Blutgift von MariLuna ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Disclaimer: Batman & Co gehören DC Comics, Autor Bill Finger und dem Zeichner Bob Kane 1. Kapitel Eigentlich betritt Alfred die Bathöhle nur, weil er auf der Suche nach seiner Lesebrille ist und dies der letzte Ort, wo er noch nicht nachgesehen hat. Wahrscheinlich hat er sie irgendwo in der kleinen Laborecke liegengelassen. Immerhin – Batmans letzter Fall war, wie er sich einzugestehen gestattet , sehr aufregend gewesen. Schließlich hat man es nicht jede Nacht mit Graf Dracula persönlich zu tun, da konnte man in der Hitze des Gefechts schon mal so etwas Profanes wie eine Lesebrille verlegen. Alfred ignoriert den leichten Schmerz in seiner Schulter, ein Andenken an die beeindruckende Stärke des transsilvanischen Blutsaugers, und eilt zu besagter Laborecke hinüber. Tatsächlich liegt der vermisste Gegenstand direkt neben dem Mikroskop. Zufrieden, sich jetzt wieder seiner Bettlektüre widmen zu können, geht er schon Richtung Fahrstuhl, als ihn ein leises Geräusch innehalten lässt. Er erstarrt und dreht lauschend den Kopf zur Seite. Zuerst hört er nur die übliche Geräuschkulisse, bestehend aus dem entfernten Rauschen des Wasserfalls, dem Summen der Computeranlage und das leise Quieken der Fledermäuse, doch dann wiederholt es sich: ein merkwürdiges Rascheln, das Alfred nicht einordnen kann. Und da er nicht einmal eine Richtung herausfiltern kann, aus der dieses Geräusch kommt, geht er hinüber zu den Computern - vielleicht können ihm die Bilder der überall in der Bathöhle angebrachten Überwachungskameras weiterhelfen. Ein Blick genügt und er erkennt das Problem. irritiert runzelt er die Stirn und starrt auf das Bild einer Zelle, die eigentlich gar nicht mehr belegt sein sollte. Nun, scheint, als werde nicht nur ich vergesslich. Alfred seufzt einmal leise auf und geht wieder zurück zum Lift. Der Zellentrakt befindet sich zwar nur zwei Level über ihm, aber er ist müde und spürt seine Schulter stärker als je zuvor. Oben angekommen, betätigt er als erstes den Lichtschalter - schließlich ist er keine Fledermaus. Warmes, gelbes Licht aus unzähligen LED-Lämpchen (Bruce hat wirklich ein Talent dafür, Dinge wie diese Weihnachtslichterkette intelligent zweck zu entfremden) erhellt das Areal und gibt den Blick frei auf natürliche Nischen in der Felswand und Gitterkäfige. Sie sind groß und stabil, dafür gemacht, einen Feind zumindest so lange hier einzusperren, bis dieser den örtlichen Behörden übergeben werden kann. Sie werden selten benutzt, schließlich ist die Bathöhle ein geheimer Ort, in den man nicht jeden x-beliebigen mitbringt. Aber manchmal bleibt Batman eben keine andere Wahl. So wie bei seinem letzten Fall. Alfred denkt nur mit einem gewissen Unwohlsein daran zurück. Den Joker hier einzusperren war ein kalkulierbares Risiko, darin stimmt er mit Batman überein - schließlich benötigten sie jemanden, der von Dracula gebissen worden war, um ein Heilmittel dagegen zu entwickeln. Doch er - genauso wie Bruce - hatte den emotionalen Stress unterschätzt, den der Umgang mit einem Vampir-Joker bedeuten konnte. Hinter Gittern konnte er ihnen zwar körperlich nicht gefährlich werden, aber sein Anblick und sein Benehmen dagegen waren mehr als verstörend. Es war offensichtlich, dass er seine neuen Kräfte einerseits sehr genoss, andererseits sich aber dessen bewusst war, dass er von Graf Dracula kontrolliert wurde und dagegen ankämpfte. Anders als die anderen Vampiropfer, ließ er sich nicht nur von seinen Instinkten leiten - alleine das fand Alfred schon bemerkenswert. Denn wer hätte das gedacht: ausgerechnet der Joker, dieser Mann, für den der Begriff „Wahnsinn" völlig neu definiert werden müsste, blieb menschlicher als alle anderen. Wenn man all die üblichen Drohungen und Beleidigungen mal außer Acht ließ, hatten die kurzen, wenigen Wortwechsel mit ihm beinahe den Charakter einer ganz normalen Konversation. Jedenfalls so lange, bis sein Hunger nach Blut übermächtig wurde. Zeitweise, wenn der Hunger so groß wurde, dass seine Selbstbeherrschung zerbröckelte, wurde er zu einem schreienden, winselnden Etwas, das sich verzweifelt bemühte, sich auf vielfache Art und Weise durch die Gitterstäbe zu quetschen. Ein völlig unmögliches Unterfangen, aber wie jedes gefangene Tier versuchte er es trotzdem, ungeachtet der Schmerzen, die er sich dabei selber zufügte. Es war ein erbärmlicher und erschreckender Anblick. Nun, zum Glück ist das jetzt alles vorbei. Das Mittel hat gewirkt und der Joker ist wieder ein Mensch … soweit man das von ihm behaupten kann. Aber warum ist er immer noch hier? Ich dachte, Bruce hätte ihn zurück nach Arkham gebracht. Und wieso ... Alfred runzelt wieder die Stirn und starrt konsterniert auf die offenstehende Zellentür. Okay, das ist mehr als seltsam. Noch wesentlich seltsamer ist allerdings, dass der Joker diese Gelegenheit zur Flucht offensichtlich nicht genutzt hat. Wenn das ein Trick ist, dann kein sehr konstruktiver. Trotzdem ist Alfred auf der Hut, als er langsam auf die Zelle zugeht. Seine allererste Handlung besteht darin, die Tür zu schließen und zu verriegeln, wobei er keine Sekunde den Blick von dem Gefangenen abwendet. Doch seine Vorsicht ist überflüssig. Der Joker zeigt keine Reaktion auf Alfreds Anwesenheit. Er liegt auf dem harten Felsboden, auf der Seite zusammengerollt und der Tür den Rücken zugewandt. Alfred kann sein Gesicht nicht sehen, aber es sieht aus, als würde der Mann schlafen. SEHR tief schlafen. Alfred starrt ihn durch die Gitter hinweg konzentriert an, achtet auf ein Lebenszeichen, und gerade, als er sich entschieden hat, das Wagnis einzugehen und die Zelle zu betreten, um nach dem Puls zu fühlen, zieht der Joker seine Beine noch etwas enger an seinen Körper. Stoff raschelt und Alfred begreift, dass dies das Geräusch ist, welches ihn hierhergeführt hat. Zu seiner eigenen Überraschung ist Alfred wirklich, wirklich erleichtert, dass es dem Joker gut zu gehen scheint. Nicht, dass er ihm viel Sympathie entgegenbringt, aber er ist eine Konstante, und Alfred ist in einem Alter, wo man so etwas zu schätzen beginnt. Und auch wenn Bruce es niemals zugeben würde - er braucht den Joker, und das ist Alfred nicht verborgen geblieben. Die Tage, in denen Bruce dachte, der Joker sei tot, waren schlimm, und so lange es in Alfreds Macht liegt, wird er verhindern, dass sein junger Arbeitgeber je wieder so leiden muss. Und deshalb, beschließt der Brite, wird er dem Clown Prince of Crime eine Decke und etwas zu essen bringen, bevor er sich dann endlich selbst zur Nachtruhe begeben kann. Das ist sogar möglich ohne die Tür wieder öffnen zu müssen. *** Kapitel 2: ----------- 2. Kapitel Der Geruch nach Spiegeleiern mit Speck durchzieht die gesamte untere Etage des alten Gemäuers, aber als Bruce Wayne die Küche betritt, steht nichts auf der Anrichte, und auch die Pfannen sind alle leer. Benutzt, aber leer. Wo ist mein Frühstück? Wo ist Alfred? Mürrisch geht der Millionär zur Cappuccino Maschine und macht sich eine Tasse seines üblichen sieben-Uhr-morgens-Muntermachers. Er ist ein Morgenmuffel, immer schon gewesen, und sein Leben als Batman hat die Sache nur noch verschlimmert. Auch, wenn er letzte Nacht gar nicht in Cape und Maske geschlüpft ist, sondern einen schönen Abend - und eine noch viel schönere Nacht - mit der bezaubernden Vicky Vale verbracht hat. Normalerweise fühlt er sich nach so etwas frischer und ausgeruhter als sonst - also eher die Light-Version eines Morgenmuffels - aber diesmal ... nun, um ehrlich zu sein, war das die unbefriedigendste Nacht seit langem. Klar, der Sex war nett und erfüllte alle seine Ansprüche, aber irgend etwas fehlte. Er hat einfach zu viel Stress und kann sich daher nicht richtig fallenlassen. Aber er will nicht aufgeben. Schon morgen Abend trifft er sich erneut mit Vicky und diesmal wird es besser, bestimmt. „Guten Morgen, Sir.” Gutgelaunt betritt Alfred die Küche. Bruce murmelt abwesend einen Gruß zurück und starrt dabei irritiert auf das Tablett in Alfreds Händen, auf dem sich ein Pappteller mit einem trockenen, unangerührten Sandwich befindet. Bruce' detektivischer Spürsinn verrät ihm, dass sein Butler dieses Sandwich gerade von irgend woher (zurück?) geholt hat. „Wo kommst du her, Alfred?" Und wo, zum Teufel, sind meine Spiegeleier hin? „In der Bathöhle natürlich, Sir", erwidert Alfred seelenruhig, während er Pappteller und altes Sandwich in den Müllschlucker wirft und das Tablett mit einem feuchten Lappen abwischt. „Ich habe unserem Gast etwas zu essen gebracht. Auch, wenn ich befürchte, dass er es genauso wenig anrühren wird wie die letzte Mahlzeit. Er schläft immer noch." „Gast?" wiederholt Bruce und blinzelt verwirrt. „Welchen Gast?" „Natürlich den Joker, Sir." Schockiert starrt der junge Millionär ihn an. „Was?" bringt er schließlich ungläubig hervor. Alfred mustert ihn mit hochgezogener linker Augenbraue und wendet sich dann dem Herd zu. „Spiegeleier mit Speck wie immer, Master Bruce?" Bruce holt einmal tief Luft. „Der Joker ... ist unten in der Bathöhle?" Alfred nickt schweigend. „Und er . . . ist immer noch in seiner Zelle?" Er macht einen so schuldbewussten und verstörten Eindruck, dass Alfred ein Schmunzeln unterdrücken muss. Aber so leicht will er den jungen Mann nicht davonkommen lassen. „Selbstverständlich", erklärt er daher mit einem betont vorwurfsvollen Unterton. „Als ich um Mitternacht noch einmal nach unten ging und meine Brille gesucht habe, fand ich seine Zelle offen und ihn selbst schlafend auf dem Fußboden. Natürlich habe ich die Tür sofort verschlossen. Wir wollen ja nicht, dass der Joker frei herumläuft, oder?" „Nein", stimmt ihm Bruce gehorsam zu. Sekundenlang steht er einfach nur da und starrt abwesend in die Luft, dann, mit einem Ruck, kehrt das Leben in ihn zurück. Er wirbelt auf dem Absatz herum und rennt aus der Küche. Alfred seufzt einmal schwer, betrachtet etwas wehmütig die gerade in die Pfanne geschlagenen Eier, schaltet dann aber den Herd aus und folgt ihm. Er kennt das Temperament seines Arbeitgebers, und daher gilt seine Sorge nicht dem jungen Millionär, sondern dem Joker. *** Als Bruce in die Zelle stürmt, interessiert es ihn nicht im Geringsten, ob der Joker noch schläft oder sonstwie beschäftigt sein könnte und noch viel weniger, ob und wie sehr er diesen erschrecken könnte. Alles, was für den Millionär zählt, ist diese heiße Wut, die in seiner Brust wühlt und ein Ventil sucht. Eben noch tief und fest schlafend, irgendwo verloren in der Dunkelheit eines Traumes, fühlt sich der Joker plötzlich am Kragen gepackt und hochgezerrt. Sein Körper reagiert sofort, schüttet Adrenalin aus und versetzt ihn in große Alarmbereitschaft, aber die Wirkung ist nur temporär, reicht gerade mal, um ihn aufzuwecken. Irgend etwas stimmt nicht mit ihm, normalerweise hätte sich sein Fluchtinstinkt aktiviert und er wäre schon dreißig Meter weit gelaufen, bis sich sein Verstand eingeschaltet hätte. Aber diesmal reicht seine Energie gerade mal, um wach zu werden. Und er benötigt noch wesentlich länger, um in den farbigen Flecken in seinem Sichtfeld ein Gesicht zu erkennen. Der dazugehörige Name will ihm schon mal gar nicht einfallen. Doch er erkennt die Stimme sofort, auch wenn die ersten Worte nur gedämpft bei ihm ankommen. Das mühsame, heftige Klopfen seines eigenen Herzen dröhnt dafür allzu sehr in seinen Ohren und übertönt alles. „Warum?" schreit Bruce Wayne alias Batman ihn an. „Warum bist du immer noch hier? Warum bist du nicht abgehauen? Habe ich dir ganz umsonst die Tür aufgelassen? Idiot! Jetzt bleibt mir nichts anderes mehr übrig, jetzt muss ich dich nach Arkham bringen!" Doch der Joker blinzelt ihn nur aus leeren Augen an. Dann jedoch, nach ungefähr einem Herzschlag, kommt endlich wieder Leben in diese Augen. Doch es ist nicht die Reaktion, auf die Bruce gehofft hat. Da ist kein Ärger, kein Protest, kein ... Verstehen. Irritiert lockert er seinen Griff und beobachtet, wie sich sein Gefangener langsam in eine kniende Position aufrappelt, um sich dann mit dem verständnislosen Blick eines Mannes umzusehen, der an einem Ort eingeschlafen und an einem völlig anderen wieder aufgewacht ist. Nachdenklich runzelt Bruce die Stirn. Er weiß, dass das Heilmittel zu einem Gedächtnisverlust geführt hat - keines der Opfer kann sich daran erinnern, gebissen und danach ein Vampir gewesen zu sein. Ob das hier vielleicht ein weiteres Symptom ist? Er nimmt sich vor, zu überprüfen, ob in den letzten Stunden die schon bekannten Patienten mit Amnesie in den Gothamer Krankenhäusern erneut vorstellig wurden. Nicht, dass das Mittel das Gedächtnis permanent in Mitleidenschaft gezogen hat. Seine Wut verraucht unter diesem neuen Aspekt beinahe sofort. Der Joker inzwischen hat den vollbeladenen Teller entdeckt, den Alfred vor wenigen Minuten zwischen den Gitterstäben hindurchgeschoben hat und stürzt sich darauf wie ein halbverhungertes Tier. Beim Anblick, wie er mit seinen schmutzverkrusteten Fingern die glibberigen Spiegeleier in sich hineinschaufelt, verzieht Bruce angewidert das Gesicht. Es erinnert ihn unwillkürlich an diese Szene in der Blutbank, wo der Joker wie ein Tier mit der Zunge das Blut vom Fußboden aufgeleckt hatte. Jetzt benutzt er zwar wenigstens seine Finger, aber es ist dennoch unappetitlich. Und er riecht ziemlich streng. Nach getrocknetem Blut, kaltem Schweiß und nassem Hund. Bruce rümpft die Nase und verlässt die Zelle ohne ein weiteres Wort. Diesmal geht er jedoch sicher, dass er die Tür mehrfach verschließt. Zu seiner großen Überraschung wartet zehn Meter weiter, am Lift, Alfred auf ihn. Innerlich zögert Bruce, unangenehm berührt - hat Alfred ihn etwa beobachtet? - nach außen hin lässt er sich jedoch nichts anmerken, geht ruhigen, gemessenen Schrittes weiter auf ihn zu. Der ältere Mann, der ihn nach dem Tod seiner Eltern wie einen eigenen Sohn großgezogen hat - obwohl er damals nicht viel älter war als Bruce jetzt - sieht ihm schweigend entgegen und wie so oft ist seiner Miene nicht anzusehen, was er gerade denkt. Nur für einen winzigkleinen Moment, als sein Blick kurz hinüber zu dem Joker hinter ihm huscht, da flackert so etwas wie Besorgnis über sein Gesicht. Bruce hätte fast geschmunzelt. Der gute Alfred. Immer macht er sich Sorgen um ihn, selbst wenn die Gefahr so eindeutig hinter Gittern sitzt wie jetzt. Keiner von ihnen sagt ein Wort, während sie zusammen hinauf ins Mansion fahren. Erst als sie wieder in der Eingangshalle stehen, bricht Alfred das Schweigen. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr Date mit Miss Vale nicht so verlief, wie Sie es sich vorgestellt haben?” „Natürlich", knurrt Bruce abwehrend zurück. „Wir hatten eine sehr schöne Nacht zusammen." „Aber…?"  insistiert Alfred. Bruce wirft ihm einen giftigen Blick zu. „Nichts aber, Alfred. Meine Güte, wieso bist du so penetrant? Seit wann mischst du dich in mein Liebesleben ein?" „Nun", kommt die gelassene Antwort, „normalerweise sind Sie nach einem gelungenen Rendezvous auch nicht gereizt wie ein Bär, den man in seinem Winterschlaf gestört hat. Da liegt die Vermutung nahe, dass etwas nicht nach Ihren Wünschen gelaufen ist." „Wie sollte ich nicht gereizt sein, wenn du einfach hinunter zum Joker gehst? Du weißt, er ist gefährlich." „Master Bruce ...", fragt Alfred ihn streng, „wer hat bei Ihnen, als Sie ein kleiner Junge waren, das Interesse für asiatische Kampfkünste geweckt? Wen haben Sie damals gefragt, ob er Ihnen Judogriffe beibringen könne?" „Dich", gibt Bruce widerstrebend zu. „Aber..." „Der Joker ist nicht nur Ihr Problem", unterbricht Alfred ihn in einem Tonfall, den Bruce schon seit langem nicht mehr von ihm zu hören bekommen hat. So hatte er das letzte Mal zu ihm gesprochen, als Bruce als Jugendlicher über die Stränge geschlagen und während einer Party das halbe Mansion verwüstet hatte. Mit diesem Tonfall und Blick hatte Alfred ihn damals gezwungen, den Dreck eigenhändig zu beseitigen und Bruce Achtung vor dem Berufsstand der Reinigungskräfte beigebracht. „Er ist ein Mensch und hat Rechte. Und solange er sich auf Ihrem Grund und Boden aufhält, ist es meine Pflicht, genauso für sein leibliches Wohl zu sorgen wie für Ihres. Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen, erst recht, wenn die Gefahr hinter Gittern sitzt." Er hält kurz inne und mustert Bruce durchdringend. „Ich war es nicht, der die Zellentür aufgelassen hat, Bruce." Bruce schluckt einmal betreten. „Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe..." gibt er kleinlaut zu. Alfred starrt ihn schweigend an, dann scheint er irgend etwas zu sehen, denn seine Miene wird weich und um seine Mundwinkel zuckt ein kleines Lächeln, als er näher tritt und Bruce eine Hand auf den Arm legt. Es ist eine tröstende und verständnisvolle Geste zugleich. „Die letzten Tage haben Ihnen viel abverlangt. Gönnen Sie sich und Batman eine Pause. Nur - um des Jokers Willen - entscheiden sie sich, ob Sie ihn als Gast oder Gefangenen behandeln wollen, ob Sie ihm ein Zimmer mit Bett zugestehen wollen oder ob er weiter in der Zelle bleiben soll. Wenn Sie sich für letzteres entscheiden, bedenken Sie bitte, dass diese Zellen keine hygienischen Einrichtungen haben und ihn einer von uns dann mehrmals täglich ins Bad geleiten muss. Eine Dusche braucht er jetzt schon. Mit Verlaub, er stinkt, als hätte man ihn gerade aus dem Gotham River gefischt." „Du hast die dritte Möglichkeit vergessen", murmelt Bruce, der über Alfreds Sinn fürs Praktische wie immer etwas lächeln muss. „Ich könnte ihn auch zurück nach Arkham bringen." Ernst drückt Alfred seinen Arm und sieht ihm dabei gerade in die Augen, und Bruce hat den Eindruck, als würde er sich heimlich über ihn amüsieren. „Nein, Master Bruce, diese Option steht erst einmal nicht zur Debatte." Er denkt kurz nach und überlegt sich seine nächsten Worte ganz genau. Bruce' innere Zerrissenheit ist für ihn nur allzu offensichtlich - auch wenn der Millionär selbst sich dessen nicht bewusst zu sein scheint. Es geht hier nicht nur um eine angeblich versehentlich offengelassene Zellentür oder um die schlecht unterdrückte Trauer um den Joker, die Bruce noch vor ein paar Tagen zu dieser wilden Entschlossenheit antrieb, Gotham mehr als sonst zu beschützen oder um eine unbefriedigende Liebesnacht ... all das sind nur Symptome für ein wesentlich tiefer liegendes Problem.  Alfred hat eine gewisse Ahnung, worum es dabei geht, aber er weiß, wie fatal es wäre, dies seinem Arbeitgeber direkt auf den Kopf zu zusagen. Er würde es abstreiten, verleugnen und sich selbst damit nur noch länger quälen, und das ist das letzte, was Alfred will. Besser, er zäumt das Pferd von der anderen Seite auf. „Der Joker hatte die Gelegenheit zur Flucht. Bevor wir nicht herausgefunden haben, wieso er sie nicht genutzt hat, sollten wir ihn hierbehalten. Vielleicht plant er etwas. Vielleicht ist er genauso erschöpft wie Sie. Fakt ist: aus Arkham würde er nur sofort wieder ausbrechen, hier ist Gotham erst einmal vor ihm sicher." Bruce überlegt kurz. Alfreds Argumente klingen einleuchtend. Diese untypische Passivität des Jokers ist wirklich beunruhigend. „Behandeln wir ihn erst einmal als Gefangenen, Alfred. Mal sehen, wie gesprächig ihn das macht." „Einverstanden, Sir." Alfred wendet sich wieder zum Lift um, hält vor der Tür allerdings noch einmal inne. „Dann werde ich unseren Freund jetzt mal zu einer Dusche überreden." „Das übernehme ich", erklärt Bruce beinahe sofort. Da Alfred ihm den Rücken zuwendet, entgeht ihm dessen Grinsen. *** In seiner Zelle leckt sich Joker noch einmal über die Lippen, bevor er sich seine Hände an seinem schmutzigen Mantel abwischt und sich dann in eine Ecke zurückzieht. Unterwegs rafft er noch die Decke zusammen, die bisher völlig unbeachtet herumlag und wickelt sich darin ein. Für einen Moment war der Hunger vorherrschend, aber jetzt, wo dieser gestillt ist, kehrt die Müdigkeit zurück. Es ist nicht so, dass Joker den Millionär nicht verstanden hätte. Er hielt es nur nicht für nötig, ihm darauf zu antworten. Reden ist anstrengend, wenn es nur in einer Diskussion enden kann, in der man unterliegt, weil einem das Denken schwer fällt. Er ist müde. Alles, was er will, ist schlafen. Es ist, als wolle sein Körper jetzt all die schlaflosen Nächte der letzten Jahre nachholen - und davon gibt es mehr als genug. Diese Rastlosigkeit, unter der er seit seiner Mutation leidet, ist einer solch tiefgreifenden Erschöpfung gewichen, dass es ihm schon egal ist, ob und wo er eingesperrt ist. Arkham? Bathöhle? Ph. Egal. Hauptsache, man lässt ihn in Ruhe. Er würde darüber lachen, aber selbst dazu fehlt ihm die nötige Kraft. In seinem Inneren tobt ein Krieg, von dem er nichts weiß. Er spürt nur die Auswirkungen. Er weiß nicht, dass die Mutationen, die sein Körper vor ein paar Jahren durchgemacht hat, nur der Anfang waren. *** Kapitel 3: ----------- 3. Kapitel Bevor er sich mit dem Problem Joker auseinandersetzt, genießt Bruce Wayne erst einmal sein Frühstück und die Morgenzeitung. Dann hackt er sich am Laptop in die Aufnahmedaten der Gothamer Krankenhäuser ein. Aber keiner der ehemaligen Vampiropfer ist dort vorstellig geworden. Darüber ist er wirklich erleichtert. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Er wird das im Auge behalten müssen. Schließlich geht er seine Geschäftsmails durch.  Es ist gegen neun Uhr, als ihm die Ausreden ausgehen. Außerdem werden Alfreds Blicke immer strenger. Beinahe bereut er es, Alfred davon abgehalten zu haben, derjenige zu sein, der den Joker zum ersten Mal ins Bad begleitet. Aber Alfred ist nicht mehr so jung wie er, und Bruce würde es sich nie verzeihen, wenn ihm etwas zustieße, also beugt er sich der Notwendigkeit und geht zu seinem Gefangenen hinunter. Er tröstet sich damit, dass er ja spätestens in zwei Stunden in seiner Firma zu einem Geschäftsessen mit ausländischen Partnern erscheinen muss. Er hat also gar nicht die Zeit, sich mehr als nötig mit dem Joker zu befassen. Nicht, dass er das will - Himmel, nein! Aber so - mit diesem Termin im Nacken - muss er auch nicht die Geduld mitbringen, die Sperenzien des Jokers zu ertragen. Wenn der Typ ihm Schwierigkeiten macht, wird er also nicht erst lange mit ihm herumdiskutieren. Er erwartet manisches Gelächter und spöttische Bemerkungen, aber alles, was ihn begrüßt, als er aus dem Lift in die Bathöhle tritt, ist - Stille. Absolute Stille. „Joker?" Der Name kommt ihm über die Lippen, bevor er richtig darüber nachdenken kann und es klingt erschreckend unsicher. Zum Glück scheint ihn der Angesprochene nicht gehört zu haben und als Bruce näher an die Zelle tritt, sieht er auch, warum: der Joker schläft. Wieder einmal. Er liegt in einer Ecke der Zelle, unter einer Decke zusammengerollt, und alles, was Bruce von ihm erkennen kann, ist sein grüner Haarschopf. Das Bild ist so harmlos, so friedlich, dass Bruce‘ Ärger sofort verfliegt und einem ganz anderen Gefühl Platz macht. Aber er kann diese Wärme, die in seinem Magen beginnt und sich von dort über den Rest seines Körpers ausbreitet, nicht einordnen. Das verunsichert ihn, und mit der Unsicherheit kehrt der Ärger zurück.  Aber diesmal beherrscht er sich. Anders als das letzte Mal ist er nicht grob, als er den Joker weckt. Und er gibt sich Mühe, ihn nicht zu erschrecken. Aber genau wie das letzte Mal sind Jokers rote Augen blank und leer, wie bei einem Schlafwandler, doch er nickt, als Bruce ihm erklärt, was nun folgen wird und gibt mit einem leisen „okay" sein Einverständnis. Bruce gibt sich damit zufrieden, packt ihn am Oberarm und hilft ihm, aufzustehen. Seine Finger weiterhin um Jokers linken Oberarm, führt er ihn aus der Zelle hinüber zum Lift. Dabei ist er bemüht, nicht allzu tief einzuatmen, denn Alfred hatte recht, als er meinte, der Joker rieche, als wäre er gerade erst aus dem Gotham River gekrochen. Das, was Bruce bisher in den letzten sechsunddreißig Stunden nie so intensiv wahrgenommen hat, sticht ihm nun geradezu schmerzhaft in die Nase. Der Gotham River ist ein kränkelnder Fluss, jahrzehntelang verunreinigt durch Chemieabfälle und andere Abwässer, und obwohl Wayne Industries inzwischen teure Filteranlagen hat bauen lassen und die Wasserqualität langsam Grund zur Hoffnung gibt, ist der Gestank noch immer nasenbeleidigend. Die Tatsache, dass Bruce genau weiß, wie und wann und durch wessen Schuld der Joker im Gotham River gelandet ist, macht das Ganze nicht besser. Er würde sich gerne entschuldigen, aber er weiß nicht, wie. Jokers Passivität, sein andauerndes Schweigen, sein abwesender Blick - all das ist so untypisch, dass ihm jegliches freundliche Wort im Halse stecken bleibt. Knappe, präzise Anweisungen dagegen fallen ihm leicht. Das ist die Art, wie er es gewohnt ist mit ihm zu reden und die einzige Möglichkeit, nicht ebenfalls in Schweigen zu verfallen. Der Joker benimmt sich so fügsam, als wäre diese Behandlung nicht das erste Mal in seinem Leben. Und hätte Bruce ihn gefragt, hätte der Joker ihm erzählt, dass er es aus Arkham her gewohnt ist, mehrmals täglich zu festgelegten Zeiten auf die Toilette geführt zu werden. Für ihn ist es nicht erniedrigender als die üblichen Leibesvisitationen oder von feixenden Wärtern mit einem Wasserschlauch abgespritzt zu werden. Es berührt ihn nicht, hat es noch nie. Diejenigen, die auf der anderen Seite stehen, haben damit viel mehr Probleme als er, und auch jetzt steht es Bruce deutlich ins Gesicht geschrieben, wie unangenehm ihm das alles hier ist. Joker findet das lustig, aber er lacht nicht, denn dazu fehlt ihm die Kraft. Sein Körper fühlt sich an, als gehöre er jemand anderem, zwischen ihm und seiner Umgebung scheint eine dicke Watteschicht zu liegen, jedes Geräusch, alles, was er sieht oder fühlt, erreicht ihn nur in abgeschwächter Form. Das ist nicht wirklich schlecht, denn so hat er die Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen, herauszufinden, was eigentlich passiert ist. Wieso er hier ist. Das letzte, woran er sich deutlich erinnert, ist der Gothamer Friedhof, aber er weiß, da ist noch mehr, ganz tief verborgen, er muss es nur finden. Bruce Waynes rauhe Stimme reißt ihn schließlich aus seinem tranceähnlichen Zustand. „Hier sind wir." Verdutzt bemerkt der Joker, dass sie vor einem großzügig eingerichteten Badezimmer stehen. Sehr luxuriös, sehr aquamarinfarben, sehr ... schön. Wow. Er hat mit etwas kleinerem, zweckmäßigerem gerechnet. Aber andererseits - sie befinden sich hier mitten im Wayne Manor, nicht wahr? „Wenn du aus dem Fenster klettern willst, vergiss es gleich", warnt ihn Bruce. „Die Gitter sind aus bestem Stahl." Der Joker nickt nur. Er hat nicht vor zu fliehen, nicht bei diesem Traumbad! Bruce hat ihn losgelassen und er nutzt die Gelegenheit und inspiziert sofort interessiert die riesige Wanne. Bruce lässt ihn gewähren. „Du hast vierzig Minuten Zeit. Ich stehe vor der Tür." Wieder nickt der Joker nur. Er fackelt nicht lange und beginnt sofort, sich auszuziehen. Bruce beobachtet ihn einen Moment lang und trifft dann eine weitere Entscheidung. „Dort in der Ecke ist eine Wäscherutsche. Schmeiß deine Klamotten da rein, sie werden dann gewaschen." Wieder ein stummes Nicken. Bruce schließt die Tür hinter sich, als er geht. Er hat keine Lust, dem Joker dabei zuzusehen, wie dieser sich auszieht. Außerdem muss er mit Alfred reden, dass dieser ein paar alte Klamotten von Bruce heraussucht, die dem Joker passen könnten. Natürlich kein Armani-Anzug, ein paar einfache Jeans und ein T-Shirt sollten reichen. Und Unterwäsche. Bruce schaudert leicht. Er ist wirklich erleichtert, diese Aufgabe in Alfreds erfahrene Hände übergeben zu können. *** Entgegen dem was andere von ihm halten mögen, besitzt der Joker durchaus einen Sinn für Hygiene. Er hat nur nicht oft die Gelegenheit, ihr zu frönen. In seinen Verstecken gibt es meist nicht einmal so etwas wie fließendes Wasser, geschweige denn eine funktionierende Toilette, und in Arkham ist alles zeitlich streng reglementiert. Vierzig Minuten, sagte Bruce. Das ist eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit im Himmel. So erledigt Joker das Nötigste im Schnellverfahren, bevor er sich den angenehmen Dingen zuwendet: einem entspannenden, heißen Bad. Er sieht sogar darüber hinweg, dass er Badelotion, die nach grünem Apfel riecht, normalerweise nicht bevorzugt.  Das ist immer noch besser als L’Eau de Gotham River. Und als er dann seinen ermatteten Körper langsam ins heiße Wasser gleiten lässt, kann er einen wohligen Seufzer nicht zurückhalten. Die Nässe hat zeitweise sogar eine belebende Wirkung, doch nur so lange, bis sich sein Kreislauf an die Veränderung angepasst hat. Doch weder  das wattige Gefühl in seinem Kopf noch das harte Vibrieren seines Herzschlages in seinen Knochen vermag es, ihn aus seinem derzeitigen Himmelreich zu vertreiben. Träge lässt er seine Finger durch den Schaum auf seinem Körper gleiten, während seine Gedanken auf Wanderschaft gehen. Seine Erinnerungen an sein Leben vor seinem Chemieunfall sind wie Fische in einem trüben Teich. Manchmal schwimmen sie dicht unter der Oberfläche und blitzen verlockend auf, aber immer, wenn er sie zu fangen versucht, glitschen sie ihm zwischen den Fingern davon. Es ärgert ihn, wenn sein Gehirn seinen Körper auf diese Art betrügt. Deshalb denkt er auch selten darüber nach und lebt lieber im Hier und Jetzt. Es ist daher beängstigend, plötzlich in einer Zelle aufzuwachen, in Batmans grimmiges Gesicht zu starren und wieder im Trüben zu fischen. Er weiß nicht, wie viele Stunden oder Tage – vielleicht gar Wochen oder Jahre … lieber Himmel, bitte nicht! – er verloren hat. Dass niemand daran denkt, ihn aufzuklären, verstärkt das beklemmende Gefühl nur noch. Das letzte, woran er sich klar und deutlich erinnert, ist dieser angebliche Schatz auf dem Friedhof, der Pinguin und so ein komischer Typ in einem Sarg. Danach … Fische im trüben Teichwasser. Leise aufstöhnend massiert er sich die schmerzenden Schläfen. Allein der Versuch, sich zu erinnern, jagt eine Schwadron Düsenjäger durch seinen Kopf. Doch er spürt, dass diese Gedächtnislücken anders sind. Diesmal wird er sich erinnern. Irgendwann. Also gibt er es auf, etwas mit Gewalt erreichen zu wollen, was ihm sowieso irgendwann in den Schoss fällt und lässt seine Gedanken einfach wieder treiben und genießt das warme, nach Apfel duftende Wasser, diesen Luxus. Er döst tatsächlich ein. Zehn Minuten lang treibt er ruhig im Wasser, und dieses Gefühl löst eine völlig andere Erinnerung in ihm aus. Lose Fäden verbinden sich und eine Frage, die schon seit Tagen in seinem Unterbewusstsein auf ihre große Chance wartet, springt ihm mitten ins Gesicht. Er schnappt nach Luft, reißt die Augen auf und schießt in die Höhe. Die Beantwortung dieser Frage ist so dringlich, dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt als die Wanne, seinen Hort der Gemütlichkeit, sein Himmelreich, zu verlassen. „Warum?" keucht er atemlos, als er die Tür aufreißt und direkt in Bruce Waynes verdutztes Gesicht blickt. „Warum..." er stockt, bemüht, die Worte, die wie aufgeregte Kolibris in seinem Kopf herumschwirren, zu einer sinnvollen Frage zusammen zu fügen. „Warum hast du mich nicht gerettet? Damals? Als ich vom Aquädukt fiel? Als ich im Fluss landete? Die Joy-Buzzer waren schnell kaputt, sie gaben keine Elektrizität mehr ab. Als es keine Elektroschocks mehr gab ... als keine Gefahr mehr bestand ... wieso bist du dann nicht hinterhergesprungen? Und seit wann kümmert es dich, wie gefährlich es für dich ist, wenn du jemanden retten willst?" Er trifft einen Nerv, er erkennt es daran, wie Bruce das Gesicht verzieht. Merkwürdig, wie gut er seine Miene beherrscht, wenn er als Batman unterwegs ist und wie wenig er als Bruce darauf achtet. Joker weiß nicht, wie einschüchternd er in diesem Moment auf Bruce wirkt. Eben dachte der Millionär noch an nichts Böses, vertieft in seine Börsenberichte auf seinem Smartphone, und plötzlich steht dieser tropfnasse, nackte Mann vor ihm, einem Derwisch gleich, und genauso schnell redet und gestikuliert er auch. Nachdem er stundenlang so schweigsam und ruhig war, ist das hier jetzt doppelt erschreckend. Und er stellt ihm ausgerechnet diese Frage! Bruce versucht, über eine angemessene Antwort nachzudenken, doch das fällt ihm schwer, Jokers unmittelbare Präsenz ist zu ablenkend. Während ihrer Kämpfe fällt es ihm nicht oft auf, aber diesmal ist es nicht zu übersehen, dass der Joker eine gute Handbreit größer ist als er - und noch eine weitere wegen seiner Haare. Er wirkt nur immer kleiner, weil er nicht so massig ist wie Bruce. Er hat die sehnige Statur eines Tänzers und Bruce die eines Boxers. Bruce versucht wirklich, nicht allzu sehr zu starren, vor allem ist er bemüht, seinen Blick nicht unter Jokers Gürtellinie rutschen zu lassen. Wie gesagt, er ist nackt! Und Bruce will nicht, dass dieser Mann mit den wilden roten Augen, den grünen Dreadlocks und dieser schneeweißen Haut, dieses gefährliche ... Wesen, plötzlich zu einem verwundbaren Menschen wird. Er ist nicht verwundbar. Er ist stark, schnell und gerissen, und auf alle Fälle gefährlich, aber niemals so verwundbar wie jeder andere Mensch auch. „Batsy?" Jokers ungeduldige Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Richtig, er wartet ja noch auf eine Antwort. „Ich weiß es nicht", erwidert der Millionär ehrlich und schuldbewusst zugleich. Er wird nicht gerne daran erinnert, denn er schämt sich deswegen zutiefst. Joker mag diese Antwort nicht. Sie ist nicht ausreichend. Wenn es nach ihm ginge, würde er es dabei belassen, aber da ist dieser Drang, tiefer zu bohren. Weil Bruce es braucht. Weil es wichtig ist, damit das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Er steht für das Chaos, aber Batman - Bruce - für die Ordnung, es ist nicht hinnehmbar, dass in Bruce so viele chaotische Dinge passieren. Wie von selbst gleiten ihm die nächsten Worte von der Zunge. „Du warst wie gelähmt, genau wie damals, als deine Eltern starben." Zwei Schüsse, die durch die Nacht hallen, das Geräusch von zwei Körpern, die leblos auf dem Boden aufprallen. Perlen, die im Licht der Straßenlaterne weiß aufleuchten und dann klirrend in den Rinnstein fallen. Und ein kleiner Junge, der schockiert daneben steht. Joker sieht es, als wäre er dabei gewesen. Doch er war es nicht. Er war damals selbst noch ein Kind. Schmerz explodiert hinter seiner Stirn, weiß und blendend, instinktiv drückt er den Handballen gegen seine Stirn, um den Schmerz einzudämmen. Doch er gibt nicht auf und hält diesen Gedanken fest. „Du fühltest dich so hilflos. Damals bei ihnen. Und auch bei mir. Damals warst du ein Kind, du konntest gar nichts tun, aber du hast dich trotzdem wie ein Versager gefühlt. Als ich fiel und im Fluss versank ... da war es dasselbe Gefühl. Und du fühltest dich doppelt als Versager, weil du inzwischen kein Kind mehr bist und weißt, was zu tun ist. Weil du es jetzt kannst. Helfen. Anderen helfen. Sie beschützen. Gotham. Die ganze Welt." Der Schmerz wird zu stark, er verliert den Faden. Die Welt um ihn herum beginnt zu schwanken wie ein Schiff im Sturm, doch es ist zu spät. Er erkennt die Wahrheit. Sie liegt vor ihm, strahlend hell wie Gold. Und sie ist so simpel und zugleich so essenziell, dass er nur darüber lachen kann. Bruce ist schockiert und entsetzt zugleich über Jokers Worte - sie spiegeln genau seine eigenen Gedanken und Empfindungen wider, aber wie kann Joker das alles wissen? - aber auch über dieses so wohlbekannte, irre Gelächter, das so urplötzlich und völlig sinnlos aus dem anderen hervorbricht. Trotz seiner ebenso schnell aufkeimenden Wut - wie kann er es wagen, so mit ihm zu reden? - hält er ihn fest, als er zu taumeln beginnt und zu fallen droht. Sein Griff ist allerdings härter als nötig. Seine Finger graben sich so tief in Jokers Oberarme, dass er fast auf den Knochen stößt. Trotz seiner Gleichgewichtsprobleme hört der Joker nicht auf zu lachen. Bruce, der nicht weiß, wie er auf das alles reagieren soll, schiebt seine Ungeduld und seinen Ärger beiseite und wartet erst einmal geduldig ab. Er weiß aus Erfahrung, dass die Stimmungen des Jokers schneller wechseln als ein flüchtender Hase die Richtung. Es dauert nicht lange, da geht Jokers Gelächter in ein Kichern über. Und dann, völlig unvermittelt, läuft alles furchtbar falsch. Plötzlich lehnt sich der Joker zu ihm vor, und Bruce spürt weiche, warme Lippen, die sich fest auf seine pressen, und während er regelrecht erstarrt, gesellt sich zu diesen Lippen eine gierige Zunge. Bruce‘ Gedanken rasen und stehen dann plötzlich still, als er sich am Handgelenk gepackt fühlt. Verdächtig warme Finger dirigieren seine rechte Hand nach unten, zwischen ihre Körper; und Bruce, dessen gesamte Konzentration auf diesem unerwünschten Kuss gerichtet ist, bemerkt es erst, als diese langen Finger seine eigenen zwingen, sich um hartes, pochendes Fleisch zu legen. Es dauert eine geraume Weile, bis er begreift, aber dann trifft ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Erschrocken reißt er die Augen auf, von denen er gar nicht wusste, dass er sie geschlossen hatte. Joker starrt ihn unter halb gesenkten Lidern an, und in seinen Augen, in seinem gesamten Gesicht, leuchtet eine Lebensgier, die auf ihre Art noch wesentlich erschreckender ist als sein üblicher Wahnsinn. Bruce möchte schreien, ihn von sich stoßen, ihm seine Faust ins Gesicht rammen, vor allem aber seine Hand von dort wegnehmen, doch stattdessen …  beginnen seine Finger dort unten völlig von selbst mit einer zärtlichen Massage. Er ekelt sich vor sich selbst, aber er kann nicht damit aufhören. Fasziniert beobachtet er, wie Jokers Körper ein Zittern durchläuft und ja, er genießt die Macht, die ihm diese kleine Berührung über den anderen gibt. Er genießt diesen Anblick, wie die Augenlider des Jokers zu flattern beginnen, während er sich  gequält auf die Unterlippe beißt, sie sich blutig beißt, in dem vergeblichen Versuch,  ein Keuchen zurückzuhalten. Wie er den Kopf zurückwirft und wie das Blut eine schmale Spur über sein spitzes  Kinn zieht. Scharlachrot auf schneeweiß. Für einen Moment starrt er fasziniert darauf, doch dann erkennt er, dass es sich um Blut handelt, und das löst die Starre. Er zieht seine Hand zurück und weicht einen großen Schritt nach hinten. Joker gibt einen enttäuschten Laut von sich, es klingt wie eine Mischung aus Knurren und Schluchzen. Bruce derweil hat endlich wieder zu sich selbst zurückgefunden. Schuld und Reue und Scham treiben ihm das Blut in die Wangen. Noch während er um die richtigen Worte ringt, wird der Joker ganz still. Die Arme jetzt locker an seiner Seite baumelnd, steht er da, nackt und immer noch erregt. Doch das Feuer in seinen Augen ist erloschen, jetzt glänzen sie kalt und hart. Seine Mundwinkel zucken, verziehen sich zu dem gefürchteten Grinsen. Just in dieser Sekunde betritt Alfred, mit einem Stapel sorgfältig zusammengelegter Kleidungsstücke im Arm, den Raum und rettet Bruce aus dieser peinlichen Situation. Der junge Millionär ergreift die Chance zu einem geordneten Rückzug und eilt an dem ihm irritiert nachstarrenden Butler vorbei, hinaus aus der Tür, bestrebt, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Joker zu bringen. Aber er ist nicht schnell genug. Das an- und abschwellende Gelächter des Jokers folgt ihm wie der Schatten eines Alptraumes. *** Bruce Wayne fühlt sich wie ein erbärmlicher Feigling. Er ist einfach davongerannt wie ein eingeschüchtertes Kind. Und warum? Nur, weil ihm der Joker eine weitere, kranke Seite von sich gezeigt hat? Nein, das ist es nicht, und das weißt du auch. Ach, halt die Klappe. Über Bruce‘ Miene huscht ein schwaches Grinsen. wenn er schon anfängt, mit sich selbst zu streiten, ist er wohl auch bald reif für eine Therapie, oder? Er holt einmal tief Luft und versucht, sich zu beruhigen. Himmel, das Ganze ist fünfundzwanzig Minuten her, allmählich sollte er darüber hinweg sein. Es war sein eigener Fehler. Er hat den Joker nie als ein sexuelles wesen betrachtet, und das rächt sich jetzt. Er muss diese Erkenntnis endlich hinnehmen, dass unter all diesem abartigen Benehmen und dem wilden Aussehen jenseits aller Blutlust und  Kriminalität ein mindestens genauso abartiger, wilder Mann steckt mit denselben Bedürfnissen wie alle anderen Männer auch. Ja, sogar wie er selbst. Der Joker ist krank, es ist nicht seine Schuld. Und jetzt sollte ich mich wirklich um mein Leben kümmern. Ein Geschäftsessen wartet auf ihn. Er schlüpft gerade in seinen Mantel und greift nach den Autoschlüsseln, als Alfred hinter ihm auftaucht. „Es tut mir leid, Alfred“, murmelt Bruce zerknirscht. Der ältere Mann nickt nur und streicht sich kurz über seinen Schnurrbart. „Ich dachte mir nur, es interessiert Sie zu hören, dass ich den Joker wieder zurück in die Zelle gebracht habe.“ Bruce nickt einmal und fährt sich verlegen mit den Fingern durchs Haar. „Hör zu, was da vorgefallen ist…“ „Oh, keine Sorge, Master Bruce. Mir ist durchaus bewusst, dass der Joker über eine sprunghafte, teilweise erschreckend schamlose Persönlichkeit verfügt. Neben allem anderen“, fügt er dann noch trocken hinzu. „Es tut mir leid, dich mit ihm allein lassen zu müssen…“ „Auch darüber machen Sie sich bitte keine Sorgen.“ Es scheint kurz, als wolle er noch etwas dazu sagen, doch dann zuckt er nur mit den Schultern. „Darf ich Sie heute Abend zum Dinner zurückerwarten, Sir, oder haben Sie noch etwas anderes vor?“ Bruce zögert mit der Antwort. Aber so wenig wie er sich den Launen des Jokers aussetzen will, so wenig will er sich auch mit dem hohlen Geschwätz der Gothamer High Society auseinander setzen. Er hat keine Lust, seine Zeit in einem der zahlreichen Clubs für Superreiche zu verschwenden. Und sein Date mit Vicky Vale ist erst morgen Abend. Also wählt er das kleinere Übel. „Nein, Alfred, ich habe nichts vor. Ich bin also zum Dinner wieder zurück.“ *** Kapitel 4: ----------- 4. Kapitel Durst. Das war das erste, woran er denken konnte, als er diesmal aufwachte. Er bat Alfred um ein Glas Wasser und er bekam es auch. Aber jetzt hat er immer noch Durst. Seine Kehle ist so trocken wie Staub und seine Zunge fühlt sich an wie ausgedörrt. Doch er ist nicht das Tier, für das ihn alle halten. Er hat Manieren. Er weiß, wann er sich zurückhalten muss. Und auch wenn er es nicht gerne zugibt - aber sich selbst gegenüber darf er es schon, findet er - hat diese ganze Situation etwas so Erhabenes an sich, dass sogar Harley vor Ehrfurcht verstummt wäre. Der Gedanke an Harley, die süße, kleine, nervtötende Harley schmerzt - aber der Moment der Schwäche ist schnell vorbei. Er vermisst sie, aber er musste sie loswerden. Er hatte sie zu nahe an sich herangelassen, letztendlich war sie wie ein Seil, das sich so oft um ihn wickelte, bis es ihm letztendlich die Luft abschnürte. Aber das passiert nun einmal, wenn man ein Stück von einem Kuchen abhaben will, der nicht für einen selbst bestimmt ist. Wenn die Pfade eigentlich auseinandertreiben. Jetzt saugt sie Poison Ivy die Energie aus den Knochen. Aber das macht nichts, denn die pflanzenverrückte Rothaarige ist auch nicht anders. Die beiden passen zusammen wie Pflanze und Topf. Über den Vergleich muss er beinahe kichern. Wenn seine Kehle nur nicht so sehr schmerzen würde. Rote Augen fixieren die Wasserkaraffe vor sich auf dem Tisch gierig. Seine Hände zucken, doch er hält sich eisern zurück. Geduld, Geduld. Wenn er sich jetzt nicht zu beherrschen weiß, landet er wieder unten in der Zelle, wo nicht immer jemand zugegen ist, den er um Wasser bitten kann. Um sich abzulenken senkt er den Blick auf den Teller vor sich und die Ansammlung von Besteck daneben. Er weiß, man beginnt von außen nach innen, aber - verdammt - wie viele Gänge hat dieser Alfred geplant? Und das Porzellan und die Stoffservietten sind doch viel zu elegant und kostbar, um benutzt zu werden. Da muss er sich wirklich anstrengen, keine Kratzer beziehungsweise Flecken zu hinterlassen. Aber da er sowieso keinen großen Hunger hat ... nur Durst. Als er bemerkt, wie sein Blick wieder zu der Wasserkaraffe hinübergleitet, zwingt er sich, in eine andere Richtung zu sehen. Zum Glück bietet dieser Raum genug Ablenkung. Es ist ein sehr großer Raum, beinahe schon ein Saal mit holzvertäfelten Wänden und hohen Fenstern, die hinaus auf einen Balkon führen. Dort draußen winkt die Freiheit, es wäre für ihn ein leichtes, durch das Fenster zu springen, und wäre er in einer besseren Verfassung, würde er vielleicht ernsthaft darüber nachdenken. So aber nimmt er es nur genauso zur Kenntnis wie alles andere in diesem Raum. Außer dem großen Mahagonitisch, an dem er sitzt, befindet sich auf der Südseite vor dem gemauerten Kamin noch eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder. An den Wänden hängen Landschaftsbilder und an gewissen Plätzen - die wahrscheinlich nach Feng Shui oder ähnlichen Gesichtspunkten ausgerichtet sind - stehen große Kübelpflanzen. Abgerundet wird der Reichtum und Stil vermittelnde Raum durch einen alten Kristalllüster. Eine Scheußlichkeit, wie sie nur eine Frau hat aussuchen können. „Oh Thomas, ist das nicht wunderschön?" „Ja, Darling." Der Mann mit dem eleganten Schnurrbart lächelt nachsichtig und zieht seine Frau in seine Arme, gibt ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, während er mit der rechten Hand über ihren kugelrunden Babybauch streichelt. Joker schließt die Augen. Geister. Dieses Haus ist voller Geister. Er atmet einmal tief durch, und als er die Augen wieder aufreißt, stammt das einzige Wispern von den anderen beiden atmenden Personen am anderen Ende des Raumes.  „Was hast du dir dabei gedacht, Alfred?” Bruce hat seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Er steht unter dem Türrahmen zwischen Küche und großen Esszimmer und lässt den grünhaarigen Mann, der dort etwas verloren an dem riesigen Esstisch sitzt, nicht eine Sekunde aus den Augen. Bruce ist gereizt, er hatte auf einen ruhigen Abend gehofft, und fest damit gerechnet, dass der Joker unten in seiner Zelle sitzt. Er hatte nicht vor, sich heute noch einmal mit ihm auseinander zu setzen. Aber jetzt hat ihm ausgerechnet Alfred einen Strich durch die Rechnung gemacht. Alfred füllt die letzte Kelle in die Suppenterrine und drückt diese völlig unzeremoniell dem jungen Millionär in die Hand. Dass er seinen Arbeitgeber hier quasi zur Mitarbeit einspannt, ist ein deutlicher Hinweis, dass sich Bruce soeben einen Fauxpas geleistet hat. Ansonsten ist er die Ruhe selbst. „Master Bruce, Sie haben doch gewiss Fragen an den Joker, oder?" „Ja", gibt Bruce widerstrebend zu. „Nun, schon die alten Römer wussten die angenehme Atmosphäre eines guten Essens zu schätzen, um ihren Gegnern Informationen zu entlocken." „Die Römer wussten aber auch gute Gladiatorenkämpfe zu schätzen." „So weit muss es ja nicht kommen, Master Bruce." Alfred sagt es leichthin, doch die Warnung in seinen Augen ist unmissverständlich. Bruce spürt Ärger in sich aufwallen. „Du bist viel zu nett zu ihm, Alfred." „Manchmal kommt man mit Freundlichkeit weiter als mit Schlägen, Bruce. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, nicht wahr?" Mit diesen Worten schnappt sich Alfred das kleine Weidenkörbchen mit den zurechtgeschnittenen Brotscheiben und trägt es vorbei an Bruce ins Esszimmer. Der junge Millionär folgt ihm missmutig, und er macht daraus auch gar keinen Hehl. Er kann nicht verstehen, wieso Alfred trotz seiner ausdrücklichen Anweisung darauf besteht, den Joker wie einen willkommenen Gast zu behandeln. Ob da irgend etwas in seiner Abwesenheit zwischen den beiden passiert ist? Aber nein, davon hätte Alfred ihm erzählt. Wahrscheinlich hat Alfred einfach nur Mitleid mit dem Joker. Und eines muss Bruce zugeben: zur Zeit fällt es auch ihm zunehmend schwerer, den Joker als Gefahr zu betrachten. Er wirkt nicht so, nicht, wenn er weder grinst noch lacht und einfach nur teilnahmslos vor sich hinstarrt. Oder, so wie jetzt, unschlüssig mit dem Löffel in seiner Suppe herumrührt. Da er jetzt nur ein schlichtes dunkles T-Shirt und eine schwarze Jeans trägt, wirkt er nicht nur bleich, sondern weiß wie ein Gespenst - unheimlich und bedauernswert zugleich. Aber er riecht jetzt wenigstens besser. Und so frischgewaschen glänzt sein Haar in einem erfrischenden Grünton - wie das Moos unter der alten Eiche draußen in der Parkanlage, die zum Manor gehört. Es ist still am Tisch, ein richtiges Gespräch zwischen ihm und Alfred will einfach nicht zustande kommen. Bruce' Antworten auf die Fragen seines alten Freundes, wie sein Geschäftsessen und der Rest des Tages in der Firma so gelaufen sei, sind mehr als kurzsilbig. Sein Widerwillen, sein Geschäftsleben vor dem Joker auszubreiten, ist mehr als offensichtlich. Alfred ist enttäuscht über die Eigensinnigkeit seines Arbeitgebers und wirft ihm einen mehr als eindeutigen Blick zu. Sieht er denn nicht, wie elend es dem Joker geht? Alfred ist kein Arzt, aber er blickt auf viele Jahre der Erfahrung mit Bruce zurück. Dieser war als Kind schon bemüht tapfer und lässt sich auch jetzt als Erwachsener nichts anmerken, wenn seine Gesundheit angegriffen ist. Alfred hat daher gelernt, die Zeichen zu erkennen. Zeichen, die er jetzt am Joker wiedererkennt. Hier ein beinahe unmerkliches Händezittern, dort ein angespannter Wangenmuskel oder müde herabhängende Schultern. Und es ist bestimmt kein Anzeichen von Gesundheit, wenn ein Mann den Großteil des Tages einfach nur damit verbringt, zu schlafen. Alfred geht kurz in die Küche um den Hauptgang zu holen, und als er wiederkommt und ihn dieses eisige Schweigen begrüßt, ergreift er kurzerhand die Initiative mit einer Frage, die ihm schon den ganzen Tag im Kopf herumgeistert. „Es ist kalt unten in der Bathöhle. Warum tragen Sie nicht den Pullover und die Schuhe, die ich Ihnen gegeben habe, Joker? Und wie ich sehe, tragen Sie ja nicht einmal Socken. Da ist die Erkältung ja schon vorprogrammiert." Doch bei seinem Satz ist es Bruce, dem er einen vorwurfsvollen Blick zuwirft. Dieser versteht den Wink und besitzt sogar den Anstand, beschämt den Blick zu senken. Joker allerdings hört auf, seine Erbsen von einer Tellerseite auf die andere zu schieben und starrt Alfred aus großen Augen an. Ganz offensichtlich hat ihm noch niemand zuvor diese oder eine ähnliche Frage gestellt. „Mir ist nicht kalt", erwidert der Joker schließlich zögernd, gießt sich ein neues Glas Wasser ein  - schon das vierte, wie Alfred erstaunt feststellt - und trinkt es bis zur Neige. Ganz offensichtlich eine Verlegenheitshandlung, damit er über die richtige Antwort nachdenken kann. „Ich laufe gerne barfuß", erklärt er dann. „Schuhe irritieren mich nur." „Ich laufe auch gerne barfuß", stimmt ihm Alfred freundlich zu. „Aber nur im Garten. Und im Sommer. Nicht auf den Straßen. Nicht, wenn man bedenkt, was man sich da alles eintreten kann. Haben Sie keine Angst, dass Sie in einen rostigen Nagel oder Glas treten und sich eine Blutvergiftung holen könnten?" Joker lässt das Glas, aus dem er eben trinken wollte, wieder sinken, legt den Kopf schief und blinzelt ihn irritiert an. „Ich ... was?" und dann huscht sein Blick hinüber zu Bruce, als erhoffe er sich von diesem Unterstützung. Doch dieser schützt Desinteresse vor und widmet sich voller Konzentration seinem inzwischen schon halbgeleerten Teller. Aber Alfred kann ihm ansehen, dass er sehr wohl die Ohren spitzt. Alfred versucht sich an einem kleinen Lächeln. „Und wenn ich erst an all ihre Kämpfe mit Batman denke. Auf den Dächern und in dreckigen Hinterhöfen. Die Dinge, die dann an Batmans Stiefelsohlen kleben, spotten jeder Beschreibung." Bruce krümmt sich innerlich, als Alfred sein alter Ego erwähnt. Es ist ihm immer noch unangenehm, dass er jahrelang versucht hat, etwas vor dem Joker zu verbergen, was dieser schon längst wusste. Er will sich gar nicht vorstellen, wie oft der Clown Prince of Crime deswegen über ihn gelacht hat. „Und im Winter", fährt Alfred fort und schaudert übertrieben. „Wie können Sie es da nur aushalten? Barfuß im Schnee? Allein der Gedanke verursacht mir Frostbeulen." Der Joker starrt ihn einen Moment lang an und dreht sich dann zur Seite, streckt ein langes Bein aus und betrachtet nachdenklich seinen Fuß. Probehalber wackelt er mit den Zehen. Und muss sich plötzlich am Tisch festkrallen, weil ihm schwarz vor Augen wird. Aber der Schwindelanfall verschwindet genauso schnell wieder, wie er gekommen ist, und niemand scheint etwas bemerkt zu haben. Wie war die Frage nochmal? Ach ja, genau … Soll er lügen? Er zögert, entscheidet sich dann aber für die Wahrheit. Lügen sind anstrengender, man muss sie sich genau merken, und dazu fühlt er sich momentan wirklich nicht in der Lage. „Manchmal brauche ich den Schmerz, damit ich nicht vergesse, dass ich lebe." Die plötzliche Stille und die betretenen Mienen verraten ihm, dass eine Lüge wohl doch besser gewesen wäre. Für einen Moment fühlt er sich tatsächlich schuldig, doch dann bemerkt er, dass sein Glas wieder leer ist. Das erscheint ihm wesentlich wichtiger als alles andere um ihn herum. Schnell greift er nach der Karaffe, die nur noch zu einem Drittel mit der kostbaren Flüssigkeit gefüllt ist und füllt sein Glas wieder auf— dabei wird er skeptisch von Alfred beäugt. Die Antwort des Jokers schockiert diesen weniger als dessen merkwürdiges Gebaren. Der Kerl säuft wie ein Kamel am Wasserloch. Aber seine Augen wirken nicht fiebrig. Merkwürdig. Ich behalte das mal im Auge. Bruce derweil hat schwer an Jokers Worten zu schlucken. Denn das wirft alles ein ganz anderes Licht auf Jokers halsbrecherische Aktionen und seine Reaktionen, wenn ein Teil seines Körpers mit Batmans Faust zusammentrifft - wieso er dann meistens nur darüber lacht. Aber anstatt ihn einfach mal danach zu fragen (dass der Joker ihm vielleicht nie eine so ehrliche Antwort gegeben hätte wie eben, ist dabei unerheblich), hatte er ihn einfach als Psychopath mit sadistisch-masochistischen Zügen abgestempelt - genau wie die Ärzte in Arkham. Langsam und nachdenklich lässt Bruce seinen Blick über den Joker wandern, und es kommt ihm so vor, als würde er ihn zum ersten Mal richtig sehen. Er erhaschte mal einen flüchtigen Blick auf den eher durchschnittlichen, zweifellos aber gut aussehenden Mann, der Joker früher einmal gewesen war, vor seinem Chemieunfall. Schuld verknotet seitdem Batmans Magen, hervorgerufen durch das Wissen, dass er dafür mitverantwortlich ist. Dass eine einzige Sekunde des Zögerns, der falschen Entscheidung, aus einem bisher unbescholtenen Mann eine solch rücksichtslose Naturgewalt wie den Joker gemacht hat. Ein Wesen, das sich von der Menschheit so weit entfernt hat, dass es Schmerz zufügen und erleiden muss, um sich lebendig zu fühlen. „Es tut mir Leid, Joker." Joker lässt sein Wasserglas sinken und legt fragend den Kopf schief. „Ha? Was denn?" Bruce macht eine unbestimmte Handbewegung. „Es ist meine Schuld, dass du so bist, wie du bist. Es ist meine Schuld, dass du in den Chemie-Tank gefallen bist. Kein Wunder, dass du mich hasst." Jokers Lippen verziehen sich zu einem Grinsen und entblößen zwei Reihen gelber Zähne. Aber sie sind nicht wirklich gelb, stellt Bruce mit plötzlichem Erstaunen fest. Sie wirken nur so dunkel, weil seine Haut so hell ist. Und er selbst hat das nie erkannt, weil er nie wirklich hingesehen hat. „Ich hasse dich doch nicht deswegen, Batsy." „Nein?" „Nein." „Weswegen denn dann?" „Na, weil du mir ständig bei allem dazwischenfunkst." Plötzlich erlischt Jokers Grinsen. Er nimmt noch einen weiteren Schluck aus seinem Glas und zieht kurz die Luft durch die Nase. Der Duft, der auf einmal von dem Millionär auszugehen scheint, berührt etwas tief in ihm. Er erinnert sich, so etwas schon einmal gerochen zu haben. Es ist süß und bitter und verheißungsvoll, ein wenig wie Honig und Mandeln und ... Kupfer? Die Übelkeit kommt plötzlich und heftig. Mühsam schluckt er die Galle hinunter, die ihm die Kehle hinaufdrängt und trinkt etwas Wasser. Es scheint zu helfen. Sein Magen beruhigt sich wieder. Nur wie aus weiter Ferne dringen Batmans Worte an sein Ohr. „Ich hindere dich nur daran, gegen das Gesetz zu verstoßen und Unschuldige zu verletzen." Joker starrt ihn an. Er spürt, wie die altbekannte, dunkle Wut mit ihrer kleinen Schwester, der bitteren Enttäuschung, wieder in ihm emporsteigt. „Selbst wenn ich nur mal eine Cola kaufen will, stehst du sofort vor mir und willst mich wieder zurück nach Arkham bringen. Wenn's nach dir ginge, sollte ich dort verfaulen. Du willst Gotham vor mir beschützen. Und gleichzeitig willst du mich vor mir selbst beschützen? Und das alles nur, weil du dich für das, was ich bin, verantwortlich fühlst? Himmel, Bats, hör auf, dich wegen alles und jedem schuldig oder als Versager zu fühlen! Das hilft niemandem! Ich weiß nicht, wer ich vor meinem Unfall war, und das stört mich nicht, so lange ich weiß, wer ich jetzt bin. Und wenn ich dafür manchmal den Schmerz von aufgerissenen Füßen oder einem blauen Auge brauche, dann ist das verdammt nochmal weder dein Problem noch deine Schuld! Du weißt gar nichts von mir, und du brauchst gar nicht glauben, dass du anfangen kannst an mir herumzuanalysieren. Das versuchen diese sogenannten Ärzte in Arkham seit Jahren vergeblich." Er holt einmal tief Luft und lacht plötzlich. „Nur, weil du einmal in meinem Kopf warst, heißt das nicht, dass du dich dort auskennst." Bruce blinzelt verblüfft. Wieder einmal hat der Joker auf jene Gedanken geantwortet, die ihm seit langem schon im Kopf herumschwirren. Und tatsächlich dachte er, den Joker seit diesem Gedankenübertragungsexperiment von Dr. Strange etwas genauer verstehen zu können. „Es ist laut in deinem Kopf', erklärt er überzeugt, „so viele Stimmen und Persönlichkeiten... du musst vor dir selbst beschützt werden. Du bringst dich selbst in Gefahr und bemerkst es nicht einmal." Dabei denkt er besonders an Jokers Sturz vom Aquädukt vor einer knappen Woche. „Du bist so überheblich, Brucie. Du warst vielleicht in meinem Kopf, aber ich habe dir nur gezeigt, was du sehen solltest." Er spuckt die letzten vier Worte regelrecht aus: „Du weißt gar nichts!" Alfred, der die Diskussion bisher still verfolgt hat, runzelt bei diesem Tonfall leicht die Stirn. Der Joker klingt eher enttäuscht als wütend. Bruce' Reaktion wundert ihn allerdings nicht - dass der Wayne-Erbe wieder nur das Offensichtliche erkennt, war zu erwarten. Er ist so blind, was den Joker betrifft. „Du vergisst, ich habe dich überlistet!" Bruce lacht triumphierend. „In deinem eigenen Kopf! Und es war noch nicht einmal schwer!" „Fuck ja!" Plötzlich springt der Joker auf und wirft mit seinem Teller nach ihm. Bruce weicht dem Geschoß mit Leichtigkeit aus und das edle Porzellan zerschellt ein paar Meter weiter auf dem Parkettboden. Da der Joker kaum etwas gegessen hat, spritzen Kartoffeln, Erbsen und Krabben in alle Richtungen. „Du und dieser Scheiß-Doktor habt mich mental vergewaltigt und du bist sogar noch einen Schritt weiter gegangen und es war dir scheißegal! Und alles nur, um deine geliebte Detective Yin zu finden! Fuck! Die Hexe hatte eine Lektion verdient! Und du auch!" Außer sich vor Zorn schreit der Joker auf und nun fliegt die Karaffe in Bruce' Richtung. Dieser fängt sie diesmal jedoch rechtzeitig auf, und darüber ist Alfred wirklich erleichtert. Das gute Stück besitzt einen hohen ideellen Wert, weil es Bruce' verstorbener Mutter gehörte. Leider überhört Bruce wieder mal das Wichtigste in Jokers kleiner Ansprache. „Ellen hat dir nie etwas getan! Niemand hat dir je etwas getan. Immer bringst du Unschuldige in Gefahr! Immer ruinierst du die Leben anderer! Und ich werde dich jedes Mal daran hindern. Und es ist mir egal, was ich dafür machen muss! Ob ich dafür in deinen Kopf gehen, dich verprügeln oder einsperren muss! So lange ich lebe, werde ich dich aufhalten!" „Sie sind nicht unschuldig! Niemand von ihnen!" „Ach ja? Was hat dir Ellen getan, dass du sie allein im letzten halben Jahr dreimal entführt hast? Du wolltest sie in die Luft sprengen!" „Was regst du dich auf?" höhnt Joker und verschränkt die Arme vor der Brust. In Alfreds Augen sieht er aus wie eine eifersüchtige Ehefrau. „Du hast sie doch immer rechtzeitig gerettet. Du Held!" „Und was hat dir Ethan getan?" „Wer?" „Ethan Bennett. Clayface! Er war mein Freund und du hast aus ihm ein Monster gemacht!" „Der korrupte Cop?" „Er war nicht korrupt!" Joker gibt nur ein verächtliches Schnauben von sich. „Wie schade, dass du dir selbst im Wege stehst, nicht wahr? Du würdest mich so gerne für all das umbringen." „Nein. Du tust mir einfach nur leid." „Du tust mir leid. Du bist genauso blind wie alle anderen." Bevor noch irgend etwas anderes geworfen werden kann oder gar die Fäuste fliegen, ertönt der durchdringende Signalton des Batarings. Instinktiv greift Bruce nach seiner Hosentasche. „Ja“, knurrt Joker und macht eine abschätzige Geste, „geh ruhig ran. Auch wenn ich nicht weiß, was Commissioner Gordon von dir will, schließlich bin ich doch hier.