Vertrauen von Devi (Eine Wichtelgeschichte für Alaiya) ================================================================================ Kapitel 1: Ich will dich doch nur beschützen -------------------------------------------- Mein Seelenstein leuchtet auf, als ich ihm die Energie des Kummersamens zuführe, ich kann genau beobachten, wie das Dunkle herausgezogen wird. Es ist sogar noch Energie übrig, was mich nicht wundert, da die Hexe von heute doch ein ganz schönes Stück Arbeit war. „Du hast es wirklich wieder geschafft! Du wirst immer besser Orenda!“, lobt mich meine Freundin Onatah, als sie den Kummersamen entgegen nimmt. Ich gebe die Kummersamen, bei denen noch Energie übrig ist, immer an sie weiter, da sie sie sicherer verwahren kann als ich, sie hat ein gutes Gedächtnis. Ihre dunklen Augen leuchten und ich spüre, wie es mich beruhigt, sie so zu sehen. „Das ist schon in Ordnung. Wenn man Übung hat, dann wird man besser.“ Ich kann nicht behaupten, dass es leicht war, das wäre Heuchelei, trotzdem habe ich das Gefühl, Onatah schätzt das Ganze ein bisschen schwerer ein, als es ist. Vielleicht auch deshalb, weil es sie so sehr zu beeindrucken scheint. „Gut gemacht!“, höre ich nun auch eine andere vertraute Stimme. Das kleine Tier gesellt sich wie üblich zu uns, zufrieden mit dem Schweif wippend. „Kyubey“, spricht Onatah, noch immer voller Begeisterung, „hast du den Kampf miterlebt? Ich hätte sterben können vor Spannung! Noch großartiger wäre es wohl nur dann gewesen, hätte ich selber kämpfen können!“ Ich erschrecke kurz, als ich das höre, aber besinne mich auch gleich wieder. „Ist schon in Ordnung, Onatah, ich will dich da nicht mit hineinziehen. Ich kämpfe für meinen Wunsch.“ „Weiß ich doch, weiß ich doch. Ich habe das Gefühl, dass du als Puella Magi das ganze Land allein beschützen kannst. Das ist so wunderbar!“ „Überschätz‘ mich mal lieber nicht.“ Ich bin froh, dass Onatah mich nicht nach meinem Wunsch gefragt hat, wie sie es sonst oft tut. Das ist ein Geheimnis, das ich nicht einmal ihr, meiner besten Freundin, anvertrauen will. Der restliche Nachmittag verläuft ruhig, wie sonst auch. Onatah und ich sammeln gemeinsam Kräuter und Beeren, denn auch wenn es jetzt meine Pflicht ist, diesen Ort vor Hexen zu beschützen, muss ich auch meine dörflichen Pflichten weiter einhalten. Kyubey läuft neben uns her, vielleicht in der Hoffnung, etwas von dem Abendessen abzubekommen. Allerdings beunruhigt es mich ein bisschen, dass Onatah ihn sehen kann. Kyubey hat einmal zu mir gesagt, dass nur Menschen mit magischem Potenzial dazu in der Lage wären, was auch ein bisschen Magie in Onatah voraussetzt. Nur wenn sie ihn nicht sehen könnte, wüsste ich sie völlig sicher vor der Verlockung, ihr Leben für einen Wunsch zu verkaufen. Zuhause angekommen laufen wir gleich zu meiner Mutter, der Ältesten. Viele Frauen sind gerade nicht um uns herum, aber das ist kein Wunder. Die Männer sind zum Jagen fortgezogen, somit ist es auch der Dorffrauen Pflicht, für unser Volk zu spähen und sicherzustellen, dass sich niemand nähert, der hier nichts zu suchen hat. „Onatah, Orenda! Schön, dass ihr wieder da seid“, begrüßt uns meine Mutter in einem neutralen Tonfall. „Ihr seid gerade richtig, ihr müsst noch einen Teil der Ernte einholen.