Vertrauen von Devi (Eine Wichtelgeschichte für Alaiya) ================================================================================ Kapitel 2: Bitte vergib mir --------------------------- Ich warte noch eine ganze Weile, um zu sehen, ob Onatah zurück kommt, aber scheinbar will sie heute draußen nächtigen. Wegen des Wetters mache ich mir keine Sorgen, schließlich haben wir Sommer, es wird nachts nicht kalt. Aber was, wenn sie doch in den Wald geht und dort auf ein wildes Tier, eine Hexe oder eine Weißhaut trifft? Aber als Shanna das Haus betritt, um sich zur Ruhe zu begeben, versichert sie mir, dass mit meiner Freundin alles in Ordnung sei, sie nur wenige Meter gelaufen war und jetzt neben dem Haus auf einer der im Moment nicht genutzten Matten schläft. Schön, soll sie eben eine Nacht lang schmollen, ich kenne sie, morgen früh wird sie sich wieder beruhigt haben und auf die Patrouille mitkommen wollen. Also lege ich mich auf die Seite, schließe meine Augen und versinke, natürlich ohne es zu merken, in einen traumlosen Schlaf. „Orenda! Orenda, schnell, wach auf!“ Kyubeys Stimme ist es, die mich weckt, er klingt ganz aufgeregt. Aber als ich die Augen aufschlage und mich erschrocken aufsetze, blicke ich in das selbe ausdruckslose Gesicht wie immer. „Was ist denn los, Kyubey, stimmt was nicht? Hat eine Hexe das Revier betreten?“, frage ich ihn und reibe mir über die kurz geschlossenen Augen. „Ja, und was für eine, beeil dich besser, Onatah und Marin sind auch schon losgegangen.“ Blitzartig springe ich auf und sehe mich nach den anderen Frauen um. Es sind wenige, vermutlich sind viele schon zur Arbeit nach draußen gegangen, es ist also schon früh am Morgen. Ich versuche, nicht zu schreien, aber es fällt mir sehr schwer. „Wieso hast du sie nicht aufgehalten, Kyubey? Du weißt, dass sie nicht kämpfen kann!“ „Ich habe es versucht, aber sie wollte nicht hören. Außerdem hat sie auch gesagt, dass ich dir nichts davon sagen soll, dass sie mit Marin allein geht. Sie schienen sich so gut zu verstehen.“ „Du lügst doch! Wieso sollte sie so etwas sagen? Du lügst, Kyubey!“, schreie ich und packe ihn am Nacken. Jetzt war ich doch ein bisschen zu laut und bemerke müde Blicke, aber das interessiert mich nicht, dann schmettere ich Kyubey gegen die Wand, es ist mir gerade egal, was aus ihm wird! Was soll ich denn nur machen, wenn Onatah was passiert? So schnell ich kann verlasse ich das Haus, ignoriere alle Frauen, die mir im Dorf begegnen und erreiche den Rand des Waldes, die ganze Zeit an Onatah denkend. Ich schlüpfe in mein Kostüm und versuche, die Gegenwart einer Hexe zu spüren. Hastig renne ich in die Richtung, die mir mein Gefühl angibt, währenddessen gesellt sich auch noch Kyubey zu mir. Es scheint ihm gut zu gehen. „Hier lang!“, höre ich seine Stimme und renne ihm einfach nach. Bis er so plötzlich stehen bleibt, dass ich beinahe über ihn stolpere. „Die Hexe ist tot!“, verkündet er, „Aber wir müssen ganz nahe sein, ich kann Marin und Onatah spüren.