Vertrauen von Devi (Eine Wichtelgeschichte für Alaiya) ================================================================================ Prolog: Kein Schicksal ist unabwendbar -------------------------------------- „Es wird nicht besser, es wird einfach nicht besser!“ Panisch knie ich neben meinem Vater, in seiner Kajüte. Er kann kaum sprechen, scheint schlimme Schmerzen zu haben und hat hohes Fieber, genau wie viele andere Mitglieder der Crew. Ich würde ihnen so gern helfen, aber ich kann es nicht. Ich wüsste nicht, wie. „Papa... so sag doch was!“ Ich klammere mich an ihn, wie ein kleines Kind, aber er bemerkt es scheinbar kaum. Er ist doch alles, was ich noch habe, außerdem ist er der Einzige auf diesem Schiff, vor dem ich keine Angst zu haben brauche. Sie wollen mich nicht, und das weiß ich. Ich dürfte überhaupt nicht hier sein. Endlich sieht Papa mich an, er versucht, zu lächeln, aber es wirkt gezwungen. „Mach dir keine Sorgen, alles wird gut. Bald wird es mir ganz sicher besser gehen, und wenn nicht-“ „Papa! Du darfst so etwas nicht sagen!“ Tränen steigen mir in die Augen, so sehr ich auch versuche, es zu unterdrücken. Ich darf keine Schwäche zeigen. „Wenn nicht, dann kümmern sich die Männer gut um dich. Man kann ihnen trauen.“ Kann man nicht!, schreie ich ihm in Gedanken entgegen, aber natürlich hört er es nicht. Ich will noch etwas zu ihm sagen, aber mir fällt nichts ein. Ich will ihn nicht allein lassen, aber diese bedrückende Atmosphäre halte ich auch nicht aus. Es ist fast wie bei Mama. Mit einem Kopfschütteln stehe ich auf und gehe nach draußen, nur um festzustellen, dass man mir jetzt, wo mein Vater nicht bei mir ist, wohl besonders deutlich signalisieren will, dass ich nicht erwünscht bin. Vielleicht auch, weil ich als eine der Wenigen auf dem Schiff gesund bin, oder es mir zumindest nicht so schlecht geht, wie den anderen, aber trotzdem nicht arbeiten kann. Im Grunde bin ich nur unnötiger Ballast, zumindest verhalten sie sich so, als wäre ich es, aber ich kann und will Papa nicht verlassen. Niemals. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit, aber ich ignoriere es, so gut es geht und stapfe an Jean-Jacques und Émanuelle vorbei, denen es auch noch vergleichsweise gut geht, die aber auch schon bessere Tage gesehen und am lautesten protestiert haben, als mein Vater verkündet hat, dass ich mit auf die Reise kommen will. Ein Blick auf das Meer, über dem die blutrote Sonne gerade um ihr Überleben zu kämpfen scheint, hilft mir anders als sonst nicht, mich besser zu fühlen. Ich lehne am Mast und sehe weiterhin auf den Ozean, bis meine Sicht verschwimmt. Ich schlucke mühsam einige Tränen runter und gehe noch einen kurzen Moment über Bord, ehe ich zu meinem Vater zurückkehren will. Bis ich etwas bemerke. Etwas Weißes sitzt vor der Kajüte meines Vaters, unablässig einen buschigen Schweif hin- und her bewegend. Bei genauerer Betrachtung wirkt es wie eine Katze oder ein kleiner Fuchs, aber ich bin ganz sicher, dass wir keine blinden Passagiere dieser Art mit an Bord genommen haben. Er hat rote Augen und lange Schlappohren, zumindest ist das alles, was ich an ihm noch erkennen kann. „Du kannst ihnen helfen.“ Die Stimme muss wohl von dem Tier kommen - Moment mal, ein sprechendes Tier? Ich weiche intuitiv einen Schritt zurück, aber das Tier ist klein und sieht auch nicht so aus, als würde es mir etwas antun wollen oder können. Vorsichtig mustere ich es. Als diese Worte ertönten, hat es seinen Mund nicht bewegt. „Du kannst sie von dieser schrecklichen Qual befreien, Marin.“ Ich erschrecke. Woher kennt das Tier meinen Namen? Und was meint es damit, dass ich ihnen helfen könne? „Wer bist du?“, mehr bringe ich für den Moment nicht hervor. Das Tier schwingt unbeirrt weiterhin seinen Schweif. Ob es versteht, was ich sage? „Mein Name ist Kyubey. Und ich kann dir helfen, das Schicksal dieser Menschen zu verändern.“ „Ihr Schicksal verändern? Du meinst, dass sie, wenn ich nicht- Woher willst du wissen, dass-", ich kann und will nicht aussprechen, was ich ihn fragen will, aber Kyubey scheint auch so zu verstehen. „Das kann ich nicht vorhersagen. Ich kann dir nur sagen, dass du die Macht besäßest, sie zu retten, wenn du es dir wünschst. Du musst dafür nur“, sein Schweif blieb stehen, „Einen Pakt mit mir schließen und eine Puella Magi werden.“ Kapitel 1: Ich will dich doch nur beschützen -------------------------------------------- Mein Seelenstein leuchtet auf, als ich ihm die Energie des Kummersamens zuführe, ich kann genau beobachten, wie das Dunkle herausgezogen wird. Es ist sogar noch Energie übrig, was mich nicht wundert, da die Hexe von heute doch ein ganz schönes Stück Arbeit war. „Du hast es wirklich wieder geschafft! Du wirst immer besser Orenda!“, lobt mich meine Freundin Onatah, als sie den Kummersamen entgegen nimmt. Ich gebe die Kummersamen, bei denen noch Energie übrig ist, immer an sie weiter, da sie sie sicherer verwahren kann als ich, sie hat ein gutes Gedächtnis. Ihre dunklen Augen leuchten und ich spüre, wie es mich beruhigt, sie so zu sehen. „Das ist schon in Ordnung. Wenn man Übung hat, dann wird man besser.“ Ich kann nicht behaupten, dass es leicht war, das wäre Heuchelei, trotzdem habe ich das Gefühl, Onatah schätzt das Ganze ein bisschen schwerer ein, als es ist. Vielleicht auch deshalb, weil es sie so sehr zu beeindrucken scheint. „Gut gemacht!“, höre ich nun auch eine andere vertraute Stimme. Das kleine Tier gesellt sich wie üblich zu uns, zufrieden mit dem Schweif wippend. „Kyubey“, spricht Onatah, noch immer voller Begeisterung, „hast du den Kampf miterlebt? Ich hätte sterben können vor Spannung! Noch großartiger wäre es wohl nur dann gewesen, hätte ich selber kämpfen können!“ Ich erschrecke kurz, als ich das höre, aber besinne mich auch gleich wieder. „Ist schon in Ordnung, Onatah, ich will dich da nicht mit hineinziehen. Ich kämpfe für meinen Wunsch.“ „Weiß ich doch, weiß ich doch. Ich habe das Gefühl, dass du als Puella Magi das ganze Land allein beschützen kannst. Das ist so wunderbar!“ „Überschätz‘ mich mal lieber nicht.