“ Ich sehe zu ihr und nicke, obwohl ich viel lieber ein wenig ruhen würde. Onatah lächelt sie nur an und sieht dann zu mir: „Na dann mal schnell, Orenda, bevor es dunkel wird!“ Manchmal beneide ich sie für ihre endlose Energie, besonders, wenn ich bedenke, was letztes Jahr passiert ist. Ihre Mutter war schon lange gestorben und letzten Herbst war dann ihr Vater von dem Feind gefangen worden und ist dort zu Tode gekommen. Angeblich hat man ihn brutal zu Tode gefoltert. Das ist so eine Unsitte anderer Stämme, unsere aber genauso und ich würde mir wirklich wünschen, dass das aufhört. „Orenda, steh‘ da nicht wie festgewachsen!“, höre ich meine Mutter und folge Onatah schnell aus dem Haus. Gerade als wir die ersten Maiskolben eingesammelt und sicher verstaut haben, sehe ich, wie Dekanawida mit einem ängstlichen Gesichtsausdruck zu uns gerannt kommt. Er ist einer der wenigen Jungen, die noch im Dorf sind, weil er für die Jagd einfach noch zu jung ist. „Da nähert sich jemand! Sie kommt!“ Ich gehe eiligen Schrittes zu ihm hin und packe ihn an den Schultern, ihm tief in die Augen sehend, um ihn zu beruhigen. „He, ganz ruhig. Wen hast du gesehen? Wen?“ „Ein Mädchen! Ein Mädchen in ganz seltsamer Kleidung. Eine Weißhaut!“ Ich zucke zusammen, dann stoße ich ihn ein Stück weg und rufe: „Orenda, geh mit ihm zurück zu Mutter! Gib ihr Bescheid, was los ist, ich werde das regeln!“ Orendas kurzen Protest ignorierend laufe ich, so schnell ich kann, in die Richtung, in der Dekanawida gespäht hat. Sobald ich merke, dass die beiden anderen außer Sichtweite sind, aktiviere ich meinen ockerfarbenen Seelenstein und mein Kostüm erscheint. Goldene Reife erscheinen an meinen Ohren und um meine Oberarme und Beine,ein orangebraunes Tuch, bis an die Knie reichend umgibt meinen Oberkörper, in einem Lederband an der Hüfte zusammengebunden. An den Beinen teilt es sich und wickelt sich um jeweils ein Bein. Meine lockigen Haare werden zu einem langen Zopf geformt, von einer roten Ranke zusammengehalten und meine Waffe, ein goldbraunes Tomahawk, erscheint in meiner Hand. Warum so eine Verkleidung, die ohnehin jeder auf Anhieb durchschauen würde, das habe ich Kyubey schon gefragt, aber eine richtige Antwort habe ich nicht bekommen. Es scheint für ihn wohl eine Art Kampfritual zu sein. Zwar habe ich keine Hexe zu erwarten, aber mit der Magie Kyubeys kann man auch hervorragend gegen normale Menschen kämpfen, wie ich schon öfter festgestellt habe. Außerdem besteht zwischen einer Hexe und einer Weißhaut, von der enormen Kraft der Hexe abgesehen, gar kein Unterschied. Vorsichtig schleiche ich durch das Unterholz, Kyubey auf der Schulter mit mir tragend und versuche zu hören, woher der Feind kommt. Dann, an einer Lichtung, sehe ich sie. Die Weißhaut, mit komischer Kleidung, wie Dekanawida gesagt hat. Ihre Haare haben die Farbe von Stroh und ihre Augen funkeln, wie einer dieser Flüsse inmitten des Waldes. Sie starrt mich angestrengt an, aber sie hat keine Waffe bei sich. Was macht eine weibliche, unbewaffnete Weißhaut ganz alleine hier? Bestimmt ist das eine Falle, würde ich sie angreifen, würden mich ihre Freunde mit Pfeil und Bogen niederschießen. Also erwidere ich nur ihren Blick, bis ich merke, dass sie gar nicht mich ansieht. Sondern zweifellos Kyubey. Er steht nun genau zwischen uns, die Weißhaut anblickend, während er, wie so oft, seinen Schweif schwingt. Es herrscht völlige Ruhe, nur das gelegentliche Rauschen des Windes, wie er an den Bäumen zieht, ist manchmal zu hören. „Orenda“, erklingt Kyubeys Stimme in meinem Kopf, als erstes Geräusch seit langem. Ich antworte nicht, sondern sehe nur zu ihm, dann zu ihr, dann wieder zu ihm. „Das ist kein Feind.