“ Ich atme kurz durch, dann laufe ich mit Kyubey weiter. Ich denke nicht daran, mich bei ihm zu entschuldigen, Onatah hätte in großer Gefahr sein können, nur wegen ihm. Kurz darauf haben wir die beiden auch schon erreicht, sie sehen müde und abgekämpft aus, aber zufrieden. Es sieht nicht so aus, als wäre Onatah etwas passiert. Ich lasse mein Kostüm verschwinden, sehe dann zu meiner Freundin und hebe eine Augenbraue. Ich will ihr gerade erst mal in allem Umfang erklären, was ich für eine Angst ihretwegen hatte, aber sie kommt mir zuvor, indem sie mir in die Arme fällt. Ich kann spüren, wie ihre Tränen an meinem Körper herunter rinnen, während sie von Schluchzern geschüttelt wird und kaum ein verständliches Wort hervorbringen kann. Es ist, als ob sie schrecklich erschrocken wäre. Ich streiche ihr sanft über den Rücken, in der Hoffnung, sie zu beruhigen und es scheint zu wirken. „..s tut mir lei...!“, presst sie hervor. Sie atmet kurz vor sich hin, um sich zu beruhigen, dann blickt sie mich direkt an, ihre Augen immer noch feucht von Tränen. „Es tut mir so leid, Orenda! So leid! Einfach alles... wegen gestern und dass ich einfach losgegangen bin... Weißt du, ich habe mich gleich schlecht gefühlt, nachdem ich das Haus verlassen hab, aber ich hab mich nicht getraut, einfach wieder hineinzugehen... Ich konnte kaum schlafen und heute früh hab ich dann bei einem kleinen Spaziergang zufällig Marin getroffen und sie in ihren Kampf begleitet. Du hättest sie sehen müssen! Die Hexe war wirklich riesig-“ „Wie hat sie gekämpft? Die Weißhaut, meine ich, nicht die Hexe.“ Kyubey hatte auch schon gesagt, dass die Hexe ziemlich kräftig gewesen ist, genau wie die letzte auch, wie also konnte Marin so mächtige Wesen alleine besiegen? „Oh- ich muss gestehen, so genau habe ich nicht zugesehen. Ihre Waffe ist ein weißer Bogen, ihre Pfeile sind wirklich schön und stark. Aber was anderes wäre mir nicht aufgefallen.“ „Hat sie alleine gekämpft? War da vielleicht noch eine andere Puella Magi bei ihr, eine andere Weißhaut? Die Hexe war sehr mächtig, das habe nicht nur ich gespürt!“ Ich sehe kurz an meiner Freundin vorbei zu Marin, aber sie scheint in ein Gespräch mit Kyubey vertieft zu sein, in ihrer merkwürdigen Sprache. „Nein, niemand sonst. Sie hat auch vorhin gesagt, dass außer ihr nur wenige Frauen mit in dieses Land gekommen sind, keine von ihnen mit magischem Potenzial. Sie hat immer alleine kämpfen müssen.“ Ich streiche Onatah kurz über das Haar, während sie immer noch eng an mir hängt, da höre ich die Stimme von Marin: „Onatah, fang, es ist noch was übrig!“ Sie wirft etwas auf uns, erst als ich einen Moment genauer schaue, erkenne ich, dass es ein Kummersamen ist. Ich fange ihn anstelle meiner Freundin und umklammere ihn fest. „Wir brauchen deinen Almosen nicht, Marin, Onatah schon gar nicht, klar?“ „Lass sie doch“, beschwichtigt Onatah jetzt, „Ich lege ihn einfach zu den anderen, in Ordnung?“ Kyubey und Marin scheinen jetzt fertig mit ihrem Gespräch zu sein, also kommen sie zu uns herüber. Ich sehe zu Kyubey und kommuniziere mit ihm: „Kyubey, ich habe eine wichtige Frage an dich, lass Marin das nicht mitanhören, klar?“ Kyubey schaut mich nur ausdruckslos an. Ich weiß nicht, ob ich ihm noch trauen sollte, aber ich versuche es. „Der Pakt, den du mit Marin geschlossen hast - unterscheidet er sich auf irgendeine Art von dem Pakt mit mir?“ „Nein, es gibt keinen Unterschied“, lautet Kyubeys Antwort. Ah, ich dachte, ich hätte es. Was ist nur das Geheimnis hinter ihrer Kraft? Ich muss das noch herausfinden, aber sie muss das nicht mitbekommen. „Das war es ab sofort mit nutzlosen Geschenken, die nächste Hexe gehört mir. Halt dich ab sofort von hier fern!