Warme Berliner von Anemia (Jaschas turbulentes Jahr) ================================================================================ Kapitel 2: Mai 2013 ------------------- 1. Mai - Entspannung Es ist nichts passiert. Gestern nicht und heute sowieso nicht. Denn heute ist Feiertag. Der Tag der Arbeit. Für mich allerdings der Tag des Faulenzens. Aber es gibt das Internet, das jeden müden Körper auf Trab halten kann. Vicii will skypen. Jetzt. Na gut. Leider sehe ich aus wie überfahren, da ich die morgendliche Dusche ignoriert habe. Bei Vicii ist Ungepflegtheit niemals ein Thema. Er sieht aus wie geleckt. Das ist zwar ziemlich zweideutig, aber man sagt ja, Sex mache schön. Deswegen seh ich so beschissen aus. Weil mein animalischer Trieb lange nicht ausgelebt wurde. Hübsch. "Na, schöner Mann?" Ach, man flirtet. "Privet moj sladkij." "Hä? Was heißt das?" "Deine Mutter, Alter", seufze ich. Das heißt es freilich nicht. Aber Vicii soll die Bedeutung nicht kennen. Über ein deutsches 'Hallo, mein Süßer' würde er sich zu sehr freuen. Muss nicht sein. Ich bin zu müde für Freudenschreie. Aber Vicii guckt wieder so. Presst die Lippen aufeinander. Und dann legt er los. "Du hast nur Shorts an...mh...zeig mal, was drunter ist." Wahrscheinlich hat er gerochen, dass er mich heute erwischen kann. Ohne zu murren ziehe ich meine Unterhose nach unten und biete ihm den gewünschten Anblick. Ich will es doch auch. 2. Mai - Kurzer Prozess Ich sehe wieder gepflegt aus. Selbst nach der Arbeit gehe ich noch als Mensch und nicht als Halbaffe durch. Ist auch nötig. Vicii wartet nämlich bereits. Und er hat meterlange Beine. "Na?" Ich lächle nur. Peinlich. Stecke die Hände in die Hosentasche, sodass ich wenigstens etwas von meiner Coolness bewahre. Allerdings ist das nicht leicht, denn immer wieder muss ich daran denken, dass Vicii meinen Schwanz kennt. Namentlich nicht, aber vom Sehen. "Bist du Russe?" "Meine Mutter." Man sieht Vicii an, dass ihm diese Tatsache gefällt. "Russen sind gut im Bett. Und haben große Schwänze." "Kann sein." In welche Gefilde begeben wir uns wieder? "Komm her." Nee! Aber diesem Gesicht kann keiner widerstehen. Vicii ist zu niedlich. Wenn ich mir nur nicht so sicher wäre, dass er tatsächlich ein Junge ist... Wir stehen uns gegenüber. Ich mustere seine femininen Züge. "Näher", formen seine Lippen. Okay, dann eben noch näher. Irgendwie kann ich sein Vorhaben erahnen. Doch ich bin willenlos. So willenlos, dass ich mich nicht gegen den unschuldigen Kuss wehren kann. Ich ekle mich nicht mal davor, obwohl ich es nicht aus dem Kopf bekomme, gerade von einem Jungen geküsst worden zu sein. Ist halt Vicii. Und Vicii ist VIP. 3. Mai - Die beste Nacht meines Lebens "Ich hab dich durchschaut!" Tim, wie schön, mal wieder von dir zu hören. Mir geht es gut. Und dir? Wie, du hattest schlechten Sex? Hört man. "Wie durchschaut?" Eiskalt erwischt es mich. Ob er von Vicii und dessen Geschlecht erfahren hat? Doch ich liege falsch. Komplett. Tim wird bestimmt bald in die Klapse eingeliefert. Hoffentlich für immer. "Ich weiß jetzt, warum du das abgezogen hast. Mit dem Fakeprofil und dass du mir damit die Nacktbilder abgeluchst hast. Weil du was von mir willst! Diese...Victoria ist doch nur ein Alibi!" "Alter, hör auf!" Was geht denn jetzt ab? Ich und auf Tim stehen? Wovon träumt der in der Nacht? Der dreht ja voll durch. "Ist doch so!" "Nein!" Er glaubt mir nicht. "Alter, du kannst jederzeit zu mir kommen, weißte? Ich bereite dir die beste Nacht deines Lebens. Wann immer du willst." Meine Augen fallen heraus und kullern unter den Schrank. Schnell lege ich auf. Das kann man sich nicht anhören. Eher werde ich Papst als von Tim anal entjungfert. Aber nun weiß ich, was er mit seiner Frage nach der Heilbarkeit von Idiotie meinte. Wahrscheinlich gehen diese und Homosexualität ohnehin Hand in Hand. Sie scheinen das perfekte Paar zu sein. 4. Mai - Reue Vicii ist wieder da. Besser gesagt: Vic. Die zwei Is darf ich weglassen. Vic klingt viel cooler, wenn auch männlicher. Aber scheiß drauf. Vic ist eh männlich und stolz drauf. Und wenn er damit leben kann, dann muss ich es ebenfalls. Ich bin gern mit ihm zusammen. Auch wenn wir häufiger schweigen als labern, so ist seine Gesellschaft angenehm und die Gesprächspausen keineswegs belastend. Im Gegenteil. Ich nutze sie, um Vics Äußeres abzuchecken. Gedanklich gebe ich Noten. Die Beine sind eindeutig eine Zehn. Der Hintern auch fast. Ach was, der Hintern ist scharf. Der ist eine Elf. Im Rock gar eine Zwölf. Sehr nice, was sich mir da bietet. Doch manchmal bereue ich es, dass ich mich mit Vic abgebe. Wie heute. Er hat nämlich einen Schwulenporno mitgebracht. Den ziehen wir uns rein. Mir geht es schlecht deswegen. Vic hingegen ist angetan davon. Für mich ist es eine optische Folter, zu sehen, wie dieser riesige Prügel einen winzigen Anus penetriert. Im Moment bereue ich alles. Meine gesamte Existenz und vor allem die Geilheit auf diesen Transvestiten. Ich würde mir alles anschauen, was mit Körpern zu tun hat. Selbst Germany’s Next Topmodel. Aber nicht so was. Nicht so einen perversen Scheiß. 