More than a Feeling von Minerva_Noctua (TyKa-OS) ================================================================================ Kapitel 1: Das Fest ------------------- Die Feier war berauschend. In jeder Hinsicht. Alle Blader, die an den World Championchips teilgenommen hatten waren da und noch viele mehr. Die ganze Vorstadt brodelte. Überall gab es Imbissbuden, mobile Bars, Karaokebühnen und sogar kleine Discoareas, wo sich Menschen aller Altersgruppen und Einkommensklassen vergnügten. Anlass der großen Feierlichkeiten waren die Beendigung des Wiederaufbaus der zerstörten Gebäude und Neueröffnung der BBA Headquarters, welche den kurzen, aber äußerst stürmischen Triumphzug der BEGA vollends Teil der Vergangenheit werden ließen. Boris Balkov saß endlich für seine Verbrechen ein und die Blader der Justice Five waren nun genauso Mitglieder der BBA geworden und hatten beim Aufbau mitgeholfen. Voller Eifer stürzte sich Takao auf den nächsten Imbissstand und bestellte sich zum Nachtisch kandierte Früchte. Daichi neben ihm zupfte an einer großen, blauen Zuckerwatte und sah deutlich zufriedener aus als Hitoshi, der so schien, als würde er sich mal wieder jeden Augenblick beschweren wollen. "Takao, es ist fast Mitternacht. Sollten wir nicht nach Hause gehen?", meckerte Hiro prompt. "Du kannst ja gehen, wenn du müde bist, mir gefällt's", erwiderte Takao leicht genervt. Sein Bruder amüsierte sich einfach nicht und nun versuchte er ihn zu bevormunden. Takao hasste das. Nach fünf Jahren Abwesenheit konnte er doch nicht erwarten, dass er plötzlich alles bestimmen konnte und abgesehen davon war Takao ohnehin alt genug, um auf sich selbst aufpassen zu können, zumal auf einem Fest, das ebenfalls wegen seinen Freunden und ihm veranstaltet wurde. Mahnend starrte Hitoshi ihn an, sah dann aber wohl ein, dass er Takao nicht zwingen konnte mitzugehen: "Na gut. Ich gehe dann mal nach Hause. Pass auf dich auf und auf Daichi." Die beiden Jungs nickten und mit einem weiteren warnenden Blick über die Schulter, verschwand Hiro schließlich in der Menge. "Und was machen wir jetzt?", wollte Daichi wissen, während er sich den Zucker von den Fingern schleckte. "Die anderen suchen", schlug Takao vor und bahnte sich sogleich einen Weg durch die vielen Menschen. *** Zwei Stunden später saß er mit Daichi, Max, Rei und dem Chef auf dem Hügel vor dem Fluss und beobachtete das bunte Treiben der Nachtschwärmer, viele in bunt bestickten Kimonos, wie sie selber. "Ist das schön", seufzte Max und ließ sich zurück ins weiche Gras fallen. Rei nickte und sah in den Himmel. Trotz des Lichts der Stadt, konnte man ein paar Sterne am mondlosen Firmament erkennen. "Ich denke, ich gehe jetzt nach Hause", erklärte der Chef und man konnte deutlich die Müdigkeit aus seiner Stimme heraushören. Ein verständnisvolles Raunen ging durch die Gruppe. "Es war ein anstrengender Tag, was?", lächelte Max, während Daichi aufstand. "Ich geh auch, ich kann nicht mehr", nuschelte der Jüngste schlaftrunken. "Na wenn hier schon der große Aufbruch stattfindet, gehe ich auch Heim. Ich muss morgen sowieso früh aufstehen, weil meine Oma Geburtstag hat und wir nach Osaka fahren müssen." Allein der Gedanke an die lange Autofahrt brachte Max zum Gähnen. "Ach, kommt schon! Rei, du auch?" "Tut mir leid mein Freund. Aber ich habe letzte Nacht kaum ein Auge zu gemacht." Rei musste nicht mehr sagen, um seinen Freunden ein Schmunzeln abzuringen. Sie alle konnten sich lebhaft vorstellen, warum Rei keinen Schlaf gefunden hatte. Schließlich war er nun - endlich - seit fast vier Wochen mit Mao zusammen und nach lebenslanger Freundschaft gingen bestimmte Dinge in der Beziehung dafür umso schneller. "Ihr lasst mich hier echt allein zurück", schmollte Takao kein bisschen müde. "Es sind bestimmt noch welche von den anderen da", versuchte Max zu trösten und sah ihn entschuldigend an. "Schon gut. Schlaft gut!", winkte er ab. "Gute Nacht!" Mit diesen Worten trotteten seine Freunde davon. Takao saß noch eine Weile auf der Wiese und beobachtete die Menschen auf der Brücke, als er plötzlich stutzte. Ein altbekannter graublauer Haarschopf lugte aus der Menge und kurz darauf erkannte er auch schon Kai. Gerade wollte er ihm freudig zurufen und zu sich winken, hielt dann jedoch inne. Kai hatte sich an die Brüstung gekämpft und stützte sich nun mit den Unterarmen ab, während er in die Dunkelheit starrte. Wegen dem Licht hinter ihm, konnte er Takao nicht erkennen, welcher keine dreißig Meter Luftlinie entfernt saß. Er schien gedankenverloren, so wie der Halbrusse ins Wasser starrte und dabei vermutlich nur wenige Facetten der Strömung sehen konnte, wenn überhaupt. Takao konnte einen Teil von Kais Kleidung erkennen und musste überrascht feststellen, dass er auch einen Kimono trug. Ein befremdlicher Anblick irgendwie. Neugierig geworden, stand der junge Japaner auf und schritt zur Brücke. "Hey Kai", rief er und drängte sich die letzten Meter zu ihm hindurch. Es war immer noch der Teufel los. Kai bedachte ihn mit einem leicht skeptischen Blick, als er vor ihm ankam, ganz so, als würde er auf das nächste Fettnäpfchen warten, in das Takao frohgemutes reintrat. "Wo sind die anderen", fragte Kai und warf einen Blick hinter den blauhaarigen Japaner, doch dort war niemand Bekanntes. "Rei, Max, Daichi und der Chef sind vorhin nach Hause gegangen", erklärte Takao breit grinsend und besah sich Kais Kleidung nun näher. Der Kimono war dunkelblau, fast schwarz, und schlichte Streifen in fünf verschiedenen Rottönen umrandeten Saum und Ränder. Je nach Lichteinfall sah man, dass Blumen, in der gleichen Farbe wie der Kimono, nur dichter gestickt, diesen zierten. Zwar ging der Kragen relativ weit hoch, trotzdem konnte man mehr von Kais schlankem Hals sehen, als sonst mit dem Schal. "Zu Ende gestarrt.", holte ihn Kais trockene Stimme aus seinen Gedanken. "Ja", meinte Takao verlegen, "Es ist nur seltsam dich in einem Kimono zu sehen. Das ist alles." "Hm." Etwas befremdet schweiften die roten Augen über den Jüngeren, ehe er von der Brüstung abließ und Anstalten machte zu gehen. "Und was machst du jetzt?", wollte Takao gut gelaunt wissen, geflissentlich übersehend, dass Kai am liebsten ohne ihn weiter wollte. "Gehen", gab Kai sarkastisch von sich und tat einen Schritt vor den anderen. "Das sehe ich. Und wohin?" Kai warf einen Blick über seine Schulter: "Nirgendwohin, wo es dir gefällt?" "Solange du nicht auch nach Hause gehst, begleite ich dich. Zumindest bis ich jemand anderen sehe, der mehr Wert auf meine Gesellschaft legt." Da die Wahrscheinlichkeit noch einem der anderen zu begegnen recht hoch war, sagte Kai nichts mehr dagegen, als Takao ihm durch die Menschenmasse folgte. *** Recht genervt sah Kai auf die Tanzfläche. Im Gegensatz zu allen Erwartungen waren sie niemandem mehr begegnet, beziehungsweise nur Garland und Robert, die sich über diverse weltpolitische und kulturelle Themen unterhielten - etwas was nicht einmal Kai um drei Uhr morgens reizte - weswegen Takao an ihm hängen geblieben war. Nicht Willens sich die Nacht verderben zu lassen, war Kai stur zu