“ Marin zuckt nur die Achseln, dann wendet sie sich zum Gehen um. Was findet Onatah an der sympathisch? Sie ist zwar ein bisschen naiv, aber sie lässt sich auch mit Geschenken nicht kaufen. Und ihre offene Einstellung, das funktioniert auch nicht, schließlich hat sie ihre Mutter an Weißhäute und ihren Vater an den feindlichen Stamm verloren... sie hat jeden Grund dazu, misstrauisch zu sein. Endlich sind wir wieder im Dorf angekommen, Shanna scheint uns auch schon zu erwarten. Sie sieht nicht wütend aus, aber ich weiß, dass sie es ist. „Ihr Beiden, wo seid ihr gewesen? Es gibt genug zu tun, heute Abend wird uns ein heftiger Sturm erwarten. Wir müssen das Dorf umgehend vorbereiten und alles einholen, was es an Ernte noch einzuholen gibt. Los!“ Also machen Onatah und ich uns an die Arbeit, auf dem Acker, der von dem Dorf am weitesten entfernt ist. Es ist wirklich viel mehr zu tun, als ich gedacht hätte... wenn wir doch nur nicht so viel Zeit mit dieser Marin verschwendet hätten... Da kommt mir eine Idee. Niemand aus dem Dorf ist in der Nähe, mit Magie würden wir die Arbeit bestimmt rechtzeitig schaffen. „Onatah... geh schon mal los, und hole ein- bis zwei Kummersamen, ja? Ich werde das schnell erledigt haben. Und wenn dir diese Marin über den Weg läuft, sag ihr, dass wir keine Hilfe von ihr wollen, klar?“ Onatah nickt nur, dann rennt sie los und wieder schlüpfe ich in mein Kostüm. Mein Seelenstein verrät mir, dass ich wirklich aufpassen muss, aber ich vertraue ihr. Also beschwöre ich Tomahawk und kreiere einen kleinen Sturm mit mehreren Waffen, mit dessen Hilfe ich schnell die bereits lockeren Kolben von ihren Pflanzen lösen kann. Der Himmel verdüstert sich immer weiter, in der Ferne kann ich schon Donner hören, also beeile ich mich, die Arbeit zu erledigen. Bald habe ich es geschafft, der ganze Mais muss nur noch zum Vorratshaus gebracht werden, dann können wir den Sturm sicher überstehen, ohne Vorräte zu verlieren. Ein Blick auf meinen Seelenstein versetzt mir allerdings einen heftigen Schock: Er ist wirklich dunkel, ein bisschen mehr Magie und er wäre verbraucht gewesen. Kyubey hat mir nie erklärt, was passiert, wenn sich der Seelenstein komplett schwarz färbt, aber ich will es nicht ausprobieren. Ich lasse das Kostüm wieder verschwinden, dann laufe ich in Richtung Dorf zurück, wo mir Onatah auch schon entgegen kommt. Allerdings wirkt sie ziemlich aufgelöst. „Das Versteck!“, ruft sie panisch, „Es ist ausgeraubt worden! Die ganzen Kummersamen, sie sind alle weg! Orenda, ich- es tut mir so Leid!“ Ich erschrecke, aber da es Onatah noch viel schlechter zu gehen scheint, umarme ich sie kurz und versichere ihr, dass es nicht ihr Fehler war. Das Einzige, was wir also noch haben, ist der Kummersamen, den Marin uns heute früh zugeworfen hat. Ich benutze ihn, um meinen Seelenstein zu reinigen, aber viel Energie enthält er nicht mehr... ich weiß nicht, ob es für heute Nacht reichen wird. Ich merke, wie ich anfange, zu zittern. Das darf nicht sein! „Ah, da seid ihr ja, gut!