5. Mai - Prioritäten setzen Vic hat gemeint, er komme nun öfter. Ich hoffe, er meint dies nicht zweideutig. Seit dem Gruselporno habe ich mich zu einem Sensibelchen in Sachen Schwulitäten entwickelt. Vic allerdings scheint das egal zu sein. Er versucht sich mir anzunähern, wo es nur geht. Ja, mir gefällt das auch ziemlich, aber mein Kopf dominiert noch immer meinen Schwanz. Ich denke zu viel. Ich sollte Prioritäten setzen, was die Verteilung meiner Hirnmasse angeht. Entweder Schwanz oder Schädel. Im Moment regiert aber mein dummer Blödkopf. "Wieso hast du eigentlich das umgedrehte Kreuz da?" Klar, dass Vic es sieht, er rückt mir ja auch gewaltig auf die Pelle. "Weil ich die satanischen Gebote toll finde." Sonderlich interessiert scheint er nicht an meiner Antwort. So wie es aussieht, will er nur das eine. Und ich ziere mich wie ein Mädchen. "Ich selbst hab ein Piercing." Cool story, bro. "Was denn für eins?" Vic grinst schäbig. "Prince Albert. Willste sehen?" Ich kenne mich zwar nicht mit Piercings aus; wo der Prince Albert seinen Thron hat, weiß ich aber. Vic fummelt schon an seiner Hose herum, ich aber kann das Äußerste verhindern. Wahrscheinlich hätte mein Augenlicht dran glauben müssen, wenn mir Vic seine gestochene Hosenschlange präsentiert hätte. 6. Mai - Erinnerung Es ist aber nicht nur Vic, der gerade Paarungszeit zu haben scheint. Wir wissen ja, dass auch Tim spitz wie Nachbars Lumpi ist. Bestimmt ist daran die Sonne schuld. Sonne macht albern. Und heute schien die Sonne besonders heftig. Deswegen steht mein Kumpel auch unverhofft vor der Tür. "Hast du es dir überlegt?" Ich glotze ungläubig. "Was überlegt?" "..." Okay, bitte ich ihn eben erst mal hinein. Vielleicht weiß er dann wieder, über was ich die Tage hätte nachdenken sollen. Doch unsere Alzheimerattacken sind nicht von großer Beständigkeit. "Willst du ficken?" Wahrscheinlich brannte in diesem Augenblick eine meiner Sicherungen durch. Also ist nicht mehr nur Tim reif für die Gummizelle. "Einen Scheiß will ich! Ihr Kerle geht mir zurzeit dermaßen auf den Sack, ihr seid richtig furchtbar!" Tim guckt lediglich kariert. Und ich realisiere, dass mit mir etwas schief läuft. Ich rede tatsächlich wie eine Frau in der Typisch-Männer-Manier. Vic exorziert nicht nur Heterosexualität, sondern führt anscheinend auch Geschlechtsumwandlungen durch. Ich spüre regelrecht, wie die Östrogene meinen Körper emporkrabbeln. Wahrscheinlich muss ich mich nicht mal mehr rasieren. Wer weiß das schon. Tim wird aus der Wohnung befördert. Schade, dass das mit den Erinnerungen an seine notgeile Frage nicht ebenfalls geht. 7. Mai - Heiß und kalt Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Bin ich denn hier nur noch von paarungswilligen Typen umgeben, die es auf meinen Schwanz abgesehen haben? Und als wäre das nicht schlimm genug, geigt mir Vic heute via Webcam seine Meinung. Es tut seinem hübschen Gesicht allerdings nicht gut, dass er sich so aufregt. Puterrot macht er mir eine Szene, die sich gewaschen hat. Natürlich kreist alles wieder nur um ein Thema. "Bist du asexuell?" "Nein." Aber ich wünschte langsam, ich wäre es. "Irgendwie sieht es mir aber ganz danach aus. Wie lange beiße ich mir jetzt die Zähne an dir aus? Es ist ja okay, dass du Zeit brauchst, um mit deinen Gefühlen für einen Typen klarzukommen, aber ich habe den Eindruck, dass ich dich nicht anmache." "Doch, Vic, das hast du falsch verstanden..." "Ich dachte, wenigstens der Porno hilft dir auf die Sprünge, aber nichts da." Er legt eine Pause ein, holt tief Luft und spricht dann etwas ruhiger weiter. Nichts ahnend, dass sein doofer Porno absolut kontraproduktiv ausfiel. "Weißt du, ich hab richtig Bock auf dich. Ich will Sex, verstehst du das?" Klar versteh ich das. Lieber Vic, du bist nicht der einzige, der mir den Hengst machen will. Aber ich habe eben meine Probleme mit Hengsten. My Little Pony mochte ich schon als Kind nicht. Doch Vic ist Meister der Ignoranz. Und macht kurzen Prozess mit mir. Ganz kurzen. Zieht sich einfach die Hosen runter und hält seinen Schwanz in die Kamera. Ein Schauer der Überraschung durchfährt mich. "Macht dich das heiß oder lässt dich selbst das kalt?" "Eher Ersteres", gebe ich zaghaft zu, obwohl ich im Moment nicht sonderlich viel mit diesem Anblick anfangen kann. Aber Hauptsache Vic ist zufrieden. Vic, meine süße Schwanzprinzessin. Und vielleicht sag ich sogar mal dem Prinz Albert persönlich hallo. 8. Mai - Mein wertvollster Schatz Ich verlasse mich ja auf meine Sinne. Wahnsinn, Irrsinn und Blödsinn. Aber wenn es um das Erkennen von Geschlechtern geht, werden sie mir untreu. Ein erneuter Beweis wurde mir heute erbracht. Vic hat Freunde. Echte, aus Fleisch und Blut bestehende, keine ausgedachten, die Produkt seiner Geisteskrankheit sind. Denn ich glaube nicht, dass diese ein Profil in einer Community besitzen. Doch man weiß nie. Vic schreibt sich mit einem Mädchen. Wirklich gutaussehend. Jedenfalls denke ich, dass es ein Mädchen ist. An dieser Stelle verlassen mich wie gesagt meine Sinne. Mein Interesse weckte diese Andie, als ich auf Vics Pinnwand ein paar zweifelhafte Einträge von ihr entdeckte. Ich fange an, den Schriftverkehr der beiden zu verfolgen, als ich den Link, den Vic zu meinem inzwischen bebilderten Profil gepostet hat, bemerke. Das Gespräch geht folgendermaßen: "Dein neuer Lover?" "Ja." "Uh. Errötender Smiley. Heiß." "Grinsender Smiley." Danke, danke. "Der ist bestimmt gut im Bett." "Vergiss es. Im Moos ist nix los." "WAS? Schieß ihn ab! Werd lieber lesbisch für mich." "Bin ich doch längst. Mein wertvollster Schatz. Zwinkersmiley." Lesbisch? Vic ist doch ein Typ, wie kann der lesbisch sein? Ich raffe nichts mehr. Aber ist auch egal. Dieses Gespräch verpasste mir ein psychisches Hämatom. 