“ Ich bin froh, dass Onatah mich nicht nach meinem Wunsch gefragt hat, wie sie es sonst oft tut. Das ist ein Geheimnis, das ich nicht einmal ihr, meiner besten Freundin, anvertrauen will. Der restliche Nachmittag verläuft ruhig, wie sonst auch. Onatah und ich sammeln gemeinsam Kräuter und Beeren, denn auch wenn es jetzt meine Pflicht ist, diesen Ort vor Hexen zu beschützen, muss ich auch meine dörflichen Pflichten weiter einhalten. Kyubey läuft neben uns her, vielleicht in der Hoffnung, etwas von dem Abendessen abzubekommen. Allerdings beunruhigt es mich ein bisschen, dass Onatah ihn sehen kann. Kyubey hat einmal zu mir gesagt, dass nur Menschen mit magischem Potenzial dazu in der Lage wären, was auch ein bisschen Magie in Onatah voraussetzt. Nur wenn sie ihn nicht sehen könnte, wüsste ich sie völlig sicher vor der Verlockung, ihr Leben für einen Wunsch zu verkaufen. Zuhause angekommen laufen wir gleich zu meiner Mutter, der Ältesten. Viele Frauen sind gerade nicht um uns herum, aber das ist kein Wunder. Die Männer sind zum Jagen fortgezogen, somit ist es auch der Dorffrauen Pflicht, für unser Volk zu spähen und sicherzustellen, dass sich niemand nähert, der hier nichts zu suchen hat. „Onatah, Orenda! Schön, dass ihr wieder da seid“, begrüßt uns meine Mutter in einem neutralen Tonfall. „Ihr seid gerade richtig, ihr müsst noch einen Teil der Ernte einholen.“ Ich sehe zu ihr und nicke, obwohl ich viel lieber ein wenig ruhen würde. Onatah lächelt sie nur an und sieht dann zu mir: „Na dann mal schnell, Orenda, bevor es dunkel wird!“ Manchmal beneide ich sie für ihre endlose Energie, besonders, wenn ich bedenke, was letztes Jahr passiert ist. Ihre Mutter war schon lange gestorben und letzten Herbst war dann ihr Vater von dem Feind gefangen worden und ist dort zu Tode gekommen. Angeblich hat man ihn brutal zu Tode gefoltert. Das ist so eine Unsitte anderer Stämme, unsere aber genauso und ich würde mir wirklich wünschen, dass das aufhört. „Orenda, steh‘ da nicht wie festgewachsen!“, höre ich meine Mutter und folge Onatah schnell aus dem Haus. Gerade als wir die ersten Maiskolben eingesammelt und sicher verstaut haben, sehe ich, wie Dekanawida mit einem ängstlichen Gesichtsausdruck zu uns gerannt kommt. Er ist einer der wenigen Jungen, die noch im Dorf sind, weil er für die Jagd einfach noch zu jung ist. „Da nähert sich jemand! Sie kommt!“ Ich gehe eiligen Schrittes zu ihm hin und packe ihn an den Schultern, ihm tief in die Augen sehend, um ihn zu beruhigen. „He, ganz ruhig. Wen hast du gesehen? Wen?“ „Ein Mädchen! Ein Mädchen in ganz seltsamer Kleidung. Eine Weißhaut!“ Ich zucke zusammen, dann stoße ich ihn ein Stück weg und rufe: „Orenda, geh mit ihm zurück zu Mutter! Gib ihr Bescheid, was los ist, ich werde das regeln!“ Orendas kurzen Protest ignorierend laufe ich, so schnell ich kann, in die Richtung, in der Dekanawida gespäht hat. Sobald ich merke, dass die beiden anderen außer Sichtweite sind, aktiviere ich meinen ockerfarbenen Seelenstein und mein Kostüm erscheint. Goldene Reife erscheinen an meinen Ohren und um meine Oberarme und Beine,ein orangebraunes Tuch, bis an die Knie reichend umgibt meinen Oberkörper, in einem Lederband an der Hüfte zusammengebunden. An den Beinen teilt es sich und wickelt sich um jeweils ein Bein. Meine lockigen Haare werden zu einem langen Zopf geformt, von einer roten Ranke zusammengehalten und meine Waffe, ein goldbraunes Tomahawk, erscheint in meiner Hand. Warum so eine Verkleidung, die ohnehin jeder auf Anhieb durchschauen würde, das habe ich Kyubey schon gefragt, aber eine richtige Antwort habe ich nicht bekommen. Es scheint für ihn wohl eine Art Kampfritual zu sein. Zwar habe ich keine Hexe zu erwarten, aber mit der Magie Kyubeys kann man auch hervorragend gegen normale Menschen kämpfen, wie ich schon öfter festgestellt habe. Außerdem besteht zwischen einer Hexe und einer Weißhaut, von der enormen Kraft der Hexe abgesehen, gar kein Unterschied. Vorsichtig schleiche ich durch das Unterholz, Kyubey auf der Schulter mit mir tragend und versuche zu hören, woher der Feind kommt. Dann, an einer Lichtung, sehe ich sie. Die Weißhaut, mit komischer Kleidung, wie Dekanawida gesagt hat. Ihre Haare haben die Farbe von Stroh und ihre Augen funkeln, wie einer dieser Flüsse inmitten des Waldes. Sie starrt mich angestrengt an, aber sie hat keine Waffe bei sich. Was macht eine weibliche, unbewaffnete Weißhaut ganz alleine hier? Bestimmt ist das eine Falle, würde ich sie angreifen, würden mich ihre Freunde mit Pfeil und Bogen niederschießen. Also erwidere ich nur ihren Blick, bis ich merke, dass sie gar nicht mich ansieht. Sondern zweifellos Kyubey. Er steht nun genau zwischen uns, die Weißhaut anblickend, während er, wie so oft, seinen Schweif schwingt. Es herrscht völlige Ruhe, nur das gelegentliche Rauschen des Windes, wie er an den Bäumen zieht, ist manchmal zu hören. „Orenda“, erklingt Kyubeys Stimme in meinem Kopf, als erstes Geräusch seit langem. Ich antworte nicht, sondern sehe nur zu ihm, dann zu ihr, dann wieder zu ihm. „Das ist kein Feind.“ Ich zucke zusammen, genau zeitgleich mit der anderen. Hat sie gehört, was Kyubey gesagt hat? Ist es die Überraschung, dass ein Tier plötzlich etwas gesagt hat? In ihrem Kopf widerhallend? „Wenn das keine Feindin ist, Kyubey, wieso sieht sie dann aus wie eine von ihnen? Und wieso hat sie dann einfach, ohne um Erlaubnis zu bitten, unser Land betreten?“ „Warum fragst du sie nicht einfach selber?“, erwidert Kyubey. Ha, netter Versuch. Sie spricht doch bestimmt eine ganz andere Sprache als ich. „Mir ist durchaus bewusst, dass ihr nicht die gleiche Sprache sprecht, aber ich beherrsche es. Und ich kann als Vermittler agieren. Erinnerst du dich an die Art, auf die du mit Onatah kommunizieren kannst, wenn ich bei euch bin?“ Natürlich erinnere ich mich, schließlich machen wir das oft. So können wir beispielsweise bei der Arbeit miteinander reden, ohne dass es eine der anderen Frauen mitbekommt, sie können Kyubey weder sehen, noch hören. „Es ist mir auf die gleiche Art möglich, die mir von euch zugesandten Gedanken zu übersetzen und weiterzuleiten. Es ist ganz so, als würdet ihr miteinander reden und euch gegenseitig verstehen können.“ Kyubey würde mich nicht anlügen, warum sollte er auch, also versuche ich es einmal, obwohl ich mir dabei sehr lächerlich vorkomme. „Wer bist du und wieso bist du einfach in unser Land eingedrungen?“, wiederhole ich mich, über Kyubey kommunizierend. Sofort höre ich eine Stimme in meinem Kopf, eine weibliche, klar wie das Wasser eines rauschenden Flusses. Sie muss zu ihr gehören. „Mein Name ist Marin und ich bin hierher gekommen, um euch zu helfen. Um uns zu helfen. Und was ist mit dir? Bist du auch eine von diesen... Iroquois?“ „Ich gehöre dem Stamm der Irokesen, unter der Führung von Shanna der Weisen an, ich weiß nicht, was du mit... Irok-wah meinst. Und wovon redest du, wenn du „uns helfen“ sagst?“ Glaubt sie, dass wir ein Haufen dummer Wilder seien, die ohne sie verloren wären, so wie alle anderen Weißhäute auch? Die glauben, sie täten uns einen Gefallen, indem sie unsere mühsam angelegten Felder für ihre eigenen merkwürdigen Setzlinge zerstören? Die glauben, sie hätten ein Recht, sich in unserem Land zu bewegen, wie sie gerade wollen? „Kein Grund gleich so aggressiv zu reagieren... Orenda. Ich bin genau wie du, es gibt keinen Grund, mich wie eine Verbrecherin zu behandeln. Ich bin hier, um euch im Kampf gegen Hexen beizustehen.