einer Bar gegangen, die nebenan eine relativ große Tanzfläche hatte, auf der die internationalen Charts geschmettert wurden. Obgleich Kai nicht oft tanzte, zumal nicht in Gesellschaft von so einer bunten Masse an Leuten, die ihn am Ende auch noch kannten, mochte er die locker leichte Atmosphäre dieses Ortes und die wirklich gut gemixten Drinks. Dummerweise war Takao weder von den Drinks abgeschreckt worden noch hatte er Kais Aktionen langweilig genug gefunden, um sich jemand spannenderen zu suchen. Enthusiastisch hatte der junge Japaner verschiedenste Cocktails in sich hineingeschüttet und war anschließend auf die Tanzfläche verschwunden, wo er sich nun köstlich amüsierte. Kai war zwar überrascht, wie gut Takao den Alkohol bisher vertragen hatte und gleichzeitig auch noch tanzen konnte, ohne das es peinlich aussah, dennoch ließ sich dieses nagende Gefühl des Genervt Seins nicht abstellen. Er wollte alleine sein, seine Ruhe haben und nicht Babysitter spielen müssen. So kam er sich nämlich vor, als er den knapp 16-Jährigen beobachtete, der motorisch fit, dafür aber geistig nicht mehr ganz auf der Höhe zu sein schien. Aber was erwartete man auch von einem Leistungssportler, der nie trank und dann auch noch Asiate war - und Asiaten fehlte bekanntlich ein Enzym, das dazu beitrug Alkohol abzubauen. Kai vertrug da schon ein wenig mehr, dank seiner quasi europäischen Hälfte, beziehungsweise wusste er wenigstens, wie viel oder wenig er vertrug. Er sah auf, als Takao wieder auf die Bar zusteuerte, ein Mädchen im Schlepptau. Etwas amüsiert zog Kai eine Augenbraue in die Höhe. Die schwarzhaarige Japanerin schien das Fest ebenfalls dazu genutzt zu haben, um die eigenen Grenzen des Alkoholkonsums auszutesten, so glucksend und leicht schwankend, wie sie von der Tanzfläche stolperte. Er beobachtete die Beiden ein wenig aus der Ferne, aber als Takao nach dem ersten Drink noch einen Zweiten ausgeben wollte, fühlte sich Kai genötigt einzugreifen. Mit gewohnt ausdrucksloser Miene schritt er zur nächsten Bar und gerade als der Barkeeper die zwei Cocktails ausschenken wollte, schob er die Gläser mit einem viel sagenden Blick zurück. Der Barkeeper sah ihn kurz verwirrt an, nahm dann jedoch wortlos die Cocktails von der Theke. "Hey Kai! Das waren unsere Getränke!", protestierte Takao sogleich und das Mädchen sah ihn mit leicht glasigem Blick verwundert an. "Sorry, dass ich dir hier die Tour vermassle, aber wir müssen gehen", gab er kompromisslos zurück. Takao sah ihn mit seinen braunen Augen groß an und obwohl ein gewisser störrischer Glanz in ihnen lag, blieb er ungewohnt ruhig: "Von wegen, das machst du doch mit Absicht, typisch." "Komm!" Damit wandte sich Kai um und wartete in einigem Abstand, bis Takao sich von dem hübschen Mädchen verabschiedet hatte. Sie gingen eine Weile schweigend, aber kaum waren sie in einer etwas weniger überlaufenen Straße, hörte er auch schon Takaos vorwurfsvolle Stimme: "Warum hast du das gemacht?" Kai sah ihn kurz von der Seite an: "Du trinkst zu viel und das Mädchen war schon recht beschwipst." "Na und? Das ist ein Fest. Da ist das doch mal erlaubt." Das mochte sein, aber Kai hatte, seit er damals Teamleader der Bladebreakers geworden war und alle bis auf Rei ziemlich unerfahren in fast allem gewesen waren, immer das Bedürfnis die Jüngeren zurechtzuweisen - ganz wie ein Lehrer. Vielleicht hatten die Gene seiner Mutter doch mehr durchgeschlagen als sein Großvater immer behauptet hatte - denn sie war Lehrerin gewesen und soll ein recht fürsorgliches Wesen gehabt