“ „Die Welt dreht sich nicht nur um dich“, zischt Bruce, zieht das kleine Gerät aus seiner Hosentasche und wirft einen Blick auf das Display. Für einen Moment ist er wirklich versucht, ungläubig aufzulachen, denn die kurze Nachricht besagt ihm, dass Gordon tatsächlich über den Joker mit ihm sprechen möchte. Da er aber seiner grünhaarigen Nemesis diesen Triumph nicht gönnen will, setzt er eine betont gleichgültige Miene auf. Eigentlich will er sich nicht in sein Batman-Outfit zwängen, er hatte sich auf einen Abend ohne den dunklen Ritter gefreut, aber die Vertrauensbasis zwischen ihm und den Commissioner ist noch zu zerbrechlich. Er kann ihn nicht enttäuschen, nicht jetzt, wo die Polizei endlich beginnt, in ihm eine Unterstützung, eine Hilfe zu sehen. Und dazu musste er nur ein paar mal Detective Yin retten – wenn das mal nicht ironisch war. Ausgerechnet dem Joker und dessen Übergriffen auf Polizisten hat er es zu verdanken, dass der Polizeichef nun Batman vertraut. „Batman muss los“, entschuldigt er sich bei Alfred. „Natürlich, Master Bruce“, ertönt Alfreds Stimme hinter ihm. Irritiert dreht sich Bruce um und sieht seinen Butler im Türrahmen stehen, eine Kehrschaufel und einen Handfeger in den Händen. Der Brite lächelt nachsichtig. Sein junger Arbeitgeber und dessen Erzfeind waren so sehr damit beschäftigt, sich ihre gegenseitige Antipathie unter die Nase zu reiben, dass keiner von ihnen bemerkt hatte, wie er den Tisch verließ und kurz in die Küche ging. „Wir kommen schon zurecht“, erklärt Alfred und zwinkert dem Joker zu. „Unser Gast hier putzt jetzt erst einmal die Bescherung weg, die er verursacht hat und dann stecke ich ihn zurück in seine Zelle.“ Zu Bruce‘ großer  Überraschung – und Alfreds nicht ganz so großer – lässt sich der verrückteste Kriminelle Gothams widerspruchslos Schaufel und Feger in die Hand drücken und geht damit hinüber zu den Scherben seines Dinners. „Bekomme ich eine Luftmatratze oder wenigstens eine Iso-Matte?“ fragt er  währenddessen. „Das Felsgestein wird langsam unbequem und in diesen Klamotten spüre ich jede Unebenheit. Und besteht die Chance, dass ich irgendwann mal wieder meine eigenen Sachen tragen kann? Ich vermisse meinen Mantel.“ Es ist wirklich erstaunlich, wie abrupt seine Stimmungen wechseln. Ungläubig schüttelt Bruce den Kopf. Er zögert, er traut den Frieden nicht. vielleicht sollte er doch noch die paar Minuten abwarten und den Joker dann selbst in die Zelle zurückbringen. Doch dann begegnet er Alfreds auffordernden Blick und gibt nach. So merkwürdig es klingt – Alfred scheint den Joker absolut im Griff zu haben. Warum aber fühlt sich Bruce bei diesem Gedanken dann so unwohl? *** Kapitel 5: Kapitel 5 - 7 ------------------------ 5. Kapitel Im Vernehmungsraum des Gothamer Polizeihauptquartiers flackert das übliche helle Neonlicht. Es verursacht Kopf-schmerzen, doch Batman lässt sich nichts anmerken. Vielleicht ist seine Miene etwas stoischer als sonst, aber er bezweifelt, dass der Mann ihm gegenüber das als das erkennt, was es wirklich ist: Kopfschmerzen und absolute Langeweile. Batman wünschte, er wäre wieder zurück im Manor. Das hier ist die reinste Zeitverschwendung. Lieber ärgert er sich wei-terhin mit dem Joker herum. Der Streit mit ihm vorhin, der hat richtig gutgetan - nicht, dass Batman das jemals offen zu-geben würde, aber er liebt es, seine Nemesis auf hundertachtzig zu sehen. Das gefällt ihm viel besser, als Jokers momentan so passives Verhalten. Der Joker ist laut, chaotisch, und immer irgendwie in Bewegung, aber niemals so still und leise und ruhig wie in letzter Zeit. Das ist einfach nicht richtig. Eine Bewegung vor ihm auf der anderen Seite des festgeschraubten Metalltisches reißt ihn aus seinen Gedanken. Dort sitzt der Pinguin, rückt sich sein Monokel gerade und beobachtet ihn mit deutlichem Widerwillen. Batman ist leicht amüsiert - immerhin war es doch der Pinguin, der dieses Gespräch hier wollte. „Also, Cobblepot, du weißt etwas über den Joker, das du mir unbedingt sagen musst?" Der zu klein und kompakt geratene Mann vor ihm nickt gewichtig. „Allerdings. Obwohl du es nicht verdient hast, nachdem du mich so hast hängen lassen. Wenn du den Mumm gehabt hät-test, meine Geschichte zu bestätigen, hätte mir das einige peinliche Therapiestunden erspart." Er klingt bitter und feindselig, aber das ist nichts Neues. Obwohl ihm Batman in diesem Falle Recht geben muss. Wenn auch nur ein kleines bisschen. Aber es war einfach zu lustig gewesen, zuzusehen, wie der Pinguin im unbarmherzigen Griff der Polizisten vom Friedhof geführt wurde und dabei etwas von Vampiren schrie. Natürlich glaubte ihm niemand. Die Ärzte in Arkham dürften einen Riesenspaß gehabt haben. „Eine zusätzliche Therapie sollte dir nicht geschadet haben", erklärt er trocken. „Außerdem - wenn ich das richtig sehe, haben deine Anwälte dich doch schon längst freigeboxt." „Ja. Haha", kommt es übelgelaunt zurück. Mit einer für seine Größe und Statur erstaunlichen Gelenkigkeit hebt der Pingu-in sein rechtes Bein und platziert seinen Fuß auf der Tischkante, rollt sein Hosenbein höher und deutet vielsagend auf seinen Unterschenkel, an dem ein kleines Gerät festgeschnallt ist. „Hier, ich stehe jetzt unter Hausarrest." Batman kann sich nur wundern, was alles möglich ist, wenn man nur genug Geld für die richtigen Anwälte besitzt. Aber er ist damit zufrieden. Die größte Strafe für Oswald Chesterfield Cobblepot war es schon immer, wenn man ihm nicht glaub-te. Und im Grunde war er ja auch ein Opfer von Dracula - wenn er auch nicht gebissen und transformiert wurde, sondern „nur" unter dessen Bann stehend als Sargwächter diente. Trotzdem - dieses Gespräch beginnt, ihn wirklich zu langweilen. „Komm zur Sache, Pinguin." „Zur Sache? Ja, gut, ich komme zur Sache. Die Sache ist, dass da draußen ein gefährlicher Irrer frei herumläuft, der dies-mal noch gefährlicher ist als sonst." Er stellt seinen Fuß wieder auf die Erde und verschränkt beide Arme vor der Brust. „ Aber mir kann das ja egal sein, wenn ich zuhause in Sicherheit sitze." „Wirklich? Für mich klingt das eher, als wünschst du dich nach Arkham zurück. Hinter dicke Mauern und sichere Türen." „Vielleicht. Vielleicht auch nicht." „Ist das die wichtige Information, wegen der du mit mir reden wolltest? Dass der Joker gefährlich ist und frei herumläuft?" Doch dann sieht Batman den Gesichtsausdruck des Pinguins und sein Ärger verfliegt. Interessiert beugt er sich etwas weiter nach vorne und mustert seinen ärgsten Feind neben dem Joker durchdringend. „Sehe ich da etwa Furcht in deinem Gesicht? Seit wann fürchtet der Pinguin den Joker?" Cobblepot schluckt einmal schwer und rückt sich nervös das Monokel zurecht. Er widerspricht Batman nicht, auch, wenn das seinen Stolz verletzt. Ihn und den Joker verbindet eine jahrelange Feindschaft, die mehr auf Konkurrenzdenken als auf wirklicher Antipathie beruht. Es gab sogar schon Situationen, da haben sie einträchtig zusammen gearbeitet - auch wenn sie sich niemals gegenseitig vertrauen können, haben sie gelernt, einander zu respektieren. Auch Dank einiger gemeinsamer Schachpartien im Arkham Asylum. Das Problem ist nur: Cobblepot respektiert den Joker auf dieselbe Art und Weise, wie er ein gefährliches Raubtier respek-tiert. Nicht mehr und nicht weniger. Und zur Zeit eher weniger. „Wenn du schlau wärst, würdest du ihn auch fürchten." Der Pinguin räuspert sich einmal und wirft einen schnellen Blick hinüber zu dem Spiegel an der Wand, hinter der, wie jeder weiß, immer ein oder mehrere Polizisten stehen und sie ganz genau beobachten. Deshalb senkt er auch die Stimme zu einem Flüstern. „Du und ich, wir wissen, dass Vampire existieren, dass Graf Dracula existiert hat. Sag, Batman, als du in den Katakomben warst und gegen Draculas Kinder gekämpft und ihnen dein Gegenmittel gegeben hast, war unter ihnen auch der Joker?” „Nein", erwidert Batman ehrlich und hält ein Lächeln zurück. Natürlich nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Joker schon längst geheilt. Auch wenn er damals, als er sich gegen Draculas Opfer wehrte, angenommen hatte, dass der grünhaa-rige Harlequin of hate schon längst auf und davon wäre, schließlich hatte er die Zellentür absichtlich offen gelassen. Ich habe immer noch keine Antwort von ihm erhalten, wieso er nicht getürmt ist, fällt ihm plötzlich ein. Er beschließt, das so bald wie möglich einzufordern. „Natürlich nicht!" Pinguins triumphierende Stimme holt ihn zurück in die Gegenwart. „Und in Arkham ist er auch nicht, sonst wäre ich ihm gestern und heute da begegnet. Da draußen läuft immer noch ein Vampir herum, Batman! Und er ist nicht irgend ein Vampir." Batman verbeißt sich ein Lachen. Dieses Gespräch wird ja immer besser. „Der Joker?" erkundigt er sich betont skeptisch. „Ein Vampir?" „Nicht irgend ein Vampir", wird er in verschwörerischen Tonfall verbessert. Nun lehnt sich auch der Pinguin etwas nach vorne und Batman sieht die Angst in seinen Augen. „Nicht so wie die anderen armen Teufel. Weißt du, was er gemacht hat, als der Graf ihn biss? Er biss zurück." Batman blinzelt verblüfft. „Ja, da staunst du, was?" zischt Copplepot. „Dracula staunte auch. Er hatte sie alle unter Kontrolle, nur ihn nicht. Höchs-tens sporadisch. Wenn überhaupt. Wahrscheinlich ist die Stimme des Blutsaugers unter all den anderen in Jokers Kopf einfach untergegangen. Und er läuft da draußen immer noch frei herum." „Dracula ist nur noch ein Häuflein Asche. Jeder, den er gebissen hat, ist geheilt. Und jeder, der unter seinem Bann stand, auch." „Hast du mir nicht zugehört, Flattermann? Der Joker hat den Grafen zurückgebissen! Kennst du denn gar keine Vampirge-schichten? Wenn der Meistervampir von einem Opfer gebissen wird, wird dieses selbst zu einem Meister!" Batman winkt ab. Natürlich hat er sich informiert - und das nicht zu knapp. „Das ist nur eine Legende unter Tausenden." Cobblepot starrt ihn an, er zittert vor Wut. Er kann es wirklich nicht ausstehen, wenn man ihn nicht so ernst nimmt, wie er es gerne hätte. „Gott, ich hoffe, du findest ihn und er zerfleischt dich!" Batman erhebt sich wortlos und geht zur Tür. Der Pinguin wirft ihm noch ein paar sehr kreative Beleidigungen hinterher, doch der maskierte Ritter lässt sich nicht davon provozieren. Er hat genug zu tun, nicht laut herauszulachen. Denn - mal ehrlich: die Vorstellung dass Joker den Vampir aller Vampire rotzfrech zurückgebissen hat, ist doch einfach nur herrlich! Er geht in den kleinen Beobachtungsraum hinter dem Spiegel, wo ihn Commissioner Gordon und Detective Yin erwarten. Der Anblick der bildschönen, dunkelhaarigen Polizistin ist wie ein Lichtblick, erst recht, wenn sie ihn so anlächelt wie jetzt. In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, wäre aus ihnen vielleicht ein Paar geworden, aber hier und jetzt sind sie nur gute Freunde. Wenigstens heute Nacht wird ihr der Joker nichts antun können, schießt es ihm in Erinnerung an die keine Stunde zurück-liegende Diskussion durch den Kopf. Wenigstens heute Nacht sind sie alle vor ihm sicher. Eine weitere Nacht ohne den Clown Prince of Crime für Gotham. „Glauben Sie ihm?" reißt ihn Gordons Stimme aus seinen Gedanken. „Dieses ganze Gerede von Vampiren und so?" Der Polzeichef klingt eher besorgt als belustigt. Auch wenn er den Aussagen des Pinguins keinen Glauben schenken mag, hat auch er schon zu viel gesehen und erlebt, um so etwas von vorneherein ad acta zu legen. „Ich glaube ihm, dass der Joker gefährlich ist", erwidert Batman schlicht. „Wir haben eine Spur vom Joker", wirft da Detective Yin ein. „Heute Morgen kam ein Anruf von einer Polizeiwache aus Blüdhaven. Ein Fischer gab dort zu Protokoll, den Joker vor sechs Tagen mit dem Netz vor der Bucht aus dem Wasser gefischt zu haben. Der arme Mann stand noch immer halb unter Schock." „Gut, dann werde ich dort mit meiner Suche anfangen", sagt Batman, während er innerlich frohlockt. Einem Fischer bist du also ins Netz gegangen? Na, sieh mal einer an. Und dann? Die Blüdhaven Bucht ist hundertfünfzig Meilen entfernt. Bist du den ganzen Weg zurück nach Gotham gelaufen? Wieso? Wieso bist du zurück gekommen? Ich hielt dich für tot. Das war doch die Gelegenheit für dich. Was bedeutet dir Gotham, dass du immer wieder zurückkommst? Er wechselt noch ein paar freundliche, aber belanglose Worte mit Commissioner Gordon und Detective Ellen Yin, bevor er sich schließlich verabschiedet. Aber er führt nicht sofort zurück in die Bathöhle. Er muss nachdenken, und zehn Meter über der Straße, auf dem denkmalgeschützten Museum neben einem steinernen Wasserspeier ist dafür genau der richtige Ort. Von hier oben sehen die Menschen und Fahrzeuge klein aus, aber noch nicht unbedeutend. Die Nacht ist gerade angebrochen, die letzten Pendler sind genauso unterwegs wie die ersten Nachtschwärmer. Gegenüber lockt das Theater elegant gekleidete Frauen und Männer zur Abendvorstellung, manche fahren sogar mit ihren Limousinen vor. Das sind die Kreise, in denen er sich als Bruce Wayne bewegt, aber er hat dafür schon längst nur noch ein müdes Lächeln übrig. Wirklich wohl fühlt er sich nur, wenn er Spenden für Bedürftige sammelt oder in der Maske Batmans seine Stadt beschützt. Wenn er Gutes erwirken kann. Gutes erwirken… Der Gedanke, der ihn schon seit Stunden quält und den er bisher erfolgreich unterdrückte, drängt nun endlich an die Ober-fläche. Machtvoll und mit sehr, sehr scharfen Zähnen. Jokers Worte sind nicht an ihm abgeprallt, es ist ihm nicht einmal gelungen, sie erfolgreich zu überhören. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten seine Gefühle die Oberhand. Es ist alles wieder hochgekocht, wie immer, wenn jemand Ethan Bennetts Namen erwähne: Seine Wut, aber vor allem seine Enttäuschung darüber, was aus seinem ehemaligen Freund geworden ist. Trotz allem hatte Ethan ab einem Punkt die Wahl, als Clayface hat er die Fähigkeit, jede beliebige Gestalt anzunehmen und mit viel Training war es ihm auch gelungen, in seinem alten Körper stabil zu bleiben. Tagelang. Er hätte den Rest seines Lebens als Ethan Bennett verbringen können, doch letztendlich entschied er sich für einen anderen Weg, entschied sich für Clayface, für Rache und Kriminalität. Und es war unfair von ihm – Batman - dafür allein den Joker verantwortlich zu machen. Der Joker war für Ethans Zustand verantwortlich, aber nicht für dessen Entscheidungen. Ob es das ist, was er immer meint, wenn er vom Chaos spricht? Er löst Ereignisse aus, stürzt uns über die metaphorische Klippe und steht dann einfach da und beobachtet, was aus uns wird? Beobachtet, welchen Weg wir einschlagen? Ethan. Harleen Quinzel. All die vielen Namenlosen, die er überfüllt und terrorisiert? Verteidigen sie sich, verteidigen sie ihre Familien, werden sie zu Helden oder zu Feiglingen? Aber was ist mit denen, die er tötet? Den Unschuldigen? Was meint er damit, wenn er immer sagt, sie sind nicht unschuldig? Gutes erwirken ... der Gedanke bringt sich wieder in Erinnerung, und er bemerkt, dass er schon wieder abgeschweift ist. Es ist wie ein Abwehrreflex. Doch diesmal bleibt er dabei. Ich bin Batman. Ich versuche, Gutes zu bewirken. So gut ich kann. Aber nicht um jeden Preis ... oder? Doch! Die Erkenntnis wirkt wie ein Schlag in den Magen. Wenn es um jemanden geht, der ihm nahe steht, verliert er seine Zurückhaltung. Das macht ihn zwar menschlich, aber er ist der dunkle Ritter Gothams, nicht der dunkle Rächer. Bin ich übereifrig? Bin ich grausam? War ich eben nicht auch grausam, als ich Cobblepot gegenüber so tat, als würde ich ihm nicht glauben, genau wissend, dass es ihn härter trifft als jeder Schlag von mir? Ethan gegenüber bin ich immer viel nachsichtiger. Bei ihm versuche ich immer noch, das Gute in ihm zu sehen. Und was ist mit dem Joker? Ich habe damals nicht eine Sekunde daran gedacht, was es für ihn bedeuten könnte, wenn ich in seinen Geist eindringe. Würde das jemand mit mir machen, würde es sich für mich nicht auch die rücksichtslose Über-tretung einer roten Linie bedeuten? Ein Eindringen in meine Privatsphäre? Eine ... Vergewaltigung? Batman schluckt einmal schwer. Er fühlt sich immer schlechter. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Joker ihm schon sehr früh einen Hinweis darauf gegeben hatte, wo er Detective Yin gefangenhielt. Cobblepot hatte ganz recht. Ich höre nicht richtig zu. Batman beschließt, das zu ändern. Mit diesem guten Vorsatz macht er sich auf den Heimweg. *** Er schläft ohne vorher sediert worden zu sein oder sich völlig verausgabt zu haben. Schon das allein ist bemerkenswert. Noch viel bemerkenswerter allerdings ist die Tatsache, dass er auch träumt. In seinen Träumen ist er stark. Stärker als sonst. Stärker als Batsy. In seinen Träumen schleudert er Batsy einmal quer durch den Raum und ist verblüfft über seine eigene Stärke. Und er kann die Wände hochklettern wie Spiderman. Aber vor allem sind seine Träume voller Blut. Er spürt es. Er riecht es. Aber vor allem schmeckt er es. Und er kann es noch immer auf seiner Zunge schmecken, als er die Augen öffnet. Süß und warm und metallisch zugleich. Aber das ist falsch. Er weiß, wie Blut schmeckt, und es hat noch niemals so gut geschmeckt. So … dunkel. Wie die Fins-ternis selbst. Als wäre jeder einzelne Tropfen einen Schritt weiter hinunter ins sichere Verderben. Es ist der falsche Pfad. Wenn er sich schon fürs Verderben entscheiden muss, dann definitiv nicht dieses. Falsch. Einfach nur falsch. In seiner Zelle liegt der Joker auf dem Rücken und starrt mit weitgeöffneten, leeren Augen ins Nichts. Seine Atmung ist heftig und schnell, als hätte er gerade einen schweren Kampf mit Batman hinter sich. Schweiß glitzert auf seiner Stirn und aus seiner Kehle kommt ein tiefes Grollen, während sich seine Finger so fest in den felsigen Untergrund krallen, dass die Nägel splittern. Er sieht nicht die Gitterstäbe oder die Höhlendecke über sich, er sieht nur dieses blasse Gesicht mit den aristokratischen Gesichtszügen, die zwingende Kraft in diesen hellen Augen und die spitzen Zähne hinter dem triumphierendem Lächeln. Joker hasst dieses Gesicht, hasst es mit jeder Faser seines Körpers, denn dieser Kerl war in seinen Gedanken, in seinem Kopf und hat versucht, ihn zu kontrollieren! Hat versucht, ihn zu beherrschen! Hat ihm Bilder gezeigt. Erinnerungen. Davon, wie er gegen seinen Batsy kämpfte. Hat ihm gezeigt, was er mit seinem Batsy vorhatte! Aber niemand niemandniemandniemand nimmt ihm seinen Honeycake weg! Und niemand niemandniemandNIEMAND kontrolliert den Joker! Schmor in der Hölle, Bastard! Aber das tust du ja schon längst, nicht wahr? Jokers Lippen verziehen sich zu einem zufriedenen Grinsen. Er erinnert sich wieder. Sein Batsy-Honeycake hat diesen arroganten Graf Dracula besiegt. Gut. Sehr gut. Der Pfad wurde nicht verlassen. Erleichtert schließt er die Augen. Sein Puls beruhigt sich wieder. Als er das nächste Mal das Bewusstsein wiedererlangt, nicht erwacht, neineinein, wach ist er schon etwas länger, ganz offensichtlich, sind seine Hände feucht und dieser Geruch hängt in der Luft. Auf seiner Zunge liegt wieder dieser kupferne Geschmack. Und oh ja, er ist durstig. Wieder. War er irgend wann einmal nicht durstig? Seine Fingerspitzen pochen im Takt seines Herzens. Oh, er mag dieses Gefühl, wenn der Schmerz so niedrig, aber konstant und lang anhaltend bleibt. Ganz verloren in diesem Gefühl knabbert und nuckelt er weiter an den ruinierten Fingerspitzen seiner rechten Hand herum, während er mit der Linken über sich in der Luft das wispernde Orchester dirigiert, das niemand außer ihm hören kann. Zumindest trifft das auf die meisten Menschen zu, einige scheinen es doch irgendwie wahrzunehmen, denn manchmal wird eine neue Single von einem Musiker, einer Band oder einem Interpreten veröffentlicht, auf der er dann einige dieser Akkorde wiedererkennt. Die Melodie ist immer anders, stets im Fluss, wie das nun mal so ist mit dem Leben; und meist ist sie nicht mehr als ein Hintergrundrauschen, wenn sie jedoch lauter wird, anschwillt wie ein Fluss nach der Schneeschmelze, dann kann er gar nicht mehr anders: er muss zuhören. Mitsingen. Mittanzen. Oder, so wie jetzt, die farbenfrohen Noten in der Luft nach-zeichnen. Zuzusehen, wie sich sein Blut mit den lustig flackernden Farben vermischt, verursacht ihm ein Hochgefühl, wie er es sonst nur vom Crackrausch her kennt. Und dann, ganz plötzlich, verkrampft er sich unter einer unerwarteten Hitzewelle. Oh. Ob er deswegen solchen Durst hat? Er will gerade darüber nachdenken, als er dieses andere Gefühl spürt. Es ist altbekannt und immer willkommen, als würde eine innere Saite von ihm zum Klingen gebracht. Das Orchester, eben noch Crescendo, wird wieder zu einem Wispern. Mit einer einzigen fließenden Bewegung richtet er sich in eine kniende Position auf und legt lauschend den Kopf schief. Das Röhren des Motors ist noch in weiter Ferne, noch wird es vom Rauschen des Wasserfalls übertönt. Um seine Lippen zuckt ein verzücktes Lächeln. „Batsy is home." *** In der Bathöhle erwartet ihn die vertraute Stille. Jedenfalls für die ersten drei Sekunden, bis er sich aus dem Batmobil ge-schwungen hat. Bis er die Fahrertür hinter sich schließt. Es ist, als wäre das leise Klicken ein Startschuss gewesen. „Bist du das, Batsy?" schallt es durch sein Refugium. „Hmmm, ich weiß, dass du es bist! Ich habe Durst! Hey, Zimmerser-vice!" Und schon weht dieses manische Lachen zu ihm hinunter. Aufseufzend schiebt sich Batman seine Maske wie eine Kapuze in den Nacken und massiert sich die Nasenwurzel. Nicht ausflippen, beschwört er sich. Gaaaaanz ruhig bleiben. Er atmet ein paar Mal tief durch, wie er es von seinen Meditationsübungen her kennt und geht zurück zu seinem Batmobil. Aus dem Handschuhfach holt er eine kleine 0,5 l Wasserflasche und macht sich damit dann auf den Weg nach oben zu den Zellen. Jokers Stimme, durchdringend wie immer, begleitet ihn den ganzen Weg über, eine einzige Folge spöttischer Bemerkungen und wahrlich kreativer Schimpfnamen. Und ja, Bruce ist grausam, aber diesmal mit voller Absicht, denn er nimmt den längeren, den langsameren Weg. „So, Joker", ruft er, dessen Litanei mühelos übertönend, „da bin-" Er stockt mitten im Satz und bleibt wie angewurzelt stehen. Seine Augen weiten sich fassungslos, als er sieht, was ihn erwartet. „Batsy." Jokers Stimme ist das reinste Schnurren, als er sich an den Gitterstäben in die Höhe zieht. Dort, wo seine Hände das Metall berühren, hinterlassen sie feuchtglänzende, rote Abdrücke. Seine Hände sind so vollständig mit Blut besudelt, dass es aussieht, als trage er scharlachrote Handschuhe. „Hey, Honeycake." Er drückt sein Gesicht an die Gitterstäbe und lächelt. Eine unheimliche Grimasse, denn Lippen und Kinn sind blutverschmiert und überall dort, wo er sich mit den Fingern durchs Gesicht gefahren ist, blühen rote Schmier-flecken. Beinahe flehend streckt er den rechten Arm durchs Gitter. „Ich habe Durst!" *** Alfred kann nicht schlafen. Das ist ein Zustand, an den er sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre gewöhnt hat. Es ist der Preis, den er dafür zahlt, den Wayne-Erben quasi als seinen eigenen Sohn aufzuziehen. Zuerst waren da diese Nächte, in denen er die Alpträume und Monster unter dem Bett eines Kindes verscheuchen musste, später kamen die Zeiten, wo er aufblieb, darauf wartend, dass ein Teenager von wilden Partys zurückkehrte und jetzt wartet er ebenfalls, einen erste-Hilfe-Koffer immer griffbereit, auf Batmans Rückkehr. So etwas wie ein Privatleben kennt er nicht, und er vermisst es auch nicht. Der Junge brauchte ihn damals, die Scheidungspapiere waren schon unterschrieben und seine Frau mit den Kindern auf dem Weg nach Florida. Sie haben noch Kontakt und er besucht seine Kinder regelmäßig, doch das ist alles an Privatleben, was er braucht. Das Leben mit einem Mann wie Bruce Wayne ist aufregend genug. Und jetzt, wo sich auch noch der Joker dazugesellt, erst recht. Nachdenklich rührt Alfred den Zucker unter seinen Tee und setzt sich dann an den Küchentresen. Nicht zum ersten Mal fragt er sich, wann Bruce, eigensinnig wie er ist, endlich auch erkennt, was für ihn so offensichtlich ist. Bruce' Trauer um den Joker, als er dachte, dieser sei tot, hatte nichts mit Selbstvorwürfen über eine misslungene Rettung zu tun, genauso wenig wie dessen Freude über Jokers Rückkehr. Oder Bruce' Entscheidung, die Zellentür offen zu lassen. Und all diese vorgeschobenen Gründe, wieso er ihn jetzt hier behält ... Alfred seufzt leise auf. Wann wird er es sich endlich eingestehen? Das für morgen geplante zweite Date mit Vicky Vale bereitet dem treuen Butler daher erhebliche Kopfschmerzen. Er be-fürchtet, dass sich sein junger Freund in etwas stürzt, nur, um seinen wahren Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Das wird ihn nur ins Unglück stürzen. Und was es für den Joker bedeuten mag, will er sich gar nicht erst vorstellen. Der Mann ist absolut besessen. Sein ganzes Denken, sein ganzes Streben dreht sich seit ihrem ersten Kampf nur noch um Batman. Und seit er weiß, wer sich hinter Maske und Cape verbirgt, auch noch um Bruce Wayne. Deshalb ist es so leicht, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann genau er begriff, wer Batman ist - ab dieser Sekunde drehten sich fünfundneunzig Prozent seiner kriminellen Aktivitäten um den Wayne-Erben. Er raubte dessen Partygäste aus, entführte dessen Freunde, entführte Bruce Wayne selbst und sprengte quasi alles in die Luft, was auch nur annähernd mit Wayne Industries zusammenhing. Es fiel nur deshalb nicht auf, weil es in dieser Stadt quasi nichts gibt, was nicht irgendwie mit Bruce Wayne in Verbindung steht. Was wird er erst anrichten, wenn er hautnah miterlebt, wie Bruce zu seinem Date geht? Alfred weiß, dieser Gedanke ist unfair, aber er hofft dennoch, dass der Joker, der in seinen Augen eindeutig eine Krankheit mit sich herumschleppt, morgen Abend schon zu schwach sein wird, um überhaupt zu bemerken, dass Bruce ausgeht. Aber am allerliebsten wäre es ihm, wenn die beiden - der eine zu ignorant und der andere zu obsessiv - endlich aufhören würden umeinander herumzutanzen. Er weiß zwar nicht, wie das gut enden könnte, aber es wäre zumindest ein Anfang. Himmel hilf— habe ich das eben wirklich gedacht? Fange ich etwa an den Joker ... zu mögen? Ja, bin denn ICH jetzt verrückt geworden? „Alfred!" Bruce' aufgeregte Stimme, die aus dem Funkgerät dringt, das er immer wenn Batman unterwegs ist, bei sich trägt, reißt ihn aus seinen Gedanken. „Ja, Master Bruce?" meldet er sich alarmiert. Er glaubt, am anderen Ende ein erleichtertes Aufatmen zu hören. „Geht's dir gut, Alfred?" „Ja, Master Bruce", entgegnet der Butler stirnrunzelnd. Sicherheitshalber steht er schon einmal auf. Es macht ganz den Anschein, als werde seine Anwesenheit in der Bathöhle benötigt. Und tatsächlich... „Ich brauche hier unten deine Hilfe, alter Freund. Und ... bring Knoblauch mit." „Knoblauch, Bruce?" Alfred spürt, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunterläuft. Oh nein, bitte nicht SCHON WIEDER. *** 6. Kapitel Es ist schlimmer als es jeder Schmerz sein könnte. Sein gesamtes Inneres krampft sich vor Abscheu zusammen, und ehe er es sich versieht, spuckt, hustet und würgt er die wenigen Schlucke Wasser, die er eben zu sich genommen hat, in hohem Bogen wieder aus. Es ist ein reiner Schutzreflex, der ihn dazu zwingt, die Wasserflasche – diese Ursache seiner Probleme – von sich zu schleudern. Doch er bereut es noch im selben Moment, denn er ist so verdammt durstig! Und dennoch schnürt ihm nur allein der Gedanke an Wasser die Kehle zusammen und verwandelt seinen Magen in einen heißen Knoten. Frustriert aufschreiend fällt er auf die Knie. Seine Hände zucken hoch zu seinen Haaren, verkrallen sich in seinen Dread-locks und beginnen, daran zu ziehen. Es ist der verzweifelte Versuch, den einen Schmerz mit einem anderen zu ersetzen, der kontrollierbarer ist. Aber letztendlich ist es doch nicht der Schmerz, der ihm Erleichterung verschafft, sondern etwas viel Simpleres. Es beginnt mit der Präsenz eines großen, starken Körpers neben ihm, der den unverwechselbaren Geruch von Honig und Mandeln mit sich bringt und endet mit dem Gewicht einer Hand auf seiner Schulter. Er hört auf an seinen Haaren zu ziehen und dreht den Kopf. Leuchtend blaue Augen bohren sich in seine und die Welt – seine Welt – hört auf, sich zu drehen. Und sie dreht sich erst weiter, wenn auch quälend langsam, als sein ganz persönlicher dunkler Ritter die Hand ausstreckt und sein Gesicht berührt. *** Scharlachrotes Blut auf weißer Haut. Obwohl er diesen Anblick von ihren Kämpfen her kennt, ist das Gefühl, das dieser Anblick diesmal bei ihm auslöst, ein grundlegend anderes. Es schmerzt ihn, den Joker so zu sehen. Eine behandschuhte Hand berührt vorsichtig ein spitzes Kinn und wischt mit dem Daumen etwas von dieser scharlachroten Flüssigkeit beiseite. Doch er macht es nur noch schlimmer. Noch mehr Rot auf weißer Haut. Rubinrote Augen bohren sich bei dieser Berührung in seine azurblauen, ein leiser, kaum wahrnehmbarer Atemzug zittert zwischen ihnen, und dann entwindet sich der Joker seinem Griff und dreht seinen Kopf beiseite. Er starrt hinüber zu der Wasserflasche, die jetzt außerhalb der Zelle liegt und deren Inhalt im Felsen versickert. „Ich habe Durst." Seine Stimme ist nur ein Hauch, so schwach, dass Batman ihn kaum verstehen kann, doch in ihr steckt die ganze Verzweiflung einer gemarterten Seele. Und dann, mit diesem unheimlich abwesenden Ausdruck auf dem Ge-sicht, führt er seine rechte, blutende Hand hoch zu seinem Mund. Batman schluckt einmal schwer. Das, was er den ganzen Tag über krampfhaft beiseite geschoben hat, worüber er nicht eine Sekunde lang nachdenken wollte, ist plötzlich wieder präsent. Das Gefühl von Jokers weichen Lippen auf seinen eigenen, seine Wärme, sein Duft, die Art, wie er unter seinen Finger-spitzen erzitterte, wie heiß und schwer er sich in seiner Hand anfühlte ... das alles war einfach nur perfekt. Für einen kleinen, nur allzu flüchtigen Augenblick war es einfach nur perfekt. Ein perfekter, sorgenloser Augenblick, der Freiheit suggerierte, fern von allen Verpflichtungen und Nöten, wo er einfach nur er selbst sein konnte. Nicht Bruce Wayne und auch nicht Batman. Sondern einfach nur... er selbst. Er und der Joker, gefangen in einem Mikrokosmos, wo außer ihnen beiden nichts mehr zählte. Aber das ist falsch, weil das Universum so nun einmal nicht funktioniert. Sie leben beide in völlig unterschiedlichen Welten - der Joker sogar in einer völlig andersgearteten als der Rest der Menschheit - und sie begegnen sich nur dann, wenn sich ihre Wirkungskreise überschneiden, wenn Joker ein Gesetz über-tritt und Batman einschreitet, wenn sie gegeneinander bis aufs Blut bekämpfen. Außerhalb dieser Begegnungen wissen sie nichts von dem anderen. Wobei der Joker allerdings dank Bruce Waynes ständiger Medienpräsenz im Vorteil sein dürfte - es gibt genug Artikel, in denen das Privatleben von Gothams beliebtesten Playboy ausgeschlachtet wird. Und das lässt Bruce instinktiv Distanz bewahren. Es verursacht ihm einfach ein flaues Gefühl im Magen, zu wissen, dass der Joker Batmans Identität schon seit Jahren kennt, dass er alles über Bruce Wayne erfahren kann - und dafür ist nicht mehr nötig als seinen Namen einmal in einer Internetsuchmaschine eingeben zu müssen - während er selbst noch immer ein Buch mit sieben Siegeln ist. Natürlich ist Bruce selbst daran schuld, alles, was ihn an dem Joker je interessierte, waren dessen Pläne und wie er diese vereiteln kann. Joker ist das große Unbekannte, das unberechenbare Etwas, gefährlich und gerissen wie ein Raubtier, ein manipulativer Bastard, ein psychotischer Sadist mit einem abartigem Sinn für Humor - kurz: niemand, mit dem man sich länger beschäftigen sollte als unbedingt notwendig. Niemand, von dem man will, dass er weiß, wo man wohnt. Und noch viel weniger jemand, in dessen Nähe man Herzklopfen bekommen sollte - außer vor Angst natürlich. Und das ist der Zwiespalt, in dem sich Bruce befindet, wieso er ihn niemals, niemals! zu nahe an sich herankommen lassen darf. Doch ihn jetzt hier so verletzlich zu sehen, blutend, verzweifelt und mit diesem unverständlichen Hang zur Selbstver-stümmelung (und so ernst, so ungewohnt ernst, nie hätte er das gedacht, aber er vermisst Jokers Lachen), lässt Bruce keine Sekunde mehr zögern. Er handelt rein instinktiv. Als er sieht, wie der Joker an seinen Fingern zu saugen beginnt, während seine andere Hand auch schon hoch zu seinem Mund wandert, um der ersten dort Gesellschaft zu leisten, greift er ein. „Nicht", erklärt er leise. „Bitte nicht." Behandschuhte Finger legen sich behutsam, aber dennoch unnachgiebig um die Handgelenke des Jokers und ziehen dessen Gliedmaßen fort von diesen scharfen, gelben Zähnen. „Nein", wiederholt Bruce und mustert ihn eindringlich. Er kann sich nicht helfen, aber der Anblick des Blutes in Verbindung mit Pinguins Worten hat Zweifel geweckt. Dieselben Zweifel, die ihn dazu bewogen, Alfred zu bitten, sofort mit Knoblauch in die Bathöhle zu kommen. Aber der Joker zeigt keine Anzeichen einer erneuten Infektion – kein Verblassen der Farben, keine Veränderung der Iris-farbe und vor allem: keine spitzen Reißzähne. Und seine Haut ist alles andere als kalt. Sie glüht regelrecht, das kann er sogar durch den Stoff seiner Handschuhe spüren. Wieso auch immer er sich so verhält – es liegt nicht daran, dass er wieder ein Vampir ist. Später, wenn man ihn fragt, warum er das getan hat, wird er keine Antwort darauf wissen. Es ist einer jener seltenen Mo-mente in seinem Leben, wo er einfach handelt ohne darüber nachzudenken, ganz egal, welche Konsequenzen oder Gefah-ren das für ihn nach sich ziehen könnte. Der Impuls dazu entspringt derselben Quelle wie jener, der ihn vor einiger Zeit veranlasste, die Zellentür offen zu lassen und dem Joker damit eine Fluchtmöglichkeit zu bieten. Es ist dasselbe nebulöse Motiv, das ihn immer antreibt, sich aus einer Gruppe von Kriminellen stets den Joker als denjenigen zu wählen, den es zuerst gilt wieder dingfest zu machen. Und vielleicht, ja vielleicht liegt es auch an diesem verlockenden Duft, der kaum wahrnehmbar zwischen ihnen in der Luft liegt und der ihn an wilde Beeren erinnert. So fruchtig und süß und vermischt mit dem schweren Geruch von frisch ver-gossenem Blut. Mit einer einzigen fließenden Bewegung beugt er sich nach vorne und verschließt die Lippen des Jokers mit einem Kuss. Er schmeckt Blut und Salz und spürt, wie sich der Joker gegen seinen Griff wehrt, doch er hält ihn unbarmherzig fest, geht sogar noch weiter, indem er die Hände des Jokers fest gegen seinen Oberkörper presst. Er will ihm zeigen, wie heftig sein Herz klopft, will ihm zeigen, was er in ihm ausgelöst hat. Und tatsächlich - Jokers Widerstand erlahmt. Er fühlt, wie sich Jokers Lippen gegen seine bewegen, wie er den Kuss erwidert, aber dann, plötzlich, spürt er auch scharfe Zähne an seiner Unterlippe. Bruce erstarrt. Aber noch bevor der Millionär seine eigene Vertrauensseligkeit bereuen kann, dreht der Joker seinen Kopf von selbst beiseite. Bruce' Lippen rutschen ab und anstatt auf diesem warmen, köstlichen Mund landen sie nun auf einer leicht geröteten Wange. Eigentlich auch keine so üble Position, wie Bruce feststellt. Nur etwas verdächtig heiß. Fiebrig. Er weiß nicht, wie viel Selbstbeherrschung es den Joker kostet, ihn nicht zu beißen, er weiß nicht einmal, ob er ihn über-haupt beißen wollte. Aber alles an seinem Benehmen spricht dafür, dass er es nicht tun wird. „Ich war ein Vampir." Jokers Stimme ist nur ein Flüstern. Er zittert. Merkwürdigerweise ist Bruce nicht ganz so überrascht darüber, dass er sich wieder erinnern kann, wie er eigentlich sein sollte. „Sieh mich an", befiehlt er in seinem typischen Batman-Tonfall. Doch er hält ihn niedrig und so freundlich wie möglich. Seltsam genug, aber Joker gehorcht. Sein Gesicht ist leer, völlig ausdruckslos, doch in seinen Augen lauern Schatten, die in Bruce das Verlangen auslösen, ihn zu beschützen. Bruce weiß nicht, woher dieses Gefühl plötzlich kommt, aber er weiß ja auch nicht, wieso er ihn küssen will. Später wird er vielleicht darüber nachdenken, aber nicht jetzt. „Du hast niemals jemanden gebissen." Bruce hat nur eine ungefähre Vorstellung davon, was im Kopf des Jokers gerade vorgehen mag - und so, wie er dessen Kopf kennt, ist das nur einer von unzähligen anderen Gedanken - aber er hält etwas Aufmunterung für angebracht. „Und ich werde nicht zulassen, dass du jetzt ausgerechnet bei dir selbst damit anfängst." Vielsagend verstärkt er seinen Druck um Jokers blutverschmierte Hände, und bevor dieser noch irgend etwas darauf erwi-dern kann, verschließt Bruce seine Lippen wieder mit einem Kuss. Verdammt, daran könnte er sich wirklich gewöhnen! Und da ist er nicht der einzige. Aber anders als Bruce ist sich der Joker nicht sicher, inwieweit das hier real ist. Etwas, was sich so gut anfühlt, etwas, das seinen heimlichen Träumen so nahe kommt, kann erfahrungsgemäß gar nicht real sein. Schmerzen ... Schmerzen sind real. Schmerzen wie seine pochenden Fingerspitzen und der Druck gegen seine Knochen, dort, wo Batman seine Hände festhält. Oder die Schmerzen in seinen Knien, weil der Felsboden trotz der Isomatte doch recht hart ist. Er hat immer noch quälenden Durst und versteht nicht, wieso er das Wasser nicht einmal ansehen kann, ohne dass es ihm den Magen umdreht, aber auf der anderen Seite ist er auch merkwürdig beruhigt. Sein Batsy ist hier, er hält ihn fest, und auch, wenn diese Küsse nur seiner Einbildung entspringen, für Batmans Präsenz gilt das nicht. Sein dunkler Ritter ist hier und zerquetscht ihm fast seine lädierten Finger. Alles wird gut. Und - hey! - auch wenn diese Küsse vielleicht nicht real sind, heißt das nicht, dass er sie deshalb nicht genießen sollte, oder? Aber nicht beißen, ermahnt er sich. Er will nicht, dass Bruce abermals erstarrt. Er soll nicht beunruhigt sein. Er will nicht, dass er sich ihm entzieht und weggeht. Er soll nicht denken, dass er immer noch ein Vampir ist und wieder gegen ihn kämpfen will. Er braucht seinen Batsy, hier an Ort und Stelle. Hier, bei ihm. Er braucht seine starke, warme Präsenz, er braucht den Schmerz, den er ihm zufügt, weil er sonst aus der Welt fällt. *** Als Alfred aus dem Lift stürmt, bewaffnet mit zwei Knoblauchketten und einem Steakmesser, ist er auf alles gefasst: einen wieder zum Vampir gewordenen Joker, der sich gierig auf Bruce stürzt oder einen verletzten, wenn nicht gar halbtoten Bruce, gebissen, ausgeblutet, selbst infiziert. Doch seine schlimmsten Fantasien können ihn nicht auf das vorbereiten, was ihm in der Zelle begegnet. Sein Kampfschrei erstirbt ihm auf den Lippen und er lässt das zum Stoß erhobene Messer wieder sinken. Er blinzelt. Einmal. Zweimal. Doch das Bild verändert sich nicht. Er fährt sich einmal mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen und räuspert sich vorsichtig. Dann kratzt er sich mit der freien Hand im Nacken. „Bruce?" Leicht irritiert wandert sein Blick über die in der Zelle knienden Männer. Bruce trägt immer noch sein Batman-Kostüm und er hat sein Cape wie eine Decke um den anderen Mann vor sich geschlungen, es sieht aus, als wären sie zu einem einzigen großen, schwarzen Wesen verschmolzen. Und ... sie küssen sich. Als Alfred sich dessen bewusst wird, klappt er seinen gerade geöffneten Mund wieder zu und spart sich jedes weitere Wort. Er erkennt einen Fehlalarm, wenn er einem begegnet, denn Bruce' Miene nach zu urteilen, geschieht dies hier nicht gegen dessen Willen. Er kennt Bruce' Küsse, hat sie oft genug mehr oder weniger unfreiwillig beobachten können. Und irgendwann konnte er nur anhand der Art, wie Bruce eine seiner vielen Freundinnen küsste, vorhersagen, wie lange diese Affäre dauern würde. Da gibt es die leichten, zarten Schmetterlingsküsse, die kurzen und die, die etwas länger dauern, die mit Zunge und die ohne und die, wo er die Augen offenlässt oder genüsslich schließt. Dieser hier allerdings ist völlig anders, so einen hat selbst er noch nie gesehen. Dieser Kuss ist ein sanftes, vorsichtiges Herantasten, einem Flehen gleich und doch drückt er zugleich diese unnachgiebige Entschlossenheit aus, wie sie für Bruce bei allem, was den Joker betrifft, so typisch ist. Während des gesamten Kusses hält Bruce seine Augen geschlossen - anders als der Joker. Dessen Lider sind nur auf Halbmast gesenkt. Aber seinem leerem Blick nach zu urteilen ist das unerheblich, ist er doch schon längst wieder in Sphären versunken, die noch viel weiter weg liegen als alles, was normale Menschen je erreichen können. Alfred macht einen vorsichtigen Schritt auf sie zu. Und dann noch einen. Und noch einen. Im Gehen bückt er sich und hebt mechanisch eine herumliegende Wasserflasche auf. Sie ist noch halbvoll, aber die nassen Spuren auf dem Felsen verraten ihm, wo das meiste ihres Inhalts gelandet ist. „Bruce?" fragt er noch einmal behutsam. Bruce beendet diesen Kuss und sofort fühlt sich Alfred schuldig, die beiden gestört zu haben. „Tut mir leid, wenn ich dich in Aufregung versetzt habe, Alfred", murmelt Bruce über seine Schulter hinweg. Aus irgend einem Grund lässt er den Joker dabei nicht eine Sekunde aus den Augen. „Ich habe überreagiert, als ich das ganze Blut gesehen habe. Das Gerede des Pinguins über Vampire hat mich nervös gemacht." Blut? Beunruhigt runzelt Alfred die Stirn. Welches Blut? Doch dann lüftet Batman sein Cape und gibt den Blick auf Jokers Hände frei, die er fest umklammert hält. „Okay. Hm." Plötzlich kommt sich Alfred mit seinen „Vampir-Abwehrutensilien" sehr lächerlich vor. Während er das Messer in seiner Jackettasche verschwinden lässt, bleiben die Knoblauchketten aber mangels Alternative weiterhin um seinen Hals hängen. „Was ist passiert?" erkundigt er sich leise, tritt noch näher und beäugt dabei besonders die Hände des Jokers. Dass er sich dabei auch direkt vor die Tür stellt, ist kein wirklicher Zufall, sondern seiner Ausbildung beim Secret Service, jahrelanger Erfahrung und nie nachlassender Vorsicht geschuldet. „Ich hab ihm das Wasser gegeben", erwidert Bruce. „Aber aus irgend einem Grund konnte er es nicht bei sich behalten." „Ich meinte seine Hände." Wortlos dreht Bruce die rechte Hand des Jokers in seinem Griff so, dass Alfred sie besser sehen kann. Schon nach dem ersten Blick zuckt der Brite zurück. „Oh mein Gott." Voller Grauen starrt er auf die übel zerbissenen Fingerkuppen. „Ich wusste nicht, wie ich ihn weiter daran hindern kann", murmelt Bruce. Zuerst versteht Alfred nicht, was er damit meint, aber als sich Bruce wieder nach vorne lehnt und die Lippen des anderen zu einem weiteren besinnlichen Kuss einfängt, bleiben keine Fragen mehr offen. „Oh. Nun, das stellt Sie vor ein ernstes Problem, Sir. Sie können ihn schließlich nicht ewig auf diese Art daran hindern, sich weiterhin selbst zu verletzen." Ein leises, zustimmendes Geräusch, das tief aus Bruce' Kehle kommt ist das einzige Zeichen darauf, dass er ihn wohl ver-standen hat. Oder es bedeutet etwas völlig anderes. Um Alfreds Lippen zuckt ein kleines Lächeln. „Obwohl es Ihnen anscheinend sehr viel Spaß macht." Diesmal erfolgt überhaupt keine Reaktion auf seine Worte. Alfreds Lächeln verwandelt sich in ein breites, völlig atypisches Grinsen. „Gut, ich werde dann mal den Erste-Hilfe-Koffer holen." Mit diesen Worten dreht er sich um. Er kann sich irren, aber er hätte schwören können, dass Bruce ihm diesmal geantwor-tet hat. Und es klang ganz so wie „lass dir Zeit." *** 7. Kapitel „Laaaaangweilig.” Bruce versucht, das genauso zu überhören wie die letzten fünf „laaaangweilig" davor, doch diesmal will es ihm nicht mehr gelingen, die Gänsehaut - eine sehr angenehme Gänsehaut - die Jokers Stimme bei ihm hervorruft, zu ignorieren. Und so hört er auf, auf den Monitor zu starren und dreht sich auf seinem Stuhl zu jenem Mann herum, den er vor einer knappen Stunde noch so begeistert geküsst hat. Er bereut es nicht, und das irritiert ihn, doch er hat keine Zeit, gründlich darüber nachzudenken, denn er muss herausfinden, woran der Joker diesmal leidet. Bisher hat er nur eine eindeutig erhöhte Leukozytenanzahl (daher das Fieber) und akuten Eisenmangel diagnostizieren können. Aber was genau dafür verantwortlich ist, hat das medizinische Programm noch nicht ausgespuckt. Beruhigender-weise gibt es wenigstens keine Anzeichen dafür, dass das Vampirvirus wieder aktiv ist. „Bruciiiiiie - kann ich nicht wenigstens den Fernseher anmachen?" Es gibt ein leises, patschendes Geräusch, als der rechte nackte Fuß des Jokers den Felsboden berührt, Schwung holt, um den Stuhl, auf dem er sitzt, erneut um sich selbst drehen zu lassen. Kindisch? Ja, absolut. Aber auch sehr jokertypisch, und darüber ist Bruce sehr froh. Sekundenlang sieht er ihm einfach nur zu und kann sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Als der Schüttelfrost ein-setzte, wollte Alfred ihren „Gast" sofort aus der zugigen Höhle nach oben in ein Gästebett stecken, doch es war der Joker, der sich sehr vehement gegen diesen Vorschlag wehrte. Letztendlich lieh Batman ihm sein Cape, und nun sitzt der Joker seit einer Stunde hier, kuschelt sich in den schwarzen Stoff und stellt den Drehstuhl auf eine harte Belastungsprobe. Wenn da nicht seine glasigen Augen und seine geröteten Wangen wären, käme Bruce nie auf den Gedanken, dass er Fieber hätte. Obwohl - die roten Wangen könnten auch vom Likör stammen. Alkohol und Fieber - keine sehr vorteilhafte Kombination, wie Bruce zugeben muss, doch es ist ein Getränk, das Jokers Durst löscht und das er nicht sofort wieder ausspuckt. Es liegt am Eisengehalt der schwarzen Johannisbeere, aus der der Likör besteht. Es ist wirklich ein riesiger Glücksfall, dass Alfred noch einige Flaschen seines selbstgebrauten Likörs übrighat und dass er sich daran erinnerte, dass schwarze Johannisbee-ren bei Eisenmangel hilfreich sind. Bruce kann nur mutmaßen, aber im Zuge seiner Ermittlungen gegen Graf Dracula fielen ihm auch Abhandlungen in die Hände, in denen als ein Grund für Vampirismus auch akuter Eisenmangel vermutet wird. Vielleicht, so vermutet er, hat sich Joker deswegen seine Fingerspitzen zerbissen und sein eigenes Blut getrunken. Vielleicht hat sich da aber auch nur eine weitere nervöse Störung manifestiert. Die Hauptsache ist jedoch, dass der Joker seine Fingerspitzen nicht mehr als Kauknochen missbraucht. Dank seiner Immunität gegen viele Gifte steigt ihm der Alkohol auch nicht so schnell zu Kopf wie es bei einem normalen Mann seines Gewichts der Fall gewesen wäre. Das heißt aber noch lange nicht, dass er nach dem Genuss von einem halben Liter Likör noch nüchtern wäre - beileibe nicht. Jokers nörgelnde Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. „Du arbeitest jetzt schon seit einer Stunde daran. Was hoffst du zu finden, was du bisher noch nicht gefunden hast?" Meine innere Ruhe, ist Bruce versucht zu sagen. Denn ich weiß nicht, wie ich auf dich reagieren soll... Er weiß, er flüchte-te sich ganz bewusst in die Daten, starrte lieber auf den Monitor, weil es ihm so schwer fiel, ihn nicht mehr zu küssen. Zumindest in der ersten halben Stunde. Jetzt, eine weitere halbe Stunde konzentriertes Arbeiten später, hat sich zumindest sein körperliches Verlangen etwas abgekühlt. Was hat der Kerl nur an sich? Und warum ER? Er ist ein KERL! Und warum muss er sich ausgerechnet JETZT sexuell neu orientieren? Ob das daran liegt, dass er schon seit Monaten nicht mehr mit einer hübschen Frau intim war? Verdammt, er muss damit aufhören, schließlich rechnet er sich gute Chancen bei Vicky Vale aus. Seufzend fährt er sich mit den gespreizten Fingern durch das Haar und beobachtet den Joker mehr oder weniger verstohlen. Dieser lässt seinen Stuhl ausschwingen und starrt zurück. Auch er erinnert sich sehr deutlich an ihre Küsse, aber mag auch alles in ihm nach mehr schreien, so weiß er doch, dass es für alles einen rechten Augenblick gibt und seiner … nun, seiner ist erst einmal vorbei. Das hält ihn aber nicht davon ab, die Nähe des Millionärs zu suchen - der wahre Grund, wieso er nicht in ein Gästezimmer wollte. Aber dass ihn dieser dann so lange ignorierte, ist einfach nur frustrierend. Er ist daher nicht gewillt, jetzt, wo er endlich seine Aufmerksamkeit errungen hat, diese so schnell wieder aufzugeben. Bruce soll sich mit ihm unterhalten und er verfällt daher auf die altbewährte Methode der nervtötenden Provokation. „Komm schon, Brucie. Entspann dich mal. Du arbeitest viel zu viel. Das ist ungesund." „Entschuldige bitte", zischt Bruce da auch schon zurück, „dass ich dir helfen will." „Oh, das verzeihe ich dir", Joker macht eine wegwerfende Handbewegung, „aber was ich dir nicht verzeihe, ist, dass du dir wieder Vorwürfe machst und denkst, du würdest versagen." Sprachlos starrt Bruce ihn an. Die Fähigkeit seiner Nemesis, ihn so mühelos zu durchschauen, wird ihm allmählich un-heimlich. „Ehrlich, Batsy, du darfst das alles nicht immer so ernst nehmen. Du kannst nicht jeden retten.” Endlich findet Bruce seine Stimme wieder. „Ich will nicht jeden retten", braust er auf. „Hier und jetzt und heute will ich dich retten! Also hör auf, dich über mich lustig zu machen!" „Sonst was?" unterbricht ihn Joker und kichert belustigt. Es ist ein lang vermisstes Geräusch, und doch wünscht sich Bruce, es käme zu einem anderen Zeitpunkt. „Sonst wirst du es dir doch noch einmal überlegen? Sonst wirst du mir nicht helfen? Das glaube ich kaum. Das widerspräche nämlich allem, was du so vehement verteidigst." Bruce seufzt einmal tief auf, schüttelt den Kopf und will sich wieder seinem Computer zuwenden. Dieses Gespräch geht ihm zunehmend an die Nieren - er kann sich gegen alles verteidigen, aber gegen die Wahrheit aus dem Munde dieser rotäugigen Pest ist er einfach machtlos. „Hey Batsy!" Hinter ihm ertönt das Rascheln von Stoff, gefolgt von dem Geräusch nackter Füße auf Stein, und plötzlich ist die Stimme des Jokers ganz nah und er spürt eine leichte Berührung an seiner rechten Schulter. Er dreht den Kopf und sieht direkt in ein blasses, ungewohnt besorgtes Gesicht. „Sei nicht gleich beleidigt, Bruce. Ich bin nicht undankbar, wirklich nicht. Aber manchmal kann man eben nichts tun. Du musst lernen, das zu akzeptieren, sonst gehst du daran kaputt. Und das", Joker zögert kurz und für den Bruchteil einer Sekunde flackert sein Blick zu einem Punkt über Bruce' Schulter, „würden deine Eltern bestimmt nicht wollen. Sie haben schließlich versucht, dich zu einem glücklichen, optimistischen Menschen zu erziehen. Du ... du solltest dir angewöhnen, dich an die schönen Dinge zu erinnern und ... und lernen, dass auch in jeder noch so schlimmen Situation etwas Positives versteckt ist." Er grinst und beginnt dann zu lachen. „Sei ein wenig mehr wie ich, Brucie-boy." „Wie kannst du es wagen?!” Mit einem Satz ist Bruce aufgesprungen, packt ihn am Kragen und schüttelt ihn mit blitzen-den Augen durch. Joker lässt das Cape los, in das er sich bisher eingewickelt hatte und der schwarze Stoff gleitet zu Boden wie ein riesiger, dunkler Schatten, gefolgt von einem Likörglas, das er noch in einer Hand gehalten hat und das jetzt auf dem Felsen in unzählige kleine Scherben zersplittert. In einer instinktiven Abwehrbewegung hebt Joker die Hände, doch seine mit Pflaster umwickelten Finger rutschen nur kraftlos an Bruce' behandschuhten Händen ab. „Du weißt nichts von meinen Eltern! Wage es nie wieder, sie zu erwähnen, du elender Bastard!" Mit aller Kraft und noch viel mehr Verachtung stößt er den Joker von sich. Dieser taumelt durch den unerwarteten Schwung nach hinten und fällt höhst unelegant über den Stuhl, auf dem er bis vor zwanzig Sekunden noch gesessen hat. Mit einem höchst unangenehmen Geräusch schließt sein Hinterkopf Bekanntschaft mit dem harten Felsboden. Oh. Mein. Gott. Bruce ist vor Schreck wie erstarrt. Scheiße. „Joker! Joker, es tut mir leid! Das hab ich nicht gewollt!" Der Joker liegt keuchend auf dem Rücken. Die Wucht des Aufpralls nimmt ihm vorübergehend den Atem und das ist fast schlimmer als der aufbrandende Schmerz in seinem Hinterkopf. Für eine Weile wird alles Schwarz, doch er hat Übung darin, sich an seinem Bewusstsein festzukrallen. Es dauert nicht länger als eine oder zwei Sekunden, bis seine Welt wieder feste Formen annimmt, und dann ist das erste, was sich heraus-kristallisiert, Bruce Waynes reuevolles und besorgtes Gesicht. „Es tut mir wirklich leid. So sehr leid." Bruce hebt eine zitternde Hand und berührt damit vorsichtig Jokers Kopf. Es ist eine sehr hilflose Geste, die mehr auf Instinkt denn auf Rationalität beruht, denn alles, was er zwischen die Finger bekommt, sind Jokers dicke, grüne Dread-locks. Aus Jokers Kehle löst sich ein glucksendes Geräusch, das schnell zu einem Kichern wird. „Oh, so viel Zorn! So viel Wut!" Das Kichern steigert sich zu einem Lachen. Er lacht so heftig, dass ihm die Tränen in die Augen steigen. „Wundervoll. Lass es raus. Komm, lass es raus." Jokers Stimme senkt sich zu einem heiseren, geradezu verführerischen Raunen. „Du willst es doch auch, oder?" Tatsächlich verspürt Bruce den Drang, ihm seine Faust ins Gesicht zu rammen, doch er hält sich zurück, über sich selbst zutiefst entsetzt. Ihm fallen all die anderen Situationen ein, in denen er sofort zuschlug - und war es nicht gerade dieses Benehmen, das zu dem glücklicherweise-doch-nicht-tödlichem Unfall des Jokers führte? Was ist das nur, dass es ausschließlich dem Joker gelingt, immer derartig an seiner Selbstbeherrschung zu kratzen? „Nein", entgegnet er leise, nichtsdestotrotz aber entschlossen. Er öffnet seine bereits zur Faust geballte rechte Hand Wieder und lockert den Griff der anderen in Jokers Haaren. Er holt einmal tief Luft. „Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun." Joker starrt ihn sekundenlang nur aus seinen roten Augen an. Seine Heiterkeit ist regelrecht verpufft und macht etwas Platz, was Bruce bisher noch nie an ihm gesehen hat: Kummer. „Was soll ich nur mit ihm machen?" Er klingt leise und verloren, als er seinen Blick wieder auf einen Punkt über Bruce' Schulter richtet. Nur mühsam unterdrückt Bruce den Impuls, sich umzudrehen. Er weiß, dass da niemand steht. Ob der Sturz auf den Kopf eben Joker das letzte bisschen Verstand gekostet hat? Denn nach allem, was er weiß, mag der Joker vielleicht Stimmen hören, aber bisher hatten sie sich doch noch nie in imaginären Personen manifestiert, oder? Vielleicht ist das aber auch „nur" eine Folge des Fiebers. Oder des Alkohols. Oder ein Symptom der bisher unbekannten Krankheit, an der er leidet? Bruce weiß, dass man Verrückte nicht in ihren Wahnvorstellungen bestärken sollte, aber die Fragen schlüpfen ihm von den Lippen, bevor er sie zurückhalten kann. „Mit wem redest du da? Wen siehst du dort?" Verdammt! Ertappt zuckt der Joker zusammen und beißt sich auf die Unterlippe. Das hätte nicht passieren dürfen. Er kann die Schuld nur bei seiner derzeitigen körperlichen Verfassung suchen - Fieber und hämmernde Kopfschmerzen und eine leichte Alkoholisierung sind schlechte Voraussetzung dafür, ein lang gehütetes Geheimnis zu bewahren. Er war bisher nur ein einziges Mal unvorsichtig, in Arkham, als sie ihn so mit Drogen vollgepumpt hatten, dass er sich kaum noch an seinen Namen erinnern konnte. Aber das war nicht wirklich schädlich, die Ärzte dort setzten einfach noch die Diagnose „Schizophrenie" zu den anderen in seiner Akte hinzu. Das hier würde nicht so leicht werden. Er versucht es dennoch. „Iiiiiich?" erklärt er gedehnt und zaubert sein bestes Grinsen hervor. „Ich rede mit niemanden. Mit niemanden außer dir. Es ist doch niemand außer uns beiden hier. Andererseits ... vielleicht doch? Ich höre Stimmen. Ich bin verrückt. Frag die Ärzte in Arkham. Oder nein ... besser noch: dich selbst. Du warst doch in meinem Kopf, du weißt, wie es da zugeht." Bruce runzelt die Stirn und wirft ihm einen skeptischen Blick zu. Hat der Joker etwa ihre Diskussion beim Dinner schon vergessen? Aber nein ... das wagt er zu bezweifeln, nicht, nachdem er sich so darüber aufgeregt hatte. Viel wahrscheinlicher ist - und bei diesem Gedanken vertiefen sich die Falten in seiner Stirn nur noch - dass der Joker darauf spekuliert, dass Bruce ihm vor ein paar Stunden nicht richtig zugehört hat. Und, wenn man bedenkt, welch gemeine Dinge er gesagt hat, wo doch eine Entschuldigung angebrachter gewesen wäre, kann er es ihm nicht einmal verübeln. Doch Bruce ist müde und erschöpft und voller Sorgen - kurz: er ist diese Spielchen wirklich leid. „Halt mich nicht für dumm. Du hast selbst gesagt, dass du mir nur gezeigt hast, was ich sehen sollte. Du hattest in einem Recht: ich weiß überhaupt nicht, was in deinem Kopf so vor sich geht. Ich will das aber ändern, Joker. Ich will wissen, was in dir vorgeht. Und nicht, weil es mir helfen würde, deine kriminellen Aktivitäten vorauszuahnen. Auch nicht, weil es mir vielleicht eine Hilfe wäre, herauszufinden, welche Krankheit du hast. Sondern, weil ich dich einfach nur verstehen will." Er holt einmal tief Luft und blinzelt erstaunt. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hat er seine Hände um Jokers Gesicht gelegt und sich zu ihm hinuntergebeugt, so tief, dass sich ihre Nasenspitzen fast berühren. Er kann Jokers Atem auf seiner Haut spüren, er riecht süßlich - nach Alkohol und Beeren. Und er kann die Hitze fühlen, die er ausstrahlt. „Ich will dich verstehen, Joker. Bitte, sag mir, wen oder was du siehst." Joker starrt ihn für einen Moment nur an und schließt dann abweisend die Augen. „Nein." Warum nicht? will Bruce schreien, doch er beißt sich noch rechtzeitig auf die Zunge. Die Antwort auf diese Frage ist schließlich offensichtlich: Joker traut ihm nicht. Aber Bruce hat schon so viele Vernehmungen von Superkriminellen durchgeführt, um genau zu wissen, dass man mit Fragen, die das Thema von einer anderen Seite beleuchten, oft sehr viel weiter kommt. Auch beim Joker hat das schon funktioniert. „Aber du siehst etwas, nicht wahr? Etwas, das normale Menschen nicht sehen, weshalb es oft als Wahnvorstellung. abge-tan wird. Aber...” seine Stimme wird leiser, nachdenklicher, während er sanft mit den Daumen über Jokers Wangenkno-chen fährt - so heiß, so furchtbar heiß -‚ „...das ist doch auch nicht weiter verwunderlich. Deine Augen sind einzigartig. Wie können wir es wagen, deine Sehfähigkeit mit menschlichen Maßstäben zu messen?" Bis eben hat er nie über solche Dinge nachgedacht, und jetzt, wo er sie ausgesprochen hat, erscheinen sie ihm so offen-sichtlich und absolut wie eine in Stein gemeißelte Wahrheit. Joker schlägt seine so einzigartigen Augen auf. Augen, rubinrot und mit Pupillen so fremdartig als stamme er von einem fremden Planeten, Pupillen nicht schwarz, sondern gelblich leuchtend wie die einer Katze in der Nacht. Ob er genau wie Katzen über eine reflektierende Pigmentschicht im Auge, das Tapetum Lucidum verfügt? Jokers Gelächter reißt ihn aus seinen Gedanken. „Wow, Bruce! Und dafür hast du nur tausendfünfhundertzweiundneunzig Tage gebraucht?" „Du zählst die ... Tage??" Bruce blinzelt verblüfft, sich schlagartig bewusst werdend, wie nahe sie sich schon wieder sind. Er nimmt seine Hände von Jokers Gesicht und weicht gleichzeitig etwas zurück. Kichernd rappelt sich Joker auf die Ellbogen hoch und wäre fast wieder zurückgefallen, doch da greift Bruce stützend ein. „Ist gar nicht so einfach", gibt er zu, während ihm Bruce in eine sitzende Position hilft. „Ich verliere oft den Anschluss. Wenn du mich ausknockst oder wenn ich einen typischen Arkhamer Drogencocktail genießen darf. Dann muss ich erst auf das Datum der Tageszeitung sehen. Aber ja, im Grunde genommen zähle ich die Tage und nicht die Jahre." „Du lenkst ab." „Was?" „Schon okay. Du traust mir nicht. Das ist okay." Bruce' Lächeln wirkt etwas verrutscht, aber durchaus ehrlich. „Wahr-scheinlich würde ich mir an deiner Stelle auch nicht trauen." Er macht Anstalten sich zu erheben und streckt Joker auffordernd eine Hand entgegen. „Kannst du aufstehen?" Und als Joker zögernd seine Hand ergreift, um sich von ihm in die Höhe ziehen zu lassen und dabei schmerzhaft das Gesicht ver-zieht, setzt er ein mitfühlendes: „Geht's?" hinterher. Es geht nicht, aber Joker gehört nicht zu jener Art von Männern, die so etwas zugeben würden. Und so beißt er nur die Zähne zusammen und zwingt seinen Körper dazu, den Befehlen, die sein Gehirn ihm gibt, zu gehorchen. Wieder aufrecht, schwankt er bedrohlich, aber sofort ist Bruce da und legt ihm stützend einen Arm um die Taille. Für einen Moment gestattet es sich Joker sogar, diesen Körperkontakt zu genießen. „Es ist nicht so, dass ich dir nicht traue", hört er sich selber zu seinem eigenen Entsetzen murmeln. „Es ist nur schwer zu erklären. Versuch du doch mal, einem gebürtigen Blinden das Prinzip von Farben verständlich zu machen." Bruce nickt nur, leicht abwesend. Jokers T-Shirt ist ein paar Zentimeter nach oben gerutscht, so dass Bruce' Finger direkt auf seinem Hüftknochen zu liegen kommen. Wieder einmal bemerkt er, wie heiß sich der Körper des anderen doch anfühlt. Er gehört ganz zweifellos ins Bett. In ein richtiges Bett. Und genau dorthin wird er ihn jetzt auch bringen. Reden können sie später immer noch. *** Kapitel 6: Kapitel 8 -9 ----------------------- 8. Kapitel Oh, Bruce… Oh, Sandy. Lizzie. Tina… Jeder der gut ein Dutzend Namen, die aus der Vergangenheit herangeweht werden, ist so austauschbar wie die dazugehöri-ge Frau. Blond, brünett, rot- oder schwarzhaarig – wenn man eines über Bruce Waynes Liebesleben sagen kann, dann wohl das, dass er nichts anbrennen lässt und über kein allzu spezielles Beuteschema verfügt. Alles mit weiblichen Rundungen und was dem gängigen Schönheitsideal entspricht, hat die Chance, unter dem attraktiven Millionär auf der Matratze zu enden. Und normalerweise hält sich der Joker aus dem Liebesleben anderer heraus – vor allem, wenn es so oberflächlich zu sein droht wie das von Bruce Wayne – aber dieses Zimmer hier platzt regelrecht vor Mitteilungsbedürftigkeit. Er kann sich dem Echo all dieser kleinen, lustvollen Abenteuer gar nicht entziehen, selbst, wenn er es wollte. Und so sind es nicht nur die Stimmen und Bilder, die sich in seine Träume schleichen, sondern auch die dazugehörigen Emotionen. Die Hitze, die sich nun in seinem Körper staut, stammt nicht mehr nur vom Fieber allein. Zuerst wälzt er sich nur unruhig im Bett hin und her, aber bald darauf werden seine Bewegungen langsamer, sinnlicher und schon erfüllt der erste, langgezogene Seufzer den Raum… *** Es ist Zeit für den Lunch und die Höflichkeit gebietet es, den Joker zu fragen, ob er sich ihm anschließen möchte. Und so steht Bruce Wayne fünf Minuten vor zwölf vor Jokers Zimmertür und klopft an. Einmal. Zweimal. Er ruft sogar leise seinen Namen, erhält aber keine Antwort. Noch während er zögert, ob er dennoch eintreten oder doch lieber fortgehen soll – er tendiert stark zu ersterem, immerhin ist der Joker krank und nur mal nach ihm zu sehen wäre mindestens genauso höflich wie ihn zum Essen zu bitten – hört er es. Es klingt wie ein ersticktes Stöhnen. Jetzt wirklich besorgt – hat sich sein Zustand verschlechtert? – drückt Bruce die Tür auf und betritt das Zimmer. Und da ist es wieder, dieses Geräusch, jetzt deutlicher: ein langgezogener, zitternder Seufzer, der in einem kehligen Stöhnen endet und ihm einen heißen Schauer über den Rücken jagt. Er hat sich getäuscht. Dieses Geräusch beinhaltet alles andere, nur keinen Schmerz. Für einen kurzen, flüchtigen Augenblick blitzt der Gedanke auf, dass er hier nichts zu suchen hat. Dieser Anblick ist nicht für ihn bestimmt, er sollte gehen. Wäre er ein anständiger Mann, würde er sich auf der Stelle umdrehen und alleine zum Lunch gehen, aber unter Bruce Waynes wohlerzogener Oberfläche lauert Batman, und der ist viel zu begierig, allem auf den Grund zu gehen. Und daher bleibt er stehen und beobachtet. Vielleicht gibt es noch einen viel simpleren, einleuchtenderen Grund, wieso er seinen Blick nicht abwenden kann, aber den würde er sich niemals eingestehen. Denn es kann doch unmöglich sein, dass es ihn anmacht, oder? Er ist doch kein Voyeur! Der Anblick eines halbnackten, sich auf dem Bett räkelnden Jokers lässt ihn doch völlig kalt! Als erneut dieser sehnsuchtsvolle Laut durch den Raum weht, fährt ihm diesmal die Hitze vom Rückgrat abwärts direkt in den Unterleib. Verdammt! Bruce‘ Mund wird plötzlich ganz trocken. Er schluckt einmal schwer. Sein Blick bleibt auf der dünnen Decke kleben, die die Gestalt des Jokers nur notdürftig bedeckt und ihm schon bis zu den Hüften hinuntergerutscht ist, und – wenn dieser sich weiterhin so bewegt – noch weiter nach unten zu rutschen droht. Und für einen kurzen Moment fragt sich Bruce, ob der Joker vielleicht nackt schläft. Und schon eine Sekunde später fragt er sich, ob er noch alle Tassen im Schrank hat, sich diese Frage überhaupt zu stellen! Just in diesem Moment keucht der Joker erneut auf. Seine Hände verkrallen sich im Kissen, er drückt den Rücken durch, wirft den Kopf nach hinten, während sich sein Gesicht zu einer Maske reinster, bittersüßer Qual verzieht. Seine Zähne vergraben sich in seiner Unterlippe, Blut fließt, und dieser Anblick erinnert Bruce sofort an den gestrigen Tag, auch da hat sich Joker auf diese Art an einem verräterischen Laut gehindert. Bruce fragt sich, wie dieser gewisse Laut wohl klingen mag. Und plötzlich ist er da, dieser Wunsch, es zu hören. Nur einmal. Bruce wird sich erst darüber bewusst, dass er an das Bett getreten ist, als er sich dabei ertappt, wie er sich über ihn beugt. Er sieht, hört und riecht auf einmal alles viel schärfer als zuvor. Er sieht das rötliche Glühen von Jokers Iris unter seinen flatternden Lidern; sieht , wie sich jeder einzelne Muskel, jede Sehne und jede Ader unter dieser schneeweißen Haut abzeichnet; er sieht die kleinen Schweißperlen, die wie Diamanten im durch das Fenster brechende Sonnenlicht auffunkeln, wie sich Jokers Brust in heftigen Atemzügen hebt und senkt; hört, wie er die Luft tief in seine Lungen zieht und wie sie auf dem Weg durch seine Kehle erst zu einem flirrenden Seufzen und dann zu einem Keuchen oder Stöhnen wird. Und wieder hängt dieser Geruch nach wilden Beeren in der Luft, ein Duft, den Bruce unbewusst so tief inhaliert wie ein Süchtiger. Er weiß, der Joker schläft und träumt hier etwas so leidenschaftliches, erotisches und vor allem privates, dass er auf der Stelle gehen sollte, doch – er kann nicht. Er kann einfach nicht. Vollkommen fasziniert beobachtet er, wie die rechte Hand des Jokers über dessen Seite streicht und schließlich unter dem notdürftigen Schutz der Decke verschwindet. Bruce ärgert sich über dieses Stückchen Stoff, das ihm den Blick versperrt und ohne wirklich darüber nachzudenken, zieht er es einfach beiseite. Gebannt schaut er dabei zu, wie die Hand unter der Boxershorts verschwindet, und sein Kopf wird leer, beängstigend leer, während sich sein Blut ausgesprochen schmerzhaft in seinem Unterleib sammelt. Und für einen Moment wird der Wunsch, sich wie ein wildes Tier auf ihn zu stürzen, und wie ein solches Zähne und Nägel in ihn zu schlagen, ihn festzuhalten, ihn ganz einfach nur zu besitzen, so stark, so übermächtig, dass er es lebhaft vor seinen Augen sehen kann. Aber ein Augenblinzeln später hat er sich schon wieder in der Gewalt. Erschrocken über sich selbst, zuckt er zurück. Doch so sehr er sich auch bemüht, so vermag er es doch nicht, sich dieser offensiven Erotik, die wie eine schwere Wolke im Raum hängt, vollständig zu entziehen. Während er noch um seine Selbstbeherrschung ringt, beginnt sein gesamter Körper vor unerfüllter Sehnsucht zu schmerzen. „Joker.“ Er will ihn aufwecken aus diesem Traum oder Wahn oder wie auch immer man diesen Zustand hier benennen soll und berührt ihn an der Schulter, um ihn wachzurütteln – denn wenn er erst einmal aufwacht, vielleicht löst sich dann der Bann - doch das ist ein riesiger Fehler. Denn plötzlich sind da Hände, die an ihm zerren, rotglühende Augen und ein heißer, bebender Körper, der sich fest gegen seinen presst, gefolgt von Lippen, so weichen, köstlichen Lippen und eine Zunge, die sich mit seiner eigenen duelliert … und dann lange Zeit - nichts mehr außer kribbelnder Hitze und der schwere Geschmack von Salz und Likör und der inten-sive Geruch nach wilden Beeren. Er hört ein Keuchen, dicht an seinem rechten Ohr und ist sich doch nicht sicher, ob es wirklich vom Joker stammt. Es könnte nämlich genauso gut aus einer eigenen Kehle kommen. Und dann, irgendwann, erschauert er, während ihn ein glühendes Wonnegefühl durchfährt, gefolgt von großer Erleichte-rung, als sich der Druck in seiner Lendengegend explosionsartig entlädt. Er treibt dahin, in einem Meer der Glückseligkeit, so zufrieden wie noch niemals zuvor in seinem Leben, so glücklich und befriedigt und nein, er will nicht in die Realität zurückkehren. Doch so sehr es ihm auch widerstrebt, kehren seine Sinnes-eindrücke doch langsam zurück und er wird sich bewusst, dass er auf etwas sehr, sehr heißem liegt. Da ist etwas Schweres um seine Taille. Es dauert eine Weile, bis er es als einen Arm erkennt. Und das warme, auf dem er liegt, ist ein verschwitzter Körper. Es ist eine Position, in der er sich bisher nicht allzu oft wiedergefunden hat (er ist schwer, reinste Muskelmasse und norma-lerweise will er verhindern, dass seine Eroberung unter ihm erstickt), aber sie ist ihm dennoch nicht gänzlich unbekannt (früher, als er noch ungeschickter in solchen Dingen war, schaffte er es nicht, sich rechtzeitig beiseite zu rollen, bevor ihn diese typische Trägheit nach dem Akt ereilte). Nur, dass sich dieser Körper hier anders anfühlt. Es fehlen die weichen Rundungen einer Frau. Als er die Augen öffnet, sieht er grün. Und als er den Kopf aus diesem Wirrwarr von grünen Dreadlocks hebt und in dieses weiße, wohlbekannte Gesicht blickt, trifft ihn die Erkenntnis, dass es jetzt nicht nur bei einem Wunschdenken geblieben ist, mit voller Wucht. Entsetzt schnappt er nach Luft. Trotzdem widersteht er seinem ersten Impuls, der ihm rät, sich sofort wieder anzuziehen und das Zimmer zu verlassen, denn er ist Bruce und er ist zugleich auch Batman und der ergreift nicht die Flucht, nicht einmal in einer solch kompromittierenden Situation. Außerdem ist da noch dieser Arm, der sich um seine Hüften schlingt und das leichte Kratzen von mit Pflastern umwickelter Fingerkuppen, die über sein Rückgrat streicheln. Eine träge, gedankenverlorene Geste der Zärtlichkeit. Doch das alles ändert nichts daran, dass er sich zutiefst schämt. „Es tut mir leid.“ Betroffen rollt er sich von Joker herunter und dann zur Seite. Die Stelle auf seinem Körper, wo vor kurzem noch dessen Hand war, fühlt sich plötzlich unglaublich leer an. Aber dieses Gefühl ignoriert er genauso wie den leichten Stich in seiner Herzgegend, den er empfindet, je weiter er sich von dem ande-ren entfernt. Joker neben ihm holt einmal tief Luft, es klingt, als wolle er die Luft trinken, und es folgt ein … Schluchzer? Doch Bruce kann sich auch irren, denn das Geräusch geht sofort in einem Kichern unter. „Es muss dir doch nicht leid tun, Brucie. Du warst guuuuuuuut.“ Er zittert, aber Bruce bezweifelt, dass es an dem Lachen liegt, das ihn schüttelt. Auf seinem Kinn glänzt Blut – scharlachrot auf schneeweiß. Er hat sich also wirklich schon wieder die Unterlippe zerbissen. Was ist das nur, was er so gewaltsam bewahren will, dass er es immer auf diese Weise in sich einschließt? Welch ein Laut, welche Worte sind so wertvoll für ihn? Obwohl er genauso manisch lacht wie immer, kann Bruce diesmal die Verzweiflung darunter heraushören. Schuld und Scham brennen sich durch seine Eingeweide wie ätzende Säure. „Es tut mir leid“, stößt er erstickt hervor, und dann tut er es doch: er fährt in Rekordgeschwindigkeit in seine Klamotten und rennt aus dem Zimmer. Jokers Gelächter verfolgt ihn noch bis weit den Gang hinunter. Und darüber hinaus. *** Der Joker lacht, bis ihm die Tränen kommen. Doch es steckt keine echte Freude dahinter. Irgendwann wird ihm die Luft knapp. Nach Atem ringend liegt er da und versucht, die Schmerzen in seinem Inneren genauso wie die seines Körpers auf ein erträgliches Niveau hinunter zu atmen. Er hat zwar gesagt, Schmerzen würden ihn nicht stören, weil sie ihm beweisen, dass er noch am Leben ist, aber ganz so intensiv muss dieser Beweis nun auch nicht sein, findet er. Sein ganzer Körper scheint in Flammen zu stehen, während sich sein Inneres anfühlt als wäre es schon längst zu Asche verglüht. Und zu allem Überfluss schmerzt auch noch sein Kopf, er kann die Beule an seinem Hinterkopf ganz deutlich spüren – ein großes, dickes pochendes Ungeheuer, das sich gefräßig in seine Kopfhaut krallt. Ihm ist schwindelig und schlecht, aber er weiß nicht, ob das eine Folge einer eventuellen Gehirnerschütterung oder dem Fieber geschuldet ist. Er hasst es wirklich, krank zu sein. Aber dennoch … hm. Genüsslich leckt er sich über die Lippen und spürt den letzten Schauern der Erregung nach, die durch seinen Körper zittern. Bruce schmeckt so unheimlich gut. Er würde ihn gerne öfter küssen und noch viel, viel länger spüren. Das hier war weitaus besser als er es sich je vorgestellt hat. Er wusste ja, dass der Junge viel temperamentvoller ist als er immer zeigt. Vielleicht noch etwas ungeschickt, aber das liegt wohl daran, dass es für ihn das erste Mal mit einem Mann war. Niedlich, wirklich niedlich. Nichtsdestotrotz – er muss mit ihm reden. Er hat es ihm versprochen, oder? Auf alle Fälle braucht er ein anderes Zimmer. Irgendwo in diesem riesigen Gemäuer wird es doch wohl einen Raum geben, in dem der Frauenheld Bruce Wayne noch nicht eines dieser Flittchen in den Himmel und wieder zurück gevögelt hat. Aber zuallererst einmal benötigt er eine Dusche, und so quält er sich mühsam aus dem Bett und schleppt sich nach neben-an ins Badezimmer. Es ist – oh welch erfreulicher Zufall – der pfirsichfarbene Traum, den er schon kennt. „Home sweet home“, kichert er, während er schwerfällig zur Dusche taumelt. Leider ist das alles andere als ein blöder Spruch. Er fängt nämlich tatsächlich an, sich hier zuhause zu fühlen – und das geht eindeutig zu weit! *** Als der junge Millionär in die Küche gestürmt kommt, weiß Alfred sofort, dass irgend etwas Ernstes vorgefallen sein muss, denn so durcheinander, so nervös, hat er Bruce schon lange nicht mehr erlebt. Aber er nickt nur und enthält sich jeder neugierigen Frage, als Bruce ihm mitteilt, er habe vorerst keinen Appetit und er solle das Essen erst einmal warmhalten. Dann geht er hinüber ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch fallen lässt und den Fernseher einschaltet. Ungeduldig zappt er sich durch die Kanäle, bis er endlich Vicky Vales Mittagsmagazin findet. Die Art, wie er die reizende Reporterin regelrecht mit den Augen verschlingt, lässt den treuen Butler nur bekümmert den Kopf schütteln. Mit Sorge denkt der Brite an das Date, das Bruce heute Abend mit Miss Vale geplant hat. Und doch schweigt er, genau wissend, dass jede Einmischung seinerseits - und sei sie auch noch so gut gemeint – zu einem nur noch verstockterem Verhalten führt. Manchmal ist Bruce Wayne eben wie ein Kind Tatsächlich ist Bruce bemüht, sich mit dem Anblick Vicky Vales abzulenken. Aber ob er will oder nicht – seine Gedanken wandern immer wieder zurück zu dem Geschehen in Jokers Zimmer. Fünfzehn Minuten. Er war fünfzehn Minuten beim Joker, nicht länger. Es kommt ihm wie eine Ewigkeit vor, aber es war nicht länger als eine Viertelstunde! Reichte die Zeit überhaupt, um das getan zu haben, was er befürchtet, getan zu haben? Denn normalerweise ist so ein Quickie doch überhaupt nicht sein Stil. Er kann sich ja nicht einmal daran erinnern! Und das WILL ich auch gar nicht! Und überhaupt – Joker bleibt nicht mehr lange hier, nur noch, bis er wieder gesund ist, dann ist dieser ganze Spuk vorbei. Jedenfalls versucht er, sich das einzureden und es gelingt ihm auch für eine Weile. Genau dreiundzwanzig Minuten lang – bis der Joker das Wohnzimmer betritt und sich aufs andere Ende der Couch setzt. Bruce vermeidet es, den Kopf zu drehen und ihn anzustarren. Stattdessen straft er ihn mit gespielter Gleichgültigkeit und starrt weiterhin stur auf den Bildschirm. Doch er kann nicht verhindern, dass ihm der Duft nach wilden Beeren in die Nase steigt, und auch wenn sein Verstand sich nicht erinnern will – sein Körper kennt da keine Skrupel. Verdammt. Selten hatte er so starkes Herzklopfen. Aber nein, bestreitet er hastig vor sich selbst, es muss an Vicky Vale liegen, deren Großaufnahme gerade über den Flatscreen flimmert. Sie ist heute aber wirklich eine Augenweide. „Die reizende Miss Vale.“ Es dauert eine Weile, bis er begreift, dass diese Worte nicht nur in seinem Kopf sind und auch nicht von ihm selbst laut ausgesprochen wurden, sondern von dem Mann neben ihm. Nun wirft ihm Bruce doch einen Blick zu und bereut es sogleich wieder, als er direkt in zwei fiebrig glänzende Augen sieht. Scham, Reue und Schuld erwachen wieder und bilden einen unangenehmen Knoten in seinem Magen. Denn ganz egal, ob er sich erinnern kann oder will, irgendetwas ist zwischen ihnen geschehen, etwas, das ihn nackt auf dem anderen zurückließ. Ganz zweifellos hat er Jokers Schwäche und Wehrlosigkeit ausgenutzt, und das hätte niemals passieren dürfen! Es tut mir leid. Er will es sagen, aber heraus kommt nur – und der Teufel mag wissen, warum: „Vicky ist tatsächlich reizend. Ich gehe heute Abend mit ihr essen.“ Für den Bruchteil einer Sekunde scheint ein Schatten über Jokers Miene zu huschen, doch dann ist es vorbei und um seine Mundwinkel spielt ein höhnisches Lächeln. Er richtet seine Aufmerksamkeit demonstrativ wieder auf die Sendung und Bruce macht es ihm nach. Doch so richtig genießen kann er Vickys Anblick nicht mehr, schon gar nicht, als der Joker neben ihm meint: „Was hat dieses Pressehuhn nur an sich, dass sich sowohl Gothams größter Schürzenjäger wie auch Graf Dracula höchst-persönlich so für sie begeistern?“ Aus irgend einem Grunde fühlt sich Bruce persönlich beleidigt, mit dem transsilvanischen Blutsauger in einen Topf gewor-fen zu werden. „Vergleich mich nicht mit ihm!“ fährt er unwillkürlich auf. „Noch nie in meinem Leben habe ich einen von sich selbst überzeugteren Schnösel erlebt!“ „Nur, weil er dachte, du hättest ihn dir als Vorbild für deine Fledermauskostümierung genommen? Also wirklich, Brucie, sei nicht so kleinlich.“ Jokers Kichern klingt anders als sonst. Dunkler. Bitterer. Und ganz egal, was Bruce darauf erwidern wollte, jetzt bringt er keinen Ton mehr heraus. Es dauert eine Weile, bis er begreift, dass es nicht an der Erinnerung daran liegt, wie knapp es diesmal gewesen war - nur eine Minute später und Vicky Vale wäre jetzt Draculas Braut. Aber so furchtbar diese Vorstellung auch ist, seine plötzliche Gänsehaut stammt nicht daher. „Woher weißt du das?“ Er fährt zu dem Joker herum und kann sich nur mühsam davon zurückhalten, ihn am Kragen zu packen und durchzuschütteln. „Du warst doch gar nicht dabei, als er das zu mir gesagt hat!“ Joker zuckt zusammen und rutscht ein wenig von ihm ab. Bruce holt einmal tief Luft und zwingt sich zur Ruhe. „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschreien.“ Frustriert fährt er sich mit den Fingern durchs Haar. Verdammt, wieso ist das alles nur so schwer? „Hör zu, diese ganze Sache mit Dracula war einfach nur gruselig. Und du bist es auch, wenn du so etwas sagst! Ich will dich verstehen, Joker, das will ich wirklich, aber das fällt mir schwer bei solchen Kommentaren.“ Wieder nimmt er einen tiefen Atemzug. Doch das ist ein Fehler, denn so atmet er nur noch mehr von diesem Wildbeeren-Aroma ein. Wieder bekommt er Herzklopfen und dazu sogar schwitzige Hände. Und plötzlich ist sie da, unerbeten und so wahnsinnig intensiv, dass er beinahe aufgeseufzt hätte – die Erinnerung daran, wie es sich anfühlt, diesen Körper in den Armen zu halten. Doch heldenhaft bezwingt er den Drang, dieses Erlebnis zu wiederholen und konzentriert sich ganz auf sein eigentliches Ansinnen: Informationen. Nur dafür hat er den Joker noch nicht zurück nach Arkham gebracht. „Ich verstehe inzwischen, dass du die Welt ganz anders wahrnimmst als alle anderen, und dass das kein Problem deiner Geistesverfassung ist, sondern ein rein biologisches. Also bitte, erklär es mir. Sag mir, was du siehst. Ich verspreche dir auch“, fügt er in Erinnerung an sein Gespräch mit Cobblepot hinzu, „ich werde dir zuhören.“ Joker mustert ihn nachdenklich. Tatsächlich gäbe es viel zu erklären, aber wird Bruce ihm wirklich glauben? Vielleicht, wenn er es ihm Häppchenweise beibringt? Jeden Tag ein kleines bisschen mehr… schließlich gibt er sich einen Ruck und geht das Risiko ein. Aber nur, weil Bruce ihn aus diesen großen, verzweifelten Augen ansieht. „Ich nehme die Welt tatsächlich ganz anders wahr als ihr. Aber das hat mit dieser racula-Geschichte nicht viel zu tun. An meine Zeit als Vampir erinnere ich mich nur wie an einen Traum. Einiges ist glasklar, aber das meiste eher diffus. Beson-ders deutlich ist das, was mir der Blutsauger gezeigt hat, darunter auch eurer erster Kampf. Er konnte nicht anders, er musste damit vor mir prahlen.“ Er hält kurz inne und fährt dann verbittert fort: „Ich habe es wirklich gehasst, wie selbst-verständlich dieser Mistkerl in meinem Kopf herumspaziert ist.“ Bruce schluckt einmal schwer und fühlt sich sofort wieder schuldig. Mehr denn je versteht er jetzt Jokers Wutanfall gestern Nachmittag. Als Dracula ihn kontrollieren wollte, in seinen Verstand eindrang, hat der Untote alles wieder aufgewühlt, was Batman und Dr. Strange vor einigen Wochen mit dem Joker gemacht hatten. Wie entsetzlich, dass der Joker so etwas schon zweimal innerhalb so kurzer Zeit durchmachen musste! Impulsiv streckt Bruce seine rechte Hand aus, um sie Joker in einer aufmunternden Geste aufs Knie zu legen. Er wird sich dessen erst bewusst, als dieser ihm einen überraschten Blick zuwirft. Verlegen zieht er seine Hand wieder zurück. Dem Joker entweicht daraufhin ein kleines Kichern, doch dann räuspert er sich und fährt bemüht ernst fort: „Nun ja, das war wohl die Antwort auf deine Frage, wieso ich weiß, was der Fürst der Finsternis zu dir gesagt hat. Ich betone aber, dass das gar nichts mit der Art zu tun hat, was ich sonst noch so alles sehe, höre und …“ er zögert kurz „…fühle. Ach ja, apropos“, wieder ein kurzes Stocken, dann kippt seine Stimmung plötzlich, alle Leichtigkeit verschwindet und sein Tonfall wird hart, geradezu herausfordernd: „Ich brauche ein neues Zimmer. Eines, in dem du nicht ein Dutzend Weiber durchgevögelt hast. Es sei denn natürlich, du möchtest, dass sich das von eben wiederholt.“ Getroffen zuckt Bruce zusammen. Ihm schießt die Röte ins Gesicht, doch tief in seinem Inneren ist er versucht, ihm ein mindestens genauso provozierendes „na und?“ entgegen zu schleudern. Doch er beherrscht sich. „Das verstehe ich jetzt nicht“, erwidert er betont freundlich. „Erklärst du es mir? Bitte.“ Sein Bemühen, nicht die Geduld zu verlieren, amüsiert den Joker. Er kann sich ein weiteres Kichern nicht verkneifen. Bruce wirft ihm einen gereizten Blick zu, sagt jedoch nichts. Oh, die Antwort muss ihm wirklich sehr wichtig sein! Da will sich der Joker mal Mühe geben und ihn nicht enttäuschen. „Es ist wie die Sache mit den Fingerabdrücken. Wir hinterlassen sie bei allem, was wir berühren. Aber Fingerabdrücke sind nur ein kleiner Teil dessen, was uns ausmacht. In Wirklichkeit hinterlassen wir viel, viel mehr. Wir hinterlassen eine Momentaufnahme unseres gesamten Ichs.“ Es hat ihn wochenlange Recherchen in der Esoterikabteilung der Bibliothek gekostet, für das, was für ihn so natürlich ist wie das Atmen und was für ihn selbst keiner Erklärung bedarf, die richtigen Worte und Begriffe zu finden. Aber er bezwei-felt, dass Bruce ihm länger zuhören wird, wenn er mit solchen Wörtern wie Auren und Parapsychologie um sich wirft. Zumal all das, was er bisher darüber gelesen hat, seine eigenen Erlebnisse nur sehr mangelhaft beschreibt. Es genügte allerdings, um ihm klar zu machen, dass er die Welt mit völlig anderen Augen sieht als alle anderen um ihn herum. Kein Wunder also, wenn man ihn für verrückt erklärt und nach Arkham gesperrt hat. „Und deshalb brauche ich ein anderes Zimmer“, schließt er seine Erklärung. „Zuviel sexuelle Energie.“ „Sicher.“ Bruce macht eine nachlässige Handbewegung, ist mit seinen Gedanken ganz woanders. Denn es mag ja sein, dass Joker von der Vergangenheit des Zimmers beeinflusst wurde – aber das trifft nicht auf Bruce zu. Plötzlich fühlt sich der Millionär nur noch viel, viel schuldiger. „Willst du… willst du damit andeuten, das eben geschah nicht aus freiem Willen?“ verlangt er schwach zu wissen. „Dass du von dieser … Energie besessen warst?“ „Was?“ erschrocken starrt Joker ihn an. „Nein! Bruce!“ Himmel, wie konnte er das nur derartig missverstehen? „Denk nicht so etwas, Batsy. Wieso fühlst du dich nur immer gleich für alles und jeden verantwortlich? Manchmal passieren Dinge nun einmal einfach. Manchmal werden die Eltern eben von einem Straßenräuber erschossen und ihr kleiner Sohn muss das mit ansehen. Gegen das Schicksal bist du machtlos, sieh das doch endlich ein!“ Der junge Millionär neben ihm schüttelt nur den Kopf und legt seine rechte Hand über seine brennenden Augen, während sich seine Linke zur Faust ballt. Unter Jokers Worten fühlt er sich hilflos und zornig, und er muss wirklich sehr mit sich kämpfen, um nicht um sich zu schlagen. „Sei still. Sei verdammt nochmal still. Rede nie wieder von meinen Eltern, hörst du? Nie wieder!“ Seine Stimme klingt erstickt, beinahe gebrochen. „Du hast kein Recht dazu. Das hat gar nichts mit der Sache hier zu tun.“ Joker schweigt und gibt Bruce die Zeit, die er benötigt, um sich wieder zu sammeln. Irgendwann hebt der junge, dunkel-haarige Mann wieder den Kopf und begegnet dem ungewöhnlich warmen, geradezu liebenswürdigen Lächeln seiner Ne-mesis. „Soll ich dir verraten, woran ich erkannt habe, dass Bruce Wayne hinter Batmans Maske steckt?“ schnurrt er regelrecht. „ An deinen Eltern, Bruce. Alles, was du tust, hat mit dieser Nacht in der Seitengasse zu tun. Alles. Diese Erinnerung, dieses Trauma, steckt in allem, was du berührst. Und nichts berührst du öfter als dein Batman-Kostüm. Maske, Umhang, Hand-schuhe. Sie berühren mich oft, diese Handschuhe. Meist mitten im Gesicht.“ Bruce spürt, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunterrieselt. „Stopp!“ ruft er und springt auf. „Genug. Das ist zu viel. Einfach zu viel. Ich … ich muss darüber nachdenken.“ Mit diesen Worten wirbelt er herum und verlässt beinahe fluchtartig den Raum. Joker starrt ihm mit schiefgelegtem Kopf hinterher, während sein Lächeln schlagartig erstirbt. „Er wird sich wieder beruhigen“, ertönt plötzlich Alfreds leise, sanfte Stimme. Lächelnd taucht er in der offenen Küchentür auf und lehnt sich höchst unbutlermäßig an den Türrahmen, während er mit einem Tuch seine feuchten Finger abtrocknet. Er war mit dem Abwasch beschäftigt und hat alles mitangehört und schämt sich dafür kein bisschen. „Er wird sich jetzt an seinen Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer setzen und aus dem Fenster starren, wie immer, wenn er über etwas ins Grübeln gerät. Und dann wird er Ihnen noch mehr Fragen stellen. Aber“, fügt er stirnrunzelnd hinzu, „bis dahin ist das Essen endgültig kalt. Schade drum. Es sei denn, Sie erbarmen sich des armen Filet Mignons.“ Der Joker grinst wieder und erbarmt sich. *** 9. Kapitel Alfred hat recht: Bruce Wayne sitzt tatsächlich in seinem Büro am Schreibtisch und starrt aus dem Fenster in den für Go-tham und Umgebung so typisch wolkenverhangenen Himmel. Aber anders als Alfred vermutet, ist Bruce weniger mit Grübeln beschäftigt als damit, ein gewisses Unbehagen, das tief in seinem Inneren zu bohren beginnt, zurückzudrängen. Ein Unbehagen, das jenem Teil seines Seins entspringt, wo bei jedem Menschen die über Generationen hinweg vererbten Ängste seiner Vorfahren schlummern. Es ist dasselbe Gefühl, das einen dazu zwingen will, sich um Mitternacht eher für den Umweg über die Hauptstraße zu entscheiden als für die Abkürzung über den Friedhof. Aber Bruce ist Batman, und als solcher ignoriert er diese Art von Instinkten so gut es ihm möglich ist, und meistens helfen ihm dabei logische und sachliche Argumente. Deshalb nimmt er auch gerne und oft die Abkürzung über den Friedhof, egal ob Mitternacht oder nicht. Andererseits bedeutet das aber noch lange nicht, dass dadurch dieses grummelnde Unbehagen in seinem Inneren verschwindet. Auch jetzt will es nicht weichen, egal, wie viele rationale Erklärungen es für Jokers Fähigkeiten auch gibt - und das ärgert ihn. Er weiß, er hat mal wieder überreagiert, und dafür hasst er sich. Aber schließlich hatte der Joker schon immer ein Händchen dafür, ihn aus der Fassung zu bringen, vor allem, wenn es dann auch noch etwas mit seinen Eltern zu tun hat. Nur hat er es diesmal nicht aus Absicht getan, und allmählich muss sich Bruce wirklich fragen, ob es nicht an ihm selbst liegt. Schließlich hat er keine Probleme damit, wenn Alfred oder irgend ein anderer mit ihm über seine Eltern redet. Es tut zwar immer weh, aber mehr auch nicht. Nur beim Joker verspürt er dieses wilde Verlangen, ihm entweder die Faust ins Gesicht zu rammen oder ganz weit weg zu laufen. Und wie verträgt sich das eigentlich mit seinem Wunsch, diese grünhaarige Pest ständig abzuknutschen oder sons-tige Intimitäten mit ihm auszutauschen? Es ist, als wäre ich in seiner Nähe nicht mehr ich selbst. Ein weißer Lichtblitz schreckt ihn aus seinen Gedanken. Ohne dass es ihm aufgefallen wäre, ist es draußen noch dunkler geworden. Und dann, zeitgleich mit einem Donnergrollen, klatschen die ersten großen Regentropfen ans Fenster. Oh, verdammt! Hoffentlich hat es sich bis heute Abend beruhigt. Ich wollte Vicky doch ganz groß ausführen. Andererseits ... kann es unter einem Regenschirm auch ganz kuschelig werden. Keine Sekunde später schämt er sich für diesen Gedanken. Es kommt ihm falsch vor, auf diese Weise an Vicky Vale zu denken, wo sein Tête à Tête mit dem Joker doch noch keine zwei Stunden her ist. Als würde er ihn mit ihr betrügen... Un-willig schüttelt der junge Millionär den Kopf. Bemüht, solche und ähnliche Gedanken endgültig auszusperren, setzt er sich wieder aufrecht hin, schaltet die kleine Tischleuchte ein und konzentriert sich wieder auf seinen Bildschirm, beginnt, die längst fälligen Geschäftsmails abzurufen. Und für eine halbe Stunde gelingt es ihm sogar, nicht mehr an den Joker zu denken. Aber dann betritt Alfred mit einer Unterlagenmappe in der Hand und einer sehr besorgten Miene sein Büro. „Sir, darf ich stören?" Bruce hätte gerne abgelehnt, doch er seufzt nur still in sich hinein und versucht sich in einem schiefen Lächeln. „Natürlich, Alfred. Was gibt es? Probleme mit unserem Gast? Gefällt ihm sein neues Zimmer nicht?" Es soll abfällig klin-gen, aber selbst er hört die Besorgnis aus seinen Worten heraus. Verdammt. Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn Alfred so ein Gesicht zieht... Dessen Miene wird nur noch düsterer. „Ich habe ihm das Zimmer Ihrer ehemaligen Nanny gegeben. Er schien zufrieden." Bruce überlegt kurz. Es muss zwanzig Jahre her sein, dass er eine Nanny hatte - damals lebten seine Eltern noch. Ehrlich gesagt, weiß er nicht einmal, wo genau sich dieses Zimmer befindet. Hoffentlich schön weit weg... denkt er grummelig und schämt sich dafür sofort wieder. „Er hat auch seine Eisenpräparate genommen", fährt Alfred unbeeindruckt fort, der natürlich nichts von Bruce' wider-sprüchlichen Gefühlen ahnt. Und noch viel weniger ahnt er, welche Schuldgefühle diese Worte nun bei seinem jungen Arbeitgeber auslösen. „Er schläft jetzt. Wieder einmal." „Ich merke schon, du hast wie immer alles im Griff", versucht Bruce zu witzeln. Tatsächlich lässt sich Alfred zu einem Schmunzeln herab, doch in seine Augen ist ein lauernder Glanz getreten, als er den jungen Mann vor sich am Schreibtisch durchdringend zu mustern beginnt. „Ist irgend etwas Erwähnenswertes zwischen Ihnen und dem Joker vorgefallen?" erkundigt er sich schließlich betont un-schuldig. Bruce zuckt beinahe zusammen. „Wie kommst du denn darauf, Alfred?" Alfreds Blick bekommt etwas Mahnendes. „Er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, aber ihm ist übel und schwinde-lig; Auf dem Weg zu seinem neuen Zimmer hat er sich immer, wenn er dachte, ich sehe es nicht, irgendwo haltsuchend abgestützt. Er zeigt alle Anzeichen einer Gehirnerschütterung." Bruce atmet erleichtert auf und versucht gleichzeitig, verlegen auszusehen. „Ja", gibt er unumwunden zu - hey, er würde alles zugeben, so lange es Alfred davon abhält, andere, wesentlich peinlichere Schlüsse zu ziehen. „Es gab da einen kleinen Unfall in der Bathöhle. Er hat sich den Kopf angeschlagen. Ich wusste nicht, dass es so ernst ist." Für diese Gedankenlosigkeit könnte er sich selbst in den Hintern treten. Aber dieser Kerl hat sich auch gar nichts davon anmerken lassen, als sie zusammen ... er unterbricht diesen Gedanken hastig und wirft dem vor ihm stehenden Butler einen wie er hofft, geschäftsmäßigen Blick zu. „Gibt es sonst noch etwas, Alfred?" Er weiß, dass er sich wie ein Arsch benimmt, aber solange er sich auf so dünnem Eis bewegt, scheint das die einzige Art für ihn, nicht in diesem Eis einzubrechen. Merkwürdigerweise zuckt es um Alfreds Mundwinkel kurz, doch er hat sich schnell wieder in der Gewalt und jeglicher Hauch von Belustigung verschwindet wieder hinter dieser ernsten Miene. Und seine nächsten Worte beweisen, dass tat-sächlich Anlass zur Sorge besteht. „Ich war so frei, die Analyse des medizinischen Programms auszudrucken", mit diesen Worten tritt er zu Bruce heran und legt die aufgeschlagene Unterlagenmappe vor ihm auf den Tisch. „Leider sind die Ergebnisse wenig aufmunternd." Bruce erkennt mit einem einzigen Blick, was er meint. „Verdammt", flucht er leise und zieht die Akte näher an sich heran. Er beginnt, sie durchzublättern, als hoffe er, ein genau-eres Studium würde ein anderes Ergebnis liefern als diesen eindeutigen Fehlschlag. „Ja", stimmt ihm Alfred zu. „Das übersteigt unsere Fähigkeiten. Falls Sie noch weitere Untersuchungen planen, sollte das ein Arzt übernehmen. In einem Krankenhaus." Bruce wird sichtbar blass um die Nase. „Wenn die Quelle seiner Krankheit nicht in seinem Blut zu finden ist..." seine Stimme versagt. „Dann in seinem Knochen- oder Rückenmark", ergänzt Alfred hilfsbereit. „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Ich wie-derhole: für weitere Untersuchungen muss er sich in die Hände von Spezialisten begeben. In eine Klinik." Ihre medizinische Ausrüstung mag der neuesten Technologie entspringen, aber weder er noch Bruce haben die nötige Ausbildung, um gefahrlos mit riesigen, langen Nadeln in so sensiblen Bereichen wie dem Rückenmark herumzustochern. Nicht auszudenken, wenn durch ihre Schuld der Joker eine Lähmung davontrüge. Alfreds Argumente bestechen wie immer durch ihre Logik, aber der Gedanke, den Joker in eine Klinik zu bringen - und sei sie auch noch so privat und verschwiegen - behagt Bruce überhaupt nicht. Nein, kein auch noch so hoch dekorierter Kurpfuscher fasst ihn mir an. Bruce holt einmal tief Luft und versucht, sein beginnendes Herzklopfen unter Kontrolle zu bekommen. Was auch immer er hat ... ist es denn wirklich so wichtig, das herauszufinden? Vielleicht warten wir einfach ab. Er hat ein Bad in einem Chemietank überlebt, wie schlimm kann das hier jetzt schon sein? Plötzlich durchfährt ihn ein Geistesblitz. „Eine Möglichkeit bleibt uns noch, Alfred. Unser Gensequenzierungsgerät. Wir können seine derzeitige DNS mit der von früheren Proben vergleichen. Auf die Art haben wir wenigstens in einem Punkt Gewissheit - ob der Worst Case eingetreten ist. Er ist schließlich schon einmal mutiert." Alfreds Augenbrauen rutschen kurz überrascht in die Höhe, bevor er sie kurz darauf nachdenklich zusammenzieht. „Das erscheint mir wie eine vorzügliche Idee, Bruce. Wenn ich mich recht erinnere, wollten wir seine DNS schon immer mal mit der eines gewöhnlichen Menschen vergleichen, scheiterten bisher aber immer an der notwendigen Zeit." „Jetzt nehmen wir uns diese Zeit", grinst Bruce schwach. Alfred nickt. „Ich mache mich sofort an die Arbeit", erklärt er voller Tatendrang und eilt mit großen Schritten davon. Doch kurz vor der Tür scheint ihm noch etwas einzufallen. „Weißt du, Bruce", beginnt er, wie immer in die persönliche Anrede verfallend, wenn ihm etwas wirklich am Herzen liegt, „das hätten wir schon früher machen sollen. Es war höchst leichtsinnig, das Serum gegen Dracula, das wir aus Jokers Blut gewonnen haben, eins zu eins auf seine anderen Opfer zu übertragen. Das hätte schief gehen können." Er hält kurz inne und wirft dann über seine Schulter einen nachdenklichen Blick zu Bruce hinüber. „Das erinnert mich daran, dass Medika-mente erst an Schimpansen getestet werden, bevor ein Menschenversuch gestartet wird. Nur ich frage mich wirklich ... wer ist hier dann der Schimpanse?" *** Als hätten die Wettergötter Erbarmen mit ihm und seinen Plänen, verzieht sich die Gewitterfront schnell wieder. Dennoch beschließt Bruce, einen Regenschirm mitzunehmen. Sicher ist sicher. Aber vorher will er sich noch von Alfred verabschieden. Und da es Dinner Zeit ist, eilt er schnurstracks in die Küche. Neben sehr vielem ist sein treuer alter Freund ein begeisterter Koch, und selbst wenn Bruce so wie heute auswärts zu essen plant, hält es ihn nicht davon ab, regelmässig ab sechs Uhr abends am Herd zu stehen. Er sagt zwar immer, für ihn selbst zu kochen mache ihm nicht so viel Spaß, aber heute ist er ja nicht allein. Der Joker ist da und lässt sich bestimmt gerne von ihm verwöhnen. Der Gedanke bringt Bruce zum Schmunzeln. Aber als er die Küche betritt, liegen auf der Anrichte zwar schon alle Zutaten für einen Salat bereit, doch von Alfred selbst fehlt jede Spur. Für einen kurzen Moment lässt Bruce seinen Blick wehmütig über Salatkopf, sonnenreife Tomaten, goldgelben Mais, Kochschinken und den Fetakäse schweifen, dann wendet er sich nach nebenan, Richtung ehemaligen Salon, jetzt schlichtes Wohn- und Esszimmer. Doch auch hier: kein Alfred. Dafür der Joker. In einer Decke eingerollt liegt er auf der Couch. Der Fernseher läuft und zeigt den Vorspann von Star Trek Voyager. Verblüfft über Jokers Fernsehgeschmack, tritt Bruce näher und erkennt mit einiger Verspätung, dass sein Gast zu schlafen scheint. Nach einem kurzen Moment des Zögerns macht er noch einen Schritt auf ihn zu. Und dann noch einen. Und noch einen. Derart wie magisch angezogen, findet er sich schließlich direkt vor der Couch wieder, keine fünfzig Zentimeter mehr vom Joker entfernt. Sein Blick hat sich regelrecht an dessen Antlitz festgesaugt. Es ist ihm schon in den letzten Tagen mehrmals aufgefallen: wenn der Joker schläft, ist dieses Dauergrinsen aus seinem Gesicht verschwunden, alles Dämonische, alles Verrückte fällt dann von ihm ab und vor ihm liegt nur noch ein Mann, zwar mit ungewöhnlichen Farben gesegnet, aber nichtsdestotrotz nur ein Mann. Ein Mann aus Fleisch und Blut wie jeder andere auch, und mit einer sehr sanften Seite - wovon er sich selbst schon über-zeugen durfte. Ungebeten schleicht sich die Erinnerung an ihr Beisammensein vor wenigen Stunden heran, doch anstatt sie zu unterdrücken, heißt sie Bruce diesmal freudig willkommen. Es ist ohnehin nicht viel, woran er sich erinnert. Aber das Wenige hinterlässt ein warmes Gefühl in seinem Inneren - und was schadet es, wenn er sich für sein Date schon einmal in die richtige Stimmung bringt? Tief zieht er den altbekannten Duft von wilden Beeren in seine Lungen und wird sich erst in jenem Moment, wo sich ihre Lippen berühren, bewusst, dass er sich über den Schlafenden gebeugt hat, um ihn zu küssen. Erschrocken über seine eigene Dreistigkeit, zieht er seinen Kopf sofort wieder zurück. aber es ist zu spät. Jokers Augen beginnen sich flatternd zu öffnen. Bruce kann nur hoffen, dass er nichts bemerkt hat - und wenn, dass er es vielleicht für einen Traum hält - und versucht, seine eigene Verlegenheit mit einem kleinen Lächeln zu kaschieren. Seine rechte Hand wandert zu Jokers Gesicht, um ihm eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen und dann lässt er sie dort einen Moment verweilen, als wäre er nur hier, um seine Temperatur - welche immer noch nicht unerheblich ist, er glüht regelrecht - zu überprüfen. „Wieso bist du nicht in deinem Zimmer?" erkundigt er sich in dem kläglichen Versuch, Strenge zu beweisen. „Oder gibt es da jetzt auch zu viele störende Energien?" Für die Dauer eines Herzschlages starrt Joker ihn nur aus verhangenen Augen an, dann hievt er sich ächzend und mit Bruce Waynes Hilfe in eine sitzende Position. „Zu still", murmelt er dabei. „Es war mir einfach zu still." Sein Blick zuckt hinüber zum Fernseher und Bruce versteht. Der Joker suchte also Gesellschaft. „Komisch. Ausgerechnet dir war es zu ruhig? Was ist aus den vielen Stimmen in deinem Kopf geworden? Oder den über-natürlichen Dingen, die du siehst?" „Zum letzten Mal", zischt ihn der Joker an, „ich bin in meinem Kopf genauso alleine wie alle anderen, die ihr normal nennt! Es ist nur leichter zu erklären als die Wahrheit, die mir am Ende doch keiner glaubt! Eure Engstirnigkeit ist nicht meine Schuld, aber ich muss sie immer ausbaden, also mache ich sie mir auch zunutze!" Über diesen Temperamentsausbruch doch sehr verwundert, zuckt Bruce etwas zurück und hebt gleich darauf beruhigend die Hände. „Ist schon gut. Das war doch nur ein Scherz." „Ein Scherz?" schnaubt Joker. „Du hast wirklich keine Ahnung davon, wie man einen richtigen Scherz macht, Batsy. Du triffst einfach nie den richtigen Ton." Daraufhin reagiert Bruce nur mit einem verärgerten Schweigen. Es stimmt. Immer wenn er versucht, seine Worte mit einer Prise Ironie oder Sarkasmus zu verfeinern, kommt er so bierernst herüber wie ein verstaubter Professor. Es gelingt ihm nur, wenn er etwas dicker aufträgt - und das versucht er nur, wenn es darum geht, eine hübsche Frau zu beeindrucken. „Tut mir Leid", hört er sich selber sagen und ist darüber noch mehr überrascht als der Joker. „Ich schätze mal, ich brauche noch etwas Zeit, um deine Fähigkeiten zu verdauen. Es ist aber auch schwer vorstellbar, wie es dir bei all dem zu still sein kann. Vor allem, wo du doch das Zimmer meiner alten Nanny bewohnst. Ich habe sie als eine sehr lebenslustige, optimisti-sche Person in Erinnerung. Und vor allem ohne Herrenbesuch", fügt er schmunzelnd hinzu. „Bei dem Thema ließen meine Eltern nicht mit sich spaßen." Um Jokers Lippen zuckt der Hauch eines Lächelns. „Das Zimmer ist in Ordnung. Es stand so lange leer, dass mir die Spinnen in den Ecken mehr zu erzählen hätten als die Schwingungen deiner Nanny. Das ist übrigens auch ein Grund, wieso ich mich immer in besonders alte Lagerhallen oder Wohnungen flüchte. Was auch immer dort geschehen ist, es ist so sehr verblasst, dass es mich nicht mehr stört." Er seufzt einmal tief und fährt sich mit den Händen über die müden Augen. „Aber ich kann nicht immer nur davon umgeben sein. Ich brauche Menschen um mich herum. Tiere. Oder irgend etwas, was dem nahe kommt. Stimmen. Das Klappern von Töpfen. Alarmsirenen. Kälte oder Hitze. Irgend etwas, egal was, nur aus eurer Welt! Damit ich nicht vergesse, wer und was ich bin." „Schmerzen", ergänzt Bruce das Ungesagte flüsternd. Die Erkenntnis trifft ihn wie ein Schlag. Joker nickt nur erschöpft. Er hat viel von sich preisgegeben, mehr als er eigentlich jemals wollte, aber er ist an einem Punkt angekommen, wo ihm das herzlich egal ist. Sein ganzer Körper ist wie betäubt, allem voran sein Kopf, und er ist so furchtbar müde, dass er sich jedes Mal, wenn er die Augen schließt, fragt, ob es vielleicht das letzte Mal sein wird. Für einen Augenblick starrt Bruce ihn aus seinen babyblauen, immer so unschuldig wirkenden Augen einfach nur an, und Joker sieht regelrecht, wie das eben Gehörte endlich - endlich! - in seine Seele einsickert. Alles in ihm sehnt sich nach einer Umarmung, und für einen klitzekleinen Moment scheint es auch so, als bekäme er eine, doch da beginnt Bruce' Arm-banduhr zu piepsen. Nach einem schnellen Blick aufs Ziffernblatt verdüstert sich Bruce' Miene und er erhebt sich so hastig, dass er beinahe über seine eigenen Füße stolpert. „Wir reden später weiter. Ich muss los." Er zögert, sieht kurz zu ihm hinunter und fügt dann so leise, dass selbst Joker mit seinem außerordentlichen Gehör es kaum verstehen kann, hinzu: „Es tut mir leid." Dann geht er. Und zum ersten Mal seit er durch diesen Kuss geweckt wurde, wird sich Joker des teuren Armani- Anzugs gewahr, den sein Gastgeber trägt, sowie den sorgfältig frisierten Haaren und des dezenten After Shaves. Und da selbst der eitle Bruce Wayne derart herausgeputzt garantiert nicht zu einer Vorstandssitzung eilen würde, bleibt nur eine einzige Art von Termin, die der Playboy einhalten muss. Und dann erinnert er sich wieder: Vicky Vale! Eiskalte Wut lodert im Joker auf und verdrängt zielsicher jede Form der Schwäche. *** Kapitel 7: Kapitel 10 - 12 -------------------------- 10. Kapitel Hätte Alfred nicht seine Lesebrille im Labor in der Bathöhle vergessen und wäre nach dem Essen dort noch einmal hingegangen, um sie zu holen, wäre er auch nicht an der kleinen Treppe, die zu einem der hinteren Ausgänge führt, vorbeigekommen und hätte weder die Bewegung aus dem Augenwinkel wahrgenommen noch das leise Klicken der sich schließen-den Tür. Er zögert nur so lange, wie er benötigt, um seine eleganten Lackschuhe mit wetterfesten Stiefeln zu tauschen und sich einen Regenschirm von der Garderobe zu holen - nicht zum ersten Mal ist er froh über seine eigene Weitsicht, solche nütz-lichen Kleinigkeiten in der Nähe jeder Tür zu hinterlassen, die nach draußen führt. Und im Wayne Manor gibt es viele solcher Türen - bei den meisten handelt es sich dabei um ehemalige Dienstboteneingänge. Diese führen direkt ins Freie und sind nicht so überdacht wie das imposante Eingangsportal. Als er also die Tür öffnet, klatscht ihm der Regen ungehindert ins Gesicht. Vor ihm liegt der kleine Kräutergarten - hübsch anzusehen und noch immer gut gepflegt und aufgewertet durch drei ein Meter große Steinfiguren, Überbleibsel aus Mrs. Martha Waynes römischen Phase, wie Mr. Wayne ihre immerhin zwei Jahre andauernde Begeisterung für das Zeitalter der Antike immer zu nennen pflegte. Natürlich haben die Statuen unter dem jahrelangen Einfluss des Gothamer Klimas inzwischen schon mehr als etwas Grünspan angesetzt. Alfred blinzelt sich das Wasser aus den Augen und hält den Schirm etwas schräger, um dem fast waagerechten Regen besser zu entgehen. Nicht, dass es viel nützen würde, das weiß er jetzt schon. Aber das stört ihn nicht wirklich, schließlich ist er Brite und fühlt sich bei einem solchen Wetter schon fast heimisch. Der Joker steht fünf Meter vor ihm, er hat sich ihm halb zugewandt, hat also eindeutig gehört, wie er ihm nacheilte. Doch - ehrlich gesagt - wäre Alfred enttäuscht, wenn es anders wäre. Während er ihm mit jedem Schritt näherkommt, mustert er den Joker unverhohlen. Für einen Augenblick fragt sich Alfred, ob es so weit gekommen wäre, ob sie sich jetzt hier so gegenüberstünden, wenn er, Alfred, ihm nicht seine alte Kleidung zurück gegeben hätte. Doch dann verscheucht er diesen Gedanken wieder. Überlegungen dieser Art sind höchst unproduktiv. Der lila Mantel des Jokers ist imprägniert, und für einen Moment ist Alfred regelrecht fasziniert von dem Anblick, wie die Wassertropfen auf dem Material bei einem fernen Blitz auffunkeln. Dann hebt er den Kopf, um dem wesentlich größerem Mann vor sich ins Gesicht zu sehen und sieht sich demselben Phänomen gegenüber. Die bleiche Haut des Jokers scheint regelrecht zu schimmern. „Wollen Sie etwa fort?" bringt Alfred schließlich über seine dem nassen Wetter zum Trotz sehr trockenen Lippen. „Bei dem Wetter?" Wie um seine Worte zu unterstreichen, grollt ein Donner in der Ferne und der Regen wird noch heftiger. Joker starrt ihn nur aus seinen rotglühenden Augen an, und für einen kurzen Moment wirkt er unendlich hilflos, doch dann verhärten sich seine Gesichtszüge. „Ich kann hier nicht länger bleiben", erklärt er entschlossen und wendet sich zum Gehen. „Ich muss fort. Versuch nicht, mich aufzuhalten, Alfred." „Das habe ich gar nicht vor, Sir", kommt die ruhige Antwort. Und vielleicht ist es die respektvolle Anrede oder die Wärme in der Stimme des Butlers, jedenfalls dreht sich der Joker wieder um. „Das hier ist kein