein beinahe ganz verheilt und hatte aufgehört zu bluten, doch selbst wenn es anders gewesen wäre, so hätte sie es kaum gespürt. „Unverzeihlich“, wiederholte sie nur und hob das Zepter. Zwar raubte ihre Magie ihr langsam die Kraft, doch war ihr dies im Moment egal. Zwei große Schlangen schossen aus dem Zepter hervor und verschlangen die Mannequins, noch bevor diese das Mädchen erreichten. Im nächsten Augenblick stürzte sich die Hexe selbst, in den Händen Nadeln und Scheren, auf sie zu. Fumiko jedoch blieb stehen, bis die Hexe nur etwas mehr als eineinhalb Meter von ihr entfernt war. Dann sprang sie in die Luft und versetzte der Hexe einen Tritt, der diese ein ganzes Stück zurückwarf, so dass sie fast aus dem Kegel der unsichtbaren Lichtquelle verschwand. Weiße Flammen loderten aus Fumikos Zepter auf, als sie ihre Augen auf die Hexe richtete. „Stirb“, flüsterte sie erstickt. „Verschwinde endlich!“ Die Flammen schossen auf den Puppenkörper zu und umhüllten sie, verschlangen sie und Fumiko sah ihnen dabei zu. Wie die Flammen loderte ihre Wut noch immer. Nicht nur auf diese Hexe, sondern auf alle Hexen, auf die Existenz dieser seltsamen, beängstigenden, magischen Welt, die so gefährlich war. Doch dann fiel ihr auf einmal Reika wieder ein. Sie wandte sich zu dem anderen Mädchen um, neben dessen ohnmächtiger Gestalt noch immer Kyubey saß, und fühlte nach ihrem Puls. Sie lebte tatsächlich noch. „Segawa-san“, rief sie aufgeregt und versuchte den Körper des Mädchens anzuheben. „Sagawa-san! Wach auf! Bitte wach auf... Reika...“ Der Körper des Mädchens war mit Wunden übersät, deren Tiefe Fumiko nicht abzuschätzen vermochte. Vielleicht war sie gerade noch rechtzeitig gekommen. Sie musste Reika ins Krankenhaus bringen. Sie musste... Tränen liefen ihr über das Gesicht, während die Barriere sich nun, da die Hexe offenbar tot war, auflöste und sie sich wieder in der Gasse befanden, wo die Barriere sich geöffnet hatte. Der Kummersamen fiel neben Fumiko zu Boden, doch im Moment hielt sie Reika in ihren Armen. Ein Krankenhaus, dachte sie wieder und griff mit zitternden Händen nach dem Mobiltelefon in ihrer Tasche. Und während sie die Nummer wählte, kam ihr ein anderer Gedanke: Hätte sie Reika retten können, wenn sie früher da gewesen wäre? Und dann stellte sie sich eine weitere Frage: Warum war Reika überhaupt angegriffen worden? Konnte es sein, dass die Hexe von ihr gewusst hatte? Konnte es sein...? „Kyubey?“, fragte sie mit zitternder Stimme und drehte sich um. Doch das seltsame Geschöpf war nicht mehr hier. Capitulum IV: Puella Concidenda ------------------------------- Eine beklommene Stille erfüllte das triste Krankenhauszimmer, während Fumiko am Rand des Zimmers stand. Mami und Sayaki saßen auf Stühlen neben Reikas Bett, während diese sich die Stirn rieb. „Ich kann mich einfach nicht erinnern, was passiert ist“, meinte sie leise und sah hilfesuchend zu Fumiko. „Ich weiß noch, dass ich eine Abkürzung genommen habe von der Station und dann... Ich meine gehört zu haben...“ Mit einem Kopfschütteln verstummte sie. „Ich glaub das habe ich nur geträumt...“ Ihr Blick wirkte bei diesen Worten irgendwie leer und Fumiko konnte sich denken, dass sie sich an die Gedanken erinnerte, die die Hexe ihr eingepflanzt hatte. „Vielleicht wurdest du überfallen“, meinte Sayaki. „Ich glaube, ein Schlag auf den Kopf kann auch Amnesie auslösen...“ Reika schüttelte leicht den Kopf. „Die Ärzte sagen, ich sei von den Kratzern abgesehen unverletzt... Ich hatte keine Beule oder so.“ Daraufhin seufzte Sayaki. „Dann weiß ich auch nicht...“ Schließlich zuckte sie aber mit den Schultern. „Du kannst wahrscheinlich froh sein, dass Fumiko-chan dich gefunden hast.“ Auf einmal veränderte sich etwas in Reikas Gesichtsausdruck und sie zog ihre Augenbrauen zusammen. Wieder richtete sich ihr Blick auf Fumiko. „Wie hast du mich dort eigentlich gefunden?