“ Glaubt sie, sie könnte mich für dumm verkaufen? „Du bist nicht wie ich. Du bist eine Weißhaut, ein Eindringling, der fremden Besitz für sich beansprucht, ich will nur das Land beschützen, das schon vor zahlreichen Jahren unseren Ahnen gehört hat.“ „Weißhaut? Ein unschönes Wort“, sagt sie, wirkt aber nicht beleidigt. Einen Moment lang herrscht völlige Stille, dann sieht sie mich mit ihren stechenden Augen an und ich höre: „Ich bin ebenso eine Puella Magi.“ „Sie spricht die Wahrheit. Marin hat, genau wie du, einen Pakt mit mir geschlossen und hat nun die Pflicht, gegen Hexen zu bestehen.“ Ich weiche ein kleines Stück zurück, Kyubey anstarrend, aber dann fange ich mich wieder. „Kyubey“, setze ich an, wieder laut, damit die andere mich nicht verstehen kann, „Wie kann das passiert sein? Du warst immer mit bei Onatah und mir, wann bist du zu den Weißhäuten gegangen? Und, was noch wichtiger ist, wieso? Ich bin gut genug, um die Gegend hier alleine zu schützen, klar?“ „Es ist schon eine Weile her, dass ich Marin getroffen habe, das war bevor ich euch kennengelernt habe, Orenda. Es ist nicht so, dass ich schon immer hier gelebt habe. Ich habe schon sehr viele andere Orte gesehen und andere Puella Magi getroffen, das kannst du mir glauben.“ Ich seufze leise, dann wende ich mich wieder an das Mädchen, mich über Kyubey verständigend: „Ich brauche keine Hilfe, ich kann die Gegend alleine beschützen. Geh‘ am besten wieder da hin, wo du hergekommen bist, damit wäre uns allen geholfen.“ „Oha, eine ganz Mutige, wie?“, fragt Marin spöttisch. „Na dann zeig mir am besten mal, was du drauf hast!“ Ich sehe, wie sie einen weißen Seelenstein aus ihrer Tasche hervor zieht und darüber streicht, gleich darauf steht sie in anderer Kleidung vor mir. Wenn das ihr Puella Magi-Kostüm ist, dann ist es aber wirklich unpraktisch: Es ist ein sehr langes, weißes, zusammengenähtes Tuch, das um ihre Hüften geht und sehr ausladend ist, mit blauen Spitzen und roten Fäden verziert. Es sieht nicht aus, als könnte man sich darin gut bewegen. Am Oberkörper erscheint eine Art durchgehendes Tuch, das genau zu ihrer Körperform passt, mit Ausnahme der Schultern, da sind große Puffer zu sehen. Auf ihrem Kopf erscheint ein Hut aus Stroh wie ihn die Fischer tragen, aber komplett in weiß und mit einem rot-blauen Band darum. Ob das wohl die für Weißhaut-Frauen übliche Kleidung ist? In ihrer Hand hat sie jetzt einen weißen Bogen, sehr ungewöhnlich. Ich zücke mein Tomahawk und renne auf sie zu, nicht gerade sondern immer wieder die Richtung ändernd, um den Pfeilen besser ausweichen zu können, wenn sie welche schießen sollte, aber gerade als ich sie erreiche, springt sie zur Seite und rennt dann in den tieferen Wald. Ich starre ihr nur hinterher, sie könnte ja einen Trick planen, aber dann höre ich etwas, was dafür sorgt, dass mir das alles gerade unwichtig wird: Es ist ein heller, spitzer Schrei, mit Sicherheit von Onatah. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken herunter und sofort renne ich los. Mein Tomahawk lasse ich verschwinden, jetzt zählt erst einmal, dass ich schnell bei meiner Freundin sein kann. Wenn diese Weißhaut ihr etwas antun sollte... ich balle meine Hand zu einer Faust. Aber je näher ich dem Schrei komme, desto schwerer scheint die Luft zu werden und gleich dämmert mir, was hier los ist. Die Bäume verschwimmen, sehen auf einmal wie Totempfähle aus. Feindliche Totempfähle, die verschiedene, scheußlich verzerrte Gesichter darstellen, ich kann nicht sagen, ob sie zu einem Menschen oder einem Tier gehören. Der Himmel - sofern man das Gebilde noch als Himmel bezeichnen kann - wird leuchtend orange, während sich das Gras rot verfärbt. Das ist es, hier muss eine Hexe erschienen sein. Ich lasse das Tomahawk wieder erscheinen und sehe mich hastig um, als auch schon die ersten Familiare auf mich zukommen. Sie haben diesmal die Gestalt von Büffeln, in verschiedene, dunkle Farben gehüllt, mit Hörnern, die wie Dolche aussehen. Ihre Gesichter sind zu Fratzen verzerrt, wie die der Totempfähle, die uns noch immer umgeben und die ganze Zeit über scheinen sie mich anzugrinsen. Ich habe zwar noch einige Kraft übrig, trotzdem will ich einen Kampf lieber vermeiden. Die Kleinen sind unwichtig. Ich manövriere mich, so gut, wie ich kann durch die Familiaren hindurch, als das nicht klappt springe ich hoch und versuche, über ihre Rücken zu rennen. Ich muss die ganze Zeit springen, um nicht erwischt zu werden, die Dolche blitzen gefährlich auf, sobald ich mein Spiegelbild darin sehe. „Orenda! Hier!“, höre ich die Stimme Kyubeys und bewege mich in die Richtung, aus der sie gekommen ist. Als es passiert. Bei meinem letzten Sprung schaffe ich es nicht schnell genug, meine Beine anzuziehen, sodass mich einer der Dolche erwischt und es der Länge nach aufschlitzt. Augenblicklich fängt es an, schrecklich zu brennen, aber ich unterdrücke einen Schmerzensschrei und beiße die Zähne zusammen. Bei meiner Landung kann ich gerade noch stehen, aber nur kurz, dann breche ich zusammen. Das Blut tropft aus der Schnittwunde und erzeugt violette Flecken am Boden, trotzdem sehe ich mich hastig nach Onatah um. Auch wenn ich verletzt bin, sie ist immer noch hilfloser als ich. Gerade will ich mich wieder aufrappeln, als die Umgebung erneut verschwimmt. Was ist los, verändert sie sich noch einmal oder ist die Hexe am Boden? Ich setze eine grimmige Miene auf und versuche, mich zu bewegen, aber es brennt zu sehr. Die Hexe kann unmöglich am Boden sein, bei den Familiaren ist sie sicher stärker als die heute früh. Marin kann einfach nicht so stark sein, auch wenn sie schon länger eine Puella Magi ist als ich! Tatsächlich aber normalisiert sich alles wieder und gleich bin ich wieder in dem Wald, in dem ich die Weißhaut vorher getroffen habe. Ich versuche aufzustehen, es schmerzt schon weniger als zuvor, aber es funktioniert immer noch nicht. „Orenda!“, höre ich die Stimme Onatahs, die immer näher zu kommen scheint. Kaum dass sie da ist, umarmt sie mich stürmisch, zumindest so stürmisch, wie es geht, wenn der umarmte Mensch am Boden sitzt. „Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert!“, flüstert sie. Ihr Gesicht ist ganz nah an meinem und ich spüre, wie meine Wangen erröten. Ich streiche ihr sanft durch das Haar und sehe ihr tief in die Augen, die ganz feucht sind, so als ob Onatah gleich weinen würde. Sie lässt mich wieder los und ihr fällt die große Wunde an meinem Bein auf, woraufhin sie erschrocken die Hände vor den Mund schlägt. „He, es ist nicht so schlimm, wie es vielleicht aussieht, das heilt schnell wieder. Du weißt doch, meine magischen Kräfte.