“, höre ich eine vertraute Stimme. Kyubey ist wieder aufgetaucht. Genau zur richtigen Zeit. Er schnappt sich den nutzlos gewordenen Kummersamen und versenkt ihn in seinem Rücken, dann schnappe ich ihn und halte ihn am Nacken fest, direkt vor mein Gesicht. „Kyubey! Keine Ausflüchte, verrate mir jetzt auf der Stelle, was passiert, wenn sich mein Seelenstein schwarz färbt! Verrat es mir!“ „Dir wird das passieren, was allen anderen Puella Magi passiert ist, deren Seelenstein sich gefärbt hat...“ „Sag es!“, schreie ich ihn an. Ein sehr, sehr ungutes Gefühl steigt in mir auf. „Du wirst dich in eine Hexe verwandeln und Unheil verbreiten, bis eine andere Puella Magi dich tötet. Das ist das unabwendbare Schicksal eines jeden Mädchens, das sich einen Wunsch erfüll-“ Ich halte es nicht mehr aus. Ich schreie laut auf und schmettere Kyubey direkt vor mir auf den Boden, ich höre dabei etwas knacken, aber das ist mir egal. „Willst du mir damit sagen, dass jede Hexe, die ich bisher erlegt habe, mal ein Mädchen war? Ein normales Mädchen, das dir vertraut hat? Du- Du hast sie alle verraten! Ich kann das nicht glauben!“ Jetzt nicht mehr vor Angst, sondern vor Zorn zitternd schlüpfe ich wieder in mein Kostüm, lasse Tomahawk erscheinen und schlage damit zu. Auf Kyubeys Hals. Das nächste, was ich mitbekomme ist der Blick Onatahs, wie sie mich panisch anstarrt. „Kyubey! K-Kyubey, er ist- was hast du getan!“ „Jetzt kannst du nie wieder Menschen hintergehen!“, schreie ich den leblosen Körper des Tieres an, auch wenn mir klar ist, dass er mich nicht mehr hören kann. Mein Kostüm verschwindet wieder und ich sinke auf den Boden, erschöpft, aber von Genugtuung erfüllt. Onatah zittert immer noch und ich sehe, wie neben ihr Tränen auf den Boden tropfen. „Hey, beruhige dich“, fordere ich sie auf, „ Ich kann auch ohne ihn Hexen besiegen. Es ist nicht so, dass er jemals etwas getan hätte, abgesehen von dem Pakt und dem Verschlingen der Kummersamen. Und jetzt gehst du am besten zum Dorf zurück, ich muss mir noch eine Hexe suchen. Ich weiß nicht, wann ich nach dem Sturm das nächste Mal auf Jagd gehen kann.“ Onatah schüttelt heftig den Kopf und klammert sich an meinen Arm. „Ich werde mitkommen! Ich will dich nicht alleine lassen, Orenda, schließlich ist es meine Schuld, dass die Kummersamen-“ „Hör auf das zu sagen, du kannst nichts dafür, dass sie gestohlen wurden. Das war bestimmt sowieso diese Marin- oh nein, was, wenn die uns eine Hexe wegschnappt? Los jetzt!“ Ich springe sofort in den Wald hinein, Onatah klammert sich dabei an mich und schon bald haben wir tatsächlich ein Portal gefunden. „Bleib zurück. Dieser Familiar ist gerade erst zu einer Hexe geworden, er ist noch nicht zu stark. Du musst nur aufpassen, wo du hin trittst.“ Ich will dich schließlich nicht noch einmal verlieren, füge ich in Gedanken hinzu, dann verändert sich die Umgebung, wie gewohnt. Links und rechts neben uns ragen steinerne Säule empor und vor uns laufen mit Speeren bewaffnete, goldfarbene Rüstungen umher, wie sie sonst nur weißhäutige Krieger getragen haben. Da, wo ansonsten ihre Köpfe wären, befinden sich goldene Helme mit roten Büscheln darauf. Sie sagen etwas in einer Sprache, die ich nicht kenne und ohne Kyubey auch nicht verstehen werde, trotzdem bereue ich keine Sekunde, das Vieh erlegt zu haben. Ich lasse einige Tomahawks erscheinen und lasse sie auf die Rüstungen fliegen, sodass sie zusammenbrechen. Die Rüstungsteile zittern einen Moment, dann setzen sie sich wieder zusammen und kommen wieder auf uns zu. „Es hat keinen Zweck, wir müssen die Hexe schnell erlegen!