“ Ich zucke zusammen, genau zeitgleich mit der anderen. Hat sie gehört, was Kyubey gesagt hat? Ist es die Überraschung, dass ein Tier plötzlich etwas gesagt hat? In ihrem Kopf widerhallend? „Wenn das keine Feindin ist, Kyubey, wieso sieht sie dann aus wie eine von ihnen? Und wieso hat sie dann einfach, ohne um Erlaubnis zu bitten, unser Land betreten?“ „Warum fragst du sie nicht einfach selber?“, erwidert Kyubey. Ha, netter Versuch. Sie spricht doch bestimmt eine ganz andere Sprache als ich. „Mir ist durchaus bewusst, dass ihr nicht die gleiche Sprache sprecht, aber ich beherrsche es. Und ich kann als Vermittler agieren. Erinnerst du dich an die Art, auf die du mit Onatah kommunizieren kannst, wenn ich bei euch bin?“ Natürlich erinnere ich mich, schließlich machen wir das oft. So können wir beispielsweise bei der Arbeit miteinander reden, ohne dass es eine der anderen Frauen mitbekommt, sie können Kyubey weder sehen, noch hören. „Es ist mir auf die gleiche Art möglich, die mir von euch zugesandten Gedanken zu übersetzen und weiterzuleiten. Es ist ganz so, als würdet ihr miteinander reden und euch gegenseitig verstehen können.“ Kyubey würde mich nicht anlügen, warum sollte er auch, also versuche ich es einmal, obwohl ich mir dabei sehr lächerlich vorkomme. „Wer bist du und wieso bist du einfach in unser Land eingedrungen?“, wiederhole ich mich, über Kyubey kommunizierend. Sofort höre ich eine Stimme in meinem Kopf, eine weibliche, klar wie das Wasser eines rauschenden Flusses. Sie muss zu ihr gehören. „Mein Name ist Marin und ich bin hierher gekommen, um euch zu helfen. Um uns zu helfen. Und was ist mit dir? Bist du auch eine von diesen... Iroquois?“ „Ich gehöre dem Stamm der Irokesen, unter der Führung von Shanna der Weisen an, ich weiß nicht, was du mit... Irok-wah meinst. Und wovon redest du, wenn du „uns helfen“ sagst?“ Glaubt sie, dass wir ein Haufen dummer Wilder seien, die ohne sie verloren wären, so wie alle anderen Weißhäute auch? Die glauben, sie täten uns einen Gefallen, indem sie unsere mühsam angelegten Felder für ihre eigenen merkwürdigen Setzlinge zerstören? Die glauben, sie hätten ein Recht, sich in unserem Land zu bewegen, wie sie gerade wollen? „Kein Grund gleich so aggressiv zu reagieren... Orenda. Ich bin genau wie du, es gibt keinen Grund, mich wie eine Verbrecherin zu behandeln. Ich bin hier, um euch im Kampf gegen Hexen beizustehen.“ Glaubt sie, sie könnte mich für dumm verkaufen? „Du bist nicht wie ich. Du bist eine Weißhaut, ein Eindringling, der fremden Besitz für sich beansprucht, ich will nur das Land beschützen, das schon vor zahlreichen Jahren unseren Ahnen gehört hat.“ „Weißhaut? Ein unschönes Wort“, sagt sie, wirkt aber nicht beleidigt. Einen Moment lang herrscht völlige Stille, dann sieht sie mich mit ihren stechenden Augen an und ich höre: „Ich bin ebenso eine Puella Magi.“ „Sie spricht die Wahrheit. Marin hat, genau wie du, einen Pakt mit mir geschlossen und hat nun die Pflicht, gegen Hexen zu bestehen.