“ Tatsächlich hat die Wunde schon größtenteils zu bluten aufgehört, aber sie schmerzt immer noch ziemlich. Gerade als ich versuche, aufzustehen, sehe ich, wie Marin mit Kyubey auf uns zukommt. Ich bemühe mich, mir nichts anmerken zu lassen, ich darf vor dieser Person auf keinen Fall Schwäche zeigen. Ich traue ihr nicht. „Alles in Ordnung?“, fragt sie mich, aber es klingt nicht besorgt. Sie hält mir eine Hand hin, aber ich schlage sie weg und versuche, selbst aufzustehen, was sogar funktioniert. Ich stütze mich an Onatah ab, die meinen linken Arm um ihre Schultern legt und dann zu Marin sieht. Recht so, sag‘ ihr, dass wir ihre Hilfe nicht brauchen. „Du warst wirklich gut, Marin“, höre ich die Stimme meiner Freundin in meinem Kopf, „Ich hätte nicht gedacht, dass es auf der anderen Seite des Ozeans auch Puella Magi gibt.“ „Es gibt sie eigentlich überall“, antwortet Marin. Versucht sie, sich einzuschmeicheln? „Onatah, wir sollten einfach zurückgehen und sie in Ruhe lassen.“, sage ich laut zu Onatah, damit uns diese Marin nicht verstehen kann, dann versuche ich, mich zu bewegen, woraufhin sich Onatah mir gezwungenermaßen anschließt. Es ist für Marin aber kein Problem, uns zu folgen. Ein bisschen eindringlicher schließe ich also an: „Sie gehört zu denen. Sie wird so tun, als sei sie nett, aber sie wird uns verraten. Ich weiß es einfach.“ „Ah ja? Es ist ja beinahe schon bizarr, wie besessen du von dem Gedanken bist, Orenda. Man könnte meinen, du wärst nicht ganz frei von Vorurteilen.“ Ich erschrecke, als ich die Stimme höre. Es ist wieder in meinem Kopf und es ist nicht die Stimme Onatahs. Wie- wie hat sie mich verstehen können? Kyubey läuft neben uns her, wie immer mit dem Schweif wippend. „Kyubey...“, spreche ich leise, woraufhin er sich zu mir umdreht. „Entschuldige Orenda, ich dachte nur, es sei fairer, Marin an eurem Gespräch teilhaben zu lassen, wenn wir die Möglichkeit schon mal haben, oder nicht?“ „Keine Sorge, ich bin ganz sicher, sie will uns nur helfen. Sie ist auch da, um Hexen zu töten und die Leute zu beschützen, ich meine was hat sie denn für einen anderen Vorteil davon, uns zu helfen?“ Ich versuche immer, meine Freundin aus Puella Magi-Dingen herauszuhalten, daher kennt sie auch das genaue System nicht. Ich werde es ihr aber auch jetzt nicht erklären. „Eine Puella Magi ist in einer Gruppe nicht unbedingt besser dran, Onatah, belassen wir es dabei, ja?“ Sie zieht ein Gesicht, wie immer wenn ich ihr etwas, was sie interessiert, nicht erklären kann oder will. „Das System kann ich dir gerne erklären, Onatah, wenn du es wirklich möchtest!“, ertönt Marins Stimme. Sie macht eine kurze Pause, dann spricht sie weiter: „Vorausgesetzt deine Schwester hat nichts dagegen.“ Wir sind keine Schwestern, will ich zu ihr noch sagen, aber ich lasse es, sie ist meine Aufregung nicht wert. „Wir sind keine Schwestern“, erklärt Onatah, „Wir haben nur unser ganzes bisheriges Leben zusammen verbracht. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch klein war und mein Vater ist aus einer Gefangenschaft nie zurückgekehrt. Seitdem unterstehe ich direkt der Führung von Shanna, der Stammesführerin.“ Sie muss wohl meinen Blick bemerkt haben, denn Onatah schaut erst zu mir, dann schnell zur Seite, wobei sie betroffen aussieht. Du redest einfach zu viel, Onatah... auch wenn du niedlich aussiehst, wenn du rot wirst. „Ach so ist das. Nun, ich habe mich nur gewundert, weil ihr euch sehr nahe zu stehen scheint. Das ist selbst unter Schwestern selten. Aber nun gut, wenn du nicht willst, dann eben nicht.“ Am Waldrand angekommen, aber noch außer Sichtweite von Dekanawida oder einem andern Stammesmitglied, trennt sich Marin endlich wieder von uns. „Erhole dich gut, Orenda, es braut sich was zusammen. Ich kann jede Hilfe nur brauchen“, erklärt sie noch, dann geht sie weg. Endlich. „Los jetzt“, brumme ich und es dauert einen Moment, bis Kyubey merkt, dass ich ihn anstarre. „Los. Folge ihr. Mach, dass du wegkommst.“ „Wieso so eingeschnappt“, fragt das Tier ohne einen Hauch von Schuldgefühl. Auf meinen Blick aber wippt es nur wieder mit seinem Schweif, ehe ich die Stimme Dekanawidas höre. „Ihr seid wieder da. Gut, wir hatten uns schon Sorg- Orenda, du bist ja verletzt!“ „Es ist nicht schlimm, das war nur ein wild gewordener Büffel. Es hätte wirklich schlimmer kommen können, morgen bin ich bestimmt wieder fit.“, antworte ich. Der soll sich bloß nicht auch noch Sorgen um mich machen, außerdem stimmt es, von so einer Wunde erhole ich mich schnell, meines Wunsches wegen, hat Kyubey mal gesagt. Als ich mich wieder zu Onatah drehe, ist er verschwunden. Gut so, soll er doch bei der Weißhaut bleiben. Dieser elende Verräter. „Ich bringe Orenda jetzt in ihr Haus und behandele sie da, in Ordnung? Gib Shanna Bescheid. Alles wird gut, nur keine Angst.“ „Aber was ist mit dem Mädchen von vorhin?“, fragt er nun aufgeregt, „Habt ihr sie vertrieben?“ Noch ehe Onatah etwas sagen kann, antworte ich schnell mit „Ja“, um noch mehr lästige Fragen zu vermeiden. In unserer Ecke des Hauses angekommen, verbindet Onatah die Wunde schnell mit einem Tuch, aber das ist eigentlich nicht mehr wichtig, die Blutung hat schon länger aufgehört. Wir setzen uns beide auf unsere nebeneinander liegenden Schlafmatten und schweigen einen Moment, bis Onatah die Stille durchbricht, aber auf eine Art, die ich mir nicht von ihr gewünscht hätte. „Was hast du eigentlich gegen Marin?“ „Das muss ich dir noch erklären? Sie gehört zu denen. Auch wenn sie eine Puella Magi ist... Puella Magi sind nicht dazu bestimmt, als Gruppe zu agieren. Jeder hat sich etwas für sich selbst gewünscht, mal auf eine mehr, mal auf eine weniger eigennützige Art und Weise und jeder muss die Energie für die Magie, die ihm der Wunsch beschert hat, selber schaffen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich nicht will, dass du auch eine Puella Magi wirst.“ „Aber wenn man zum Beispiel zu zweit oder dritt ist, dann kann man doch auch seine Magie so verteilen, dass alle in etwa gleich viel haben, dann lassen sich auch Kummersamen reihum verteilen. Es hätte keine Nachteile, sondern nur den Vorteil, dass der Gegner sich gegen drei Puella Magi zur Wehr setzen muss.“ „Du wirst keine Puella Magi werden, Onatah, hör auf, so zu reden! Und erst recht nicht, nur um sich mit dieser Weißhaut zu verbünden! Sie betrachtet dich als wertlos, ein Köder bestenfalls, der an ihrer Stelle auf dem Schlachtfeld kämpfen kann, nur damit sie anschließend den Lohn für deine Mühen einfährt!“ „W-Wie kannst du so etwas nur sagen!