Rachedurst von Emerald_Phoenix ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Dunkle Wolken hingen am Himmel und ließen der Sonne keine Lücke, um die Dunkelheit auch nur im Ansatz zu vertreiben. Die Luft frischte bereits auf. Nicht mehr lange und es würde anfangen zu Regnen. Glorfindel sah besorgt hinauf und beobachtete die sich schnell zusammenziehenden schwarzen Wolken. Ein ordentliches Gewitter zog auf. Nicht gerade die besten Vorzeichen für die anstehende Jagd. Auf der anderen Seite konnten sie die Orks auch nicht weiter durch den Wald streifen lassen. Etwas versetzte ihm einen Stoß in den Rücken und riss den Krieger aus seinen Gedanken. „Verzeih mir mein Schöner. Wir machen uns ja gleich auf den Weg.“ Mit einer zärtlichen Geste streichelte er dem Pferd über den Hals. „Wenn man dich so reden hört könnte man annehmen, du hättest eine Verabredung intimerer Art und wärest nicht im Begriff dich zu einer Jagd aufzumachen.“ „Ich verstehe deine Eifersucht Elrond, aber du solltest mit deiner Gemahlin reden, wenn du solche Worte gerne hören willst.“ Glorfindel nickte dem Herrn von Imladris mit einem Lächeln zur Begrüßung zu. Der Halbelb legte gerade seinen Schwertgurt an, während er sich den Stallungen näherte. „Das hat nichts mit Eifersucht zu tun mein Freund. Ich bin lediglich der Ansicht, dass du zu viel alleine bist. Schließlich möchte ich vermeiden, dass du Asfaloth noch den Hof machst.“ Das weiße Pferd schnaubte ungehalten. Elrond tätschelte ihm versöhnlich den Hals, als er die beiden erreichte. „Wenn du so weiter machst, dann werde ich um Celebriáns Hand anhalten, nachdem Asfaloth dich in Mandos‘ Hallen geschickt hat.“ Ungeduldig begann das Pferd mit dem Huf zu scharren. „In deinen Träumen vielleicht.“ Mit einem Lachen hatte sich Elrond auf den Rücken seines eigenen Pferdes geschwungen, ohne auch nur im Geringsten von seiner Lederrüstung behindert worden zu sein. Nur einen Moment später saß Glorfindel auf Asfaloths Rücken und sie machten sich auf den Weg. „Wir werden heute also so unauffällig wie möglich jagen?“ Der Halbelb deutete mit einer beiläufigen Geste auf Asfaloths Zaumzeug, das heute weder mit Edelsteinen noch mit Glöckchen bestückt war, wie es sonst seines Reiters Art war. Im Laufe der Zeit hatte sich das Klingeln der Glöckchen bei ihren Gegnern als Vorbote des nahenden Unheils und bei Verbündeten als Signal der Hoffnung herumgesprochen. „Bei dem Wetter ist es mir lieber, wenn wir die Jagd so schnell wie möglich beenden.“ Der blonde Elb sah erneut besorgt zum Himmel hinauf. Ein Gewitter machte die Jagd im Wald gefährlich. Ein Blitz konnte in die Bäume einschlagen oder, sofern sie sich zu nah an die Hänge des Hithaeglir - dem Nebelgebirge - wagten, einen Steinschlag auslösen, der ihre Gruppe gefährden könnte. „Dann sollten wir aufbrechen.“ Elrond und Glorfindel stießen zum Rest der Jagdgesellschaft und der Herr von Imladris gab das Zeichen zum Aufbruch. Heute waren sie zu neunt, da sie eine größere Gruppe Orks jagen würden. Zu den übrigen Elben gehörten Elronds Söhne, Elladan und Elrohir. Glorfindel war nach den bisherigen Vorzeichen nicht wohl dabei, neben dem Herrn von Imladris auch noch dessen Erben dabei zu haben. Unheil lag in der Luft und es lag an ihm, vor allem für die Sicherheit dieser drei zu sorgen. Manchmal empfand er die Verantwortung, die Elrond ihm zugewiesen hatte, als unerträgliche Bürde. Er schob die dunklen Gedanken beiseite. Wenn er abgelenkt war, dann war er eine größere Gefahr für die Gruppe als die Orks. Es dauerte nicht lange, bis die Gruppe die Spur der Kreaturen gefunden hatte. Elladan stieg von seinem Pferd und untersuchte die Spuren. „Sie haben Verstärkung bekommen. Ein gutes Dutzend verschiedener Spuren.“ Elronds Sohn sah zu Glorfindel, um sich die Zahl bestätigen zu lassen. Ein Widerspruch seines Lehrmeisters wäre ihm jedoch lieber gewesen. „Offensichtlich haben sie sich mit den Orks zusammengetan, die wir gestern im Süden gesichtet haben. Wenn wir mit denen fertig sind, müssen wir die Späher erneut ausschicken. So viele von denen, die sich auch noch zusammen tun, das kann kein Zufall mehr sein. Seid wachsam, vielleicht lauern hier noch mehr von ihnen herum, die wir bisher nicht bemerkt haben.“ Glorfindel sah sich aufmerksam um. Noch mehr Orks und es konnte genauso gut eine Falle sein. Zwei Orkgruppen, die sich auffällig verhielten und zusammenschlossen nur um sie in eine Falle zu locken, wo ihnen eine weitere Gruppe in den Rücken fallen konnte. Orks mochten nicht die intelligentesten Kreaturen sein, aber sie waren hinterhältig und starke Kämpfer. In der Überzahl könnten sie die Elben zweifellos überwältigen. Mit einem Dutzend und ohne Hinterhalt würden sie schon noch fertig werden, aber Glorfindels Erfahrung sagte ihm, dass sie es mit mehr Gegnern zu tun hatten, als es im Moment den Anschein hatte. Die Orks handelten einfach zu koordiniert, als würden sie sich für eine große Schlacht sammeln. Aber unter wessen Führung? „Wir lassen die Pferde hier. Die Spuren sind frisch und wir sollten sie schnell einholen können. Lange fort sind sie nicht.“ Glorfindel gab den anderen das Zeichen zum Absitzen und sie führten die Pferde noch ein Stück weiter in den Schutz einiger üppigen Büsche und Bäume. Die Pferde würden sich bei einer nahenden Gefahr selbst in Sicherheit bringen und ihre Reiter allein wiederfinden oder ins Tal zurückkehren. Asfaloth scharrte mit den Hufen, offensichtlich wenig begeistert davon, einfach zurückgelassen zu werden. Sein Reiter strich ihm beruhigend über den Nasenrücken. „Wir bilden zwei Gruppen, damit wir sie in die Zange nehmen können.