“ Nun drehte sich auch Mami zu Fumiko herum und diese sah in ihren Augen, dass sie sich bereits die ganze Zeit dasselbe fragte. „Wieso warst du überhaupt dort? Ich dachte, du wolltest zum Supermarkt.“ Fumiko wusste, dass sie ihren Blicken standhalten musste, doch sie konnte es nicht. Ehe sie sich beherrschen konnte, senkte sie den Blick und sah zu Boden. „Ich...“, stotterte sie. „Ich...“ Wie sollte sie es erklären? Wieder überlegte sie, ob sie ihnen von Kyubey erzählen sollte. Wieso erzählte sie ihnen nicht einfach von der Hexe, in deren Barriere Reika geraten war? „Ich...“, setzte sie erneut an und legte ihre Hand unwillkürlich auf den Seelenstein, der unter ihrer Kleidung lag. Da erschrak sie. Der Stein, der normalerweise warm gegen ihre Haut pulsierte, fühlte sich nun kalt und klamm an. Was geschah nur? „Ich muss einmal auf die Toilette“, sagte sie schnell und verließ, ohne eine Antwort ihrer Freundinnen abzuwarten das Zimmer. Sich dessen bewusst, dass sie hier eigentlich nicht rennen sollte, lief sie schnellen Schrittes den Flur der Notaufnahme hinunter, bog dann in einen weiteren Flur und lief auch diesen hinab. Erst da blieb sie stehen und lehnte sich gegen die Wand. Sie stand nun in einem der Räume zwischen den Stationen. Sie verschnaufte etwas, ehe sie unter ihr T-Shirt griff und den Seelenstein hervor holte. In ihm hatte sich eine Art dunkler Nebel ausgebreitet, der das Rot des Steins seltsam stumpf wirken ließ. Aber wie konnte das sein? Sie hatte den Stein doch erst gestern mit dem Kummersamen der Hexe gereinigt. Seither hatte sie ihre Kräfte nicht eingesetzt. Wie konnte er sich so dunkel verfärbt haben? Was geschah hier nur? „Kyubey“, versuchte sie das seltsame Wesen mit ihren Gedanken zu erreichen. „Kyubey! Bitte, antworte, Kyubey! Etwas stimmt nicht. Der Seelenstein ist dunkel. Was passiert mit ihm? Hilf mir, Kyubey.“ Doch das Wesen antwortete nicht. Erst jetzt merkte sie, dass Tränen über ihr Gesicht liefen. Fast so, als könnte sie es selbst nicht glauben, legte sie sich die Hand auf die Wange. Es war doch alles nur halb so schlimm, versuchte sie sich einzureden. Es gab sicher für das alles eine gute Erklärung. Kyubey würde ihr sagen können, was mit dem Seelenstein war. Außerdem würde sie nur eine weitere Hexe besiegen müssen, dann könnte sie den magischen Stein wieder reinigen - oder? Doch trotz dieser Gedanken hörten die Tränen nicht auf zu fließen. Was sollte sie denn nur den anderen sagen? Wie sollte sie es ihnen erklären? Was würden sie von ihr halten, wenn sie ihnen die Wahrheit sagte? Würden sie ihr überhaupt glauben? Und selbst wenn... Wenn sie von ihrem egoistischen Wunsch erfuhren... Aber sie wollte sie auch nicht länger anlügen. Vor allem nicht Mami. Mami, die immer so gut zu ihr war... Doch wenn sie ihnen die Wahrheit nicht sagte... Wie sollte sie ihnen dann erklären, wie sie Reika gefunden hatte? „Fumiko-chan?“, hörte sie auf einmal eine Stimme neben sich. Sie sah auf und erkannte Homura, die in einem Rollstuhl neben ihr saß. Das bleiche Mädchen sah sie besorgt an. „Homuhomu...“, begann Fumiko und bemerkte, wie brüchig ihre Stimme war. Sie versuchte sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, doch es liefen immer weitere nach. „Was ist mit dir los? Wieso bist du hier?“, fragte die andere. „Ich...“ Fumiko brach ab, als ihr klar wurde, dass sie versprochen hatte Homura im Krankenhaus zu besuchen, dies jedoch bald zwischen Schule und Hexenjagd vergessen hatte. Als sie nun das besorgte Gesicht des kranken Mädchens sah, versetzte es ihr einen Stich ins Herz. „Eine Freundin hatte gestern einen Unfall“, flüsterte sie, ohne Homura anzusehen. „Es tut mir so leid, dass ich dich nicht besucht hatte“, brachte sie dann hervor. „Dabei hatte ich es versprochen.