“, rufe ich Onatah zu, dann packe ich sie und springe über das Heer an Rüstungen vor uns. Eine von ihnen springt direkt vor uns hoch und nur mit Mühe kann ich sie wieder zu Boden schleudern. „Sieh mal, da vorne! Das muss Marin sein!“, ruft Onatah erschrocken. Tatsächlich ist ein Stück vor uns eine andere Puella Magi am Werk. Pfeil und Bogen, diese schneeweiße Kleidung - ja, das kann nur die Weißhaut sein. Ich lande ein Stück entfernt von ihr, setze Onatah ab und versuche, die Hexe ausfindig zu machen. „Bleib dicht bei mir! Wir müssen diese Hexe finden, bevor es Marin tut!“ Ich spüre, wie ihr Herz schlägt, während sie meinen Arm umklammert, sie muss schrecklich aufgeregt sein. Sie hätte einfach bei den anderen bleiben müssen, da wäre sie sicher gewesen. Aber dafür ist es jetzt auch zu spät. „Sieh nur, da! Das muss sie sein!“, ruft Onatah aufgeregt. Ich drehe mich schnell in die Richtung, die sie mir zeigt und tatsächlich: Das muss unser Ziel sein. Ein ebenfalls mit goldenen Rüstungen gepanzerter Körper, auf dem der Kopf eines Tieres, einem Büffel ähnlich, thront, dessen Augen rot glühen und der ein langes, weißes Tuch um den Unterkörper trägt. Zweifellos die Hexe. Mit Handbewegungen scheint sie die Rüstungen bisher gelenkt zu haben, nun aber scheint es ihr damit genug zu sein und sie steht auf. Er ist mindestens vierzig Fuß hoch, wenn nicht sogar größer und schwingt nun wieder die Arme umher, wie ein Schamane, sodass sich die Rüstungen nun auf uns zu bewegen. Ich kann Marins Stimme hören, ohne Kyubey allerdings nicht mehr verstehen, was sie sagt. Aber das ist auch nicht nötig, sie deutet hektisch umher, auf die vielen Untergebenen. Es ist offensichtlich, dass sie mit ihnen Schwierigkeiten hat. Ich will mich nicht mit Marin verbünden, aber im Moment habe ich keine Wahl, schließlich geht um die Sicherheit von Onatah. Dafür bin ich mir nicht zu schade. Ich muss nur darauf achten, dass ich mir nachher den Kummersamen hole. Marin kann gerade so zur Seite springen, als die Hexe mit ihrem Speer nach ihr sticht. Das scheint aber weniger ein gezielter Angriff gewesen zu sein, als vielmehr ein Befehl an ihre Untertanen, sich auf Marin zu stürzen. Ich hebe meinen Arm und lasse einige Tomahawks auf die Rüstungen zufliegen, einige von ihnen werden mit einem schrillen Scheppern getroffen, aber nur um sich erneut wieder zusammenzusetzen. Je mehr ich von ihnen zerstöre, desto mehr scheinen sich um Marin zu rotten, es ist ein ziemlich sinnloses Unterfangen. Ich werfe einen Seitenblick auf meinen Seelenstein, der sich immer dunkler färbt. Ich werde diese Angriffe nicht mehr lange aushalten, Marin muss dringend fertig werden und das nicht nur meinetwegen, sondern auch für Onatah! Ich stoße mich kräftig vom Boden ab, um mir einen besseren Überblick auf die Umgebung verschaffen zu könne, da sehe ich sie. Onatah ist ebenfalls umringt von den Rüstungen, die Kampfesschreie auszustoßen scheinen und immer näher rücken. Das sieht nicht gut aus! Ich will über die Menge hinweg springen, muss aber immer wieder in kleinen Zwischenräumen zwischen den Massen der Rüstungen landen, ich merke schnell, dass ich Onatah nicht rechtzeitig erreichen werde. „Onatah!