“ Glorfindel teilte die Gruppen ein. Die eine unter Elronds Führung würde sich links der Spuren in sicherer Deckung vorarbeiten, während die übrigen ihm rechts der Fährte folgen würden. Mit dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite sollten sie ohne größere Schwierigkeiten mit ihnen fertig werden können. Gefährlich waren die Orks zwar immer noch, aber so könnten sie drei oder vier von ihnen erledigen, bevor sie sich wirklich zur Wehr setzten. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Feinde erreicht hatten. Diese machten offensichtlich gerade eine Zwangspause auf einer kleinen Lichtung, denn zwei von ihnen stritten miteinander. Vermutlich die Anführer der beiden einzelnen Gruppen. Die Elben hielten sich in den Schatten der Bäume versteckt und Elrond signalisierte Glorfindel, das er auf sein Angriffssignal warten würde. „Du schleimiger Madenfresser! Nur weil du denen die Stiefel leckst, werde ich das noch lange nicht mitmachen! Wenn wir hier fertig sind, gehen wir wieder unserer Wege. Ich folge keinem stinkenden…“ Weiter kam der Ork nicht, denn sein Gegenüber schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. In die übrigen Orks kam Bewegung, sie zogen ihre Waffen und grunzten sich gegenseitig an. Wenn die Situation eskalieren würde, dann würden sie sich gegenseitig abschlachten, bis ihr Streit entschieden war. Die größte Schwäche der Orks war, das jeder der Anführer sein wollte und sie sich dadurch regelmäßig selbst an die Kehle gingen. „Halt dein dreckiges Maul! Hier wird gemacht, was ich sage. Wenn du ein Problem damit hast, dann skalpiere ich dich gleich hier! Dann brauche ich mir dein Rumgeheule nicht mehr länger anhören.“ Die übrigen Orks grunzten sich noch immer herausfordernd an, doch Glorfindel war klar, dass sie nicht aufeinander losgehen würden. Noch waren sie abgelenkt von dem Streit. Eine bessere Gelegenheit für einen Überraschungsangriff würden sie wohl nicht bekommen. Als wollte die Natur ihm seine Entscheidung abnehmen, begann in der Ferne ein Donner zu grollen. Der blonde Krieger gab Elrond das Zeichen zum Angriff und verließ seine Deckung um den ihm nächsten Ork direkt mit seinem Schwert den Gar aus zu machen. Elrond und Elrohir töteten zwei weitere, bevor einer der Anführer schrie: „Elben! Tötet sie!“ Schnell hatten sich die Orks gefasst und gingen nun auf ihre Angreifer los. Der Vorteil des Überraschungsmomentes war schneller dahin als erwartet und diese Gruppe übelriechender Kreaturen gehörte zu der stärkeren Sorte. Glorfindel hatte sich mit Elrond bis zu den Anführern durchgekämpft. Während sich der Herr von Imladris einem Ork mit einem Breitschwert gegenübersah, sah sich der blonde Krieger mit einem Gegner konfrontiert, der in der einen Hand ein Schwert und in der anderen einen Streitflegel mit einer an einer Kette befestigten Eisenkugel mit Spitzen hielt. Erst jetzt fiel Glorfindel auf, in welch neuartigem Zustand die Waffen waren. Allerdings blieb ihm keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Den ersten Schwertstreich seines Gegners parierte er und war von der Kraft seines Gegners überrascht. Zwei weitere Hiebe und der Ork schlug schließlich über Kopf mit dem Flegel zu. Glorfindel duckte sich unter dem Schlag zur Seite weg und versuchte der Kreatur mithilfe eines Ausfallschrittes sein Schwert in den Bauch zu rammen. Sein Gegner war jedoch geschickter, als es seine massige Statur erahnen ließ und wehrte seinen Angriff mit dem Schwert ab. Als Glorfindel zu einem weiteren Angriff ansetzen wollte registrierte er durch das herangezogene Gewitter und den ersten Blitz ein Aufblitzen in seinen Augenwinkeln, das von einem der Bäume ausging. Es donnerte, er wehrte einen Angriff des Orkanführers ab, ein Blitz folgte und da blitzte es wieder in den Bäumen auf. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube: Sie hatten sich in eine Falle locken lassen! „Bogenschützen in den Bäumen!“ Elladan streckte seinen Gegner nieder und registrierte nach Glorfindels Warnruf tatsächlich einen Bogenschützen in einem nahegelegenen Baum. Geistesgegenwärtig zog er den Dolch aus seinem Gürtel und schleuderte ihn dem Schützen entgegen. Der Dolch traf den Bogenschützen in der Schulter, dieser ließ den Pfeil los und stürzte mit einem Schmerzensschrei vom Baum. Sein Pfeil verfehlte Glorfindels Bein und noch bevor der Schütze sein Schwert ziehen konnte, war bereits einer der Elben bei ihm und beendete sein Leben. Von den Orks stand nur noch die Hälfte, aber die Schützen waren jetzt ihr größeres Problem. Die ersten Pfeile flogen, verfehlten die Elben aber glücklicherweise. Elladan erspähte einen weiteren Schützen, griff sich den nächstbesten Stein in seiner Reichweite und warf ihn dem Feind an den Kopf. Elrond registrierte nur am Rand das Geschehen in den Bäumen, verließ sich mehr auf sein Gehör um den Pfeilen auszuweichen, während er noch immer versuchte, den Ork auf Abstand zu halten. Dieser holte mit seinem Breitschwert zu einem kräftigen Schlag aus, der Elrond, welcher wieder einem Pfeil ausgewichen war, von den Füssen riss. Glorfindel sah Elrond stürzen und bemerkte, dass einer der Bogenschützen direkt auf ihn angelegt hatte. Mit einem kräftigen Tritt in die Kniekehle des Orks, der davon zu Boden ging, befreite sich der blonde Elb von seinem Widersacher und lief auf Elrond zu. Elrond richtete sich gerade wieder auf und wehrte einen Angriff ab, als er einen seiner Söhne eine Warnung ausrufen hörte. Das nächste was er spürte war, wie ihn jemand an der Schulter packte und zurückriss, sodass