“ Homura schüttelte nur den Kopf. „Ich verstehe schon. Du hast wahrscheinlich genug in der Schule zu tun. Außerdem hast du wahrscheinlich genug von Krankenhäusern...“ Ihre Stimme war leise, klang jedoch verständnisvoll. Sie sah sie an. „Was hast du da in der Hand?“ Erst jetzt bemerkte Fumiko, dass sie noch immer den Seelenstein in ihrer Hand hielt. „Nichts“, sagte sie schnell und ließ diesen in der Tasche ihres rot karierten Rocks verschwinden. „Nur ein Geschenk von meiner Mutter...“ Sie wusste, dass die Lüge in ihrer Stimme leicht zu hören war, doch Homura fragte nicht weiter nach. „Willst du auf mein Zimmer kommen?“, bot sie stattdessen an. „Meine Station ist direkt hier.“ Sie nickte zu einer breiten Doppeltür aus milchigem Glas, die zur nächsten Station führte. „Kardiologie“ stand darauf geschrieben. Unsicher nickte Fumiko und folgte Homura, als diese auf einen Knopf neben der Tür drückte, so dass diese aufschwang und das Mädchen in ihrem Rollstuhl hindurch fahren konnte. Sie gingen bis zum Ende des Stationsflures, der hell ausgeleuchtet war, bis sie die letzte Tür an der rechten Seite erreichten. Auch hier gab es eine sich automatisch öffnende Tür. Homura hatte ein recht großes Einzelzimmer, dessen große Fenster direkt dem nur eine Etage tiefer liegendem Garten zugewandt waren. Da es draußen noch immer regnete, erhellten mehrere Naturlichtlampen den Raum, der auch farblich hell gehalten war, dabei jedoch unheimlich trist und leer wirkte, da das einzige, was sich hier auf dem Tisch fand, eine einzelne bereits welkende Blume war und auch an der Wand nur ein Kalender mit Katzenbildern hing. Es wirkte nicht minder trist, als das Zimmer Reikas, obwohl Homura den größten Teil ihrer Zeit hier verbrachte. „Setz' dich“, meinte Homura und deutete auf einen Stuhl, der neben dem Tisch mit der Blume stand. „Danke“, erwiderte Fumiko matt. „Möchtest du was trinken?“ Fumiko schüttelte den Kopf, während sie sich kaum traute aufzusehen. Sie konnte hören, wie das andere Mädchen aus ihrem Rollstuhl, den sie vorrangig hatte, um sich nicht zu sehr zu überanstrengen, aufstand und sich auf ihr Bett setzte. „Was ist mit dir los?“, fragte sie dann vorsichtig. „Wieso weinst du? Ist deiner Freundin etwas schlimmes passiert?“ „Nein“, antwortete Fumiko leise. „Ich meine, ja. Aber ihr geht es schon wieder ganz gut.“ „Wieso weinst du dann?“, fragte Homura und sah sie durch ihre Brille hindurch an. „Irgendetwas muss doch passiert sein.“ Fumiko wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Noch weniger als den anderen konnte sie Homura die Wahrheit sagen. Niemals könnte sie ihr sagen, dass sie das Wunder, das sie geheilt hatte, selbst herbeigeführt hatte, durch einen dummen, egoistischen Wunsch. Nicht Homura, die selbst hier in diesem leeren, einsamen Zimmer gefangen war. „Ist es etwas schlimmes?“ Homura schien sich wirkliche Sorgen um sie zu machen. Noch immer zögerte Fumiko. „Du solltest dir keine Sorgen um mich machen“, sagte sie leise. „Ich meine du... Du...“ Sie sah zu ihr auf. „Du bist doch selbst krank... Du solltest dir wirklich keine Sorgen um mich machen, Homuhomu... Das... Bin ich nicht wert. Ich habe dich ganz vergessen.“ „Mein Herz wird auch nicht gesund werden, wenn ich mich darum sorge“, erwiderte Homura. „Aber vielleicht kann man dir bei deinem Problem helfen.“ Wieder spürte Fumiko einen Stich und neue Tränen stiegen in ihre Augen. Wieso musste sich ausgerechnet Homura so um sie sorgen? Wieso musste sie ihr ihre Hilfe anbieten? Wieso war sie so gut? Wie hatte sie das nur verdient? „Was ist?“, fragte Homura nun wieder. Fumiko schluckte schwer. „Ich habe Reika-chan nach ihrem Unfall gefunden“, schluchzte sie dann. „Und jetzt... Ich habe Angst, dass die anderen glauben, dass ich etwas damit zu tun hatte...