9. Mai - Verantwortung Wenigstens läuft‘s mit Tim wieder gut. Wir hängen sogar heute zusammen ab. Lange herrschte nicht mehr solch ein Frieden. Auch der mich als schwul betitelnde Profileintrag samt Beweisfoto ist verschwunden. Vielleicht, weil Tim nun einsieht, dass ich nichts von Typen will. Wenn der wüsste... Wahrscheinlich hat er eine Gehirnwäsche verpasst bekommen, denn er möchte mich nicht mehr besteigen. Gut so. Ich bin sowieso mit meinem Handy beschäftigt, um zu checken, ob Vic wieder mit seiner lesbischen Freundin über mich hergezogen hat. Ich zücke mein Gerät, werde aber von Tim unterbrochen. "Deine Braut?" Da hat wohl jemand Stielaugen. "Ja." Ich habe Vics heißes Bild nämlich auf meinem Display. Selbst Tim pfeift anerkennend. Doch der bittere Beigeschmack ist nicht zu übertünchen. Tatsache ist, dass ich ein Schlappschwanz bin, der es seinem Prinzesschen nicht besorgen kann. "Du, Tim?" "Ja?" So läute ich 'Tim, mein Doktor Sommer, Episode 2' ein. Eine große Verantwortung, die ich ihm zuspreche. "Weißt du, wie man gechillter wird?" Wie aus der Pistole geschossen: "Rauch Gras. Wieso?" Ich zucke mit den Schultern. Nur Loser knallen sich mit solchen Sachen zu. Ich aber möchte Vic mit einem freien, aufrichtigen Geist glücklich machen. Nicht mit Gras. Gras fressen nur Kühe. Und Tims. 10. Mai - Überwindung Eine Kiffbirne ist leichter zu händeln. Deswegen habe ich mir doch ein Tütchen Gras zustecken lassen. Bin ich eben eine Kuh. Ein Stier hat schließlich dicke Eier. Wenn du es nicht glaubst, geh mal auf den Bauernhof. Ich brauche einen klaren Kopf. Ich habe Vic nämlich gefragt, ob wir heute feiern wollen. Kurzerhand lud er mich dazu ein, mit seinen Freunden die Nacht unsicher zu machen. Schön. Ich habe gekifft und mir ist alles egal. Ehrlich gesagt ist alles schön. Vic und die ganze Welt. Besonders auch Vics lesbische Freundin, die wahrhaftig ein amtliches Holz vor der Hütte hat. Trotzdem, ich ziere mich noch immer, mit Vic intim zu werden. Ich glotze zwar, aber meine Hände ruhen immer nur in meinem Schoß. Klar, dass Vic mit steigender Promillezahl zu Alternativen greift. Und ich bekomme live vorgeführt, wie lesbisch Vic mit Andie ist. Ich glaube, mich kaum mehr retten zu können. Man kann so einfach vergessen, dass Vic einen Schwanz hat, und auf Lesbenspielchen fährt ja wohl jeder Mann ab. Nebenbei trinke ich noch ein paar Schlucke von dem harten Zeug, welches mir serviert wird, bis ich mich irgendwann überwinde. Ich ziehe Vic auf meinen Oberschenkel, die Beine wie ein cooler Macker weit gespreizt und fahre wie selbstverständlich mit der Hand unter seinen Rock. Alter, in diesem Moment geht mir so dermaßen einer ab, dass ich mein Baby am liebsten komplett vernascht hätte. Oh, wie groß ist plötzlich dieser Druck in mir. So ungestüm und gnadenlos. Wir knutschen. Wild und hemmungslos. Doch Vic grinst immer wieder in den Kuss. Irgendwann rückt er mit der Sprache heraus: "Wusst ichs doch, dass du darauf anspringst..." Damit meint er die Lesbenspielchen. Tja, ich bin eben nur ein Mann. Wenn mich nur nicht zusätzlich das Gras und der Alk zu meinem Glück hätten zwingen müssen. 11. Mai - Kaffee Ich brauch nen Kaffee. Schön stark, bitte. Boah. Es sind nur verschwommene Gedankenfetzen, die durch meine Matschbirne wabern, nichts Konkretes. Deswegen hab ich keinen Plan, was letzte Nacht abgegangen ist. Ich ahne aber was, denn Vic hat heute Morgen in meinem Bett gelegen. Nackt. Und ich hatte ebenfalls nur mein Adamskostüm an. Mum guckt komisch, sagt aber nichts. Gut. Ich brauche Ruhe. Diese soll mir aber nicht vergönnt sein. Vic steht nach wenig später zerknautscht im Türrahmen. Das ist das erste Mal, dass man ihm sein wirkliches Geschlecht ansieht. Aber es macht nichts. Es macht überhaupt nichts. Er setzt sich neben mich. Streicht sich die Haare aus der Stirn. "Was war letzte Nacht?", frage ich. Vic seufzt. "Wir haben geknutscht und dann sind wir zu dir. Du wolltest es endlich. Aber als wir nackt waren, bist du weggepennt." Fuck. "Sorry." "Mh." Ich bin ein Schlappschwanz. Warum hat mich Satan nicht als geschlechtsloses Wesen erschaffen, wenn ich das, was da unten müde baumelt, ohnehin nicht benutze? "Na ja", fährt Vic fort. "Hab dir halt nen Bart gemalt, als du eingeschlafen warst. Fands süß." Mh. Ich fahre mir mit der Hand über mein Gesicht. "Jetzt hast du den Bart verschmiert." "Wayne. Kaffee?" 12. Mai - Schwarzmalerei "Tim-Boy! Was geht, Alter?" "Alter, meine Mutter!" Die geht? Wer hätte das gedacht? Ist doch schön, wenn sie laufen kann. Aber Tim wartet mit konkreteren Infos über seinen Anrufgrund auf. "Ich hab mir da letzte Nacht so nen Typen mitgenommen und irgendwie hat sie wohl geschnallt, dass der nicht nur ein Kumpel war und nun hat sie mir voll die Szene gemacht, weil sie nun denkt, ich sei schwul und bla." Wir fassen zusammen: Der Konjunktiv suggeriert, dass Tim nicht schwul ist, sondern es nur so scheint. Zweitens: Tim hatte Herrenbesuch. Drittens: Ich will mir das nicht bildlich vorstellen, aber mein Kopfkino ist stets sehr kreativ bei der Sache. Was mich allerdings noch interessiert: "Und was soll ich jetzt machen? Mit Frauentausch brauchst du mir gar nicht ankommen, meine Mutter ist auch nicht besser als deine, wenn es darauf ankommt. Russische Konservativität, weißt schon." "Mh, nee", meint Tim langgezogen. Ich kenne ihn, er will nicht so richtig mit der Sprach herausrücken, wenn er so rum eiert. "Weißte, ich brauch mal ein paar Tage Abstand von ihr. Sonst stresst die mich ständig wegen dem Thema. Ähm...könnt ich da derweil bei dir unterkommen? Das wär echt cool, Buddy." Na das hat mir gerade noch gefehlt. Tim malt sich sein Leben in den schwärzesten Farben aus und bereitet mir ebenso düstere Aussichten für meine Zukunft. Wie soll das mit Vic endlich mal in Gang kommen, wenn wir ständig einen dritten Mann um uns herum haben? Aber was will man machen? So scheiße Tim sein kann, er ist nun mal mein bester Freund. Und bei besten Freunden guckt man nicht einfach zu, wie sie vor die Hunde gehen. Deswegen gebe ich dem Kerl mein Okay. Doch wehe, er nutzt diese Gelegenheit, um wieder