er mit dem Rücken auf dem Boden landete. In einem Reflex wollte sich Elrond gegen den vermeintlichen Angreifer verteidigen, bemerkte fast zu spät das goldblonde Haar und musste dann mit Entsetzen sehen, wie sich ein Pfeil durch die Lederrüstung in die Brust seines Freundes bohrte. Ein entsetzlicher Schmerzensschrei übertönte das Grollen des Donners. Glorfindel ging zu Boden und der Ork, der zuvor mit Elrond gekämpft hatte, nutzte seine Chance und holte zu einem Schlag aus um den Krieger zu töten. Elrond rappelte sich auf, stürzte vor und riss sein Schwert gerade noch rechtzeitig über den Kopf um den Schlag abzublocken. Nur einen Augenblick später stieß einer der anderen Elben sein Schwert in den Ork, der ungläubig auf die Elbenklinge starrte, die aus seiner Brust ragte und sein Schwert fallenließ, bevor er tot zusammenbrach. Ein Kampfschrei ließ Elrond herumfahren. Glorfindels Gegner rannte mit erhobenem Schwert direkt auf ihn zu. Der Herr von Imladris zögerte nicht, erhob sich, lief auf den Angreifer zu und stieß ihm sein Schwert in die Brust bevor dieser seinen Schlag hatte ausführen können. Der Bogenschütze, der Glorfindel getroffen hatte, war in der Zwischenzeit geschickt vom Baum gesrungen und floh. Elladan setzte ihm nach, fest entschlossen ihn zur Strecke zu bringen und verschwand im Wald. Elrohir lief seinem Bruder nach nachdem er sich mit einem kurzen Blick vergewissert hatte, dass die Orks und die übrigen Bogenschützen erledigt waren. Elrond sah seine Söhne einem der Schützen nachlaufen. „Delayar, folg ihnen und halt sie auf!“, rief er einem der Krieger zu, der sofort reagierte. Der Heiler wandte sich Glorfindel zu, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden lag und gerade versuchte, sich den Pfeil aus der Brust zu ziehen. Elrond hinderte ihn daran und sprach beruhigend auf ihn ein, während er einen ersten Blich auf die Verletzung warf. Die Rüstung verhinderte einen genauen Blick auf die Wunde, aber der Pfeil hatte zum Glück kein lebenswichtiges Organ getroffen. „Elrond, schau dir das an!“ Während die übrigen Krieger das Gebiet sicherten, trat Navarion mit einem der Pfeile an ihn heran. Der Pfeil war in Gift getaucht worden. Es roch bittersüß, doch der Heiler konnte es nicht zuordnen. Was es auch war, es verursachte große Schmerzen. Glorfindels Atem ging stoßweise und es schien ihn bis aufs Äußerste zu Quälen auch nur einen weiteren Atemzug zu tun. *** Elladan holte den Schützen ein, griff nach seinem Arm und zwang ihn so kurzfristig anzuhalten. Bevor der Elb jedoch irgendetwas tun konnte, hatte der vermummte Unbekannte in seine Tasche gegriffen und schleuderte ihm Staub ins Gesicht. Elladan stieß einen spitzen Schrei aus, als seine Augen anfingen zu brennen. Dennoch ließ er den Schützen nicht los, versuchte aber sich den Staub mit der freien Hand aus den Augen zu reiben. Auf diese Weise geblendet sah er das Messer nicht, dass sein Gegner gezogen hatte und ihm nun in den Arm stieß, mit dem er ihn festhielt. Mit einem weiteren Schrei lockerte Elladan den Griff und der Schütze befreite sich. *** Elrohir rannte noch schneller, als er den Schrei seines Bruders vernahm. Als er Elladan erreichte, kauerte dieser auf dem Boden und rieb sich das Gesicht, das blutverschmiert war. Elrohir sah den Bogenschützen zwischen den Bäumen verschwinden und schon im nächsten Moment war Delayar bei ihm. „Kümmere dich um ihn!“ Nach diesen Worten verfolgte er den Unbekannten. „Elrohir nein! Komm zurück!“ Verzweifelt kniete Delayar neben Elladan nieder, unschlüssig, ob er dem anderen Zwilling folgen sollte oder nicht. Das Schluchzen hielt ihn schließlich davon ab, dem anderen zu folgen. Er besah sich den Elben an seiner Seite näher. Am rechten Arm hatte er eine Stichwunde, das Blut hatte er sich im Gesicht verteilt während er seine Augen rieb. „Elladan, hör auf! Lass mich das mal sehen.“ Nur mit Mühe gelang es Delayar, einen Blick auf die Augen zu werfen. Sie waren stark gerötet und begannen bereits anzuschwellen. „Wir müssen zurück und dir die Augen auswaschen.“ Der Krieger half ihm auf, hielt seine Hände in einem festen Griff, um ihn daran zu hindern, sich noch mehr die Augen zu reiben und alles noch schlimmer zu machen. Vorsichtig führte er ihn zurück zur Lichtung und warf noch einen besorgten Blick über seine Schulter. *** Elrohir hatte den Schützen wieder im Blickfeld. Der Kerl hinterließ nicht zu übersehende Spuren. Plötzlich schlug der Fremde einen Bogen und brach aus dem Saum des Waldes heraus. Elrohir hielt abrupt an und suchte hinter einem Baum Deckung. Der Schütze lief auf ein Lager zu, das dort errichtet war. Ein paar Männer kamen ihm entgegen. Menschen. Das waren Menschen! Wie hatten sie die übersehen können? Elrohir duckte sich hinter einen Busch. Der Schütze deutete auf den Wald und schien zu erzählen, was geschehen war. Die Männer sahen zum Wald, schienen Elrohir aber nicht zu bemerken. Der Zorn in ihm schwoll an und er wollte nichts anderes, als sein Versteck verlassen und jedem einzelnen von ihnen die Kehle aufzuschlitzen. Noch mehr Männer traten in sein Blickfeld und er atmete einmal tief durch, um den Zorn kontrollieren zu können. Emotionen führen zu falschen Entscheidungen, insbesondere wenn Wut oder Hass im Spiel sind. Er rief sich Glorfindels Worte ins Gedächtnis, der ihn und seinen Bruder so oft ermahnt hatte. Elrohir zwang sich zur Ruhe. Er beobachtete das Geschehen vor sich und zählte 15 Männer, alle bewaffnet. Wie viele sich noch in den Zelten aufhalten mochten, die dort aufgestellt waren, konnte er nicht sagen. Platz boten sie jedenfalls für weitere Personen…oder für Waffen. Die Männer beobachteten nun gemeinsam den Waldrand. Der Schütze gab nach einer Weile Anweisungen und ein paar der anderen kamen auf den Waldrand zu. Vermutlich um ihn zu suchen oder sicherzustellen, das dem Bastard niemand gefolgt war. Der Zorn versuchte wieder die Kontrolle zu übernehmen. Widerstrebend entschloss sich der Elb, sich zurückzuziehen. Allein würde er sie nicht schlagen können, auch wenn er nichts sehnlicher getan hätte, als sich jeden einzelnen vorzunehmen. ‚Euer Temperament wird euch nochmal den Kopf kosten! Und wer weiß, ob ihr damit nicht noch andere mit in den Tod reißt!