haben, stolz und gerecht noch dazu. "Hörst du mir überhaupt zu?", beschwerte sich Takao und noch bevor Kai sich in Erinnerung rufen konnte, was er gerade gesagt hatte, bog der Blauhaarige plötzlich ab und hielt auf einen kleinen Ausschank zu, vor dem verteilt ein paar Tische standen. Genervt rollte Kai mit den Augen, aber Takao hatte so flott zwei Cocktails bestellt und seinen Rüssel in einen von ihnen reingehängt, dass er gar nicht mehr so schnell hatte eingreifen können. "Kaum darfst du mal etwas machen, was sonst tabu ist, schon übertreibst du es wieder." Mit verschränkten Armen hatte sich der Halbrusse vor dem Tisch aufgebaut, an dem Takao saß. Doch der war Kais Verhalten, vor allem seine Drohgebärden in Form von bösem Blick und rechthaberischer, kühler Körperhaltung, bereits gewohnt und entsprechend abgestumpft. "Wieso? Mir geht's doch gut, außerdem hast du auch viel getrunken." Ganz entspannt nahm der junge Japaner einen weiteren Schluck seines Getränks und aß die Physalis, die zur Dekoration auf den Glasrand gesteckt worden war. Kai betrachtete ihn skeptisch. Takaos Bewegungen waren fahriger als normal, seine Stimme zwar klar, aber deutlich träger und die braunen Augen waren glasig. Noch war es im Rahmen; der Halbrusse fragte sich bloß, wie lange noch. Schließlich neugierig, was Takao bestellt hatte, setzte er sich neben ihn und probierte von dem Cocktail, den er von ihm ausgegeben bekommen hatte. Er stutzte unmerklich. Das war Tequila. Und was für einer. Als Mischgetränk konnte man das kaum mehr bezeichnen. "Und so was schmeckt dir? Du wirst morgen so was von kotzen", meinte Kai trocken und überschlug die Menge, die Takao heute bereits getrunken hatte. Das mussten um die fünf Cocktails gewesen sein. Viel zu viel für jemanden, der es nicht gewohnt war. Wahrscheinlich ging es ihm nur noch so gut, weil er - soweit Kai ihn kannte - zuvor genügend gegessen hatte. "Ich find's ganz okay. Sprichst du aus Erfahrung oder warum meinst du, dass ich davon kotzen werde?" "Ich habe bisher nur einmal so viel getrunken, dass mir danach schlecht war, aber übergeben musste ich mich nie und werde ich mich nie. Das überlasse ich solchen Idioten wie dir, die nicht wissen, wann es genug ist." Merkte man, dass er nicht sonderlich in Laberlaune war? "Aber das hast du ja auch erst gewusst, nachdem dir schlecht war", beharrte Takao und sah ihn - wie immer, wenn er mit ihm sprach, auch wenn es nicht auf Gegenseitigkeit beruhte - direkt an. "Ich hatte auch keinen, der mir gesagt hat, wann es zuviel wird." Dieser Satz schien Takaos Vernunft zu erreichen, denn er legte die Stirn in Falten und sah geradeaus, deutlich darüber nachdenkend. Nach einer Weile fragte er: "Es heißt doch immer Russen können so viel trinken?" "Alkoholiker auch", murmelte Kai gegen das Glas, ehe er ein paar Schlucke nahm. "Wann war das denn, als du zuviel getrunken hast?" "Haben wir jetzt Fragestunde?", entgegnete Kai genervt. Takao bemerkte Kais abweisendes Verhalten, überging es jedoch geflissentlich: "Ja." Doch der Graublauhaarige schwieg einfach und überraschenderweise bohrte Takao nicht weiter nach. Es schien ihm zu anstrengend oder unwichtig zu sein. *** Spätestens auf dem Heimweg hatte sich die Wirkung des Alkohols endgültig durchgeschlagen. Motorisch angeschlagen und etwas lallend folgte Takao dem Älteren durch die Straßen und kommentierte dabei alles, was er sah. Zu Kais Glück waren die Kommentare weder beleidigend noch zu laut, sondern einfach nur unnötig und oberflächlich. Ansonsten hätte er Takao höchstwahrscheinlich