“ Ihre Stimme war schwach. Sie wollte es Homura eigentlich nicht erzählen, ihre dummen Probleme. „Aber du hattest doch nichts damit zu tun, oder?“, erwiderte Homura. Fumiko sah sie durch einen Schleier aus Tränen an und schüttelte den Kopf. „Nein.“ Oder?, fragte gleichzeitig eine andere Stimme in ihren Gedanken. Hatte sie wirklich nichts damit zu tun? Doch vielleicht... Immerhin war sie die Puella Magi. Die Puella Magi, die gegen die Hexen kämpfte. Vielleicht... Konnte die Hexe von ihr gewusst haben? Hatte sie deswegen Reika angegriffen? „Aber dann ist doch alles in Ordnung“, meinte Homura und sah sie an. „Du kannst ihnen sagen, was passiert ist und wenn sie deine Freunde sind, werden sie dir glauben. Du musst ihnen nur die Wahrheit sagen.“ Die Wahrheit. Unwillkürlich wanderte Fumikos Hand zu der Tasche ihres Rocks, um die Form des Seelensteins zu spüren. Die so unwirkliche Wahrheit... Was war sie überhaupt? Was war überhaupt die Wahrheit? „Das kann ich nicht“, flüsterte sie mit heiserer Stimme. „Ich kann ihnen die Wahrheit nicht sagen.“ „Aber wieso denn nicht?“ Homuras Stimme klang mitleidig, aber verständnislos. „Es sind doch deine Freunde.“ „Aber die Wahrheit...“, begann Fumiko und schüttelte dann vehement den Kopf. „Die Wahrheit kann ich ihnen nicht sagen. Niemals...“ Weitere Tränen liefen über ihre Wangen und ein ersticktes Schluchzen drang aus ihrer Kehle hervor. Sie versuchte es zu unterdrücken, doch mit jedem Moment verlor sie ein weiteres Stück ihrer Selbstbeherrschung. Homura sah sie schweigend an. „Du wirst es auch mir nicht sagen, oder?“, fragte sie schließlich leise und wieder schüttelte Fumiko den Kopf. „Ich kann nicht“, schluchzte sie, ohne das andere Mädchen anzusehen. Zögerlich streckte Homura ihre Hand aus und strich Fumiko über das Haar. Sie sagte nichts, sondern sah das Mädchen nur lange an. Nachdem Fumiko Homura verlassen hatte, ging sie nicht zu Reika und suchte auch nicht nach Mami oder Sayaki. Trotz aller Versuche Homuras sie zu erreichen, war ihr Herz nur noch schwerer als vorher. Immer wieder kreisten ihre Gedanken. Sie hatte es nicht verdient geheilt zu werden. Sie hatte Homuras Mitleid nicht verdient. Sie verdiente es nicht Freunde zu haben. Wieso war sie nur so egoistisch? Wieso war sie so dumm? Wieso hatte sie nur an sich gedacht, als sie den Pakt mit Kyubey einging. Wie in Trance lief sie zur U-Bahnstation und von der Haltestelle des Wohngebiets aus zu sich nach Hause. Sie bemerkte nicht einmal wirklich, wie der Regen ihre Kleidung durchnässte, da sie vergessen hatte einen Schirm mitzunehmen. Nach und nach begann ihre Kleidung an ihrem Körper zu kleben und ihre Zöpfe hingen feucht von ihrem Kopf hinab. Dabei lief sie nicht einmal bewusst. Es war vielmehr so, als würden ihre Füße den Weg irgendwie von ganz alleine finden. Erst die Stimme ihrer Mutter riss sie aus ihrer Trance. „Fumiko-chan!“, rief diese, als sie die Tür öffnete, und zog sie grob in das Haus hinein. „Was hast du denn gemacht, Fumiko-chan? Wo ist denn dein Schirm?“ Sofort begann sie ihre Tochter auszuziehen, die dies einfach geschehen ließ, dabei nur die Hälfte wahrnahm. Als sie das Mädchen bis auf die Unterwäsche entkleidet hatte, fühlte sie nach ihrer Stirn. „Du hast ja Fieber“, flüsterte sie entsetzt. „Was hast du nur gemacht?“ Fumiko antwortete ihr nicht, sondern bückte sich nur nach ihrem Rock, um den Seelenstein aus diesem hervor zu holen. „Was hast du da?“, verlangte ihre Mutter zu wissen. Mit leeren Augen sah das Mädchen sie an. „Nichts“, hauchte sie, „nur ein Geschenk.“ Ihre Mutter schüttelte heftig den Kopf und nahm sie an einer Schulter. „Du nimmst ein heißes Bad und gehst dann ins Bett, hörst du? Wir gehen morgen zum Arzt.