‘ Glorfindels harsche Worte in seinem Kopf holten ihn in die Realität zurück. Die Männer waren noch weit genug entfernt, dass er sich davonstehlen konnte. Elrohir kroch zunächst zu ein paar engstehenden Bäumen, die etwas weiter vom Waldsaum entfernt lagen. Dann lief er gebückt zwischen den Bäumen entlang und beschleunigte schließlich seine Schritte bis er rannte. Für Menschen waren seine Schritte lautlos und solange sie ihn nicht sahen, war er sicher. Er prägte sich den Weg zurück zur Lichtung genau ein. *** Delayar stützte Elladan, als sie auf die Lichtung traten. Während ihrer Abwesenheit hatten die übrigen Elben eine notdürftige Trage gebaut, mit der sie den mittlerweile bewusstlosen Glorfindel zurück zu den Pferden tragen konnten, den Elrond notdürftig versorgt hatte. Der Heiler sah kurz auf und schickte ihm Navarion entgegen. „Was ist passiert?“ Der Heiler wandte sich seinem Sohn zu, als die drei ihn erreichten. „Eine Stichwunde am Arm, aber wir müssen ihm dringend die Augen auswaschen. Der Kerl hat ihm irgendein Pulver ins Gesicht geworfen.“ Elrond genügte eine kurze Untersuchung der Augen seines Sohnes um festzustellen, dass sie sich bereits entzündet hatten. Sie mussten den Rest des Pulvers schnell auswaschen und ihn zurück bringen. „Zu den Pferden, schnell!“ In diesem Moment trat Elrohir auf die Lichtung. „Ada, wir müssen weg hier, schnell! Da sind noch mehr Menschen. Ich weiß nicht, ob sie bis hierher kommen werden.“ „Du hilfst deinem Bruder. Delayar, Navarion, ihr zwei bildet die Nachhut. Los jetzt!“ Menschen. Sie hatten die gefallen Bogenschützen bereits identifiziert. Jedenfalls zwei davon. Elrond hatte sie im letzten Herbst aus Imladris verbannt, weil sie versucht hatten, seine Gastfreundschaft auszunutzen und die Elben zu bestehlen. Besonders auf Waffen hatten sie es abgesehen. So schnell es ihnen mit den beiden Verletzten möglich war, kehrten sie zu den Pferden zurück. Mittlerweile regnete es in Strömen und das Gewitter war direkt über ihnen.Die Menschen schienen ihnen nicht weiter zu folgen. Elrohir wusch seinem Bruder die Augen mit dem Wasser aus, das sie bei den Pferden gelassen hatten. Danach half er ihm auf sein Pferd aufzusitzen und setzte sich hinter ihn. Navarion half Elrond, Glorfindel auf Asfaloth zu setzen und hielt den Verletzten fest, während sich der Heiler ebenfalls auf Asfaloths Rücken schwang. Sie brachen sofort auf und ritten so schnell es Glorfindels Zustand erlaubte zurück in die Sicherheit des Tals. Elrond hatte Navarion schließlich vorgeschickt, damit alles für ihre Ankunft vorbereitet wurde. Als sie Imladris erreichten, kamen ihnen bereits mehrere Elben entgegen um zu helfen. Celebrián kam mit bleichem Gesicht zu Elrond um ihm zur Hand zu gehen. „Nein, kümmere dich um Elladan. Wir brauchen einen Athelas-Aufguss. Wasch damit seine Augen aus.“ Mehr brauchte er ihr nicht zu sagen damit sie wusste, was weiter zu tun war. Lindir und Navarion halfen Elrond mit Glorfindel und trugen ihn auf einer bereitstehenden Trage in die Häuser der Heilung. *** Celebrián wusch ihrem Sohn die Augen aus, trug eine Salbe auf, welche die Schwellungen und Schmerzen lindern sollte und verband ihm schließlich die Augen. Er hatte noch einmal Glück gehabt. Sie setzte sich neben ihn und nahm ihn in die Arme. *** In der Zwischenzeit halfen Lindir und Navarion in einem benachbarten Raum, Glorfindel die Rüstung auszuziehen, damit Elrond sich um seine Verletzung kümmern konnte, nachdem der Halbelb das Ende des Pfeils abgebrochen hatte. Die Wunde um den Pfeil hatte eine grünliche Färbung angenommen. „Ich muss den Pfeil rausziehen.“ Elrond gefiel die Vorstellung nicht. Glorfindel würde schreckliche Schmerzen haben, aber es war die schnellste Methode. Elrohir mischte ein Gegengift zusammen, nachdem er das Gift auf dem anderen Pfeil, den sie mitgenommen hatten, bestimmt hatte. „Elrohir, komm her und hilf mir.“ Der junge Elb stellte das Gegenmittel zur Seite und trat an das Bett, in dem Glorfindel lag. *** Ein entsetzlicher Schrei war aus dem Nebenraum zu hören, der Celebrián und Elladan zusammenzucken ließ. Sie brauchten nicht zu sehen oder zu fragen, was dort geschah. „Nana…“ Mehr brachte Elladan nicht hervor. „Schon gut, alles wird wieder gut.“ Beruhigend strich sie ihm über den Rücken und begann ihm das Lied vorzusingen, das sie ihren Söhnen immer vorgesungen hatte, wenn sie als Kinder nicht hatten schlafen können. Es war schon später Abend, als Elrond den Raum betrat und nach seinem Sohn sah. Er sah blass und erschöpft aus, genau wie Elrohir, der nach ihm eintrat und sich neben seine Mutter setzte. Elladan war eingeschlafen. „Wie geht es ihm?“, fragte Celebrián, nachdem Elrond sich vergewissert hatte, dass es ihrem Sohn soweit gut ging. Ihr Gemahl antwortete nicht was bedeutete, dass das Schlimmste wohl noch vor ihm lag. Die Familie blieb in der Nacht in diesem Raum. Nur Elrond sah zwischendurch immer wieder nach Glorfindel. *** „Hast du überhaupt geschlafen?