Normalität von CharleyQueens (Ein Tribut an Vernon Dursley) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Er seufzte, als er den mit Pflastersteinen bedeckten Weg zwischen Gartentor und Haustür entlang ging. Hier lebten sie nun. Er hatte von ihnen gehört, so wie fast alle Jungen in seinem Jahrgang. Er kannte die Geschichten über die Verwandten, die den Jungen groß gezogen hatten. Und er wusste, wie schrecklich sie es fanden, mit ihm verwandt zu sein. Welch eine Ironie, dass es nun ausgerechnet sie waren, die er aufsuchte. Sie, die stets Normalität in ihrem Leben gesucht hatten. Er drückte auf die Klingel des Reihenhauses. Ein lauter Gong ertönte und aus dem Inneren vernahm er eine Stimme, die "Ich komme gleich" rief. Wenn sie wüssten, wer dort vor ihnen stand, würden sie wahrscheinlich aus der Hintertür heimlich verschwinden. Nicht, dass das irgendetwas ändern würde. Man würde sie so oder so finden. Durch die Milchglastür sah er die Umrisse einer Person, die auf ihn zukam und dann die Tür öffnete. Abscheu, Interesse und irgendwie auch Erleichterung spielte sich in seinem Gesicht ab, als er ihn entdeckte. "Ich wusste, Sie würden kommen", sagte der, der in der Haustür stand, ehe er selbst etwas sagen konnte. "Weißt du, ich hätte nie gedacht, dich jemals wiederzusehen." Dudley Dursley stand auf, als sein Cousin an den Tisch trat. "Aber, wahrscheinlich geht es dir auch so" Harry nickte und setzte sich dann auf den Stuhl, den Dudley ihm anbot. Dieser ließ sich auf dem Platz ihm gegenüber nieder. Mit dem Rücken saß er zur Restaurantwand, sodass er den ganzen Raum im Blick hatte. Immer wieder glitten seine Augen durch den Raum. Eine Kellnerin kam an ihren Tisch und Dudley bestellte ihnen beiden ein Glas Wasser. Einige Zeit verging, in der sie stumm den anderen beobachteten. Ihn begutachteten und nach all der Zeit beurteilten. Dudley hatte Recht gehabt, mit dem was er gesagt hatte. Auch Harry hätte niemals gedacht, dass er seinen Cousin wiedersehen würde. Als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte Dudley etwas getan, was ihn sehr überrascht hatte. Damals hatte er das erste Mal so etwas wie Respekt für den Jungen gespürt. Und eigentlich hatte er gedacht, dass es das letzte Mal gewesen wäre. 22 Jahre lang hatte er nichts von ihm gehört und gesehen. Und er hätte nie gedacht, dass sich dies jemals ändern würde. Und doch saß er nun hier, ihm gegenüber. In einem kleinen Restaurant in der Stadt Glasgow. Dafür war Harry durch ganz England gefahren, er war sogar extra ins Auto gestiegen, obwohl er ganz leicht apparieren können hätte. Eigentlich hatte er es auch nur getan, weil Ginny ihm beschworen hatte, es wäre besser so. Sie hatte ihn dazu gedrängt, auf den Brief seines Cousins zu antworten, dass er Zeit für ihn hätte und sie sich nächsten Samstag in Glasgow treffen könnten. „Du kannst ihm nicht aus dem Weg gehen, Harry!“, waren ihre Worte gewesen. „Bedenke doch, er hat sich bei dir gemeldet und dafür muss es einen Grund geben. Fahr hin, was hast du denn schon zu verlieren?“ Als er Ron und Hermine gefragt hatte, war Ron dagegen gewesen – „Aus welchem Grund solltest du deinen Cousin aufsuchen wollen?“ – und Hermine dafür – „Und aus welchem Grund sollte er dies nicht tun?