als Paket verpackt nach Hause geschleift. "Ich muss jetzt sofort pinkeln", verlautbarte der Blauhaarige auf einmal und sah sich hektisch um. Als er die Brücke weiter vorne entdeckte, auf der er Kai aufgegabelt hatte, stürmte er los. Genervt stöhnte Kai auf und ging ihm hinterher: "Fall aber nicht in den Fluss!" Aufmerksam beobachtete er Takaos schwankende Gestalt, welche die Böschung hinab schlitterte und mit einem "Natürlich nicht" unter der Brücke verschwand. Der Halbrusse folgte ihm, blieb allerdings vor der Brücke stehen, in dessen Schatten irgendwo Takao herumstand. Er war unwillkürlich erleichtert, als er kein Platsch, dafür aber wieder Takaos Schritte hörte und kurz darauf wieder erkannte. Statt jedoch den Heimweg wieder anzutreten und den Hügel hinaufzusteigen, ließ sich Takao wie ein Sandsack rücklings ins Gras fallen: "Ist mir schwindlig." Das verdiente schlichtweg keinen Kommentar mehr. Leise seufzend setzte sich Kai neben ihn und sah sich um. Der Fluss plätscherte vor sich hin und es wäre ganz entspannend gewesen, hätte man nicht den eintönigen Lärm der vielen Unterhaltungen gehört, welche durch den Schall besonders laut von der Brücke her getragen wurden. "Aber du hättest mich nicht unterbrechen sollen, als ich mit dem Mädchen dastand", durchbrach Takao das Schweigen zusammenhanglos mit diesem Gedankenfetzen. "Weshalb? Hättest du sie abschleppen wollen", gab Kai amüsiert von sich. "Vielleicht", und als er merkte, dass sich der Ältere über ihn lustig machte: "Das habe ich schon mal gemacht." "Ah ja." Obwohl Takao mit nunmehr 16 genauso wenig Kind war wie er, konnte sich Kai beim besten Willen nicht vorstellen, dass der letztlich doch treuherzige Junge bereits Sex gehabt hatte. Er schätzte ihn eher als jemanden ein, der erst einmal eine Freundin brauchte, Schmetterlinge im Bauch und das ganze Erste Große Liebe Gedöns, bevor er mit einer schlief. "Ja, wirklich!", sagte Takao mit beleidigtem Unterton, "Ich habe mal mit einer was im Hotel gehabt." "Ja, ganz sicher", entgegnete Kai überheblich. Wütend setzte sich Takao auf und sah ihm direkt in die Augen. Dabei kam er ihm viel zu nah, sodass Kai den Atem des anderen auf seinem Gesicht spüren konnte. Typisch. Die meisten Betrunkenen verloren das Gefühl für den Mindestabstand und drangen ungehemmt in die Intimsphäre anderer ein. "Aber du bist der große Casanova, oder wie?", schnaubte der junge Japaner, ob dem arroganten Getue. Kais Lippen verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. Wäre er etwas offenherziger, würde er Takao das ein oder andere zu gern um die Ohren hauen. Der Graublauhaarige war nach Turniersiegen mehr gezwungenermaßen mit den Blitzkriegboys feiern gegangen und da sie alle älter waren als er und schlicht anders tickten, was solche Dinge anging, hatten sie jedes Mal irgendwelche hübschen Mädels aufgegabelt und oft genug welche mit ins Hotel genommen. Irgendwann war eine schließlich auch an ihm hängen geblieben und er war seitdem auf den Geschmack gekommen. Immer, wenn er eine traf, die ihm optisch gefiel und sie es wollte, nahm er sie mit. Und da hatte sich in dem halben Jahr nun ein gutes Dutzend angesammelt. Aber hey, er war 16 und warum eigentlich auch nicht? Er war schließlich aufgeklärt und vernünftig, zudem fühlte er sich reif genug dafür. "Ich hab sicherlich mehr Ahnung davon als du", erwiderte Kai letztendlich. Takaos Nasenspitze berührte fast die seine, als ihn die braunen Augen böse anfunkelten: "Das glaube ich nicht." Besserwisserisch lehnte sich der Blauhaarige wieder