“, fragte Erestor am nächsten Tag, als er den Heiler neben Glorfindels Bett sitzen sah. Ein Kopfschütteln war die Antwort. „Geh und iss erst mal etwas. So bist du ihm keine Hilfe. Ich bleibe solange hier.“ Mit einem müden Lächeln erhob sich Elrond und drehte sich erst an der Tür nochmal zu seinem Berater um. „Danke.“ Erestor lächelte ihm aufmunternd zu und setzte sich an Glorfindels Bett. Der blonde Elb atmete schwer und hatte über Nacht Fieber bekommen. *** Elrond betrat seine privaten Gemächer. Celebrián saß gemeinsam mit Elrohir am Tisch und zwang ihn offensichtlich etwas zu essen. Sie lächelte ihn an, als er sich zu ihnen setzte. „Muss ich dich überreden oder isst du freiwillig?“, fragte sie nun vollkommen ernst. „Ich füge mich in mein Schicksal.“ Elrond nahm eines der Brote von Celebriáns Teller und begann zu essen. Ihm war nicht aufgefallen, wie hungrig er eigentlich war. „Ada?“ Elrohir sah seinen Vater besorgt an. „Mach dir um deinen Bruder keine Sorgen. Es wird ihm schon bald wieder besser gehen.“ „Und Glorfindel?“ Elrond hatte gehofft, dass sein Sohn dies nicht fragen würde. Etwas war falsch gewesen an dem Gift. Er hatte es selbst noch einmal überprüft und das gleiche Gift festgestellt wie sein Sohn und doch war da etwas anders. Etwas, wogegen das Gegenmittel wirkungslos war. „Er wird schon wieder. Schließlich hat er euch noch ein paar Lektionen zu erteilen.“ „Kann ich zu ihm?“ „Geh schon. Aber nachher wirst du noch etwas essen, verstanden?“ Celebrián hatte anstelle ihres Gemahls geantwortet. Sie sah die Last auf den Schultern der beiden, die Unruhe in ihren Augen und sie hatte den Durst nach Rache gestern in Elrohirs Augen gesehen. Alles, was ihn von diesem Zorn abzulenken vermochte war richtig. Elrohir stand auf und verließ das Zimmer. Celebrián griff nach Elronds Hand und er sah sie dankbar an. In Momenten wie diesen war er froh, sie an seiner Seite zu haben in dem ihm selbst jede Kraft zu verlassen schien. *** Glorfindel spürte etwas Kaltes auf seiner Stirn und etwas Warmes an seiner Hand. Oder umschloss es seine Hand sogar? Er konnte es nicht sagen. Alles, was von außen zu kommen schien, war dumpf. Was er deutlich spürte war dieser Schmerz und die Müdigkeit. Er wollte schlafen. Einfach nur schlafen und den Schmerz vergessen. Doch etwas schien ihm die Luft abzudrücken. Das Atmen fiel ihm schwer. Mit jedem Atemzug fühlte er sich noch schwächer und Dolche schienen ihm in die Seiten gestoßen zu werden. Da war etwas…etwas dunkles…gefährliches. Elrond…er musste es ihm sagen… *** Besorgt wischte Erestor den Schweiß von Glorfindels Stirn, während er seine Hand hielt. Sein Freund hatte Schmerzen, aber da war noch etwas. Eine Gefahr, die er nicht benennen konnte. Und dann, mit einem Schlag, offenbarte sich die Gefahr, zeigte ihr eiskaltes Antlitz und ergötzte sich an Erestors Verzweiflung. Die Tür öffnete sich und Erestor sah nur kurz auf. „Elrohir, hol deinen Vater. Schnell!“, rief er dem Elben zu, der gerade den Raum betreten hatte. Ohne zu fragen rannte Elrohir los. Er hatte schon beim Eintreten so ein ungutes Gefühl gehabt. Das Erbe seines Vaters, das ihm sagte, wann jemand in ernster Gefahr schwebte ohne ihn nur berührt zu haben. „Glorfindel, wach auf! Hörst du? Du musst aufwachen!“ Erestor hatte den bewusstlosen Krieger an den Schultern gepackt und versuchte, ihn wach zu rütteln. Er musste ihn aufwecken! Von einem Augenblick auf den anderen hatte es begonnen, das Schwinden, etwas, das jeder Elb beim anderen spüren konnte, egal ob er selbst Heiler war oder nicht. Glorfindel würde sterben, wenn er nicht mehr aufwachen würde. Aber wieso? *** „Ada, komm schnell!“ Elrohir platzte in das Zimmer seiner Eltern, in dem er noch kurz zuvor gegessen hatte. Ein Blick in Elrohirs Augen genügte Elrond, um zu wissen was passiert war. Als er das Zimmer betrat, in dem Glorfindel lag, spürte er bereits das Unheil. Erestor versuchte noch immer, den Elben zu wecken. Elrond eilte an seine Seite und legte die Hand auf die Stirn des Kriegers. Ein stechender Schmerz durchzuckte sein Herz. Glorfindel rang mit dem Tod. „Glorfindel, wach auf!“ *** Da war etwas…nein…jemand…etwas Warmes…und…ein Geräusch? Die Müdigkeit zog Glorfindel weiter hinab, fort von all dem Schmerz. Hinab in eine Tiefe, die seinen Instinkt alarmierte. Das Atmen schmerzte…alles schmerzte. Es sollte aufhören. Immer mehr versank er in der Dunkelheit. Etwas zog ihn in die andere Richtung…fort von der Dunkelheit, die ihm Erholung versprach. Schlafen…nur ein wenig…damit das Atmen nicht mehr so schmerzt… *** Eine Träne stahl sich aus Glorfindels Auge. Elrond spürte, wie ihm sein Freund entglitt. Etwas zerrte an seiner Seele. Es war kein einfaches Schwinden, wie es manchen der Erstgeborenen erfasste. Etwas zerrte an der Seele des Elben, entzog seinem Körper die Lebenskraft und verursachte Schmerzen. Schmerzen, die Elrond mitfühlte. Wie lange hatte Glorfindel diesen Schmerz…diese Müdigkeit schon verspürt? Es war schon länger da gewesen, schon bevor er verletzt wurde. Seine Gabe sagte es ihm. Hatte er auch den Hass in ihm bemerkt? War der auch schon vorher da gewesen? Der Heiler zwang sich zur Konzentration. Er musste ihn zurückholen. *** Ein brennender Schmerz…es schien ihn langsam zu zerreißen…die Dunkelheit zerrte an ihm, doch jetzt zerrte ihn auch etwas in die andere Richtung. Es brannte. Glorfindel wehrte sich. Der Schmerz sollte aufhören! *** Elrond spürte den Widerstand, Glorfindel wehrte sich, aber nicht gegen das, was ihn umzubringen versuchte. Er wehrte sich gegen Elrond! Der Hass in Glorfindel wandte sich nun ebenfalls gegen ihn. Er konnte es fühlen. Seine Hände, die eine auf Glorfindels Stirn, die andere auf sein Herz gelegt, begannen zu schmerzen. Ein brennender Schmerz, der ihm seine Kraft entzog. Schwarze Punkte begannen vor seinen Augen zu tanzen und er spürte, wie er zu zittern begann. Er hörte etwas und hörte es doch wieder nicht. Er durfte nicht loslassen. „Elrond? Was ist mit dir?