“ Damit schob sie das Mädchen in Richtung der Treppe und diese hinauf und auch das ließ dieses geschehen. Wortlos stand Fumiko neben ihrer Mutter, während diese Wasser in die Badewanne einlaufen ließ und dieses mit irgendeiner Kräutermischung versetzte. Sie ließ sich auch in das heiße Wasser drücken. Einzig, als ihre Mutter ihr den Seelenstein aus der Hand reißen wollte, umklammerte sie diesen nur umso fester, bis die ältere Frau es schließlich aufgab. Der Seelenstein war noch immer kalt und Fumiko hatte das Gefühl, dass dieser immer kälter wurde. Das war das einzige, was sie fühlte. Sie verlor jedwedes Zeitgefühl, während sie in der Wanne saß und nahm kaum wahr, wie ihre Mutter schließlich kam, um ihre Haare zu waschen, ehe sie sie abtrocknete und in einen Pyjama steckte. Ebenso grob wie zuvor drängte sie das praktisch besinnungslose Mädchen zu ihrem Zimmer und legte sie ins Bett. „Du musst jetzt schlafen, hörst du, Fumiko-chan?“, sagte sie gleichermaßen besorgt, wie bestimmend. Zur Antwort ließ Fumiko nur ein leises, zustimmendes Murmeln hören. Ihre Mutter zog daraufhin die Gardinen zu und löschte das Licht, nachdem sie sich versichert hatte, dass Fumiko zugedeckt war. „Schlaf erst einmal, Liebes“, hörte sie noch die Stimme ihrer Mutter, ehe diese die Tür hinter sich schloss und Fumiko allein ließ. Noch immer hielt sie den Seelenstein in ihrer Hand. „Kyubey“, versuchte sie das seltsame Geschöpf noch einmal mit ihren Gedanken zu erreichen, erhielt jedoch auch jetzt keine Antwort. Doch letzten Endes war es ihr bereits egal. Was konnte er schon machen? Mittlerweile weinte sie nicht mehr und war sich sicher, alle Tränen verbraucht zu haben. Egal was mit ihr passierte - da war sie sich sicher - sie hatte es verdient, denn sie hatte alle im Stich gelassen. Alle... Fumiko vermochte nicht zu sagen, ob sie in der Nacht schlief oder nicht. Als ihre Mutter sie am nächsten Tag weckte, um ihr Frühstück zu bringen und sich von ihr zu verabschieden, beschloss sie endgültig, dass es ihrer Tochter zu schlecht ging, um zur Schule zu gehen. Sie sagte irgendetwas, dass sie am Nachmittag zum Arzt gehen würden, ehe sie selbst zur Arbeit ging, und ihre Tochter in ihrem Zimmer allein ließ. Doch Fumiko rührte das Frühstück nicht an, sondern blieb einfach in ihrem Bett liegen, den Blick starr auf den immer dunkler werdenden Seelenstein gerichtet. Kämpfen... Ich muss kämpfen... Ich brauche einen Kummersamen... Ich muss gegen eine Hexe kämpfen... Dieses Mantra flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, doch sie schaffte es einfach nicht auf sie zu reagieren. Und selbst wenn, dachte sie, wenn eine Hexe erscheint, kann ich nicht kämpfen... Und es war ihr egal. Sie hatte das Gefühl, dass kalte Hände nach ihr griffen und sie an das Bett fesselten und ein pulsierender Schmerz schien sich in ihrer Brust auszubreiten. Ich habe es nicht anders verdient, flüsterte eine andere Stimme in ihrem Kopf. Ich habe diesen Schmerz verdient. Und sie stimmte dieser Stimme zu. Ihr Wunsch war so egoistisch gewesen, hatte all die anderen im Stich gelassen. Homura. Ihren Bruder. All die anderen kranken Kinder. All die anderen kranken Menschen. Es gab so viel Schmerz und Leid, doch sie hatte nur sich selbst geheilt. Und nun nutzte sie auch noch all diese Menschen aus. Ihr Wunsch hatte Reika verletzt. Ihr Wunsch hatte so viele andere verdammt... Sie hatte sie alle mit ihrem Wunsch verflucht. Vielleicht hatte deswegen nun auch Kyubey sie im Stich gelassen. Wieso hatte er ihr diesen Wunsch überhaupt erfüllt? Ein Klopfen an ihrer Zimmertür drang wie von weit her in ihr Bewusstsein. „Nee-chan?“, hörte sie dumpf die Stimme ihres Bruders. „Eine Freundin von dir ist hier. Tomoe Mami-san. Sie wollte dir die Hausaufgaben vorbei bringen.“ „Bist du wach, Nagasaki-san?“, fragte Mami zurückhaltend. „Ich hoffe dir geht es etwas besser... Ich wollte dir nur deine Hausaufgaben vorbei bringen.