weiter zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Takaos Gestik und Mimik war zwar ausgeprägt, aber durch den Alkoholkonsum verstärkte sich das noch. Belustigt hakte Kai nach: "Ach ja? Und was bitte willst du mit dem Mädchen gemacht haben?" Er rechnete nicht damit, dass Takao auf so etwas antwortete. Trotz allem war er konservativ erzogen worden und da sprach man nicht einfach so über solch private Angelegenheiten, schon gar nicht über Sex. Allerdings ließ sich im Suff eher mit Konventionen brechen: "Ich hatte schon Oralsex und Küssen kann ich auch sehr gut." Verdattert blickte Kai den jungen Japaner an, ehe er nüchtern feststellte: "Dann bist du ja doch noch Jungfrau." "Wieso?" "Soll ich dich jetzt aufklären, oder was?", wetterte Kai, ob der blöden Frage, fügte dann dennoch sarkastisch hinzu: "Seit wann verliert man seine Jungfräulichkeit ohne Geschlechtsverkehr? Das kann höchstens die Heilige Jungfrau Maria selbst." "Wer?", fragte Takao irritiert. "Religion? Christentum? Nix Allgemeinbildung?" Ungeduldig starrte er den jungen Japaner an, der den Kopf leicht wiegte. "Auf jeden Fall", holte Takao Luft, "Ist es schon mal mehr, als bei dir." "Das weißt du natürlich, weil du regelmäßig bei mir durchs Schlüsselloch guckst." Der Blauhaarige rückte ihm erneut so nah auf den Pelz: "Na dann erzähl halt, wenn du schon so großmäulig bist." "Ich bin keine Jungfrau mehr", gab Kai nonchalant zurück und mehr würde er nicht aus ihm herauskriegen. Ohne die Drinks zuvor, hätte der Halbrusse nicht einmal das über die Lippen gelassen, aber er merkte selber, dass er deutlich offener war als sonst. "Das glaube ich nicht", behauptete Takao stur. Gereizt von dieser Antwort, knurrte Kai: "Mir auch egal." "Wahrscheinlich hast du noch nicht einmal jemanden geküsst und tust wieder nur so allwissend." Wieder? "Dasselbe könnte ich von dir behaupten. Abgesehen davon, warum sollte ich es nicht schon getan haben?" Takao sah ihn an, als sei es das offensichtlichste von der Welt: "Na, weil du so introvertiert bist." "Weißt du überhaupt, was das heißt?", fragte Kai arrogant, ehe er meinte: "Glaubst du etwa introvertierte Menschen haben keinen Sex? Außerdem bin ich nicht introvertiert." Zumindest war er es nicht im Kern seiner Persönlichkeit. Er war verschlossen, ja, aber nur wegen vieler Erlebnisse, die ihn so haben werden lassen. "Trotzdem. Du magst es ja noch nicht einmal, wenn man dich anfasst." "Lässt du dich gern begrapschen?" "Eine freundschaftliche Umarmung ist doch kein Begrapschen!" "Und Sex hat nichts mit freundschaftlichen Umarmungen zu tun", murmelte Kai schlecht gelaunt. "Du schläfst ohne irgendwelche Gefühle mit jemandem?", fragte Takao mit großen Augen. "Ach so, tue ich auf einmal nicht mehr nur so als ob?" Takao überging den letzten Satz: "Du schläfst mit jemandem ohne Gefühle? Das ist doch scheiße." "Sexuelles Begehren ist auch ein Gefühl." Der junge Japaner sah ihn mit einer Mischung aus Empörung und Bedauern an: "Aber das ist doch so unpersönlich, irgendwie. Ich meine, ganz so ohne Sympathie." Er wusste nicht wie er es in Worte fassen sollte. Auf Kais Lippen legte sich wieder ein kleines Lächeln. Da war ja wieder der konservativ-moralisch erzogene Takao, der nie mit irgendeiner schlafen würde, außer er meinte es ernst. "Was gibt's da zu grinsen?" Er fühlte sich wieder verarscht. "Deswegen bist du auch noch Jungfrau, Takao. Du brauchst erst ein Mädchen, dass du sehr gern hast." Und anscheinend hatte sich der junge Japaner bisher nie mit dem Finden einer Freundin auseinandergesetzt. Aber