“ Besorgt beobachtete Erestor die Veränderung, die mit dem Heiler vor sich ging. Sein Blick war plötzlich seltsam leer und er zitterte. Elrohir, der nach seinem Vater den Raum betreten und bisher entsetzt zugesehen hatte, kam nun näher. Es schien, als wäre sein Vater nicht mehr er selbst, als würde ihn etwas Aufzehren. „Elrond? Sag etwas!“ Elrond spürte, wie ihn jemand an den Armen fasste. Er sah nicht, wer es war oder was um ihn herum vorging. Da war nur noch Schmerz und dieser grenzenlose Hass. Etwas, das ihn hinab zog…ihn und Glorfindel…etwas, das sie beide vernichten wollte. *** Der Schmerz nahm ab, die Dunkelheit zog ihn nun wieder zu sich. Er konnte nicht mehr…wollte nicht mehr…etwas umfing ihn, nahm ihn in die Arme…doch dann riss ihn plötzlich etwas mit aller Macht weg, fort von der erholsamen Umarmung, durch eine Wand aus Feuer und etwas schien seine Brust zu durchbohren. *** Eine Welle aus Schmerz durchzuckte Elrohir. Eine Welle, die von Glorfindel auszugehen schien und über seinen Vater auf ihn und wohl auch Erestor übertragen wurde. Er ließ den Arm seines Vaters dennoch nicht los. Ließ er los, würde er seinen Vater verlieren…und ebenso Glorfindel. Das Band musste aufrechterhalten werden. Eine zweite Welle, viel stärker als die erste und voller Schmerz und Hass traf Elrond, ein spitzer Ton füllte seinen Kopf und ließ seine Ohren schmerzen. Er versuchte seine Hände nicht fortzunehmen doch er konnte nicht. Der Schmerz stach wie ein Speer in seinem Kopf und seine Ohren schmerzten, als würden sich Glassplitter ihren Weg von dort in seinen Kopf bahnen. *** Mit einem Mal richtete sich Glorfindel auf und packte das erste, was seine Hände zu fassen bekamen und er festigte seinen Griff…drückte zu…was ihm auch diesen Schmerz zufügte, er hatte es vor sich und er würde es vernichten, würde den Schmerz vernichten… *** Als würde jemand die Zeit verlangsamen sah Elrohir, wie Glorfindel sich plötzlich aufrichtete und nach Erestors Hals griff, der wiederum versuchte seinen Vater zur Besinnung zu bringen. Erestor ließ von Elrond ab und versuchte, sich aus Glorfindels Griff zu befreien. Das Band…ich darf nicht loslassen…aber Erestor… Panik stieg in Elrohir auf. „Lass los“, sagte eine Stimme, von der er nicht wusste, woher sie kam oder zu wem sie gehörte. „Ich kann nicht!“ „Lass ihn los! Das Band ist nicht mehr nötig, aber du musst Erestor helfen!“ Jemand rief es ihm zu. Eindringlich, aber warm war diese Stimme…sie schien nicht von außen zu kommen…vielmehr von innen…aus seinem Herzen… Elrohir ließ den Arm seines Vaters los und versuchte nun, Glorfindels Hände von Erestors Hals zu lösen. Er suchte den Blick seines Lehrers und erschrak. Nicht Glorfindel sah ihn an sondern etwas anderes. Etwas durch und durch böses. Schwarze Augen schienen sich in seine Seele zu brennen und seinen Körper zu lähmen. „Sieh nicht hin! Sieh ihn nicht an!“ Warnend erhob sich die Stimme und es schien, als versuchte etwas in ihm seinen Kopf zu drehen. Aber er konnte nicht. Er konnte den Blick nicht abwenden…diese Augen…Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner, einen Körper, der seinen schützend zu umschließen schien und eine Wärme, die seinen Körper durchzog. „Sieh nicht hin!“ Eine weitere Hand schien sich über seine Augen zu legen und er schloss sie instinktiv. Plötzlich war der Bann gebrochen. Er öffnete seine Augen wieder und tat etwas, dass er nie zuvor getan hatte. Er gab Glorfindel eine saftige Ohrfeige. *** Auf einmal war der Schmerz weg und Elronds Sicht klarte auf. Ihm bot sich ein verstörendes Bild. Erestor hielt Glorfindels Arme fest, als befürchtete er einen Angriff. Sein Sohn war totenbleich und sah den blonden Elb mit einem Ausdruck an, als würde dieser ihn jeden Moment schlagen. Der Krieger hingegen schien an der Schwelle des Wahnsinns zu stehen. Er starrte Erestor an, als hätte er ihn getötet. „Glorfindel?“ Elrond sammelte sich und berührte vorsichtig den Arm seines Freundes. *** Mit einem Mal hatte das Zerren nachgelassen und das Bild, das sich ihm nun zeigte, erschütterte ihn. Er sah Erestor, der ihn mit nackter Angst in seinen Augen ansah und seine Arme in einem eisernen Griff festhielt…nur ein Stück weit von seinem Hals entfernt. Die Einzelteile setzten sich zu einem Ganzen zusammen. Er hatte nicht etwas versucht zu erwürgen, das ihn zu vernichten drohte…er hatte seinen besten Freund fast erwürgt. Den Schmerz in seiner Brust nahm er kaum war und auch die Tränen, die sich nun ihren Weg bahnten, fühlte er nicht. Alles was er wahrnahm, war Erestors angsterfülltes Gesicht bevor alles schwarz wurde. *** Elrohir griff in einem Reflex nach Glorfindel, als dieser plötzlich zusammensackte. Vorsichtig legten sein Vater und er ihn zurück aufs Bett, nachdem Erestor losgelassen hatte. Elrond prüfte den Zustand seines Freundes. Er hatte große Schmerzen, die er aber im Moment wohl nur kaum wahrnahm, die Wunde war wieder aufgeplatzt und blutete, aber erstaunlicherweise schien Glorfindel einigermaßen bei Kräften zu sein. Nach allem was geschehen war…wie konnte das sein? Er sah seinen Sohn an, sah die Erschöpfung in seinen Augen und spürte dann seine eigene. Daran hätte er auch gleich denken können. Als Heiler übertrug er, wenn er seine Gabe nutzte, immer einen Teil seiner Kraft auf den Verletzten. Bei der Behandlung einer einfachen Wunde war das nicht nötig, aber bei schwereren Verletzungen nutze er sie, um den Heilungsprozess zu beschleunigen oder den Verletzten von der Schwelle des Todes zurückzuholen, sofern noch Hoffnung bestand. Elrohir, dem von seinen beiden Söhnen am stärksten das Heilen im Blut lag, hatte dies wohl ebenfalls getan. Ob bewusst oder unbewusst war die Frage, die er ihm später stellen würde. Und jetzt war ihm auch klar, was mit dem Gift nicht gestimmt hatte. „Elrohir, versorg Glorfindels Wunde und danach ruhst du dich aus. Wir beide reden später.