Gefängnis", fährt Alfred fort. „Und ich bin kein Gefängniswärter. Sie können gehen. Jederzeit. Aber es wäre mir lieber, wenn Sie Ihr Vorhaben noch einmal überdenken würden. Sie sind krank. Sie haben hohes Fieber und dazu noch eine gesalzene Gehirnerschütterung. Wie weit, denken Sie, kommen Sie bei diesem Wetter ohne vorher zusammen zu brechen?" Der Joker mustert ihn erstaunt. Wahrscheinlich, denkt Alfred betrübt, geschieht es nicht oft, dass man sich um sein Wohlergehen sorgt. „Vielleicht", murmelt der Joker dann leise und mit dem Anflug eines grimmigen Lachens, „komme ich weiter als Sie den-ken, Alfred." Alfred mustert ihn noch einmal gründlich. „Ja, das mag wohl stimmen", gibt er sich schließlich geschlagen. Wieso hat ihn das Schicksal nur mit solch eigensinnigen Personen gestraft? Dieser Kerl ist fast genauso schlimm wie Bruce. „Aber bevor Sie gehen, interessiert es Sie vielleicht, zu erfahren, dass Ihre genetische Struktur gerade einer Wandlung unterliegt." Die Ergebnisse liegen erst seit fünf Minuten vor und hätte er seine Brille nicht aus dem Labor holen müssen, hätte er sie noch nicht, und auch, wenn das nicht sein Spezialgebiet ist, weiß er doch, was es bedeutet, wenn der Computer einem zwei verschiedene Ergebnisse ausspuckt, die zu einer einzigen Person gehören. „Sie mutieren, und niemand kann wissen, wohin das führt." Der Joker scheint davon wenig beeindruckt, denn er zuckt nur mit den Achseln. „Auf Wiedersehen, Alfred." Wieder macht er Anstalten, sich umzudrehen und davonzugehen. „Warum?" entfährt es Alfred in seiner Not. „Wenn es wegen Bruce ist ..." „Ich muss gehen", unterbricht ihn der Joker. Er ist zwar stehengeblieben, dreht sich aber nicht mehr zu dem Butler um; und Alfred weiß, dass er ihn nicht mehr länger aufhalten kann, es sei denn, er wendet Gewalt an. Und tatsächlich überlegt er einen Augenblick, ob er ihm mit dem Regen-schirm ... er bringt diesen Gedanken nicht zu Ende, denn die nächsten Worte des Jokers lenken ihn ab. „Für jeden von uns gibt es einen Pfad, dem wir folgen müssen. Ich habe schon viel zu lange angehalten. Und jetzt muss ich weiter." Seine Worte werden sehr dramatisch von einem Lichtblitz und einem Donnergrollen untermalt, aber das ist es nicht, was Alfred eine Gänsehaut beschert. „Ich werde Master Bruce informieren müssen." Selbst in seinen Ohren klingt das wie eine sehr verzweifelte Drohung, und beim Joker erntet sie nur ein weiteres Schulterzucken. Und dann dreht der Wind wieder und weht ihm das Wasser direkt in die Augen. Es dauert eine Weile, bis Alfred wieder klar sehen kann, aber da ist der Joker schon wie ein Spuk in dunkler Nacht verschwunden. Einer Eingebung folgend senkt Alfred den Kopf. Vor ihm auf dem aufgeweichten Boden sieht er die Fußabdrücke des Jokers. Sie füllen sich rasant mit Wasser und sind schon nach wenigen Sekunden ausgelöscht. Der Anblick lässt Alfred erschaudern. *** Mistwetter. Bruce Wayne versucht, sich seinen Missmut nicht anmerken zu lassen und betreibt das, was man mitunter als Smalltalk betrachtet, mit der hübschen Brünetten neben sich auf dem Beifahrersitz seines Porsches. Das Wetter hielt sich gerade mal bis zu jenem Zeitpunkt, wo die hübsche Reporterin in sein Auto stieg. Jetzt gießt es wieder wie aus Kübeln, es braut sich sogar ein regelrechtes Gewitter zusammen, und wenn er abergläubisch wäre, müsste er das als eines der weiteren schlechten Omen sehen, unter dem seine Beziehung zu Miss Vale zu stehen scheint. Erst dieses Dracula-Desaster und nun dies hier Wenigstens verfügt das Restaurant über eine Tiefgarage, so bleiben sie zumindest trocken. Er hat beschlossen, sie in eines des extravagantesten und daher auch exklusivsten Restaurants von Gotham auszuführen, und Vicky zeigt sich auch angemessen beeindruckt. Es liegt hundertzwanzig Meter über der Straße, hoch oben in einem der höchsten Wolkenkratzer, auf einer Plattform liegend, die sich langsam um sich selbst dreht, so dass man während der Mahlzeit einen richtigen Rundumblick über die gesamte Stadt genießen kann. Das Essen wird so frisch zubereitet, dass man die Landluft quasi noch schmecken kann und die Getränke stammen aus den erlesensten Weinkellern der Welt. Dies ist die Gesellschaft, in der sich Bruce Wayne tagtäglich bewegt, deren Regeln er mit der Muttermilch aufgesogen hat und in der er sich dorch trotzdem nur dann wohlfühlt, wenn er sich - so wie jetzt - in weiblicher Begleitung befindet. Nichts geht ihm so leicht von den Lippen wie charmantes Geplauder in einer solchen Umgebung. Normalerweise. Nur heute ist irgendwie der Wurm drin. Es will ihm nicht gelingen, sich wirklich auf Vickys Worte zu konzentrieren. Er hört ihr zwar zu und gibt angemessene Kommentare von sich, aber hätte man ihn fünf Minuten später gefragt, worüber sie gesprochen haben, wüsste er es nicht mehr. Es geht um ihre Arbeit. Irgendwie jedenfalls. Und um eine Kollegin, mit der zusammen sie eine ganz große Reportage plant. Einen Knaller, wie sie es nennt. Etwas, das mehr als nur eine kleine Schlagzeile wert es. Etwas, mit dem sie es endlich ins Hauptprogramm schaffen kann. Doch plötzlich, sie sitzen schon beim Dessert, nach vielen, geheimnisvollen Andeutungen - die es nicht einmal schaffen seine Neugier wirklich zu wecken - sagt sie etwas, was ihn aufhorchen lässt. „Walker war vorher schon Stadtrat in Blüdhaven. Dann zogen er und seine Frau aus persönlichen Gründen nach Gotham, hier war er zuerst Parteivorsitzender der Republikaner, bis er für das Amt des Bürgermeisters kandidierte. Er hat dann ganz plötzlich seine Kandidatur zurückgezogen - erinnerst du dich noch, Bruce?" Ehrlich gesagt nicht, aber er nickt trotzdem höflich. Irgend etwas an dieser Geschichte macht ihn stutzig, er weiß nur noch nicht genau, was. „Das war eigentlich ziemlich merkwürdig", Vickys Wangen haben sich vor Aufregung regelrecht gerötet und sie beginnt sehr ausladend zu gestikulieren. Dabei wogen ihre Brüste höchst eindrucksvoll hin und her. Für einen Moment starrt Bruce sie völlig fasziniert an, bis es ihm bewusst wird. Hastig wendet er den Blick wieder ab, hinauf in Vickys strahlend blaue Augen. Es dauert eine Weile, bis er begreift, wie kalt ihn das eben wirklich gelassen hat. Er ist entsetzt. Vicky nicht. Sie hat nichts von alldem bemerkt und redet munter weiter. „Vor allem, wenn man bedenkt, dass er gute Chancen hatte, wo er doch das öffentliche Mitleid auf seiner Seite hatte, nachdem er Jokers erstes prominentes Smilex-Opfer wurde." Bruce stockt fast der Atem. Jetzt weiß er, wieso ihn diese Geschichte aufhorchen ließ. Doch noch bevor er etwas einwerfen kann, redet sie schon weiter— mit noch temperamentvolleren Gesten und erhitzten Wangen. Eine Vollblut-Journalistin auf der Jagd nach der Story ihres Lebens. Eigentlich sollte er sich freuen, dass sie ihr Dracula-Erlebnis so unbeschadet überstanden hat und sich so in ihre Arbeit stürzt, aber in diesem Moment ist sie ihm richtig unheimlich. „Ja, du hast richtig gehört. Vor ein paar Tagen schrieb meine Freundin einen Artikel für die Blüdhavener Gazette, in der es um die Geschichte eines Fischers ging, der den Joker aus der Bucht fischte. Das gab für sie den Anstoß. So kam sie auf die Idee, eine Reportage über alle Opfer des Jokers zu machen. Eine dieser typischen Was wurde aus XY - Reportagen. Ange-fangen hat sie mit George Walker, weil der in Blüdhaven noch immer einen guten Ruf genießt. Und weil sich jeder noch an seinen kleinen Familienskandal erinnert, weswegen er und seine Frau aus Blüdhaven nach Gotham zogen. Seine halb-wüchsige Tochter lief eines Tages einfach davon. Heißt es. Sie wäre ein undankbares, verzogenes Gör gewesen. Heißt es. Nun, die Wahrheit sieht anders aus: meine Freundin ist ein As, was Recherchen betrifft, sie hat die Kleine aufgespürt. Sie ist inzwischen fünfundzwanzig und ist damals bei ihrer Tante in Boston untergeschlüpft. Und jetzt halt dich fest: sie ist nicht weggelaufen. Ihr Vater hat sie vor die Tür gesetzt und verstoßen. Weil sie sich in einen Farbigen verliebt hatte." Sie holt einmal tief Luft und nimmt einen großen Schluck von ihrem Wein. Ihre gerechte Empörung ist mehr als offen-sichtlich. Bruce enthält sich jeden Kommentars, denn jetzt hat sie seine Neugier geweckt. Und so wartet er beinahe ungeduldig da-rauf, dass sie weiter berichtet. Und genau das macht sie dann auch. „Natürlich liegt die Vermutung nahe, dass jemand Walker damit erpresste, so dass er deshalb seine Kandidatur zurückzog, richtig? Nun, das dachte sie auch. Und vielleicht stimmt das auch, da sind wir noch dran. Auf alle Fälle ist das nicht der einzige Fall von amoralischen Verhaltens, dessen sich Jokers Opfer schuldig gemacht hatten. Es ist nicht zu glauben, auf was wir schon alles gestoßen sind. Da ist der Bankdirektor, der im Alkoholrausch einen Obdachlosen überfuhr und Fahrerflucht beging. Der Polizist, der seine Frau verprügelte. Die Mutter, die lieber feiern ging als sich um ihre Kinder zu kümmern. Der Familientyrann. Die Religiösen, die einen geheimen Exorzismus durchführten. Seelische Grausamkeit an Schutzbefohlenen. Und die ganz üblen Sachen wie Kinderpornografie und Vergewaltigung. Alles Delikte, teilweise über ein Jahrzehnt her, die auf keinem Polizeirevier je gemeldet wurden, aber was man erfährt, wenn man sich mit den Angehörigen unterhält. Jenen Angehörigen, die auf der Beerdigung abseits stehen und innerlich laut Endlich! rufen. Angehörige und Opfer, die jahrelang schwiegen, sei es aus Scham oder weil sie es einfach nur vergessen wollten. Wir haben bis jetzt vierundzwanzig von Jokers Smilex-Opfern und zehn seiner Todesopfer überprüft und bei jedem haben wir eine Leiche im Keller gefunden, die das, was ihnen geschehen ist, rechtfertigt." Bruce unterdrückt ein Schaudern. Er muss unwillkürlich an seinen ehemaligen Freund Ethan Bennett denken, der zu Clayface wurde. Welches Verbrechens hat er sich wohl schuldig gemacht, um vom Joker derart bestraft zu werden? „Niemand verdient so etwas", gibt er zu bedenken. Doch Vicky macht nur eine wegwerfende Handbewegung. „Es kommt mir hier nicht auf eine moralische Diskussion an, Bruce. Wir leben in einem Land, das die Todesstrafe anwen-det und wo jeder das Recht hat, eine Knarre zu tragen. Dazu noch in einer Stadt, in der ein maskierter Held der Polizei unter die Arme greift und Superkriminelle und Mafiabosse die Stadtviertel unter sich aufgeteilt haben. Ich will keine Dis-kussion über den Irrsinn dieser Welt, in der wir leben, darum geht es nicht in dieser Reportage. Es geht um Opfer, um vergessene, still leidende Opfer, denen niemals Gerechtigkeit widerfuhr. Außer vom Joker. Einem der gefährlichsten Superkriminellen überhaupt. Das ist das wirklich Verrückte, verstehst du das nicht?" Doch, Bruce versteht das gut. Sehr zu seinem Leidwesen. Und es gibt kaum einen Zeitpunkt - nicht einmal, als er mit Ket-ten gefesselt an einem Heizungsrohr hing - an dem er sich mehr wünschte, er könnte seine Tarnung als der unbedarfte, verwöhnte Millionär Bruce Wayne aufgeben. Alles in ihm schreit danach, ihr noch mehr Einzelheiten zu entlocken, Namen und Daten herauszufinden, aber als Bruce Wayne darf er sich nur oberflächlich für ihre Arbeit interessieren. Und schon gar keine tiefschürfende Diskussion über die Moral beginnen. Ihre wenigen Worte haben ihm das schon deut-lich zu verstehen gegeben. „Doch, das ist verrückt", bleibt ihm daher nur übrig, ihr zuzustimmen. Sie wirft ihm über den Rand ihres Weinglases einen Blick zu, als würde sie noch mehr von ihm erwarten, doch glückli-cherweise bewahrt ihn sein Handy davor. Obwohl er es auf Vibration gestellt hat, ist es an ihrem Tisch so still, dass sogar Vicky es hören kann. Sie ist von sich und ihrem bevorstehenden journalistischen Durchbruch noch so begeistert, dass sie es ihm mit einem Lä-cheln verzeiht. „Geh ruhig ran. Du bist ein vielbeschäftigter Mann." Normalerweise würde Bruce den Anrufer einfach wegdrücken, aber das da ist Alfred am anderen Ende, also entschuldigt er sich höflich bei ihr und verlässt den Tisch. Immerhin verbietet es die Etikette, sein Date damit zu belästigen. Und das ist eine gute Ausrede, denn was auch immer Alfred von ihm will - es kann sich nur um ein Problem handeln. Ein großes Problem. Sogar ein Riesenproblem, wie ihm zwei Minuten später klar wird. *** Schwerfällig und müde von einem langen und langweiligen Arbeitstag - Laborant im größten Krankenhaus Gothams ist wirklich nicht sein Traumjob, aber so kommt er wenigstens unauffällig an seine Chemikalien - schiebt sich der große, dunkelhaarige Mann aus seinem klapprigen Fiat. Er wirft einen skeptischen Blick hinauf in den tiefschwarzen Himmel, doch für den Moment scheint der Regen eine Pause einzulegen. Wenn er sich jetzt beeilt, hat er vielleicht Glück und wird nicht nass. Und so eilt er quer über die Kreuzung auf das alte Gebäude zu, das er jetzt sein Zuhause nennt. Vorsicht! Leider kommt Scarecrows Warnung etwas zu spät. Jonathan Crane, der gerade seine Haustür aufgeschlossen hat, spürt plötzlich, wie irgendetwas auf seinen Rücken springt - etwas sehr, sehr Schweres - und taumelt nach vorne. Dabei stößt er die Haustür vollständig auf, und für einen Moment scheint es, als erlange er dadurch sein Gleichgewicht wieder, doch dann legt sich ihm ein Arm um den Hals. Mit einem heiseren Keuchen fällt Crane zu Boden. Der Aufprall nimmt ihm für einen Moment den Atem, doch Scarecrow reagiert für ihn. Und so gelingt es ihm, sich umzudrehen und den anderen mit derselben Bewegung abzuschütteln. Dennoch noch etwas benommen, richtet er sich in eine kniende Position auf, bereit zu Angriff oder Flucht —je nachdem. „Verdammt!" entfährt es ihm schließlich, als er die Masse grüner Dreadlocks und den lila Mantel vor sich erkennt. „Joker! Was zum Henker-" „Du hast mir mein Safe House geklaut!" unterbricht ihn dieser wütend, setzt sich auf und hält sich dabei den Kopf, als habe er Schmerzen. Perplex starrt ihn Jonathan an. Es dauert einige Sekunden, bis er damit etwas anfangen kann, und dann fällt ihm nichts anderes ein als: „Pech gehabt. Weggegangen - Platz vergangen." Nun ist es am Joker, ihn anzustarren. „Sowas Kindisches kann auch nur von jemanden stammen, der sich mit 'nem Jute-sack unterhält." „Scarecrow ist kein Jutesack!“ „Technisch gesehen schon." „Und technisch gesehen bist du-" doch mittendrin geht dem ehemaligen Psychiater der Schwung aus. Es ist völlig zwecklos, den Joker zu beleidigen, daran erinnert ihn dessen Grinsen nur allzu gut. „Was willst du?" erkundigt er sich stattdessen matt und rückt sich seine vom Kampf etwas mitgenommene Brille wieder gerade. Doch Joker geht gar nicht auf seine Frage ein - nicht, dass Jonathan etwas anderes erwartet hätte... stattdessen rappelt er sich auf alle viere auf und sieht sich mit glänzenden Augen um. Crane erinnert er dabei an einen Wolf- (nein, kein Hund, der Joker ist alles, nur nicht domestiziert! Scarecrow stimmt ihm brummend zu) - der sein neues Revier in Augenschein nimmt. „Nicht schlecht, was du aus der Bude hier gemacht hast", knurrt er schließlich durchaus anerkennend. „Danke", erwidert Crane rein automatisch, weiterhin aus irgendwelchen Gründen unfähig, den Blick von ihm zu wenden. Anstatt aufzustehen wie jeder normale Mensch, beginnt der Joker auf Händen vorwärts zu krabbeln wie ein Kleinkind, dabei hält er den Kopf so weit gesenkt, dass er mit der Nase fast das brandneue, glänzende Parkett berührt. Als er dann auch noch zu schnüffeln beginnt wie ein Fährtenhund, spürt Crane, wie ihm alles Blut aus dem Gesicht weicht. Er hat gehofft, so etwas nie wieder sehen zu müssen. Tief in seinem Kopf hört er Scarecrow nur spöttisch lachen. „Ich wusste nicht, dass es dein Safe House ist", hört er sich selber wie aus weiter Ferne sagen, „ich hab's erst vor acht Mo-naten gekauft, und da sah es nicht sehr bewohnt aus." Eigentlich war es eine Bruchbude, eines von vielen leerstehenden Gebäuden an der Grenze zu den Narrows, in dem früher mal eine Bar oder so betrieben wurde - hoffte er jedenfalls, denn die Flecken auf den abgenutzten Dielen sahen sehr ver-dächtig aus und er hing lieber der Illusion nach, dass es sich dabei um verschüttete Spirituosen oder Erbrochenes handelte. Das Teil wieder bewohnbar zu machen, hat ihn eine Riesenstange Geld gekostet, aber nachdem seine Konten mit seiner Entlassung aus Arkham wieder freigegeben wurden, stellt Geld das Geringste seiner Probleme dar. Viel komplizierter ist es dagegen, den Anschein von Rehabilitation aufrechtzuerhalten und so etwas wie einer geregelten Arbeit nach zu gehen. Scarecrow lässt sich nicht gerne einsperren. Dann lass mich raus! Entschieden schüttelt Crane den Kopf und zwingt sich, den Blick von seinem ungebetenen Gast abzuwenden, der inzwi-schen tatsächlich wie ein Spürhund quer durch die gesamte Wohnung schnürt und dabei eine geradezu unheimliche Ele-ganz an den Tag legt. Aber der Joker bewegt sich niemals plump. Genauso wenig wie sich je ein Raubtier plump bewegt. Ein leichter Windhauch reißt Crane aus seiner Betrachtung und erinnert ihn an die offenstehende Haustür. Er erhebt sich und schließt sie, und als er sich wieder umdreht, scheint der Joker gefunden zu haben, was er gesucht hat. Er hat den neuen Teppich aus China Town aufgerollt und betrachtet das Parkett vor sich mit einem solch abschätzenden Blick, dass Crane nichts Gutes ahnt. „Laß mein Parkett in Ruhe!" fährt er ihn sofort an. „Sag mir einfach, was du suchst, vielleicht habe ich es gefunden!" Eigentlich hat er sehr viel gefunden - beziehungsweise die Arbeiter, die diese ehemalige Bruchbude grundsanierten - einiges war interessant, das meiste allerdings einfach nur eklig. Nun, das Eklige hat er selbstverständlich nicht behalten. Der Joker grunzt leise, blitzt ihn von unten her aus seinen roten Augen an und deutet mit seinen Händen etwas von Schuh-kartongröße an. „Es ist eine alte Keksdose aus Blech." Crane weiß sofort, was er meint. Und er ist froh, dass es nichts Ekliges ist, nichts, was er weggeschmissen hat. Von daher nickt er schnell. „Ich hole sie. Warte hier. Und mach um Himmels Willen nichts kaputt." Der Joker kichert leise, doch das hört Crane schon fast nicht mehr, denn er ist inzwischen auf dem Weg nach hinten zu dem kleinen Raum, den er als Abstellkammer nutzt. Auf dem Weg dahin versucht er, sich nicht von Scarecrows Neugier anstecken zu lassen. Natürlich hat er den Inhalt der Dose damals untersucht. Er hätte die engbeschriebenen, zusammengerollten Blätter beinahe achtlos weggeschmissen, wenn er nicht im letzten Moment Jokers typische Hieroglyphen erkannt hätte. Der Kerl kann einfach nicht normal schreiben, für alles benutzt er seinen ganz eigenen Code, merkwürdige Fantasierunen, weswegen man ihn in Arkham doch tatsächlich auf eine Lese- und Rechtschreibschwäche getestet hatte. Absoluter Schwachsinn in Cranes Augen, doch niemand dort hörte auf ein innovatives Genie wie ihn. Nicht einmal der Riddler konnte Jokers Code knacken - Crane hat den Rätselliebhaber noch nie so frustriert erlebt. Natürlich hat Crane ihm nur eine Kopie gegeben und nie gesagt, von wem diese Runen stammen. Ha, er ist sich sicher, sogar Batman würde sich daran die Zähne ausbeißen! Aber er selbst will gar nicht wissen, was dort auf diesen Zetteln steht. Dieser Gedanke erntet ein hämisches Kichern von Scarecrow. Crane bringt ihn mit einem gedachten Fluch zum Schweigen. Als er, mit der Keksdose in der Hand, das vordere Zimmer wieder betritt, stürzt sich Joker wie ein Hai auf ihn und reißt die Dose an sich. „Du hast sie geöffnet", bemerkt er vorwurfsvoll. Crane weiß es besser, als es abzustreiten, und so nickt er nur. Jetzt, wo er hat, weswegen er gekommen ist, könnte der Joker ja eigentlich gehen, aber stattdessen schlendert er nur hinüber zur Couch, wirft sich schwungvoll hinein und schraubt die Keksdose auf. Jonathan seufzt einmal schwer und beginnt nervös an seiner Brille zu fummeln. Doch er beschwert sich nicht - das wäre beim Joker auch völlig zwecklos. Und immerhin - Crane kennt Gäste, die sich wesentlich schlechter benehmen als der Clown Prince of Crime. „Übrigens… in der Stadt geht das Gerücht herum, du seist tot. Batman hätte dich umgebracht." Joker, ganz beschäftigt mit dem Sortieren seiner Zettel, macht eine wegwerfende Handbewegung. „Die übertreiben mal wieder maßlos. Sag bloß, du hast das alles geglaubt?" „Nun ... nein." „Gut. Weil das nämlich alles ganz großer Mist ist." Crane blinzelt, und als er die Augen nach dieser Millisekunde wieder aufschlägt, zuckt er fassungslos zusammen - denn direkt vor ihm, keine dreißig Zentimeter entfernt, steht plötzlich der Joker. Wahnsinn. Wie hat er das gemacht? Wie hat er sich so schnell bewegen können? Sogar Scarecrow ist beeindruckt. Noch bevor Jonathan das irgendwie verarbeiten kann, spürt er warme, geradezu heiße Finger an seinem Kinn. Er begeht den Fehler, in diese großen, roten Augen zu blicken, und sofort verschwimmt alles um ihn herum. Die Welt wird erst wieder klar, als sich zwei viel zu warme Lippen auf seine eigenen pressen. Es ist ein sanfter, beinahe keuscher Kuss, der Erinnerungen heraufbeschwört und Crane und Scarecrow simultan aufseuf-zen lassen. „Soll ich gehen?" flüstert der Joker, sein Atem ein heißer, geisterhafter Windhauch an Jonathans Wange. Er riecht nach dem Regen draußen und nach wilden Beeren. „Sei kein Idiot", murmelt Jonathan nur, während seine Finger wie von selbst in Jokers wilden, grünen Dreadlocks landen und ihn zu einem weiteren Kuss heranziehen. Doch dann zögert er. Denn trotz seines langsam erwachenden Verlangens kann er die Hitze, die ihm vom anderen entge-genstrahlt, unmöglich weiter ignorieren. Joker gibt ein sehr ungnädiges Geräusch von sich, doch Jonathan lässt sich nicht erweichen und tastet über Jokers Wangen und Stirn und sieht ihm dann prüfend in die Augen. „Du hast Fieber", stellt er schließlich mit einem Anflug von Besorgnis fest. „Sogar ziemlich hohes. Du bist krank." Zu seiner Besorgnis gesellt sich jetzt auch wissenschaftliches Interesse, hat er den Joker schließlich noch niemals krank erlebt. Joker grinst nur. „Das ist nichts", murmelt er, während er wie eine Schlange vorschnellt und Jonathans Unterlippe mit seinen Zähnen ein-fängt, um dann sanft daran herum zu saugen und zu -knabbern. Crane erschauert unwillkürlich. Scarecrow in seinem Kopf stöhnt zufrieden auf, doch Jonathan will sich nicht so schnell abspeisen lassen. Also nimmt er all seine Willenskraft zusammen und schiebt den anderen von sich. „Später. Ich verspreche es." Oh ja, und er hat auch vor, dieses Versprechen zu halten, denn er spürt schon jetzt, wie ihm das Blut aus dem Kopf in tiefere Regionen rutscht. Wenn er heute noch etwas erfahren will, muss er sich beeilen. „Sobald du mir gesagt hast, was hier los ist. Und was eigentlich auf diesen Zetteln steht. Und vor allem, was du vorhast." Joker mustert ihn mit demselben abschätzenden Blick wie zuvor die Parkettdielen, ein Blick, bei dem Crane eine Gänse-haut bekommt. Ihm geht plötzlich auf, dass der Joker untypisch ernst ist, bisher hat er ganz selten gekichert und noch viel seltener gegrinst. Und gelacht schon mal gar nicht. „Scht, little crow", lächelt der Joker plötzlich und legt ihm spielerisch den rechten Zeigefinger auf die Lippen. „Mach dir keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung. Ich begebe mich jetzt auf die Zielgerade. Es ist Zeit, verstehst du? Zeit für meinen ganz großen Plan." Crane schluckt einmal schwer. „Der große Plan, von dem du seit Jahren sprichst?" bringt er krächzend hervor. Himmelherrgott, und er - genau wie alle anderen - hat das alles immer nur für ein Hirngespinst des Jokers gehalten. Der große Tag, an dem er mit Gotham abrechnen wird. Und plötzlich ist er ganz aufgeregt. „Darf ich mitmachen?" Das Lächeln des Jokers wirkt außerordentlich zufrieden, als er Crane am Kragen seines Sweaters packt und ihn zu einem verheißungsvollen Kuss zu sich heranzieht. Es ist die einzige Antwort, die Jonathan Crane erhält. Und sie genügt ihm vollkommen. *** 11. Kapitel Es hat aufgehört zu regnen. Typisch. Kaum, dass er unter dem Vordach des Apartmenthauses steht und auf den Klingel-knopf gedrückt hat. Der Mann in dem dunklen Regenmantel und dem dunklen Filzhut auf dem Kopf verdreht im Angesicht dieses kosmischen Humors nur die Augen. In der Gegensprechanlage knarzt es kurz und dann ertönt die Stimme einer Frau. Er hat ihr kaum seinen Namen gesagt, da wird ihm schon geöffnet. Während er die drei Stockwerke hinaufgeht, versucht er, all seinen Frust und Ärger über seinen Arbeitgeber hinter sich zu lassen, obwohl er weiß, dass er ihr gleich alles brühwarm erzählen wird. Aber er will sich dieses Treffen nicht durch negative Gefühle verderben lassen. Er kommt nicht oft direkt in ihre Wohnung, normalerweise treffen sie sich erst irgendwo, essen und trinken etwas, ent-spannen die Atmosphäre, wie sie es immer nennt, bevor sie dann zum wirklich gemütlichen Teil ihrer kleinen Treffen übergehen. Er mag es so, gibt ihm das doch das Gefühl, als würde er ständig um sie werben, obwohl sie schon seit zehn Monaten so etwas wie eine feste Beziehung führen. Eine etwas unorthodoxe Beziehung, aber es ist genau das, was sie beide wollen. Er kann sich noch nicht fest binden - da ist ihm seine Erziehung genauso im Wege wie die Tatsache, dass er in dieser Hinsicht etwas eingerostet ist - und sie will es noch nicht. Sie ist zu unabhängig und auch ein wenig zu unbeständig und vor allem - etwas zu kriminell. Sie sagt immer, sie hört damit auf, wenn sie den Wunsch nach einer Familie verspürt, nach Kindern und all dem anderen biederen Quatsch (ihre Worte, nicht seine) und eines Tages wird dieser Tag auch kommen, aber eben noch nicht jetzt. Er kann damit leben. Er weiß, worauf er sich eingelassen hat, schließlich ist es diese Art, die ihn an ihr so fasziniert. Es stört ihn auch nicht, dass sie mit anderen Männern flirtet - unter anderem auch mit Batman - solange sie sich nicht von ihnen so berühren lässt wie von ihm. Sie mag von ihrem Wesen her viel von einer Katze an sich haben, aber ihr Herz ist menschlich. Sie ist treu. Außerdem - so sagt sie immer und er glaubt ihr das aufs Wort- sind Katzen ebenfalls treu, sogar treuer noch als Hunde, wenn man ihnen gestattet, sich ihren Begleiter selbst zu wählen. Und gewählt hat sie ihn, bei Gott! Manche würden sagen, Selina Kyle wäre zu jung für ihn. Aber niemand von denen kennt Selina. Niemand von denen hat ihr je richtig in die Augen gesehen. Diese großen, grünen, alten Augen. Sie mag fünfzehn Jahre jünger sein als er, aber das gilt nur für ihren Körper. Ihre Lebenserfahrung steht seiner in nichts nach. Im Gegenteil. Er bezweifelt, dass er jemals zuvor schon einmal gestorben und durch den Atem einer Katzengöttin wiederbelebt wurde. Sie ist etwas ganz besonderes, und dasselbe gilt für ihre Beziehung zueinander, die einerseits sehr unkompliziert ist, aber zugleich auch ausgesprochen zufriedenstellend. Sie erwartet ihn schon. Sie steht in der geöffneten Tür und trägt selbst um diese fortgeschrittene Uhrzeit Rock und Bluse als käme sie gerade aus dem Büro zurück. Nur, dass sie nicht in einem Büro arbeitet. Er ist froh, dass sie nicht in ihrem Lederkostüm vor ihm steht, sonst würde das ein sehr kurzer Besuch werden. Ihre Diebestouren sind ihr so heilig wie anderen das Footballspiel der Oberliga. Sie lächelt, und sogar die weiße Perserkatze, die neugierig neben ihr sitzt, scheint zu lächeln. „Hallo Alfred." Wie stets begrüßt sie ihn mit einem Kuss, der so süß und verlockend ist, dass er alles andere um sich herum fast vergisst. Ein Mann, der nicht wie er vom Secret Service ausgebildet wurde, würde jedenfalls bestimmt alles um sich herum vergessen - und noch ein wenig mehr. Jedes Mal, wenn er sie sieht, ist er dankbar dafür, dass er sich regelmäßig fit hält. Das muss jeder, der mit ihr mithalten möchte. Sie führt ihn hinein in ihre Wohnung, die er inzwischen schon so gut kennt wie das Wayne Manor. Sie setzen sich auf die Couch, sofort umlagert von den fünf Katzen, die sich derzeit bei Selina einquartiert haben und genießen einen ihrer typi-schen Fast-Mitternacht-Snacks: Tee, Gebäck und kleine Zärtlichkeiten. Und irgendwann beginnt er zu erzählen, und er fängt von sehr weit vorne an, nämlich von der Nacht, in der Batman dachte, er habe den Joker getötet. Dann berichtet er über Dracula, erkennt aber schnell, dass er darüber nicht viel erzählen muss, denn wenn jemand in dieser Stadt informiert ist, dann die hier herumstreunenden Katzen und damit auch deren angebetete Göttin Selina. Also setzt er dort wieder ein, wo Batman den Joker gefangenennahm und wo sie gemeinsam begannen, aus dessen Blut ein Serum gegen Draculas Gift herzustellen. Etwas genauer ins Detail geht er, was die letzten Tage betrifft, und er endet mit den Geschehnissen der letzten Stunden. Hier gelingt es ihm nicht vollständig, sein Entsetzen zu verbergen, als er mitansehen musste, wie Bruce mit Vicky Vale in seinen Armen im Schlafzimmer verschwand. „Ich hätte ihn wirklich gerne angeschrien und die junge Dame hinausgeworfen - auch, wenn das sonst nicht meine Art ist, aber ich schwieg. Es erschien mir wenig sinnvoll. Also habe ich das einzige getan, was mir übrigblieb: ich habe mich auf die Suche nach dem Joker gemacht. Ich dachte, ich sei schlau gewesen, als ich eine Wanze im Saum seines Mantels einnähte, aber als ich bemerkte, dass sich das Signal viel zu schnell bewegte und bald außerhalb der Stadtgrenze war, wurde mir klar, dass er die Wanze gefunden hat. Wahrscheinlich hat er sie einfach in einen vorbeifahrenden Pickup geworfen." Um Selinas Lippen spielt ein kleines, nachsichtiges Lächeln, doch sie enthält sich jeden besserwisserischen Kommentars und dafür ist er ihr auch sehr dankbar. „Dein Bruce spielt gerne mit dem Feuer, was? Glaubt er im Ernst, so könnte er den Joker zurück holen?" Alfred seufzt einmal tief auf und lässt die Schultern hängen. „Ehrlich gesagt, sind mir die Gedankengänge von euch jungen Leuten heutzutage ein großes Rätsel." „Oh, hör schon auf", lachend gibt sie ihm einen Knuff. „So alt bist du doch gar nicht! Du bist ein Mann in den besten Jah-ren!" Und um ihre Worte zu bestätigen, verwickelt sie ihn in einen Kuss und schmiegt sich so eng an ihn, dass die Siamkatze mit dem zerbissenen Ohr, die sich zwischen ihnen zusammengerollt hatte, erschrocken von der Couch springt. Für die Dauer einiger Herzschläge sind ihr beleidigtes Schnaufen, das Schnurren der anderen Katzen und das leise Ra-scheln von Stoff, begleitet von dem einen oder anderen menschlichen Seufzer die einzigen Geräusche im Zimmer. Plötzlich scheint Selina etwas einzufallen und sie schiebt ihren heimlichen Liebhaber von sich. „Nur deswegen wolltest du mich treffen?" fragt sie in gespielt beleidigtem Tonfall. „Weil du willst, dass meine Katzen für dich spionieren?" Galant platziert Alfred einen Kuss auf ihrem Handrücken und meint: „Wenn mir das einen Vorwand verschafft, um deine Gesellschaft zu genießen, dann ja. Natürlich." Theatralisch fasst sie sich an die Brust und seufzt übertrieben. „Oh, dein Charme wird mir eines Tages noch das Herz brechen." „Einer Frau wie dir würde ich kein Haar krümmen, geschweige denn das Herz brechen." „Ich sage es doch: ein Charmeur wie er im Buche steht." Sie lachen beide, doch nur kurz, dann wird sie schlagartig wieder ernst. Sie packt sich die Katze auf der Couchlehne - es ist ein magerer, graugetigerter Kater - und hält ihn in Augenhöhe vor sich. Obwohl er den Anblick schon gewohnt ist, kann Alfred ein leises Unbehagen bei dieser stummen Zwiesprache nicht ver-hehlen. Die junge Frau neben ihm gibt dem Kater schließlich einen liebevollen Nasenstüber und lässt ihn wieder auf die Couchlehne kraxeln. „Er sagt, er habe denjenigen, den du suchst, vorhin im Park gesehen. Er sei Richtung Süden gegangen." „Richtung der Narrows? Das habe ich mir fast gedacht." „Und er sagt auch, er rieche nach Tod und Verderben." Sie bemerkt seinen Gesichtsausdruck und ergänzt rasch: „Das muss nicht wörtlich genommen werden, bei den Katzen ist das ein geflügeltes Wort für Schwierigkeiten." Doch der Schaden ist schon angerichtet. Er macht sich schon wieder Sorgen, das kann sie ganz genau erkennen. Er hat wirklich ein sehr großes Herz, mit ein Grund, weswegen sie ihn so mag. „Ich kann ihnen sagen, sie sollen nach ihm Ausschau halten, okay? Aber mehr geht nicht. Er weiß ganz genau, dass das Katzenvolk manchmal für mich spioniert und hat keine Skrupel, sie in den Gotham River zu werfen, wenn er sie dabei erwischt. Oh, keine Angst, das arme Tier hat damals nur einen Riesenschreck bekommen - du weißt doch, Katzen können schwimmen, aber sie mögen es nicht besonders. Und es dauert Wochen, bis sie den Gestank dieses Flusses losgeworden sind." Er kennt sie genau, und deshalb muss er diese Frage stellen: „Hast du ihn dafür bestraft?" Überraschenderweise senkt sie den Blick und eine verlegene Röte ziert plötzlich ihre Wangen. „Ja", gibt sie widerstrebend zu. „Aber das war dumm, ganz dumm. Ich dachte mir, ich räche mich an ihm auf meine Weise. Ohne Gewalt oder Drohungen. Aber das ging voll daneben. Seitdem weiß ich eines: wäge genau ab, ob es das wert ist, sich mit dem Joker anzulegen. Er weiß zu viel über dich. Eines Abends stand er vor mir, vor Selina, du verstehst? Er hat mir einen Heidenschreck eingejagt, aber das war mir eine Lehre. Ein Wort von ihm an die Polizei, wer Catwoman wirklich ist und ich lande im Knast." Alfred, der erleichtert ist zu hören, dass ihr der Joker nicht nach dem Leben getrachtet hat, zieht sie in eine Umarmung. „Was hast du denn getan, Selina, dass er so wütend auf dich wurde?" Sie versteckt den Kopf an seiner Schulter und für einen kleinen, angstvollen Moment glaubt er, sie würde weinen, doch dann hört er das Glucksen. „Na, was wohl, Alfred?" erwidert sie, als sie den Kopf zurückwirft , aus vollstem Herzen über ihre eigene Dummheit la-chend. „Ich habe mit Batman geflirtet! Und später, als ich wusste, wer er war, habe ich mich mit ihm angefreundet und auch mit Bruce geflirtet." Er denkt an Vicky Vale und schluckt einmal schwer. Ihm ist nicht nach Lachen zumute. *** Sein Hunger kommt tief aus seinem Inneren, einer rasenden Bestie gleich und macht ihn fast wahnsinnig. Es ist ein tiefes, undefinierbares Verlangen, das weit über normale körperliche Begierde hinausgeht. Er will mehr, braucht mehr. Aufstöhnend vergräbt er seine Finger noch fester in den spitzen Schulterknochen, wickelt sich mit Armen und Beinen noch enger um den Körper auf sich, in dem verzweifelten Bestreben, ihm noch näher zu sein, ihn noch intensiver zu spüren. Dabei hinterlassen seine zersplitterten Fingernägel tiefe Kratzer in dem weichen Fleisch, und obwohl es nur wenige Tropfen sind, die aus den frischen Wunden perlen, fängt seine feine Nase den Geruch des Blutes sofort auf. Zusammen mit dem Geruch von Schweiß und Sex und dem von frischem Heu, nach dem Jonathan Crane immer riecht, ergibt das eine Mi-schung, die regelrecht in seinem Hirn explodiert. Er sieht Scarecrow in Jonathans blaugrauen Augen aufblitzen, sieht, wie sie dunkler werden vor Lust und krallt sich noch fester. Scarecrow bemerkt den Schmerz, dieses leichte Ziepen, beachtet ihn jedoch nicht weiter. Nicht eine Sekunde unterbricht er seinen einmal aufgenommenen Rhythmus, unbeirrbar wie eine Maschine hämmert er sich weiter und tiefer in eine Welt hinein, wo außer Gefühlen nichts weiter existiert. Diese kühle Rationalität, auf die Jonathan sonst immer so stolz ist, hat er schon längst abgeworfen wie eine lästige Fessel. Objektiv betrachtet ist es schnell vorbei, doch ihnen beiden erscheint es wie eine quälend süße Ewigkeit; sie endet mit einem letzten, harten Stoß, begleitet von einem triumphierenden Knurren seitens Scarecrow und einem gutturalen Stöhnen des Mannes unter ihm. Scarecrow schließt für einen Moment die Augen, um diesem sagenhaften Gefühl nachzuspüren, wie er ein Teil von sich in dem anderen verliert. Es ist ein uraltes Ritual, das animalische Markieren eines Besitzes. Natürlich weiß er, dass niemand den Joker jemals besitzen wird. Man besitzt ein Raubtier einfach nicht. Aber in diesem einen kleinen Moment, in diesen wenigen Sekunden, wo sich der Joker unter ihm von einem Höhepunkt erholt, den er ihm beschert hat, da ist er sein. Er lächelt, als er seine Augen wieder aufschlägt und fängt Jokers bebende Lippen zu einem sachten Kuss ein, leckt dann das Blut von dessen zerbissener Unterlippe. „Danke", flüstert er dabei. Und in diesem Moment klingt es nicht im Geringsten seltsam, sondern einfach nur ehrlich und großartig. Genauso großartig wie das Geschenk, das ihm der Joker damit eben gegeben hat. Und Scarecrow weiß das genauso gut zu schätzen wie Jonathan Crane. Mit einem leisen Ächzen und einem gewissen Bedauern, rollt er sich vom Joker herunter und dann bleiben sie erst einmal dort nebeneinander in den zerwühlten Laken liegen - schweratmend, zitternd und noch ganz benommen. Sie gehen nicht sofort auseinander wie sonst bei solchen Begebenheiten. Aber dies hier hat auch nicht viel gemein mit ihren üblichen kurzen Begegnungen an einer Mauerwand in einer schmutzigen, dunklen Seitengasse oder auf dem verdreckten Boden eines heruntergekommenen Warenhauses, wo allein schon die Umgebung nicht zum längeren Verweilen einlädt. Und doch spürt Jonathan mit der ihm eigenen Sensibilität, dass die Tatsache, dass der Joker jetzt näher an ihn heranrückt, nichts mit dem einladenden Ambiente zu tun hat. „Das soll jetzt aber kein Abschied sein, oder?" fragt er ahnungsvoll. Seine Hand umfasst die des Jokers und drückt sie, fährt dann mit dem Daumen sowohl über die schorfverkrusteten Finger-kuppen wie auch die zerstörten Nägel. Jetzt, wo seine Erregung langsam einer angenehmen Trägheit weicht und sich sein Verstand wieder einschaltet, begreift er erst richtig die Tragweite dessen, was er dem Joker über die Geschehnisse der letzten Tage entlockt hat. Natürlich sind seine Kenntnisse nur rudimentär, zu mehr als dem Telegrammstil war der Joker nicht imstande, als Jonathan ihn mit seiner Zunge verwöhnte, und das meiste davon ging sowieso in Seufzen und Stöhnen und Wimmern unter. Trotzdem, es genügt, um ein ganz anderes Gefühl in Cranes Herz zu pflanzen. Eines, das er vor allem im Zusammenhang mit Joker niemals verspüren wollte. „Was erzählst du da, Johnny?" Joker klingt müde, matt und weit entfernt. Als Jonathan den Kopf dreht, sieht er, dass der andere die Augen geschlossen hat. Auf seinen Wangen haben sich hekti-sche rote Flecken gebildet. Aber Jonathan kann nicht beurteilen, ob das nur Nachwirkungen von eben oder erste Anzeichen von in gefährliche Höhe steigendem Fieber sind. „Deine plötzliche Eile, was deinen großen Plan betrifft. Die Art, wie du mit mir schläfst... als gäbe es kein Morgen mehr. Befürchtest du, du könntest diese Mutation diesmal nicht überleben?” Joker öffnet sein linkes Auge - das ihm zugewandte - einen Spaltbreit und starrt ihn kurz an, bevor er sich zu ihm herum-dreht. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, vergräbt er sein Gesicht an Jonathans Schulter und legt seine freie Hand auf dessen Brust. Er glüht immer noch, aber Jonathan empfindet es nicht als unangenehm. „Können wir morgen drüber reden?" murmelt Joker und rutscht nun auch mit seiner unteren Hälfte näher an Crane heran. „Ich bin müde." Das ist keine Bemerkung, die dazu beiträgt, Jonathan zu beruhigen. Aber er belässt es dabei. Schweigend angelt er nach der Decke neben sich, breitet sie über ihnen beiden aus und zieht den Joker dann in eine Umarmung. Während er auf des-sen Atemzüge lauscht, die im Laufe der nächsten Sekunden immer ruhiger und tiefer werden, ihm anzeigen, wie der andere langsam aber sicher in den Schlaf abdriftet, übermannt auch ihn langsam die Müdigkeit. *** „Komm schnell wieder zurück, Bruce.“ Er grunzt nur etwas Unverbindliches und eilt weiter nach nebenan ins Badezimmer, wo er sorgfältig darauf achtet, die Tür hinter sich richtig zu verschließen. Dann entfernt er sein Kondom, hält es mit spitzen Fingern vor seine Augen und betrachtet es genau - als würde sich des-wegen etwas daran ändern! Fluchend entsorgt er es schließlich im Mülleimer. So etwas ist ihm wirklich noch nie passiert. Er dreht das Wasser auf und spritzt es sich ins Gesicht. Das Kondom ist leer. Er ist nicht gekommen. Er war erregt und hatte Sex mit einer wunderschönen Frau, er schenkte ihr einen Orgasmus, der sie unter ihm schreien ließ, doch er selbst hat die Kurve nicht gekriegt. Er fühlt sich wie ein Versager. Es hätte schlimmer kommen können, tröstet er sich selbst. Immerhin hat sie nichts bemerkt. Aber wieso, wieso nur, passiert ihm das? Was ist nur mit ihm los? Frustriert stützt er sich auf dem Waschtisch ab und starrt in den Spiegel. Das Gesicht, das ihm daraus entgegenblickt, kommt ihm merkwürdig fremd vor. Seine Augen wirken genauso leer wie er sich plötzlich fühlt. Der Gedanke an die wunderschöne, intelligente Frau in seinem Bett, die darauf wartet, mit ihm den Rest der Nacht zu verbringen, um dann mit einem üppigen Frühstück verwöhnt und später zurück in die Stadt kutschiert zu werden, muntert ihn nicht im Geringsten auf. Er kann auf eine lange Reihe von Affären und gescheiterten Beziehungsversuchen zurückblicken, aber noch niemals hatte er so sehr das Gefühl, einen Fehler zu begehen wie jetzt. Und schon gar nicht so früh. Und bisher hat ihn sein Körper auch noch niemals auf diese Art und Weise verraten. Er würde es gerne auf seinen derzeitigen Stress schieben, darauf, dass der Joker einfach abgehauen ist und jetzt wieder eine Gefahr für Gotham darstellt oder auf Alfreds verächtlichen Blick vorhin, und für einen kurzen Moment gelingt es ihm sogar. Doch dann kehren die Selbstzweifel zurück - stärker sogar noch als zuvor. „Bruce?” Vickys Stimme erreicht ihn nur gedämpft durch die Echtholztür, doch sie ist laut genug, um ihn aus seinen trüben Gedanken zu reißen, erinnert ihn daran, dass er mehr als nur einen guten Ruf zu verlieren hat. Also atmet er einmal tief durch und kehrt entschlossen ins Schlafzimmer zurück. Er wird diese Nacht so würdevoll wie möglich hinter sich bringen und Vicky so zuvorkommend behandeln wie die Damenwelt es von ihm gewohnt ist. Und wer weiß, vielleicht hat sich dieser Anfall von Zwiespältigkeit nach ein paar Stunden Schlaf in den Armen dieser schönen Frau schnell wieder verflüchtigt... *** 12. Kapitel An einem Samstag, kurz vor zwölf, stellt Jonathan Crane einigermaßen verblüfft fest, ist es in der Einkaufsmall erstaunlich ruhig - zumindest was den Supermarkt betrifft. Er ist froh darüber und beschließt, um diese Uhrzeit häufiger einzukaufen, denn wenn er etwas hasst, dann ist es dieses hektische Gewühle und Gedrängel von Kaufwütigen. Demzufolge also ziemlich gut gelaunt schiebt er seinen gut gefüllten Einkaufswagen durch die Gänge des Supermarktes seiner Wahl und ertappt sich dabei, vieles zu kaufen, was nicht seinem, sondern dem Geschmack seines ungebetenen Gas-tes entspricht. Doch dann zuckt er nur mit den Schultern, schließlich ist nichts darunter, was er nicht auch essen würde. Na gut, gesteht er sich ein, und kann dabei ein kleines Grinsen nicht vermeiden, wäre da nicht die Erinnerung an die letzte Nacht, wäre er wohl nicht so großmütig. „Jonathan!" Wie ein Derwisch springt ihm plötzlich eine Gestalt aus einem Quergang mitten vor den Einkaufswagen. „Hu!" Unwillkürlich fasst er sich mit der rechten Hand an seine Brust. Er könnte schwören, sein Herz sei für eine Sekunde tatsächlich stehengeblieben. Doch aus seinem Schrecken wird schnell Zorn, als er die schmale Frau vor sich erkennt. „Harleen! Geht's noch?" Obwohl sie nicht in ihrem üblichen Harlequinkostüm vor ihm steht, erkennt er sie sofort. Das ist auch nicht schwer, schließlich kannte er sie schon vor ihrer Karriere als Liebchen des Clown Prince of Crime. Ein Jahr lang oder so waren sie sogar mal Kollegen im Arkham Asylum. Sie sieht blass und übernächtigt aus, aber das steht ihr. Mit ihrer Stupsnase, den himmelblauen Augen und hellblondem Haar besitzt sie diese puppenhafte Schönheit, die Engel zum Weinen bringen kann, und schon manch einer ist darauf hereingefallen. Hinter ihrem bezaubernden Aussehen verbirgt sich nämlich eine wahre Wildkatze mit dem gefährlichen Hang zur Tollwut. „Er ist nicht tot, Jonathan. Du weißt, wo er ist, nicht wahr? Sag es mir, Jonathan!" „Sag mal, verfolgst du mich etwa? Kann man denn nicht mal mehr in Ruhe einkaufen?" Es gelingt ihm, den Wagen an ihr vorbeizuschieben und weiterzugehen. Er erwartet nicht wirklich, dass sie in Ruhe lässt und tatsächlich: sie läuft wie selbst-verständlich neben ihm her. „Wenn du nie auf meine Nachrichten antwortest", erwidert sie und schiebt schmollend die Unterlippe vor. „Und gestern hast du mich einfach weggedrückt." Gestern? Für einen Moment ist er verwirrt, doch dann fällt es ihm wieder ein. Stimmt, sein Mobiltelefon hatte geklingelt, als er gerade im Krankenhauslabor beschäftigt war. Aber er hat nicht vor, ihr seinen Job auf die Nase zu binden. Diese Irre brächte es fertig, da auch noch aufzukreuzen. „Weil ich dir nichts zu sagen habe, du verrückte Gans", erwidert er daher nur unfreundlich. „Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass ich etwas wissen könnte? Er ist dein Freund." „Ex, bitteschön. Ich brauche ihn nicht. Ich komme sehr gut alleine klar." „Was kümmert es dich dann, ob er tot ist oder nicht?" „Wenn er tot ist, werde ich mich an Batman rächen." „Ja", spöttelt Crane, „weil das bisher ja immer so gut geklappt hat..." Ihre Miene verfinstert sich daraufhin noch mehr, doch dann, schon eine Sekunde später, hellt sie sich wieder auf. „Das stimmt. Aber das macht nichts. Weil er ja noch lebt, nicht wahr, Johnny?" Er bleibt mitten im Schritt stehen und starrt sie düster an. „Wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass ich etwas wissen könnte?" Sie wirft ihm einen gekränkten Blick zu. Zuerst denkt er, es läge an seiner Frage, doch ihre Antwort deutet auf etwas ganz anderes hin. „Ich weiß nicht warum, aber er vertraut dir. Es besteht also eine hohe Chance, dass er sich bei dir meldet, wenn er etwas braucht." Argwöhnisch geworden mustert er sie genauer. Er hat immer peinlichst darauf geachtet, niemals zwischen den Joker und Harley Quinn zu geraten und sich immer nur auf ihre kleinen Treffen eingelassen, wenn zwischen den beiden mal wieder Eiszeit herrschte, aber das war nicht immer einfach. Dafür war das hin und her zwischen ihnen einfach viel zu häufig. Er hofft es nicht, aber er kann nicht ausschließen, dass der Joker manchmal auch parallel zu Harley mit ihm etwas am Laufen hatte. Er selbst würde so einen kleinen Quickle zwar nicht unbedingt als Beziehung bezeichnen, aber Harleen mag das ganz anders sehen. Doch ihre Miene ist frei von Hass und Wut. Alles, was er in ihren blauen Augen lesen kann, ist leise Enttäuschung, Sorge und Furcht. Diese Furcht hätte ihn normalerweise interessiert, aber da sie so offensichtlich mit dem Wohlergehen des Jokers Hand in Hand geht, verliert sie schnell viel von ihrer Faszination. „Ich bin froh, wenn ich mit euch Verrückten nichts zu tun haben muss", erklärt er so abweisend wie möglich. Diesmal scheint er den richtigen Ton getroffen zu haben, denn sie bleibt hinter ihm zurück. „Du sagst mir Bescheid, wenn du was hörst, ja?" ruft sie ihm nach. „Du kannst mich jederzeit in lvys Blumenladen errei-chen." Crane macht eine genervte Handbewegung, die alles Mögliche bedeuten kann. Harleen interpretiert es wohl als Zustim-mung, denn sie springt lächelnd davon. Keiner der beiden bemerkt den hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann in dem hellen Armani-Anzug, der die kleine Szene von der Weinabteilung aus aufmerksam beobachtet hat. *** Das Glück ist mit dem Tüchtigen, heißt es. Demzufolge muss Bruce Wayne zu den besonders Tüchtigen gehören, dass er ausgerechnet beim Einkaufen auf Harley Quinn und Scarecrow trifft— und das, obwohl er sich normalerweise niemals in einen Supermarkt wie diesen verirrt, aber diese Mall liegt auf dem Rückweg von Vicky Vales Wohnung und er hatte dann das Reklameschild gesehen, das diesen Rotwein aus Südafrika anpreist… Völlig unbemerkt hat er die beiden ehemaligen Psychiater belauscht. Es ist nicht schwer, sich zusammen zu reimen, von wem sie reden, auch, wenn sie kein einziges Mal seinen Namen erwähnt haben. Er weiß nicht, was er davon halten soll. Ein Teil von ihm will den Joker überhaupt nicht wiedersehen, denn das würde ihn nur an solche Fragen erinnern wie: warum hat er nur diese plötzliche sexuelle Anziehungskraft auf mich, besser gesagt auf meinen Körper? Der andere Teil von ihm allerdings, der hauptsächlich seinem Pflichtbewusstsein entspringt, drängt ihn regelrecht dazu, Crane zu folgen. Der immer etwas schlaksig wirkende Mann mag Harley überzeugt haben, aber das gilt nicht für Batman. Er huscht an Crane vorbei, als dieser seine Einkäufe bezahlt und erhascht dabei einen Blick auf dessen Autoschlüssel. Er ist also mit dem Wagen hier. Damit hat er gerechnet, aber die Bestätigung erleichtert ihn. Außerdem weiß er jetzt, dass Crane immer noch seinen klapprigen Fiat fährt. *** Er beeilt sich, vor ihm in der Tiefgarage zu sein. Dort hastet er zu seinem Porsche und öffnet noch im Rennen per Fernbedienung den Kofferraum. Zum Glück hat er immer einen Ersatzanzug parat. Da die Zeit drängt, entschließt er sich, dass diesmal nur Maske und Umhang genügen müssen. Aber er hat ja auch nicht vor, gegen Crane zu kämpfen. Der Umhang ist lang und dunkel und wenn er darauf achtet, ihn vorne festzuhalten, kann man nichts von seinem Körper sehen - also auch nicht den Armani-Anzug. Außerdem sieht das wirklich unheimlich aus, noch wesentlich unheimlicher sogar als bei Graf Dracula persönlich - vor allem in dieser halbdunklen Tiefgarage. Er muss nur in der Nähe von Cranes rotem Fiat warten. So er ihn denn findet. Aber wieder ist ihm das Glück hold: der Wagen steht nicht weit entfernt vom Aufgang, der zum Supermarkt führt. Die Wanze ist schnell angebracht. Batman findet ein schattiges Eckchen, von dem aus er sich auf die Lauer legen kann, und als der ehemalige Psychiater schließlich, beladen mit einer großen Papiertüte, die Tiefgarage betritt, hat Batmans Stunde geschlagen. „Jonathan Crane!" raunt er mit seiner dunkelsten Stimme und gleitet mit einer einzigen fließenden Bewegung aus den Schatten. Jonathan bekommt fast einen Herzinfarkt, als sich die große, dunkle Gestalt so plötzlich vor ihm materialisiert. Er zuckt zusammen und hätte beinahe seine Tüte fallengelassen. Sekundenlang steht er nur da, die Augen hinter der Brille weit aufgerissen, die Tüte wie einen Schild an sich gepresst und versucht, sein heftig klopfendes Herz wieder zu beruhigen. „Batman", meint er dann bemüht gelassen und will weiter, doch der dunkle Ritter Gothams denkt nicht daran, ihm Platz zu machen. Also beißt Jonathan die Zähne zusammen und zwingt sich zu einem freundlichen Lächeln. „Gibt es ein Problem, Batman?" „Ja. Harley kannst du vielleicht etwas vormachen, aber mir nicht. Wo ist der Joker, Crane?