“, schreie ich verzweifelt, aber das bringt auch nicht viel. Mir ist es gerade egal, was aus Marin oder mir wird, ich beschwöre eine weitere Salve an Waffen und lasse sie auf die Rüstungen hageln, Onatah muss um jeden Preis beschützt werden! Es will mir aber nicht gelingen, alle Rüstungen zumindest kurz kampfunfähig zu machen, immer bleiben einige mehr übrig, die sich Onatah nähern. Sie sieht sich hastig um, und als sie mich erblickt, spricht nicht etwa Erleichterung, Angst oder eine andere nachvollziehbare Emotion aus ihr. Nein, sie blickt mich entschuldigend, beinahe schon mitleiderregend an. Was ist los mit ihr? „Bitte vergib mir,“ höre ich ihre Stimme, „Orenda.“ Vor meinen Augen zückt sie etwas, das ich nie an ihr sehen wollte, das ich immer geglaubt hatte, sie davor beschützen zu können: Einen glänzenden, meeresblau gefärbten Seelenstein. Gleich werde ich Zeugin ihrer Verwandlung. Unendlich viele Fragen schwirren mir durch den Kopf. Seit wann? Wofür? Hat diese unmögliche Weißhaut etwas damit zu tun!? „Onatah, Orenda!“, höre ich die aufgebrachte Stimme von Marin, während ich meine Freundin noch immer anstarre. Tränen rinnen langsam zu Boden, aber dann schüttelt sie energisch den Kopf, löst sich aus ihrer Starre und springt auf mich zu. „Wir müssen Marin helfen, sonst haben wir keine Chance gegen diese Hexe!“, ruft sie mir zu. Ich will wissen, was los ist, woran ich gescheitert bin, aber wie automatisch folge ich Onatah, damit wir erst einmal die Gefahr beseitigen können. „Es gibt einen guten Grund, ich schwöre es dir!“, höre ich die flehende Stimme Onatahs, „Nach dem Kampf werde ich dir alles erklären! Ich habe das bestimmt nicht grundlos getan!“ Sie lässt, genau wie ich, Tomahawks erscheinen und räumt einige Angreifer aus dem Weg, die scheppernd über den Boden rutschen. Die Hexe ist nun direkt vor uns. Sie hat uns noch nicht direkt angegriffen, sondern immer nur ihre Untergebenen auf uns gehetzt, das könnte bedeuten, dass sie keine Möglichkeit hat, sich aus der Nähe zu wehren. „Mit einigen gezielten Nahangriffen könnte es etwas werden!“, rufe ich, aber ich weiß, dass Marin mich nicht verstanden haben kann. Sie feuert weiterhin ihre Pfeile auf die Hexe, aber sie werden fast ausnahmslos von hochspringenden Rüstungen abgeblockt, sodass es reichlich sinnlos erscheint. Wie soll ich ihr bloß klarmachen, was ich von ihr will? Onatah und ich nähern uns der Hexe soweit, dass die nächsten Untergebenen ein Stück außer Reichweite sind, dann lasse ich Tomahawk erscheinen und schlage wie besessen auf sie ein, Onatah tut es mir gleich. Tatsächlich scheint es die Hexe auch zu schwächen. Die anrückenden Rüstungen werden, dank Marin, immer weniger, scheinbar weiß sie, was sie zu tun hat. „Jetzt den vernichtenden Schlag, wenn wir beide gleichzeitig treffen, dann müsste es klappen!“, schreit Onatah. Der Treffer muss sitzen. Wir haben nur eine Chance! Mein Seelenstein ist beinahe pechschwarz, auch der von Onatah sieht dunkler aus, auch wenn ich nicht glaube, was danach laut Kyubey passieren soll, ich glaube nicht, dass es was Gutes bedeutet. Nicht, wenn es von Kyubey stammt. Mit einem kräftigen Hieb treffen wir gleichzeitig auf den Körper der Hexe, ein Wirbel entsteht, der die Hexe augenblicklich zerfetzt. Die gewaltige Explosion schleudert uns weit davon, aber ich bemühe