“ Mit diesen Worten wandte er sich Erestor zu und geleitete ihn in den Nebenraum. Äußerlich fehlte seinem Berater nicht viel. Ein paar Kratzer und blaue Flecken am Hals, wo der Krieger ihn zuvor gewürgt hatte. Aber der Schock über das, was geschehen war, saß tief. „Was war das Elrond? Das war nicht Glorfindel, oder?“ Erestor begann zu zittern. Der Heiler goss eine honiggelbe Flüssigkeit in einen Kelch und reichte ihn seinem Gegenüber. „Ja und nein. Das, was dich angegriffen hat, war nicht Glorfindel selbst sondern der Hass, der tief in ihm begraben war. Das Gift, das an dem Pfeil klebte, war mit einer magischen Tinktur versetzt, die jeden in den Wahnsinn treibt indem es seinen tiefsten Hass entfesselt und ihn blind macht. Es war ihm nicht mehr möglich, seinen Hass zu kontrollieren und Freund von Feind zu unterscheiden. Ich werde ihm etwas anderes dagegen verabreichen müssen, damit er nicht dem Wahnsinn verfällt. Es tut mir leid Erestor. Ich habe diese Tinktur nicht bemerkt. Es ist mir erst klar geworden, nachdem das alles gerade vorbei war.“ Elrond sah ihn entschuldigend an. Es dauerte einen Moment, bis Erestor die Bedeutung der Worte begriff. Der Heiler setzte sich neben ihn und legte seinen Arm in einer beruhigenden Geste um die Schulter seines Freundes. Es würde wohl eine Weile dauern, bis er alles verarbeitet hatte. *** Nachdem Elrohir Glorfindels Wunde versorgt hatte, strich er ihm das Haar aus dem verschwitzten Gesicht. Er konnte den Schmerz fühlen und noch etwas anderes. Er war noch nicht so weit, in einer solchen Situation seine Emotionen zurückzudrängen und zu verstehen, was er da alles wahrnahm. Sein Vater hatte ihm gesagt, dass es viel Zeit brauchte, seine Gabe derart kontrollieren zu können. Er strich seinem Lehrer über die Wange und dann kochte der Zorn wieder in ihm hoch. Die Menschen! Wären sie nicht gewesen, dann wäre das alles nicht passiert! Und sie waren noch dort draußen, am Waldsaum, wo sie jederzeit wieder zuschlagen konnten. Ungestraft. Nein, das würde er nicht erlauben. Sie würden dafür bezahlen! Elrohir drückte noch einmal Glorfindels Hand und verließ dann rasch das Zimmer. Er würde dem ein Ende setzen. *** Glorfindel war plötzlich hellwach. Den Schmerz in seiner Brust nahm er kaum wahr. Er brauchte einen Moment, um sich zu orientieren und dann dämmerte ihm, was ihn geweckt hatte. Hass. Er konnte ihn spüren, aber es war nicht sein Hass. Er hinterließ eine Spur, raus aus dem Zimmer. Er folgte ihr, angetrieben von einer dunklen Vorahnung was passieren würde, wenn er nichts tat. Er folgte dem Gefühl von Hass bis in Elrohirs Zimmer, der gerade sein Schwert anlegte. „Wo willst du hin?“ Erschrocken drehte sich Elronds Sohn um und starrte ihn ungläubig an. Jedoch nur einen Moment, denn dann kochte es wieder in ihm hoch. Er sah es in seinen Augen. „Ich werde es beenden.“ Elrohir versuchte Glorfindel zur Seite zu stoßen, doch dieser hielt ihn fest. „Das wirst du nicht!“ „Doch, das werde ich! Sie sind gefährlich! Sie haben dich fast umgebracht und wer weiß, was sie als nächstes tun, wenn ich sie nicht aufhalte! Sie dürfen nicht am Leben bleiben!“ „Du darfst das nicht! Du darfst deinem Zorn nicht nachgeben!“ Glorfindel hielt ihn nun mit beiden Händen fest, brauchte jedoch jetzt all seine Selbstbeherrschung, denn der Hass kochte jetzt auch in ihm wieder hoch. Vor seinem geistigen Auge sah er erneut, wie der Bogenschütze den Pfeil auf Elrond abfeuerte. „Wieso sollte ich das nicht? Sie haben es nicht anders verdient!“, schrie Elrohir und versuchte mit aller Kraft, sich aus dem Griff seines Lehrers zu befreien und er konnte einen Arm freibekommen. „Wenn du nachgibst, dann werde ich mich auch nicht mehr zurückhalten können!“ Glorfindel schrie diese Worte mit einer Mischung aus Hass, Verzweiflung und Angst heraus, die Elrohir erstarren ließ. Er drehte sich zu seinem Lehrer um, sah ihm in die Augen und sah etwas, dass alles, was er ihm beigebracht hatte plötzlich in einem anderen Licht erscheinen ließ. Er sah den gleichen Durst nach Rache in seinen Augen, die er selbst spürte. Und er sah, wohin es führte. Wahnsinn spiegelte sich in den Augen des Kriegers wieder, angefacht von Zorn und Hass und nur noch mit Mühe zurückgehalten. ‚Ihr dürft niemals eurem Zorn und eurem Hass nachgeben, sonst wird es euch eure Seele kosten!