“ Ich weiche ein kleines Stück zurück, Kyubey anstarrend, aber dann fange ich mich wieder. „Kyubey“, setze ich an, wieder laut, damit die andere mich nicht verstehen kann, „Wie kann das passiert sein? Du warst immer mit bei Onatah und mir, wann bist du zu den Weißhäuten gegangen? Und, was noch wichtiger ist, wieso? Ich bin gut genug, um die Gegend hier alleine zu schützen, klar?“ „Es ist schon eine Weile her, dass ich Marin getroffen habe, das war bevor ich euch kennengelernt habe, Orenda. Es ist nicht so, dass ich schon immer hier gelebt habe. Ich habe schon sehr viele andere Orte gesehen und andere Puella Magi getroffen, das kannst du mir glauben.“ Ich seufze leise, dann wende ich mich wieder an das Mädchen, mich über Kyubey verständigend: „Ich brauche keine Hilfe, ich kann die Gegend alleine beschützen. Geh‘ am besten wieder da hin, wo du hergekommen bist, damit wäre uns allen geholfen.“ „Oha, eine ganz Mutige, wie?“, fragt Marin spöttisch. „Na dann zeig mir am besten mal, was du drauf hast!“ Ich sehe, wie sie einen weißen Seelenstein aus ihrer Tasche hervor zieht und darüber streicht, gleich darauf steht sie in anderer Kleidung vor mir. Wenn das ihr Puella Magi-Kostüm ist, dann ist es aber wirklich unpraktisch: Es ist ein sehr langes, weißes, zusammengenähtes Tuch, das um ihre Hüften geht und sehr ausladend ist, mit blauen Spitzen und roten Fäden verziert. Es sieht nicht aus, als könnte man sich darin gut bewegen. Am Oberkörper erscheint eine Art durchgehendes Tuch, das genau zu ihrer Körperform passt, mit Ausnahme der Schultern, da sind große Puffer zu sehen. Auf ihrem Kopf erscheint ein Hut aus Stroh wie ihn die Fischer tragen, aber komplett in weiß und mit einem rot-blauen Band darum. Ob das wohl die für Weißhaut-Frauen übliche Kleidung ist? In ihrer Hand hat sie jetzt einen weißen Bogen, sehr ungewöhnlich. Ich zücke mein Tomahawk und renne auf sie zu, nicht gerade sondern immer wieder die Richtung ändernd, um den Pfeilen besser ausweichen zu können, wenn sie welche schießen sollte, aber gerade als ich sie erreiche, springt sie zur Seite und rennt dann in den tieferen Wald. Ich starre ihr nur hinterher, sie könnte ja einen Trick planen, aber dann höre ich etwas, was dafür sorgt, dass mir das alles gerade unwichtig wird: Es ist ein heller, spitzer Schrei, mit Sicherheit von Onatah. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken herunter und sofort renne ich los. Mein Tomahawk lasse ich verschwinden, jetzt zählt erst einmal, dass ich schnell bei meiner Freundin sein kann. Wenn diese Weißhaut ihr etwas antun sollte... ich balle meine Hand zu einer Faust. Aber je näher ich dem Schrei komme, desto schwerer scheint die Luft zu werden und gleich dämmert mir, was hier los ist. Die Bäume verschwimmen, sehen auf einmal wie Totempfähle aus. Feindliche Totempfähle, die verschiedene, scheußlich verzerrte Gesichter darstellen, ich kann nicht sagen, ob sie zu einem Menschen oder einem Tier gehören. Der Himmel - sofern man das Gebilde noch als Himmel bezeichnen kann - wird leuchtend orange, während sich das Gras rot verfärbt. Das ist es, hier muss eine Hexe erschienen sein. Ich lasse das Tomahawk wieder erscheinen und sehe mich hastig um, als auch schon die ersten Familiare auf mich zukommen. Sie haben diesmal die Gestalt von Büffeln, in