Great Canon von Caliburn (Wichtelgeschichte für Alaiya) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Was war das? Ein Flüstern, ein Raunen, dahin gemurmelte Worte, die nicht für jedermanns Ohren gedacht waren? Oder doch nur der Wind, wie er leise durch die üppigen Baumkronen rauschte? Noriko schlug die Augen auf und schloss sie auch sogleich wieder. Unter Schmerzen drängten sich Tränen hervor, als hätte sie noch nie zuvor das Tageslicht erblickt. Einen kurzen Moment verharrte sie so daliegend, mit den Händen vors Gesicht geschlagen und zur Seite gedreht. „Jetzt steh schon auf“, drang eine Stimme in einem befehlenden Ton an ihr Ohr. Langsam nahm sie ihre Hände wieder vom Gesicht weg und zwinkerte ein paar Mal vorsichtig, um sich somit an das Licht zu gewöhnen. Es dauerte noch einen Moment, ehe sie sich Augen reibend aufsetzte, nur um dann vor Erstaunen diese nicht wieder zu zubekommen. Noriko saß auf einem großen, mit weichem Moos bewachsenen Felsen, inmitten eines saftig grünen Waldes. Es bräuchte noch zwei weitere von ihrer Art, damit sie einen der mächtigen Baumstämme hätte umfassen können. Hoch oben wiegten sich die blätterreichen Wipfel in der sanften Sommerbrise und ließen ein wahres Konzert an Rauschen, Rascheln und Geknister entstehen. Auf dem üppigen Waldboden wuchsen zahlreiche Blumen und Kräuter, Pilze und Moose, die Noriko noch nie zuvor gesehen hatte. Büsche und Sträucher trugen entweder pralle Beerenfrüchte oder ein wunderschönes Blumenkleid. Der Duft der vielen Pflanzen mischte sich mit einer angenehmen Note von Wildtier, und ließ die Luft somit noch lebendiger wirken. „Wunderhübsch, oder?“, fragte der Mann, der auf einem ebenso überwucherten Stein ihr gegenüber saß. „Fertig soweit?“ Sie musste erst ihre Stimme wieder finden. Worte formen, als hätte sie noch nie im Leben gesprochen. „Wer bist du?“, fragte sie schließlich zaghaft. Der Mann, zumindest nahm Noriko an, dass die Person ihr gegenüber ein Mann war, war gänzlich in Schwarz gekleidet. Obwohl die Hose, die er trug, und das langärmlige Oberteil aus Wollstoff und die Handschuhe und sein Schuhwerk aus Leder bestand, so wirkte es alles doch wie aus ein und demselben Material gefertigt. Über seinen Kopf hatte er eine ebenso schwarze Kapuze gezogen, deren tiefrote Fransen von seinen Schultern herabhingen. Sein Gesicht verbarg er hinter einer emotionslosen, weißen Maske, die nur zwei Sehschlitze aufwies. Er führte einen Zeigefinger an die Stelle seiner Maske, wo sich sein Mund dahinter verbarg, und gab ihr somit zu verstehen, dass sie ruhig sein sollte. „Die wichtige Frage ist nicht, wer ich bin.“ Der Mann rutschte von dem Felsen runter und lief Noriko entgegen. „Sondern wer du bist, verehrte Soldatin.“ Sie blickte auf die Hand, die der Vermummte ihr entgegen hielt, um ihr somit von dem Stein zu helfen, und dann wieder auf seine ausdruckslose Maske. „Okay“, er zog seine Hand wieder zurück, nachdem sie darauf nicht reagiert hatte. „Vielleicht ist es auch klüger von dir, mir zu misstrauen.“ Seine Stimme verriet ihr, dass ihn das scheinbar sehr gekrängt hatte. „Ich meine, du weiß nicht wo du bist, wer ich bin oder wer du bist.“ „Ich weiß sehr wohl, wer ich bin!“, platze es aus ihr heraus. Sie quälte sich von dem Felsen herunter und wäre beinahe hingefallen, da sich ihre Beine wie Pudding anfühlten. „Wirklich? Achtundzwanzig Jahre alt und erst jetzt zu einer Soldatin geworden? Weib, geh lieber an einen Herd und Kinder großziehen, ehe du dir noch was abbrichst.“ Kritisch blickte er durch die engen Sehschlitze seiner Maske auf sie. „Ich bin Sakamoto Noriko.“ Plötzlich schwieg sie und ihr Blick wurde starr. Ich kann mich an gar nichts erinnern. Was war nur mit ihren Erinnerungen geschehen? Der Mann legte den Kopf schief und blickte sie durchdringend an. „Solch einen Namen gibt es hier nicht.“ Er schüttelte bedächtig sein Haupt und seufzte. „Wie wäre es, wenn du dir lieber einen neuen Namen aussuchen würdest? Am besten einen, mit dem du nicht gleich wie ein bunter Hund auffallen würdest.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Brunhilde, Hera oder Gwyneth sind hier allgegenwärtig.“ „Nein. Ich bin, wer ich bin.“ Noriko wischte energisch mit ihrer Hand durch die Luft, um ihrer Aussage somit Kraft zu verleihen. „Okay, von mir aus.“ Der Maskierte schlenderte ein wenig vor ihr herum. „Und kannst du mir auch sagen wo du bist, Noriko?“ Sie schwieg, da sie es nicht wusste. Mit prüfendem Blick sah sich Noriko noch einmal in dem Grün um, in der Hoffnung vielleicht etwas zu finden, das ihr bekannt vorkommen könnte. „Wehe du sagst mir jetzt, dass du in einem Wald bist.“ Der vermummte Mann seufzte und ließ sich auf den mit Gras bewachsenen Boden in den Schneidersitz fallen. „Das wäre echt dumm. Immerhin ist mir das durchaus selber bewusst.“ Noriko schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung wo ich hier bin.“ Sie bemerkte, wie der Maskierte sie ansah. „Weißt du es denn überhaupt?“, fragte sie ihn dann. Gerade wollte der Angesprochene die ihm gestellte Frage beantworten, als unweit hinter ein paar Büschen Zweige brachen. Er blickte sie an. „Tut mir leid, aber ich muss gehen.“ Und ehe Noriko etwas sagen und somit am gehen hindern konnte, stoben hunderte schwarze Feder durch die Luft und eine Krähe schwang sich krächzend von dort in die Höhe, wo der Vermummte gerade noch gesessen hatte. Auf der Stirn des schwarzen Vogels saß gut sichtbar eine kleine weiße Maske. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)