Zeit zu gehen von Sternenschwester ((Juniprojekt für hetalia challenge)) ================================================================================ Kapitel 1: Zeit zu gehen ------------------------ Um die Jahrhundertwende 1900 Roderich sah von seiner Lektüre auf, als Gilbert wieder zu husten begann. Nicht überrascht über einen solchen Hustenanfall, drehte er sich zu seinem Freund und wurde sich erst wieder bewusst, wie rasant dieser unter seiner Krankheit gealtert war. „Soll ich deinen Bruder holen?“, fragte er höflich, doch der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Verdammt noch mal, Amadé. Tu nicht so, als wäre jeder Huster mein Todesurteil.“, keuchte der Kranke. „Nun ja, bei deinem Charme würde es mich nicht wundern, wenn der Gevatter absichtlich einen großen Bogen um dich macht.“ Der Ältere wollte sich eben wieder seinem Buch zuwenden, fest damit rechnend, dass der andere wieder versuchen würde zu schlafen, als plötzlich eine dürre Hand seinen Arm streife. Fragend drehte er denn Kopf Richtung Gilbert und sah ihn über die dicken Gläser seiner Brille hinweg an. „Schieb dir deinen morbiden Humor sonst wo hin, Edelstein.“ „Beilschmidt, wenn das einzige Ziel, deine alten Knochen aufzurichten, darin bestand, mich zu beleidigen, würde ich dir raten, dich wieder hinzulegen.“ Er schaffte es kaum, einen Hauch von Amüsement in seiner Stimme zu unterdrücken. Gilbert verdrehte entnervt die Augen und versuchte sich mühsam aufzurichten. Im nächsten Augenblick spürte er den vorwurfsvollen Blick des anderen auf sich ruhen. „Was??“, keifte er noch, bevor er wieder zu krächzen begann und es seinen gealterten Körper durchschüttelte. „Bitte schone dich, Gilbert. Ich habe keine Lust, deinen Bruder jeden Augenblick zu holen, weil sich die großartige Person eingebildet hat, unbedingt die Grenzen seines jetzigen Zustandes auszuprobieren.“ „Ach, halt die Klappe, Schnösel.“ Gereizt richtete sich Gilbert sein Nachthemd, welches er auch seit kurzem liebevoll sein Totenhemd nannte und blickte säuerlich zu seinem Gast. Doch dieser erwiderte diese nonverbale Geste mit einem blasierten Blick. „Den Teufel werde ich tun, Pifke!“ Für einen Moment sahen sie sich einfach nur an und dann schallte plötzlich Gelächter, in Gilberts Fall eher Gekrächze, durch den Raum. Während der Kranke sich schwerfällig die wenigen Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte, wurde ihm bewusst, dass es eben das war, was er wollte: Dass sich der andere mit ihm beschäftigte, wenigstens in den wenigen Stunden, die ihm noch blieben, bevor seine Lunge ihm endgültig den Gnadenstoß verpasste. Sie kannten sich zwar schon ein ganzes Leben lang, doch nun hatte er das Gefühl, nicht genug Zeit mit dem Mann verbracht zu haben, den er wie einen Bruder liebte und von dem er wusste, dass auch er ihn liebte, auf seine verkorkste Weise eben. „Wenn du mir wirklich eine Freude machen willst, dann spiel was…“ Roderich hob erstaunt eine Augenbraue, als er die geflüsterten Worte vernommen hatte. „Amadé, ich weiß ganz genau, dass du deine Geige mitgenommen hast!“, hakte der Kranke nun mit etwas festerer Stimme nach und Roderich musste schmunzeln. „Bin ich denn so leicht zu durchschauen?