“ Doch Fumiko antwortete nicht. Bat sie nicht herein, sondern blieb nur um ihren Seelenstein zusammengerollt in ihrem Bett liegen. „Sie schläft wohl“, drang Tarous Stimme leise in das Zimmer vor. „Kannst du ihr das geben, wenn sie aufwacht?“, erwiderte Mami mit gedämpfter Stimme. Etwas raschelte. „Ich hoffe es ist alles mit ihr in Ordnung... Sie schien gestern schon so komisch.“ „Wahrscheinlich ist es einfach eine Erkältung“, erwiderte Tarou. Schritte entfernten sich und wieder liefen Tränen über Fumikos Gesicht. War Mami tatsächlich wegen ihr hergekommen? Wieso machte sie sich solche Mühe und das nachdem all das mit Reika passiert war? Oder war sie vielleicht eigentlich hergekommen, um mit ihr zu reden und die Wahrheit aus ihr heraus zu pressen? War es überhaupt wichtig, warum sie hergekommen war? Sie wusste, dass sie keine Freundlichkeit verdiente. Nicht nachdem... Sie dachte den Gedanken nicht aus. Selbst, wenn sie weitere Hexen besiegen würde, könnte das nichts ändern. Denn am Ende war es doch etwas egoistisches gegen die Hexen zu kämpfen, wie es auch ihr Wunsch gewesen war. Sie brauchte die Kummersamen der Hexen, um ihren Seelenstein zu reinigen, sonst... Sonst... Sonst was? Sie sah auf den schwarzen Stein in ihrer Hand. Was würde passieren? Der Schmerz in ihrer Brust wurde stärker. Es war, als hätte sich eine eiskalte Hand um ihr Herz geschlossen. Was hatte dieser Schmerz zu bedeuten? Und da wurde es ihr langsam klar: Konnte es sein, dass dieser Schmerz vom Seelenstein kam? War es, weil er beinahe gänzlich schwarz war? Würde sie vielleicht deswegen sterben? Oder würde der Schmerz irgendwann von allein aufhören? Wäre dann vielleicht alles wieder wie vorher... Wie früher... Bevor sie jenen Wunsch gestellt hatte. Doch wenn ihre Schmerzen mit dem Seelenstein zusammenhingen, so würde ihr auch kein Arzt helfen können. Ihre Mutter musste sich nicht weiter um sie kümmern, denn sie konnte eh nichts tun. Was auch immer passieren würde... Sie blinzelte zur Zimmerdecke hinauf, als zwei blutrote Augen ihr von ihrem Bücherregal aus entgegen sahen. Etwas, was sie zuerst nicht verstand, ehe sie erkannte, dass es Kyubey war, der dort saß und sie schweigend ansah. „Kyubey...“ Es kostete Fumiko einige Kraft zu sprechen. „Dein Seelenstein hat sich also schwarz gefärbt“, erwiderte das seltsame Wesen, dessen Augen in dem im Zimmer herrschenden Zwielicht zu leuchten schienen. „Einen Kummersamen“, keuchte sie und hasste sich gleichzeitig dafür noch immer egoistisch zu sein. „Ich brauche... Brauche einen Kummersamen.“ Eine weitere Welle des Schmerzes fuhr durch ihren Körper und ließ sie sich winden. Für eine Weile sah Kyubey sie schweigend an. Sein Schwanz wippte hinter ihm hin und her. „Dafür ist es zu spät“, sagte er schließlich. „Was...“, begann das Mädchen. „Was passiert...“ Nun schienen die Schmerzen mit jedem Moment stärker zu werden und sie schaffte es nicht mehr den Satz zu beenden. „Das, was am Ende mit jeder Puella Magi passiert“, erwiderte das seltsame Wesen ruhig und mit gleichgültiger Stimme. Fumiko sah zu dem Seelenstein, an dessen Spitze noch ein letztes Stückchen helles Rot leuchtete, als wollte es gegen die Schwärze kämpfen, die es jedoch immer weiter zurückdrängte. Die Dunkelheit in dem Stein waberte etwas zurück, doch dann schossen dunkle Schlieren aus ihr hervor und umgaben das Rot nun völlig, löschten es aus. Der Schmerz verschwand, wich einer scheinbar unendlichen Kälte, so als würde sie in einen eisigen See fallen. Der Seelenstein zersprang und ließ nur das Skelett eines Kummersamens zurück. Fassungslos sah Fumiko auf den Samen in ihrer Hand, ehe das letzte Stück ihres Bewusstseins und damit auch ihr menschlicher Körper und all ihre Erinnerung in die eisige Kälte aus Verzweiflung und Hass entschwand... Finis Alterna: Puella Liberata ------------------------------ „Sie schläft wohl“, drang Tarous Stimme leise in das Zimmer vor. „Kannst du ihr das geben, wenn sie aufwacht?