an mir herumzugraben. Dann gibts ein Eddingbattle, welches sich gewaschen hat. 13. Mai - Zeichen setzen "Echt jetzt? Deine Braut hat dir ne Lesbenshow geboten? Boom Shakalaka, wie geil ist das denn?" Ja, echt jetzt. Und soweit ich mich erinnern kann, war es tatsächlich ziemlich scharf. Im Nachhinein weiß ich allerdings nicht, ob Vic das nur durchgezogen hat, um mich klarzumachen, oder ob er Absichten bei Andie hat. Man sieht: Der Druck steigt. Ich muss mich zusammenreißen, sonst steigt Vic mit seiner Trulla in die Kiste. Schlimm, wenn man bedenkt, dass ich gerade Tim viel näher bin als meinem Goldstück. Denn wir sitzen gerade auf meiner Matratze und quatschen über Gott und die Welt. Sex steht natürlich im Fokus. Wie so oft. "Boah, bin ich neidisch", fährt Tim fort. "Eine Bi-Tussi ist mein Traum. Haste nen Dreier mit den beiden gemacht? Sag, sag!" Ich grinse allerdings nur vielsagend. Was soll ein Klemmi auch erzählen? Tim würde mich auslachen, wenn ich ihm berichtete, wie zugeknöpft ich bin. Ich muss ein Zeichen setzen. Ein Zeichen, welches Vic beweist, dass er nur mich braucht. Und eines, welches mich mit der Gewissheit vor meinen Kumpels stehen lässt, dass ich ein geiler Stecher bin. Mein Selbstbewusstsein braucht das. Und nur mit Fünf gegen Willi kann ich sowieso nicht mehr lange überleben. 14. Mai - Etwas in Frage stellen Tim ist ein Arschloch. Ein riesengroßes. Ich weiß, man sollte Menschen nicht auf ein einziges Körperteil reduzieren, aber wer Tim als Freund hat, der braucht keine Feinde mehr. Eigentlich wusste ich das schon immer. Ich hatte mit ihm ausgemacht, dass er sich heute Abend verpisst. Denn Vic hat Zeit für mich und ich will mich endgültig an ihn ranmachen. Es gelingt auch wunderbar, wir beide lassen alle Hüllen fallen und sind drauf und dran, die schönste Nebensache der Welt gemeinsam zu erleben, als es an die Tür klopft und sich der Störer zusätzlich mit einem zaghaften Rufen bemerkbar macht. "Mach auf, Jascha. Ich hab was vergessen." Tims großer Auftritt. Tim, wie er unseren Verkehr stört. Da die Stimmung sowieso dahin ist, stapfe ich zur Tür, mein bestes Stück mit einer Klamotte bedeckt, welche ich vom Boden aufgeklaubt habe und reiße das Brett wütend auf. "TIM!", wettere ich und hoffe, der irritiert guckende Kumpel setzt deswegen heute den braunen Bob in seine Hose und nicht in den Porzellanthron. Ich zische: "Ich hab doch gesagt, dass ich dich jetzt nicht gebrauchen kann." Und es ist auch meine Nacktheit, die den Angesprochenen komisch gucken lässt. Wehe, ich muss sehen, wie sich in seiner Hose etwas regt bei meinem Anblick! Doch so weit kommt es gar nicht. "Jascha", hört man Vic vom Inneren des Zimmers her jammern und ich bin einem Herzkasper nahe. Wieso muss er ausgerechnet jetzt sein männlich klingendes Organ lautstark ertönen lassen, wo die Kacke ohnehin schon am Dampfen ist? "Hast du'n Typen da?", fragt Tim daraufhin berechtigterweise, zieht die Stirn kraus und im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr, was ich darauf geantwortet habe. Bestimmt irgendetwas Vages, was kein Ja und kein Nein ist. Tim jedenfalls wird meine Heterosexualität ab jetzt in Frage stellen. Kinder, ich bring euch alle um. 15. Mai - Gedeckter Tisch Vic ist glücklich. Wäre er ein Huhn, gäbe es von ihm Eier in höchster Qualität. Und das nur, weil ich gut zu Vögeln bin. Es ist passiert. Kein Tim und kein Gehirn haben dieses Mal die Idylle gestört. Vic hat es umso mehr gefreut. Glücklich strahlend liegt er neben mir, weil ich mich von ihm bedient habe wie von einem gedeckten Tisch. Es war komplett anders als mit einer Frau. Nicht nur, weil Vic einen Schwanz hat, auch das Feeling unterscheidet sich. Ich würde nicht sagen, dass es schlechter ist, nein, es ist lediglich ungewohnt. Auch wenn Analsex geilomat ist, wie ich feststellen durfte, so habe ich das Meiste nur gemacht, um Vic zu erfreuen. Und im Endeffekt gefiel es mir, ihn am Rande der Beherrschung zu erleben, allein wegen meiner Berührungen. "Ich hatte Recht." "Wieso?" "Russen sind gut im Bett und haben nen großen Schwanz." "Was dachtest du denn?" Vic grinst. Und um ehrlich zu sein war mein Rendezvous mit Anus samt Prince Albert gar nicht schlimm. Ich glaube sogar, dass wir es wiederholen sollten. Irgendwie kann ich Tim immer besser verstehen. Doch lass uns nicht an ihn denken. Ich brauche ohnehin neue Freunde. Die alten wissen zu viel. 16. Mai - Souvenir "Nettes Souvenir." "Was haben deine Augen an meinem Körper zu suchen?" Ich komme gerade aus der Dusche. Konnte ich ahnen, dass Tim sich gerade in meinem Zimmer aufhält? Oh, ich vergaß, in unserem Zimmer. Dieser kleine Parasit hat sich hier eingenistet und denkt nun, er dürfe nun einen kostenlosen Liveporno genießen. Nichts da. Heutzutage gibt es nichts umsonst. Umsonst ist nur der Tod und der kostet das Leben. Zum Glück zensiert das Handtuch um meine Hüften das Wesentliche. Der Jubel Tims wegen des Anblicks meiner Genitalien wäre zu groß. "Aber das da, auf deinem Rücken!" "Was da?" Ich versuche, meinen Kopf einem Uhu gleich auf den Rücken zu drehen, verrenke mir aber nur den Nacken. "Du hast einen Knutschfleck. War wohl wild, die Nacht mit diesem Typen? Oh, wenn deine Flamme erfährt, dass du mit einem Mann fremdgehst…" Ha, was habe ich zu befürchten? Meine Flamme ist schließlich der Mann. Oder ein Mann meine Flamme. Wie auch immer. Dass Vic mich am Rücken gebissen zu haben scheint, ist ohnehin nicht sonderlich ladylike von ihm. "Ich bin eben zum Anbeißen", protze ich und überlege mit einem gefälligen Grinsen, wie ich es Vic heimzahlen kann. Eigentlich sind Blowjobs eine stets akzeptierte Währungseinheit. 