“. Letzten Endes hatte er dann doch zugesagt. Denn neugierig, was aus seinem Cousin, seinem Onkel und seiner Tante geworden war, nachdem er sie damals vor 22 Jahren verlassen hatte, das war er schon. Auch wenn Harry dies niemals zugeben würde. Und ja, Dudley hatte sich verändert. War dies wirklich noch der dicke, siebzehnjährige Junge, der kleine Kinder tyrannisiert hatte? Dudley hatte abgenommen, war das Erste, was Harry aufgefallen war. Da war ein Hals zwischen Kopf und Körper zu sehen. Und sein Hintern quellte nicht mehr an den Seiten des Stuhls hervor. Und doch zogen sich einige Falten durch sein Gesicht und durch das blonde Haar einige graue Haare. Trotzdem, Harry war beeindruckt und fragte sich, was passiert war, dass Dudley sich so geändert hatte. Und die Antwort auf diese Frage sollte ihm augenblicklich gegeben werden, denn sein Cousin hob seine linke Hand und Harry sah an seinem Ringfinger einen silbernen Ehering. Nie im Leben hätte er gedacht, dass Dudley heiraten würde. „Wie ich sehe, hast du geheiratet“, stellte er nun also mit einem nervösen Lächeln fest. Irgendwie musste dieses Gespräch ja anfangen. Dudley blickte erstaunt zu ihm rüber und nickte dann. „Gratuliere.“ „D-danke!“, brachte dieser hervor. „Du auch.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und Harry bejahte diese leise. Die Kellnerin von eben trat an ihren Tisch und reichte ihnen ihre Getränke. Harry bemerkte Dudleys Blick, der der Kellnerin nachglitt, doch als er sich umdrehte, bemerkte er, dass Dudley gar nicht der Bedienung nachgeguckt hatte, sondern etwas anderem. Die Frage war nur, was. Oder wem. „Und wie lange bist du nun verheiratet?“, fragte Harry nach. „Zehn Jahre“, entgegnete Dudley. „Ich habe Abigail in der Schule kennen gelernt. Ihr Vater leitete den Box-Club, den ich besuchte und so sahen wir uns mehr oder weniger jeden Tag. Und irgendwann kamen wir dann zusammen.“ Er lachte kurz. „Gib zu, du hättest nie gedacht, dass dein Cousin mal heiraten würde.“ Harry errötete und nickte dann mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Es ist schwer vorstellbar“, gab er zu. „Aber es ist auch schwer vorstellbar gewesen, dass du den Kontakt zu mir aufsuchst.“ „Nun, es hatte auch einen bestimmten Grund“, gab Dudley zu und seufzte tief. „Ehrlich gesagt, ich weiß nicht wie ich anfangen soll. Dabei hab ich diese Nachricht schon so oft anderen Menschen gesagt. Und eigentlich hätte es doch gereicht, wenn ich es dir einfach in einem Brief schreibe. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich es dir persönlich sagen muss. Schließlich hat er dich, mehr oder weniger, groß gezogen.“ Der Schwarzhaarige wurde hellhörig. „Ist was vorgefallen?“, fragte er nach. Dudley seufzte und trank einen Schluck Wasser. „Dein Onkel ist letzte Woche verstorben“, sprach er mit emotionsloser Stimme endlich den Grund aus, weswegen er Harry nach all der Zeit wieder aufgesucht hatte. „Oh!“ Das Erste, was Harry sagte. In seinem Kopf brodelte es, während er die Nachricht sickern ließ. Vernon war tot. Der Mann, der ihn großgezogen hatte. Und auch der Mann, der alles versucht hatte, um die Magie aus Harrys Leben fernzuhalten. Harry hatte das Bild des großen, dicken Mannes mit Schnauzbart genau vor sich. Wie er versucht hatte, den Brief aus Hogwarts von ihm fernzuhalten. Wie er Hedwig eingesperrt hatte. All die Momente, in denen Vernon Dursley klar gemacht hatte, dass Magie alles andere als gut und normal war. „Es tut mir Leid, nur…“ Harry verstummte. Wie sollte er sagen, was ihm durch den Kopf ging ,ohne Dudley zu verletzen? „Nur du weiß nicht, ob es dir jetzt wirklich leidtun soll, oder?