“ Die Stimme von Onatah muss sich hörbar durch einige Tränen kämpfen und ich weiß, ich bin zu weit gegangen. „Du kennst Marin nicht, Orenda, aber du kennst mich! Du weißt, dass ich euch nicht zur Last fallen, aber helfen will! Ich will euch doch nur helfen!“ Jetzt kann sie nicht mehr, sie rennt aus dem Haus, ich rufe ihr noch hinterher: „Ich will dich doch nur beschützen, Onatah, verstehst du das denn nicht!“, aber ich weiß nicht, ob sie mich noch gehört hat. Ich sinke zusammen, starre auf den Boden meiner Matte und sage, eine Träne im Augenwinkel vor mich hin, ganz leise: „Ich will dich doch nur beschützen.“ Kapitel 2: Bitte vergib mir --------------------------- Ich warte noch eine ganze Weile, um zu sehen, ob Onatah zurück kommt, aber scheinbar will sie heute draußen nächtigen. Wegen des Wetters mache ich mir keine Sorgen, schließlich haben wir Sommer, es wird nachts nicht kalt. Aber was, wenn sie doch in den Wald geht und dort auf ein wildes Tier, eine Hexe oder eine Weißhaut trifft? Aber als Shanna das Haus betritt, um sich zur Ruhe zu begeben, versichert sie mir, dass mit meiner Freundin alles in Ordnung sei, sie nur wenige Meter gelaufen war und jetzt neben dem Haus auf einer der im Moment nicht genutzten Matten schläft. Schön, soll sie eben eine Nacht lang schmollen, ich kenne sie, morgen früh wird sie sich wieder beruhigt haben und auf die Patrouille mitkommen wollen. Also lege ich mich auf die Seite, schließe meine Augen und versinke, natürlich ohne es zu merken, in einen traumlosen Schlaf. „Orenda! Orenda, schnell, wach auf!“ Kyubeys Stimme ist es, die mich weckt, er klingt ganz aufgeregt. Aber als ich die Augen aufschlage und mich erschrocken aufsetze, blicke ich in das selbe ausdruckslose Gesicht wie immer. „Was ist denn los, Kyubey, stimmt was nicht? Hat eine Hexe das Revier betreten?“, frage ich ihn und reibe mir über die kurz geschlossenen Augen. „Ja, und was für eine, beeil dich besser, Onatah und Marin sind auch schon losgegangen.“ Blitzartig springe ich auf und sehe mich nach den anderen Frauen um. Es sind wenige, vermutlich sind viele schon zur Arbeit nach draußen gegangen, es ist also schon früh am Morgen. Ich versuche, nicht zu schreien, aber es fällt mir sehr schwer. „Wieso hast du sie nicht aufgehalten, Kyubey? Du weißt, dass sie nicht kämpfen kann!“ „Ich habe es versucht, aber sie wollte nicht hören. Außerdem hat sie auch gesagt, dass ich dir nichts davon sagen soll, dass sie mit Marin allein geht. Sie schienen sich so gut zu verstehen.“ „Du lügst doch! Wieso sollte sie so etwas sagen? Du lügst, Kyubey!“, schreie ich und packe ihn am Nacken. Jetzt war ich doch ein bisschen zu laut und bemerke müde Blicke, aber das interessiert mich nicht, dann schmettere ich Kyubey gegen die Wand, es ist mir gerade egal, was aus ihm wird! Was soll ich denn nur machen, wenn Onatah was passiert? So schnell ich kann verlasse ich das Haus, ignoriere alle Frauen, die mir im Dorf begegnen und erreiche den Rand des Waldes, die ganze Zeit an Onatah denkend. Ich schlüpfe in mein Kostüm und versuche, die Gegenwart einer Hexe zu spüren. Hastig renne ich in die Richtung, die mir mein Gefühl angibt, währenddessen gesellt sich auch noch Kyubey zu mir. Es scheint ihm gut zu gehen. „Hier lang!“, höre ich seine Stimme und renne ihm einfach nach. Bis er so plötzlich stehen bleibt, dass ich beinahe über ihn stolpere. „Die Hexe ist tot!“, verkündet er, „Aber wir müssen ganz nahe sein, ich kann Marin und Onatah spüren.“ Ich atme kurz durch, dann laufe ich mit Kyubey weiter. Ich denke nicht daran, mich bei ihm zu entschuldigen, Onatah hätte in großer Gefahr sein können, nur wegen ihm. Kurz darauf haben wir die beiden auch schon erreicht, sie sehen müde und abgekämpft aus, aber zufrieden. Es sieht nicht so aus, als wäre Onatah etwas passiert. Ich lasse mein Kostüm verschwinden, sehe dann zu meiner Freundin und hebe eine Augenbraue. Ich will ihr gerade erst mal in allem Umfang erklären, was ich für eine Angst ihretwegen hatte, aber sie kommt mir zuvor, indem sie mir in die Arme fällt. Ich kann spüren, wie ihre Tränen an meinem Körper herunter rinnen, während sie von Schluchzern geschüttelt wird und kaum ein verständliches Wort hervorbringen kann. Es ist, als ob sie schrecklich erschrocken wäre. Ich streiche ihr sanft über den Rücken, in der Hoffnung, sie zu beruhigen und es scheint zu wirken. „..s tut mir lei...!“, presst sie hervor. Sie atmet kurz vor sich hin, um sich zu beruhigen, dann blickt sie mich direkt an, ihre Augen immer noch feucht von Tränen. „Es tut mir so leid, Orenda! So leid! Einfach alles... wegen gestern und dass ich einfach losgegangen bin... Weißt du, ich habe mich gleich schlecht gefühlt, nachdem ich das Haus verlassen hab, aber ich hab mich nicht getraut, einfach wieder hineinzugehen... Ich konnte kaum schlafen und heute früh hab ich dann bei einem kleinen Spaziergang zufällig Marin getroffen und sie in ihren Kampf begleitet. Du hättest sie sehen müssen! Die Hexe war wirklich riesig-“ „Wie hat sie gekämpft? Die Weißhaut, meine ich, nicht die Hexe.“ Kyubey hatte auch schon gesagt, dass die Hexe ziemlich kräftig gewesen ist, genau wie die letzte auch, wie also konnte Marin so mächtige Wesen alleine besiegen? „Oh- ich muss gestehen, so genau habe ich nicht zugesehen. Ihre Waffe ist ein weißer Bogen, ihre Pfeile sind wirklich schön und stark. Aber was anderes wäre mir nicht aufgefallen.“ „Hat sie alleine gekämpft? War da vielleicht noch eine andere Puella Magi bei ihr, eine andere Weißhaut? Die Hexe war sehr mächtig, das habe nicht nur ich gespürt!“ Ich sehe kurz an meiner Freundin vorbei zu Marin, aber sie scheint in ein Gespräch mit Kyubey vertieft zu sein, in ihrer merkwürdigen Sprache. „Nein, niemand sonst. Sie hat auch vorhin gesagt, dass außer ihr nur wenige Frauen mit in dieses Land gekommen sind, keine von ihnen mit magischem Potenzial. Sie hat immer alleine kämpfen müssen.“ Ich streiche Onatah kurz über das Haar, während sie immer noch eng an mir hängt, da höre ich die Stimme von Marin: „Onatah, fang, es ist noch was übrig!“ Sie wirft etwas auf uns, erst als ich einen Moment genauer schaue, erkenne ich, dass es ein Kummersamen ist. Ich fange ihn anstelle meiner Freundin und umklammere ihn fest. „Wir brauchen deinen Almosen nicht, Marin, Onatah schon gar nicht, klar?“ „Lass sie doch“, beschwichtigt Onatah jetzt, „Ich lege ihn einfach zu den anderen, in Ordnung?“ Kyubey und Marin scheinen jetzt fertig mit ihrem Gespräch zu sein, also kommen sie zu uns herüber. Ich sehe zu Kyubey und kommuniziere mit ihm: „Kyubey, ich habe eine wichtige Frage an dich, lass Marin das nicht mitanhören, klar?“ Kyubey schaut mich nur ausdruckslos an. Ich weiß nicht, ob ich ihm noch trauen sollte, aber ich versuche es. „Der Pakt, den du mit Marin geschlossen hast - unterscheidet er sich auf irgendeine Art von dem Pakt mit mir?