“, erwiderte Mami mit gedämpfter Stimme. Etwas raschelte. „Ich hoffe es ist alles mit ihr in Ordnung... Sie schien gestern schon so komisch.“ „Wahrscheinlich ist es einfach eine Erkältung“, erwiderte Tarou. Schritte entfernten sich und wieder liefen Tränen über Fumikos Gesicht. War Mami tatsächlich wegen ihr hergekommen? Wieso machte sie sich solche Mühe und das nachdem all das mit Reika passiert war? Oder war sie vielleicht eigentlich hergekommen, um mit ihr zu reden und die Wahrheit aus ihr heraus zu pressen? War es überhaupt wichtig, warum sie hergekommen war? Sie wusste, dass sie keine Freundlichkeit verdiente. Nicht nachdem... Sie dachte den Gedanken nicht aus. Selbst, wenn sie weitere Dämonen besiegen würde, könnte das nichts ändern. Denn am Ende war es doch etwas egoistisches gegen die Dämonen zu kämpfen, wie es auch ihr Wunsch gewesen war. Sie brauchte die Dunkelsteine der Dämonen, um ihren Seelenstein zu reinigen, sonst... Sonst... Sonst was? Sie sah auf den schwarzen Stein in ihrer Hand. Was würde passieren? Der Schmerz in ihrer Brust wurde stärker. Es war, als hätte sich eine eiskalte Hand um ihr Herz geschlossen. Was hatte dieser Schmerz zu bedeuten? Und da wurde es ihr langsam klar: Konnte es sein, dass dieser Schmerz vom Seelenstein kam? War es, weil er beinahe gänzlich schwarz war? Würde sie vielleicht deswegen sterben? Oder würde der Schmerz irgendwann von allein aufhören? Wäre dann vielleicht alles wieder wie vorher... Wie früher... Bevor sie jenen Wunsch gestellt hatte. Doch wenn ihre Schmerzen mit dem Seelenstein zusammenhingen, so würde ihr auch kein Arzt helfen können. Ihre Mutter musste sich nicht weiter um sie kümmern, denn sie konnte eh nichts tun. Was auch immer passieren würde... Ihr Atem ging stoßweise. Sie verstand nicht, was geschah. Nur eins wusste sie: Es würde bald zu Ende sein... Und dann? Auf einmal wurde sie von einem hellen Licht geblendet. Von einem Licht, das von ihrer Zimmerdecke auszugehen schien. Was geschah hier? Was war das für ein Licht? Mühsam, da sie ihren Körper kaum noch bewegen konnte, drehte sie sich auf den Rücken, als sie in der Mitte des Lichts den Umriss einer Gestalt erkannte. Es war die Gestalt eines Mädchens, die immer deutlicher wurde. Das Mädchen hatte rötliches Haar, wie sie selbst und trug ein rosa und weißes Kleid. Konnte es sein, dass sie eine Puella Magi war? „Wer...“, begann Fumiko und merkte, wie schwer es ihr fiel zu sprechen. Jedes Wort ließ ihre Kehle brennen, so dass es eine Qual war. Doch das Mädchen lächelte sie nur sanft an und irgendetwas an diesem Lächeln brachte Fumikos Herz zur Ruhe. Es schien, als würden die Schmerzen langsam schwinden. „Dein Wunsch soll nicht vergebens gewesen sein“, erklang eine Stimme, die offenbar zu dem Mädchen zu gehören schien. Es streckte die Hände aus, um Fumikos Rechte, in der noch immer ihr mittlerweile eisiger Seelenstein lag, zu umfassen. „Ich lasse nicht zu, dass dein Wunsch in Verzweiflung endet.“ Ungläubig sah Fumiko das andere Mädchen an, ehe sie merkte, wie erneut Tränen über ihre Wangen rannen. „Aber ich... Ich habe... Ich war...“ Ihr Körper wurde von einem schweren Schluchzen geschüttelt. Mit einer Hand strich das Mädchen ihr über die Wange. „Das ist egal. Es ist vergangen. Du musst nicht mehr weinen, Fumiko-chan.“ „Aber...“, begann Fumiko und sah sie an, als etwas merkwürdiges geschah. Das Licht des Mädchens schien Fumiko gänzlich zu umschließen und plötzlich befand sie sich allein in einem gänzlich weißen Raum; in einem Raum aus Licht. Als sie an sich herunter sah bemerkte, dass sie nicht mehr in ihren Pyjama, sondern in ihr Puella Magi Küstum gekleidet war. Und bevor sie das alles begreifen konnte, erschien eine vertraute Gestalt vor ihr. „Mami“, murmelte sie unwillkürlich. „Tomoe-san...