“, setzte Dudley seinen Satz weiter. Harry blickte erstaunt auf. „I-Ich…“, stotterte er verlegen. „Ich kann dich verstehen. Er war wirklich nie gut zu dir gewesen. Und ich verlange auch gar nicht von dir, dass du jetzt in Tränen ausbrichst oder dergleichen. Ich wollte es dir einfach nur gesagt haben. Ich wollte es dir persönlich gesagt haben. Du kannst jetzt aufstehen und gehen. Du brauchst nicht weiter darüber nachzudenken. Wenn du es nicht willst, dann werde ich dich nie wieder mit irgendetwas belästigen“, erklärte Dudley ruhig. Wieder blickte er kurz nach etwas hinter Harry. Der Zauberer starrte auf sein Glas, in dem die Kohlesäurebläschen langsam nach oben stiegen. Im Restaurant war nicht viel Betrieb. Nur ein weiterer Tisch war mit einem jungen Pärchen besetzt. Und das Lachen von Kindern drang an Harrys Ohr. Doch ansonsten war es ruhig hier. „Weißt du, was ich mich oft gefragt hatte?“, fuhr er nun fort. „Was wäre gewesen, wenn deine Mutter damals nichts über ihre Schwester und die Welt der Zauberei erzählt hätte? Wenn er gedacht hätte, ich wäre so normal … so normal wie du auch?“ Dudley antwortete nicht, sondern blickte auf sein nur noch halb gefülltes Glas. „Das ist wirklich eine interessante Frage“, meinte er nachdenklich. „Es wäre zwar spätestens an deinem elften Geburtstag herausgekommen, aber vielleicht hättest du dann eine normale Kindheit gehabt.“ „Ja, vielleicht.“ Doch die Vergangenheit war geschehen und konnte nicht mehr geändert werden. Es brachte also nichts, in „Was wäre, wenn…“ - Situationen zu schwelgen. „Allerdings“, fuhr Dudley fort. „Vielleicht würdest du dann auch so eine Abneigung gegen alles Außergewöhnliche und Unnormale entwickelt haben so wie ich damals auch?“ Harry blickte überrascht auf. „Darüber habe ich nie nachgedacht!“, gestand er. „Und, du hast Recht mit dem, was du sagst. Vielleicht wäre ich nicht der, der ich heute bin, wenn Vernon Dursley nichts über meine Abstammung gewusst hätte.“ „Weißt du, nachdem wir damals vor 22 Jahren weggebracht wurden, haben Vater und Mutter deinen Namen nicht mehr erwähnt. Wir zogen nach Glasgow und richteten uns ein komplett neues Leben ein. Wir redeten nicht mehr über diese ‚andere Welt‘. Es war, als würde all das gar nicht mehr existieren.“ Dudley nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas. „Ich ging zur Schule und machte meinen Abschluss. Jetzt arbeite ich als Anwalt, bin verheiratet und lebe in einem Einfamilienhaus.“ „Du hast es weit gebracht!“, sprach Harry lobend aus. „Es ist eine Freude zu sehen, dass du dich geändert hast.“ „Vater wollte mich erst nicht zum Box-Club schicken“, erklärte Dudley. „Er hatte gemeint, dass ich auf die schiefe Bahn geraten wäre. Er wollte, dass ich meine Noten verbessere. Ein Jahr lang habe ich gebüffelt, nur damit ich den Box-Club besuchen kann. Und dabei habe ich dann Abigail kennen gelernt. Sie hat die Klasse wiederholt, da sie ein Jahr lang nicht die Schule besuchen konnte. Wir haben uns zum Lernen verabredet und als das Jahr dann vorbei war und ich zum Boxen gehen konnte, verabredeten wir uns zum Training.