“ „Das müsstest du doch am besten wissen. Schließlich hast du ihn umgebracht." Für den Bruchteil einer Sekunde erscheinen um Batmans Mundwinkel kleine Fältchen. Jonathan entgeht dieses sichtbare Anzeichen innerer Anspannung nicht. Aha, er hat also einen Nerv getroffen. Doch trotzdem ist er schlau genug, sich seine Genugtuung nicht anmerken zu lassen und verkneift sich das Lächeln, das sich auf seine Lippen schleichen will. Mit betont ernster Miene startet er einen erneuten Versuch, an Batman vorbei zu kommen. Zuerst scheint es auch wirklich, als würde Batman es ihm gestatten, bis er ihm im letzten Moment doch noch den Weg verstellt. „Das sind sehr viele schwarze Johannisbeeren", stellt Batman mit einem Blick in die Einkaufstüte fest. Eigentlich sieht er nur eines der drei Schälchen, aber er hat vorhin einen guten Blick in den Einkaufswagen werfen können. „Ich steh nun mal auf schwarze Johannisbeeren", kommt es trotzig zurück. „Und sie sind im Sonderangebot." „Und sie sind ein gutes Hausmittel gegen Eisenmangel." „Echt? Wusste ich gar nicht." Ob seine Überraschung gespielt ist oder nicht, kann Batman nicht beurteilen. Nachdem der erste Schock über sein plötzli-ches Auftreten verflogen ist, hat sich der ehemalige Psychiater wirklich erstaunlich gut im Griff. „Ich finde heraus, was der Joker plant und Gnade dir Gott, wenn du da mit drinsteckst, Crane." „Der Joker? He, ich sagte schon zu der Verrückten eben, dass ich nichts mehr mit dem Typen zu tun habe. Ich versuche mir nichts mehr zuschulden kommen zu lassen. Ich gehe einem anständigen Job nach. Ich bin rehabilitiert." „Ich behalte dich im Auge, Crane." „Oh toll, danke. Wie soll man denn da ein ehrliches Leben führen können? Uns bleibt doch gar nichts anderes übrig als rückfällig zu werden, wenn ständig Batman um uns herumschwirrt. Das bleibt doch nicht unbemerkt. Und bald fangen die Nachbarn an zu tuscheln, dann steht irgendwann die Polizei vor der Tür, der Arbeitgeber will nichts riskieren und schmeißt einen raus, der Vermieter ist derselben Meinung und schon steht man da, obdachlos und ohne Arbeit, aber der Magen knurrt trotzdem. Rehabilitation? Die ist für'n Arsch, wenn Batman ein Auge auf dich geworfen hat. Hast du echt nichts Besseres zu tun?" Er holt einmal tief Luft und setzt dann süffisant hinzu: „Weißt du was? Komm mit zu mir nach Hause, ich lad dich auf einen Kaffee ein und dann kannst du dich selbst davon überzeugen, wie falsch du liegst." Er pokert hoch, aber er setzt fest darauf, dass seine Ansprache eben einen gewissen Nerv getroffen hat. Und tatsächlich wehrt der Jüngere sein Angebot sofort ab. Dafür geschieht etwas anderes, wirklich Erstaunliches: er verlegt sich aufs Bitten. „Er ist krank. Ich mache mir wirklich große Sorgen um ihn. Ich will doch nur wissen, wie es ihm geht, verstehst du das nicht?" Natürlich versteht er das. Er vertraut Batman nur nicht - und daher glaubt er ihm kein Wort. „Wie oft denn noch? Ich weiß nicht, wo er steckt und es interessiert mich auch nicht! Und jetzt lass mich endlich vorbei!" Unter seinem Umhang ballt sich Batmans linke Hand - die, die nicht den Umhang hält - zur Faust. Er weiß, dass Crane lügt. Er weiß es! „Gleich." Er ändert seine Taktik erneut, verlegt sich aufs Verhandeln ohne wirklich zur Seite zu treten. Doch er weiß auch, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, irgendwann wird jemand auf dem Weg zu seinem Auto auf sie aufmerksam werden. Diese Ecke hier ist nicht hell, aber auch nicht so dunkel wie er es gerne hätte. „Hör zu, Scarecrow, das ist wirklich ernst." Er nennt ihn bei seinem Alias, erweist ihm damit einen gewissen Respekt, um den Ernst der Lage zu unterstreichen. „Richte ihm bitte etwas aus, falls du ihn siehst, okay? Sag ihm, dass es mir Leid tut. Er soll sich wegen der Ergebnisse melden. Er weiß schon, was ich damit meine." Crane verzieht nicht einen Muskel und starrt ihn völlig ungerührt an. Innerlich aufseufzend tritt Batman zur Seite und lässt ihn passieren. Er sieht ihm zu, wie er zu seinem Fiat geht, dort seine Einkäufe verstaut und schließlich einsteigt und davonbraust, dann dreht er sich um und geht ebenfalls. Er fühlt sich mies. Als habe er versagt. Selbst der Gedanke an die kleine Wanze unter dem Kotflügel von Cranes Fiat ist da kein großer Trost. *** Als der Joker erwacht, schmerzt sein Kopf und die Bettseite neben ihm ist leer. Dafür liegt eine Notiz auf dem Kopfkissen. In Jonathans sauberer, wie gestochen wirkender Handschrift steht dort geschrieben, dass er – also Jonathan – nur kurz einkaufen sei und bald zurückkäme. Und, ach ja, dass er – der Joker – nichts kaputt machen solle. Sehr aufmerksam, Johnny. Er will aufstehen, wird jedoch von einer plötzlichen Übelkeitswelle überrascht. Aufkeuchend sinkt er zurück in die Kissen und atmet ein paar Mal tief durch. Doch die Welt hört nicht auf sich zu drehen. Schwärze wogt heran. Und verschwindet wieder. Oh, wie er es hasst, krank zu sein. Irgendwann hat er genug Kraft gesammelt um einen erneuten Versuch zu starten. Glücklicherweise muss er nicht lange suchen, bis er das Badezimmer gefunden hat, und dann verbringt er sehr viel Zeit auf den Knien vor der Toilettenschüssel. Nachdem er das bisschen, was er in seinem Magen hatte, wieder losgeworden ist, fühlt er sich wesentlich besser. Zittrig und schwach, aber definitiv besser. Sein Blick fällt auf die Badewanne und dann zuckt er mit den Schultern. Warum eigentlich nicht? Und so liegt er fünf Minuten später im heißen Wasser, umhüllt von Schaum, der nach Zedernholz duftet. Er erinnert sich an sein letztes Bad, das kaum eine Viertelstunde gedauert hat. aber diesmal gibt es nichts, was ihn vorzeitig aus diesem gemütlichen Nass springen lassen wird. Jegliche merkwürdige Eingebung kann er genauso gut hier genießen, denn hier ist niemand außer ihm. Und dann - ein weiterer, aber nicht unerheblicher Pluspunkt - spürt er in diesem Bad keine andere Präsenzechos als jene von Crane. Und diese sind so warm und weich wie eine Samtdecke. Nach außen hin und für alle anderen mag Jonathan Crane unbeholfen und nervös wirken, auf eine gewisse Weise vielleicht sogar hektisch und wenn Scarecrow in ihm die Oberhand gewinnt kommt noch eine unberechenbare Reizbarkeit dazu - von seiner kühlen Distanziertheit mal ganz zu schweigen - aber für den Joker strahlte er immer nur eines aus: Wärme. Und Vertrauen. Ganz besonders Vertrauen. Genau das also, was ihn als Psychiater so erfolgreich gemacht hatte. Die Patienten vertrauten ihm, öffneten sich ihm und lieferten sich ihm somit unwissentlich aus. Sie vertrauten ihm selbst dann noch, als er seinen Angstgas-Prototypen an ihnen testete. Und wenn Joker die letzte Nacht vor seinem inneren Augen Revue passieren lässt, kann auch er nicht abstreiten, dass er Jonathan Crane mehr als nur ein bisschen vertraut. Aber diesen Luxus kann er sich wirklich nur bei Jonathan erlauben. Wirklich schade, dass sie nicht füreinander bestimmt sind. Aber so lange sie diesen Pfad gemeinsam beschreiten, spricht nichts gegen etwas Geborgenheit. Ja, das habe ich bei Harley auch gedacht. Um seine Lippen spielt ein bittersüßes Lächeln. Aber diesmal werde ich nicht vom Pfad abweichen. Wir werden so auseinandergehen, wie und wann es uns bestimmt ist. Aufseufzend lässt er sich tiefer ins Wasser gleiten, schließt die Augen und befreit seinen Geist von allen störenden Gedan-ken. Er lauscht. Er lauscht dem leichten Gluckern des Wassers, seinen Atemzügen, dem Pochen seines eigenen Herzens und wie sich all dieses so wunderbar mit dem Plätschern der Regentropfen an der Fensterscheibe vermischt. Es entsteht eine ureigener Rhythmus, der sich nahtlos einfügt in den ätherischen Klängen des Lebens - jener Melodie, die nur er hören kann. Irgendwann döst er ein, und in diesem angenehmen halbwachen Zustand hat er einen Traum. In diesem Traum sieht er Batman und Jonathan Crane in einer Tiefgarage stehen. Der Traum ist so lebensecht, er kann sogar den typischen Gestank von Beton, Öl und Abgasen riechen. Und er spürt die Vibrationen in der Luft, als die beiden miteinander zu sprechen beginnen. Aber er hört nichts. Nicht einen einzigen Ton. Mit Entsetzen stellt er fest, dass er gar nichts hört. Nicht einmal mehr die Melodie dieser Welt. Er zuckt so heftig zusammen, dass das Wasser hoch aufspritzt und in seinen Mund gerät. Schlagartig wach, fährt er hus-tend und würgend in die Höhe. Sekundenlang starrt er nur orientierungslos vor sich hin. Es dauert eine Weile, bis ihm wieder einfällt, wo er sich befindet. Sein eigener Herzschlag dröhnt ihm in den Ohren, und für einen kurzen Augenblick ist die Furcht wieder da, weil das alles ist, was er hört, doch dann schlägt sein Herz wieder langsamer und wird leiser und ihm wird klar, dass das, was er zuerst für seinen Herzschlag gehalten hat, in Wahrheit das Prasseln des Regens an der Fensterscheibe war. Und ganz am Rande seines Wahrnehmungsvermögens kann er auch die Melodie wieder hören. Alles ist normal. Erleichtert darüber, doch nicht taub geworden zu sein, fährt er sich mit den Händen über die brennenden Augen. Kurz darauf keucht er entsetzt auf. An seinen Fingerspitzen glänzt Blut. *** Kapitel 8: Kapitel 12 -14 ------------------------- 12. Kapitel An einem Samstag, kurz vor zwölf, stellt Jonathan Crane einigermaßen verblüfft fest, ist es in der Einkaufsmall erstaunlich ruhig - zumindest was den Supermarkt betrifft. Er ist froh darüber und beschließt, um diese Uhrzeit häufiger einzukaufen, denn wenn er etwas hasst, dann ist es dieses hektische Gewühle und Gedrängel von Kaufwütigen. Demzufolge also ziemlich gut gelaunt schiebt er seinen gut gefüllten Einkaufswagen durch die Gänge des Supermarktes seiner Wahl und ertappt sich dabei, vieles zu kaufen, was nicht seinem, sondern dem Geschmack seines ungebetenen Gas-tes entspricht. Doch dann zuckt er nur mit den Schultern, schließlich ist nichts darunter, was er nicht auch essen würde. Na gut, gesteht er sich ein, und kann dabei ein kleines Grinsen nicht vermeiden, wäre da nicht die Erinnerung an die letzte Nacht, wäre er wohl nicht so großmütig. „Jonathan!" Wie ein Derwisch springt ihm plötzlich eine Gestalt aus einem Quergang mitten vor den Einkaufswagen. „Hu!" Unwillkürlich fasst er sich mit der rechten Hand an seine Brust. Er könnte schwören, sein Herz sei für eine Sekunde tatsächlich stehengeblieben. Doch aus seinem Schrecken wird schnell Zorn, als er die schmale Frau vor sich erkennt. „Harleen! Geht's noch?" Obwohl sie nicht in ihrem üblichen Harlequinkostüm vor ihm steht, erkennt er sie sofort. Das ist auch nicht schwer, schließlich kannte er sie schon vor ihrer Karriere als Liebchen des Clown Prince of Crime. Ein Jahr lang oder so waren sie sogar mal Kollegen im Arkham Asylum. Sie sieht blass und übernächtigt aus, aber das steht ihr. Mit ihrer Stupsnase, den himmelblauen Augen und hellblondem Haar besitzt sie diese puppenhafte Schönheit, die Engel zum Weinen bringen kann, und schon manch einer ist darauf hereingefallen. Hinter ihrem bezaubernden Aussehen verbirgt sich nämlich eine wahre Wildkatze mit dem gefährlichen Hang zur Tollwut. „Er ist nicht tot, Jonathan. Du weißt, wo er ist, nicht wahr? Sag es mir, Jonathan!" „Sag mal, verfolgst du mich etwa? Kann man denn nicht mal mehr in Ruhe einkaufen?" Es gelingt ihm, den Wagen an ihr vorbeizuschieben und weiterzugehen. Er erwartet nicht wirklich, dass sie in Ruhe lässt und tatsächlich: sie läuft wie selbst-verständlich neben ihm her. „Wenn du nie auf meine Nachrichten antwortest", erwidert sie und schiebt schmollend die Unterlippe vor. „Und gestern hast du mich einfach weggedrückt." Gestern? Für einen Moment ist er verwirrt, doch dann fällt es ihm wieder ein. Stimmt, sein Mobiltelefon hatte geklingelt, als er gerade im Krankenhauslabor beschäftigt war. Aber er hat nicht vor, ihr seinen Job auf die Nase zu binden. Diese Irre brächte es fertig, da auch noch aufzukreuzen. „Weil ich dir nichts zu sagen habe, du verrückte Gans", erwidert er daher nur unfreundlich. „Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass ich etwas wissen könnte? Er ist dein Freund." „Ex, bitteschön. Ich brauche ihn nicht. Ich komme sehr gut alleine klar." „Was kümmert es dich dann, ob er tot ist oder nicht?" „Wenn er tot ist, werde ich mich an Batman rächen." „Ja", spöttelt Crane, „weil das bisher ja immer so gut geklappt hat..." Ihre Miene verfinstert sich daraufhin noch mehr, doch dann, schon eine Sekunde später, hellt sie sich wieder auf. „Das stimmt. Aber das macht nichts. Weil er ja noch lebt, nicht wahr, Johnny?" Er bleibt mitten im Schritt stehen und starrt sie düster an. „Wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass ich etwas wissen könnte?" Sie wirft ihm einen gekränkten Blick zu. Zuerst denkt er, es läge an seiner Frage, doch ihre Antwort deutet auf etwas ganz anderes hin. „Ich weiß nicht warum, aber er vertraut dir. Es besteht also eine hohe Chance, dass er sich bei dir meldet, wenn er etwas braucht." Argwöhnisch geworden mustert er sie genauer. Er hat immer peinlichst darauf geachtet, niemals zwischen den Joker und Harley Quinn zu geraten und sich immer nur auf ihre kleinen Treffen eingelassen, wenn zwischen den beiden mal wieder Eiszeit herrschte, aber das war nicht immer einfach. Dafür war das hin und her zwischen ihnen einfach viel zu häufig. Er hofft es nicht, aber er kann nicht ausschließen, dass der Joker manchmal auch parallel zu Harley mit ihm etwas am Laufen hatte. Er selbst würde so einen kleinen Quickle zwar nicht unbedingt als Beziehung bezeichnen, aber Harleen mag das ganz anders sehen. Doch ihre Miene ist frei von Hass und Wut. Alles, was er in ihren blauen Augen lesen kann, ist leise Enttäuschung, Sorge und Furcht. Diese Furcht hätte ihn normalerweise interessiert, aber da sie so offensichtlich mit dem Wohlergehen des Jokers Hand in Hand geht, verliert sie schnell viel von ihrer Faszination. „Ich bin froh, wenn ich mit euch Verrückten nichts zu tun haben muss", erklärt er so abweisend wie möglich. Diesmal scheint er den richtigen Ton getroffen zu haben, denn sie bleibt hinter ihm zurück. „Du sagst mir Bescheid, wenn du was hörst, ja?" ruft sie ihm nach. „Du kannst mich jederzeit in lvys Blumenladen erreichen." Crane macht eine genervte Handbewegung, die alles Mögliche bedeuten kann. Harleen interpretiert es wohl als Zustimmung, denn sie springt lächelnd davon. Keiner der beiden bemerkt den hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann in dem hellen Armani-Anzug, der die kleine Szene von der Weinabteilung aus aufmerksam beobachtet hat. *** Das Glück ist mit dem Tüchtigen, heißt es. Demzufolge muss Bruce Wayne zu den besonders Tüchtigen gehören, dass er ausgerechnet beim Einkaufen auf Harley Quinn und Scarecrow trifft— und das, obwohl er sich normalerweise niemals in einen Supermarkt wie diesen verirrt, aber diese Mall liegt auf dem Rückweg von Vicky Vales Wohnung und er hatte dann das Reklameschild gesehen, das diesen Rotwein aus Südafrika anpreist… Völlig unbemerkt hat er die beiden ehemaligen Psychiater belauscht. Es ist nicht schwer, sich zusammen zu reimen, von wem sie reden, auch, wenn sie kein einziges Mal seinen Namen erwähnt haben. Er weiß nicht, was er davon halten soll. Ein Teil von ihm will den Joker überhaupt nicht wiedersehen, denn das würde ihn nur an solche Fragen erinnern wie: warum hat er nur diese plötzliche sexuelle Anziehungskraft auf mich, besser gesagt auf meinen Körper? Der andere Teil von ihm allerdings, der hauptsächlich seinem Pflichtbewusstsein entspringt, drängt ihn regelrecht dazu, Crane zu folgen. Der immer etwas schlaksig wirkende Mann mag Harley überzeugt haben, aber das gilt nicht für Batman. Er huscht an Crane vorbei, als dieser seine Einkäufe bezahlt und erhascht dabei einen Blick auf dessen Autoschlüssel. Er ist also mit dem Wagen hier. Damit hat er gerechnet, aber die Bestätigung erleichtert ihn. Außerdem weiß er jetzt, dass Crane immer noch seinen klapprigen Fiat fährt. *** Er beeilt sich, vor ihm in der Tiefgarage zu sein. Dort hastet er zu seinem Porsche und öffnet noch im Rennen per Fernbedienung den Kofferraum. Zum Glück hat er immer einen Ersatzanzug parat. Da die Zeit drängt, entschließt er sich, dass diesmal nur Maske und Umhang genügen müssen. Aber er hat ja auch nicht vor, gegen Crane zu kämpfen. Der Umhang ist lang und dunkel und wenn er darauf achtet, ihn vorne festzuhalten, kann man nichts von seinem Körper sehen - also auch nicht den Armani-Anzug. Außerdem sieht das wirklich unheimlich aus, noch wesentlich unheimlicher sogar als bei Graf Dracula persönlich - vor allem in dieser halbdunklen Tiefgarage. Er muss nur in der Nähe von Cranes rotem Fiat warten. So er ihn denn findet. Aber wieder ist ihm das Glück hold: der Wagen steht nicht weit entfernt vom Aufgang, der zum Supermarkt führt. Die Wanze ist schnell angebracht. Batman findet ein schattiges Eckchen, von dem aus er sich auf die Lauer legen kann, und als der ehemalige Psychiater schließlich, beladen mit einer großen Papiertüte, die Tiefgarage betritt, hat Batmans Stunde geschlagen. „Jonathan Crane!" raunt er mit seiner dunkelsten Stimme und gleitet mit einer einzigen fließenden Bewegung aus den Schatten. Jonathan bekommt fast einen Herzinfarkt, als sich die große, dunkle Gestalt so plötzlich vor ihm materialisiert. Er zuckt zusammen und hätte beinahe seine Tüte fallengelassen. Sekundenlang steht er nur da, die Augen hinter der Brille weit aufgerissen, die Tüte wie einen Schild an sich gepresst und versucht, sein heftig klopfendes Herz wieder zu beruhigen. „Batman", meint er dann bemüht gelassen und will weiter, doch der dunkle Ritter Gothams denkt nicht daran, ihm Platz zu machen. Also beißt Jonathan die Zähne zusammen und zwingt sich zu einem freundlichen Lächeln. „Gibt es ein Problem, Batman?" „Ja. Harley kannst du vielleicht etwas vormachen, aber mir nicht. Wo ist der Joker, Crane?“ „Das müsstest du doch am besten wissen. Schließlich hast du ihn umgebracht." Für den Bruchteil einer Sekunde erscheinen um Batmans Mundwinkel kleine Fältchen. Jonathan entgeht dieses sichtbare Anzeichen innerer Anspannung nicht. Aha, er hat also einen Nerv getroffen. Doch trotzdem ist er schlau genug, sich seine Genugtuung nicht anmerken zu lassen und verkneift sich das Lächeln, das sich auf seine Lippen schleichen will. Mit betont ernster Miene startet er einen erneuten Versuch, an Batman vorbei zu kommen. Zuerst scheint es auch wirklich, als würde Batman es ihm gestatten, bis er ihm im letzten Moment doch noch den Weg verstellt. „Das sind sehr viele schwarze Johannisbeeren", stellt Batman mit einem Blick in die Einkaufstüte fest. Eigentlich sieht er nur eines der drei Schälchen, aber er hat vorhin einen guten Blick in den Einkaufswagen werfen können. „Ich steh nun mal auf schwarze Johannisbeeren", kommt es trotzig zurück. „Und sie sind im Sonderangebot." „Und sie sind ein gutes Hausmittel gegen Eisenmangel." „Echt? Wusste ich gar nicht." Ob seine Überraschung gespielt ist oder nicht, kann Batman nicht beurteilen. Nachdem der erste Schock über sein plötzliches Auftreten verflogen ist, hat sich der ehemalige Psychiater wirklich erstaunlich gut im Griff. „Ich finde heraus, was der Joker plant und Gnade dir Gott, wenn du da mit drinsteckst, Crane." „Der Joker? He, ich sagte schon zu der Verrückten eben, dass ich nichts mehr mit dem Typen zu tun habe. Ich versuche mir nichts mehr zuschulden kommen zu lassen. Ich gehe einem anständigen Job nach. Ich bin rehabilitiert." „Ich behalte dich im Auge, Crane." „Oh toll, danke. Wie soll man denn da ein ehrliches Leben führen können? Uns bleibt doch gar nichts anderes übrig als rückfällig zu werden, wenn ständig Batman um uns herumschwirrt. Das bleibt doch nicht unbemerkt. Und bald fangen die Nachbarn an zu tuscheln, dann steht irgendwann die Polizei vor der Tür, der Arbeitgeber will nichts riskieren und schmeißt einen raus, der Vermieter ist derselben Meinung und schon steht man da, obdachlos und ohne Arbeit, aber der Magen knurrt trotzdem. Rehabilitation? Die ist für'n Arsch, wenn Batman ein Auge auf dich geworfen hat. Hast du echt nichts Besseres zu tun?" Er holt einmal tief Luft und setzt dann süffisant hinzu: „Weißt du was? Komm mit zu mir nach Hause, ich lad dich auf einen Kaffee ein und dann kannst du dich selbst davon überzeugen, wie falsch du liegst." Er pokert hoch, aber er setzt fest darauf, dass seine Ansprache eben einen gewissen Nerv getroffen hat. Und tatsächlich wehrt der Jüngere sein Angebot sofort ab. Dafür geschieht etwas anderes, wirklich Erstaunliches: er verlegt sich aufs Bitten. „Er ist krank. Ich mache mir wirklich große Sorgen um ihn. Ich will doch nur wissen, wie es ihm geht, verstehst du das nicht?" Natürlich versteht er das. Er vertraut Batman nur nicht - und daher glaubt er ihm kein Wort. „Wie oft denn noch? Ich weiß nicht, wo er steckt und es interessiert mich auch nicht! Und jetzt lass mich endlich vorbei!" Unter seinem Umhang ballt sich Batmans linke Hand - die, die nicht den Umhang hält - zur Faust. Er weiß, dass Crane lügt. Er weiß es! „Gleich." Er ändert seine Taktik erneut, verlegt sich aufs Verhandeln ohne wirklich zur Seite zu treten. Doch er weiß auch, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, irgendwann wird jemand auf dem Weg zu seinem Auto auf sie aufmerksam werden. Diese Ecke hier ist nicht hell, aber auch nicht so dunkel wie er es gerne hätte. „Hör zu, Scarecrow, das ist wirklich ernst." Er nennt ihn bei seinem Alias, erweist ihm damit einen gewissen Respekt, um den Ernst der Lage zu unterstreichen. „Richte ihm bitte etwas aus, falls du ihn siehst, okay? Sag ihm, dass es mir Leid tut. Er soll sich wegen der Ergebnisse melden. Er weiß schon, was ich damit meine." Crane verzieht nicht einen Muskel und starrt ihn völlig ungerührt an. Innerlich aufseufzend tritt Batman zur Seite und lässt ihn passieren. Er sieht ihm zu, wie er zu seinem Fiat geht, dort seine Einkäufe verstaut und schließlich einsteigt und davonbraust, dann dreht er sich um und geht ebenfalls. Er fühlt sich mies. Als habe er versagt. Selbst der Gedanke an die kleine Wanze unter dem Kotflügel von Cranes Fiat ist da kein großer Trost. *** Als der Joker erwacht, schmerzt sein Kopf und die Bettseite neben ihm ist leer. Dafür liegt eine Notiz auf dem Kopfkissen. In Jonathans sauberer, wie gestochen wirkender Handschrift steht dort geschrieben, dass er – also Jonathan – nur kurz einkaufen sei und bald zurückkäme. Und, ach ja, dass er – der Joker – nichts kaputt machen solle. Sehr aufmerksam, Johnny. Er will aufstehen, wird jedoch von einer plötzlichen Übelkeitswelle überrascht. Aufkeuchend sinkt er zurück in die Kissen und atmet ein paar Mal tief durch. Doch die Welt hört nicht auf sich zu drehen. Schwärze wogt heran. Und verschwindet wieder. Oh, wie er es hasst, krank zu sein. Irgendwann hat er genug Kraft gesammelt um einen erneuten Versuch zu starten. Glücklicherweise muss er nicht lange suchen, bis er das Badezimmer gefunden hat, und dann verbringt er sehr viel Zeit auf den Knien vor der Toilettenschüssel. Nachdem er das bisschen, was er in seinem Magen hatte, wieder losgeworden ist, fühlt er sich wesentlich besser. Zittrig und schwach, aber definitiv besser. Sein Blick fällt auf die Badewanne und dann zuckt er mit den Schultern. Warum eigentlich nicht? Und so liegt er fünf Minuten später im heißen Wasser, umhüllt von Schaum, der nach Zedernholz duftet. Er erinnert sich an sein letztes Bad, das kaum eine Viertelstunde gedauert hat. aber diesmal gibt es nichts, was ihn vorzeitig aus diesem gemütlichen Nass springen lassen wird. Jegliche merkwürdige Eingebung kann er genauso gut hier genießen, denn hier ist niemand außer ihm. Und dann - ein weiterer, aber nicht unerheblicher Pluspunkt - spürt er in diesem Bad keine andere Präsenzechos als jene von Crane. Und diese sind so warm und weich wie eine Samtdecke. Nach außen hin und für alle anderen mag Jonathan Crane unbeholfen und nervös wirken, auf eine gewisse Weise vielleicht sogar hektisch und wenn Scarecrow in ihm die Oberhand gewinnt kommt noch eine unberechenbare Reizbarkeit dazu - von seiner kühlen Distanziertheit mal ganz zu schweigen - aber für den Joker strahlte er immer nur eines aus: Wärme. Und Vertrauen. Ganz besonders Vertrauen. Genau das also, was ihn als Psychiater so erfolgreich gemacht hatte. Die Patienten vertrauten ihm, öffneten sich ihm und lieferten sich ihm somit unwissentlich aus. Sie vertrauten ihm selbst dann noch, als er seinen Angstgas-Prototypen an ihnen testete. Und wenn Joker die letzte Nacht vor seinem inneren Augen Revue passieren lässt, kann auch er nicht abstreiten, dass er Jonathan Crane mehr als nur ein bisschen vertraut. Aber diesen Luxus kann er sich wirklich nur bei Jonathan erlauben. Wirklich schade, dass sie nicht füreinander bestimmt sind. Aber so lange sie diesen Pfad gemeinsam beschreiten, spricht nichts gegen etwas Geborgenheit. Ja, das habe ich bei Harley auch gedacht. Um seine Lippen spielt ein bittersüßes Lächeln. Aber diesmal werde ich nicht vom Pfad abweichen. Wir werden so auseinandergehen, wie und wann es uns bestimmt ist. Aufseufzend lässt er sich tiefer ins Wasser gleiten, schließt die Augen und befreit seinen Geist von allen störenden Gedan-ken. Er lauscht. Er lauscht dem leichten Gluckern des Wassers, seinen Atemzügen, dem Pochen seines eigenen Herzens und wie sich all dieses so wunderbar mit dem Plätschern der Regentropfen an der Fensterscheibe vermischt. Es entsteht eine ureigener Rhythmus, der sich nahtlos einfügt in den ätherischen Klängen des Lebens - jener Melodie, die nur er hören kann. Irgendwann döst er ein, und in diesem angenehmen halbwachen Zustand hat er einen Traum. In diesem Traum sieht er Batman und Jonathan Crane in einer Tiefgarage stehen. Der Traum ist so lebensecht, er kann sogar den typischen Gestank von Beton, Öl und Abgasen riechen. Und er spürt die Vibrationen in der Luft, als die beiden miteinander zu sprechen beginnen. Aber er hört nichts. Nicht einen einzigen Ton. Mit Entsetzen stellt er fest, dass er gar nichts hört. Nicht einmal mehr die Melodie dieser Welt. Er zuckt so heftig zusammen, dass das Wasser hoch aufspritzt und in seinen Mund gerät. Schlagartig wach, fährt er hus-tend und würgend in die Höhe. Sekundenlang starrt er nur orientierungslos vor sich hin. Es dauert eine Weile, bis ihm wieder einfällt, wo er sich befindet. Sein eigener Herzschlag dröhnt ihm in den Ohren, und für einen kurzen Augenblick ist die Furcht wieder da, weil das alles ist, was er hört, doch dann schlägt sein Herz wieder langsamer und wird leiser und ihm wird klar, dass das, was er zuerst für seinen Herzschlag gehalten hat, in Wahrheit das Prasseln des Regens an der Fensterscheibe war. Und ganz am Rande seines Wahrnehmungsvermögens kann er auch die Melodie wieder hören. Alles ist normal. Erleichtert darüber, doch nicht taub geworden zu sein, fährt er sich mit den Händen über die brennenden Augen. Kurz darauf keucht er entsetzt auf. An seinen Fingerspitzen glänzt Blut. *** 13. Kapitel Im Wohnzimmer herrscht das reinste Chaos. Überall auf dem Fußboden liegen Papiere ausgebreitet und der Joker kniet mittendrin. Er dreht ihm zwar den Rücken zu, doch Jonathan kann trotzdem erkennen, dass er irgendetwas ai einen Block schreibt. Er hört das hastige kritzel-kritzel-kritzel eines Füllfederhalters. Eine manische Phase, diagnostiziert der Psychiater in ihm beinahe beiläufig. Aus der Stereoanlage röhrt Amy Winehouses unvergessliche Stimme. Nun, wenigstens verzichtet der Joker auf eine seiner sonst bevorzugten Opern - und das, obwohl Jonathans CD- Sammlung über einige durchaus sehr schöne Stücke verfügt. Er registriert sehr wohl, dass der Joker seine Jogginghose und sein T-Shirt trägt, aber er beschließt, es zu ignorieren. Für Diskussionen dieser Art ist er jetzt wirklich nicht in Stimmung. Er stellt seine Einkäufe auf die Anrichte in der Küche und geht dann ins Bad hinüber. Er muss sich dringend die Hände waschen, an seinen Fingern klebt noch d Dreck von der Un-terseite seines Kotflügels. Die Begegnung mit Batman am helllichten Tag hat seine Paranoia geweckt - nicht ganz zu un-recht, wie sich schnell herausstellte. Er war auf die nächste Tankstelle gefahren, hatte vorgegeben, seinen Reifendruck zu überprüfen und dabei unauffällig seinen Wagen nach einer Wanze oder ähnlichem abgesucht. Er war nicht wirklich über-rascht, als er tatsächlich etwas fand. Er hat das Ding natürlich sofort entsorgt. Soll Batman sich doch einem von seinen vier Blagen gestressten Familienvater in hellgrauem Van an die Fersen heften... Schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann, grinst Scarecrow selbstzufrieden in sich hinein, während er das Badezim-mer betritt. Dort fallen ihm sofort die wohlbekannten, farbenfrohen Kleidungsstücke auf seiner Wäscheleine ins Auge - somit hat sich auch die Frage geklärt, wieso der Joker in seinen Klamotten herumläuft. Weder Jonathan noch Scarecrow können ihm deswegen einen Vorwurf machen - der Regen in Gotham ist weder angenehm noch sauber, wer kann, zieht es vor, die ohnehin schon nasse Kleidung danach noch einmal kräftig weichzuspülen, damit man nicht allzu sehr nach nassem Hund mieft. Und vor allem bei seinem heißgeliebten Mantel ist der Joker sehr eigen. Und – nun ja – gestern Nacht hatte er andere Dinge im Kopf als seine Klamotten noch einmal durch die Waschmaschine zu jagen. Als Jonathan zurück in die Küche geht, stellt er angenehm überrascht fest, dass alle seine Einkäufe schon ordentlich ver-staut wurden. „Danke!" ruft er dem Joker zu, der schon wieder - als hätte er sich in den letzten Minuten nicht von dort fortbewegt zwi-schen seinen Papieren sitzt. Doch der antwortet nicht. Das einzige Geräusch aus dessen Richtung ist nur dieses beständige kritzel-kritzei-kritzel. Allmählich wird Jonathan wirklich neugierig. Ob das alles mit Jokers großen Plan zu tun hat? Nur zu gerne würde er ihn danach fragen, doch er kennt den anderen gut genug um zu wissen, dass er nur dann mit einer sinnvollen Antwort rechnen kann, wenn Joker bereit ist, ihm freiwillig davon zu erzählen. „Kannst du dir vorstellen, wem ich in der Mall begegnet bin?" fragt er ihn stattdessen, während er in Richtung Couch schlendert, um sich dann dort seufzend in die Kissen zu fläzen. Er versucht, von hier aus einen Blick auf die vollgekritzel-ten Blätter zu erhaschen, aber das wenige, was er entziffern kann, ergibt keinen Sinn. Es scheint sich um Namen, Ortsan-gaben und irgendwelche Zahlen zu handeln. Interessanterweise diesmal alle in einer auch ihm verständlichen Schrift. „In einer Metropole wie Gotham-City mit über acht Millionen Einwohnern sollte man doch eigentlich annehmen, da man sich kinderleicht aus dem Weg gehen kann, nicht wahr?" fährt er fort, den anderen aufmerksam nach einem Anzeichen von erwachendem Interesse an dem, was er zu sagen hat, musternd. Aber der Joker scheint völlig in seine Arbeit vertieft. „Aber nein, nicht wenn ich einkaufen bin. Dann werde ich gleich von allen Seiten blöd angequatscht und nach dir gefragt. Du bist sehr begehrt, wusstest du das?" Kritzel-kritzel-kritzel. Jonathan runzelt kurz die Stirn. Wenigstens an dieser Stelle hätte er ein selbstironisches Kommentar erwartet. „Harley war da und hat mich sofort nach dir gefragt." Ein kurzes Stocken, gefolgt von einem noch viel schnelleren kritzel-kritzel-kritzel. „Sie glaubt nicht daran, dass du tot bist. Wieso auch? Sie weiß schließlich genauso gut wie ich, dass du schwimmen kannst wie ein Fisch, wenn es sein muss, auch mit gefesselten Händen. Haben wir alles schon gesehen. Aber aus irgend einem mir unerfindlichen Grunde glaubt sie, dass du zu mir kommst, wenn du Hilfe brauchst. Zu mir, aber nicht zu ihr. Diese Er-kenntnis hätte ihr bestimmt das Herz gebrochen, wenn du das nicht schon vor einigen Monaten erledigt hättest." Der beißende Unterton in seiner Stimme erschreckt ihn selbst ein wenig. So gleichgültig ihm Harleys Gefühle auch sonst sind, die Art, wie sich der Joker endgültig von ihr trennte, kommt ihm noch heute unangemessen hartherzig vor, aber er hatte sich geschworen, sich das niemals anmerken zu lassen. Nun klingt er fast wie der eifersüchtige Liebhaber, der ähnli-ches befürchtet. Weichei, spottet da auch schon Scarecrow. „Was hast du ihr gesagt?" Jokers Stimme klingt flach und ausdruckslos, und er hört währenddessen keine Sekunde auf zu schreiben. „Dass ich nichts weiß. Oder glaubst du, ich hab Lust, dass sie hier irgendwann auf der Matte steht?” Joker nickt nur. Krit-zel-kritzel-kritzel. Jonathan wartet einen Moment, bevor er die wirkliche Bombe platzen lässt. „Und dann, in der Tiefgarage, stand plötzlich Batman vor mir." „Ich weiß." „Und auch er hat mich nach dir gefragt - Moment mal! Was soll das heißen, du weißt?" „Ich habe euch gesehen", erklärt der Joker gleichmütig. Jonathan starrt ihn für eine geschlagene halbe Minute nur völlig perplex an. Es bringt ihm nur nicht viel, weil ihm der Joker immer noch den Rücken zuwendet. „Gut", meint Jonathan dann gedehnt und allmählich auch leicht angesäuert, weil Joker selbst jetzt immer noch weiterkrit-zelt. „Dann kann ich mir den Rest ja sparen, oder? Sieht so aus, als wärest du über alles informiert." Zu seiner Überraschung erntet er ein Kopfschütteln. „Nein. Ich habe euch gesehen, aber nicht gehört. Was wollte die olle Fledermaus von dir?" Jonathan zögert, beschließt dann aber, all seine Fragen auf später zu verschieben. „Er wollte auch wissen, wo du steckst. Er hat mir sogar eine Nachricht für dich mitgegeben. Du sollst dich bei ihm melden. Du wüsstest schon, was er meint. Ach ja, und bei der Gelegenheit hat er mir eine Wanze unterschieben wollen." Zum ersten Mal seit langem gibt der Joker ein kleines Kichern von sich. Stift und Papier werden endlich beiseite gelegt. „Das hat er bei mir auch versucht. Wo hast du deine entsorgt? Ich hab sie in einen Pick-up geworfen." „Wenn alles glatt läuft, dürfte er jetzt einen armen, überreizten Familienvater verfolgen", grinst Jonathan selbstzufrieden. „Batsy sollte sich mal ein paar neue Tricks einfallen lassen, oder?" Schwungvoll dreht sich Joker zu ihm um. Sein Gesicht pflastert sein altbekanntes, breites Grinsen. „Ganz meine Meinung", grinst Jonathan zurück. Doch er wird schnell wieder ernst. „Erzählst du mir jetzt, was los ist? Wie konntest du etwas sehen, obwohl du meilenweit entfernt warst?" „Ich weiß es nicht", erwidert der Joker ungewohnt freimütig. Sein Grinsen ist etwas verblasst, doch er ist sehr aufgekratzter Stimmung, als er sich mit einer fließenden Bewegung erhebt, die Arme über den Kopf hebt und sich dann in aller Ruhe streckt. Das Knacken seiner Wirbelsäule ist bis zu Jonathan zu hören. „Ich bin fertig", erklärt er dann überflüssigerweise und schickt sich an, in die Küche hinüber zu gehen. „Machen wir uns jetzt ans Mittagessen? Danke für die Johannisbeeren übrigens." Missmutig betrachtet Jonathan das Durcheinander auf seinem Fußboden. Es juckt ihn in den Fingern, jedes dieser Papiere genauer zu untersuchen, doch er ist klug genug, sich zu beherrschen. „Hey, soll ich das Grünzeug alleine schnippeln?" Jokers vorwurfsvolle Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Jonathan dreht sich halb um und sieht ihn im Türrahmen lehnen. Die Art, wie er das Gemüsemesser zwischen seinen Fin-gern tanzen lässt und dabei die Küchentür anstarrt, veranlasst den ehemaligen Psychiater dazu, schnell aufzuspringen. „Du nimmst die Zwiebeln, ich die Paprika", bestimmt er, während er an ihm vorbei in die Küche eilt. Und dann wirft er dem Joker schnell das besagte Gemüse zu, bevor dieser wirklich noch ungeduldig wird und mit dem Messer Muster in das kostbare Holz schnitzt. *** Zwiebeln schneiden war eine dumme Idee, wie Joker schnell feststellen muss. Spätestens als seine Augen zu brennen beginnen. Und dann laufen die Tränen und er kann nichts dagegen unternehmen. Er versucht, es zu verbergen, wendet Jonathan den Rücken zu, unterdrückt das unweigerliche Schniefen und wischt sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Vergebens. Und viel zu spät. Denn Jonathan verfügt über die Fähigkeit des peripheren Sehens. „Joker.“ Und schon fühlt sich dieser an der Schulter gepackt und herumgedreht. Er leistet keinen Widerstand, denn irgendwie ist er erleichtert, dieses Geheimnis nicht länger alleine tragen zu müssen. Als Jonathan die roten Schlieren auf Jokers kalkweißer Haut sieht, ist das erste, was er spürt, diese eisigkalte Hand, die sich um sein Herz legt und zudrückt. So reagiert er immer beim Anblick von Blut. Aber schon ein bis zwei Sekunden später setzt sein wissenschaftliches Interesse wieder ein. „Du“, vorsichtig hebt er die linke Hand und wischt ihm eine vergessene Träne aus dem Augenwinkel, „du weinst blutige Tränen.“ „Ja“, erwidert der Joker mit einem schiefen Grinsen. „Melden wir es dem Vatikan?“ Über Jonathans Züge huscht ein kleines Lächeln, doch er wird schnell wieder ernst, nimmt Jokers Gesicht in beide Hände und mustert ihn eindringlich. „Wann hat das angefangen?“ „Vor ungefähr zwei Stunden. Nachdem ich dich und Batman in der Tiefgarage … gesehen habe.“ Nachdenklich runzelt Jonathan die Stirn. Ob da vielleicht ein Zusammenhang besteht? „Tut es weh?“ „Nein.“ Erst als der Joker seine Hände ergreift und von seinem Gesicht pflückt, wird sich der ehemalige Psychiater bewusst, dass er immer noch dessen Wangen berührte. „Du bist noch immer etwas warm“, sagt er etwas verlegen. Es ist ein sehr durchsichtiger Versuch, diese doch allzu vertrau-liche Geste zu rechtfertigen. Zärtlichkeiten hatten bisher immer vom Joker auszugehen, er bestimmt die Spielregeln und das ist auch besser so, wenn man dessen Stimmungsschwankungen bedenkt. Harley hat das nie verstanden und das auch mehr als einmal bereut. Und deshalb rechnet er auch damit, jetzt davongestoßen zu werden. Er hat eindeutig eine unsichtbare Linie überschritten. Doch zu seiner großen Überraschung geschieht etwas völlig anderes. Joker beginnt zu grinsen. Nicht dieses breite, zähne-fletschende Grinsen des Irrsinns, mit dem er immer alle verängstigt, sondern ein ganz normales. Entspannt und vergnügt und absolut ehrlich. „Machst du dir etwa Sorgen um mich, little crow?“ Noch ehe sich Jonathan dazu eine passende Antwort einfallen lassen kann, spürt er schon Jokers Lippen auf seinen eige-nen. Er will den Kuss gerade erwidern, da beendet Joker ihn schon wieder, aber nur, um sich katzengleich an ihn zu schmiegen. „Das ist ja soooo lieb von dir“, gurrt er in Jonathans linkes Ohr. Jonathan rieselt es bei diesem Tonfall heiß und kalt das Rückgrat hinunter, und dann ist ihm nur noch heiß, und das vor allem unterhalb seiner Gürtellinie. Er verliert die Kontrolle. Atemlos reißt er ihn an sich. Eine Hand vergräbt sich in Jokers Hintern, die andere in dessen wilder Haarmähne um ihn noch fester an sich zu ziehen, so nah, dass es beinahe schmerzt, während er sich daran macht, Jokers Mund gnadenlos zu plündern. Für fünf oder sechs Sekunden lässt sich dieser das sogar gefallen, aber gerade, als Jonathan beginnt, sich in diesem Kuss zu verlieren, entzieht er sich ihm lachend. „Komm“, erklärt er ihm aufgekratzt. „Ich erklär dir jetzt meinen großen Plan!“ Mit diesen Worten zieht er ihn hinter sich her zurück ins Wohnzimmer. *** „Du bist verrückt.“ „Ich weiß“, trällert der Joker und entführt ihn in eine kleine Drehung. Man kann zu Amy Winehouse nur langsam tanzen, aber das hindert ihn nicht daran, seinen Lover – denn genau das ist Jonathan zurzeit in seinen Augen, und er genießt es – dennoch herumzuwirbeln, bevor er ihn dann wieder eng an sich zieht. Er fühlt sich gut. Zuversichtlich. Wieder zurück auf seinem Weg und obendrein auf der Zielgeraden. Die unerschütterliche Gewissheit, dass alles nach Plan verlaufen wird, verursacht bei ihm ein Hochgefühl, besser als jeder Drogenrausch. „Du bist verrückt“, wiederholt Jonathan. Seine Stimme klingt gedämpft, weil er seine Nase tief in Jokers grünen Dreadlocks vergräbt. Irgendwie ist Jokers Ausgelassenheit auf ihn übergesprungen, denn normalerweise würde er weder derart mit einem Mann tanzen noch es so oft wagen, den Joker „verrückt“ zu nennen. Und normalerweise hätte er sich genau dafür schon längst eine gebrochene Nase eingefangen. „Wir brauchen Versuchsreihen, um die richtige Mischung zu finden…“ „Keine Sorge, little crow, das findet sich alles.“ „Aber eine Kombination aus deinem Smilex und meinem Fear Gas in dieser Menge…“ „Sch“, unterbricht ihn der Joker, indem er ihm sanft ins Ohrläppchen beißt. „Nicht jetzt. Ich will feiern.“ Jonathan weiß es besser als ihm in diesem Moment zu widersprechen. Also stellt er all seine Fragen und Bedenken genauso zurück wie das geplante Mittagessen. Doch wenn er ehrlich sein soll, hat er jetzt auf etwas ganz anderes Appetit als auf gefüllte Paprika mit Süßkartoffeln. Und dem Joker geht es wohl genauso, wenn er dessen Finger richtig deutet, die sich da so vorwitzig unter seine Kleidung schummeln… *** Mit einem lauten Klacken rastet der Gürtel ein. In Batmans Ohren ist es ein sehr entschiedenes Geräusch, das das Ende des Nichtstuns einläutet und einen neuen Aufbruch verheißt. Und es hallt so schön von den Wänden der Bathöhle wider... „Es ist noch etwas zu früh dafür. Die Sonne ist noch nicht untergegangen", gibt Alfred zu bedenken und hilft ihm dennoch, den Umhang zu richten. Um Batmans Lippen zuckt ein unfrohes Lächeln. Er weiß, er war seinem alten Freund heute keine gute Gesellschaft, war er doch heute so mürrisch und gereizt wie selten zuvor. Aber er sitzt wie auf heißen Kohlen. Nachdem er derart von Crane ausgetrickst wurde, erscheint es ihm noch dringlicher als je zuvor, den Joker zu finden. Und Jonathan Crane weiß etwas. Also muss er zuerst ihn finden. „Hast du nicht die Wolken gesehen, Alfred? Es fängt bald wieder an zu regnen und dann ist es dunkel genug für Batman. Ich habe genug Zeit vertrödelt." „Und wo wollen Sie mit Ihrer Suche beginnen, Sir?" Die Tatsache, dass Alfred den steifen britischen Butler hervorkehrt, beweist ihm nur, wie sehr er ihn mit seinem Benehmen wirklich gekränkt hat. Doch Batman kann und will jetzt nicht auf solche Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. „In den Narrows, wo sonst?" „Die Narrows sind groß. Haben Sie vor, jedes Haus und jedes Apartment dort einzeln zu durchsuchen?" „Ja, wenn es sein muss." Alfred tritt zwei Schritte zurück und mustert ihn mit sorgenvoll gerunzelter Stirn, dann seufzt er einmal tief. Und als er ausgeatmet hat, ist aus dem distanzierten Butler wieder sein väterlicher Freund geworden. „Wenn du ihn gefunden hast, versuche bitte, dich zu beherrschen und erst mit ihm zu reden. Er braucht deine Hilfe, nicht deinen Zorn." Batman schweigt einen Moment. „Das solltest du ihm sagen", brummt er dann etwas unwirsch. Doch damit versteckt er bloß, wie tief ihn dieser unausge-sprochene Vorwurf wirklich trifft. Es ist alles schiefgelaufen, und er trägt einen Hauptteil der Schuld daran. Angefangen bei seiner ganzen Art, wie er mit dem Joker immer umgegangen ist - und noch umgeht - bis hin zu seiner falschen Entscheidung, dem Joker das Serum gegen Vampirismus zu verabreichen ohne dessen Mutation in die Gleichung mit einzubeziehen. Und jetzt hat sich der Joker auch noch jeglicher Kontrolle entzogen und verkriecht sich irgendwo dort draußen. Nur die Götter mögen wissen, was er jetzt schon wieder ausheckt. Dass er eine weitere Mutation durchläuft erhöht in Batmans Augen nur das Risiko für eine weitere kriminelle Schandtat. Nun, jedenfalls redet er sich das erfolgreich ein. Entschlossen schwingt er sich hinters Steuer seines Batmobils, legt krachend den Gang ein und fährt dann mit aufheulen-dem Motor davon. Alfred sieht ihm besorgt hinterher. Er fühlt sich müde und ausgelaugt. Sein einziger Trost ist, dass Bruce Vicky Vale den ganzen Nachmittag über nicht ein einziges Mal erwähnt hat. Vielleicht besteht Grund zur Hoffnung und diese unselige Romanze ist beendet noch bevor sie richtig angefangen hat. Vicky Yale mag ja eine bemerkenswert intelligente, wunder-schöne Frau mit viel Witz und Charme sein, aber sie könnte seinen Bruce niemals glücklich machen. Da, so hat Alfred inzwischen widerwillig erkannt, gibt es wohl nur eine einzige Person. *** 14. Kapitel Die Narrows liegen in der Nähe des südlichen Hafens und gehören zu einem der heruntergekommensten Stadtteile. Eine Schande, vor allem fürs Auge. Heruntergewirtschaftete Wohnblöcke aus grauem Beton ragen zwanzig oder mehr Stock-werke empor, düstere Zeugen der gescheiterten Sozialpolitik der letzten fünfzig Jahre. In ihrem Schatten drängen sich die gemauerten Gebäude des späten 19. Jahrhunderts, Trutzburgen, die dem Bestreben der Stadtväter nach einem einheitlichen Straßenbild damals nicht zum Opfer gefallen sind. Doch auch sie zeigen deutliche Anzeichen des Verfalls. Der Gestank des nahen Gotham Rivers hat sich ebenso in diesen Mauern festgesetzt wie der von Schimmel, Blut und zerstörten Hoffnungen. Die Narrows sind der Stadtteil mit der höchsten Kriminalitätsrate, und so unangenehm ihm das als Bruce Wayne auch sein mag - Batman kennt hier fast jeden Stein. Deshalb ist er ja auch so frustriert, als er selbst nach fünfstündiger Suche noch keinen einzigen Hinweis auf den Verbleib Jonathan Cranes geschweige denn des Jokers gefunden hat. In ihren üblichen Verstecken hat er entweder nur gähnende Leere oder irgendwelche unbedeutenden Kleinkriminellen angetroffen. Jetzt bleiben ihm nur noch die Randbezirke der Narrows. Aber er bezweifelt stark, dass sich einer der beiden in einer Gegend verkriecht, die zum besseren Teil dieser Kloake gehören und die sich langsam aber sicher - auch Dank kräftiger Investitionen von Wayne Enterprises - aus dem Sumpf der Hoffnungslosigkeit befreit. So enttäuschend diese ergebnislose Suche auch war, fühlt sich Batman am Ende dieser fünf Stunden schon erheblich besser. Er ist nun mal ein Mann der Tat, lange Recherchen am Computer befriedigen ihn nicht. Schon gar nicht, wenn sie fruchtlos bleiben. Nicht einmal die Daten der Zulassungsstelle hatten ihm weitergeholfen - Jo-nathan Cranes roter Fiat ist auf Namen und Adresse seiner alten Tante zugelassen. Und alles was recht ist, aber Batman weigert sich, diese unschuldige, knapp achtzigjährige Dame in ihrem Seniorenheim aufzusuchen und ihr Fragen nach ih-rem missratenen Neffen zu stellen. Wer weiß - am Ende erleidet sie noch einen Herzinfarkt und er ist Schuld daran! Ernüchtert, aber alles andere als mutlos - wird er eben nächste Nacht weitersuchen - geht Batman zurück zu seinem Bat-mobil, das er weit entfernt von den Narrows in einer Seitengasse geparkt hat und kann unterwegs immerhin zwei Raub-überfälle, einen Einbruch und eine sexuelle Nötigung verhindern - etwas, was ihn deutlich aufmuntert. So war diese Nacht doch noch für etwas gut. Ohne dass er sich dessen bewusst wird, lenken ihn seine Schritte anstatt direkt zu seinem Wagen zu jenem schicksals-schweren Ort, wo sich alles für ihn veränderte. Er ist geschockt, als er sich plötzlich auf dem Aquädukt wiederfindet, von dem der Joker stürzte. Ihm wird auf einmal klar, dass er diesen Ort bisher bewusst gemieden hatte. Es schmerzt, hier zu stehen. Obwohl er weiß, dass der Joker lebt. Trotzdem - es tut einfach nur weh. Ein dumpfer, bohrender Schmerz in seiner Brust, der ihm das Atmen erschwert. Es ist genau dasselbe Gefühl, mit dem er immer am Grab seiner Eltern zu kämpfen hat. Zögernd tritt er näher an den Rand und starrt hinunter in die wirbelnden Wassermassen, genau wie damals, unfähig, sich zu bewegen, unfähig, hinunter zu springen… „Ist es hier passiert?" der Klang der hellen, wohlbekannten Stimme lässt ihn herumfahren. Beinahe hätte er das Gleichge-wicht verloren wie der Joker damals. Doch anders als dieser trägt Batman Stiefel mit rutschfesten Sohlen. Grüne, große Augen bohren sich in seine. „Ist es hier passiert?" wiederholt Selina Kyle und starrt ihn unter ihrem Regenschirm neugierig an. „Stürzte der Joker hier ins Wasser und ertrank?" „Er ist nicht-", beginnt er, doch sie unterbricht ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Ich weiß, dass er nicht tot ist", erklärt sie und es klingt ungeduldig, als schelte sie ein kleines Kind. „Aber du dachtest, er wäre es. Und dieses Gefühl wirst du nie wieder los." Sekundenlang starren sie sich nur an, während der Regen in leichten, stetigen Tropfen auf ihren Regenschirm plätschert. Sie macht einen kleinen Schritt auf ihn zu, heraus aus den Schatten, und er sieht unter ihrem langen Mantel das wohlbe-kannte Leder von Catwoman aufblitzen. „Was machst du hier bei diesem Wetter? Ich dachte immer, Katzen scheuen den Regen." „Geschäfte." Lächelnd tippt sie sich an die rechte Hüfte, wo, wie er weiß, unter ihrem Mantel ein kleiner Beutel an ihrem Gürtel hängt. Unwillig verzieht er das Gesicht, bereut es schon, überhaupt gefragt zu haben. „Das will ich gar nicht wissen." „Wirklich nicht? Du hälst mir jetzt keinen deiner berühmten Vorträge über Recht und Unrecht? Du machst keinen Versuch, mir Handschellen anzulegen? Erstaunlich. Das nimmt dich wirklich mit, oder?" Als er ihr nur einen irritierten Blick zuwirft, verziehen sich ihre Lippen zu einem kleinen, nachsichtigen Lächeln. „Ich weiß über alles Bescheid, Großer." „Ach, und woher?” „Oh, ich habe meine Spione." Wieder starren sie sich nur lange an. Nur mühsam unterdrückt Batman ein Schnauben. Selina macht oft solche Äußerun-gen, aber zu glauben, dass sie tatsächlich mit Katzen spricht, fällt ihm immer noch schwer. Seiner Meinung nach wendet sie psychologische Tricks an und rät einfach nur gut. Und doch - da regt sich ein kleiner Zweifel in seinem Hinterkopf. Nach allem, was er in den letzten Wochen erlebt hat, ist er gegenüber solchen Dingen vielleicht nicht mehr ganz so verschlossen wie zuvor. Wirklich darüber nachdenken will er hier und jetzt aber nicht. „Diese Vicky Vale ist nichts für dich", sagt Selina plötzlich. „Für Bruce Wayne - vielleicht. Aber nicht für Batman." „Woher weißt du das von mir und Vicky? Auch wieder deine Spione?" „Klatschpresse", erwidert sie schulterzuckend. „Die neueste Flamme von Bruce Wayne ist immer ein paar Zeilen wert. Vor allem, wenn sie selbst in der Öffentlichkeit steht." Vergebens sucht er in ihrer Stimme und Mimik nach so etwas wie Eifersucht und weiß nicht, ob er erleichtert oder ent-täuscht sein soll. Er entscheidet, dass er zu müde ist, um sich zu entscheiden. Seufzend wischt er sich einen Regentropfen von der Wange. „Was willst du von mir, Selina?" „Oh, ich ging hier nur zufällig vorbei und sah dich hier stehen. Und ich dachte mir, vielleicht brauchst du den Rat einer guten Freundin. Von jemanden, der nicht direkt betroffen ist und das alles mit den Augen eines Außenstehenden sieht." Das mit dem zufällig glaubt er ihr, denn nur zwei Blocks entfernt beginnt eine Einkaufspassage mit einem Juwelierge-schäft, und dieser Ort hier befindet sich genau auf ihrem Rückweg von dort zu ihrer Wohnung. Aber er weiß, dass sie auch einfach hätte weitergehen können. Sie will ihm wohl tatsächlich helfen. Diese Geste rührt ihn zutiefst. „Und was rätst du mir also?" Er klingt resignierter und hoffnungsloser als er es sich eingestehen will. Sie mustert ihn wieder auf ihre ernste, stille Weise. „Tu das, was sich nicht falsch anfühlt“, rät sie ihm schließlich. „Du meinst, was sich richtig anfühlt." Er ist enttäuscht über die Banalität dieses Rates. Ernst schüttelt sie den Kopf. „Ich meine, was ich sage, Großer. Du bist ein Grübler. Du handelst nach deinem Verstand, also nach dem, was du für richtig hälst. Lerne lieber, etwas zu lassen, wenn es sich falsch anfühlt, auch, wenn dein Ver-stand dir suggeriert, es wäre das Richtige." Äußerlich bleibt er völlig gelassen, aber innerlich zuckt er wie unter einem Blitzschlag zusammen. Unwillkürlich muss er an all das denken, was er immer wieder so gerne in die hintersten Ecken seines Gedächtnisses drückt: an diese Küsse und Berührungen, die sich so gut anfühlen, so perfekt und die gleichzeitig doch so falsch sind, weil nichts davon eine Zukunft hat. Wie kann Selina von all dem nur wissen? Oder ist dies auch nur wieder eines ihrer Psychospielchen? Er schüttelt den Kopf, schiebt all diese unangenehmen Gedanken beiseite und besinnt sich auf seine gute Erziehung. „Komm, ich fahr dich nach Hause." Galant bietet er ihr seinen Arm an und sie hakt sich schweigend bei ihm ein. Ihrem Gesicht ist nicht anzusehen, wie sehr sie über Batmans Sturkopf verzweifelt. Auf dem ganzen Weg zu seinem Wa-gen überlegt sie angestrengt, wieso sie sich das hier eigentlich antut. Alfred zuliebe? Oder weil sie für Gothams dunklen Ritter eine nicht unerhebliche Menge an Sympathie übrighat? Hofft sie gar, dass der Joker sich wie ein Spuk auflöst, wenn er endlich bekommt, was er will? Immerhin wirbelt dieser grünhaarige, rotäugige Teufel immer Gothams gesamte Unter-welt durcheinander, weil Batman dann extra wegen ihm seine Patrouillen verstärkt. Ist der Joker auf freiem Fuß, steigt die Gefahr, von Batman in flagranti erwischt zu werden. Und eine nervöse Unterwelt bedeutet auch ein unruhiges Katzenreich. Nein, entscheidet sie in jenem Moment, wo Batman ihr galant die Beifahrertür aufhält, ich tue das hier für mich. Ganz allein für mich. Wenn Bruce glücklich ist, muss sich Alfred nicht immer so viel um ihn sorgen und dann kann er sich ganz auf mich konzentrieren. Als sich Batman neben ihr hinters Steuer setzt und sie seine angespannten Wangenmuskeln bemerkt, rechnet sie mit einer sehr schweigsamen Fahrt und ist daher umso überraschter, als er schon nach dem Abbiegen auf die Hauptstraße die Stille zwischen ihnen bricht. „Vicky glaubt herausgefunden zu haben, dass Jokers unschuldige Opfer gar nicht unschuldig im Sinne des Gesetzes sind. Sie haben alle Dreck am Stecken, wurden aber bisher nie erwischt oder wussten es gut zu vertuschen." Sie tut gar nicht erst, als wäre sie erstaunt. Ihre Katzen erzählen ihr viel, und das meiste davon handelt von den grausamen Dingen, die sich die Menschen gegenseitig antun. Als sie nicht antwortet und ihn nur auffordernd anblickt, platzt es plötzlich aus Batman nur so heraus. „Aber das mit Ethan kann ich ihm nicht verzeihen! Ursprünglich wollte er ihn sogar töten, kannst du dir das vorstellen? Dafür gab es gar keinen Grund!" Selina erinnert sich an eine kühle, bleiche Hand um ihre Kehle und hasserfüllte, rotglühende Augen und schluckt einmal schwer. Wenn sie damals nicht so klug gewesen wäre und ihren Kontakt zu Bruce Wayne auf ein Minimum reduziert hätte, wer weiß, vielleicht wäre sie dann schon längst Fischfutter. „Hattest du noch niemals das Verlangen, jemanden zu töten?“ will sie wissen und fragt sich, wie sie dazu kommt, hier die Psychotherapeutin zu spielen. Ach, Alfred. Was tue ich nicht alles für uns. „Wichtig ist nur, was du wirklich tust. Fakt ist doch, dass er ihn letztendlich doch nicht getötet hat." „Ethan hatte Glück, dass ihn die Chemikalie nur verwandelt hat", knurrt der Mann neben ihr dumpf. „Glück", wiederholt sie langsam und schüttelt dann den Kopf. „Das ist Blödsinn, Batman. Glück hatte damit gar nichts zu tun. Der Joker macht keine Fehler. Er hat höchstens freud'schen Gedankenschluckauf. Nein, Ethan hat sich nur verwandelt, weil ein Teil vom Joker das genau so wollte." Sie hält kurz inne, lässt ihre Worte sacken und dann, als Batman ihr diesen ganz gewissen Blick – eine Mischung aus Skepsis und Hoffnung – zuwirft, fährt sie fort: „Er wusste doch, dass Ethan und Bruce befreundet waren. Wenn er deine Freunde tötet, würdest du ihm das doch nie ver-zeihen.“ „Du kennst ihn ja ziemlich gut.