mich, schnell wieder auf die Beine zu gelangen, ich muss diesen Kummersamen bekommen, bevor Marin ihn sich schnappen kann. Sie hat uns im Kampf geholfen, aber jetzt sind wir wieder Feinde und ich habe keinen Grund, ihr zu trauen. Die Welt um uns herum normalisiert sich, sodass es wirklich endgültig vorbei zu sein scheint, dann sehe ich auch den Kummersamen, wie er langsam zu Boden schwebt. Ich sprinte herüber und schnappe ihn, er fühlt sich sehr warm an, als würde eine Menge Energie darin ruhen. Ich renne zu Onatah, sie soll den Kummersamen zuerst nutzen. Sie hat nicht so viel Energie verbraucht, daher dürfte auch für mich noch genug Kraft darin stecken, die Hexe war außergewöhnlich stark. Die stärkste, der ich je begegnet bin. Als ich aber Onatah erblicke, erschrecke ich: Sie ist entsetzlich blass, atmet schwer und sieht auch sonst nicht gesund aus. Es muss ernster um sie stehen, als ich gedacht habe. „Halte durch, hier, ich reinige deinen Seelenstein“, rede ich ihr beruhigend zu, ehe ich den Kummersamen mit ihrem Stein in Verbindung bringe. Ich sehe, wie die Magie absorbiert wird, aber an der Farbe des Steins verändert sich nichts. Wieso? Was passiert da? „Onatah, hey, was hast du denn!? Alles wird gut! Alles wird gut!“ Ich schreie mich damit halb selbst an, aber es will nicht helfen. „Orenda!“, höre ich jemanden rufen, es muss Marin sein, sehe dann, wie ein Pfeil durch die Luft schießt und den Seelenstein in der Hand Onatahs durchbohrt. Als der Stein zersplittert reißt sie ihre Augen für einen Moment auf, ehe sie einen ruhigen Blick bekommt und schlaff zu Boden sinkt. „Onatah, neeiin! Steh auf! Los jetzt, steh auf!“, schreie ich sie verzweifelt an, aber sie hört mich nicht. Sie atmet auch nicht mehr. Marin hat sie umgebracht. „Das war das einzig Richtige, auch wenn es schwer zu glauben ist“, höre ich ihre Stimme, jedes Wort, das ich höre, ergibt einen Sinn, anders als vorher. Ich weiß nicht, wieso ich sie auf einmal verstehen kann, schließlich ist Kyubey tot, aber das ist jetzt nicht wichtig. Inhaltlich liegt Marin so falsch, wie es nur geht. „Wieso musstest du sie töten! Wieso hast du ihre Seele zerstört!“ Tränen des Zorns steigen mir in die Augen. „Sie hat dir nie etwas getan, sie hat dir vertraut! Wieso!“ Ich sinke auf den Boden. „Wieso hast du sie getötet und nicht mich?“ „Es ist nichts Persönliches. Du weißt doch, was passiert, wenn man den Seelenstein, die kristallisierte Seele einer Puella Magi, nicht mehr versorgt? Was im Endeffekt das Schicksal von jeder von uns ist?“ Sie wartet keine Antwort ab, sondern redet gleich weiter: „Sie verwandelt sich in eine Hexe. Der Seelenstein, der einmal schwarz ist, wird zu einem Kummersamen und es gibt keinen Weg, das rückgängig zu machen. Deine Freundin war sowieso verloren, sie zu töten war der einzige Weg, ein noch größeres Unglück zu vermeiden. Glaub mir...“, sie hält einen Moment lang inne, „Ich weiß wie es ist, einen geliebten Menschen sterben zu sehen, ich fühle deinen Schmerz. Aber es ist das Beste für uns alle.“ „Aber wieso? Wieso wollte ihr Seelenstein die Energie nicht annehmen? Und... Moment mal.“ Ich stehe auf und starre Marin an. Eine Vorahnung beginnt, in mir Gestalt anzunehmen. „Das hast du doch alles geplant.“ „Was!?