“ Gilbert lachte auf, selbst wenn es eher nach einem trockenen Husten klang. Wenn Roderich gewusst hätte, dass sein früherer Rivale am Ende seiner Tage nicht mal mehr im Stande war, sein krähendes Lachen zu äußern, so hätte er die vergangenen Augenblicke, in denen er es zu hören bekommen hatte, mehr genossen. Nicht dass er es als schön betrachtet hätte, aber es gehörte zu Gilbert, wie seine weißen Haare, sein unverwechselbarer Duft oder die lästige Angewohnheit, sein Zuckergebäck wenn möglich im Kaffee zu ertränken, anstatt es gesittet dazu zu essen. „Natürlich entgeht meiner großartigen Person rein gar nichts. Und unterstehe dich, mir diesen zweifelnden Blick zuzuwerfen!“ Roderich legte sein Buch auf das Nachtkästchen und griff nach dem Geigenkasten unter seinem Stuhl. „Gut, ich habe nicht geschlafen, als du reingekommen bist.“ Ungewollt betreten sah Gilbert bei diesem Geständnis für einen Moment zur Seite, doch dann legte sich ein sanftes Grinsen auf seine Lippen. „Und entschuldige mich, dass ich dir diesmal nicht an der Querflöte folgen kann.“ Roderich verdrehte bei dieser Aussage seine violetten Augen. Schmerzlich wurde es Gilbert bewusst, wie sich die Iris des anderen in den letzten Jahren aufgehellt hatte. Es war nicht mehr das dunkle Violett aus seiner Jugend, sondern ein verwässertes Lila, welches in den Falten um die Augen, hinter einer quadratischen Brille mit dicken Gläsern, eingebettet war. Ebenso wie das einst mittelbraune Haar fast gänzlich grau-weiß geworden war. Das Leben hatte sie beide gezeichnet, jeden auf seine Weise. „So schlecht kann es dir nicht gehen, Gilbert, wenn das deine einzigen Bedenken sind.“ Wieder versuchte Gilbert daraufhin zu lachen, doch wieder endete dieses in einen Hustenanfall. „Bitte, Gilbert, leg dich wieder hin.“ Hätte es der Angesprochene nicht besser gewusst, hätte er Schmerz und Bedauern aus der Stimme herausgehört, doch er wollte es nicht eingestehen, sich in seinem vorbehaltenen Urteil eines Menschen geirrt zu haben. „Liegen kann ich später noch lange genug und jetzt fang endlich an zu spielen.“ Er konnte erkennen, wie der Österreicher zu einer barschen Antwort ansetzten wollte, dann aber die Stirn runzelte, als würde er sich der Situation bewusst werden und anschließend ergeben seufzte. „Gut! Was darf ich euer Eminenz denn vorspielen?“ Wäre da nicht der spöttische Unterton gewesen, so wäre Gilbert in aller Maße enttäuscht gewesen. Enttäuscht, dass selbst sein ewiger Rivale, in Anstand über seine Lage, seine scharfe Zunge ihm gegenüber verloren hätte. Enttäuscht, dass sein ehemaliges Opfer sich ihm ein weiteres Mal ohne Widerstand zu leisten untergeordnet hätte. Enttäuscht, dass ihn sein jahrelanger Freund nicht von seinem jetzigen Zustand ablenken konnte. Enttäuscht, dass der Mensch, der ihm in den letzten Jahrzehnten so nahe gewesen war wie ein leiblicher Bruder, ihn im Mitleid hätte gehen lassen. „Weiß nicht, etwas, was du mit meiner großartigen Person verbindest, natürlich.“ Ein spöttischer Zug schlich sich auf Roderichs schmale Lippen und hochmütig legte er den Kopf zurück, um dann sein spitzes Kinn auf das Kopfstück des Instrumentes zu legen. „Gilbert, wir kennen uns ein ganzes Leben lang. Wenn ich das tun würde, werde ich noch wegen Erschöpfung mit dem Bogen in der Hand vor dir sterben.“ Abermals versuchte der Angesprochene aufzulachen und diesmal nahmen seine Gesichtszüge wieder dieses schelmische Etwas an, welches Roderich schon damals bei ihren ersten Begegnungen in der Schule aufgefallen war, was er aber erst mit der Zeit zu schätzen, ja regelrecht zu lieben gelernt hatte. „Du hast meine Absicht erkannt, Edelstein. Ich habe dir doch immer schon prophezeit, dass ich es sein werde, der dich hinter deinem Sarg begleiten wird.“ „Wenn du so weiter machst, wird das eher ein Doppelbegräbnis.