Kai fand im Grunde sowieso, dass Takao sich damit auch noch Zeit lassen konnte. Er war schließlich zur Genüge mit Beyblade und Kendo ausgelastet, für Liebesquerelen blieb auch noch in zwei, drei Jahren Zeit. "Das stimmt doch gar nicht", behauptete Takao stur, "Ich habe nur noch keine gefunden, die mir gefiel und einfach so mitgehen wollte." Weil ja keine Frauen rumlaufen, die einfach nur Spaß haben wollen, sondern alle tugendhaft auf den Mann fürs Leben warten, schoss es Kai sarkastisch durch den Kopf. Es hatte keinen Sinn Takao zu erklären, dass er dazu erzogen worden war so zu denken und zu handeln. Außerdem, fand Kai, dass es sicherlich nicht verkehrt war so zu denken und sich jemanden zu suchen, der mit einem mehr teilte als Wollust. "Komm", Kai stand auf, "Ich bring dich nach Hause. Ich will langsam mal ins Bett." Etwas schwankend folgte Takao ihm den Hügel hoch, musste sich dann jedoch an Kais Arm festhalten um nicht umzufallen. Das wird lustig, dachte sich Kai, als Takao sich entschuldigte: "Tut mir leid, mir ist plötzlich so schwindlig." Sein Stimme klang leicht erstickt. Schlecht wurde ihm jetzt wohl auch noch. Kai verkniff sich jedoch jeglichen Kommentar und legte Takaos Arm um seine Schulter. Er wollte einfach nur nach Hause. Dankbar warf Takao ihm einen Blick zu, konzentrierte sich dann allerdings auf den Weg und darauf, die Übelkeit nicht überhand nehmen zu lassen. Er wusste nicht warum, aber plötzlich drehte sich alles. Dabei war es ihm vorhin noch so gut gegangen. Es war bereits kurz vor fünf und es begann zu dämmern, als sie endlich zu Hause waren. Kai setzte ihn auf seiner Bettkante ab und wollte gerade Anstalten machen zu gehen, doch Takao konnte ihn noch rechtzeitig am Zipfel seines Kimono packen: "Danke, dass du mich hergebracht hast." "Schon gut." Ungeduldig schüttelte Kai seinen Arm, um Takaos Finger loszuwerden, aber es wollte nicht so recht klappen. "Wenn du möchtest, kannst du auch hier übernachten. Dann musst du nicht mehr so weit gehen." Logisch, dachte Kai sarkastisch, erwiderte jedoch: "Ich will lieber nach Hause." Auch wenn dieses Zuhause nur aus einem reinen Umzugschaos bestand. Jetzt ließ Takao seinen Ärmel los, nickte: "Okay." Zu mehr war er nicht imstande, denn eine erneute Welle der Übelkeit überkam ihn. "Du solltest nachher eine Schmerztablette nehmen", meinte Kai leise und betrachtete das vor Schweiß glänzende Gesicht des Jüngeren. Er sagte nicht, er hatte es ja gesagt. "Hm." Takao saß da, wie ein Häuflein Elend und unwillkürlich tat er Kai ein wenig Leid. Aufmunternd strich er ihm kurz durch das dunkelblaue Haar, woraufhin Takao ihn verwundert ansah. "Das vergeht wieder, aber vielleicht hörst du ja das nächste Mal auf mich", meinte Kai tadelnd. Takao verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, ob der Tatsache, dass Kai ihn vorgewarnt und schließlich Recht behalten hatte. Kai drehte sich endgültig um und schlich zur Verandatür, hielt dann noch einmal inne und meinte grinsend: "Und viel Spaß mit Hiro!" Stöhnend ließ sich Takao ins Bett fallen, als ihm einfiel, dass sein besserwisserischer Bruder auch da war und ihm sicherlich eine Predigt nach der anderen halten würde, wenn er bemerkte in welchem Zustand er war. Ganz tolle Aussichten. ________________________________________________________________________________________________________________________________ Über Kritik jeglicher Art würde ich mich sehr freuen - auch, wenn es nur ein Wort ist^.~ Bye Minerva Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)