17. Mai - Lass mich in Ruhe Ich bin die Weihnachtsgans Auguste. Flattere im Raum umher und quietsche "Lass mich in Ruh, will in die Truh!". Nein, Vics Exorzistenverhalten ist nicht für mein schwules Verhalten verantwortlich. Okay, Vic hat doch schuld. Denn er will mich morgen in einen Schwulenclub ausführen. Eigentlich müsste ich mich ja geehrt fühlen, denn anscheinend habe ich den Test, den jeder gute Schwule bestehen muss, mit Bravour absolviert. Kein Wunder, ich beglücke Vic mittlerweile täglich und jedes Mal feiern wir weiße Weihnacht mit meinem dicken Sack samt großer Rute. Heute bin ich Gans. Obwohl ich mir in der Rolle des geilen Weihnachtsmannes besser gefalle. Aber wer würde nicht durchdrehen, wenn er wüsste, dass die homosexuellen Kerle darauf warten, dir mit ihren Ruten den Arsch zu versohlen, während im Hintergrund fröhlich YMCA dudelt und die reizende Szene untermalt? Ich muss mich verstecken. Aber auch das hilft nicht. Tims Augen sind bekanntlich überall. "Was machst’n im Kleiderschrank?" "Lassmichinruhe." "Und wie geht 'Lassmichinruhe'?" Der hat einen Knall. Ich mache hier ein Rollenspiel als Weihnachtsgans und der versaut mir alles. Wenn ich ihm wenigstens von meinem Leid berichten könnte. Aber nee. Eher lasse ich mich schlachten, als Tim zu erzählen, dass mein Dampfer ans andere Ufer schippert. 18. Mai - Bilderrahmen Die Typen lassen größtenteils ihre Pfoten von mir. Aber mit dem Publikum der Szene kann ich mich eh nicht beschäftigen. Ich musste nämlich eine furchtbare Entdeckung machen. Besser gesagt, ich wurde furchtbar entdeckt. Jeder Junge muss mal für kleine Mädchen. Oder so. Mit ziemlicher Angst vor auf meinen Arsch wartenden Klomonstern in Gestalt von überschminkten Paradiesvögeln schiebe ich mich auf das stille Örtchen. Um Gottes Willen. Sofort verstecke ich mich hinter einer Ecke. Ich könnte schwören, dass bei den Waschbecken ein gewisser Tim Schultze steht und sich gerade angeregt mit einem Typen unterhält. Okay, Tim hat zwar ein Allerweltsgesicht und einen nicht sonderlich schönen Schwanz, es stellt sich allerdings heraus, dass mich meine Augen nicht getäuscht haben. Wieso habe ich mich nicht doch von Vic schminken lassen? Dann hätte ich ein Versteck bei mir. Aber ich weigerte mich ja. Nun habe ich den Salat. "Jascha?", höre ich Tim ungläubig rufen, überlege, was die leichteste Methode ist, einen plötzlichen Tod vorzutäuschen. Tim sieht mich in einem Gayclub, welcher eigentlich nicht mein natürliches Habitat ist, er wird aber genau das annehmen. Doch ich stelle mich der Herausforderung. Quest 1: Zeige Tim, dass du wirklich Jascha bist. Okay. "Alter, was machst du denn hier?" Er quietscht fast. Dann nimmt er mich plötzlich in den Arm! Hilfe, Hilfe! "Herzlich Willkommen auf der anderen Seite, Mann! Du hast dich für den richtigen Weg entschieden. Ja, das hast du. Ach, Jascha..." Quest erfolgreich abgeschlossen. Was bekomme ich zur Belohnung? Ein in rosa gerahmtes Bild in der Eingangshalle des Clubs? Mh. "Lass mich los. Ist gut jetzt." "Ich wusste, dass du auf Männer stehst", säuselt Tim und ich glaube, er hat Pipi in den Augen, vielleicht sogar in der Hose. "Aber wie machst du jetzt mit deiner Schnalle Schluss?" Gar nicht, weil ich wegen der hier bin? 19. Mai - Tiefschwarz "Kein Wort zu niemandem, klar?" "Ja, ja, ja!" Ich zwang Tim, Stillschweigen über den gestrigen Vorfall zu wahren. Es ist schon schlimm genug, dass ich die Erinnerungen an den Abend nicht einfach aus seinem Gehirn löschen kann. Auch wenn in seinem Kopf nur bunte Murmeln ihr Zuhause haben, so hat er doch ein gutes Gedächtnis, wenn es um von mir verzapfte Peinlichkeiten geht. Vic will heute kommen. Also, erstmal erscheinen. Und ich bekomme meinen Kumpel nicht los. Deswegen muss ich ihn leider in die Dusche sperren. Habe ich vor. An der Umsetzung hapert es allerdings. Ich kacke gerade, als es klingelt. Wieso passieren Unglücke immer dann, während man auf der Toilette sitzt? Ich erspare mit das Arschabputzen und sprinte zur Tür. Aber Tim steht bereits vor dem geöffneten Brett. Von Angesicht zu Angesicht mit Vic. Oh Gott. Jetzt merkt er, was Vic zwischen den Beinen bammelt. Meine Welt taucht sich in ein tiefes Schwarz. Tötet mich. Mit letzter Kraft versuche ich, Vic an Tim vorbeizuschleusen, doch der hat bereits zu viel gesagt. "Jascha hat was mit nem Typen!", platzt es aus ihm heraus und Vic guckt fassungslos auf mich. "Du hast was?!", platzt es schließlich aus ihm heraus und wenn Tim nun nicht gerafft hat, dass Vic kein Mädchen ist, weiß ich auch nicht mehr. Seine Augen wandern hin und her, zu Vic, dann zu mir, dann wieder zu Vic. "Alter...die ist...also...ein Typ? Boah, krass." "Ach nee, was dachtest du, was ich bin? Ein Grottenolm?" "Ja, vielleicht?" Argh! Ich schnappe mir Vic und zerre ihn in mein Schlafzimmer. Tim muss leider draußen bleiben, denn er wird mir bei der Erklärung, dass Vic mein Einziger ist, eher hinderlich sein. Hoffentlich kommt Vic nicht auf die Idee, Tim könnte mein Hausfreund sein und deswegen hier wohnen. Tiefschwarze Zeiten für dich, du Jogginghosenheld. 