verschiedene, dunkle Farben gehüllt, mit Hörnern, die wie Dolche aussehen. Ihre Gesichter sind zu Fratzen verzerrt, wie die der Totempfähle, die uns noch immer umgeben und die ganze Zeit über scheinen sie mich anzugrinsen. Ich habe zwar noch einige Kraft übrig, trotzdem will ich einen Kampf lieber vermeiden. Die Kleinen sind unwichtig. Ich manövriere mich, so gut, wie ich kann durch die Familiaren hindurch, als das nicht klappt springe ich hoch und versuche, über ihre Rücken zu rennen. Ich muss die ganze Zeit springen, um nicht erwischt zu werden, die Dolche blitzen gefährlich auf, sobald ich mein Spiegelbild darin sehe. „Orenda! Hier!“, höre ich die Stimme Kyubeys und bewege mich in die Richtung, aus der sie gekommen ist. Als es passiert. Bei meinem letzten Sprung schaffe ich es nicht schnell genug, meine Beine anzuziehen, sodass mich einer der Dolche erwischt und es der Länge nach aufschlitzt. Augenblicklich fängt es an, schrecklich zu brennen, aber ich unterdrücke einen Schmerzensschrei und beiße die Zähne zusammen. Bei meiner Landung kann ich gerade noch stehen, aber nur kurz, dann breche ich zusammen. Das Blut tropft aus der Schnittwunde und erzeugt violette Flecken am Boden, trotzdem sehe ich mich hastig nach Onatah um. Auch wenn ich verletzt bin, sie ist immer noch hilfloser als ich. Gerade will ich mich wieder aufrappeln, als die Umgebung erneut verschwimmt. Was ist los, verändert sie sich noch einmal oder ist die Hexe am Boden? Ich setze eine grimmige Miene auf und versuche, mich zu bewegen, aber es brennt zu sehr. Die Hexe kann unmöglich am Boden sein, bei den Familiaren ist sie sicher stärker als die heute früh. Marin kann einfach nicht so stark sein, auch wenn sie schon länger eine Puella Magi ist als ich! Tatsächlich aber normalisiert sich alles wieder und gleich bin ich wieder in dem Wald, in dem ich die Weißhaut vorher getroffen habe. Ich versuche aufzustehen, es schmerzt schon weniger als zuvor, aber es funktioniert immer noch nicht. „Orenda!“, höre ich die Stimme Onatahs, die immer näher zu kommen scheint. Kaum dass sie da ist, umarmt sie mich stürmisch, zumindest so stürmisch, wie es geht, wenn der umarmte Mensch am Boden sitzt. „Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert!“, flüstert sie. Ihr Gesicht ist ganz nah an meinem und ich spüre, wie meine Wangen erröten. Ich streiche ihr sanft durch das Haar und sehe ihr tief in die Augen, die ganz feucht sind, so als ob Onatah gleich weinen würde. Sie lässt mich wieder los und ihr fällt die große Wunde an meinem Bein auf, woraufhin sie erschrocken die Hände vor den Mund schlägt. „He, es ist nicht so schlimm, wie es vielleicht aussieht, das heilt schnell wieder. Du weißt doch, meine magischen Kräfte.“ Tatsächlich hat die Wunde schon größtenteils zu bluten aufgehört, aber sie schmerzt immer noch ziemlich. Gerade als ich versuche, aufzustehen, sehe ich, wie Marin mit Kyubey auf uns zukommt. Ich bemühe mich, mir nichts anmerken zu lassen, ich darf vor dieser Person auf keinen Fall Schwäche zeigen. Ich traue ihr nicht. „Alles in Ordnung?