“ „Nein, es gibt keinen Unterschied“, lautet Kyubeys Antwort. Ah, ich dachte, ich hätte es. Was ist nur das Geheimnis hinter ihrer Kraft? Ich muss das noch herausfinden, aber sie muss das nicht mitbekommen. „Das war es ab sofort mit nutzlosen Geschenken, die nächste Hexe gehört mir. Halt dich ab sofort von hier fern!“ Marin zuckt nur die Achseln, dann wendet sie sich zum Gehen um. Was findet Onatah an der sympathisch? Sie ist zwar ein bisschen naiv, aber sie lässt sich auch mit Geschenken nicht kaufen. Und ihre offene Einstellung, das funktioniert auch nicht, schließlich hat sie ihre Mutter an Weißhäute und ihren Vater an den feindlichen Stamm verloren... sie hat jeden Grund dazu, misstrauisch zu sein. Endlich sind wir wieder im Dorf angekommen, Shanna scheint uns auch schon zu erwarten. Sie sieht nicht wütend aus, aber ich weiß, dass sie es ist. „Ihr Beiden, wo seid ihr gewesen? Es gibt genug zu tun, heute Abend wird uns ein heftiger Sturm erwarten. Wir müssen das Dorf umgehend vorbereiten und alles einholen, was es an Ernte noch einzuholen gibt. Los!“ Also machen Onatah und ich uns an die Arbeit, auf dem Acker, der von dem Dorf am weitesten entfernt ist. Es ist wirklich viel mehr zu tun, als ich gedacht hätte... wenn wir doch nur nicht so viel Zeit mit dieser Marin verschwendet hätten... Da kommt mir eine Idee. Niemand aus dem Dorf ist in der Nähe, mit Magie würden wir die Arbeit bestimmt rechtzeitig schaffen. „Onatah... geh schon mal los, und hole ein- bis zwei Kummersamen, ja? Ich werde das schnell erledigt haben. Und wenn dir diese Marin über den Weg läuft, sag ihr, dass wir keine Hilfe von ihr wollen, klar?“ Onatah nickt nur, dann rennt sie los und wieder schlüpfe ich in mein Kostüm. Mein Seelenstein verrät mir, dass ich wirklich aufpassen muss, aber ich vertraue ihr. Also beschwöre ich Tomahawk und kreiere einen kleinen Sturm mit mehreren Waffen, mit dessen Hilfe ich schnell die bereits lockeren Kolben von ihren Pflanzen lösen kann. Der Himmel verdüstert sich immer weiter, in der Ferne kann ich schon Donner hören, also beeile ich mich, die Arbeit zu erledigen. Bald habe ich es geschafft, der ganze Mais muss nur noch zum Vorratshaus gebracht werden, dann können wir den Sturm sicher überstehen, ohne Vorräte zu verlieren. Ein Blick auf meinen Seelenstein versetzt mir allerdings einen heftigen Schock: Er ist wirklich dunkel, ein bisschen mehr Magie und er wäre verbraucht gewesen. Kyubey hat mir nie erklärt, was passiert, wenn sich der Seelenstein komplett schwarz färbt, aber ich will es nicht ausprobieren. Ich lasse das Kostüm wieder verschwinden, dann laufe ich in Richtung Dorf zurück, wo mir Onatah auch schon entgegen kommt. Allerdings wirkt sie ziemlich aufgelöst. „Das Versteck!“, ruft sie panisch, „Es ist ausgeraubt worden! Die ganzen Kummersamen, sie sind alle weg! Orenda, ich- es tut mir so Leid!“ Ich erschrecke, aber da es Onatah noch viel schlechter zu gehen scheint, umarme ich sie kurz und versichere ihr, dass es nicht ihr Fehler war. Das Einzige, was wir also noch haben, ist der Kummersamen, den Marin uns heute früh zugeworfen hat. Ich benutze ihn, um meinen Seelenstein zu reinigen, aber viel Energie enthält er nicht mehr... ich weiß nicht, ob es für heute Nacht reichen wird. Ich merke, wie ich anfange, zu zittern. Das darf nicht sein! „Ah, da seid ihr ja, gut!“, höre ich eine vertraute Stimme. Kyubey ist wieder aufgetaucht. Genau zur richtigen Zeit. Er schnappt sich den nutzlos gewordenen Kummersamen und versenkt ihn in seinem Rücken, dann schnappe ich ihn und halte ihn am Nacken fest, direkt vor mein Gesicht. „Kyubey! Keine Ausflüchte, verrate mir jetzt auf der Stelle, was passiert, wenn sich mein Seelenstein schwarz färbt! Verrat es mir!“ „Dir wird das passieren, was allen anderen Puella Magi passiert ist, deren Seelenstein sich gefärbt hat...“ „Sag es!“, schreie ich ihn an. Ein sehr, sehr ungutes Gefühl steigt in mir auf. „Du wirst dich in eine Hexe verwandeln und Unheil verbreiten, bis eine andere Puella Magi dich tötet. Das ist das unabwendbare Schicksal eines jeden Mädchens, das sich einen Wunsch erfüll-“ Ich halte es nicht mehr aus. Ich schreie laut auf und schmettere Kyubey direkt vor mir auf den Boden, ich höre dabei etwas knacken, aber das ist mir egal. „Willst du mir damit sagen, dass jede Hexe, die ich bisher erlegt habe, mal ein Mädchen war? Ein normales Mädchen, das dir vertraut hat? Du- Du hast sie alle verraten! Ich kann das nicht glauben!“ Jetzt nicht mehr vor Angst, sondern vor Zorn zitternd schlüpfe ich wieder in mein Kostüm, lasse Tomahawk erscheinen und schlage damit zu. Auf Kyubeys Hals. Das nächste, was ich mitbekomme ist der Blick Onatahs, wie sie mich panisch anstarrt. „Kyubey! K-Kyubey, er ist- was hast du getan!“ „Jetzt kannst du nie wieder Menschen hintergehen!“, schreie ich den leblosen Körper des Tieres an, auch wenn mir klar ist, dass er mich nicht mehr hören kann. Mein Kostüm verschwindet wieder und ich sinke auf den Boden, erschöpft, aber von Genugtuung erfüllt. Onatah zittert immer noch und ich sehe, wie neben ihr Tränen auf den Boden tropfen. „Hey, beruhige dich“, fordere ich sie auf, „ Ich kann auch ohne ihn Hexen besiegen. Es ist nicht so, dass er jemals etwas getan hätte, abgesehen von dem Pakt und dem Verschlingen der Kummersamen. Und jetzt gehst du am besten zum Dorf zurück, ich muss mir noch eine Hexe suchen. Ich weiß nicht, wann ich nach dem Sturm das nächste Mal auf Jagd gehen kann.“ Onatah schüttelt heftig den Kopf und klammert sich an meinen Arm. „Ich werde mitkommen! Ich will dich nicht alleine lassen, Orenda, schließlich ist es meine Schuld, dass die Kummersamen-“ „Hör auf das zu sagen, du kannst nichts dafür, dass sie gestohlen wurden. Das war bestimmt sowieso diese Marin- oh nein, was, wenn die uns eine Hexe wegschnappt? Los jetzt!“ Ich springe sofort in den Wald hinein, Onatah klammert sich dabei an mich und schon bald haben wir tatsächlich ein Portal gefunden. „Bleib zurück. Dieser Familiar ist gerade erst zu einer Hexe geworden, er ist noch nicht zu stark. Du musst nur aufpassen, wo du hin trittst.“ Ich will dich schließlich nicht noch einmal verlieren, füge ich in Gedanken hinzu, dann verändert sich die Umgebung, wie gewohnt. Links und rechts neben uns ragen steinerne Säule empor und vor uns laufen mit Speeren bewaffnete, goldfarbene Rüstungen umher, wie sie sonst nur weißhäutige Krieger getragen haben. Da, wo ansonsten ihre Köpfe wären, befinden sich goldene Helme mit roten Büscheln darauf. Sie sagen etwas in einer Sprache, die ich nicht kenne und ohne Kyubey auch nicht verstehen werde, trotzdem bereue ich keine Sekunde, das Vieh erlegt zu haben. Ich lasse einige Tomahawks erscheinen und lasse sie auf die Rüstungen fliegen, sodass sie zusammenbrechen. Die Rüstungsteile zittern einen Moment, dann setzen sie sich wieder zusammen und kommen wieder auf uns zu. „Es hat keinen Zweck, wir müssen die Hexe schnell erlegen!