20. Mai - Die Seele baumeln lassen Vic glaubt mir. Ich konnte ihn mit einem Blowjob von meiner Aufrichtigkeit überzeugen. Blowjobs sind wirklich eine immer akzeptierte Währungseinheit. Man kann sich damit alles kaufen. Sogar Vertrauen. Ich könnte so schön chillen. Wenn es Tim nicht gäbe. Tim, der eine Freundschaft ohne Geheimnisse erzwingt. Er weiß alles. Und auch wenn ich lieber nicht mehr mit ihm geredet und ihm stattdessen das gesamte Gesicht geschwärzt hätte, so muss ich müssen wir und doch unterhalten. "Sollte irgendjemand erfahren, dass Vic ein Junge ist, dann kastriert mein Fuß dich. Ohne Scheiß." Ich glaube, dass sich Tim fürchtet. Seine Augen sind klein wie Stecknadeln und bewegen sich nervös hin und her. "Ich sag nix", versichert er mir, trotzdem vertraue ich ihm nicht. Sein letzter Schwur war schließlich nur heiße Luft. Die Ernsthaftigkeit der Szene ist bald verpufft. Tim hat Pipi in den Augen und es wirkt fast so, als wolle er meine Hände ergreifen. "Ich finds so geil, dass wir nun auch die Sexualität gemein haben. Hätt nie gedacht, dass du so bist." So, wie bin ich denn? Regenbogenorientiert? Jetzt lasse ich erstmal meine Seele baumeln, indem ich mir die Hosen ausziehe und den restlichen Tag unten ohne rumlaufe. Ist eh alles egal. 21. Mai - Den Vorhang lüften "Wieso darf eigentlich keiner wissen, dass ich ein Junge bin? Du könntest doch den Vorhang einfach lüften." Ich ahnte, dass ich diesem Gespräch nicht aus dem Weg gehen kann. "Wär scheiße fürs Image." "Weil du ja so ein cooler Hopper bist. Coole Hopper sind nun mal nicht schwul." Der Sarkasmus in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Und ich komme nicht mehr dazu, mir etwas zu überlegen, was die Geheimhaltung von Vics Geschlecht wirklich legitimieren könnte. Dieser vorwurfsvolle Blick gefällt mir nicht. Ich will mein gechilltes Leben zurück, wo meine einzige Sorge darin bestand, dass ich morgens mit einem Eddingbart aufwachen könnte. Doch diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. "Dabei steht selbst Tim auf Männer! Fast jeder Mensch auf der Welt ist ein bisschen bi." "Wer sagt das?", will ich verdattert wissen. "Freud. Aber wie auch immer...ich weiß, ich verlange viel von dir, aber wenn du es ernst mit mir meinst, dann will ich, dass du zu mir stehst." "Mh." "Also, lüftest du den Vorhang?" Dem Bettelblick kann man kein 'Nein' entgegenschleudern. "Mh." "Dann küss mich." Mein Baby hat die schönsten Lippen der Welt. Ich möchte sie niemals gegen die eines Mädchens eintauschen. Auch wenn das so viel einfacher wäre. 22. Mai - Schnipsel Mir ist, als wäre mein Leben zu einem Roman mutiert. Eine höhere Gewalt namens Autor schiebt sich mein Schicksal zurecht. Deswegen bin ich gerade mit Moo, Flori und Tim unterwegs. Ich weiß, was du von mir erwartest, lieber Autor. Schwere Quests, die du mir stellst. Bin ich Lara Croft? Es ist nicht möglich, eine Weile nicht wie Tims bester Kumpel zu wirken. Tim schafft es wie kein anderer, so zu tun, als ob nichts wäre. Mein Geheimnis interessiert ihn zu sehr. "Hast du schon jemandem gesteckt, dass deine Flamme einen Schnippel hat?" "Pscht!" Wenn du flüsterst, dann bitte leise. Nicht so, dass es Moo und Flori hören können. Denn ich wüsste nicht, wann ich Tim versprochen hätte, der Welt Vics Geschlecht zu offenbaren. Vic möchte es zwar, aber ich muss den richtigen Moment abwarten. Ich kann das nicht so aus der Kalten. "Deine Flamme hat einen Schnippel?" "Einen Schnipsel!", berichtige ich Moo, der bereits zu lachen anfängt. Flori steigt prompt mit ein. Einen Schnipsel. Stille Post gone wrong, oder wie? Wie komme ich eigentlich in den unmöglichsten Situationen auf den größten Scheiß? "Einen Schnipsel", grunzt selbst Tim vor sich hin. Na was denn? Wissen die nicht, was ein Schnipsel ist? 23. Mai - Leidenschaft Es ist zu früh. Eigentlich kann ich jetzt keinen Tim ertragen. Aber da er noch immer bei mir wohnt und keine Anstalten macht, sich zu verpissen, kann ich schlecht vor ihm flüchten. Dennoch verfluchte ich seine Berufsschultage, denn dann klebt er schon am frühen Morgen wie eine Klette an mir. "Lass uns zum Bäcker, ich brauch was für die Pause." So zeitig bin ich zwar recht ungemütlich eingestellt, lasse es allerdings nicht durchscheinen. Würde ich das tun, bräuchte Tim kein Frühstück mehr, anstelle wäre er Frühstück. Wenigstens macht er im Bäcker kurzen Prozess, ehe ich es tue. Berliner verlangt er. "Fass mal an, die sind noch ganz warm!" Schön für dich, Timmy-Boy, du bist selbst warm. Ich berühre die Tüte. Ganz bezaubernde Temperatur. "Willste einen?" Ich lasse mir das nicht zweimal sagen und greife in den Überraschungsbeutel, bis ich so ein gezuckertes Ding erwische. Ich beiße hinein. "Weißt du was, Mann?", meint Tim kauend vor der Tür. "Wir sind selbst warme Berliner." Wäre ich nicht so müde, würde ich über diese Feststellung nachdenken und prüfen, ob sie wirklich so unklug ist, wie ich momentan annehme. Gerade weiß ich nur, dass Tim eine Leidenschaft für dieses verdammte Gebäck zu pflegen scheint. 24. Mai - Träumereien Heute ist wieder mal einer dieser geruhsamen Abende, die ich nur mit Vic verbringe. Da der nahende Sommer immer greifbarer wird, chillen Vic und ich auf der Bank. Chillen und hören Die Antwoord. Wie ein altes Ehepaar. Und deswegen liegt es nicht fern, dass ich ins Philosophieren abdrifte. Obwohl solche tiefgreifenden Gedanken untypisch für mich sind. "Irgendwie sind wir wie Yolandi Visser und Ninja." Vic reagiert zunächst nicht. Dann guckt er mich an. Es sieht aus, als überlege er, an welcher Stelle meines Gesicht mir ein Schlag besonders schmerzen würde. Was hab ich nur wieder falsch gemacht? "Wir sind wie beste Freunde, die ein Kind zusammen haben?" "Boah, Mann, nein", stöhne ich; mach doch nicht immer alles so kompliziert - das sind Träumereien, die mein Hirn einfach zum Abschalten braucht. Vic ist wie ein Mädchen. Alles genau durchdenken, alles genau hinterfragen, aber niemals Fünfe gerade sein lassen. "Na ja, Yolandi ist scharf", lenkt mein Freund schließlich ein. "Und du als Ninja...passt!“ Sag ich doch. Wie Arsch auf Eimer. Wir sollten ein Rollenspiel durchführen. Aber von der Weihnachtsgans hab ich die Schnauze voll. Lieber bin ich ein kiffender Rapper, der den dicken Max markiert. Ach was, das bin ich schon längst. 