“ Gilbert erwiderte nichts auf diese trockene Antwort und sah versonnen auf die Falten, die der Bezug seiner Decke schlug. Es herrschte für eine kurze Weile ein angenehmes Schweigen. Eines, in dem jeder seinen Gedanken nachhängen konnte, ohne dass es dem anderen das Bedürfnis vermittelte, unbedingt Konversation zu betreiben. Sie hatten eben gelernt, diese Augenblicke ohne Worte zu schätzen und zu lieben. Ebenso war sich Roderich bewusst, dass es nicht mehr solche Augenblicke geben würde und das verschaffte ihm eine gewisse Bitterkeit, die schwer auf seine Seele lastete. „Weißt du, ich…“, fing dann der Preuße an, wobei er ein wenig verlegen am Bettüberzug zu nesteln begann. „Irgendwie fühle ich mich zum ersten Mal richtig geehrt.“ Roderich hob aus seinen Gedanken geschreckt, zugleich aber auch ein wenig verwirrt, den Kopf und sah durch die dicken Gläser seiner Brille zu seinem Freund. „Wie bitte? Ich fürchte, mein Lieber, ich habe den Faden verloren.“ Gilbert lehnte seinen durch die Krankheit gezeichneten Körper an das Kopfende des Himmelbettes an und bedachte seinen Gast mit einem seligen Lächeln. „Dass du anscheinend so viel mit mir verbindest, dass es für ein einfaches Musikstück nicht reicht. Das ist eigentlich das größte Geschenk, welches du mir hättest machen können.“ Für einen kurzen Augenblick schlich sich ein stolzes Lächeln auf die feinen Lippen des Österreichers. Gilbert liebte dieses Lächeln, es galt nur ihm und allein diese Erkenntnis genügte ihm, um mit seinem Schicksal wieder ein Stück versöhnt zu sein. Kurze Zeit später runzelte Roderich leicht die Stirn, sodass sich noch mehr Falten auf seinen Gesicht bildeten und gab sich völlig dem Spiel mit der Musik hin, wobei sich Gilbert immer wieder fragte, warum sein Freund in solchen Momenten so einen ersten Gesichtsausdruck haben musste. Es machte ihn doch nur unnötig älter und versteckte zudem die wahren Gefühle, welche die alte österreichische Seele durchfuhren. Doch seine Grübelei dauerte nicht lange an, und da verfiel auch er den wohlklingenden Tönen, die ihn, wenigstens solange sie im Raum schwebten, von seinem kommenden Schicksal ablenkten. Selig eine Ruhe zu finden, die ihm im Laufe seines Lebens fremd geworden war, schloss der Deutsche die Augen, während Roderich von einem Thema ins nächste wechselte und Gilbert sich wieder im Ballsaal seines Gönners und Mentors sah, wie er eine temperamentvolle Ungarin zu den Klängen des Orchesters inmitten Tanzender umherwirbelte. Er hatte schon damals gewusst, dass dieses reizende Geschöpf seine Frau für den Bund des Lebens wäre. Hätten seine Verhältnisse es schon zu diesem Zeitpunkt zugelassen, hätte er ihr schon einst einen Antrag gemacht. Doch das Schicksal entschied sich gegen ihn. Schnell hatte er herausgefunden, dass noch ein zweiter junger Kavalier um die Gunst der Dame buhlte. Nur zu gut konnte er sich an den Hass erinnern, welcher ihn durchströmt hatte, als erfuhr, wer sein Rivale war. Wie erniedrigt hatte er sich gefühlt, als er erfahren musste, dass ausgerechnet Roderich Edelstein, sein ehemaliges Opfer aus seiner Schulzeit, bessere Chancen besaß, die Angebetete zum Altar zu führen als er. Zwar war diese Wanze, die er über Jahre im Internat gequält und drangsaliert hatte, nur ein Angehöriger aus dem gehobenen Bürgertum und besaß somit eine bei weitem niedrigere Abstammung als er. Doch durch das erfolgreiche, wie auch sehr ertragreiche Unternehmen des Vaters war dessen Lebenslage viel besser gesichert als die seinige. Gilbert stammte zwar aus dem niederen Adel, hatte aber einst finanziell gesehen eine höchst