“, fragt sie mich, aber es klingt nicht besorgt. Sie hält mir eine Hand hin, aber ich schlage sie weg und versuche, selbst aufzustehen, was sogar funktioniert. Ich stütze mich an Onatah ab, die meinen linken Arm um ihre Schultern legt und dann zu Marin sieht. Recht so, sag‘ ihr, dass wir ihre Hilfe nicht brauchen. „Du warst wirklich gut, Marin“, höre ich die Stimme meiner Freundin in meinem Kopf, „Ich hätte nicht gedacht, dass es auf der anderen Seite des Ozeans auch Puella Magi gibt.“ „Es gibt sie eigentlich überall“, antwortet Marin. Versucht sie, sich einzuschmeicheln? „Onatah, wir sollten einfach zurückgehen und sie in Ruhe lassen.“, sage ich laut zu Onatah, damit uns diese Marin nicht verstehen kann, dann versuche ich, mich zu bewegen, woraufhin sich Onatah mir gezwungenermaßen anschließt. Es ist für Marin aber kein Problem, uns zu folgen. Ein bisschen eindringlicher schließe ich also an: „Sie gehört zu denen. Sie wird so tun, als sei sie nett, aber sie wird uns verraten. Ich weiß es einfach.“ „Ah ja? Es ist ja beinahe schon bizarr, wie besessen du von dem Gedanken bist, Orenda. Man könnte meinen, du wärst nicht ganz frei von Vorurteilen.“ Ich erschrecke, als ich die Stimme höre. Es ist wieder in meinem Kopf und es ist nicht die Stimme Onatahs. Wie- wie hat sie mich verstehen können? Kyubey läuft neben uns her, wie immer mit dem Schweif wippend. „Kyubey...“, spreche ich leise, woraufhin er sich zu mir umdreht. „Entschuldige Orenda, ich dachte nur, es sei fairer, Marin an eurem Gespräch teilhaben zu lassen, wenn wir die Möglichkeit schon mal haben, oder nicht?“ „Keine Sorge, ich bin ganz sicher, sie will uns nur helfen. Sie ist auch da, um Hexen zu töten und die Leute zu beschützen, ich meine was hat sie denn für einen anderen Vorteil davon, uns zu helfen?“ Ich versuche immer, meine Freundin aus Puella Magi-Dingen herauszuhalten, daher kennt sie auch das genaue System nicht. Ich werde es ihr aber auch jetzt nicht erklären. „Eine Puella Magi ist in einer Gruppe nicht unbedingt besser dran, Onatah, belassen wir es dabei, ja?“ Sie zieht ein Gesicht, wie immer wenn ich ihr etwas, was sie interessiert, nicht erklären kann oder will. „Das System kann ich dir gerne erklären, Onatah, wenn du es wirklich möchtest!“, ertönt Marins Stimme. Sie macht eine kurze Pause, dann spricht sie weiter: „Vorausgesetzt deine Schwester hat nichts dagegen.“ Wir sind keine Schwestern, will ich zu ihr noch sagen, aber ich lasse es, sie ist meine Aufregung nicht wert. „Wir sind keine Schwestern“, erklärt Onatah, „Wir haben nur unser ganzes bisheriges Leben zusammen verbracht. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch klein war und mein Vater ist aus einer Gefangenschaft nie zurückgekehrt. Seitdem unterstehe ich direkt der Führung von Shanna, der Stammesführerin.“ Sie muss wohl meinen Blick bemerkt haben, denn Onatah schaut erst zu mir, dann schnell zur Seite, wobei sie betroffen aussieht. Du redest einfach zu viel, Onatah... auch wenn du niedlich aussiehst, wenn du rot wirst. „Ach so ist das. Nun, ich habe mich nur gewundert, weil ihr euch sehr nahe zu stehen scheint. Das ist selbst unter Schwestern selten. Aber nun gut, wenn du nicht willst, dann eben nicht.“ Am Waldrand angekommen, aber noch außer Sichtweite von Dekanawida oder einem andern Stammesmitglied, trennt sich Marin endlich wieder von uns. „Erhole dich gut, Orenda, es braut sich was zusammen. Ich kann jede Hilfe nur brauchen“, erklärt sie noch, dann geht sie weg. Endlich. „Los jetzt“, brumme ich und es dauert einen Moment, bis Kyubey merkt, dass ich ihn anstarre. „Los. Folge ihr. Mach, dass du wegkommst.