25. Mai - Pläne schmieden Mütter sind eine seltsame Spezies. Manchmal sind sie pflegeleicht, die meiste Zeit aber nerven sie. So wie heute. Mum macht nämlich ein Kaffeekränzchen mit all ihren Freundinnen. Ein ganzes Zimmer voller Milfs, die ich nicht anfassen darf. Aber ich wedel ohnehin lieber an Vics Palme. Aber eben nicht hier. "Lass uns zu dir gehen", schlage ich vor. Vic aber ist nicht begeistert. Dabei benimmt der sich doch die ganze Zeit wie eine rollige Katze und sehnt sich nach meinen magischen Händen und dem langen Körperteil. Nein, nicht nach meinen Beinen. Und auch nicht nach meinen Armen. Die Länge passt aber. Irgendwann ist Vics Sexualtrieb doch stärker als sein Widerwille. Warum sträubt er sich so dagegen, dass ich ihn zu Hause besuche? Hat er was zu verbergen? Oder will er Mamas Freundinnen mit einem akustischen Porno schocken, weil er darauf steht? Wer weiß das schon. Vic wohnt mit zwei Typen zusammen in einer Art Schwulen-WG. Beängstigend. Vor so viel Regenbogenfarbe wollte er mich wahrscheinlich schützen. Wie lieb. Wir schaffen es nicht in Vics Zimmer, ohne einem merkwürdigen Wesen in die Arme zu laufen. Es wird mir vorgestellt. "Das ist Felix." Erschreckenderweise sieht der tatsächlich aus wie dieser tierische Felix aus der Katzenfutterwerbung. Komplett schwarz, nur das Gesicht ist weiß mit vielen schwarzen Piercings. Ein typischer Emo. Die feindliche Subkultur eines jeden Hoppers. Eigentlich dachte ich, diese Heulsusenspezies wäre längst ausgestorben, da sie sich alle umgebracht haben. Felix ist sehr schnell wieder verschwunden. "Er ist sehr scheu und na ja...", erhalte ich die Erklärung für sein Verhalten. Aber was juckt der mich. Außer Felix soll hier noch ein ähnlicher Paradiesvogel wie Vic wohnen, der auf den Namen Dino hört. Ich hege da arge Bedenken. Eine Katze und ein Dino unter einem Dach. Fressen die sich nicht auf? Egal. Ich brauche jetzt Liebe. 26. Mai - Außenseiter "Nee. Mir ist es ja absolut egal, wo und mit wem du es auf deiner Luftmatratze treibst, aber meine heiligen Hallen bleiben bitte verschont von deiner Schweinerei. Du entweihst sie." Sorry, Tim, aber das musste einfach mal gesagt werden. Da verbringt man mal eine Nacht außer Haus, verlässt sich darauf, dass sein Kumpel, der gnädiger Weise Exil bei einem bekommen hat, brav ist, wird aber bitter enttäuscht. Tim hat Herrenbesuch. In meiner Wohnung. Und das, obwohl Mum gestern ihre Freundinnen da hatte. Wer weiß, wann sein Stecher bereits hier aufgekreuzt ist. Und wer weiß, was für ein Krach die beiden gemacht haben. Da verzieht man sich extra, damit die Frau Mama samt Gefolge nicht vor Schreck vom Stuhl fällt, sollte der Verkehr etwas lauter ausfallen, bekommt dafür aber einen Schlag in die Fresse. In Zukunft werde ich mich nur noch auf meinen Arsch verlassen. Der steht wenigstens immer hinter mir. "Och, Alter, jetzt chill mal", kommt es verschlafen von Tim. "Du bist ja wie die Obermutti." "Wenn es sein muss, trete ich sogar mit dem Nudelholz auf und jag dich damit durch die Bude. Und den da gleich mit." "Mhhhh..." "Sorry, aber wenn du dich nicht benimmst, muss ich dich rausschmeißen. Degradierst dich selbst zum Außenseiter. Niemand hat dich mehr lieb." "Boah, komm mal runter..." Nee, ich komm gleich hoch. Besser gesagt, mir kommt es gleich hoch. Wenn ich mir überlege, was Tim mit diesem Typen wohl gemacht hat, könnt ich im Bogen kotzen. "Du verabschiedest jetzt deinen Fickfreund und lüftest gefälligst, hier stinkts nach Sperma." Tim gehorcht sogar. Widerwillig, aber er gehorcht. Und später haut er sogar noch einen bescheuerten Spruch raus: "Ich mag das, wenn du so dominant bist." Wenn ich gewusst hätte, dass Tim wegen meines Auftritts fast nen Orgasmus bekommt, hätte ich auf andere Methoden zurückgegriffen. 27. Mai - Lange Reise Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es gar nicht nötig ist, mich zu outen. Selbst dieses Wort klingt schon befremdlich. Ich bin doch gar nicht schwul. Und Vics Geschlecht war letztendlich sogar mir egal, also muss ich mich gar nicht auf den Balkon stellen, die Arme ausbreiten und schreien: "Ja, liebe Welt, die Frau, mit der ich zusammen bist, ist eigentlich ein Mann! Fuck yeah, ich hab homosexuelle Neigungen! Vier Fäuste für ein Halleluja!" Nee. Das Dumme ist nur, dass Vic sehr stolz darauf zu sein scheint, ein Junge zu sein. Obwohl er Frauenkleider trägt. High Heels, kurze Röcke, bauchfreie Tops und sogar Spitzenunterwäsche. Das alles kombiniert mit seinen blonden Haaren und den reizvollen Klunkern an den Ohren. Ich sag ja, er ist komisch. Und ich glaube, er würde die Sache mit dem Balkon sogar gutheißen, würde ich ihm von meiner Schnapsidee berichten. Okay. Irgendwann werde ich es jemandem erzählen. Aber ich weiß noch nicht, wann. Vielleicht finden Moo und Flori es ohnehin von selbst raus. Oder ich muss ihnen Gras geben, damit ihnen mein Geständnis am Arsch vorbeigeht. Wie auch immer. Jascha und sein Outing - eine lange Reise. Eine Odyssee. Fuck, ich bin doch gar nicht schwul. 