“ Hört sie da etwa Eifersucht heraus? Faszinierend. Sie beschließt trotzdem, diese kleine Bemerkung keiner Antwort zu würdigen und so schweigt sie, zuckt nur mit den Schultern. Nach fünfzehn Sekunden ausgedehnten Schweigens wird Batman neben ihr klar, dass er keine Antwort mehr erwarten kann. Also schluckt er den bitteren Geschmack hinunter, der plötzlich auf seiner Zunge liegt. Der Gedanke, dass Selina und der Joker ... nein, das ist einfach nur lächerlich und es muss seiner Müdigkeit geschuldet sein, dass er überhaupt auf diesen Gedanken kam... Und dann fällt ihm wieder ein, dass der Joker höchstwahrscheinlich mit Crane zusammen ist. Gerade jetzt, in diesem Mo-ment. Verdammt! Für einen Augenblick ist er so wütend, dass er das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückt. Der Wagen röhrt auf und macht einen Satz vorwärts. Catwoman gibt einen überraschten Laut von sich und klammert sich instinktiv am Haltegriff über sich fest, während sie ihm gleichzeitig einen bitterbösen Blick zuwirft. Sofort nimmt er schuldbewusst den Fuß vom Gas. Er spürt, wie ihm das Blut in die Wangen steigt. Ihm wird bewusst, wie irrational er sich hier eben verhalten hat, doch mehr als zu einer knappen Entschuldigung kann er sich nicht durchringen. Selina mustert ihn aus ihren katzenhaften Augen eigenartig durchdringend. „Du bist immer so absolut zweigespalten, wenn es um den Joker geht", bemerkt sie dann. „Wie eine Katze, die sich nach Freiheit sehnt, aber ihr bequemes Leben vor dem warmen Ofen nicht aufgeben will. Irgend wann musst du dich mal ent-scheiden, was du willst." Sie zögert kurz und setzt dann in etwas schärferen Tonfall hinzu: „Aber das geht natürlich nicht, solange du immer das Richtige tun willst." Er schnaubt nur. Natürlich beschleicht ihn eine vage Ahnung dessen, worauf sie hier anspielt, aber das kann sie nicht wis-sen, oder? Nein, woher denn auch … Schnell drängt er die ungebetenen Erinnerungen zurück. „Ich habe einen Tipp bekommen", das ist grenzenlos übertrieben, aber es wäre wirklich demütigend, würde er von einem vagen Gefühl oder einer Vermutung sprechen. „Demzufolge hat sich der Joker mit Scarecrow verbündet. Hast du eine Ahnung, wo sich Scarecrow zur Zeit verkriecht?" Die schöne Frau auf dem Beifahrersitz zögert und alleine das wäre ihm schon Antwort genug. „Selbst wenn ich das wüsste, würde ich dir das niemals verraten", erklärt sie schließlich ernst. „Ich habe nämlich nicht vor, mir den Zorn des Jokers einzuhandeln." Plötzlich lächelt sie wieder, und noch bevor er etwas darauf entgegnen kann, fährt sie beinahe vergnügt fort: „Aber eines kann ich dir versprechen: du findest die beiden nie, wenn du nicht lernst, deine Vorurteile über Bord zu werfen. Wo hast du gesucht? In den Narrows?" Er nickt grimmig und ihr Lächeln wächst in die Breite. „Natürlich hast du nur in den dunkelsten und schlechtesten Ecken gesucht." Selinas Stimme trieft nur so vor Spott. „Weil du sie für Ungeziefer hälst. Weil du alle Kriminellen für Ungeziefer hälst. Und Ungeziefer krabbelt nun mal nicht im Son-nenlicht." Mehr sagt sie nicht. Batman wartet einige Sekunden, doch es wird schnell klar, dass sie nicht vorhat, mehr hinzu zu fügen. Er seufzt einmal innerlich auf, fragt sich, wieso er das alles verdient hat und resigniert schließlich. „Okay, Selina, willst du mir damit sagen, ich solle Gothams reiche Vororte nach den beiden absuchen?" „Das mußt du schon selbst herausfinden. Du bist doch hier der Detektiv." Jetzt reicht's! Mit einem Ruck reißt er das Steuer herum und tritt auf die Breme. Reifen quietschen gequält, als das Batmobil am Straßenrand zum Stehen kommt. „Raus hier! Sofort!" bellt er Selina an. Sie wirft einen schnellen Blick aus dem Fenster, bemerkt, dass sie nur hundert Meter von ihrem Apartment entfernt ange-halten haben und grinst. Dennoch beeilt sie sich, dem Befehl nachzukommen. Für heute hat sie den lieben Batman wohl genug gereizt. Und dennoch kann sie es nicht lassen... „Gestehe es dir doch endlich ein", rät sie ihm, kurz bevor sie die Beifahrertür hinter sich ins Schloss wirft. „Du liebst ihn." Sie hört nicht, was er sagt, denn die Tür ist schon zu, und die Zeit genügt auch nicht, um in seiner Miene zu lesen, aber die Art, wie der Motor aufröhrt, als der Wagen davonschießt, verrät ihr mehr als genug. Sehr zufrieden mit sich, öffnet sie ihren Schirm und schlendert seelenruhig nach Hause. *** Das Geschäftsgebäude von Wayne Enterprises gehört mit seinen hundert Stockwerken noch nicht zu den größten Wolken-kratzern von Gotham City Downtown, aber es gehört zu denen, die die Skyline dieser Stadt prägen. Und es besitzt einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach. Der Wind ist stark hier oben, er zerrt an Jonathans braunen Haaren und seinen Mantelschößen so gierig wie ein Raubtier, das sein Revier verteidigt. Und peitscht ihm dazu noch den Regen unablässig ins Gesicht. Keine zehn Pferde und auch nicht einmal der Welpenblick des Jokers vermögen es, ihn aus der relativen Sicherheit im Windschatten der Lüftungsanla-ge hervorzulocken. Und so steht er also dort, frierend und müde und beobachtet den Joker, der völlig unberührt von Wetter und Höhe an der Brüstung steht und hinaus auf Gotham starrt als sähe er diesen Moloch zum ersten Mal. Andererseits ... bei allem, was Jonathan weiß, könnte genau dies der Fall sein. Jokers andauernde Mutation treibt bisher immerhin merkwürdige Blüten - blutige Tränenflüssigkeit und außerkörperliche Erfahrungen könnten nur der Anfang sein. Oder die Fortsetzung von seiner Fähigkeit, die Vergangenheit anderer zu sehen. Vielleicht auch noch mehr - eine Vollendung von dem, was schon vor Jahren begann, damals, als er in diese Chemikalien fiel. Zuerst veränderte sich nur sein Körper und ein Teil seines Geistes, aber jetzt scheinen sich Schleusen zu öffnen, die alles Vorangegangene in den Schatten stellen. Schließlich nutzt der durchschnittliche Mensch nur einen Bruchteil seines Gehirns. Ein Gehirnscan könnte Aufschluss geben, denkt Jonathan und bedauert es zutiefst, zu solchen Geräten keinen Zugang mehr zu haben. Er hört das leise Platschen, das Jokers Füße machen, als sich dieser etwas bewegt - er steht mitten in einer Pfütze - und unwillkürlich rutscht Jonathans Blick hinunter zu dessen Füßen. Er ist barfuß, wie immer, und für einen Augenblick zuckt in Jonathans Geist die besorgte Frage auf, inwieweit sich dies in Verbindung mit dem nasskalten Wetter auf Jokers Ge-sundheit auswirken kann. Ob das seine Mutation vielleicht beeinflusst. Ob der nächste Fieberschub deswegen heftiger ausfallen wird als alle anderen zuvor. Es ist immerhin merkwürdig mit diesem Fieber - es benimmt sich wie die Gezeiten, steigt mal und verschwindet dann fast wieder. Nur sind die Gezeiten zuverlässiger. Dazu kommt noch, dass man es Joker nicht anmerkt, außer sie sind sich wieder so nahe, dass er die Hitze dieser bleichen Haut fühlen kann. Aber dieser grünhaarige Clown Prince of Crime hat ja noch niemals zu jenen Menschen gehört, die sich beim kleinsten Wehwehchen wehleidig ins Bett verkriechen. Selbst schwerverletzt oder knapp vorm Ausbluten lacht er seinem Gegner - also meistens Batman - nur ins Gesicht und kämpft weiter. Und nur jemand wie er kommt auf einen solch wahnwitzige Idee, Fear Gas mit Smilex zu vermischen, um damit Gothams Elite eine Kostprobe ihrer eigenen Verkommenheit zu geben. Tief in seinem Hinterkopf gibt Scarecrow ein Geräusch von sich, das einen bewundernden Nachhall hinterlässt. Aber Jonathan will den Joker nicht bewundern, auch wenn dieser Plan wirklich brillant ist. Und er will sich auch keine Sorgen um ihn machen. Er will die Distanz bewahren, auch wenn ihm das zugegebenermaßen immer schwerer fällt. Erst recht um vier Uhr morgens auf dem Dach eines zum mächtigsten Konzern ganz Gothams gehörenden Wolkenkratzers, dessen Sicherheitsprotokolle der Joker so leicht geknackt hat, als habe er so etwas schon öfter getan. Wahrscheinlich hat er das auch, wenn Jonathan daran denkt, wie gut sich der Joker hier auskannte, als er ihn so zielstrebig auf Dach führte. Und die wilde Knutscherei im Fahrstuhl auf dem Weg nach oben war auch nicht gerade sehr hilfreich, was die Distanz betrifft. Oh bitte, ertönt Scarecrows Stimme laut und klar in seinem Kopf, vergiss jetzt bloß nicht all das andere, was in den letzten zwei Tagen ... ach was, in den letzten acht Monaten zwischen euch vorgefallen ist. Halt die Klappe!, zischt ihm Jonathan gedanklich zu. Überhaupt ist das alles ganz allein deine Schuld! Dir gefällt es und ich muss es dann auslöffeln! Scarecrow lacht nur hämisch und macht ihn kurz auf das leichte Ziehen in seinem Gesäß aufmerksam, diesen unterschwelligen Schmerz, den er bisher so gut ignorieren konnte, dieses kleine Echo, diese Erinnerung daran, wie nahe sie sich wirklich immer kommen. Und ein Beweis dafür, wie schwach er, Dr. Jonathan Crane doch in Wirklichkeit ist, wenn es um die Belange seines verräterischen Körpers geht. Plötzlich geht ein Ruck durch ebendiesen Körper und seine gesamte Haltung ändert sich, als er den Rücken durchdrückt und die Schultern strafft. Alles weiche, verhuschte verschwindet aus seiner Miene, sie wird hart und entschlossen und um seine Mundwinkel spielt plötzlich ein feines Lächeln. Er hebt die linke Hand und nimmt seine regennasse Brille ab, verstaut sie sorgfältig in der Brusttasche seines Mantels. Die Augen, die nun nicht mehr vom Glas verdeckt werden, leuchten in einem kalten, harten Licht. Scarecrow hat jetzt die Kontrolle über diesen Körper übernommen und er geht nun zum Joker hinüber. Anders als Jonathan ist er nämlich bereit, seine Grenzen zu überwinden und seine Höhenangst gehört dazu. Leise gleitet er hinter den Joker und legt ihm beide Arme um die Taille. „Sag mir, was du siehst", knurrt er in sein rechtes Ohr, legt sein Kinn auf dessen rechter Schulter ab und drückt sich ganz nahe an ihn. Der Joker reagiert nicht. Er blinzelt nicht einmal und starrt weiterhin auf die Stadt vor ihnen. Scarecrow folgt seiner Blick-richtung, entdeckt das Soccer Stadion und grinst. „Na los, sag es mir schon", drängt er. „Schließlich hast du mich doch deswegen hier herauf geschleppt, oder?" Jokers Antwort besteht darin, dass er seinen Kopf zur Seite neigt. Scarecrow nimmt die Einladung an, streicht mit der Nasenspitze eine klatschnasse, grüne Haarsträhne zur Seite und platziert eine Spur kleiner Küsse auf einem bloßgelegten, schneeweißen Hals. Beim letzten Kuss dicht unter dem Ohr allerdings saugt er sich regelrecht fest, solange, bis ein schöner, dunkelroter Fleck entsteht. Der Joker knurrt unwillig. Er kann es nicht ausstehen, wenn man ihm Knutschflecken verpasst, das hat ihn schon bei Harley zur Weißglut gebracht. Doch er fühlt sich zu ... entrückt, um zuzuschlagen. Der Anblick, der sich seinen Augen bietet, ist einfach nur überwältigend und er wünscht sich, er könnte das alles mit je-mandem teilen. Aber er weiß, niemand wird die Welt jemals durch seine Augen sehen. Jetzt noch weniger als je zuvor. Dabei ist es so wunderschön... „Früher war es so undeutlich”, beginnt er plötzlich. Scarecrow, der gerade damit begonnen hatte, sich über seinen Hals zu knabbern, hält sofort damit inne und lauscht ihm gespannt. „Nicht mehr als ein Glitzern, das vor allem nachts deutlich zu sehen war. Ich spürte es mehr, als dass ich es sah. Jetzt kann ich es sehen. Es ist wie ein einziges, riesenhaftes Spinnennetz, das sich um die ganze Stadt gelegt hat. Vielleicht um die ganze Welt, das kann ich irgend wann noch überprüfen, aber ich glaube, es ist nirgends so groß wie hier. Schimmernde, leuchtende Fäden, die die einzelnen Leben miteinander verbinden. Die Lebenspfade auf denen wir alle wandern. Von denen sich Gothams Bürger abgewandt haben und all die Schicksalsfäden, die sie wieder zurückführen. Es ist ... atemberaubend." „Und was bedeutet das jetzt für unseren großen Plan?" besorgt runzelt Scarecrow die Stirn. Jokers Blick wandert kurzzeitig zum Soccer Stadion hinüber, bevor er sich dann auf den von pechschwarzen Regenwolken verhangenen Nachthimmel richtet. Fort von den glitzernden Spinnenfäden und den sirenenartigen Gesang, den sie auf ihn ausüben. Er hofft nur, dass sich sein Gehirn bald umstellt und er diese Eindrücke dann bewusst unterdrücken kann, so wie bei den Geistern der Vergangenheit. Wenn ihm das nicht gelingt, wird er sich endgültig verlieren. Lass mich wenigstens bis Donnerstag durchhalten, fleht er in Gedanken. Nur noch bis dahin. Danach mag kommen was will, es ist nicht mehr wichtig. „Nichts", erklärt er seinem Partner schließlich. „Er gehörte von Anfang an dazu." Scarecrow gibt einen zufriedenen Laut von sich und presst sich noch enger an ihn. Als Joker spürt, wie sich dessen Hand erst unter seinen Mantel und dann das Shirt schummelt, fällt alle Ernsthaftigkeit schlagartig von ihm ab. Auf seine Lippen schleicht sich ein breites Grinsen. Er ist nicht gerne passiv, aber er macht Ausnahmen, vor allem bei solch ausgefallenen Orten wie diesen, wo sich die Lei-denschaft mit dem Kick der Gefahr vermischt. Als Scarecrows freche Finger tiefer rutschen, schließt er genüsslich die Augen und konzentriert sich nur noch darauf. *** Kapitel 9: Kapitel 15 -18 ------------------------- 15. Kapitel Müde streicht sich Bruce Wayne erst übers Gesicht und dann durch die von der erst wenige Minuten zurückliegenden Dusche noch feuchten Haare. Er fühlt sich immer noch wie gerädert, trotz besagter Dusche. Er hat mies geschlafen, wurde immer wieder durch Alpträume aufgeschreckt, an die er sich jetzt gar nicht mehr erinnern kann. Es ist kurz vor zwölf Uhr an einem Sonntag, und er hat gerade seine Verabredung mit Vicky Vale abgesagt. Er fühlt sich nicht halb so schlecht deswegen, wie er es eigentlich sollte - und das wiederum verbessert seine Stimmung nicht im Geringsten. Einerseits ärgert es ihn, dass er anscheinend kein Problem mehr damit hat, seine guten Manieren einfach so über Bord zu werfen und auf der anderen Seite bestätigt das wiederum nur Selina Kyles Worte. Aber er will nicht, dass sie Recht behält. Denn das würde ja bedeuten, dass sie auch in dieser anderen Sache Recht hat, nicht wahr? Aber nein, das kann ... das darf nicht sein! Entschlossen schüttelt Bruce den Kopf und drängt diese Gedanken zurück in die dunkle Ecke seines Seins, aus der sie stammen. Es gibt Wichtigeres, um das er sich kümmern muss. Und so schnappt er sich sein Tablet PC vom Nachttisch, setzt sich im Schneidersitz mitten auf sein Bett und wartet darauf, dass das kleine Gerät eine Verbindung zu seiner Computeranlage in der Bathöhle hergestellt hat. Das dauert einige Minuten - viel zu lange, denn sofort kreisen seine Gedanken wieder um jenen Mann, der für ihn wohl ein ewiges Rätsel bleiben wird. Der Mensch, so ruft er sich ins Gedächtnis, besitzt 23.000 Gene, und davon sind ein Prozent generell mutiert. Manche dieser Mutationen haben schlimme Auswirkungen, fuhren zu Krankheiten und Behinderungen, andere sind eher ein Segen für die Betroffenen wie eine höhere Immunität gegen Krankheitserreger oder ein eidetisches Gedächtnis, aber die meisten bleiben völlig unbemerkt. Mutationen gehören zur Evolution dazu. Nicht nur die Menschen sind davon betroffen - alles, was lebt, entwickelt sich auf diese Art weiter. Die Mutationsrate des Jokers ist allerdings erstaunlich hoch - schon vor diesem ganzen Desaster mit Dracula betrug sie das Doppelte und jetzt hat sie schon vier Prozent überschritten und wird laut Computersimulation irgendwo bei 4,8 Prozent aufhören. Das sind 1.104 mutierte Gene, von denen die Hälfte wahrscheinlich nur dazu dient, die Veränderungen derart in den lebendigen Organismus einzubetten, damit dessen weiteres Überleben gesichert ist. Bruce hat inzwischen begriffen, dass das Serum, mit dem er ihn gegen Vampirismus impfte, auf den Körper des Jokers wie ein Katalysator wirkte. Damit setzte er eine Kettenreaktion wieder in Gang, die vor vier Jahren aus irgend einem Grunde stoppte, damals, als der Joker in den Chemietank fiel und zum ersten Mal mutierte. Und vielleicht hätte er einfach nur abwarten müssen, vielleicht war er zu voreilig, vielleicht hätte Jokers Immunsystem Draculas Gift selbst irgendwann neutralisiert. Und wenn er damals Jokers Mutation in seine Berechnungen mit einbezogen hätte, wäre dies alles hier vielleicht nie passiert. Dann würde Joker nicht wieder mutieren und er würde nicht Sorgen wälzen, wie gefährlich dieser Irre für Gotham zukünftig noch werden kann. Das leise Piepsen des Tablets, mit dem es ihm mitteilt, dass die Verbindung zum Hauptcomputer hergestellt wurde, reißt ihn schließlich aus seinen Gedanken. Zwei neue Datenpakete blinken, um seine Aufmerksamkeit heischend. Eines davon trägt die Kennung seiner Firma. Da-rum wird er sich später kümmern. Zuerst interessiert er sich für die Neuigkeiten, die sein kleines Spionageprogramm ihm liefert. Natürlich ist es nicht sehr nett, sich in den Computer seiner Journalistenfreundin zu hacken, aber er war faul - wieso selbst Recherchen anstellen, wo sie und ihre Kollegin das schon längst für ihn erledigt haben? Und sie wird es ja nie erfahren. Er schadet damit weder ihr noch ihrer Story. Er stellt schnell fest dass die Recherchen der beiden Reporterinnen ausgesprochen umfangreich und sehr detailliert geworden sind. Er bräuchte mehrere Stunden, um sich das alles anzusehen, Stunden, die er nicht wirklich hat. Glücklicherweise haben sie zusätzlich zu den ausführlichen Berichten noch eine kompakte Tabelle erstellt, geordnet nach den verschiedenen Gesetzesverstößen. Allein die Auflistung der Verbrechen erschüttert ihn zutiefst. Leben wirklich so viele Menschen in dieser Stadt, die Kinder oder ihre Partner misshandeln und die deswegen noch niemals angezeigt wurden? Entsetzlich. Unvorstellbar. Ekelhaft! Wenn er so etwas liest, fällt es ihm wirklich schwer, diese Menschen weiterhin als Opfer des Jokers zu betrachten. Wenn er ehrlich sein soll, weiß er nicht, ob Batman, hätte er von diesen Missetaten gewusst, nicht ähnlich gehandelt hätte. Auch wenn er Selbstjustiz ablehnt, er könnte nicht garantieren, dass er diese ... Ungeheuer ohne gebrochene Knochen bei der Polizei abgeliefert hätte. Schnell wendet er sich den anderen aufgelisteten Verbrechen zu. Gegenüber dem, was er bisher gelesen hat, sind diese regelrecht harmlos: Immobilienbetrug, Korruption, Fahrerflucht, Körperverletzung, Tierquälerei, Mobbing. Darunter auch jene Fälle, von denen Vicky ihm schon erzählt hat. Dann stößt er auf den Namen, vor dem er sich schon die ganze Zeit gefürchtet hat: Ethan Bennett. Er muss sich geradezu dazu zwingen, die mit diesem Namen verlinkte Datei durchzulesen. Er wusste, dass gegen seinen alten Freund ein Disziplinarverfahren wegen Korruption im Gange war, aber Ethan hatte ihm gegenüber immer seine Un-schuld beteuert, und er hat ihm geglaubt. Ja, er hat ihm sogar einen Anwalt bezahlt. Doch jetzt muss er lesen, dass Ethan tatsächlich systematisch Verdächtigen Beweise untergeschoben hatte. Die Aufnahme einer Überwachungskamera an einem Tatort beweist das zumindest in einem Fall unwiderruflich. Sogar an diese Aufnahme sind Vicky und ihre Freundin gekommen, und als er sie sich jetzt ansieht, fühlt es sich an, als würde irgend etwas in ihm zerbrechen. Bruce spürt, wie sich seine Wangen verspannen, und er ertappt sich dabei, wie er mit den Zähnen zu knirschen beginnt. Scheiße, Ethan, ich habe dir VERTRAUT! Es schmerzt. Aber noch viel schmerzt die Gewissheit, dass der Joker die Wahrheit gesagt und er ihm nicht geglaubt hatte. Er hatte recht. Er hatte die ganze Zeit recht! Bruce schüttelt den Kopf und drängt das Gefühl der Schuld rigoros beiseite. Entschlossen wendet er sich wieder seinem Tablet zu. Es gibt noch so viel, was die beiden Reporterinnen herausgefunden haben. Sie haben sogar eine Spalte ganz besonders markiert und diese „seelische Verbrechen" genannt. Neben der Misshandlung Schwächerer (was ja auch den gesetzlichen Straftatbestand erfüllt), steht dort auch so etwas wie „Untreue", „gebrochene Liebesversprechen" oder „entzieht sich seiner Verantwortung als Elternteil". Im ersten Moment ist er überrascht, dann unangenehm berührt und zum Schluß befürchtet er beinahe, seinen eigenen Namen auf dieser Liste zu lesen. Seinen Ruf als Playboy besitzt er schließlich nicht nur wegen seines guten Aussehens. Aber sein Name steht natürlich nicht auf dieser Liste - er ist nun mal kein Smilex-Opfer. Aber wäre er nicht Batman, sähe das vielleicht anders aus. Vielleicht, überlegt er, als er weiterliest, hat er auch nur Glück gehabt, dass seine bisherigen Eroberungen mindestens so leichtlebig waren wie er und ihre Herzen ziemlich bruchfest. Er hatte keiner von ihnen eine Hochzeit versprochen. Daran gedacht? Sicher. Mehr als einmal. Aber es laut ausgesprochen ehe er sich selbst da ganz sicher war? Nein, noch nie. Er hatte auch noch nie eine der Ladies grob vor die Tür gesetzt, geschweige denn sie geschwängert und dann feige im Stich gelassen. Er ist reich, verdammt nochmal! Sollte es da ein uneheliches Kind von ihm geben, gäbe es keine Mutter, die nicht wenigstens versuchen würde, an Alimente zu gelangen. Nicht in dieser Welt, nicht wenn sie ihr Kind liebt und ihm ein gutes Leben ermöglichen will. Für einen Moment starrt Bruce nur ausdruckslos auf diese Liste. Mal abgesehen von diesen verstörenden Schicksalen, die sich dahinter verbergen, irritiert es ihn zunehmend, dass sich ausgerechnet jemand wie der Joker für all diese Leute als Racheengel aufspielt. Wenn man bedenkt, wie er immer mit Harley umgesprungen ist, sollte er selbst auf dieser Liste stehen. Der Gedanke amüsiert ihn. Er beschließt, genau das beim nächsten Mal, wenn sie sich sehen, anzusprechen. Wenn sie sich sehen... Das Grinsen, kaum auf seinem Gesicht erschienen, verschwindet sofort wieder. Um sich abzulenken, klickt er sich noch einige Minuten durch die verschiedensten Namen, doch am Ende fühlt er sich nur noch elend und schließt die Datei wieder. Er weiß, was er wissen wollte und der Gedanke, dass der Joker all dieses Elend gefühlt hat - denn woher sonst sollte er davon wissen? dreht ihm schier den Magen um. Er steht auf und geht hinüber zu dem Sekretär in der Ecke, in dem sich in Wirklichkeit eine gut sortierte Hausbar verbirgt. Beides, Hausbar und Sekretär, stand schon bei seinem Vater hier und er hat in all den Jahren nichts daran geändert, genauso wenig wie an diesem immer, das ursprünglich das Schlafzimmer seiner Eltern war. Ein paar der Möbel sind natürlich neu - zum Beispiel sein Bett und die LED-Leuchten - aber das meiste ist noch genauso wie vor zwanzig Jahren. Nach dem Tod seiner Eltern wollte er ihnen so nahe sein wie möglich. Damals hat er jede Nacht in deren großem Ehebett geschlafen, doch als er anfing, seine Freundinnen hierher mitzubringen, hat er sich ein neues Bett gekauft. Alles andere wäre einfach nur pietätlos gewesen. Die Bar aber gehörte seinem Vater, genauso wie die meisten der Flaschen, die hier stehen. Anders als sein Dad ist Bruce kein großer Whiskeyliebhaber, er bevorzugt Wein. Heute aber, nach dieser Lektüre, braucht er etwas Stärkeres. Das Glas in der Hand, geht er hinüber zum Fenster und starrt hinaus. Der Regen hat anscheinend eine Pause eingelegt, und durch die Wolkendecke bricht tatsächlich etwas Sonnenschein. Nicht viel, aber es genügt, um das prächtige Rot und Gelb der Bäume zum Leuchten zu bringen. Nachdenklich runzelt Bruce die Stirn. Er hat gar nicht bemerkt, wie sich das Laub verfärbt hat. Letzte Woche - war da nicht noch alles grün gewesen? Oder ist er schon so gestresst, dass er so etwas gar nicht mehr richtig wahrnimmt? Das Jahr vergeht so schnell, fährt es ihm in einem Anflug von Melancholie durch den Kopf. Bald ist wieder Winter. Kälte. Schnee. Und der Joker läuft dann trotzdem wieder barfuß. Unbemerkt von ihm selbst, zuckt ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel. Er erinnert sich daran, wie sich der Joker vor zwei Jahren in eine der berühmten Bruce-Wayne-Weihnachtsparties hineingeschlichen hat - in einem Weihnachtskostüm! Nachdem er Bruce' Gäste um ihre Wertsachen erleichtert hatte, war er doch tatsächlich auf einem Rentier davongaloppiert. Das Rentier, erfuhr Bruce später aus der Zeitung, hatte er aus dem Gothamer Zoo gestohlen und nach seinem kleinen „Auftritt" wieder im Park freigelassen, wo es später von der Polizei eingefangen wurde. Das Tier überstand das ganze unverletzt, wenn man von den Glöckchen in seinem Geweih mal absah. Und Bruce hatte selten ein solch vergnügliches Fest. Das letzte Weihnachten saß der Joker ja - leider? Oh ja, leider! - in Arkham. Was wird er sich wohl für dieses Jahr einfallen lassen? Doch dann fällt ihm ein, dass es für den Joker vielleicht gar kein Weihnachten geben wird und seine gute Laune löst sich auf wie Seife im Wasser. Nein, das darf nicht passieren. Er wird den Joker finden. Er wird ihn retten. Das Piepen seines Tablet reißt ihn aus seinen Gedanken. Das Signal soll ihn daran erinnern, dass er noch ein ungeöffnetes Datenpaket hat. Noch während er zurück geht, erinnert er sich wieder an die Videodatei aus seiner Firma. Schnell legt er das kaum angerührte Whiskeyglas auf den Nachttisch und öffnet sein Programm. Er erwartet nichts Weltbewegendes, das ganze ist eher ein Fall für seine Sicherheitsabteilung, aber es wird ihn von diesen Gedanken etwas ablenken. Da sich die Einbrüche in seinen Tower im letzten halben Jahr gehäuft haben, hat er das Gebäude flächendeckend mit neueren, noch besseren und vor allem versteckten Überwachungskameras und Bewegungssensoren ausgestattet. Bei den meisten Missetätern hatte es sich bisher um Jugendliche gehandelt - Einbrüche dieserart gelten als beliebter Initiationsritus für Straßengangs der harmloseren Sorte. Einmal jedoch war es ihnen gelungen, auf diese Art einem Industriespion in Diensten der LexCorp auf die Schliche zu kommen, der jahrelang bei Wayne Enterprises verdeckt als Buchhalter gearbeitet hatte. Die Erkenntnis, dass er seinen eigenen Mitarbeitern nicht trauen kann, hat Bruce damals ziemlich enttäuscht und einen erneuten Backgroundcheck aller Angestellten von Wayne Enterprises verlangt. Zum Glück spricht alles dafür, dass dieser Mann ein Einzelfall war. Und so rechnet Bruce auch diesmal wieder mit nichts Besorgniserregendem, als er die Videodatei öffnet. Zehn Sekunden später weiten sich seine Augen schockiert. Während die Aufnahmen der Kamera von einem der Seiteneingänge und des dahinterliegenden Ganges eher undeutlich waren - ganz so, als wüssten die Eindringlinge, wo sich die Kameras befinden - sind die Aufnahmen vom Fahrstuhl Nummer Sechs glasklar. Und in Farbe. Bruce spürt, wie seine Hände zu zittern beginnen und ballt sie hastig zu Fäusten. Unglaublich! Diese Dreistigkeit! Er hätte sich laut aufgelacht, wenn da nicht diese andere Sache wäre. Er spürt, wie sein Inneres zu Eis erstarrt, doch so sehr er es sich auch wünscht - er kann den Blick einfach nicht abwenden. Hilflos muss er mit ansehen, wie der Joker seinen brünetten Begleiter, den Bruce sofort trotz der Vogelperspektive als Jonathan Crane identifiziert, mit ganzem Körpereinsatz gegen die Kabinenwand drängt und ihn so gierig küsst, als gäbe es kein Morgen mehr. Schnell drückt Bruce auf „Pause". Zu seinem großen Leidwesen friert die Aufnahme genau in jenem Moment ein, wo Jokers rechte Hand unter Cranes Mantel rutscht. Er benötigt nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was diese Hand dort gerade treibt. „Mistkerl." Bruce greift zu seinem Whiskey und leert das Glas in einem Zuge. Die brennende Flüssigkeit verursacht einen angenehmen Schwindel. Für die Dauer einer halben Minuten starrt er nur ausdruckslos auf den Bildschirm, dann hat er sich zu einer Entscheidung durchgerungen. Entschlossen betätigt er das „Wiedergabe"-Icon. Der Fahrstuhl ist kein Expresslift, bis ganz nach oben benötigt er anderthalb Minuten. Das sind neunzig Sekunden hemmungsloser Knutscherei und noch viel hemmungsloserer Fummelei, die Bruce hier geboten wird. Er ist wirklich froh, dass die Kamera ihm keine Tonübertragung liefert, das sehen zu müssen, reicht ihm schon. Er versucht, nichts bei diesem Anblick zu empfinden, doch sein Körper ist anderer Meinung. Am Ende dieser neunzig Sekunden fühlt er ein angenehmes Kribbeln in seinen Lenden und verspürt ein gewisses Bedauern. Auch wenn er nicht genau weiß, was er bedauern soll. Die Aufnahme endet, als die beiden den Fahrstuhl verlassen und wechselt sofort zur Dachkamera, die den Hubschrauberlandeplatz überwacht. Trotz Nachtsichtfunktion ist es schwer, etwas auf den nächsten Bildern zu erkennen; es regnet zu stark, und er muss erst den richtigen Zoomfaktor einstellen. So nahe wie er es gerne hätte, geht es dann aber nun doch nicht, weil sonst das Bild verpixelt. Es ist nun einmal keine Liveübertragung. Zu Anfang ist auch nicht viel zu sehen. Sie reden nur. Jetzt bereut er es, keinen Ton zu haben. Plötzlich sieht er, wie ein deutlicher Ruck durch Cranes schmalen Körper geht. Sein Gesichtsausdruck, ja, seine gesamte Haltung verändert sich. Und als er die Brille abnimmt, weiß Bruce, dass das dort jetzt Scarecrow ist. Als er sieht, wie dieser entschlossenen Schrittes von hinten an Joker herantritt, befürchtet er für einen kleinen Moment tatsächlich das Schlimmste, nämlich, dass Scarecrow den Joker vom Dach stoßen könnte. Es ist ein alberner Gedanke, vor allem nach allem, was er von den beiden weiß, nach allem, was er vor wenigen Sekunden im Fahrstuhl gesehen hat. Aber für einen Herzschlag hat sie ihn wieder im Griff— diese Angst, etwas Kostbares zu verlieren. Doch Scarecrows Intentionen gehen in eine völlig andere Richtung, wovon er sich sehr bald überzeugen kann. Die Sicht ist immer noch schlecht, aber gerade dadurch wird alles nur noch schlimmer für ihn. Seine Fantasie schlägt Purzelbäume. Sie ist schmutziger als jeder Hardcoreporno. Nur ganz kurz flackert in seinem Bewusstsein die Frage auf, was die beiden dort oben eigentlich wollten, bevor sie von solchen Gedanken wie „ein aufregender Platz zum Rumvögeln, wieso ist mir das nie eingefallen?“ einfach davongespült wird. Das wenige, was die Kamera eingefangen hat, ist unverkennbar für jeden, der so etwas schon einmal erlebt oder im Kino gesehen hat. Die Art und Weise, wie sich Scarecrow hinter dem Joker aufbaut, sogar die Art, wie er erst an seiner und dann an Jokers Kleidung herumfummelt und wie das ganze schließlich in stoßartigen Hüftbewegungen endet. Abermals wird Bruce schwindelig. Und heiß. Doch er beißt sich nur auf die Unterlippe und versucht, die sich langsam in ihm aufbauende Erregung zurück zu drängen. Es gelingt ihm tatsächlich, das alles aus einer völlig sachlichen Perspektive zu betrachten. Eine große Hilfe ist ihm dabei der Timecode, den er erst jetzt zum ersten Mal richtig beachtet. Er stellt fest, dass er sich zu dieser Zeit, als die beiden Ganoven sich auf dem Dach seines Towers vergnügten, gerade erst schlafen gelegt hatte. Wirklich ärgerlich. Wäre er doch nur auf seinem Heimweg noch einmal am Tower vorbeigefahren. Dann hätte er die beiden in flagranti überraschen können… Bruce unterbricht diesen Gedanken hastig, denn er führt eindeutig in eine Richtung, die ihm bei seinem wachsenden „Problem" nicht im Geringsten weiterhilft. Das ganze lustvolle Theater dauert knappe sechs Minuten, verrät ihm der Timecode. Ein guter Durchschnitt, wie Bruce widerstrebend zugeben muss. Allzu lange bleiben sie dann auch nicht mehr auf dem Dach, es regnet ihnen dann wohl doch zu stark, jetzt, wo sich ihre Hormone ausgetobt haben. Sie reden kurz, tauschen noch ein paar harmlose Zärtlichkeiten aus und schlendern dann zurück zum Lift. Es folgt wieder ein Schnitt hinüber zum Inneren der Fahrstuhlkabine. Sie sind patschnass. Beide. Stehen da wie zwei begossene Pudel, doch sie wirken vollends zufrieden. Wie zwei Kater, die von der verbotenen Sahne genascht haben. Und dann folgt das, dessen Anblick Bruce' Selbstbeherrschung zum Einsturz bringt. Er sieht, wie sich Scarecrow zum Joker hinüberbeugt und seine Nase in dessen Halsbeuge vergräbt. Er sieht, wie er ganz tief Luft holt, sieht Scarecrows grenzenlos verzückten Gesichtsausdruck und wie er abermals tief einatmet. Da hat er sich so gut zusammengerissen und widerstanden, und dann ist es diese einfache, kleine Geste, die alle Dämme bricht. Denn Bruce weiß, was der ehemalige Psychiater dort riecht. Für einen Moment ist er wieder schmerzhaft präsent - dieser Duft nach wilden Beeren. Er beginnt am ganzen Körper zu zittern und wird so hart, dass es eine rechte Qual wird. Es hat sich schon viel zu viel Druck angestaut und so lässt er sich ergeben aufseufzend rückwärts auf sein Bett sinken. Seine rechte Hand rutscht unter seine Hose und trifft dort auf seine heiße, pochende Männlichkeit. Stöhnend befriedigt er sich selbst, während hinter seinen geschlossenen Augenlidern sein ganz eigenes Kopfkino stattfindet, mit ihm und dem Joker in den Hauptrollen. Später, ja später wird er sich dafür schämen. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. In diesen Minuten jedenfalls ist es ihm herzlich egal. *** Es ist kurz vor zwei Uhr am Nachmittag, als sich Bruce Wayne endlich dem Diktat seines knurrenden Magens unterwirft. Mit ziemlich wackligen Knien und hoffend, dass man ihm seine Beschämung nicht ansieht, tapst er die Treppe hinunter in die Küche, aus der ihm der verlockende Duft von gebratenem Fleisch und Rotkohl entgegenweht. Alfred putzt gerade das Küchenfenster, legt Schwamm und Eimer aber zur Seite, als der Millionär zur Tür hereinkommt. „Guten Morgen, Sir. Oder soll ich lieber guten Nachmittag wünschen?" Bruce macht ein zerknirschtes Gesicht. „Tut mir leid, Alfred. Ich habe wohl erst verschlafen und dann die Zeit vergessen." Alfred nickt nur. Die Tradition sonntags zum Lunch zusammenzusitzen hat er eigentlich nur eingeführt, damit Bruce wenigstens einmal in der Woche regelmäßige Mahlzeiten zu sich nimmt. Da er in der letzten Woche aber häufig ordentlich diniert hat, lässt er ihm dieses Versäumnis diesmal ohne zu murren durchgehen. Außerdem ist Bruce nicht der Einzige, der sich Sorgen um den Joker macht, von daher kann Alfred Batmans obsessive Suchaktion in der letzten Nacht mehr als verstehen. Gemeinsam tragen sie die Speisen hinüber ins Speisezimmer und dabei mustert Alfred seinen Freund mit dem einen und anderen heimlichen Seitenblick. Bruce sieht müde aus. Abgekämpft. Und es haben sich Sorgenfalten in seine Stirn gegra-ben, die Alfred überhaupt nicht gerne sieht. Aber da ist noch etwas anderes. Er wirkt ungewohnt angespannt und übermäßig kontrolliert in jeder einzelnen Bewegung. Das letzte Mal hat ihn Alfred so erlebt, als er dachte, der Joker sei vor seinen Augen gestorben. Nachdem sie sich gesetzt haben, rührt Bruce erst eine ganze Minute gedankenverloren in seiner Suppe herum, bevor es aus ihm herausplatzt: „Alfred, hat der Computer inzwischen irgend eine Lösung ausgespuckt? Ein Gegenmittel? Eine Behandlungsmöglichkeit? Irgend etwas?" Die letzten Worte klingen so verzweifelt, dass es Alfred einen regelrechten Stich versetzt - aber ihm bleibt nichts anderes übrig als den Kopf zu schütteln. „Nein", erklärt er und fügt dann noch leise hinzu: „Es tut mir leid." Bruce nickt nur. Er kannte die Antwort, er hat sie schließlich selbst gesehen, vor wenigen Minuten, oben auf seinem Tablet. Er weiß selbst nicht, wieso er diese überflüssige Frage gestellt hat, aber vielleicht wollte er es nur aus dem Mund desjenigen Menschen hören, der immer wie ein Vater zu ihm war. Lustlos beginnt er seine Suppe zu essen. Aber schon nach dem ersten Löffeln kommt der Appetit und er kann sich schnell dem Hauptgang zu wenden - sehr zu Alfreds stiller Freude. Und dann, zwischen Rollbraten und Kartoffeln und Rotkohl beginnt er zu erzählen, was Vicky Vale und ihre Freundin herausgefunden haben. Nicht einmal die Sache mit Ethan Bennett lässt er aus. Allerdings schleicht sich bei diesem Teil eine gewisse Verbitterung in seine Stimme, die Alfred stumm zur Kenntnis nimmt. Er hört ihm geduldig und aufmerksam zu und verbeißt sich sogar das „so etwas ähnliches habe ich mir gedacht", das ihm auf der Zunge liegt. Alfred ist seinem Ziehsohn in Alter und Erfahrung weit voraus, er hat schon längst gelernt, dass sich die Welt nur in Grau-stufen aufteilt, während Bruce sich in solchen Dingen manchmal die Naivität eines Kindes bewahrt hat. Und deshalb ist er jetzt auch einfach nur froh darüber, dass Bruce letztendlich die Wahrheit anerkennt und sie nicht weiterhin stur verweigert. Und vielleicht kann noch ein kleiner Stups in die richtige Richtung nicht schaden. Bruce scheint gerade dafür empfänglich zu sein. „Weiß du, Bruce", beginnt Alfred daher betont nachdenklich, „es mag seltsam klingen, aber ich hatte mich an seine Gesell-schaft schon richtig gewöhnt. Ja, ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass er mir unter gewissen Umständen tatsächlich fehlt." Und dann wartet er gespannt auf eine Antwort. Er hält sogar den Atem an, während er das Gesicht seines Gegenübers nicht aus den Augen lässt. Huscht da tatsächlich so etwas wie ein sehnsüchtiger Schatten über Bruce' Miene? „Ja." Bruce' Stimme ist nur mehr ein Hauch. „Ich vermisse ihn auch. Und ich wünschte, ich wäre netter zu ihm gewesen." Alfred wagt ein kleines Lächeln, und bei Bruce' nächsten Worten wäre daraus doch fast ein Grinsen geworden. „Aber er ist jetzt mit Scarecrow zusammen und ich weiß nicht, wo sie sind! Ich kann sie einfach nicht finden!" Wütend schlägt der Millionär mit der flachen Hand auf den Tisch, doch dann wird ihm sein Temperamentsausbruch bewusst und er lächelt entschuldigend. Alfred zuckt mit keiner Wimper. „Nun, Bruce", erklärt er völlig ruhig, „dann ist er wenigstens in guten Händen, sobald sein Zustand kritisch werden sollte. Crane wird ihn dann in ein Krankenhaus bringen und wenn das geschieht, wird Batman davon erfahren." Er hält kurz inne und genießt Bruce' höchst eindrucksvolles, zorniges Schnauben, bevor er mit dem Offensichtlichen fortfährt und ihm sei-nen eigenen Geistesblitz erläutert, der ihm kurz nach dem Aufwachen kam: „Außerdem - eine von Dr. Jonathan Cranes Bewährungsauflagen ist es doch, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Die Adresse seines Arbeitgebers herauszufinden sollte nicht schwer sein für jemanden, der den Server des Gerichts hacken kann. Und was hält dich dann davon ab, unserem lieben Doktor an seinem Arbeitsplatz einen Besuch abzustatten?" Für einen Moment starrt der Millionär ihn nur aus großen blauen Augen an, dann schleicht sich ein Grinsen auf sein Ge-sicht. „Alfred, du bist genial." „Ich weiß", lächelt dieser geschmeichelt und absolut unbescheiden. *** 16. Kapitel „Wow.” Das ist das erste, was Jonathan Crane einfällt, sobald sich seine Augen an das grelle Neonlicht im Lagerraum Nr. 616 gewöhnt haben. Er ist wirklich beeindruckt, um nicht zu sagen verblüfft. In einem dieser ganz normalen Gebäuden, wo die Menschen sonst ihr Hab und Gut, ihren Hausrat einlagern, weil sie ihre Wohnung aufgeben mussten oder jemand verstarb und ihnen ihren ganzen Kram hinterließ, hat sich der Joker tonnenweise Chemikalien aufbewahrt. Buchstäblich. Die Fässer sind sogar vorbildlich versiegelt. Staunend schreitet er die Reihe säuberlich gestapelter Fässer ab und liest die Beschriftungen. In den meisten Fässern lagern die schon fertigen Produkte, es gibt aber auch welche mit den Rohmaterialien, und ganz hinten in der Ecke liegt alles, was man zur Herstellung von Bomben so benötigt. „Wow", wiederholt Jonathan und dreht sich zu dem anderen um. „Wie lange sammelst du das alles schon?" Joker lehnt mit dem Rücken am Türrahmen des mittelgroßen Rolltores und grinst sein übliches breites Grinsen. Jemanden, der ihn nicht kennt, wäre nichts aufgefallen und er würde diese Pose daher als Ausdruck selbstbewusster Lässigkeit und dieses Grinsen als fies halten. Jonathan aber sieht, wie falsch dieses Grinsen wirklich ist und dass sich Joker in Wirklichkeit an den Rahmen anlehnt. Jonathan kann seine schweren Atemzüge bis hierher hören. „Tausendzweihundertelf Tage", erwidert Joker. „Immer mal hier ein bisschen und dort etwas, damit es nicht auffällt." Er zögert kurz und sein Blick richtet sich ins Leere, und Jonathan fragt sich, wen oder was er dort wohl sieht. „Es gibt noch zwei ähnliche Lagerstätten in dieser Stadt, aber das hier ist genau das, was wir brauchen." Jonathan nickt nur. Er hat dem Joker niemals viele Fragen gestellt, nicht, seit er von dessen ungewöhnlichen Fähigkeiten weiß, und seit achtundvierzig Stunden stellt er überhaupt keine Fragen mehr, die mit „warum" oder „woher" beginnen. Als er heute aufwachte und den schlafenden Joker neben sich sah, waren ihm zum ersten Mal seit seiner Teenagerzeit die Tränen in die Augen geschossen. Mit dem bedrückenden Gefühl, etwas Wertvolles zu verlieren, hatte er einfach nur dage-sessen und den anderen beobachtet. Und dieses Gefühl hat ihn bis jetzt nicht losgelassen. Er fühlt, dass ihre Zeit begrenzt ist und er will sie nicht mit Fragen verschwenden, die den anderen nur weiter von ihm forttreiben könnten. Noch einmal lässt er seinen Blick über den Inhalt des Lagerraumes schweifen. Sie haben mehr als genug Smilex für ihren Plan und genau die richtige Menge an Chemikalien für sein Fear Gas. Aber er weiß immer noch nicht, wie genau das Mischungsverhältnis der beiden Gase sein soll, um den gewünschten Effekt zu erhalten und ob sie dafür nicht noch einen Katalysator benötigen. Und dann, ganz in Gedanken versunken, stellt er sie doch, eine „woher"-Frage. „Ich würde wirklich gerne wissen, woher du deine Chemie-Kenntnisse hast. Dein Smilex ist einfach genial und auch die Art, wie du es immer abwandelst. Ich habe jahrelang an meinem Fear Gas gebastelt und bin immer noch dabei, es zu ver-feinern. Während meines Arkhamaufenthaltes bin ich mit meinen Experimenten furchtbar in Verzug geraten. Aber du tauchst nach Arkham immer mit einer neuen Variante von Smilex oder ganz neuen Toxinen auf. Und du hast immer ein Gegengift parat." Die Antwort besteht aus Schweigen, und in diesem Moment wird er sich siedendheiß gewahr, dass er eine verbotene Frage gestellt hat. Verdammt. Er schließt die Augen und atmet einmal tief durch, wappnet sich fürs Unvermeidliche. Als er sich umdreht und die Augen wieder aufschlägt, muss er sehen, dass der Joker - wie befürchtet - nicht mehr am Ein-gang steht. Allerdings ist er aber auch nicht verschwunden, wie angenommen. Stattdessen steht er dicht vor ihm, so dicht, dass Jonathan die Hitze spüren kann, die von diesem ausgeht. Der süße Duft von wilden Beeren steigt ihm in die Nase und lässt ihn innerlich mehr erzittern als Jokers ernster Blick. Oder seine Finger an seiner Wange. „Ich kann dir keine Frage beantworten, deren Antwort ich selber nicht kenne, Johnny.” Diese Worte sind so ehrlich, dass es Jonathan kalt den Rücken hinunterrieselt. Jokers Augen, so rot, so durchdringend, scheinen ihm plötzlich direkt bis in die Seele zu blicken. So unangenehm ihm das auch ist, so wünscht er sich doch, dass dieser Moment ewig dauern könnte. Und auf einmal wird er sich bewusst, dass der Joker der einzige Mensch in seinem Leben ist, der ihn und Scarecrow als gleichberechtigt respektiert. Alle anderen bevorzugten immer den einen oder anderen. Für den einen Teil ist Jonathan Cra-ne die Hauptidentität und Scarecrow nur ein böses, nicht hinnehmbares Alter Ego, dem Einhalt geboten werden muss und die anderen empfinden Jonathan als Weichei, als Versager und respektieren Scarecrow. Jeder von diesen Menschen glaubt, dass entweder der eine oder der andere irgendwann die Oberhand gewinnen wird. Nur der Joker sieht sie als das, was sie wirklich sind: eine Einheit, als zwei Wesen, die sich ergänzen. Er war es, der den Psychiater Jonathan Crane damals ermunterte, Scarecrow eine Gestalt zu geben. Durch ihn sind sie erst perfekt geworden. „Joker", beginnt er ohne jedoch wirklich zu wissen, was er ihm sagen will. Er kommt aber auch nicht weit, denn da hat dieser ihm schon den Zeigefinger an die Lippen gelegt. „Pst. Sag nichts, Jonathan." Er ist so heiß, dass Jonathan beinahe zusammenzuckt. Jetzt weiß er, was er sagen will, doch sein „du gehörst ins Bett" bleibt ungesagt, erstickt durch ein Paar nicht weniger heißer Lippen. Es ist nur ein kurzer, oberflächlicher Kuss, nichts im Vergleich zu der Leidenschaft, die sonst zwischen ihnen auflodert, aber gerade deswegen ist er etwas besonderes. Jonathan fühlt sich davon merkwürdig geschwächt und gestärkt zugleich. Schwächer an körperlicher Kraft, aber dafür seelisch gefestigt. Als habe so etwas wie ein Energieaustausch zwischen ihnen stattgefunden. Aber anstatt ihn zu erschrecken, ruft dieser Gedanke nur so etwas wie stille Freude in Jonathan hervor. Denn es gibt keine vollkommenere Symbiose zwischen zwei Wesen als dieses gegenseitige Nehmen und Geben zu beiderseitigem Vorteil. Doch dieser Moment der Einsicht verschwindet, sobald dieser Kuss endet. Joker tritt einen Schritt zurück, mustert ihn kurz mit nachdenklicher Miene und lässt seinen Blick dann über die Fässer schweifen. „Du solltest langsam gehen", meint er schließlich leise. „Sonst kommst du noch zu spät zur Arbeit." „Ich finde immer noch, ich sollte mich krank melden. Du brauchst mich hier." „Jonathan!" Joker wirft ihm einen strengen Blick zu. „Das hatten wir doch ausdiskutiert. Wir können es uns einfach nicht leisten, dass du Verdacht erregst. Nicht nur Batman sucht mich, sondern auch die Polizei. Sie dürfen gar nicht erst auf die Idee kommen, dass wir wieder zusammen arbeiten. Na gut, bei Batsy ist es dafür zu spät, aber der hat auch nur eine Ahnung und keine Beweise. Je weniger du also von deiner Tagesroutine abweichst, desto besser." Nur widerwillig gibt ihm Jonathan Recht. Alles in ihm sträubt sich dagegen, seinen Partner jetzt allein zu lassen, doch letztendlich beugt er sich dessen logischen Argumenten. Außerdem will er nicht riskieren aus der Operation „Big Bang" doch noch ausgeschlossen zu werden. *** Es ist nicht schwer, einen Termin für eine Besichtigung des Gotham General Hospitals zu bekommen. Der Name Bruce Wayne öffnet dem Träger erschreckend viele Türen. Obwohl das sehr nützlich ist, hält sich der Millionär mit so etwas immer bewusst zurück. Er mag dieses unangenehme Gefühl der Bevorzugung nicht, das sich dabei bei ihm einstellt. Noch weniger kann er die Speichellecker leiden, die ihn in solchen Situationen umschwirren und deren Diensteifrigkeit nur mit den Dollarzeichen in ihren Augen konkurriert. Deshalb hat er sich auch auf soziale Projekte spezialisiert - neben dem zufriedenstellenden Gefühl, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, kann er sich auch damit trösten, dass es letztendlich nur auf das Ergebnis ankommt. Heute ist allerdings eine Premiere. Noch niemals zuvor hat er seinen Namen als Bruce Wayne benutzt, um jemanden aus-zuspionieren. Es ist unfair, dessen ist er sich nur zu gut bewusst. In diesem Falle kann sein Name nämlich jemanden das bisschen, was er sich mühsam aufgebaut hat, wieder zerstören. Und trotz allem möchte Bruce genau das so gut wie nur irgend möglich vermeiden. Demzufolge wird dieser Besuch im Gotham General Hospital doch schwer. Er muss viel über sich ergehen lassen, bis er seinem Ziel - der Laborabteilung - auch nur einen Zentimeter nähergekommen ist. Da sind zum einen der nervende Vorstandsvorsitzende, der Verwaltungspräsident und dann noch diverse Chefärzte inklusive der krankenhauseigene Anwalt, die ihn umschwärmen und die letzten Quartalsergebnisse in höchsten Maßen loben - so sehr, dass ihm bald die Ohren klingeln. Natürlich leuchten auch bei ihnen allen wieder die altherkömmlichen Dollarzeichen in den Augen. Dabei war Bruce Waynes Aussage, er wolle sich hier umsehen, weil er eine Investition plane, völlig unverbindlich. Und wenn, das sollte man inzwischen eigentlich von ihm wissen, würde er das Geld sowieso nur zweckgebunden zur Verfügung stellen - und zwar für irgend etwas in der Kinderabteilung. Höchstwahrscheinlich weiß seine Entourage das aber nicht - oder sie geben die Hoffnung nicht auf - denn seine Erklärung, er wolle alle Abteilungen des Krankenhauses sehen, überrascht sie nicht im Geringsten. Es verstärkt nur ihre gierigen Mie-nen. Drei Stunden lang lässt er sich durch die verschiedenen Stationen fuhren, spricht hier und da mit einem Patienten, einer Krankenschwester oder einem Assistenten, begutachtet den neuen Computertomografen und die Physiotherapieräume und verbringt mehr Zeit als er eigentlich hat auf der Kinderkrebsstation, wo er den kleinen Patienten ein Kinderbuch vorliest (wobei ihm fast die Tränen kommen), bis er endlich die subterran gelegenen Laborabteilungen betreten kann. Als es schließlich so weit ist, hat er fast schon den Grund vergessen, wieso er eigentlich hier ist. Als er den Laborbereich schließlich kurz vor Mittag betritt, flankiert von den üblichen Verdächtigen, stellt er schockiert fest, dass er sich überhaupt keine Strategie zurechtgelegt hat. Mit dem Abteilungsleiter im Rücken kann und will er sich Jonathan Crane nicht gezielt aus der Menge von Laboranten und Wissenschaftlern herauspicken. Er braucht einen ruhigen, einsamen Ort, wo er ihn problemlos in die Ecke drängen kann. „..und in diesem Bereich werden die Ergebnisse unserer Medikamentenstudien ausgewertet..." Bruce hört nur mit halbem Ohr zu und nickt unverbindlich. Für diesen Job ist Crane eindeutig unterqualifiziert. Fast bekommt Bruce ein wenig Mitleid mit ihm. Scheinbar nur höflich interessiert lässt er seinen Blick über das große Labor schweifen, dessen Arbeitsplätze nur bedingt voneinander abgetrennt sind. So etwas wie Privatsphäre bestimmt sich nur durch die Anordnung der Regalschränke und der statisch notwendigen Stützpfeiler. Die Geräuschkulisse ist permanent und unangenehm. Für jemanden wie Crane mit eigenbrötlerischen Tendenzen und einer gewissen Lärmempfindlichkeit muss dieser Job der reinste Horror sein. Das Labor ist nicht voll besetzt und das liegt an der Mittagszeit, wie ihm der Abteilungsleiter hastig versichert. Wieder nickt Bruce und interessiert sich doch nur für eines: ob er Jonathan Crane hier irgendwo entdeckt. Nicht, dass er jetzt auch schon in der Kantine beim Mittag sitzt. Letzten Endes hat Bruce doch Glück - etwas weiter hinten über eines der Mikroskope gebeugt steht die ihm wohlbekannte, hochgewachsene Gestalt. Innerhalb einer einzigen Sekunde hat Bruce die Dinge auf seinem Arbeitstisch registriert: mehrere Schreibutensilien, ein angebissenes Sandwich und ein noch dampfender Kaffeebecher. Auf dem Tisch hinter ihm - welch glücklicher Zufall - ragt eine niegelnagelneue Zentrifuge mit dem Aufdruck von Wayne Enterprises auf. „Ah, ich sehe, Sie benutzen hier unsere Instrumente", unterbricht Bruce den Redeschwall des Abteilungsleiters übertrieben begeistert und stiefelt sofort in die entsprechende Richtung. Die Krankenhausvertreter folgen ihm auf den Fersen wie eine Horde Groupies und überschlagen sich beinahe vor Aufregung. Doch er hört ihnen nicht zu, wie sie die Produkte seiner eigenen Firma mit Lob überschütten und konzentriert sich ganz darauf, Crane aus dem Augenwinkel zu beobachten. Dieser zuckt regelrecht zusammen, als diese kleine Horde plötz-lich heranstürmt, fast, als wäre er derart in seine Projektträger vertieft gewesen, dass er sie gar nicht bemerkt hätte. Was Bruce in Anbetracht der Minikopfhörer, die er jetzt verstohlen aus seinen Ohren zieht, durchaus für möglich hält. Für einen kurzen Moment begegnen sich ihre Blicke, doch Bruce tut so, als würde er die aufkeimende Panik des anderen gar nicht bemerken. Zielstrebig geht er zur Zentrifuge, nur, um dann plötzlich stehenzubleiben, ganz so, als wäre ihm etwas eingefallen. „Guten Tag", wendet er sich mit einem strahlenden Lächeln an einen merklich erblassenden Crane und reicht ihm die Hand, „ich bin Bruce Wayne. Es freut mich sehr, zu sehen, dass Sie hier mit Apparaten arbeiten, die meine Firma herstellt. Vielleicht können Sie mir ein kleines Feedback geben, ob Sie mit der Funktionsweise zufrieden sind? Mister.. . ?" „Crane", antwortet dieser rein automatisch und entgegnet den Händedruck notgedrungen. Nach außen hin wirkt er wieder völlig gelassen, doch hinter seinen Pupillen leuchtet eindeutig Panik. Bruce weiß, er hat nicht viel Zeit, bis Scarecrow erwacht. „Und, Mr. Crane? Woran arbeiten Sie hier?" Er gibt weiterhin den unbedarften Millionär und macht Anstalten einen neu-gierigen Blick ins Mikroskop zu werfen. Crane steht unschlüssig daneben und sieht hilfesuchend zu seinem Abteilungsleiter hinüber. Dieser lächelt etwas gezwun-gen. Es ist ihm eindeutig nicht recht, dass Bruce das Wort an jemand so unbedeutenden wie einen Laborassistenten gerichtet hat, und so gibt auch er statt Crane eine Antwort. „Mr. Crane analysiert die Blutproben unserer Probanden. Wir erforschen die Verträglichkeit eines neuen Rheumamittels." Bruce nickt scheinbar interessiert, täuscht Ungeschicklichkeit vor und nötigt Crane, ihm bei dem Mikroskop zu helfen. Damit dirigiert er Crane unbemerkt in die gewünschte Position. Und als sich Bruce dann schwungvoll umdreht und dabei rein zufällig den Kaffeebecher vom Tisch fegt, wirkt es tollpatschig und nicht im Geringsten absichtlich. Crane entweicht ein schmerzvolles Aufkeuchen. Der Großteil des heißen Kaffees ist zwar auf Kittel und T-Shirt gelandet, doch einiges auch auf seiner Hand, die sich binnen Sekunden deutlich rötet. „Oh, Entschuldigung. Entschuldigung. Das tut mir entsetzlich leid." Bruce schnappt sich die verbrühte Hand und betrachtet sie kummervoll. Das war so wirklich nicht geplant. Der Kaffee sollte nur auf Cranes Kleidung landen. „Kommen Sie, das muss sofort behandelt werden. Wo sind die Waschräume?" „Ah, links, am Ende des Ganges", kann der überforderte Verwaltungschef gerade noch stammeln, da hat Bruce den verdatterten Crane auch schon am Handgelenk aus dem Labor gezogen. *** Jonathan fühlt sich völlig überrumpelt, und das mag er überhaupt nicht. Er hört Scarecrow in seinem Hinterkopf knurren, doch sie sind beide klug genug, um sich zurück zu halten. Jonathans Bewährung steht auf dem Spiel. Er hat keine Lust, wegen einer unbedachten Handlung gegenüber dem reichsten Mann Gothams wieder hinter Gittern zu landen. Und jetzt schon mal gar nicht, nicht so kurz vor dem Ziel. Also schluckt er seinen Ärger genauso herunter wie seine Überraschung und versucht weiterhin den arglosen Laborassistenten zu spielen. Wahrscheinlich wäre er sowieso nicht zu Wort gekommen bei Bruce Waynes langatmigen und scheinbar niemals enden wollenden Entschuldigungen. Aber dann ändert sich das Verhalten des Millionärs so abrupt, dass Jonathan beinahe doch noch die Fassung verliert. Vor einer Sekunde hat er noch mit ihm am Waschbecken gestanden und das kalte Wasser aufgedreht, damit er darunter seine verbrühte Hand kühlen kann und aus dem kleinen Medizinschränkchen eine Brandsalbe hervorgeholt, und in der nächsten riegelt er sowohl die Tür zu den Toilettenraum wie auch die Außentür ab. Seine zuvor noch mitfühlende, zerknirschte Miene ist plötzlich so ernst und kalt, dass Jonathan den Schmerz in seiner Hand glatt vergisst. Alarmiert drängt sich Scarecrow nach vorne. Noch wartet er ab, doch er macht sich bereit, den Platz zu wechseln, sollte es notwendig werden. Bruce Wayne erkennt die kleinen Anzeichen sofort und zögert verunsichert. Plötzlich wird er sich bewusst, was er hier gerade zu tun bereit war. Aber ... will er das? Will er wirklich seine Geheimidentität preisgeben, nur, um von Crane zu erfahren, wo der Joker steckt? Ist das so wichtig? Alles in ihm schreit lautstark Ja, doch ein kleiner Rest von Vernunft ist noch vorhanden und lässt ihn noch etwas länger zögern. Unendlich lange zehn Sekunden starren sie sich nur gegenseitig an, belauern sich wie zwei feindliche Raubvögel vor einem noch warmen Kadaver. Und je länger es dauert, desto weiter entfernt sich Bruce Wayne von dem Zeitpunkt, wo er sich noch mit lauen Ausflüchten aus dieser Situation zurückziehen kann. Er spürt, wie ihm die Kontrolle entgleitet. Er spürt es in jenem Moment, wo er sieht, wie Cranes Blick zu seinem unteren Gesichtsdrittel hinuntergleitet und diese kalte Berechnung in seinen blaugrauen Augen aufglänzt. Er kann förmlich zusehen, wie ihn der Mann vor ihm enttarnt. Die Zeit des Schweigens zwischen ihnen dehnt sich aus, nimmt an Volumen zu wie eine sich auftürmende Gewitterwolke, und plötzlich hat Bruce das Gefühl, dass sie nicht mehr alleine sind. Als habe sich eine dritte, unsichtbare Präsenz zu ihnen gesellt. Etwas Dunkles, Gefährliches, das sie aus glühenden Augen beobachtet. Er spürt, wie er eine Gänsehaut bekommt. Die Erkennungsmelodie von „Kill Bill" reißt sie aus ihrer gegenseitigen Starre und löst den Bann. Sie zucken beide zusammen. Crane murmelt eine leise Entschuldigung und holt sein Handy hervor. Die Spannung, die eben noch zwischen ihnen hing, ist so plötzlich verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Bruce hätte beinahe laut aufgelacht. Doch seine Erleichterung währt nicht lange. „Für dich." Mit diesen Worten reicht ihm Crane das Handy. „Für mich?" Das schlechte Gefühl ist wieder da und nagt an seinen Eingeweiden. Skeptisch betrachtet Bruce das kleine Gerät, doch er nimmt es entgegen. „Ja?" meldet er sich gedehnt. Er ahnt, wer das am anderen Ende der Leitung ist - es kann nur einer sein! - aber er zweifelt noch, will nicht hoffen, denn alle Gesetze der Logik sprechen dagegen. Aber die Welt wird weniger von der Logik als vom Chaos beherrscht, wie ihm schnell wieder bewusst wird, sobald ihm diese wohlbekannte, wenn auch ungewohnt heisere Stimme ans Ohr dringt. „Hör auf damit, Bruce", sagt der Joker und Bruce kann ihn beinahe vor sich stehen sehen, mit erhobenen Zeigefinder und missmutig zusammengekniffenen Augen. „Lass ihn in Ruhe. Mach ihm seine Bewährung nicht kaputt. Wir wissen beide, dass er eine erneute Arkham-Behandlung nicht unbeschadet übersteht. Wenn du mich unbedingt sehen willst, sag deinem britischen Butler, er soll das Dinner diesmal wieder für drei kochen. Aber bilde dir nichts drauf ein, klar? Ich bleibe nicht lange." Dann legt er einfach auf. Bruce ist so verdutzt, dass er das Handy noch eine ganze Weile an sein Ohr drückt. Erst das Einsetzen des Freizeichens bringt ihn wieder zurück in die Gegenwart. Wortlos reicht er Crane das Handy zurück, welcher es genauso wortlos wieder in seiner Hosentasche versenkt und sich dann wieder zum Waschbecken umdreht, wo er schließlich endlich seine Hand mit der Brandsalbe behandelt. Bruce sieht ihm einen Moment lang schweigend dabei zu. „Tut mir leid", murmelt er schließlich und es ist nicht klar, ob er damit den Unfall mit dem Kaffee oder etwas ganz anderes meint. Crane zögert, doch dann nickt er nur. Er fragt nicht, auch wenn er vor Neugier beinahe platzt. Den leisen Stich der Eifer-sucht ignoriert er ebenfalls. Wenn Batman beschlossen haben sollte, so zu tun als habe sich nichts verändert, wird er mitspielen. Es hat ihn nie interessiert, wer hinter der Fledermausmaske steckt und daran wird sich auch nie etwas ändern. Aber es ist nützlich, ein Druck-mittel in der Hinterhand zu haben. Er hört, wie Wayne die beiden Türen wieder entriegelt und dann ohne ein weiteres Wort verschwindet. Kaum ist der Millionär weg, fällt alle Anspannung von Crane ab. Er seufzt einmal tief auf und seine Schultern sacken nach unten. „Danke", murmelt er in den leeren Raum hinein. Und für einen kurzen Moment fühlt er einen leichten Druck auf seiner rechten Schulter, als habe ihn dort jemand mit der Hand berührt. *** 17. Kapitel Es ist zehn Minuten vor neunzehn Uhr, als der Joker am Wayne Manor klingelt. Schon längst hat die Nacht ihre gierigen Schatten nach Gotham ausgestreckt und dicker Nebel ist vom River herübergezogen. Wenigstens regnet es nicht. Aber die Luft ist kalt und klebrig. Fröstelnd vergräbt er sich noch tiefer in seinem wärmenden Mantel. Doch in Wirklichkeit liegt es nicht am Wetter, wenn ihm kalt ist. Er hat Fieber, er spürt das Brennen seiner Haut und hat noch gut Jonathans besorgte Miene vor seinen Augen, als dieser ihm zum Abschied noch die Temperatur maß und irgend etwas von „zu hoch" murmelte. Aber diese Kälte jetzt hat nichts mit seinem körperlichen Befinden zu tun, diese Kälte entsteht in seinem Inneren. Die Welt war für ihn schon immer größer als für alle anderen Menschen, aber jetzt ist sie geradezu riesig geworden. Er nimmt jetzt Ebenen wahr, die ihn in ihrer Intensität regelrecht erschrecken. Wenn er das hier überlebt, dann ist er endgültig zum Freak geworden, und in Gedanken daran, wie einsam es dann für ihn werden wird, ist ihm schon vor einer gefühlten Ewigkeit das Lachen vergangen. Nur der Gedanke an sein Ziel hält ihn noch aufrecht. Und Jonathans Zuneigung, so temporär das zwischen ihnen auch sein mag. Bruce Wayne dagegen steht auf einem völlig anderen Blatt. Er kann nichts sehen, was ihn betrifft, und das macht ihn einfach nur nervös. Jemand wie Bruce Wayne alias Batman sollte seinen Weg genau kennen und ihn mit der Unbeirrbarkeit eines Güterzuges verfolgen. Verdammt nochmal, er steht für die Ordnung! Joker weiß, es ist seine Schuld. Vor zwei Wochen hat Batman das Chaos in sein Haus gelassen und nun ist er davon infiziert. Noch während Joker solch düsteren Gedanken nachhängend vor sich hinstarrt, streckt Alfred auf der anderen Seite der Tür die Hand nach dem Türgriff aus und öffnet ihm. Sekundenlang stehen sie sich einfach nur gegenüber. Prüfend lässt Alfred seinen Blick über die Gestalt vor sich wandern. Irgend etwas ist anders. Irgendwie hat er sich verändert. Es ist nichts äußerliches. Er trägt noch immer seinen lilafarbenen Mantel, der inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden ist, noch mehr als der Schwalbenschwanz zuvor, schwarze Jeans und schwarze Armstulpen und geht noch im-mer barfuß. Seine Haut ist noch immer weiß wie Milch und seine Haare sind ein Wust dunkelgrüner Dreadlocks; und doch - Alfred wird das Gefühl nicht los, als stünde da jetzt etwas völlig anderes vor ihm. Als habe sich der Joker inzwischen nicht nur äußerlich von der Menschheit entfernt. Alfred rieselt es eiskalt den Rücken hinunter, und das liegt diesmal nicht am feuchtkalten Wetter. Doch der Moment vergeht und zurück bleibt nur die stille Freude, jemanden wiederzusehen, den er trotz allem was war in sein Herz geschlossen hat. „Es ist mir eine Freude, Sie zu sehen, Master Joker.” „Danke, Alfred." Der Joker entgegnet sein Lächeln, doch es wirkt etwas schief. Er holt eine Flasche unter seinem Mantel hervor und reicht sie ihm verlegen. „Ich habe Wein mitgebracht. Ist kein Chardonnay, aber ich schätze, ein Burgunder tut es auch." Alfred strahlt beinahe, als er den Wein entgegennimmt. „Eine reizende Geste. Danke. Und eine vorzügliche Wahl", setzt er nach einem schnellen Blick auf das Etikett hinzu. „Ein Burgunder passt hervorragend zu Rehbraten. Sie mögen doch Wildbret, oder?" Der Joker nickt nur schweigend. Und bemüht sich, nicht allzu auffällig zu grinsen. Niemand ist so berechenbar wie der gute alte Alfred mit seinen tadellosen, britischen Manieren. Vom Gast mitgebrachte Getränke werden von ihm sofort kredenzt, genau wie es die Höflichkeit gebietet. Gut. Das ist sehr