“ Erschrocken sieht sie mich an. „Was soll ich geplant haben? Deine Freundin hat die mächtige Hexe vernichtet, jede Puella Magi, die so etwas vollbringt, kann unmöglich als solche weiterleben!“ „Du hast Onatah dazu überredet, eine Puella Magi zu werden. Ich habe sie immer davon fern gehalten und ihr immer wieder gesagt, wie gefährlich das ist, sie hätte auf mich gehört. Ganz bestimmt vertraut sie mir mehr, als einer Fremden, noch dazu einer Weißhaut.“ „Ich weiß nicht, wovon du redest. Als ich sie zum ersten Mal getroffen habe, war sie schon eine Puella Magi. Sie hat mich angefleht, es vor dir zu verstecken, da sie wusste, du würdest das nicht gern sehen. Mich so grundlos anzuschuldigen grenzt schon an Racisme.“ „Lüg nicht!“ „Ich lüge nicht! Ich habe keinen Grund dich anzulügen, du willst einfach nur die Wahrheit nicht akzeptieren!“, entgegnet sie gereizt, „Das arme Mädchen wollte dir helfen, nichts weiter, so wie du ihr damals geholfen hast! Sie weiß davon! Das hat sie mir gesagt! Sie wollte dich nicht allein da stehen lassen!“ Ich trete einen Schritt zurück, sehe Marin dabei aber immer noch genau an. Sie ist beleidigt, aber das ändert nichts daran, dass sie eine Lügnerin sein muss. Onatah hat mich immer unterstützt, sie hat nie etwas vor mir verborgen. „Das behauptest du nur, um zu vertuschen, dass du ihre Kummersamen gestohlen hast! Du hast dich ihr angenähert, ihr Vertrauen erschlichen, um uns dann hintergehen zu können!“ „Mach die Augen auf! Du weißt, dass ich im Recht bin, dass deine Freundin die Samen anderweitig verwendet hat, nur weil ich anders aussehe, bin ich nicht gleich ein schlechter Mensch!" „Es reicht.“ „Du glaubst wohl auch, du wärst als Einzige mit Weisheit gesegnet, dabei sieht du die Wahrheit nicht mal, wenn sie klar und deutlich vor dir liegt!“ „Es reicht! Halt deinen verdammten Mund!“ Mein Seelenstein hat sich jetzt schwarz verfärbt. Es wird kein Zurück geben, aber das ist mir egal. „Du bist hergekommen, um uns um unser Land und unsere Ehre zu bringen! Du bist nicht daran interessiert, uns zu helfen. Du elende Lügnerin!“ Ich höre ein zartes, helles Klirren, dann schließlich zerbricht mein Seelenstein. Ich habe Onatah nicht beschützen können, also hat es keinen Zweck mehr, Magie zu verwenden. „Aber das reicht nicht. Ich nehme dich mit ins Grab. Dann wird es keine Puella Magi mehr geben, niemals wieder wird jemand so leiden müssen!“ Entsetzt schreit Marin auf, ein heller, schmerzvoller Schrei, aber ich bekomme es kaum noch mit. Alles um mich herum verfärbt sich dunkel, abgesehen von der Dunkelheit sehe ich fast nichts mehr. Das war es? Ich werde eine Hexe werden, Marin töten und vermutlich Unheil anrichten? Das ist egal. Ich habe mein Ziel nicht erreicht. Aber wenigstens habe ich meinen Ahnen einen großen Gefallen getan. „Oh, Orenda, so sieht man sich wieder.“ Eine hässliche, vertraute Stimme ertönt in meinem Kopf. Ich erkenne sie, aber das kann nicht sein. Es kann nicht sein, das ist unmöglich! Ich habe ihn doch getötet! Gibt es etwa noch mehr von Kyubeys Sippe? Ist er unsterblich? Wie lange ist er jetzt schon wieder da? Konnte ich wegen ihm Marin verstehen? Die Dunkelheit hat mich jetzt gänzlich umgeben, nur ein Licht scheint noch, direkt vor mir. Das glühende rote Licht, das von den beiden Augen eines Teufels ausgeht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)