28. Mai - Freitag Tim sitzt auf seiner Luftmatratze alias Lustmatratze. Er guckt mich an, als hätte ein Unfall mein Gesicht schrecklich entstellt. "Du pupst leise im Schlaf." Unnützes Wissen, Band eins. "Wann mach ich das?" Bestimmt hat er irgendwas genommen. Solche Dinge haut doch kein cleaner Mensch heraus, der nicht Jascha heißt. "Freitag hab ichs gemerkt." Er macht eine kurze Pause. Schämt er sich? Aber warum? Tim furzt schließlich ständig meine Bude voll, und das nicht nur, während er im Traumland verweilt. "Ich wollts aber nicht eher sagen." Ich seufze. "Jo, mei. Würde ich meine Gase nicht ablassen, würde ich irgendwann wie ein praller Luftballon an die Decke steigen. Wärs dir lieber, ich würde dauernd rülpsen?" Außer, dass Furzen und Rülpsen die Erderwärmung begünstigen, fällt mir kein negativer Aspekt ein. Klar, es riecht nicht sonderlich angenehm, aber wenn Tim hier wohnt, muss er damit leben. Schließlich sollte ich seine Samenspuren und zudem die dieses fremden Typen tolerieren. "Weißte was, ich werd wieder zu meiner Mutter machen." "Im Ernst jetzt?" "Ja." Oh mein Gott, Tim, ich falle dir mental um den Hals. Er will endlich ausziehen. Und das nur, weil ich leise im Schlaf pupse. Vier Fäuste für ein Halleluja. Höre der Engel Chor. 29. Mai - Messer und Gabel Eigentlich ist das typische Nahrungsmittel für ein Hopperkind Döner. Ich allerdings konnte mich nie dafür erwärmen. Deswegen sitze ich im Chinarestaurant und fresse Nudeln. Stilecht mit Stäbchen. Bestimmt wirke ich wie eine Pussy. Eine schwarze Gestalt schiebt sich in den Laden. Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Aber man erkennt diese gepiercte Fresse auf Anhieb. Wir leben zwar in Berlin, aber solche krassen Freakshows sieht man auch hier nicht alle Tage. Als sich unsere Blicke treffen, nicke ich Felix zu. Da es eh nichts zu sehen gibt, beobachte ich den Katzenjungen, während er sich Futter ordert. Bei so einem kann man nicht weggucken. Er zieht Blicke magisch an, das geht sicher jedem so. Dabei soll er wie ein scheues Reh sein... Mit Futter im Beutel verlässt er den Laden. Geht an mir vorbei. Okay, wir kennen uns kaum. Mir ist es egal. Ich finde es lediglich strange, dass ich den Typen später auf einer Bank entdecke, wie er sich mit Messer und Gabel über seine Nudeln hermacht. Ja, ohne Mist. Im Schneidersitz hockt er da, wie ein schwarzes Loch in der Landschaft und merkt gar nicht, wie merkwürdig das aussieht. "Hättst dich auch zu mir setzen können", sage ich. Mehr als ein Schulterzucken seinerseits ist aber nicht drin. Ich jedoch setze mich ganz dreist. Glotze seine Piercings an. Sie fesseln mich. Wir schaffen es nicht, ein Gespräch zu beginnen. Also gucke ich ihm nur zu, wie er seine Nudeln verspeist. Er wirkt nicht so, als würde ich ihm auf den Sack gehen. Eher so, als wäre ich nicht da. Und doch macht er den Mund auf, als ich es nicht mehr erwarte. "Ich mach Freitag ne Geburtstagsfeier in der WG, kannst ja kommen mit paar Kumpels." Ich zucke mit den Schultern, bin aber geflasht. Man wird nicht schlau aus diesem Kerl. 30. Mai - Barfuß Tim an die Macht! Macht sauber, macht mich glücklich...aber nicht so, wie ihr denkt. Tim lässt mich aber mit seinem noch heute stattfindenden Auszug meine Glückseligkeit wiederfinden. Und die Tatsache, dass er in der Küche mit der Milch geschweinert hat und wischen muss, befriedigt mich auf eine merkwürdige Weise. Barfuß steht er in der weißen Soße und ich bin der Meinung, dass dies die Rache für die schwule Nummer in meinem Zimmer ist. Aber Tims Füße sind eh hässlich, ein Milchbad tut ihn bestimmt gut. Heute glotze ich mal. Vic ebenfalls. Wir gucken, als mache Tim einen Striptease. Nur nicht so angewidert. "Morgen ist Felix‘ Feier", werfe ich in den Raum. "Kannst auch Moo und Flori Bescheid sagen, den alten Partypeople." Tim schweigt. Er streckt mir seinen Arsch entgegen, um die Milch vom Boden zu wischen. "Bück dich, Fee, Wunsch ist Wunsch!", gröle ich und ernte von Vic einen Knuff in die Seite. Okay, wenn sich jemand für mich bückt, dann nur er. "Du wirst gleich die Milch von meinen nackten Füßen lecken", grummelt Tim und ich glaube, ich bin schneller als der Schall in meinem Zimmer verschwunden. Versuche, dieses Kopfkino abzuschütteln. Es gelingt nicht. Heute fällt das Abendbrot aus. 31. Mai - Eine Entdeckung machen Friday is Highday. Bekifft und angeheitert treffen wir bei Felix ein. Doch der ist nirgends zu sehen. "Er versucht immer, seine Sozialphobie zu überwinden schaffts aber nicht", liefert uns Vic die Erklärung zu seiner Abwesenheit. Bedeutet wohl, der Emo sitzt heulend und allein in seinem Zimmer, während hier draußen der Bär steppt. Was er bräuchte, wäre ein ordentlicher Joint, aber was geht der Kerl mich an. Wir vergnügen uns. Feiern, saufen, labern Scheiße und ich glaube, ich habe selten so viel gelacht. Selbst dieser exzentrische Dino ist echt korrekt drauf, macht Witze über Homosexualität und benimmt sich absichtlich voll dem Klischee nach. Wir lachen, lachen, lachen. Es ist so cool. Diese ganzen Leute, die größtenteils wahrscheinlich schwul sind. Aber es interessiert mich nicht. Mir geht es am Arsch vorbei. Ich bin so glücklich, vielleicht wegen der Drogen, vielleicht auch einfach so, sodass sich in mir ein überwältigendes Gefühl der Freiheit einstellt und ich eine wunderbare Entdeckung mache. Wir sind jung und unabhängig, wir können tun und lassen, was wir wollen. Heute Abend gibt es keine Tabus. Jeder macht mit jedem rum, wahrscheinlich lassen sich sogar Moo und Flori von der dekadenten Stimmung mitreißen. Beim Flaschendrehen sind sie jedenfalls nicht dabei. Alles verschwimmt. Zeigt die Flasche auf mich? Was soll ich machen? Knutschen? Wen? Tim? Ich grinse. Suche nach dem anderen. Finde ihn. Er grinst ebenfalls. Wir sind frei. Wir dürfen alles. Jede Grenze brechen. Wie durch einen Schleier höre ich den Jubel der anderen. Sie feuern uns an. Tim kommt näher. Er riecht wie drei Tage im Schnaps gelegen. So schmeckt er auch. Doch es macht mich geil. Sogar sehr. Will, dass er mich anfasst. Genau da. Shit. Alles prickelt. Wie ein gigantisches Feuerwerk. Ich muss das kompensieren. Klammere mich an Tim. Er ist so warm. Er liegt unter mir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)