‘ Glorfindel hatte nie die Beherrschung verloren, war immer Herr seiner Handlungen und Gefühle gewesen. Doch jetzt erkannte Elrohir, das er all die Jahre, all die Jahrhunderte, wahrscheinlich sein ganzes zweites Leben diesen Hass unterdrückt hatte, der ihn nun an den Rand des Wahnsinns trieb. Er hatte ihnen nicht einfach eine Lehrstunde erteilt, er hatte ihn und seinen Bruder dazu benutzt, seinen eigenen Hass im Zaum zu halten. Er hatte sie gebraucht um er selbst zu bleiben und nun drohte all das zu zerbrechen, weil Elrohir seinem Zorn nachgab. *** Glorfindel war auf die Knie gesunken, er verlor die Kontrolle und der Hass begann ihn zu überwältigen. Schwärze umfing seine Gedanken, verdrängte alles, was war, verdunkelte sein Blickfeld. Doch dann, als nur noch Dunkelheit und Hass zu existieren schienen umfing ihn Wärme und ein Licht, nur ein winziger Funke zunächst aber wachsend, drängte die Dunkelheit zurück. Als er langsam wieder wahrnahm, was um ihn herum geschah, bemerkte er Elrohir, der ihm in die Arme gefallen war und weinte. Schritte näherten sich und kurz darauf fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Elrond. Er sah ihn nicht und hörte ihn nicht aber er wusste, dass er es war. Er schloss seine Augen und hielt Elrohir fest. Er gab ihm die Kraft, den Hass wieder wegzusperren. Elrond spürte, wie der überwältigende Hass, der Glorfindel ergriffen hatte, nachließ und verdrängt wurde. Es war nicht einfach Hass, es war der unstillbare Durst nach Rache, die er niemals würde haben können. Die Möglichkeit, sich für die Qualen und die Verluste seines vergangenen Lebens zu rächen und sich so von seinem Schmerz zu befreien. Ein Rachedurst, der niemals versiegen würde, weil er niemals gestillt werden konnte. Aber er konnte im Zaum gehalten werden. Mit der Hilfe derer, die ihm am nächsten standen. „Wir sind bei dir. Du musst die Last nicht länger alleine tragen mein Freund“, flüsterte Elrond ihm ins Ohr und es war, als würde die Last tatsächlich leichter. Er öffnete seine Augen und sah erst Elrond an, der verstehend nickte. Er brauchte ihm nichts erklären. Seine Gabe hatte ihm wohl alles offenbart. Er wandte sein Kopf der anderen Person zu und konnte nicht anders als seinen Tränen freien Lauf zu lassen. „Es tut mir leid!“ Er sah Erestor schuldbewusst an. Wie konnte er das, was geschehen, war nur je wieder gut machen? Erestor spürte, wie die Angst in ihm nachließ. Alles, was er in Glorfindels Augen jetzt sah waren Verzweiflung, Angst und die aufrichtige Bitte um Verzeihung. Es drohte ihm das Herz zu zerreißen, seinen besten Freund in diesem Zustand zu sehen. All die Zeit hatte er nicht mitbekommen, wie Glorfindel innerlich zerfressen wurde, wie ihm die Kontrolle entglitt und dabei schien es doch plötzlich die ganze Zeit so greifbar gewesen zu sein. Die Tage, an denen er allein sein wollte ohne zu sagen, was in ihm vorging. Die Tage, an denen er so grundlos unkonzentriert zu sein schien. Vor allem jene Tage, an dem er die Wut in ihm hatte kochen sehen und es nur banale Auslöser dafür zu geben schien: Ein zerbrochener Krug, das er seine Arbeit für irgendwen oder wegen irgendwas unterbrechen musste oder ein harmloser Streich der Zwillinge. Doch er hatte stets die Kontrolle behalten. Aber um welchen Preis? Sie hatten es alle nicht gemerkt. Keiner von ihnen, bis es heute aus ihm herausgebrochen war in all seiner Bösartigkeit. Sie hatten ihren besten Freund, Vertrauten und einen der größten Krieger im Stich gelassen. Erestor sah Glorfindel tief in die Augen und spürte, wie nun ihm die Tränen das Gesicht hinabliefen. „Ich verzeihe dir…und bitte vergib mir, dass ich deine Not nicht erkannt habe.“ Glorfindel zog ihn an sich. Eine unendlich schwere Last schien ihm von den Schultern genommen zu werden. Vielleicht würde doch noch alles wieder gut werden. *** Ein Mond war seit jenen Ereignissen vergangen. Glorfindel saß auf seiner Terrasse und blickte hinaus aufs Tal. „Möchtest du dich nicht setzen?“ „Was hat meine Anwesenheit verraten?“ Elrond betrat die Terrasse und setzte sich neben Glorfindel auf die Bank. „Als dein ranghöchster Krieger sollte ich es doch sicherlich merken, wenn jemand sich nähert. Sonst würde ich meine Aufgabe nicht gut machen.“ „Wohl wahr…Galadriel hat eine Nachricht geschickt. Die Menschen sind weiter Richtung Gondor.“ Elrond betrachtete den Elb neben sich. Glorfindel atmete tief durch, erwiderte jedoch nichts. Elrond hatte die Menschen mit Hilfe seiner Krieger gestellt. 19 waren es gewesen. Ihr Zusammenschluss mit den Orks war nicht mehr gewesen als ein brüchiger Waffenstillstand. Wären die Kreaturen siegreich gewesen, hätten sie sich sicherlich als nächstes auf die Menschen gestürzt. Zusammen hatten sie eine Gruppenstärke erreicht, mit der sie einzelne Elben hätten töten können. Ein gemeinsames Ziel konnte vorübergehend verbinden. Elrond hatte die Menschen aus dem Reich verbannt. Sollten sie jemals einen Fuß auf elbisches Gebiet setzen, würde man sie töten. „Elrohir hat mir erzählt, dass er eine Stimme gehört hat, als ich vom Hass besessen war. Er denkt, es wäre einer der Valar gewesen. Glaubst du, er hat recht?“ Der blonde Elb sah Elrond fragend und hoffend zugleich an. „Was denkst du?“ „Ich denke, es könnte so gewesen sein. Es würde erklären, warum danach irgendwie alle unsere Gedanken und Gefühle offener zu liegen schienen. Wie ein Buch, das man nicht selbst aufgeschlagen hat. Nur für einen Moment. Ein Nachklang ihrer Anwesenheit, wie sie überliefert wurde von denen, die ihnen begegnet sind.“ Glorfindel schwieg, sah eine Weile nur in die Ferne und wandte sich schließlich wieder Elrond zu, der ihn anlächelte. „Das gleiche denke ich auch.“ Der Krieger lächelte nun ebenfalls. „Weißt du noch, dass du mir gesagt hast, ich sei zu viel allein?“ „Das tat ich. Und weiter?“ „Wenn du und Celebrián mal eine Tochter bekommen solltet, werde ich einfach ihr den Hof machen.“ Glorfindel sah Elrond herausfordernd an. „Das werden wir ja dann sehen“, erwiderte der Halbelb gespielt warnend bevor die beiden gemeinsam die Ruhe des Tals auf sich wirken ließen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)