“ „Wieso so eingeschnappt“, fragt das Tier ohne einen Hauch von Schuldgefühl. Auf meinen Blick aber wippt es nur wieder mit seinem Schweif, ehe ich die Stimme Dekanawidas höre. „Ihr seid wieder da. Gut, wir hatten uns schon Sorg- Orenda, du bist ja verletzt!“ „Es ist nicht schlimm, das war nur ein wild gewordener Büffel. Es hätte wirklich schlimmer kommen können, morgen bin ich bestimmt wieder fit.“, antworte ich. Der soll sich bloß nicht auch noch Sorgen um mich machen, außerdem stimmt es, von so einer Wunde erhole ich mich schnell, meines Wunsches wegen, hat Kyubey mal gesagt. Als ich mich wieder zu Onatah drehe, ist er verschwunden. Gut so, soll er doch bei der Weißhaut bleiben. Dieser elende Verräter. „Ich bringe Orenda jetzt in ihr Haus und behandele sie da, in Ordnung? Gib Shanna Bescheid. Alles wird gut, nur keine Angst.“ „Aber was ist mit dem Mädchen von vorhin?“, fragt er nun aufgeregt, „Habt ihr sie vertrieben?“ Noch ehe Onatah etwas sagen kann, antworte ich schnell mit „Ja“, um noch mehr lästige Fragen zu vermeiden. In unserer Ecke des Hauses angekommen, verbindet Onatah die Wunde schnell mit einem Tuch, aber das ist eigentlich nicht mehr wichtig, die Blutung hat schon länger aufgehört. Wir setzen uns beide auf unsere nebeneinander liegenden Schlafmatten und schweigen einen Moment, bis Onatah die Stille durchbricht, aber auf eine Art, die ich mir nicht von ihr gewünscht hätte. „Was hast du eigentlich gegen Marin?“ „Das muss ich dir noch erklären? Sie gehört zu denen. Auch wenn sie eine Puella Magi ist... Puella Magi sind nicht dazu bestimmt, als Gruppe zu agieren. Jeder hat sich etwas für sich selbst gewünscht, mal auf eine mehr, mal auf eine weniger eigennützige Art und Weise und jeder muss die Energie für die Magie, die ihm der Wunsch beschert hat, selber schaffen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich nicht will, dass du auch eine Puella Magi wirst.“ „Aber wenn man zum Beispiel zu zweit oder dritt ist, dann kann man doch auch seine Magie so verteilen, dass alle in etwa gleich viel haben, dann lassen sich auch Kummersamen reihum verteilen. Es hätte keine Nachteile, sondern nur den Vorteil, dass der Gegner sich gegen drei Puella Magi zur Wehr setzen muss.“ „Du wirst keine Puella Magi werden, Onatah, hör auf, so zu reden! Und erst recht nicht, nur um sich mit dieser Weißhaut zu verbünden! Sie betrachtet dich als wertlos, ein Köder bestenfalls, der an ihrer Stelle auf dem Schlachtfeld kämpfen kann, nur damit sie anschließend den Lohn für deine Mühen einfährt!“ „W-Wie kannst du so etwas nur sagen!“ Die Stimme von Onatah muss sich hörbar durch einige Tränen kämpfen und ich weiß, ich bin zu weit gegangen. „Du kennst Marin nicht, Orenda, aber du kennst mich! Du weißt, dass ich euch nicht zur Last fallen, aber helfen will! Ich will euch doch nur helfen!“ Jetzt kann sie nicht mehr, sie rennt aus dem Haus, ich rufe ihr noch hinterher: „Ich will dich doch nur beschützen, Onatah, verstehst du das denn nicht!“, aber ich weiß nicht, ob sie mich noch gehört hat. Ich sinke zusammen, starre auf den Boden meiner Matte und sage, eine Träne im Augenwinkel vor mich hin, ganz leise: „Ich will dich doch nur beschützen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)