“ Er schmunzelte und kratzte an seinem Dreitagebart. „Kaum zu glauben, nicht wahr? Möglicherweise hat Vernon ja endlich gemerkt, dass er etwas falsch gemacht hat.“ Harry seufzte. „Trotzdem wäre ich dankbar, wenn ihm das etwas früher eingefallen wäre. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn ich etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen hätte.“ „Nun, du musst ihn verstehen. Er hat Magie nicht gehasst. Er wollte eigentlich einfach nur, dass er normal bleibt. Und auch, dass die Menschen in seiner Nähe normal sind. Es ist wie dieses spießige Vorstadtleben, indem nie etwas Außergewöhnliches passiert. Leider hat er die Rechnung ohne dich gemacht.“ Dudleys Blick glitt durch den Raum. „Nun, wenn er Petunia nicht geheiratet hätte, dann wäre ihm das erspart geblieben!“, machte Harry ihn aufmerksam. „Aber er hat sie geliebt“, verteidigte Dudley seinen Vater. „Mutter hatte damals ziemliche Angst davor gehabt, was er wohl zu ihrer Schwester sagen würde. Und wie befürchtet, es war eine Hiobsbotschaft für ihn gewesen. Dass ausgerechnet die Frau, die er liebt, eine unnormale Vergangenheit hat, war ein ziemlicher Schock für ihn gewesen. Und doch, er hat sich nicht von ihr getrennt. Er hat Petunia geliebt und er war bereit gewesen, auch diesen kleinen Mangel zu akzeptieren. Selbst, als du kamst, war er bereit dies alles zu tun, für die Frau, die er liebte.“ „Was macht eigentlich Petunia?“, fragte Harry nach. „Sie lebt im Altersheim. Vergangenes Jahr erkrankte sie an Demenz. Sie hat alles vergessen, nur Vater nicht. Jedes Mal, wenn er sie besucht hat, strahlte sie vor Freude. Er war das ihr einzig bekannte Gesicht!“ Trauer schwang in Dudleys Stimme und Harry bemerkte, dass er doch etwas betrübt darüber war, dass seine Mutter ihren einzigen Sohn vergessen hatte. „Ich könnte sie heilen“, bot er ihm unüberlegt an. „Ein Zauber würde genügen, und…“ „Ich weiß, dass du das könntest!“, erklärte Dudley. „Jedoch werde ich dankend ablehnen. Nicht, weil ich bisher nur Schlechtes über die Zauberei erlebt habe. Sondern, weil Vernon mich darum gebeten hat. Er wollte, dass ich dich aufsuche und dir mitteile, dass er das, was er getan hat, irgendwie doch bereut. Wenn du seine Entschuldigung nicht annehmen willst, dann musst du es nicht tun. Er wollte bloß, dass du es weißt. Normalität war das Wichtigste in seinem Leben. Er wollte seine Familie beschützen. Für uns war diese magische Welt immer ein fremder, düsterer Ort. Nenne es kleinlich, konservativ und dumm, doch wir mögen die Normalität. Und auch, wenn diese andere Welt existiert, so sind wir doch ganz froh darüber, nichts mit ihr tun haben zu wollen. Mag sein, dass wir Krankheiten umgehen könnten, doch ist es das wirklich wert? Auch ihr Zauberer könnt nicht alles reparieren. Auch ihr könnt Tote nicht zurückbringen. Selbst ihr seid in euren Fähigkeiten begrenzt. Ich weiß, du könntest sie heilen. Eine einzige Fuchtelei reicht, und sie wäre wieder ganz die Alte. Aber das gehört zum Leben dazu. Jedenfalls, wenn es normal bleiben soll.“ Er schmunzelte und winkte jemandem an den Tisch heran. Ein kleines Mädchen im Alter von zarten elf Jahren kam herbeigelaufen. „Darf ich dir meine Tochter Ricarda vorstellen?“, fragte Dudley den erstaunten Harry. „Vor zwei Wochen kam der Brief aus Hogwarts an!“ Fin… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)