“ Doch es war nicht die Mami, die sie kannte. Diese Mami wirkte älter, war größer und weitaus weiblicher gebaut, als die zwölfjährige Mami, die sie kannte. Auch trug sie nicht die Schuluniform, in der sie ihre Freundin meist gesehen hatte, sondern ein seltsames Kostüm. Es war ein braungelbes Kleid, das, von dem kurzen Rock abgesehen, viktorianisch wirkte, während ein dunkles Barett, das mit einer Feder geschmückt war, das blonde Haar des Mädchens zierte. Konnte es sein, dass diese Mami ebenfalls eine Puella Magi war? Verwirrt und ungläubig sah sie zu Fumiko hinüber. „Nagasaki-san...?“, fragte sie mit heiserer Stimme. „Nagasaki-san?“ Fumiko nickte von einem seltsamen Gefühl erfüllt. „Aber wie...?“, begann Mami und sah ihr in die Augen. Da wurde Fumiko klar, dass dieser Traum oder was auch immer es war, nicht lange dauern würde. Sie hatte nicht viel Zeit. Einem Instinkt folgend lief sie auf das andere, nun ältere Mädchen zu und legte ihre Arme um sie. „Ich habe es dir die ganze Zeit sagen wollen, Tomoe-san. Ich bin...“ Sie unterbrach sich. „Ich war eine Puella Magi und ich...“ Erneut liefen Tränen über ihre Wange. „Ich habe mich nicht getraut es dir zu sagen. Ich wollte nicht, dass du etwas schlechtes von mir denkst.“ Langsam hob Mami ihre Arme und legte sie auf die Schultern ihrer Freundin, tätschelte diese vorsichtig. „Aber wieso? Wieso sollte ich dich verurteilen?“ Und in diesem Moment wusste Fumiko, dass Mami es verstehen würde. „Ich habe mir von Kyubey gewünscht, dass er mich heilt. Dass er meine Diabetes heilt. Ohne an Tarou oder Homuhomu-chan oder eins der anderen Kinder zu denken... Ich war so egoistisch und es tut mir so unendlich leid!“ Die Worte, die sie so lange zurückgehalten hatte, brachen plötzlich aus ihr heraus, ehe sie wieder zu schluchzen begann. Wieder tätschelte Mami ihre Schultern, schob sie dann aber von sich fort, um ihr in die Augen sehen zu können. „Es muss dir nicht leid tun, Nagasaki-san.“ Ein Schatten legte sich für einen kurzen Augenblick über ihre Augen, doch dann lächelte sie wieder, auch wenn es ein trauriges Lächeln war. „Du bist nicht die einzige, die einen solchen Fehler gemacht hat.“ Und bei diesen Worten schwang Reue in ihrer Stimme mit. Konnte es etwa sein...? „Danke“, flüsterte Fumiko. „Danke, Tomoe-san, dass du mir eine so gute Freundin warst. Du... Du warst die beste Freundin, die ich je hatte...“ Und damit zwang sie sich zu einem Lächeln. Da liefen einzelne Tränen auch über Mamis Gesicht. „Dafür musst du mir nicht danken, Nagasaki-san. Ich bin froh, dass ich dich kennen lernen durfte... Dass ich deine Freundin sein durfte...“ „Mach's gut“, hauchte Fumiko noch, ehe im selben Moment das Bild ihrer Freundin vor ihr verblasste und sie nun wieder allein inmitten des sanften, beruhigenden Lichts stand. Eine Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter und das Mädchen, das zuvor in ihrem Zimmer erschienen war, lächelte sie an. „Komm“, sagte es und nahm ihre linke Hand. „Wohin?“, fragte Fumiko und folgte dem seltsamen Mädchen durch das Licht. Dieses sah sie an. „An einen Ort, wo du nie wieder einsam sein musst“, sagte sie mit einem warmen Lächeln. „Du musst keine Angst mehr haben.“ Noch immer unsicher ging Fumiko neben ihr her. „Aber...“, begann sie dann leise. „Wer bist du?“ Das Lächeln des Mädchens wurde noch breiter. „Madoka. Mein Name ist Madoka.“ Und in diesem Moment wusste Fumiko, dass sie diesem Mädchen vertrauen konnte. Ohne es zu merken, ließ sie den Seelenstein, den sie die ganze Zeit mit ihrer rechten Hand umklammert hatte, auf den Boden fallen, wo er zerbarst, und folgte Madoka in das warme Licht hinein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)