unsichere Zukunft vor sich gehabt. Am Ende hatte sie diesen braunhaarigen Schnösel geheiratet und er widmete schweren Herzens schlussendlich sein Leben dann doch dem Militär. Ein paar Jahre später nahm er dann an ihrer Beerdigung teil. Sie hatte die Geburt ihres ersten Kindes nicht überlebt, wie auch das Kind nur kurze Zeit später der Mutter ins Grab gefolgt war. Hatte er einst gedacht, dass sein Herz mit ihrem Tod in tausend Stücke zerschlagen worden war, so war er sich erst allmählich des Schmerzes bewusst geworden, den der junge Ehemann mit sich trug. Erst als sie beide nebeneinander, für das erste Mal in ihrem Leben völlig friedlich neben der Grube standen und stumm den Worten des Pfarrers lauschten, der beide Seelen Gott empfahl, hatte Gilbert begriffen, dass ihn nicht viel von dem anderen Mann trennte. Durch die Qual, die ihnen das Fehlen dieser Frau im Leben bereitete, hatten sie zueinander gefunden und dann hatte eines zum andern geführt. Sie waren, ohne dass sie es verstanden hätten, sprichwörtlich zu Pech und Schwefel geworden. Wo der eine war, war auch der andere. Wenn der eine litt, so litt auch der andere. Wenn der eine das Leben genoss, so war auch der andere mit dem Leben wieder versöhnt. Sie hatten so viel miteinander geteilt, dass ihnen nie in den Sinn gekommen war, dass der Tod doch noch einmal einen Tribut einfordern würde. Gilbert schallt sich einen Narren, nie in Betracht gezogen zu haben, dass eines Tages einer ihrer Körper einer Krankheit erliegen würde. Somit würden sich bald ihre Wege trennen und das schmerzte Gilbert nicht nur, es bereitete ihm im Geheimen Höllenqualen, wenn er daran dachte, nun einen ihm unbekannten Pfad zu beschreiten, wo ihm sein österreichischer Schatten nicht folgen konnte, wollte er nicht dessen frühzeitiges Ende. Überrascht öffnete er seine roten Augen, als ihm bewusst wurde, dass die Musik verstummt war. Was er sah, ließ es in seiner Brust enger werden und erweckte ungute Gefühle in ihm. „Warum weinst du jetzt, verdammt nochmal! Ich bin doch derjenige, dem der Tod auf der Brust hockt und ich bin derjenige, der Trost braucht, um selig zu sterben.“, fuhr er dann den andern ungehalten an, während diesem Träne für Träne die Wange herunterrollte. Mit verquollenen Augen ließ Roderich das Instrument sinken und sah ihn verzweifelt an. „Aber ich bin derjenige, den du alleine zurücklässt, Gil.“, flüsterte er dann kaum hörbar und von einem leisen Schluchzen beinahe erstickt. „Ich werde wieder alleine sein.“ „Komm her.“ Ungewöhnlich sanftmütig winkte er den Österreicher an sein Bett, auf dessen Kante sich dieser auch setzte, nachdem er seine Geige vorsichtig auf dem Sessel abgelegt hatte. Kraftlos griff Gilbert nach der Hand des anderen und strich liebevoll über die dünn gewordene Haut. „Wirst du um mich trauern, wenn ich mal gegangen bin?“ „Blöde Frage, ich …“ „Dann ist es ja gut.“, unterbrach ihn Gilbert, bevor der Österreicher seinen Satz überhaupt beenden konnte. Er wollte ihm noch etwas Wichtiges sagen und nicht Antworten hören, die er schon längst kannte. Er wollte auch die Schmerzen des anderen lindern und ihn nicht in seinen letzten Tagen wegen ihm leiden sehen. „Und Amadé…“ Er spürte die violetten Augen auf sich ruhen und das gab seiner Seele einen seligen Frieden. „Versprich mir, mir nicht zu schnell zu folgen… ich möchte ja schließlich, dass du Lisi und mir was zu erzählen hast, wenn wir uns dann wieder sehen. Aber bis dahin, bleib bitte bei mir, solange es nur geht…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)