“, rufe ich Onatah zu, dann packe ich sie und springe über das Heer an Rüstungen vor uns. Eine von ihnen springt direkt vor uns hoch und nur mit Mühe kann ich sie wieder zu Boden schleudern. „Sieh mal, da vorne! Das muss Marin sein!“, ruft Onatah erschrocken. Tatsächlich ist ein Stück vor uns eine andere Puella Magi am Werk. Pfeil und Bogen, diese schneeweiße Kleidung - ja, das kann nur die Weißhaut sein. Ich lande ein Stück entfernt von ihr, setze Onatah ab und versuche, die Hexe ausfindig zu machen. „Bleib dicht bei mir! Wir müssen diese Hexe finden, bevor es Marin tut!“ Ich spüre, wie ihr Herz schlägt, während sie meinen Arm umklammert, sie muss schrecklich aufgeregt sein. Sie hätte einfach bei den anderen bleiben müssen, da wäre sie sicher gewesen. Aber dafür ist es jetzt auch zu spät. „Sieh nur, da! Das muss sie sein!“, ruft Onatah aufgeregt. Ich drehe mich schnell in die Richtung, die sie mir zeigt und tatsächlich: Das muss unser Ziel sein. Ein ebenfalls mit goldenen Rüstungen gepanzerter Körper, auf dem der Kopf eines Tieres, einem Büffel ähnlich, thront, dessen Augen rot glühen und der ein langes, weißes Tuch um den Unterkörper trägt. Zweifellos die Hexe. Mit Handbewegungen scheint sie die Rüstungen bisher gelenkt zu haben, nun aber scheint es ihr damit genug zu sein und sie steht auf. Er ist mindestens vierzig Fuß hoch, wenn nicht sogar größer und schwingt nun wieder die Arme umher, wie ein Schamane, sodass sich die Rüstungen nun auf uns zu bewegen. Ich kann Marins Stimme hören, ohne Kyubey allerdings nicht mehr verstehen, was sie sagt. Aber das ist auch nicht nötig, sie deutet hektisch umher, auf die vielen Untergebenen. Es ist offensichtlich, dass sie mit ihnen Schwierigkeiten hat. Ich will mich nicht mit Marin verbünden, aber im Moment habe ich keine Wahl, schließlich geht um die Sicherheit von Onatah. Dafür bin ich mir nicht zu schade. Ich muss nur darauf achten, dass ich mir nachher den Kummersamen hole. Marin kann gerade so zur Seite springen, als die Hexe mit ihrem Speer nach ihr sticht. Das scheint aber weniger ein gezielter Angriff gewesen zu sein, als vielmehr ein Befehl an ihre Untertanen, sich auf Marin zu stürzen. Ich hebe meinen Arm und lasse einige Tomahawks auf die Rüstungen zufliegen, einige von ihnen werden mit einem schrillen Scheppern getroffen, aber nur um sich erneut wieder zusammenzusetzen. Je mehr ich von ihnen zerstöre, desto mehr scheinen sich um Marin zu rotten, es ist ein ziemlich sinnloses Unterfangen. Ich werfe einen Seitenblick auf meinen Seelenstein, der sich immer dunkler färbt. Ich werde diese Angriffe nicht mehr lange aushalten, Marin muss dringend fertig werden und das nicht nur meinetwegen, sondern auch für Onatah! Ich stoße mich kräftig vom Boden ab, um mir einen besseren Überblick auf die Umgebung verschaffen zu könne, da sehe ich sie. Onatah ist ebenfalls umringt von den Rüstungen, die Kampfesschreie auszustoßen scheinen und immer näher rücken. Das sieht nicht gut aus! Ich will über die Menge hinweg springen, muss aber immer wieder in kleinen Zwischenräumen zwischen den Massen der Rüstungen landen, ich merke schnell, dass ich Onatah nicht rechtzeitig erreichen werde. „Onatah!“, schreie ich verzweifelt, aber das bringt auch nicht viel. Mir ist es gerade egal, was aus Marin oder mir wird, ich beschwöre eine weitere Salve an Waffen und lasse sie auf die Rüstungen hageln, Onatah muss um jeden Preis beschützt werden! Es will mir aber nicht gelingen, alle Rüstungen zumindest kurz kampfunfähig zu machen, immer bleiben einige mehr übrig, die sich Onatah nähern. Sie sieht sich hastig um, und als sie mich erblickt, spricht nicht etwa Erleichterung, Angst oder eine andere nachvollziehbare Emotion aus ihr. Nein, sie blickt mich entschuldigend, beinahe schon mitleiderregend an. Was ist los mit ihr? „Bitte vergib mir,“ höre ich ihre Stimme, „Orenda.“ Vor meinen Augen zückt sie etwas, das ich nie an ihr sehen wollte, das ich immer geglaubt hatte, sie davor beschützen zu können: Einen glänzenden, meeresblau gefärbten Seelenstein. Gleich werde ich Zeugin ihrer Verwandlung. Unendlich viele Fragen schwirren mir durch den Kopf. Seit wann? Wofür? Hat diese unmögliche Weißhaut etwas damit zu tun!? „Onatah, Orenda!“, höre ich die aufgebrachte Stimme von Marin, während ich meine Freundin noch immer anstarre. Tränen rinnen langsam zu Boden, aber dann schüttelt sie energisch den Kopf, löst sich aus ihrer Starre und springt auf mich zu. „Wir müssen Marin helfen, sonst haben wir keine Chance gegen diese Hexe!“, ruft sie mir zu. Ich will wissen, was los ist, woran ich gescheitert bin, aber wie automatisch folge ich Onatah, damit wir erst einmal die Gefahr beseitigen können. „Es gibt einen guten Grund, ich schwöre es dir!“, höre ich die flehende Stimme Onatahs, „Nach dem Kampf werde ich dir alles erklären! Ich habe das bestimmt nicht grundlos getan!“ Sie lässt, genau wie ich, Tomahawks erscheinen und räumt einige Angreifer aus dem Weg, die scheppernd über den Boden rutschen. Die Hexe ist nun direkt vor uns. Sie hat uns noch nicht direkt angegriffen, sondern immer nur ihre Untergebenen auf uns gehetzt, das könnte bedeuten, dass sie keine Möglichkeit hat, sich aus der Nähe zu wehren. „Mit einigen gezielten Nahangriffen könnte es etwas werden!“, rufe ich, aber ich weiß, dass Marin mich nicht verstanden haben kann. Sie feuert weiterhin ihre Pfeile auf die Hexe, aber sie werden fast ausnahmslos von hochspringenden Rüstungen abgeblockt, sodass es reichlich sinnlos erscheint. Wie soll ich ihr bloß klarmachen, was ich von ihr will? Onatah und ich nähern uns der Hexe soweit, dass die nächsten Untergebenen ein Stück außer Reichweite sind, dann lasse ich Tomahawk erscheinen und schlage wie besessen auf sie ein, Onatah tut es mir gleich. Tatsächlich scheint es die Hexe auch zu schwächen. Die anrückenden Rüstungen werden, dank Marin, immer weniger, scheinbar weiß sie, was sie zu tun hat. „Jetzt den vernichtenden Schlag, wenn wir beide gleichzeitig treffen, dann müsste es klappen!