gut. Damit ist er seinem Ziel wieder einen Schritt näher. Alfred tritt zur Seite und lässt ihn eintreten. Jokers bloße Fußsohlen haben den glatten Marmor des Manors kaum berührt, da durchflutet ihn schon Wärme. Das alte Gemäuer heißt ihn willkommen. Davon geradezu überwältigt, schließt Joker die Augen und atmet tief durch. Als er sie wieder aufschlägt, steht Bruce vor ihm. Joker kann nicht anders, er muss ihn anstarren. Die Anzahl der dünnen, spinnwebartigen Fäden, die ihn mit all den anderen Menschen verbinden, dessen Leben er auf die eine oder andere Art beeinflusst, ist geradezu schwindelerregend hoch. Und - unwillkürlich blickt Joker an sich hinunter - einer dieser Fäden führt zu ihm. Aber er ist nur sehr schwach und dünn. Er sieht aus, als würde er sich jeden Moment auflösen. Joker registriert es ohne jegliches Gefühl. Das liegt nicht mehr in seiner Hand. Ein Augenblinzeln später sind die Silberfäden verschwunden. Sein Gehirn lernt es immer schneller, zwischen den beiden Ebenen hin und her zu wechseln. Es entspricht nicht den Regeln der High Society, dass der Herr des Hauses seinen Gast in der Eingangshalle erwartet. Er hat gefälligst im Salon zu warten und den Butler seine Arbeit machen zu lassen - die darin besteht, den Gast in Empfang zu nehmen und dann zu ihm zu führen. Aber heute ist Bruce Wayne viel zu aufgeregt, um sich um so etwas Existenzielles wie Benimmregeln zu kümmern. Seit Mittag hat er diesem Augenblick entgegengefiebert, ihn sich ein Dutzend Mal ausgemalt und in Gedanken durchgespielt, was er sagen wollte. Aber jetzt, wo es endlich soweit ist, hat er alles vergessen. Wie angewurzelt steht er da und bringt kein Wort heraus. Für zwei Sekunden. Dann greift seine Konditionierung, die ihn zu einem begehrten Playboy, erfolgreichen Geschäftsmann und furchterregenden Batman macht - er weiß, wie er sich einer Situation entsprechend zu benehmen hat und setzt sich in Bewegung, schiebt seine Emotionen einfach beiseite. Und er ist stolz auf sich, dass ihm das gelingt, denn der Joker ist der einzige, bei dem diese Konditionierung kläglich versagt. Aber heute nicht. „Hallo, Joker. Schön, dich zu sehen." Er tritt näher und schüttelt Jokers Hand, als wäre dieser nichts weiter als ein Geschäftspartner. Und es hilft, den Bann zu brechen. Anstatt ihn wieder freizugeben, hält Bruce seine Hand fest und mustert seine Finger eingehend. Jokers Hände sind heiß, er hat noch immer Fieber, aber seine Fingerkuppen und Nägel sind gut verheilt. Zu gut, wenn man bedenkt, dass das ganze erst wenige Tage her ist. „Keine Angst", erklärt der Joker in spöttischen Tonfall, während er ihm seine Hand wieder entzieht, „ich verspüre nicht mehr das Verlangen, mein Blut oder das von anderen zu trinken. Ich bin ein braver Ex-Vampir und nehme artig meine Tabletten." Er greift in seine Manteltasche und holt eine Bruce wohlbekannte Pillendose hervor, schüttelt sie und hält sie dem Millionär lange genug vors Gesicht, dass dieser das Etikett lesen kann. Bruce kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Gut zu wissen. Ich habe schon befürchtet, du verlässt dich allein auf Johannisbeeren." Er rechnet damit, dass Joker versteht, was er damit impliziert, denn bestimmt hat ihm Jonathan Crane von ihrer kleinen Begegnung in der Tiefgarage erzählt, aber der zornige Blick, der ihm daraufhin aus roten Augen zugeworfen wird, überrascht ihn dann doch. „Ich bin nur hier, damit du Jonathan endlich in Ruhe lässt", knurrt der Joker ihn an. „Was hast du dir eigentlich gedacht, ihn auf Arbeit aufzusuchen? Wieso provozierst du es, dass er dich als Batman erkennt? Wieso willst du ihn und dich nur unnötig in Schwierigkeiten bringen?" Bruce lässt sich seine Betroffenheit nicht anmerken und reagiert beleidigt. „Entschuldige bitte, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Ich mag dich eben." Seinen Worten folgt Stille. Der Joker starrt ihn an, mit Augen so groß und rund, dass sich Bruce über seine vorschnelle Zunge nicht einmal schämen kann, weil dieser Anblick einfach so ... herrlich ist. „Wenn die Herren mir bitte ins Esszimmer folgen würden?" zerstört Alfreds sonore Stimme diesen Moment, bevor er wirklich peinlich werden kann. Der Joker ist der erste, der Alfreds Aufforderung Folge leistet. Im Vorbeigehen wirft er Bruce noch einen langen Seitenblick zu, sagt aber nichts. Auch Bruce schweigt. Und er schweigt immer noch, als er den beiden folgt; auch‚ als er das Esszimmer betritt und sehen muss, dass sich sein Gast seinen Mantel zwar ausgezogen, dafür aber über die Lehne seines Stuhls gehangen hat. Immer in seiner Nähe... er erinnert sich daran, wie der Joker damals Alfred gebeten hatte, ihm seinen Mantel zurückzugeben. Wie sehr er doch an seinen persönlichen Habseligkeiten hängt... Damals... liegt das nicht gerade mal eine Woche zurück? Himmel, es kommt ihm sehr viel länger vor! Als er sich an seinen Platz am Kopf der Tafel setzt, fängt er Alfreds Blick auf, kurz bevor dieser in der angrenzenden Küche verschwindet, um nur zehn Sekunden später mit der Suppenterrine zurückzukehren. Er versucht, Würde zu bewahren, doch für Bruce, der ihn schon sein ganzes Leben kennt, ist es offensichtlich: Alfred Pennyworth freut sich von ganzem Herzen. Etwas, was vor einer Woche so noch nicht möglich gewesen wäre. Oh ja, es hat sich viel verändert in dieser einen Woche. Sie beginnen zu essen, und der Joker murmelt ein Lob bezüglich Alfreds Kochkünste, etwas, was diesen zu einer bescheidenen Antwort veranlasst. Von dem kindischen Wunsch erfüllt, dass der Joker ihm auch ein freundliches Wort schenkt, pfeift Bruce abermals auf die Etikette und übernimmt kurzerhand die Aufgabe, den Wein zu entkorken und reihum einzugießen. Dafür erntet er von Alfred zwar eine missbilligend hochgezogene Augenbraue, doch das leise „Danke" des Jokers entschädigt ihn. Es ist ein wirklich guter Wein - tiefrot, und er verströmt ein angenehm schweres Bouquet. Ein sehr teurer Wein - immer mal vorausgesetzt, der Joker hat ihn tatsächlich bezahlt. Ausnahmsweise ist Bruce das aber mal egal. Es fällt ihm schwer, sich auf das Essen zu konzentrieren, seine gesamte Aufmerksamkeit gilt dem Mann neben ihm. Er kann es nicht verhindern, dass er ihm immer wieder neugierige Blicke zuwirft, und irgendwann, als sie zum Hauptgang übergehen, gibt er es ganz auf, sich verstellen zu wollen und starrt um ganz offen an. Abermals ist der Joker von einem Duft nach Wildbeeren umgeben, und es scheint, als würde dieser Geruch mit jeder verstreichenden Minute intensiver. Erinnerungen überwältigen den jungen Millionär. Ungebeten, aber nicht unwillkommen. Erinnerungen daran, wie es sich anfühlt, die Finger in diesen grünen Dreadlocks zu vergraben oder daran, diese bleiche Haut zu berühren. Und noch mehr ... Erinnerungen an das, was im Gästezimmer zwischen ihnen vorgefallen ist. Damals, vor so vielen Tagen. Und doch ist diese Erinnerung so lebendig, als wäre es erst fünf Minuten her. Und plötzlich verspürt Bruce den Wunsch, nein, das Verlangen, das alles zu wiederholen. „Was?" zischt ihn das Objekt seiner Begierde plötzlich von der Seite her an. Verdammt. Da hat er wohl zu aufdringlich gestarrt. „Ich ... äh ... nun, es ist eine Freude, dich etwas essen zu sehen", stammelt er verlegen lächelnd. Er greift nach dem Weinglas und nippt daran, um einerseits seine Harmlosigkeit zu unterstreichen und andererseits auch, um Zeit zu gewinnen. Aber als der Joker ihm nicht darauf antwortet und ihn nur weiterhin anstarrt, holt Bruce einmal tief Luft. „Ich meine ... Appetit ist ja immer ein gutes Zeichen. Immerhin ... du hast viel durchgemacht und ... du weißt, dass deine Gene mutieren?" platzt es schließlich ziemlich hilflos aus ihm heraus. Aber der Blick aus Jokers großen, roten Augen ist ihm plötzlich noch unangenehmer als sonst immer. Wenn er wenigstens wieder so irre grinsen würde ... aber wenn er so ernst ist, so ruhig, so normal, so anders als sonst ... das ist so verstörend. „Der Computer hat errechnet, dass deine Überlebenschancen fifty-fifty stehen." Diese Wahrheit ist brutal, und genauso brutal knallt es ihm Bruce an den Kopf; doch Jokers Reaktion besteht nur aus einem Schulterzucken. „Immerhin..." murmelt er und wendet sich wieder seinem Rehrücken zu. Sein Gesicht ist eine Maske der Gleichgültigkeit. Tatsächlich aber findet er Bruce' Besorgnis amüsant. Sie kommt spät, vielleicht sogar zu spät, aber sie trägt nichtsdestrotz zu seiner Erheiterung bei. Der Joker wusste einen guten, Witz schon immer zu schätzen - erst recht einen, der vor Ironie nur so trieft. Er kann die Betroffenheit des Mannes neben sich ganz genau spüren, dazu muss er nicht den Kopf von seinem Teller heben - wozu ihm sowieso nicht der Sinn steht, denn das Fleisch schmeichelt seinem Gaumen genauso wie seiner Nase und seinen Augen. Es enthält viele Proteine und unterstützt die Eisenbildung im Blut. Selbst jetzt versucht Alfred noch, ihn aufzupäppeln. Dieser alte Fuchs ist wirklich eine gute Seele. Nicht zum ersten Mal in der letzten Woche ist Joker erleichtert, diesem Mann noch niemals ein irgendwie geartetes Leid angetan zu haben. „Ich habe euch gesehen." Bruce Waynes Betroffenheit hat sich allmählich in Wut verwandelt. Und das ist in Zusammenhang mit dem Joker ein so vertrautes Gefühl, dass Bruce regelrecht darin badet. Auf seine Worte achtet er dabei schon lange nicht mehr. „Dich und Crane. In meinem Tower. Im Fahrstuhl. Und auf dem Dach." Jokers Herz scheint eine Schrecksekunde lang auszusetzen, doch er verbirgt seine Überraschung gekonnt und rettet sich in ein lässiges Schulterzucken. Das wiederum ärgert Bruce nur noch mehr. „Ach komm, jede Wette, du hast genau gewusst, dass da Kameras sind. Du hast ja auch gewusst, wie du mein Sicherheitssystem überlisten kannst!" In der Tat, das weiß er. Und er kennt sich auch bestens im Wayne Tower aus, und er weiß, dass das inzwischen auch Bruce klargeworden sein muss, auch wenn dieser es nicht ausspricht. Bruce beobachtet ihn eine Weile und fragt dann leise: „Was ist das, zwischen dir und Crane?" Joker schweigt verbissen und schaufelt weiterhin das Essen in sich hinein, auch, wenn es ihm schon längst aufgehört hat, zu schmecken. Aber so muss er wenigstens nicht antworten. Die Richtung, in die dieses Gespräch abgleitet, gefällt ihm nicht. Ihm sind diese verdammten Kameras schlichtweg entfallen! Das Letzte, was er je wollte, war, Batmans Aufmerksamkeit auf seine kleine Krähe zu lenken. Doch genau das scheint jetzt passiert zu sein, und inzwischen geht es um viel mehr als die bloße Tatsache, dass er bei Crane untergeschlüpft ist. „Ist das deine Rache wegen der Sache mit Vicky?" Unter Jokers linkem Auge zuckt kurz ein Nerv, doch er sagt weiterhin nichts. Es gäbe zwar viel zu sagen, doch er will Bruce' Eifersucht nicht unnötig schüren. Für einen richtigen Streit fehlt ihm schlicht und einfach die Kraft. Er ist nur aus zwei Gründen hier, und der eine - dass Bruce ihm sagen kann, was er zu sagen hat - ist bald abgehakt. Und dasselbe gilt für den zweiten. Jokers Blick huscht unbemerkt zu dem Weinglas neben Bruce' Teller hinüber. „Recherchen haben übrigens ergeben, dass du Recht hattest." Der allmählich immer frustrierter werdende Millionär hat beschlossen, ihn mit etwas anderem aus der Reserve zu locken. „Alle deine Opfer hatten es irgendwie verdient. Wenn man deinen Maßstab von Gerechtigkeit als Grundlage nimmt. Was ich übrigens nicht tue." Joker ignoriert ihn geflissentlich. Er ergreift sein Glas und prostet damit Alfred zu, der ihm gegenüber sitzt. „Das Essen ist wie immer hervorragend, Alfred." „Danke, Master Joker", erwidert dieser geschmeichelt und prostet höflich zurück. „Und erlauben Sie mir die Bemerkung, dass Ihr Wein vorzüglich dazu passt." Joker sieht zu, wie der Ältere an seinem Glas nippt und kann sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Die Erleichterung, die ihn durchströmt, ist beinahe noch kräftezehrender als das Fieber. Natürlich ist sein Plan wasserdicht. Wenn in diesem Manor auf eines Verlass ist, dann auf die strikte Einhaltung der Etikette. Es ist das Gerüst, das Sicherheit bedeutet, vor allem, wenn der Feind mit ihnen am Tisch sitzt. Helden benehmen sich nicht wie Monster, auch, wenn sie gegen eines kämpfen. Aber er war sich nicht sicher. Jetzt ist er es. Aber die Erkenntnis, dass diese beiden ihm wirklich und wahrhaftig vertrauen, schmeckt bitter. Es ist der Geschmack der Niederlage, so endgültig und unumkehrbar wie der Tod. Ihn fröstelt. Als er den Kopf hebt und zu Bruce hinüber sieht, stehen dort wieder die Geister dessen Eltern. Doch diesmal ist etwas anders. Sie scheinen mehr zu sein als gestaltgewordene Erinnerungen, denn diesmal sehen sie ihn direkt an. Ihre Blicke scheinen sich direkt bis in seine Seele hineinzubohren. Und ... sie lächeln ihm zu. Und dann blinzelt er und sie sind wieder verschwunden. Sie hinterlassen einen Knoten im Magen und beginnende Kopfschmerzen. „Hast du ihre Untaten wirklich alle gefühlt?" holt ihn Bruce' Stimme in die Wirklichkeit zurück. Joker zögert und versucht sich zu erinnern, wie es war, damals, kurz nach dem er zu dem geworden war, was er ist und das alles noch nicht richtig unter Kontrolle hatte. Damals, als er noch planlos - aber immer zielgerichtet - wütete und tötete, einfach nur getrieben von all diesen Emotionen, die ihn erfüllten. Diese Zeit, die nur aus Abscheu, Rachelust und rasender Wut und Trauer bestand. Die Zeit, der er seinen Ruf als gnadenloser, irrer Killer verdankt. Bis er Batman erneut begegnete und dessen Schmerz erkannte. Sah, dass sie zwei Seiten einer Medaille sind. „Ja", erwidert er schließlich schlicht. „Es war zu viel", gibt er dann zu. Er will immer noch, dass sein Batman ihn versteht, auch, wenn er dafür einen Teil seines Stolzes aufgeben muss. Und vielleicht liegt es am Fieber, aber es erscheint ihm plötzlich so sinnlos, es nicht zuzugeben. „Es tut mir nicht leid, sie hatten es verdient. Durch ihre Taten haben sie auch mein Leben ruiniert. Ich habe sie bestraft und mich dadurch besser gefühlt." Seine Worte bringen diesmal Bruce zum Schweigen. Nachdenklich starrt der junge Millionär auf seinen Teller ohne ihn jedoch wirklich zu sehen. Die Worte des Jokers hallen in seiner Seele nach wie ein Bergecho. Rache ... er kennt dieses Gefühl, er kennt es nur viel zu gut. Es gab auch bei ihm schon einmal Situationen, da war er ebenfalls schon mal nahe daran, härter zuzuschlagen als nötig (vor allem beim Joker). Auch wenn er das alles nicht gutheißen kann - so kann er es jedoch sehr gut nachvollziehen. Zum ersten Mal, begreift er plötzlich, und dieser Gedanke verschlägt ihm glatt den Atem, kann ich den Joker verstehen. Das Verlangen, ihn einfach in die Arme zu schließen, ist wieder da, größer noch als je zuvor, doch stattdessen festigt er nur seinen Griff um Messer und Gabel. „Das tut mir leid", murmelt er, und noch während er spricht, stürzt diese Mauer aus Schuldgefühlen wieder über ihm ein und begräbt ihn unter sich. „All das, was passiert ist ... ich bin schuld, dass du zu dem geworden bist, was du jetzt bist. Der Chemietank, unsere Kämpfe, deine Aufenthalte in Arkham ... Batmans Kritiker meinen immer, es sei alles meine Schuld. Gäbe es keinen Batman, gäbe es auch keine Superkriminellen. Es ist wie im Kalten Krieg, wo sich beide Seiten ständig neu aufrüsten, um einander zu übertrumpfen. Und wenn ich an dir das Serum gegen Draculas Gift nicht ausprobiert hätte, würdest du jetzt nicht mutieren. Vielleicht bin ich doch nur selbstgerecht und überheblich, wie der Polizeipräsident immer behauptet. Vielleicht ist das wirklich alles meine Schuld-" „Hör auf!" unterbricht ihn der Joker, und sein Tonfall, so müde, so gequält, ist schlimmer als es jeder Wutanfall je hätte sein können. „Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass du aufhören musst, dich für alles verantwortlich zu fühlen? Du bist immer deiner Moral gefolgt, das ist nichts, wofür du dich schämen musst." „Ich habe Fehler gemacht." „Na und? Du bist nicht unfehlbar. Du bist auch nur ein Mensch." Nun doch plötzlich verärgert, dreht er sich zu Bruce her-um und piekst ihm mit seinem rechten Zeigefinger vor die Brust. „Gotham braucht dich. Du bist ein Vorbild und an denen mangelt es hier. Du bringst Ordnung in das Chaos. Das ist wichtig. Das schafft die notwendige Balance. Spaß ist toll. Chaos ist toll. Aber ohne Ernst und Ordnung würden wir sie gar nicht als solche erkennen. Schatten kann nicht ohne Licht existieren. So funktioniert nun mal die Welt. Aber man darf weder das eine noch das andere zu wichtig nehmen, denn am Ende sterben wir alle so oder so. Es kommt nur darauf an, was man bis dahin daraus macht. Ob man seinem eigenen Weg folgt oder dem, den andere einem vorgeben." Bruce zögert kurz und lässt die Worte auf sich wirken. Die Stelle an seiner Brust, dort, wo ihn der Finger des Jokers traf, kribbelt wie nach einem leichten Stromstoß. Gedankenverloren streicht er sich darüber. „Aber du entführst Leute“, wendet er schließlich ein, „legst Bomben, raubst alles, was dir von Wert erscheint, tötest ohne mit der Wimper zu zucken und wirfst mit deinem Smilex um dich wie andere mit Sahnebonbons. Ich weiß jetzt, dass deine Opfer nicht willkürlich gewählt sind. Trotzdem - tust du das alles wirklich nur, weil du dich an den Menschen rächen willst?" „Was meine Opfer betrifft: ja." „Und was ist mit den anderen? Den Zeugen, den Unbeteiligten, den Angehörigen?" „Erlösung." „Erlösung?" „Und ein Weckruf. Je größer, desto besser. Vor allem diese sogenannte High Society müsste mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden." Sein bitterer, wild entschlossener Tonfall lässt Bruce aufhorchen. Aus misstrauisch verengten Augen mustert er den Mann neben sich, mit dem er sich bisher doch überraschend zivilisiert hat unterhalten können. Aber jetzt, jetzt blitzt er wieder durch, der selbsternannte Harlequin of Hate. „Was hast du vor?" Bruce versucht, seinen eigenen Ton so ruhig und gelassen wie möglich klingen zu lassen. Er weiß, mit seinem grollenden Batman-Bass erreicht er jetzt wohl nur das Gegenteil. Doch auch so gerät der Joker kurz ins Stocken, und für eine unendlich lange Sekunde scheint alles auf der Kippe zu stehen. Sein Blick huscht kurz zu den großen Balkonfenstern hinüber, als plane er seine Flucht, doch der gehetzte Ausdruck in seiner Miene verschwindet rasch und weicht Resignation und Erschöpfung. „Für uns alle kommt die Zeit", erklärt er müde, „wo wir uns unserem Schicksal stellen müssen. Die Party ist vorbei." Verwirrt, fassungslos und zunehmend alarmiert starrt Bruce ihn an. Dann wechselt er einen schnellen Blick mit Alfred, doch dieser wirkt genauso erschrocken und ratlos wie er. Joker sieht diese Gesichter und spürt dieses altbekannte Kichern seine Kehle hinaufsteigen. Er kämpft nicht dagegen an, und schon eine Sekunde später wirft er den Kopf in den Nacken und bricht in schallendes Gelächter aus. Es schmerzt, als würde eine Tonnenlast auf seinem Brustkorb liegen, aber er kann nicht aufhören. Es klingt selbst in seinen Ohren unheimlich - zu schrill, zu laut und viel zu sehr wie das Heulen eines waidwunden Tieres. Seit er sich erinnern kann, hat er nicht ein einziges Mal in seinem Leben an sich selbst gezweifelt, ganz egal, wie viele hochdekorierte Spezialisten ihn als verrückt diagnostizierten, aber in diesem Moment, wo er sich so hört, könnte er fast doch daran glauben. Vielleicht ist er doch irre. Vielleicht ist das alles sinnlos. Vielleicht gibt es gar keinen Weg, den er beschreiten muss. Oh, welch Ironie! Gerade jetzt, wo sein Batman endlich bereit ist, ihm zuzuhören und ihm zu glauben - da beginnt er an sich selbst zu zweifeln. Dieser Gedanke bringt ihn nur noch mehr zum Lachen. Aber das ist keine gute Idee. Das erkennt er, sobald die ersten schwarzen Flecken vor seinen Augen tanzen. Er versucht noch, sich an der Tischkante fest zu halten, doch es ist schon zu spät. Seine Welt kippt und reißt ihn mit in den Abgrund. *** Warme, weiche Lippen an seinen eigenen. Der Geschmack von Rotwein und Rehrücken auf seiner Zunge. Wärme. Nähe. Und das elektrisierende Gefühl von einer ihm plötzlich durchströmenden Kraft... jeglicher Schmerz, jegliche Müdigkeit und auch diese elendige Erschöpfung, die sein gesamtes Wesen in ihren schwarzen, tintigen Fängen umschlungen hielt, sind wie fortgeweht … verwirrt und erschrocken zugleich schlägt er die Augen auf. Wann ... entsetzt zieht er seine Hand von Bruce' Nacken zurück ... und wie ist das alles passiert? Wann hat er sich halb über den Tisch gebeugt und dem Millionär diesen Kuss aufgezwungen? Wieviel Zeit hat er verloren? Nicht viel, wie ihm nach einem schnellen Rundblick klar wird. Der Braten liegt noch immer vor ihnen auf dem Tisch, auf dieser wertvollen Silberplatte, garniert mit Kräutern und Beeren, noch immer warm und verbreitet seinen köstlichen Duft, und dann sind da noch die Weingläser, von denen zumindest zwei beinahe leer sind - all das entspricht noch dem letzten Bild, an das er sich vor seinem ... Anfall erinnert. Ganz kurz begegnet er Alfreds stets so aufmerksamen Blick und registriert das leichte Lächeln, das an dessen Mundwinkeln zupft. Da liegt kein Vorwurf in diesen dunklen Augen, höchstens so etwas wie milde Belustigung. Aber dennoch verspürt Joker den Drang, aufzuspringen und davonzulaufen. Und nach einem unsicheren Blick in Bruce' verwirrtes und zunehmend enttäuschtes Gesicht macht er genau das auch. Er bringt gerade noch eine gestammelte Entschuldigung heraus, bevor er sich seinen Mantel schnappt und wie ein gehetztes Tier erst aus dem Raum, dann durch die Empfangshalle und schließlich durch das große Portal hinaus in die Nacht rennt. So agil und schnell wie zu seinen besten Zeiten. Mit einem lauten Geräusch fällt die Eingangstür wieder ins Schloss. Bruce zuckt regelrecht zusammen. Er blinzelt einmal, als hätte man ihn aus einem schönen Traum gerissen und berührt mit zitternden Fingern seine Lippen. „Was...", beginnt er, hält dann jedoch inne und wirft Alfred einen hilflosen Blick zu. Er scheint sich erst jetzt bewusst zu werden, was eigentlich passiert ist. „Nun", meint dieser, während er zu seinem Weinglas greift und zusieht, wie sich eine aparte Röte auf die Wangen seines Ziehsohnes schleicht, „so merkwürdig das auch erscheinen mag, aber es sieht so aus, als würdest nicht nur du vor deinen Gefühlen davonlaufen. Buchstäblich diesmal." *** 18. Kapitel Er hätte es einfacher haben können. Er hätte den breiten Kiesweg hinunter zum gusseisernen Tor nehmen und von dort aus auf die Hauptstraße abbiegen können. Doch so funktioniert das nicht. So hat es noch nie funktioniert. Er war immer schon dem direkten Weg gefolgt, frei nach der Devise, dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten immer noch eine Gerade ist. Und sein Zielpunkt liegt irgendwo im Süden von Gotham City. Daher schlägt er sich durch den Park des Wayne Anwesens, über die Mauer und setzt seinen Weg dann durch die angrenzenden Grundstücke fort, klettert über Bäume genauso wie über Dachfirste - leichtfüßig und trittsicher wie eh und je. Er denkt nicht darüber nach, würde er das tun, wäre ein Fehltritt sicher vorprogrammiert. Er rennt, genießt das Gefühl der Stärke und Freiheit, die sich hinter jeder einzelnen Bewegung, jedem Zusammenziehen der Muskeln, versteckt und folgt ganz einfach dem Drang, sich schnell zu bewegen. Er fühlt sich großartig. Lebendig. Doch dann, ganz plötzlich, verliert der Energieschub seine Kraft und die Schwäche schlägt wieder über ihm zusammen. Er stolpert und fällt, kann sich gerade noch im letzten Moment mit den Händen auffangen, sonst wäre er mit dem Gesicht voran auf rauhem Stein gelandet. Sekundenlang hockt er so da, auf Händen und Knien, mit heftig hämmernden Herzen und nach Luft schnappend. In ein paar Minuten, so hofft er, wird es ihm besser gehen. Er muss nur etwas verschnaufen, das ist alles. Doch es geht ihm nicht besser. Sicher, das Atmen fällt ihm irgendwann wieder leichter und sein Herzschlag dröhnt auch nicht mehr so laut in seinen Ohren, doch die Schwäche bleibt. Sie wird sogar noch schlimmer. Als würde ihm irgendetwas das Mark aus den Knochen saugen, bis er sich so hohl fühlt wie eine Kürbislaterne zu Halloween. Schon alleine das Heben des Kopfes bedeutet eine ungeheure Kraftanstrengung. Als würde ein Zentnergewicht Haupt und Nacken zu Boden drücken. Doch sein Überlebensinstinkt ist ungebrochen - schließlich kann er nicht einfach hier sitzen bleiben ohne zu wissen, ob er in Sicherheit ist. Vielleicht hockt er ja mitten auf einer Straße, und wer will schon von einem Truck überrollt werden? Und so sieht er sich zum ersten Mal seit langem um und nimmt seine Umgebung dabei auch bewusst wahr. Keine Straße, aber zwei Meter vor ihm schwappt die Brühe eines Flusses träge an die steinige Uferböschung. Nebel steigt von diesem dunklen Wasser auf, weißen Fingern gleich, die den Gestank von Brackwasser, Seetang und Chemie mit sich tragen. Der typische Geruch des Gotham Rivers. Beinahe sofort weiß er auch genau, wo er sich befindet. Er hebt den Kopf etwas höher - ein weiterer Kraftakt - doch die Robert Kane Memorial Bridge, die dort irgendwo schräg über ihm aufragt, wird vom Nebel vollständig verdeckt. Aber sie ist dort oben, er kann sie fühlen. Eine stachelartige, stählerne Präsenz, ein hartes, bitteres Konstrukt aus Blut, Tränen und Schweiß, über das sich jeden Tag ohne Unterlass Millionen von Autos und Lastwagen hinwegwälzen, eine der pulsierenden Hauptverkehrsadern Gothams und eine der wenigen Verbindungen dieses Molochs zum Festland. Ein geschichtsträchtiges Bauwerk, das jeden Tag aufs Neue Schlagzeilen schreibt, weil Verkehrsunfälle hier nun einmal zur Tagesordnung gehören. Daher vermeidet er es, diese Brücke zu Fuß zu überqueren, obwohl der Übergang am Rand relativ sicher für Fußgänger ist - er will diese Echos der Ereignisse, all diese Schmerzen, die Trauer und den Zorn nicht an sich heranlassen. Leider hat er seinen gestohlenen Wagen irgendwo in der Nähe des Wayne Manors zurückgelassen. Egal, im Moment muss er sowieso erst einmal wieder zu Kräften kommen, dann kann er sich Gedanken über den Rückweg machen. Müde lässt er den Kopf wieder sinken. Der Nebel, der vom Wasser her aufsteigt, ist dichter geworden. Er scheint jedes Geräusch zu verschlucken. Es fühlt sich an, als wäre er ganz allein auf der Welt, verloren in einer weißgrau wabernden, kalt-nassen Masse. Schaudernd vergräbt er sich tiefer in seinem Mantel. Und dann noch tiefer. Doch diesmal liegt es nicht nur an der Kälte, seiner Erschöpfung oder der unheimlichen Atmosphäre, sondern schlicht und einfach an seinen eigenen Gedanken. Während er rannte, hat er definitiv nicht gedacht, doch jetzt kommt alles wieder hoch. Die Angst, dieses plötzliche Entsetzen, denn da war sie wieder – diese animalische Gier. Als er Bruce küsste …ihn einfach küsste ohne sich daran erinnern zu können, wie er sich über den Tisch lehnte … oh, wie schwer fiel es ihm, damit wieder aufzuhören. Und das lag nicht daran, dass ihm dieser Kuss so gefallen hätte – obwohl er das hatte, zweifellos. Aber nein, diesmal … Da war irgendetwas … eine Art Energie, die er in sich hineinsog. Irgendetwas aus Bruce, von Bruce, das saugte er in sich hinein. Und dieses Gefühl, das erinnert ihn auf schreckliche Weise an seinen Hunger als Vampir. Nicht, dass er sich inzwischen an diese Zeit klar erinnern könnte, aber daran … daran schon. Oh mein Gott. Soll das … soll das bedeuten … bedeutet das, ich bin immer noch … oder schon wieder … so ein gottverdammter Vampir? Aber nein, beruhigt er sich schnell, es ist nicht das Blut, wonach es ihn dürstet. Sondern … etwas wesentliches Essentielleres. Oh Gott. Jetzt ist es passiert. Jetzt bin ich wirklich das, wofür mich alle schon längst halten: ich bin ein Monster. Gequält aufstöhnend schlägt er die Hände vors Gesicht. Trotz allem, was er getan hatte, trotz all des Blutes an seinen Händen, trotz seiner sadistischen Ader, hat er sich selbst doch nie als Monster gesehen. Was er tat, tat er doch nur, weil es jemand tun musste. Weil er der einzige war, der es konnte. Es war nun einmal der Pfad, den er gehen musste. Den er immer noch gehen muss. Doch jetzt … jetzt mutiert er zu einem Ungeheuer. Diese Erkenntnis schmeckt bitter und wie Asche zugleich. Und sie tut weh. Oh, kein Wunder, wenn das Band zwischen ihm und Batsy nun aussieht, als würde es sich auflösen. Weil genau das geschieht. Plötzlich noch müder als je zuvor, lässt er die Hände wieder sinken, nur, um sie fest in den Untergrund neben sich zu krallen. Er spürt nasses Gras, schwere Erde und Steine und plötzlich - fühlt er sich durchpulst von neuer Energie. Ein zaghafte, beinahe sanfte Flut aus purer Energie, gespeist aus einer urtümlichen, ruhigen Quelle. Er fühlt sich immer noch müde, erschöpft, aber diese Leere, dieses Loch in seinem Inneren wird langsam gefüllt. Und als das Hintergrundrauschen in seinem Kopf parallel dazu wieder lauter wird, begreift er es: diese Quelle, das ist die Natur um ihn herum, das Leben, Mutter Erde höchstpersönlich, wenn man es so nennen will. Das Rauschen hinter seiner Stirn schwillt weiter an, Töne kristallisieren sich heraus und ergeben eine Melodie – die Melodie – glockenhell und wunderschön wie immer. Er hat sie selten bewusst gehört in den letzten paar Tagen und schmerzlich vermisst, wie es ihm jetzt erst gewahr wird. Diese Melodie füllt ihn aus, vibriert in jeder noch so kleinen Zelle, bis sogar sein Herz in diesem Rhythmus schlägt. Sein Atem verlangsamt sich und tiefe Ruhe erfüllt ihn. Sein Blick richtet sich aufs Wasser. Die dunklen Fluten unter dem milchigweißem Nebel scheinen immer schwärzer zu werden. Tintiges Wasser, das ungewöhnlich still und unbewegt vor ihm liegt. Spiegelglatt. Unwirklich. Und dann, ein Augenblinzeln später, hat sich der Nebel vollständig wie eine weiße Decke darüber gelegt. Und auch um ihn. Und diesmal … diesmal riecht er noch etwas anderes unter dem üblichen fauligen Gestank – er riecht und schmeckt Salz und Wasser. So muss der Fluss gewesen sein, bevor er von den Menschen hier so verseucht wurde. Und vielleicht wird er irgendwann wieder genau so riechen und schmecken. Der Gedanke gefällt ihm. Doch es ist nur ein flüchtiger Gedanke, ein flüchtiges Wohlbefinden, bevor er sich wieder dieser anderen Tatsache bewusst wird: Wieder hört und sieht er nichts, wieder wird alles von diesem Nebel verschluckt. Als wäre da rein gar nichts außer ihm. Als wäre er ganz allein auf dieser Welt. Als gäbe es nur ihn. Diese Welt, dieses Leben, ist vielleicht nichts anderes als ein Traum. Sein Traum. Oder der von jemand anderem. Er weiß nicht, wie lange er da schon sitzt, es mögen Minuten sein oder Stunden, als sich plötzlich eine schwere Hand auf seine rechte Schulter legt und ihn aus seinem tranceartigen Zustand schreckt. „Was machst du hier? Es ist kalt und nass.“ Joker dreht den Kopf, sieht in Batmans besorgtes Gesicht und kann sich nicht einmal dazu aufraffen, so zu tun, als wäre er überrascht. „Wie hast du mich gefunden?“ fragt er dennoch, fast aus Gewohnheit, obwohl er die Antwort doch schon längst ahnt. Batmans behandschuhte Finger verschwinden kurz unter seinem Kragen, Joker spürt ein kurzes Zupfen und als Batmans Finger kurz seinen Nacken berühren, wird ihm fast übel, so viel Besorgnis spürt er. Schweigend zeigt Batman ihm die kleine Wanze, bevor er sie wieder in seinem Gürtel verstaut. „Wann-“, beginnt Joker, findet dann aber nicht die Kraft, den Satz zu beenden. Es ist eine überflüssige Frage. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, wann Bruce ihm diese Wanze unter den Kragen seines Shirts geschmuggelt haben kann – während ihres Kusses. Oh, wie raffiniert und hinterhältig von dem dunklen Ritter. Joker ist beeindruckt. „Schäm dich, Honeycake.“ Dessen Blick wird nur noch besorgter. Aber Joker ahnt ja auch nicht, wie monoton und dumpf er klingt. Wie leblos. „Komm.“ Mit diesen Worten packt er Joker am rechten Arm und zieht ihn daran in die Höhe. Widerstandslos lässt dieser sich das gefallen. Jetzt wirklich beunruhigt, hält Batman ihn weiterhin fest. Der Fluss keine zwei Meter hinter ihnen weckt schlimme Erinnerungen. Ohne groß darüber nachzudenken, zieht er ihn einfach an sich und schließt beschützend seine Arme um ihn. „Warum bist du davongelaufen?“ Aber Joker schüttelt nur abwehrend den Kopf und lässt sich noch schwerer gegen ihn sinken. Batman ist erstaunt darüber, wie kalt sich der Joker anfühlt – vom Fieber keine Spur mehr. Aber er glaubt nicht, dass das ein gutes Zeichen ist. Joker zu umarmen fühlt sich jetzt ganz anders an als noch vor einer Stunde, er scheint zerbrechlicher geworden zu sein, krank und schlichtweg am Ende seiner Kräfte. So kennt Batman ihn gar nicht und ehrlich gesagt, möchte er ihn so auch nie wieder sehen. Gerne würde er ihn weiter so halten, am liebsten die ganze Nacht, aber nicht hier draußen, nicht bei diesem Wetter. „Komm.“ Vorsichtig dirigiert er ihn hinüber zur Straße, wo das Batmobil auf sie wartet. Jokers atypisches Benehmen beunruhigt ihn mehr denn je. Ohne sich dessen bewusst zu sein, geleitet er seine Nemesis so fürsorglich auf den Beifahrersitz seines gepanzerten Batmobils wie sonst nur die schönen Frauen in seinen Porsche. Der Joker bemerkt das sehr wohl, doch alles, wozu er sich aufraffen kann, ist ein mattes Zucken um die Mundwinkel herum. Wenige Sekunden später wirft sich Batman schwungvoll auf den Fahrersitz neben ihn. „Wohin?“ er fragt gar nicht erst, ob er ihn zurück ins Manor bringen soll, schließlich ist er ja gerade erst von diesem An-wesen – und von ihm! – weggerannt. „Ich will nur nach Hause“, murmelt der Joker geistesabwesend. Im bläulichen Licht der Armaturen sieht er noch bleicher aus als sonst. Nach Hause… sobald er es ausgesprochen hat, stolpert er selbst über diese Worte. Nach Hause beinhaltet, dass jemand so etwas hat – ein Zuhause. Eine Wohnung, ein Haus, einen Ort, an dem man sich länger aufhält als ein paar Tage, ein Ort, der mehr ist als nur ein Dach über dem Kopf, ein Ort, den man sich nach seinen Vorstellungen einrichtet, ein Ort, an dem man einen Teil von sich selbst zurücklässt, wenn man geht. Ein Zuhause können aber auch einfach nur jene Menschen sein, die man liebt. Freunde. Die Familie. Aber … er hat dabei doch nicht an Scarecrow gedacht, oder? Nein, das ist unmöglich. Manchmal, in den seltenen glücklichen Momenten mit Harley hat er auch im Zusammenhang mit ihr so gedacht, so ge-fühlt, aber das ist schon so lange her, dass er sich kaum noch daran erinnern kann… „Gerne.“ Batmans dunkle Stimme reißt ihn aus seinen grüblerisch-melancholischen Gedanken. „Und wo ist das?“ Gute Frage, hätte Joker beinahe entgegnet. Und tatsächlich hätte er ihm auch fast die Adresse genannt, wenn er sich nicht im letzten Moment daran erinnert hätte, wer da neben ihm sitzt. „Netter Versuch, Batman“, er versucht, eine besonders scharfe Betonung auf das „Batman“ zu legen, doch alles, was herauskommt, ist ein kläglicher Seufzer. „Ich sage dir nicht, wo scarecrow wohnt. Setz mich einfach irgendwo jenseits dieser Brücke ab.“ „Nein.“ Jokers Blick verfinstert sich, aber noch bevor er protestieren kann, redet Batman schon weiter. „Nein“, wiederholt er betont sanft. „In diesem Zustand lasse ich dich bestimmt nicht da draußen herumlaufen. Was ist, wenn du zusammenbrichst? Wer kümmert sich dann um dich? Ich könnte dich natürlich auch wieder in der Bathöhle einsperren, wäre dir das lieber?“ „Nein, aber-“ „Hör zu.“ Vorsichtig dreht er sich zu ihm, ergreift Jokers Hände und drückt sie aufmunternd. In Erinnerung an Jokers Fähigkeiten gibt er sich Mühe, diesen nicht an der bloßen Haut zu berühren – schlechte Schwingungen sind das Letzte, was der andere jetzt gebrauchen kann. Daher fasst er ihn nur um die Handgelenke, an seinen Armstulpen. Zum ersten Mal fällt ihm auf, wie dünn und fragil diese doch sind. „Ich verspreche dir hoch und heilig, mein Wissen darüber, wo Crane wohnt, nicht auszunutzen.“ „Das kannst du mir nicht versprechen, und das weißt du auch.“ Kopfschüttelnd entzieht sich ihm der Joker und rückt zusätzlich noch etwas weiter von ihm ab. „Setz mich einfach an der Mall ab, wo du Johnny getroffen hast. Es gibt dort ein öffentliches Telefon, von dort rufe ich ihn an und er holt mich dann ab.“ Batman ist davon alles andere als begeistert, doch er akzeptiert Jokers Entscheidung. Auch wenn ihn dessen Misstrauen schmerzt – verübeln kann er es ihm nicht. Aber er wundert sich doch über Jokers beschützende Art gegenüber Jonathan Crane. Und alles Verständnis der Welt hilft nicht gegen den Stich der Eifersucht in seinem Herzen. *** Es gibt Fragen, die stellt sich Jonathan Crane gar nicht erst, weil er nicht weiß, ob er die Antwort wirklich wissen will. Und deshalb besteht sein einziger Ausdruck der Verblüffung in hochgezogenen Augenbrauen und einem leichten Räuspern, als er die sechs Granatwerfer mit Fernauslösung in seinem Keller entdeckt. Er muss wirklich nicht wissen, wie der Joker immer an solche Waffen kommt. Sie in seinem Haus zu wissen bereitet ihm schon genug Magenschmerzen. Aber er muss zugeben, Jokers Plan, ihre neue Feargas/Smilex-Mischung auf diesem Wege über dem Soccer-Stadion abzuwerfen, ist zugleich schlicht wie genial. Die einzige - eher körperliche denn logistische - Schwierigkeit wird darin bestehen, diese sechs Teile auf den Dächern der umliegenden Hochhäuser zu deponieren. Diese Abschussanlagen sind verdammt sperrig, die passen nicht in jeden x-beliebigen Rucksack. Aber andererseits ... hm, wenn Scarecrow so darüber nachdenkt ... haben diese kleinen, nächtlichen Ausflüge mit dem Joker auch so ihre Vorteile. Wenn er so an den letzter Nacht auf den Wayne Tower zurückdenkt... Halt! Stop! Entschieden ruft er sich zur Ordnung. Er sollte sich jetzt nicht von solchen Gedanken ablenken lassen. Ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, geht er an den Granatwerfern vorbei zum Regal, in dem die Getränke lagern und holt sich einen Sechserpack Bier. Für einen kurzen Augenblick denkt er darüber nach, ob er etwas weiter hinein in den kleinen Keller zu seinem Labor gehen sollte, doch dann verwirft er diesen Gedanken wieder. Irgendwie ist ihm die Lust daran vergangen, an einer neuen Rezeptur für sein Feargas zu tüfteln. Nicht, wenn fünfzehn Meilen entfernt in einem angemieteten Lagerraum eine andere Apparatur steht, in der eine Feargas-Smilex-Mischung entsteht, die alles bisher da-gewesene in den Schatten stellt. Morgen früh, wenn der von einem Computer überwachte Prozess abgeschlossen ist, können sie damit beginnen, das Gas in die Granaten abzufüllen. Niemals hätte Jonathan damit gerechnet, dass sie noch vor Donnerstag damit fertig werden, aber wieder einmal hat er das Organisationstalent des Clowns gewaltig unterschätzt. Oder dessen Besessenheit - immerhin plant er diesen ... Anschlag schon seit Jahren. Der Junge muss Gothams High Society ja wirklich hassen. Und wo hat man sie besser alle auf einem Haufen als zur Hundertjahresfeier mit exklusiven Staraufgebot? Und all diese jahrelange, penible Vorbereitung und Geduld von einem Geist, dem die Ärzte in Arkham die Aufmerksamkeitsspanne eines Dreijährigen zugestehen wollten. Aber ich wusste ja schon immer, dass sie sich alle in ihm täuschen. Still vor sich hingrinsend, lümmelt sich Jonathan Crane auf sein Sofa, nimmt die Fernbedienung zur Hand und schaltet den Fernseher ein. Ah, das ist jetzt genau das Richtige nach einem ermüdenden Tag im Labor und all der Arbeit, die noch vor ihm liegt. Absichtlich blendet er dabei das kurze Zusammentreffen mit Bruce Wayne am Mittag aus, denn sonst würde sich ihm nur der Magen umdrehen. Das Wissen, dass sich der Joker just in diesem Moment in der Höhle des Löwen (der Fledermaus, berichtigt Scarecrow kichernd) aufhält, ist schon schlimm genug. Eifersüchtig? Nein, er ist nicht eifersüchtig. Wie schon einmal erwähnt - man kann ein wildes Geschöpf wie den Joker nicht besitzen. Niemals. Es wird so wieso nicht lange gut gehen. Die Fledermaus mit ihren hohen moralischen Ansprüchen wird den Clown niemals so hinnehmen wie er ist, wird versuchen, ihn zu ändern, und das wird niemals funktionieren, weil ein wildes Tier sich einfach nicht zähmen lässt. Punkt. Das musste Harley auch schon einsehen. Auch wenn sie das natürlich niemals so ausdrücken würde. Ein Geräusch schreckt ihn aus seinen Gedanken. Es dauert eine Weile, bis er es als das Klingeln seines Telefons identifi-ziert. Zuerst will er nicht hingehen, schließlich hat er es sich gerade erst gemütlich gemacht, aber der Anrufer erweist sich als sehr hartnäckig. Unbewusst zählt er mit. Beim fünfzehnten Klingeln schließlich springt er auf und hechtet zum Apparat. Es gibt nur einen, der es so lange klingeln lässt. *** Kapitel 10: Kapitel 19 - 21 --------------------------- 19. Kapitel Als der kleine rote Fiat an der roten Ampel vor der Shopping Mall auf der rechten Spur stehenbleibt, löst sich aus den Schatten einer Nische eine große Gestalt. Sie schlängelt sich geschickt und schnell durch die Menge der kaufwütigen Pas-santen und hält schnurstracks auf das Auto zu. Jonathan Crane zuckt kurz zusammen, als die Beifahrertür aufgerissen wird, doch einen schnellen Blick auf die Person, die sich da so schwungvoll auf den Sitz neben ihn schmeißt, und er beruhigt sich wieder. Aber er ist noch immer etwas verstimmt und spart sich daher die Begrüßung. Er blinkt links, und als die Rotphase endet und der Wagen vor ihm anfährt, zieht er selbst rücksichtslos auf die linke Spur hinüber. Dafür erntet er erbostes Hupen von allen Seiten, doch er selbst spürt eine gewisse Form tiefer Befriedigung. Gotham ist ein hässlicher Sumpf, die Menschen hier sind Krokodile und es geschieht ihnen recht, wenn sie jetzt von einer Vogelscheuche geärgert werden. Ein schneller Blick in den Rückspiegel beweist ihm, was er schon längst vermutet hat: aus einer Parklücke am Straßenrand löst sich ein wohlbekannter schwarzer Wagen. Der Versuch, den roten Fiat zu verfolgen, wurde durch Cranes unvermutetes Manöver jedoch schnell ausgebremst. Cranes Mundwinkel zucken spöttisch in die Höhe. Trotzdem… „Muss ich mir Sorgen machen?“ knurrt er seinen Beifahrer an. „Hat er dich wieder verwanzt?“ „Nein. Außerdem hat er versprochen, dich in Ruhe zu lassen.“ „Und ich nehme an, du vertraust ihm?“ „Ja.“ Im Rückspiegel verfolgt Jonathan, wie das Batmobil in einer Seitenstraße verschwindet. Aber das ist noch lange kein Grund, aufzuatmen. „Wir fahren jetzt zu einem deiner alten Verstecke“, bestimmt er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. „Dort wirst du von mir auf Wanzen überprüft. Besser noch, wir wechseln deine Klamotten. Ich habe keinen Bedarf daran, dass die Fledermaus weiß, wo ich wohne.“ „Okay“, erklärt sich der Joker zu seiner großen Überraschung protestlos einverstanden. Seine offensichtliche Teilnahmslosigkeit schürt Jonathans Ärger nur noch. „Wieso vertraust du ausgerechnet ihm? Seine höchste Priorität liegt in der Verbrechensbekämpfung, und was das betrifft, bist du ganz oben auf seiner Liste.“ „Er hat es mir versprochen.“ Zum ersten Mal seit er zugestiegen ist, wirft Jonathan seinem Begleiter einen etwas intensiveren Blick zu. Und bereut es sofort. Denn dieser Mann dort neben ihm ist nur ein schwaches Abbild seiner selbst – blass, erschöpft und ohne jeglichen Glanz in den roten Augen sitzt er da, völlig apathisch und in sich selbst zusammengesunken. Jonathan beißt die Zähne zusammen, bis es schmerzt. „Hat alles geklappt?“ versucht er, ihn aus seiner Reserve zu locken. „Haben sie den Wein getrunken?“ „Natürlich.“ Wieder wirft ihm Jonathan einen Seitenblick zu, diesmal in der Hoffnung, trotz des dumpfen Tonfalls ein selbstgefälliges Grinsen zu entdecken. Doch anstatt des in solchen Fällen üblichen sind-meine-Pläne-nicht-genial-Feixens, begegnet ihm nur eine völlig unbeteiligte Miene. Immer noch. Lacht er eigentlich überhaupt nicht mehr? Jonathan schluckt einmal schwer und konzentriert sich wieder auf die nächtliche Straße. Nach einem weiteren sichernden Blick in den Rückspiegel – keine Spur des verhassten schwarzen Wagens, vielleicht kann man sich ja doch auf Batmans Wort verlassen – biegt er ab in Richtung des Hafenviertels. Immer noch gärt der Zorn in ihm. Er hat nicht protestiert, als Joker ihm sagte, wem er das Gegenmittel geben wollte, aber das heißt nicht, dass er es gutheißt. Letztendlich ist es Jokers Angelegenheit und er weiß es besser als sich da einzumischen – wenn man bei Verstand ist, stellt man sich einem Raubtier nicht in den Weg. Seine Gefühle kann er jedoch nicht abstel-len und eine gewisse Verärgerung über diesen Risikofaktor steht ihm doch durchaus zu, oder? Immerhin begibt der Joker nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern nimmt das auch für Jonathan billigend in Kauf. Was nutzt denn sein ganzer ausgeklügelter Plan, wenn er solche Ausnahmen macht? Er muss sich schützen. Dringend. Ich werde nicht mit ihm untergehen. Niemals. Wenn sein ach so großer Plan schief läuft und Batman ihn hopps nimmt, bin ich meilenweit entfernt. Irgendwo tief in seinem Hinterkopf hört er Scarecrow schnauben. Haha, meldet er sich dann auch schon prompt. Jonathan schüttelt den Kopf und schiebt die Präsenz entschlossen zurück, als er spürt, wie diese versucht, die Kontrolle zu gewinnen. Scarecrows Eifersucht ist viel stärker als seine eigene, und einen Streit kann er jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Weder mit dem Joker noch mit sich selbst. Okay, gibt er daher notgedrungen seinem Alter Ego gegenüber zu, ich werde ihn nicht im Stich lassen können. Ich werde ihm helfen bei seinem ach so tollen Plan, aber nur, weil der wirklich genial und vielversprechend ist. Und wenn Batman ihn zurück nach Arkham bringt, werde ich ihn später da rausholen. Aber mehr nicht. Ich werde nicht zulassen, dass Bat-man uns nach Arkham bringt. Scarecrows Schweigen wertet er als Zustimmung. Joker neben ihm lässt Cranes Ärger und Misstrauen geduldig über sich ergehen. Wieso auch nicht? Schließlich hat sein Verbündeter und Weggefährte in allen Punkten Recht. Außerdem ist ihm viel zu übel, um unnötig Atem zu verschwenden. Auf dem Weg zu seinem sicheren Unterschlupf im Hafenviertel nimmt Crane so viele Umwege, fährt Kurven oder folgt der eigenen Spur, dass der Weg dorthin dreimal so lange dauert wie normalerweise. Und es ist nur ein Beweis für Cranes Paranoia, denn wäre Joker verwanzt, würden ihnen solche Manöver nicht viel nutzen und höchstens ein paar zusätzliche Minuten dabei für sie herausspringen. Normalerweise würde sich der Joker darüber lustig machen, doch heute nicht. Heute muss er die Schmerzen und das immer stärker werdende Gefühl der Leere bekämpfen, das sich in ihm auszubreiten droht. Das Hafenviertel gehörte früher zu einem jener Stadtteile, die, so schien es, den Narrows in punkto Kriminalität und be-ständigem Verfall den Rang streitig machen wollten - vor allem, nachdem der alte Hafen zugunsten des größeren und ganz einfach moderneren im Norden der Stadt endgültig dichtmachte. Jahrelang gammelte das einst so belebte, farbenfrohe Viertel vor sich hin, wurde düsterer und grauer und lebensgefährlicher und wurde aufgrund der alten Hafenanlagen zum illegalen Drogenumschlagsplatz. Es war Two-Faces bevorzugtes Jagdgebiet - denn wenn der gute alte Harvey Dent etwas nicht ausstehen konnte, so waren es Drogenbarone. - Wie auch immer, das alles änderte sich vor zwei Jahren, als die ganze Gegend nach einer riesigen Säuberungsaktion durch die Sicherheitsbehörden erst von den kriminellen Subjekten bereinigt und dann von Wayne Enterprises aufgekauft und saniert wurde. Der alte Hafen wurde zu einem Museum umfunktioniert und es wurde neuer Wohnraum für die Mittel-schicht geschaffen. Anonymisierte Wohnblöcke in Wasserlage prägen nun das dortige Stadtbild, es gibt dort eine Ein-kaufspassage, Kindergärten und zwei Schulen. Sogar die alte Hafenkneipe hat wieder geöffnet, auch wenn sie sich jetzt „Bar & Smoker‘s Lounge" nennt. Es ist nicht mehr zu leugnen: Bruce Wayne und sein Geld verändern diese Stadt beinahe noch nachdrücklicher als Batman. Jonathan weiß immer noch nicht, ob er sich darüber aufregen soll oder nicht. Bis er sich entschieden hat, nimmt er es von der sportlichen Seite. Außerdem ist es doch wirklich ein Brüller, wenn man mal genauer darüber nachdenkt, dass eine dieser kleinen neuen Wohnungen, erbaut und verwaltet von Wayne Enterprises, vom Joker zu einem seiner sicheren Verstecken erwählt wurde. Oh, Scarecrow würde wirklich nur zu gerne Bruce Waynes Gesicht sehen, wenn dieser erführe, dass der Joker höchstpersönlich einer seiner ersten Mieter war (und es immer noch ist). *** Durch die Tiefgarage in den Fahrstuhl zur obersten Etage, noch ein paar Meter über den dunklen Flur und hinein in die Wohnung ohne dabei jemanden zu begegnen oder gesehen zu werden. Es ist wirklich leicht, hier anonym zu bleiben, vor allem, wenn man eher nachts aktiv ist. Namen sind auch nicht nötig, die Wohnungen sind durchnummeriert und diese Nummer steht auch unten am Briefkasten. Das ist wirklich der richtige Ort für ein sicheres Versteck. Und dazu noch direkt unter Batmans Nase. Wie typisch für den Joker. Obwohl sie nur als sicheres Versteck dient, und daher nicht mehr als einen Schlafplatz benötigt, ist diese Wohnung voll-ständig eingerichtet. Harleys Handschrift, eindeutig. Immer noch, obwohl sie schon seit Monaten getrennte Wege gehen. Crane war noch niemals in dieser Wohnung gewesen - er hat bisher immer nur vor der Tür gewartet, und er ist überrascht über all die nutzlosen Dekorationen. Clowns wohin man sieht. In allen Variationen und allen Materialien. Zuviel für seinen Geschmack. Viel zu viel. Sein Widerwille muss ihm wohl deutlich ins Gesicht geschrieben stehen, denn der Joker neben ihm gibt plötzlich ein Geräusch von sich, das er schon lange nicht mehr gehört hat. Ein zwar sehr kurzes, aber dafür auch sehr ehrliches Lachen. „Furchtbar, ich weiß. Aber ich mag das Zeug. Es ist wie Harls: weich und warm. Es tut mir gut, verstehst du?" Jonathan nickt nur. Ja, inzwischen versteht er das. Auch wenn sich etwas in ihm bei dem Gedanken an Harley Quinn zusammenkrümmt. Das ist dieser leise Stich von Eifersucht, für den er sich schämt, für den er aber nichts kann. Als wäre er hier zuhause, geht er hinüber ins Schlafzimmer (bei nur drei Zimmern und offenstehenden Türen findet er das ohne Probleme), schnurstracks zum Kleiderschrank (die Front beklebt mit einem riesenhaften Clownsmotiv) und wühlt in den wenigen, säuberlich auf Bügeln hängenden und in Plastikbeutel gepackten Klamotten herum. Die Auswahl ist nicht besonders groß: alles, was der Joker trägt, ist von demselben Modell, demselben Schnitt und denselben Farben wie das, was er jetzt anhat. Alles vielleicht bis auf ... er zieht einen der Bügel heraus und starrt das Kleidungsstück unter dem durchsichtigen Plastik nachdenklich an. Orangegelb. Baumwollleinen. Metallschnallen. Lederriemen. Jokers ganz privater Witz, den er nach seinem allerersten Arkham Aufenthalt trug. Seine damalige Zwangsjacke, neu eingefärbt und zu einem mehr oder weniger normalen Shirt umgearbeitet. Passend. Schließen wir den Kreis. Der Gedanke ist da und lässt sich nicht wieder einsperren. Und so wandert das Shirt zu den anderen auf dem Bett hinter ihm. Plötzlich hängt der Geruch von wilden Beeren im Raum. Crane dreht sich um und sieht sich dem Joker gegenüber. Dieser starrt kurz auf die herausgelegten Kleidungsstücke, insbesondere das Shirt, aber wenn er eine Meinung dazu hat, behält er sie für sich. Dann dreht er seinen Kopf zu Crane, und als sich ihre Blicke treffen, zuckt der ehemalige Psychiater beinahe zurück. In Jokers roten Augen leuchtet eine Gier, schlimmer noch als bei einem halbverhungerten Raubtier. Crane beobachtet mit einer gewissen vorfreudigen Faszination, wie Jokers Blick über seine - Cranes - Lippen gleitet. Nur kurz, dann hat sich der Joker wieder in der Gewalt und sieht ihm wieder in die Augen. Doch die Gier in seinen unmenschlichen Pupillen ist immer noch dieselbe. „Zieh dich aus", hört sich Crane selber sagen. Seine eigene Stimme klingt ihm fremd. Viel zu kehlig. Und er sagt „aus" nicht „um". Ein klassischer Freud'scher Versprecher, den er jedoch um nichts in der Welt zurücknehmen würde. Er wartet nicht ab. Tut das, was er niemals tun sollte. Und es ist er, der dies tut, Dr. Jonathan Crane und nicht Scarecrow. Dieser Kuss schmeckt süßer als alle anderen zuvor. Vielleicht, weil er gegen die Regeln ist, die besagen, dass nur der Joker die Initiative ergreifen darf. Manchmal auch Scarecrow. Aber niemals Jonathan. Überraschenderweise leistet ihm Joker keinen Widerstand. Im Gegenteil: es entbrennt ein heftiges Zungenduell, ein Kampf um Dominanz, den Jonathan schon nach wenigen Sekunden zu gewinnen scheint. Als ihm das bewusst wird, kommt er ins Stocken. Und doch hört er nicht auf, ihn zu küssen. Wie könnte er auch? Joker krallt sich an ihn wie ein verzweifelt Ertrinkender, und zwischen ihren Mündern findet wieder dieser seltsame Energieaustausch statt. Ein Gefühl, das Jonathans Puls in ungeahnte Höhen treibt und ihn diesen sofort Kuss vertiefen lässt. Und dennoch … ein Teil von ihm ist wieder im Arzt-Modus. Er registriert ganz genau die Kälte von Jokers Lippen. Aber es sind nicht nur seine Lippen - er ist generell so kalt, als käme er direkt aus einem Schneesturm. Erst das hohe Fieber und jetzt diese Beinahe-Hypothermie? Jetzt ist Jonathan wirklich besorgt. Seine Finger lösen ihren festen Griff von Jokers grünen Dreadlocks und wandern hin-unter zu dessen Schultern. Er macht sich bereit, sich behutsam von ihm zu lösen, doch der Joker kommt ihm da zuvor. Ganz plötzlich beendet er diesen allesverschlingenden Kuss und dreht den Kopf beiseite. Er gibt Crane einen so harten Stoß vor die Brust, dass dieser überrascht nach hinten stolpert. „Entschuldige", stammelt der Joker. Seine Stimme zittert ebenso wie der Rest von ihm. Sein innerer Kampf ist nur zu offensichtlich. „Ich will das nicht. Wirklich. Es tut mir leid." Jonathan sieht, wie Jokers rechte Hand hoch zu seinem Mund wandert, wie sich seine Finger auf seine Lippen legen, als wollten sie irgend etwas zurückhalten und versteht augenblicklich. „Du musst dich nicht entschuldigen", erklärt er sofort. „Wirklich, das ist völlig in Ordnung." Er macht einen Schritt auf ihn zu, doch Joker weicht zurück und schüttelt abwehrend den Kopf. „Komm nicht näher. Bitte. Ich will dich nicht verletzen." Jonathan Crane hätte beinahe gegrinst. Solche Worte ausgerechnet vom Clown Prince of Crime zu hören entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Er lässt sich dennoch nicht beirren, denn sein ganzer Körper schreit nach mehr und er hat nicht vor, heute unbefriedigt nach Hause zu gehen. „Es ist in Ordnung, wirklich." „In Ordnung? Gar nichts ist in Ordnung! Ich weiß nicht, was das ist, aber ich bin ein Monster! Ich sauge dich aus! Zwar nicht dein Blut, aber...?" Er kommt nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Crane ist schneller. Blitzschnell hat er ihn an sich gezogen und seinen Mund mit seinem eigenen verschlossen. „Halt die Klappe", murmelt er dabei ungehalten. „Es fühlt sich großartig an, verstanden?" Für einen Moment starrt ihn der Joker nur aus weitaufgerissenen, roten Augen völlig überrumpelt an, doch Jonathan durchbricht seinen ohnehin brüchigen Widerstand sehr schnell. Er ist wild entschlossen, ihm zu beweisen, dass er ihn nicht fürchtet, weder ihn noch seine neuen Fähigkeiten, dass er es niemals getan hat und auch niemals tun wird. Seine paranoide Angst vor einer untergeschobenen Wanze ist nur noch eine vage Erinnerung, aber der angekündigte Kleiderwechsel eine angestrebte Option - jetzt mehr denn je, jedenfalls was den Teil mit dem „Ausziehen" betrifft. Ungeduldig beginnt Jonathan an Jokers lilafarbenen Mantel zu zerren, schiebt ihn über dessen Schultern, und das gute Stück ist noch gar nicht zu Boden gefallen, da nestelt er schon am Shirt herum. Während er seinen Mund noch nachdrücklicher auf Jokers Lippen presst, seine Zunge so tief in dessen Mundhöhle hineinstößt, dass er fast die Mandeln kitzelt. Das Gefühl von Macht durchpulst ihn. Es beginnt mit einem sanften Kribbeln in seinen Lippen, dort, wo sie die des Jokers berühren oder eher gesagt: in Besitz genommen hat. das Kribbeln breitet sich schnell aus, bis es seinen gesamten Körper durchpulst. Sein ganzes Leben lang hat sich Jonathan Crane schwach und unterlegen gefühlt, selbst Scarecrow konnte sein Potenzial nicht vollständig ausschöpfen. Denn ein Teil von ihm war immer dieser kleine, einsame Junge, verloren in den Weiten eines Weizenfeldes, angepflockt wie eine Vogelscheuche von bösartigen Nachbarskindern, umschwärmt von neugierigen Krähen. Bis zur Abenddämmerung hing er dort, vier Stunden seiner Kindheit, die ihn für immer prägten. Ein Teil von ihm war immer dort. Gefangen und hilflos und so erbärmlich schwach. Jetzt ist er frei. Was auch immer der Joker von ihm nimmt, ist nicht wertvoller als diese zerschmetterten Fesseln. Also hinfort mit dessen Zögern, mit dessen Vorbehalten. Jetzt gilt es, diese neugewonnene Kraft auszuprobieren und sich davon mitreißen zu lassen. Nur einen Wimpernschlag später wirft er ihn kompromisslos aufs Bett und ist über ihm. Die Vakuumbeutel mit den zuvor herausgesuchten Kleidungsstücken fallen vom Bett, dicht gefolgt von Jonathans Jacke. Mit rasender Geschwindigkeit hat Jonathan den Joker und sich selbst von der störenden Kleidung befreit. Nur für den Bruchteil unterbricht er ihren Kuss, gerade mal so lange, wie er braucht, ihm und sich das Shirt über den Kopf zu ziehen. Dann nimmt er sofort wieder diese köstlichen Lippen in Beschlag, saugt an ihnen, lässt im Gegenzug dazu ebenfalls aus-saugen, gefangen in einem Rausch, der jeden Rest Verstand zusammen mit seinen Skrupeln davonspült. Zurückhaltung war gestern. Heute holt er sich, wonach es ihm verlangt, kompromisslos und brutal und ohne einen Gedanken an etwaige Konsequenzen zu verschwenden. Jokers Haut ist eiskalt, aber sein Inneres ist heiß wie eine kleine Sonne. Jonathan pfählt ihn ungeduldig, dafür genügt ihm ein einziger, zielgerichteter Hüftschwung. Joker stöhnt erstickt, denn auch jetzt noch lässt Jonathan nicht von seinen Lippen ab. Schmerz und Lust vermischen sich zu einer bisher nie gekannten Form, zusammen mit den Echos seiner eigenen amourösen Abenteuer mit Harley, die noch in diesem Bett hängen. Es mag Monate her sein, aber Harleys Wärme, ihre Liebe zu ihm liegt noch immer in der Luft, wie ein schweres, benebelndes Parfüm. Genau wie sie damals bei ihm krallt er seine Finger jetzt fest in das warme Fleisch über ihm, so tief, bis Blut fließt. Alles in ihm schreit nach mehr und immer mehr und mehrmehrmehr… mehr Atem, mehr Schweiß, mehr Wärme, mehr Leben, das sich mit seinem vermischt. „Jonathan…“ es ist nicht mehr als ein erstickter Hauch, ein Raunen, das zwischen ihren wie festgeklebten Mündern entweicht. Ein Betteln nach Erlösung. Jonathan hält inne, nur für den Bruchteil einer Sekunde, es genügt ihm, um zu registrieren, dass die so eisige Haut des Mannes unter ihm wieder Wärme ausstrahlt, doch diese Information verschwindet schnell wieder im Nebel seiner Triebe. 