“, schreit Onatah. Der Treffer muss sitzen. Wir haben nur eine Chance! Mein Seelenstein ist beinahe pechschwarz, auch der von Onatah sieht dunkler aus, auch wenn ich nicht glaube, was danach laut Kyubey passieren soll, ich glaube nicht, dass es was Gutes bedeutet. Nicht, wenn es von Kyubey stammt. Mit einem kräftigen Hieb treffen wir gleichzeitig auf den Körper der Hexe, ein Wirbel entsteht, der die Hexe augenblicklich zerfetzt. Die gewaltige Explosion schleudert uns weit davon, aber ich bemühe mich, schnell wieder auf die Beine zu gelangen, ich muss diesen Kummersamen bekommen, bevor Marin ihn sich schnappen kann. Sie hat uns im Kampf geholfen, aber jetzt sind wir wieder Feinde und ich habe keinen Grund, ihr zu trauen. Die Welt um uns herum normalisiert sich, sodass es wirklich endgültig vorbei zu sein scheint, dann sehe ich auch den Kummersamen, wie er langsam zu Boden schwebt. Ich sprinte herüber und schnappe ihn, er fühlt sich sehr warm an, als würde eine Menge Energie darin ruhen. Ich renne zu Onatah, sie soll den Kummersamen zuerst nutzen. Sie hat nicht so viel Energie verbraucht, daher dürfte auch für mich noch genug Kraft darin stecken, die Hexe war außergewöhnlich stark. Die stärkste, der ich je begegnet bin. Als ich aber Onatah erblicke, erschrecke ich: Sie ist entsetzlich blass, atmet schwer und sieht auch sonst nicht gesund aus. Es muss ernster um sie stehen, als ich gedacht habe. „Halte durch, hier, ich reinige deinen Seelenstein“, rede ich ihr beruhigend zu, ehe ich den Kummersamen mit ihrem Stein in Verbindung bringe. Ich sehe, wie die Magie absorbiert wird, aber an der Farbe des Steins verändert sich nichts. Wieso? Was passiert da? „Onatah, hey, was hast du denn!? Alles wird gut! Alles wird gut!“ Ich schreie mich damit halb selbst an, aber es will nicht helfen. „Orenda!“, höre ich jemanden rufen, es muss Marin sein, sehe dann, wie ein Pfeil durch die Luft schießt und den Seelenstein in der Hand Onatahs durchbohrt. Als der Stein zersplittert reißt sie ihre Augen für einen Moment auf, ehe sie einen ruhigen Blick bekommt und schlaff zu Boden sinkt. „Onatah, neeiin! Steh auf! Los jetzt, steh auf!“, schreie ich sie verzweifelt an, aber sie hört mich nicht. Sie atmet auch nicht mehr. Marin hat sie umgebracht. „Das war das einzig Richtige, auch wenn es schwer zu glauben ist“, höre ich ihre Stimme, jedes Wort, das ich höre, ergibt einen Sinn, anders als vorher. Ich weiß nicht, wieso ich sie auf einmal verstehen kann, schließlich ist Kyubey tot, aber das ist jetzt nicht wichtig. Inhaltlich liegt Marin so falsch, wie es nur geht. „Wieso musstest du sie töten! Wieso hast du ihre Seele zerstört!“ Tränen des Zorns steigen mir in die Augen. „Sie hat dir nie etwas getan, sie hat dir vertraut! Wieso!“ Ich sinke auf den Boden. „Wieso hast du sie getötet und nicht mich?“ „Es ist nichts Persönliches. Du weißt doch, was passiert, wenn man den Seelenstein, die kristallisierte Seele einer Puella Magi, nicht mehr versorgt? Was im Endeffekt das Schicksal von jeder von uns ist?“ Sie wartet keine Antwort ab, sondern redet gleich weiter: „Sie verwandelt sich in eine Hexe. Der Seelenstein, der einmal schwarz ist, wird zu einem Kummersamen und es gibt keinen Weg, das rückgängig zu machen. Deine Freundin war sowieso verloren, sie zu töten war der einzige Weg, ein noch größeres Unglück zu vermeiden. Glaub mir...“, sie hält einen Moment lang inne, „Ich weiß wie es ist, einen geliebten Menschen sterben zu sehen, ich fühle deinen Schmerz. Aber es ist das Beste für uns alle.“ „Aber wieso? Wieso wollte ihr Seelenstein die Energie nicht annehmen? Und... Moment mal.“ Ich stehe auf und starre Marin an. Eine Vorahnung beginnt, in mir Gestalt anzunehmen. „Das hast du doch alles geplant.“ „Was!?“ Erschrocken sieht sie mich an. „Was soll ich geplant haben? Deine Freundin hat die mächtige Hexe vernichtet, jede Puella Magi, die so etwas vollbringt, kann unmöglich als solche weiterleben!“ „Du hast Onatah dazu überredet, eine Puella Magi zu werden. Ich habe sie immer davon fern gehalten und ihr immer wieder gesagt, wie gefährlich das ist, sie hätte auf mich gehört. Ganz bestimmt vertraut sie mir mehr, als einer Fremden, noch dazu einer Weißhaut.“ „Ich weiß nicht, wovon du redest. Als ich sie zum ersten Mal getroffen habe, war sie schon eine Puella Magi. Sie hat mich angefleht, es vor dir zu verstecken, da sie wusste, du würdest das nicht gern sehen. Mich so grundlos anzuschuldigen grenzt schon an Racisme.“ „Lüg nicht!“ „Ich lüge nicht! Ich habe keinen Grund dich anzulügen, du willst einfach nur die Wahrheit nicht akzeptieren!“, entgegnet sie gereizt, „Das arme Mädchen wollte dir helfen, nichts weiter, so wie du ihr damals geholfen hast! Sie weiß davon! Das hat sie mir gesagt! Sie wollte dich nicht allein da stehen lassen!“ Ich trete einen Schritt zurück, sehe Marin dabei aber immer noch genau an. Sie ist beleidigt, aber das ändert nichts daran, dass sie eine Lügnerin sein muss. Onatah hat mich immer unterstützt, sie hat nie etwas vor mir verborgen. „Das behauptest du nur, um zu vertuschen, dass du ihre Kummersamen gestohlen hast! Du hast dich ihr angenähert, ihr Vertrauen erschlichen, um uns dann hintergehen zu können!“ „Mach die Augen auf! Du weißt, dass ich im Recht bin, dass deine Freundin die Samen anderweitig verwendet hat, nur weil ich anders aussehe, bin ich nicht gleich ein schlechter Mensch!" „Es reicht.“ „Du glaubst wohl auch, du wärst als Einzige mit Weisheit gesegnet, dabei sieht du die Wahrheit nicht mal, wenn sie klar und deutlich vor dir liegt!“ „Es reicht! Halt deinen verdammten Mund!“ Mein Seelenstein hat sich jetzt schwarz verfärbt. Es wird kein Zurück geben, aber das ist mir egal. „Du bist hergekommen, um uns um unser Land und unsere Ehre zu bringen! Du bist nicht daran interessiert, uns zu helfen. Du elende Lügnerin!“ Ich höre ein zartes, helles Klirren, dann schließlich zerbricht mein Seelenstein. Ich habe Onatah nicht beschützen können, also hat es keinen Zweck mehr, Magie zu verwenden. „Aber das reicht nicht. Ich nehme dich mit ins Grab. Dann wird es keine Puella Magi mehr geben, niemals wieder wird jemand so leiden müssen!“ Entsetzt schreit Marin auf, ein heller, schmerzvoller Schrei, aber ich bekomme es kaum noch mit. Alles um mich herum verfärbt sich dunkel, abgesehen von der Dunkelheit sehe ich fast nichts mehr. Das war es? Ich werde eine Hexe werden, Marin töten und vermutlich Unheil anrichten? Das ist egal. Ich habe mein Ziel nicht erreicht. Aber wenigstens habe ich meinen Ahnen einen großen Gefallen getan. „Oh, Orenda, so sieht man sich wieder.“ Eine hässliche, vertraute Stimme ertönt in meinem Kopf. Ich erkenne sie, aber das kann nicht sein. Es kann nicht sein, das ist unmöglich! Ich habe ihn doch getötet! Gibt es etwa noch mehr von Kyubeys Sippe? Ist er unsterblich? Wie lange ist er jetzt schon wieder da? Konnte ich wegen ihm Marin verstehen? Die Dunkelheit hat mich jetzt gänzlich umgeben, nur ein Licht scheint noch, direkt vor mir. Das glühende rote Licht, das von den beiden Augen eines Teufels ausgeht. 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