20. Kapitel Leicht genervt starrt Selina ihr Spiegelbild in der chromblitzenden Oberfläche der Espressomaschine an, während sie da-rauf wartet, dass sich die kleine Tasse endlich füllt. Eine Strähne ihres blondgefärbten Haares (Blondinen erhalten statistisch betrachtet mehr Trinkgeld) hat sich aus ihrem strengen Zopf gelöst und sie streicht sie sich ungeduldig zurück hinters rechte Ohr. Vielleicht wird sie in diesem Job länger als die üblichen vier Wochen bleiben. Dieses Yuppie-Café ist zwar nur eine schlechte Nachahmung eines Pariser Bistros mit all den zierlichen Stühlen und beinahe noch zierlicheren Tischen und der hübschen Markise draußen über der Eingangstür, und es soll Weltoffenheit demonstrieren, wo eigentlich gar keine existiert, aber es erfreut sich regen Zulaufs bei einer Klientel, die sich die gesalzenen Preise leisten kann. Und das wirkt sich auch auf ihr Trinkgeld aus. Zusätzlich zu dieser fürchterlichen Haarfarbe. Sie zaubert ein falsches, aber dafür sehr strahlendes Lächeln auf ihre rot geschminkten Lippen, stellt den frischen Espresso auf ein Tablett und geht dann, um dem Gast an Tisch drei seinen grenzenlos überteuerten Kaffee zu bringen. Danach schlendert sie hinüber zu Tisch zehn, um die Bestellung aufzunehmen. Jemand, der sie genauer kennt, würde be-merken, dass ihr Lächeln etwas starrer, ihre Augen kälter und ihre Stimme übertrieben freundlich wirkt, als sie die beiden begrüßt. Und tatsächlich wirft ihr der große, dunkelhaarige Mann in dem eleganten Armani-Anzug einen kurzen Blick zu, während die Frau ihm gegenüber fröhlich ihren Wunsch abgibt und dann übergangslos weiterplappert. Selina kennt sie. Jeder hier kennt sie, schließlich flimmert ihr Gesicht jeden Tag mindestens dreimal über den Bildschirm. Vicky Vale. Selina kann sie nicht ausstehen. Doch sie nimmt lächelnd die Bestellung entgegen. Erst ihre und dann die ihres Begleiters. Dabei ist sie sich seines abschätzenden Blickes durchaus bewusst, doch er scheint ihre falsche Freundlichkeit als das zu verstehen, was sie ist: eine War-nung, sie offen anzusprechen. Immerhin weiß sie sich auch zu beherrschen, hätte sie ihm doch nur zu gerne die Augen ausgekratzt. Hatte sie ihm nicht deutlich genug zu verstehen gegeben, dass er sich von dieser Vicky Vale fernhalten soll? Glaubt er etwa, sie hätte in ihrer Warnung übertrieben? Dummer Junge. Dummer, dummer Junge. Sie spürt, wie eiskalte Wut in ihr emporkriecht und ist froh, den Tisch verlassen zu können, um jetzt das Bestellte zu holen. Das gibt ihr die nötige Zeit, sich wieder zu beruhigen - oder sich zumindest so weit in den Griff zu bekommen, dass ihr ihre Miene nicht verrutscht. Sie darf sich nicht allzu sehr einmischen, egal wie sehr es sie frustriert, die beiden zusammen zu sehen. Noch weiß niemand von ihrer Beziehung zu Alfred, am allerwenigsten Bruce Wayne. Also kann sie auch nicht einfach zu ihm hingehen und so etwas sagen wie: hör endlich auf mit deinen kleinen Affären, die dich nur unglücklich machen. Weil, wenn du un-glücklich bist, ist es auch Alfred. Und wenn mein Alfred unglücklich ist, bin ich es auch, weil er sich nicht voll und ganz auf mich konzentrieren kann. Ich habe es aber verdient, dass dieser wundervolle Mann nur für mich da ist. Nein, so etwas kann sie nicht sagen, auch wenn sie es noch so gerne täte. Aber sie muss trotzdem mit ihm reden. Zum Glück sind sie hier in einem Bistro und sie haben beide einen großen, schwarzen Kaffee zu ihren Croissants bestellt und draußen ist es feucht und kühl und es zieht jedes Mal ganz fürchterlich, wenn jemand das Bistro betritt. Sie muss also nur noch abwarten. Und zehn Minuten später, nachdem Tisch zehn seine Bestellung erhalten hat und Selina geschäftig von einem Tisch zum anderen gehuscht ist, Tische abgeräumt, Bestellungen entgegengenommen und gebracht und Trinkgelder kassiert hat, ist es endlich soweit: Miss Vicky Vale, angehende Starreporterin, knapp bekleidet und kurvenreich wie ein Model, zeigt, dass sie auch nicht anders ist als andere Frauen und verabschiedet sich in Richtung Toilettenräume. Mit katzengleicher Schnelligkeit und Eleganz huscht Selina heran und lässt sich wie selbstverständlich auf Vicky Vales Stuhl gleiten. Wenn ihre Chefin das sieht, könnte das ein Grund für ihren Rausschmiss bedeuten, aber darüber macht sich Selina keine Sorgen. Schließlich ist das hier nicht irgend ein x-beliebiger Gast, sondern Bruce Wayne. Er könnte dieses Etablissement kaufen und daraus ein Disney-World machen ohne dafür in mehr als seine Portokasse zu greifen. Anstatt sie also hinauszuwerfen, wird ihre Chefin eher entzückt davon sein, zu sehen, wie auffallend gut sich ihre Angestellte mit Bruce Wayne versteht. „Ich wusste nicht, dass du hier arbeitest, Selina", beginnt er das Gespräch mit etwas, das beinahe wie eine Entschuldigung klingt. Sie mustert ihn durchdringend. Aber wenn es ihm unangenehm ist, mit ihr an einem Tisch zu sitzen, kann er es gut verbergen. „Ich jobbe hier nur", stellt sie richtig. „Ich habe laufende Kosten. Miete, Strom, Wasser, Nahrung und all das andere Zeug. Nicht jeder ist Erbe einer der mächtigsten Firmen der USA. Manch einer muss sich seinen Lebensunterhalt auf anstrengen-de Weise verdienen." Sie sieht, wie sich seine rechte Augenbraue skeptisch in die Höhe schleicht, doch glücklicherweise ist er klug genug, nicht das auszusprechen, was ihm durch den Kopf geht. Darüber ist Selina mehr als froh, denn sie will ihm nicht zum wiederhol-ten Male erklären müssen, dass sie nur Dinge stiehlt, die ihr gefallen und die sie daher auch behält. Niemals käme sie auf den Gedanken, eines dieser Kleinode für solch unwürdige (aber leider überlebensnotwendige) Dinge wie Nahrung zu verkaufen. „Deine neue Haarfarbe steht dir", erklärt er stattdessen, charmant wie immer. Sie geht nicht darauf ein. „Du solltest dich besser nicht mehr mit ihr treffen." Und plötzlich fällt die Maske des stets gutgelaunten Playboys von ihm ab und sie sieht die Müdigkeit dahinter. Eine Müdigkeit, die von zu viel Kummer und Sorgen erzählt. „Ich mag sie", gibt er leise und etwas widerstrebend zu. „Und es ist nicht so einfach..." „Sie loszuwerden?" unterbricht sie ihn kühl. „Natürlich ist es das. Du bist ein Mann, ein reicher Mann, ihr seid Weltmeister darin, Frauen in die Wüste zu schicken. Was ist an ihr so besonderes? Was unterscheidet sie bitteschön von all den anderen Brüsten auf zwei Beinen, mit denen du dich bisher immer vergnügt hast?" „Sie ist gerade an einer interessanten Story über den Joker dran." Diese Antwort verblüfft sie wirklich. Sie hat mit etwas völlig anderem gerechnet: mit lautstarkem Protest, dass er sie wegen ihrer Wortwahl in die Schranken weist, ja, sogar wieder mit der altbekannten Selbstverleugnung. Aber es ist trotzdem eine sehr lahme Ausrede. „Die kannst du auch im Fernsehen sehen, wenn Miss Superreporterin damit fertig ist." „Wir essen hier nur eine Kleinigkeit. Das ist kein Date oder so." „Weiß sie das auch?" Und als er daraufhin nur betreten in seine Kaffeetasse starrt, beugt sie sich eindringlich zu ihm vor. „Ehrlich, Bruce - du musst dich von ihr trennen." Seine Antwort besteht nur aus einem kleinen, aber sehr, sehr tiefen Seufzer. Sie wirft ihm noch einen letzten, eindringlichen Blick zu und geht, bevor besagte Starreporterin zurückkommt. Bei Bastet - sie hofft wirklich, dass er einmal auf sie hört! Zunächst aber sieht es nicht so aus. Als Vicky Vale wieder zurück an den Tisch kommt, nehmen sie und Bruce das Gespräch wieder auf, als wäre gar nichts passiert. Selina bemüht sogar ihre Katzensinne, um einige Gesprächsfetzen zu erhaschen, doch die erwarteten Worte von Seiten des Millionärs bleiben aus. Anstatt dieser Frau einen Korb zu geben, fragt er sie nur höflich weiter nach ihren neuesten Recherchen aus. Es dreht sich tatsächlich um den Joker und das lässt Selina zögern - egal, wie gerne sie jetzt zu den beiden gestürmt und sich Vicky gegenüber als Bruce' heimliche Verlobte ausgegeben hätte, um eine Szene zu provozieren. Stattdessen geht sie wieder lächelnd zu ihnen hinüber und nimmt eine erneute Bestellung auf. Eis für Vicky und einen Café Latte für Bruce. Aber dann, kurz bevor sie sich umdrehen will um das Gewünschte zu holen, spürt sie es. Die Härchen auf ihren Unterarmen stellen sich auf und sie bekommt eine Gänsehaut. Ihr wird kalt. Jemand beobachtet sie. Und - bei Bastet - sie weiß auch ganz genau, wer! Sie will gerade einen verstohlenen Blick über die Schulter werfen, als sie Bruce Waynes Gesichtsausdruck bemerkt. Er ist blass geworden, geradezu aschfahl, und für einen klitzekleinen Moment huscht grenzenloser Schrecken über seine Miene, doch er hat sich schnell wieder in der Gewalt. So schnell, dass Vicky Vale überhaupt nichts bemerkt hat und weiter plappert. Das Merkwürdige ist nur: Bruce sitzt mit dem Gesicht zum Innenraum des Bistros, alles, was er sieht, ist der Verkaufstresen mit den Kaffeemaschinen und ein paar Gäste. Selina kommt aus dieser Richtung, dort ist niemand, der den Millionär derartig aus dem Gleichgewicht gebracht haben könnte. Und dann begegnen sich ihre Blicke, und Selina durchführt es wie ein Blitz: er spürt dasselbe wie sie. Da ist jemand, der sie beobachtet. Nein, berichtigt sie sich, da ist eine Präsenz, die uns beobachtet. Und - nun ja, sie weiß, um wen es sich dabei handelt. Wenn sie die Augen schließt (was sie tunlichst vermeidet) könnte sie ihn direkt vor sich sehen mit seinem blassen Gesicht und den glühenden roten Augen. Sie könnte sich jetzt umdrehen, den gesamten Raum absuchen oder zu den Fenstern hinübersehen, um nachzuprüfen, ob dieser jemand sie von dort aus anstarrt, ob er so real ist, wie vor ihrem inneren Auge, aber das wäre vergebene Mühe, das fühlt sie so sicher, wie sie ihre an den Fersen reibenden High Heels spürt. Bei Bastet - das ist unheimlich. Dann ist das Gefühl plötzlich vorbei, wie ein kalter Luftzug, der sich nur an einem warmen Sommertag verirrt hat. Zum ersten Mal ist Selina froh über diesen Job. Der Bestellblock in ihrer Hand und ihre Aufgabe geben ihr etwas, woran sie sich jetzt festhalten kann. Die Sicherheit der Realität, und mag sie in diesem Moment auch noch so banal sein, gibt ihr das Gefühl von Stärke. Und einen Grund, diesen Tisch zu verlassen. Geradezu erleichtert kreiselt sie herum und stakst hinüber zu den Kaffeemaschinen. Eis und Caf6 Latte. Alles andere geht sie nichts mehr an. Und doch fällt ihr zwei Minuten später ein Felsbrocken von der Größe Gothams vom Herzen, als sie mit der Bestellung zurück zu Tisch zehn geht. Denn jetzt sitzt Miss Vicky Vale ganz allein am Tisch und ringt um ihre Fassung. In ihren hübschen Augen schimmern ungeweinte Tränen, und selbst Selina fühlt bei diesem Anblick Mitleid in sich aufsteigen. Es ist hart. Sie kennt dieses Gefühl, das Vicky jetzt durchmacht, doch sie wird darüber hinwegkommen. Früher oder später gelingt es jedem. Aber jetzt, in diesem Augenblick, ist diese Frau noch sehr verletzt, und von daher verzichtet Selina auf ein ironisches Kommentar im Sinne von „wollen Sie den Café Latte trotzdem?" und stellt ihr nur schweigend das Eis vor die Nase. Auf der Tischmitte liegt eine fünfzig-Dollar Note, das ist mehr als genug und ein großzügiges Trinkgeld inbegriffen. Davon kann sich Vicky Vale noch sechs weitere Eisbecher bestellen, allerdings bezweifelt Selina, dass die junge Dame darauf Appetit hat. Schweigend steckt sie das Geld ein, sammelt das benutzte Geschirr auf ihr Tablett und verschwindet dann wieder. Den Café Latte gönnt sie sich selbst - bezahlt ist er ja schon. Und nach dem Schreck hat sie ihn wahrlich bitter nötig. *** Bruce flüchtet sich regelrecht in das Parkhaus dreißig Meter entfernt die Straße hinunter, dorthin, wo sein Sportwagen steht. Er hat nicht einmal einen Blick für den aufklarenden Himmel übrig. Selbst das wenige Blau, was da durch die auf-brechende Wolkenfront bricht, und mag es noch ein so seltenes Phänomen über Gotham City sein, vermag es nicht, ihn zu beruhigen. Er fühlt sich wahnsinnig mies. Vicky Vale ist nicht die erste Frau, der er einen Korb gegeben hat, aber doch eine der wenigen, mit denen er es ernst gemeint hatte. Mit ihr hätte er sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen können. Sie von einer Sekunde auf die andere derart vor den Kopf zu stoßen und zu sehen, wie sich das Strahlen in ihren Augen verdunkelt, hat ihn sehr mitgenommen. Aber nichtsdestotrotz fühlt es sich außerdem auch noch richtig an. In jenem Moment, wo er diese schicksalsschweren Worte sprach und auch jetzt, wenige Minuten später. Dieser Widerspruch irritiert ihn, und er schiebt es kurzerhand auf dieses merkwürdige Gefühl, das ihn plötzlich in diesem Bistro (das er zukünftig meiden wird wie die Pest) überkam. Und nicht nur er scheint es gespürt zu haben. Selina Kyle sah zwischenzeitlich auch sehr blass um die Nase herum aus. Und alleine deswegen ist er sich sicher, dass es keine Einbildung war. Da war noch jemand mit ihnen am Tisch, ein unsichtbarer Dritter, jemand, der ihn genau beobachtete. So nahe, dass Bruce glaubte, seinen Atem in seinem Genick zu spüren. Und dann, ganz plötzlich, war es da, dieses panikartige Gefühl, das seinen Herzschlag zu einem wilden, hämmernden Crescendo machte und ihn an Flucht denken ließ. Er fühlte sich ertappt ohne zu wissen, weswegen er sich hier schämen müsste, schließlich tat er nichts Unrechtes. Er saß nur mit einer sehr attraktiven Frau in einem Bistro, von der er sich eine weitere schöne Nacht erhoffte - zumindest so lange, bis ihn Selina ansprach und deswegen rügte. Und kurz darauf kam dann dieses Gefühl, heimlich beobachtet zu werden ... und in Verbindung mit Selinas Worten hatte das dann das Gefühl in ihm ausgelöst, etwas Ungeheuerliches zu machen. Noch immer ziemlich durch den Wind, lässt er sich hinter das Steuer seines Wagens sinken und atmet ein paar Mal tief durch. Tatsächlich vermag es der leichte Lederduft, den die Sitzpolster verbreiten und die Tatsache, sich in einem geschlossenen Raum zu befinden, ihn wieder etwas zu beruhigen. Er fühlt sich wieder sicher und fähig, logische Entscheidungen zu treffen. Nun ja, fast... „Hör zu", murmelt er in die leere Luft, nicht wissend, ob sie wirklich so leer ist. Und wenn sie es wirklich ist, bleibt dieses kleine Geheimnis wenigstens zwischen ihm und seinem Mercedes. „Ich werde sie nicht wieder sehen. Aber ich will, dass du sie auch in Ruhe lässt, okay? Keine irren Vergeltungsmaßnahmen oder so, okay? Verdammt, wer bist du überhaupt, dich hier so aufzuspielen? Du bist doch derjenige, der sich gerade mit Crane vergnügt." Er hält kurz inne, während er es nicht verhindern kann, dass ihm gewisse Szenen gewisser Überwachungsaufnahmen wieder in den Sinn kommen. Prompt steigen Wut und Trotz in ihm hoch. „Weißt du was? Nein, ich werde sie wieder sehen, wann immer ich will. Und andere Frauen. So viel ich will. Das geht dich nämlich alles gar nichts an!" Schweratmend hält er inne, sich peinlich bewusst werdend, dass er die letzten Worte tatsächlich geschrien hat. Himmel, er räuspert sich verlegen, zum Glück hat ihn hier niemand gehört. Auf die Schlagzeilen kann er auch gut verzichten. Und überhaupt benimmt er sich gerade sehr albern. Im Bistro wurde er von einer unsichtbaren Präsenz beobachtet, ja, aber nur für einige Sekunden lang. Jetzt spürt er gar nichts mehr in dieser Hinsicht. Und das ist auch gut so, denn er hat selten so viel Blödsinn von sich gegeben. Er wird Vicky Vale nicht wiedersehen - jedenfalls nicht privat, das ist beschlossene Sache (nach der Abfuhr, die er ihr erteilt hat, wird sie das auch gar nicht mehr wollen) und an anderen Frauen hat er gar kein Interesse. Ich muss wirklich aufpassen, was ich von mir gebe, sonst begehe ich noch aus fehlgeleitetem Stolz einen Riesenfehler. In Gefühlsdingen, resümiert er betrübt, bin ich wirklich eine ziemliche Niete. Sonstige selbstgeißlerische Gedanken werden abrupt von dem Klingelton seines Autotelefons unterbrochen. Ehrlich er-leichtert darüber, nimmt er das Gespräch an. Es ist Alfred. Sein alter Freund hält sich nicht erst groß mit Höflichkeiten auf und kommt sofort zur Sache. „Master Bruce, ich habe mir erlaubt, den Burgunder auf fremde Substanzen zu testen.“ „Den – was?“ beginnt Bruce verwirrt und runzelt angestrengt die Stirn. Doch dann erinnert er sich wieder an ihr kurzes Gespräch beim Frühstück. Er war nicht ganz bei der Sache, als Alfred sein Misstrauen plötzlich wiederentdeckte und ist es ehrlicherweise gesagt jetzt auch noch nicht. Giftige Substanzen, die nicht sofort zu Bewusstlosigkeit führen und ihm dadurch die Gelegenheit zu Entführungen geben sind nicht typisch für den Joker. Abgesehen von Smilex natürlich, aber das ist ein Gas und keine Flüssigkeit. „Und, was hat die Analyse ergeben?“ Bruce zwingt sich zur Konzentration. Alfred würde sich nicht melden, wenn es nichts Wichtiges zu berichten gäbe. „Es ist ja nicht so, dass ich unserem labilen Freund nicht trauen würde“, erklärt Alfred in seinem typisch trockenen, britischen Humor, „immerhin hat er auch etwas davon getrunken und ich weiß, dass er Ihnen niemals schaden würde, weil er einen Narren an Ihnen gefressen hat…“ An dieser Stelle muss Bruce einmal schwer schlucken, um den Kloß, der sich plötzlich in seiner Kehle gebildet hat, wieder loszuwerden. Zu seinem Glück erwartet Alfred keine Antwort und spricht schon weiter. „… und ich wollte ihm in dieser Angelegenheit einfach trauen, bis mir später dann einfiel, dass der Joker ja gegen viele Gifte immun ist. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass meine beginnende Sympathie für diesen Halunken mein Urteilsvermögen kurzfristig getäuscht hat. Auch jetzt, nachdem die Ergebnisse vorliegen, bin ich wirklich sehr zweigespalten. Im Burgunder befand sich kein Gift, aber etwas, was mich persönlich darauf schließen lässt, dass er a) etwas plant und b) ihm soviel an uns beiden liegt, dass er uns davor schützen will.“ „Wovon redest du da, alter Freund? Was hast du gefunden?“ „Ein Gegenmittel, das jenem gegen Smilex ähnelt, das Sie schon in Ihrem Repertoire haben. Es ist nur weitaus stärker und verfügt über einige Komponenten, deren Sinn sich mir entzieht.“ Bruce gibt ein unbestimmtes Brummen von sich und tippt sich nachdenklich gegen das Kinn. Nicht zum ersten Mal verflucht er den Umstand, nicht zu wissen, wo genau sich der Joker gerade aufhält. Natürlich könnte er wieder Jonathan Crane auf die Pelle rücken, aber er hat versprochen, genau das nicht zu tun. Und er fühlt sich an dieses Versprechen gebunden. Doch dann kommt ihm ein Gedanke. „Alfred, wenn er sich so viel Mühe macht, uns beide quasi zu impfen, bedeutet das doch, dass er damit rechnet, dass wir beide, um was auch immer es sich handelt mag, dort sein werden, nicht wahr?“ „Das klingt vernünftig, Bruce.“ „Okay“, Bruce holt einmal tief Luft und dreht den Schlüssel im Zündschloss. Mit einem leisen Schnurren erwacht der Hybrid-Motor zum Leben. „Ich muss gleich zu einer Vorstandssitzung. Mach du doch mal eine Liste von unseren gemein-samen, gesellschaftlichen Verpflichtungen in den nächsten Tagen.“ *** Der Kamin ist noch wie neu, nach der Renovierung hat er ihn bisher nur ein einziges Mal benutzt und Crane ist froh, dass sich in der Zwischenzeit kein Vogel im Schornstein eingenistet hat. Jedenfalls zieht das Ding ganz ordentlich. Als er zusieht, wie sich die kleinen Flammen langsam über das Papier fressen und auf diese Art und Weise jahrelange, akribisch zusammengetragene Notizen zu Asche zerfallen, überkommt den ehemaligen Psychiater ein Gefühl der Wehmut. Er hat den Joker nie direkt gefragt, woher er weiß, dass sich all diese Menschen genau zu diesem Zeitpunkt genau dort aufhalten werden, und jetzt wird er das auch nicht mehr fragen, denn er kennt die Antwort ja inzwischen. Und sie benötigen diese Aufzeichnungen nicht mehr. Dennoch tut es ihm leid, sie vernichten zu müssen. Natürlich ist es besser, keine Spuren zu hinterlassen, vor allem für ihn persönlich (er hat schließlich noch Bewährung), aber es fühlt sich trotzdem an wie ... der Anfang vom Ende. Er wirft einen Blick zum Joker hinüber, der auf der Couch hockt und anscheinend in den Fernseher starrt. Wenn man etwas genauer hinsieht, bemerkt man aber, dass ihn die über den Bildschirm flimmernde Seifenoper nicht im Geringsten interessiert und er nur Löcher in die Luft starrt. Er zögert. Jeder - na gut, jeder außer Harley Quinn - weiß, dass man den Joker niemals stören sollte, ganz egal, was er gerade tut, ganz egal, wie unwichtig es auch gerade scheint, man hat zu warten, bis er einem seine Aufmerksamkeit von alleine schenkt, aber das fällt Jonathan zunehmend schwerer. Jenes neue Selbstbewusstsein, mit dem er heute Morgen aufgewacht ist, das ihn dazu veranlasst hat, dem Joker diesmal zu widersprechen, im Labor anzurufen und sich einen Tag frei zu nehmen, drängt ihn, sich nicht mehr mit einer passiven Rolle zufrieden zu geben. Und so setzt er sich schon in Bewegung, noch bevor die erste blutige Träne aus Jokers Augenwinkeln rollt. „Wo warst du?" verlangt er schneidend zu wissen, während er neben ihm Platz nimmt. Der Joker wischt sich mit einer müde wirkenden Handbewegung über die Augen und schüttelt den Kopf. Er benötigt einige Sekunden, um sich wieder zurechtzufinden. Doch schlimmer noch als die anfängliche Orientierungslosigkeit und der einsetzende Schwindel ist das Gefühl der Leere in seinem Inneren. Er weiß, er müsste etwas empfinden, er weiß es, schließlich war es jahrelang so, doch nun, nachdem er Bruce zusammen mit den beiden Frauen gesehen hat, ist alles, was er fühlt, eine gewisse Traurigkeit. Aber auch die ist eher gedämpft, so als wäre sie unter einer dicken Watteschicht begraben. Nicht einmal Selinas Anwesenheit kümmert ihn - und dabei war diese Frau über Jahre hinweg eine ernst zu nehmende Konkurrentin! Und was Vicky Vale betrifft - wenn Bruce meint, mit ihr seine Zeit verbringen zu müssen, dann kann er ihn sowieso nicht daran hindern. Nur mit Gewalt, aber dazu will er keine rechte Lust verspüren. „Du warst bei ihm, nicht wahr?" Jonathans scharfe Stimme reißt ihn mit der Wucht eines Bulldozers aus seinen trägen Gedanken, und die Wut, die in ihr vibriert, schneidet ihm fast bis auf die Knochen. Sie und Jonathans scharfe Fingernägel, die sich nun fest in seine Handgelenke krallen. Jonathans blaugraue Augen sind plötzlich so dunkel wie ein sturmgepeitschter Ozean, und es ist nicht Scarecrow, den er in ihnen sieht, sondern sie beide - Jonathan und Scarecrow, in ihrem Zorn vereint. „Es ist mir egal, ob du das nur tust, um unseren Plan zu schützen. Ob es wichtig ist, dass wir wissen, was er vorhat. Es ist mir verdammt nochmal egal! Solange du hier bist, hier bei mir, hast du nicht an ihn zu denken, ist das klar? Du gehörst mir!" Joker blinzelt ihn einige Herzschläge lang nur verblüfft an und bricht dann völlig unvermittelt in lautes Gelächter aus. Das kommt so unerwartet, dass Jonathan im ersten Moment regelrecht erstarrt. Doch zu der anfänglichen Überraschung gesellt sich schnell die Freude über den Klang dieses so schmerzlich und lang vermissten Geräusches. „Du liebe Güte, little crow", der Joker lacht so heftig, dass er schließlich nach Atem ringt. „Du bist doch nicht etwa eifer-süchtig?" Doch, ist er. Und wie! Und zwar mit vollem Recht! Jonathan lässt seine Überraschung schnell hinter sich. Wütend verstärkt er seinen Griff um Jokers dünne Handgelenke und wirft sich dann mit vollem Körpereinsatz auf ihn. Er verzichtet auf eine verbale Antwort, denn die temperamentvolle Diskussion, die nun zwischen ihnen entbrennt, wird allein mit Zunge, Zähnen und Lippen fortgesetzt. Und sie kennt keinen Verlierer, nur zwei Gewinner. Jeden auf seine eigene, ganz spezielle Art und Weise. 21. Kapitel Platsch. Der Himmel über Gotham City weint. Das ist nichts neues, jeder in dieser Stadt hat sich daran gewöhnt. Doch hier oben, auf dem Dach eines dreißigstöckigen Wohngebäudes ist es so kalt, dass die Regentropfen zwischen zwei Aggregatzuständen hin und her taumeln. Als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie noch Regen oder doch schon Schneeflocken sein wollen. Unwillig wischt sich Jonathan Crane eine Strähne seines immer nasser werdendes Haares aus der Stirn zurück. Er friert und ist froh über die Lederhandschuhe, die er sich übergezogen hat. Eigentlich wollte er nur keine Fingerabdrücke hinterlassen, aber jetzt schützen sie ihn auch etwas vor der Kälte. Ebenso wie sein Mantel und der Schal. Eine Erkältung ist wirklich das Letzte, was er jetzt gebrauchen kann. Es ist die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag und dies ist der letzte Granatwerfer, den sie anbringen. Nicht alle stehen auf Dächern wie diesen, die Hälfte befindet sich in leeren Wohnungen, direkt vor den Fenstern, die zum Soccer Stadion hin-ausgehen. Das Fensterglas wird problemlos splittern und die Granate nicht von ihrem Ziel ablenken, hat der Joker versprochen. Und Crane hat gelernt, ihm zu glauben. Ebenso wie er ihm glaubt, dass die Wohnungen noch bis zum Wochenende leer stehen und niemand diese Dächer hier aufsucht. Auch kein zufällig vorbeifliegender Helikopter wird etwas bemerken oder ein Satellit Fotos von dieser Gegend schießen. Nicht einmal die erhöhte Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden und die starke Polizeipräsenz, die für das in zehn Stunden beginnende und sich über zwölf Stunden lang hinziehende Jubiläumsfest zum hundertjährigen Bestehen angesetzt wurde, wird etwas daran ändern. Das öffentliche Leben wird teilweise sehr eingeschränkt werden, wichtige Verkehrsadern werden quasi stillgelegt, all das aus Angst vor Anschlägen, doch ihre kleinen Vorbereitungen wird niemand entdecken. Punkt neunzehn Uhr werden ihre Granaten, gefüllt mit einer noch nie dagewesenen Mischung aus Smilex und Fear gas über dem Soccer Stadion explodieren. Zeitgleich mit dem großen Feuerwerk. Niemandem wird etwas verdächtig erscheinen. Bis sich das Gas, geruchslos und schwerer als Luft, langsam über die Menge senken wird. Die Ventilatoren der Klimaanlage werden es sogar in die verglasten VIP-Tribünen befördern, so dass niemand verschont wird. Niemand außer jenen, die ein reines Gewissen haben. Also werden außer den Kindern wohl nicht viele davonkommen. (Und Bruce Wayne und dessen Butler natürlich, aber daran will Jonathan nicht denken) Früher hätte er vielleicht gezweifelt, wenn auch niemals widersprochen, doch inzwischen weiß er, dass der Joker sich in solchen Dingen einfach nicht irrt. Er muss ihn nicht überzeugen, Jonathan weiß es einfach. Es ist ein Wissen, das ganz tief aus seinem Inneren stammt, eine Überzeugung, so fest und unerschütterlich wie das Wissen um den nächsten Sonnenaufgang. Und er ahnt, dass dieser Teil vom Joker stammt. Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, ist es nicht einmal mehr irritierend. Es ist im Gegenteil sogar ein Geschenk, das Jonathan auch zu schätzen weiß. Das und sein neues Selbstbewusstsein. Vielleicht resultiert das eine ja aus dem anderen, wer weiß? Fakt ist, dass er sich wohlfühlt in seiner Haut. Zum ersten Mal in seinem Leben. Mit einem lauten „plopp" landet der letzte Bolzen zwecks besserer Stabilität der Mini-Abschussanlage im Zementboden. Fertig. Abermals wischt sich Jonathan das nasse Haar aus der Stirn und dreht sich dann um, sieht hinüber, wo Joker mit der gefüllten Gasgranate steht. Doch er findet nur die Granate, sie liegt auf dem Boden, nass glänzend vom Regen, dort, wo er Joker stehen müsste. Der Joker jedoch - Jonathans Augen weiten sich schockiert - steht mitten auf der Brüstung. Die Arme ausgebreitet, den Kopf in den Nacken gelegt, lacht er dem Regen entgegen, ganz so, als würde nicht ein einziger falscher Schrift den sicheren Tod bedeuten. Jonathan stockt schier den Atem. Für einen Moment schließt er die Augen, um sich zu sammeln. Die Emotionen in seinem Inneren reichen von schierem Entsetzen und Panik bis hin zur Fassungslosigkeit. Am liebsten würde er zu ihm springen und ihn von dort herunter reißen, aber er befürchtet, ihn zu erschrecken und damit den Sturz in den Tod erst recht auszulösen. Erst mit einiger Verspätung, und nachdem ihm der Wind ein weiteres Lachen herüberweht, begreift er, was hier geschehen ist. Er ist wieder da, schießt es ihm durch den Kopf, zusammen mit den Erinnerungen. Szenenhafte Bilder, die in seinem Geiste aufblitzen wie schmerzhafte Brennesselstiche. Der Joker, energiegeladen und bisweilen leichtsinnig auf Dachfirsten und Mauern balancierend, bekannt für solche Tänze im Mondlicht auf der Flucht vor Batman und mit dieser katzenhaften Leichtfüßigkeit, die der der berühmten Catwoman in nichts nachsteht. Damals hatte er keine Angst um ihn - eher im Gegenteil. Manchmal hat er sogar auf einen Fehltritt, einen Sturz gehofft. Aber meistens war ihm dieses Gebaren egal. Wie sich die Zeiten doch ändern. Und dann trifft es ihn wie ein Schlag. Nicht die Tatsache, dass er diesen Kerl inzwischen liebt (nein, das weiß er schon längst), sondern die Erkenntnis, dass er sich den anderen Joker, diesen stillen, ernsten, manchmal sogar regelrecht melancholischen Menschen, zurück wünscht. Weil das dort ... nicht echt ist. Wie das letzte Aufblitzen hellen Sonnenlichts durch dunkle Gewitterwolken ist dies dort nicht mehr als eine schwache Ahnung von dem, was ohne diese Wolken war und sein könnte. Das letzte Aufbäumen eines sterbenden Körpers, der kurz vor dem endgültigen Exitus noch einmal zu seiner alten Kraft und Stärke zurückfindet. Beim Gedanken daran schnürt es ihm die Kehle zu. Langsam schlägt er die Augen wieder auf, zwingt sich, dorthin zu sehen, zuzusehen, wie der aufkommende Sturm an Jokers Mantel reißt und zerrt, wie er mit seinen grünen Haaren spielt und wie seine weiße Haut im Regen glänzt. Er zwingt sich dazu, diesen Anblick tief in sich aufzunehmen - denn wer weiß, vielleicht ist es das letzte Mal, dass er ihn so sehen wird? Und so gönnt er sich selbst und dem anderen noch eine Minute, bevor er sich mit knackenden Kniegelenken aus seiner Hockstellung erhebt und mit einem tadelnden „Joker" auf die liegen gelassene Granate zeigt. Es ist nicht laut, dieses eine Wort, der Wind ist lauter, aber der Joker hört ihn trotzdem. Er dreht sich - noch immer lachend - zu ihm um, und wieder bleibt Jonathan bei diesem Anblick fast das Herz stehen. Und dann setzt sein Herzschlag tatsächlich für die Dauer einiger Sekunden aus, denn eine besonders starke Windböe lässt den Joker schwanken wie ein Schiff im Sturm. Seine nackten Füße finden auf dem nassen Beton keinen Halt mehr. Er rettet sich mit einem Sprung nach vorne auf das sichere Dach. Und grinst. Es ist dieses überall bekannte, unnatürlich breite Grinsen, das sein Gesicht in zwei Hälften teilt und eine stattliche Anzahl kräftiger Zähne entblößt. Ein typisches Joker-Grinsen eben. Jonathan versucht, eine neutrale Miene beizubehalten, will sich nicht anmerken lassen, wie stinkwütend ihn das Verhalten des anderen macht. Wie sehr es ihn danach drängt, diesem Kerl für seinen Leichtsinn eine zu kleben. Nicht nur einmal, nein, am liebsten links und rechts und wieder links. Und dann zum Abschluss noch einmal rechts, denn Jokers Grinsen wird noch strahlender, noch vergnügter - keine Spur von Zerknirschung - als er sich bückt, um die vergessene Granate aufzuheben. Nicht nur das, zu allem Überfluss zwinkert er ihm sogar noch zu, als er an ihm vorbei schlendert und die Granate endlich an ihren Platz bringt. „Zufrieden?" will er dann auch noch, grinsend und provokant, wissen. Jonathan starrt ihn nur grübelnd an. Der Regen, die Kälte, der Wind um ihn herum ist plötzlich vergessen. Er hat nur Augen für ihn. Da ist plötzlich dieses Gefühl eines Déjà-vu. Er fühlt sich zurückversetzt in diese Nacht vor elf Monaten, dunkel und kalt und verregnet wie diese hier, an dieses leerstehende, halb verfallene Haus in den Narrows, wo das zwischen ihnen, diese merkwürdige Liebesbeziehung, ihren Anfang nahm. Der Joker, auf dem staubigen Boden liegend, gefangen in einem Crackrausch. Und selbst in seinen laszivsten Bewegungen noch so elegant wie eine rollige Katze. Der Blick aus diesen halbgeschlossenen, roten Augen traf ihn damals völlig unvorbereitet, fuhr ihm bis ins Mark, hat sich bis in Seele und Herz hineingefressen und dort den Keim für etwas gelegt, das er nie im Leben erwartet hätte. Damals, in besagter Nacht, hat er sich genauso gefühlt wie jetzt. Es ist ein merkwürdiges Sammelsurium aus Verunsicherung, Wehmut und Begierde. Diese Erinnerung, dieses Déjà-vu, dauert vielleicht nur den Bruchteil einer Sekunde, doch genau wie damals ist er mit einem einzigen großen Schritt beim Joker und umklammert seine Handgelenke so fest, dass er die Knochen durch das dicke Leder seiner Handschuhe spüren kann. Aber als er ihn küsst, ist es nicht mehr wie damals. Wie könnte es auch? Dafür haben sie das hier schon viel zu oft ge-macht, dafür haben sich ihre Küsse - vor allem in den letzten vierundzwanzig Stunden - viel zu stark verändert, bedenkt man ihren gegenseitigen Austausch von Energie. Er will auch nicht, dass es wie damals endet. Das in diesem Lagerhaus war lieblos und brutal und so ist es schon lange nicht mehr. Jokers Lippen sind kalt, aber sein Atem ist warm. Er riecht nach Regen und wilden Beeren, und er schmeckt nach dem Donut, den er auf dem Weg hierher gegessen hat. Aber mehr ... gibt es diesmal nicht. Das erwartete Gefühl, wie etwas aus ihm herausfließt bleibt genauso aus wie das, dass er im Austausch dafür etwas zurückbekommt. Das hier ist nur ein Kuss, mehr nicht. Noch ein letztes Mal taucht Jonathan Crane tief mit der Zunge in den Mund des anderen, prüfend, tastend, suchend. Doch es ist vergebens. Verwirrt und ja, auch enttäuscht, zieht er sich wieder zurück. Und erntet dafür ein ungnädiges Knurren. Er hält Jokers Handgelenke noch immer schraubstockartig umklammert, doch jetzt wehrt sich dieser dagegen, und Jonathan lässt ihn bereitwillig los. Sofort fahren Jokers Hände nach oben, verkrallen sich in seinem Schal und Mantelkragen. Rote Augen funkeln ihn aufgebracht an. „Nicht hier", beschwichtigt Jonathan dessen aufkeimenden Protest schnell. „Lass uns irgend wohin gehen, wo es nicht so nass und kalt ist." Spöttisch zieht Joker die linke Augenbraue in die Höhe. „Was ist los, Johnny? Hast du etwa Angst, dich zu erkälten?" Um MICH mache ich mir keine Sorgen, denkt dieser; aber laut sagt er nur: „Ich bevorzuge es nun einmal gemütlich, wenn wir es miteinander treiben." Und das ist nicht gelogen. Die Zeit für dunkle Seitengassen und dreckige Lagerhäuser ist in seinen Augen ein für alle Mal Geschichte. „Oh, wirklich?" unvermittelt tritt der Joker einen Schritt zurück, mustert ihn von oben bis unten und wieder zurück und beginnt dann wieder bis über beide Ohren zu grinsen. Aus diesem Grinsen wird sein bekanntes, hyänenartiges Gelächter, als er plötzlich herumwirbelt und davonrennt. „Na, dann fang mich doch erst mal!" Was ... ? Verdutzt blinzelt Jonathan ihm nach. Es dauert eine Weile, bis er sich wieder gefasst hat, und dann ist Joker schon längst im Treppenhaus verschwunden. Ja, tatsächlich, kommentiert Scarecrow in seinem Hinterkopf belustigt, er ist wieder ganz der Alte. Jonathan kann darüber allerdings nicht lachen. Missmutig macht er sich daran, dieser grünhaarigen Pest zu folgen. Es wird eine regelrechte Jagd durchs Treppenhaus und über dunkel daliegende Flure daraus. Dreißig Stockwerke sind keine Kleinigkeit, und am Ende weiß Jonathan nicht, ob die Nässe an seinem Körper noch vom Regen stammt oder schon von seinem eigenen Schweiß. Sein Atem geht stoßweise, keuchend und klingt alles andere als gesund. Sein Herz rast und seine Lungen schmerzen, von seinen Muskeln mal ganz zu schweigen. Der Joker ist nie weit weg, immer, wenn er glaubt, ihn verloren zu haben, taucht er in Sichtweite wieder auf, lachend, winkend, herausfordernd. Für ihn ist das alles ein Riesenspaß. Das macht Jonathan wütend und mobilisiert zusätzliche Kraftreserven. Im Erdgeschoss, kurz bevor er aus der Haustür schlüpfen kann, holt er ihn schließlich ein. „Hab dich." Seine Finger landen in dichten, grünen Dreadlocks und ziehen ihn daran zurück. Der Joker stößt einen kleinen Schrei aus, in dem sich Überraschung und Schmerz die Waage halten. Dann lacht er wieder. Und er lacht immer noch, als Jonathan ihn herumwirbelt und er mit dem Gesicht voran an der nächsten Wand landet. „Wow", gesteht er kichernd und nicht minder atemlos als Jonathan, „das war gut. Fast so gut wie mit Batsy." Und dann stöhnt er leise auf, fühlt er sich doch noch fester an das alte Gemäuer gedrückt. Jonathan drückt sich mit seinem gesamten Körpergewicht gegen ihn, nagelt ihn dort regelrecht fest und Joker spürt, wie die Wärme beginnender Erregung in ihm emporsteigt. „Batman?” Jonathans Stimme ist ganz heiser vor Eifersucht. Sein Atem, schnell und heiß, streift Jokers linkes Ohr und bringt diesen zum Erschauern. Jonathan registriert dies mit großer Genugtuung. Er zwängt seine Hand zwischen Wand und Jokers Körper und fasst ihm mit grimmiger Entschlossenheit zwischen die Beine. „Würde Batman das mit dir machen?" Jokers Aufkeuchen ist Musik in seinen Ohren. „Oder das hier?" Die andere Hand abermals in Jokers Haaren vergrabend und daran ziehend, zwingt er ihn, dem Zug zu folgen und den Kopf in den Nacken zu legen. Nun kann Jonathan seinen Hals ganz bequem erreichen und platziert auf der schneeweißen Haut eine Reihe kleiner Küsse. „Oder das?" Seine Hand auf Jokers Schoß rutscht etwas weiter nach oben, beginnt, etwas umständlich Knopf und Reißverschluss der Jeans zu öffnen. Taucht dann unter den Stoff und trifft auf heißes, pochendes Fleisch. Triumphierend packt Jonathan richtig zu, fest zu und Jokers Aufbäumen und spitzer Schrei ist Balsam für seine Seele. „Antworte! Würde Batman, das je mit dir machen?" „Little crow..." „Antworte!" Er weiß genau, wie und wo er seine Finger einsetzen muss, um den Joker von null auf hundert zu bringen, und er ist sadistisch genug, um seinen Spaß daran zu haben ohne dabei an sich selbst Hand anlegen zu müssen. Er wartet, bis der Joker zu einem wimmernden, zitternden Etwas geworden ist, auf der verzweifelten Suche nach Erlösung und verlangt in harschem Befehlston wieder eine Antwort. „Nein", stößt der Joker daraufhin beinahe winselnd hervor, „nein. Nein. Nein." Er ist kurz vor dem Höhepunkt. Jonathan drückt ihm noch einen letzten Kuss auf den Hals, direkt auf die empfindliche Stelle zwischen Ohr und Kinnlinie und lässt ihn dann abrupt los. Er zieht sich vollständig zurück. Erst einen Schritt, dann zwei. Der Ton, der daraufhin Jokers Kehle entweicht, ähnelt dem Klagelaut eines gequälten Tieres. Jonathans Lippen verziehen sich zu einem schmalen Lächeln. „Das ist deine Strafe", erklärt er mitleidslos. „Dafür, dass du mich gezwungen hast, dir dreißig Stockwerke nachzulaufen. Und dafür, dass du an ihn denkst, wenn du mit mir zusammen bist." Der Joker steht da wie zur Salzsäule erstarrt. Dann zucken seine Hände, mit denen er sich bisher an der Wand abgestützt hatte, nach vorne zu seiner Hose. Für einen Moment glaubt Jonathan, er würde zu Ende bringen, was Jonathan eben so boshaft unterbrochen hatte - es wäre eine der normalsten Reaktionen, nur noch einen oder zwei Atemzüge vom Höhepunkt entfernt. Doch der Joker beweist ihm eine schier erstaunliche Selbstkontrolle, indem er sich einfach nur wieder richtig anzieht. Und für einen Moment befürchtet Jonathan, zu weit gegangen zu sein, wird ihm doch plötzlich bewusst, wie sehr dieser Mann ihm wirklich vertrauen muss, um sich ihm derart hingeben zu können. Doch noch bevor er sich zu einer Entschuldigung durchringen kann, dreht sich der Joker zu ihm um. Sein Gesicht ziert – Jonathan traut seinen Augen nicht – das breiteste Grinsen aller Zeiten. Doch dann fällt ihm auf: es erreicht seine Augen nicht. Die sind kälter als die Arktis. „Das muss ich dir lassen: Mut hast du ja.“ Jonathan schluckt einmal unbehaglich, weicht aber nicht zurück. Stattdessen richtet er sich zu seiner vollen Größe auf und reckt trotzig das Kinn höher. „Das hast du verdient.“ „Ich gehöre dir nicht.“ „Ich dir aber auch nicht.“ Für die Dauer einiger Sekunden starrt ihn der Joker nur an. Mehr denn je ähnelt sein Grinsen einem Zähnefletschen. „Du wirst dafür büßen.“ „Ich weiß“, entgegnet Jonathan leise und tastet nach der Tür hinter sich. Und als der Joker schließlich, einen gutturalen Schrei ausstoßend, die Arme nach ihm ausgestreckt und die Finger zu Klau-en gebogen, auf ihn zustürzt, wirbelt er schnell herum, reißt die Tür auf und stürmt hinaus in die Nacht. Er rennt, so schnell ihn seine erschöpften Beine tragen. Weit kommt er nicht. nur bis zu seinem Fiat auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dann ist der Joker über ihm. Doch anstatt Furcht verspürt er nur den Drang zu lachen. Er ist mir hinterher gelaufen. Er ist mir TATSÄCHLICH hinterher gerannt! Und als ihn der Joker an der Schulter packt herumwirbelt, um ihm seine Faust ins Gesicht zu schmettern, nimmt er den Schlag voller Stolz entgegen. *** Der Fiat ist klein, aber nicht zu klein dafür. Der Rückbank erweist sich als überraschend gemütlich. Oder liegt das nur daran, dass sie Schlimmeres gewohnt sind? Jonathans Unterlippe blutet, der Joker hat einen ordentlichen Schwinger gelandet, aber das Blut ist schnell fort – weggeküsst. Joker kann Blut wieder kosten ohne dabei Angst zu verspüren, wieder zu einem Vampir zu werden. Nicht, dass er dieser Erkenntnis mehr als eine flüchtige Sekunde gönnt. Zu groß ist der Rausch des Verlangens, der sie beide hier in Brand steckt. Ungeduldig zerren sie sich die Kleider vom Leib, streicheln und küssen jeden Zentimeter freigelegter Haut, reiben ihre hitzigen Körper aneinander, werden zu einem Knäuel ineinander verschlungener Körperglieder, heiß und zitternd vor Begierde. Es ist leider nur allzu schnell vorbei. Zurück bleiben zwei ermattete, aber absolut befriedigte Männer, deren Ruf als Superkriminelle einen argen Schaden genommen hätte, wenn jetzt jemand einen Blick zu ihnen hineingeworfen hätte. Glücklicherweise sind die Scheiben des Fiats hoffnungslos beschlagen. Als sie wenig später nach Hause fahren – Jonathan wie stets auf dem Fahrersitz und der Joker daneben – wirken beide sehr gelöst und zufrieden. Aber nur einer von ihnen ist es wirklich. Den Joker plagen düstere Gedanken. Jonathan zuliebe lässt er sie sich aber nicht anmerken. Es war kein Zustand von Dauer. Er ist wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt, Leuchter und strahlender als alle anderen und kurz bevor der Docht endgültig verglüht ist, gibt es noch eine große Stichflamme. Noch ein letztes Mal den Rausch reiner Lebensfreude durchmachen, beginnend mit dem Hochgefühl der Jagd, als Gejagter und als Jäger, als Verlierer und Sieger, Geliebter und Verschmähter, Reaktio et Actio. Es ist ein Abschied. Ein schöner, wie er zugeben muss. Er passt zu ihm. Der Krieg in seinem Körper ist schon längst entschieden. Er weiß es. Er weiß es mit jedem Atemzug, der ihm noch vergönnt ist. Aber er hat es akzeptiert und ist dankbar für das bisschen Zeit, das ihm noch bleibt. Solange er nur bis zu seinem großen Coup durchhält. Die leise Berührung von kühlen Fingern auf seinem linken Knie schreckt ihn aus seinen Gedanken. „Alles wird gut“, erklärt Jonathan und wirft ihm einen so langen Seitenblick zu, wie es die Straßenverhältnisse zulassen. Er lächelt aufmunternd, und die Wärme in seinen blaugrauen Augen verursacht dem Joker einen Kloß im Hals. Er räuspert sich einmal. „Natürlich wird es das“, erwidert er dann, ihn absichtlich missverstehend. „Es ist schließlich der beste Plan, den ich je hatte.“ „Das meinte ich nicht“, kommt die leise, beinahe zärtliche Antwort. Noch ein letzter, aufmunternder Druck an Jokers Knie, dann nimmt er seine Hand wieder zurück ans Steuer. „Alles. Wird. Gut.“ Wiederholt er, nachdrücklich jedes einzelne Wort betonend. Und merkwürdig – der Joker glaubt ihm. *** Kapitel 11: Kapitel 22 -24 -------------------------- 22. Kapitel Chaos. Überall herrscht Chaos. Vor einer Minute noch hatten sie das Feuerwerk bewundert, und jetzt, ganz plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, hat sich die ausgelassene Stimmung in etwas verwandelt, das selbst ihm eine Gänsehaut beschert. Die Luft ist erfüllt von Geschrei und Wehklagen und das alles wird immer wieder unterbrochen von hysterischem Geläch-ter. Und es ist dieses Gelächter, das ihm den entscheidenden Hinweis gibt. Im ersten Moment ist Bruce überrascht, dann erstaunt und schließlich sogar wütend auf sich selbst. Bei allen möglichen Anschlagszielen hat er nicht eine Sekunde lang an das Soccer Stadion gedacht - und das nur, weil dies kein Termin ist, den er zusammen mit Alfred wahrnimmt. Alfred hat als Bediensteter keine Einladung für das Feuerwerk bekommen und selbst wenn, wäre er von hier fortgeblieben, denn nichts widerstrebt ihm mehr als Massenveranstaltungen dieser Art. Mal wieder scheint es so, als habe er das Handeln des Jokers gründlich missinterpretiert. Das Gegengift war nicht für ihn und Alfred gedacht gewesen, sondern nur für ihn. Alfred diente hier entweder als Kollateralschaden oder - was ihm we-sentlich wahrscheinlicher erscheint - als eine falsche Fährte. Schließlich handelt es sich hierbei um einen Plan des Jokers. Verworren, widersprüchlich, chaotisch - wie dieser Mensch nun einmal ist. Und doch, wie Bruce inzwischen weiß, gibt es für alles, was er macht, einen guten (und meist auch nachvollziehbaren) Grund. Er hat mich an der Nase herumgeführt. Nicht ohne eine gewisse Hochachtung muss er daran denken, während er langsam aus seiner Erstarrung erwacht. Das Gas hat die VIP-Lounge mit etwas Verzögerung erreicht, doch es war nicht lange genug, als dass sie vorgewarnt gewesen wären. Daher saßen und standen alle noch auf ihren Plätzen, anstatt in blinder Panik auf die Tür loszustürzen. Er sieht zu, wie sich ihre dem gängigen Schönheitsidealen nach geliftete und mit Botox behandelte Gesichter in verzerrte Fratzen verwandeln, während ihre Dämonen sie einen nach den anderen einholen. Die meisten von ihnen verfallen in Wehklagen, unterbrochen von abgehackten Gekicher, aber es gibt auch einige, die keinen Ton sagen, die nur stumme Trä-nen vergießen, die Augen weit aufgerissen, geschüttelt von einem tonlosen Gelächter. Sie alle verlieren irgendwann die Kontrolle über ihren Körper und sinken zu Boden, hilflos und schwach, gefangen in ihrem ganz persönlichen Alptraum. Mitleid erfüllt Bruce' Herz und er wendet sich schon an den ihm am nächsten Stehenden, um ihm zu helfen - einen Ölmag-naten, wie er weiß, als sich dessen Gestammel plötzlich zu deutlichen Worten formt. „Schatz, du musst mir glauben, ich kenne diese Frau nicht..." Bruce erinnert sich an die Gerüchte, die ihm zu Ohren gekommen sind. Er erinnert sich an Affären, hohe Abfindungen, ständig wechselnde Sekretärinnen. Also nichts wirklich Unübliches in seinen Kreisen. Nichts, worüber er früher nicht großzügig hinweggesehen hat, schließlich ging ihn das Privatleben seiner Geschäftspartner nichts an. Je mehr Macht ein Mensch hat, desto größer der Verfall der eigenen Moral, das weiß jeder. So lange er sich solche Männer nicht zum Vorbild nimmt... Doch diesmal ist etwas anders. Er weiß nicht warum, aber plötzlich verspürt er Ekel. Es ist ihm schier unmöglich, diesen Mann auch nur zu berühren. Von allen Seiten dringen jetzt Wortfetzen an seine Ohren und jeder von ihnen zeugt von einem anderen Grad moralischen Verfalls. Und er ertappt sich bei dem Gedanken, dass es ihm Recht geschieht. Dass es ihnen allen Recht geschieht. Ich kann ihnen so wieso nicht helfen. Vielleicht aber kann er den Verursacher dieser Katastrophe dingfest machen. Entschlossen tastet er sich vor zur Tür, wen-det sich bewusst von dem Anblick dieser bedauernswerten Menschen ab, für die Mitgefühl zu empfinden ihm mit jedem Wort, das sie sagen, schwerer fällt. Draußen auf den Rängen ist das Chaos schon allein durch die Masse an Menschen noch viel größer. 80.000 Männer und Frauen, in Angst und Schrecken versetzt. Nur der Tatsache, dass sie das Gas zugleich auch schwächt, ist es zu verdanken, dass keine Massenpanik ausgebrochen ist. Der kleine, analytische Teil von Bruce meldet ihm, dass es auch hier keine Armen getroffen hat. Die Karten für das Spek-takel im Soccer Stadion waren für die wenigsten Normalbürger erschwinglich. Für das Proletariat stehen die Festivitäten in den anderen drei Stadien Gotham Citys zur Verfügung. Die wenigen aus der gehobenen Mittelklasse oder Arbeiter, die sich ihre Karten hart vom Munde abgespart haben, die Hot-Dog-Verkäufer und von der Security machen nicht einmal ein Fünftel der Besucher aus. Der Joker hat seine Drohung wahrgemacht: das hier gilt hauptsächlich der High Society. Unter all denen, die sich wehklagend auf den Boden werfen, gibt es aber auch jene, die gegen das Gas anscheinend immun zu sein scheinen. Kinder und Jugendliche hauptsächlich. Aber auch Erwachsene. Bruce sieht eine kleine Gruppe von Men-schen, augenscheinlich Vater, Mutter und drei Kinder, geschockt und verwirrt, aber offensichtlich nicht infiziert, die lang-sam und einander helfend, dem Ausgang zustreben. Andere, die ebenfalls nicht betroffen sind und denen sie auf dem Weg begegnen, werden von ihnen stillschweigend an die Hand genommen. Ihnen allen steht die Furcht ins Gesicht geschrieben, doch die Art, wie sie sich umeinander und völlig Fremde kümmern, berührt etwas tief in ihm. Sobald er Zeuge dieser Menschlichkeit wird, fallen ihm immer mehr auf, denen das Gas anscheinend nichts anhaben kann - darunter sind auch einige in Uniform - und sie alle bemühen sich sowohl um die hysterisch Lachenden wie auch um die hilflos herumirrenden Nichtbetroffenen. Es gibt doch noch gute Menschen, fährt es Bruce durch den Sinn. Dieser Gedanke treibt ihm ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen. Und plötzlich entdeckt er ihn. Fünfzig Meter entfernt, zehn Ränge unter ihm, im Zentrum des Geschehens, spaziert er an den Menschen am Boden vorbei. Hochgewachsen, dürr, gekleidet in einen verschlissenen braunen Mantel und mit einem Jutesack über den Kopf gezogen, darüber einen spitzen Hut, unter dem Stroh hervorlugt... „Scarecrow!" Sein Ruf geht im Wehklagen und Schreien um ihn herum unter. Er versucht es erneut und geht der unheimlichen Gestalt diesmal entgegen. Er fühlt sich nicht wohl, ihm nur als Bruce Wayne entgegen zu treten, ohne sein Batman-Kostüm fühlt er sich richtiggehend nackt und hilflos, doch ihm bleibt keine Wahl. Wieder ruft er, und diesmal wird er gehört. Langsam dreht Scarecrow den Kopf in seine Richtung und starrt ihn aus seinen Knopfaugen an. Natürlich weiß Bruce, dass unter diesem Jutesack ein menschliches Gesicht steckt, und dennoch jagt ihm dieser Anblick ein unangenehmes Kribbeln über die Haut. Scarecrow wartet, bis er auf wenige Meter an ihn heran gekommen ist. Ihm liegt nicht der Sinn danach, sich schreiend verständlich zu machen. Er ahnt zwar, was den Millionär umtreibt, hebt aber dennoch vorsichtshalber seine Gaspistole und zielt damit mitten auf dessen hübsches Gesicht. „Sieh an", höhnt er dann. „Na, wenn das nicht unser stadtbekannter Playboy ist, der gerne den Helden mimt." Bruce stockt, jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dieser antrainierte Reflex der Selbstverleugnung ist diesmal nicht nur völlig fehl am Platze, sondern wäre auch im höchsten Maße lächerlich. Sie wissen beide, wer unter der Maske des jeweils anderen steckt. „Wo ist der Joker?" will er stattdessen von Scarecrow wissen. Suchend lässt er seine Blicke über die Menge schweifen, als erwarte er ernsthaft, dass der Gesuchte plötzlich hinter einem Sitz auftauchen und „buh" schreien würde. Scarecrows Finger schließen sich kurz fester um den Abzug, doch dann ist der Anfall von Eifersucht wieder vorbei und er entspannt sich wieder. „Warum interessiert dich das?" Scheinbar neugierig legt er den Kopf schief. Sein höhnisches Lächeln ist seiner Stimme deutlich anzuhören. „Wo um dich herum Gothams Elite von ihrem eigenen schlechten Gewissen zu Boden gedrückt wird und in der Gefahr schwebt, den Verstand zu verlieren? Hast du nicht das Verlangen, diesen armen Menschen zu helfen?" Mit diesem Worten macht er einen schnellen Schritt zur Seite, bückt sich, vergräbt die linke Hand in den Haaren einer am Boden liegenden Frau und zerrt sie daran erbarmungslos in eine aufrechte Position. Die Frau wimmert leise, doch es ist deutlich, dass sie schon lange nicht mehr bemerkt, was um sie herum geschieht. Ihr Blick ist leer, das Gesicht eine tränennasse Fratze der Schuld. Die wenigen verständlichen Worte, die sie aus ihrer Kehle hervorquetscht, klingen wie ein Name und „das habe ich nicht gewollt." Sie wiederholt es immer wieder und wieder, wie ein Mantra. Scarecrow mustert sie kurz und eindringlich und schleudert sie dann wieder zu Boden, Gesicht voraus, bevor er sich ge-langweilt abwendet. „Wäre es nach mir gegangen, würde es dir genauso ergehen wie diesen Idioten hier", erklärt er Bruce im Plauderton. „Ich bin mir sicher, auch der ach so moralische Ritter im Fledermauskostüm hat Dinge getan, die ihn belasten. Oder", fügt er nachdenklich hinzu, „ vielleicht wiegen die Sünden seines reichen Alter Egos ja schwerer? All die Niedriglöhne und Ent-lassungen, gescheiterte Träume und Demütigungen, die mit dem finanziellem Erfolg eines Einzelnen zusammen hängen... ist das der Grund für deine vielen Charity-Veranstaltungen?" Er lacht leise. „Drückt es dich auch so schon schwer, dein schlechtes Gewissen?" Bruce hat nicht vor, sich von ihm provozieren zu lassen, auch wenn es ihn noch so viel Selbstbeherrschung kostet, und so wiederholt er nur seine Frage: „Wo ist der Joker, Scarecrow?" „Vergiss ihn, Brucie”, erwidert dieser in einem geradezu vergnügten Sing-Sang. „Du kannst ihm niemals geben, was er braucht. Du willst ihn nur in eine Zwangsjacke stecken, wie diese Idioten in Arkham immer." Bruce denkt daran, dass sich der Joker aus diesen Zwangsjacken immer sehr schnell und mühelos befreien konnte. Den Schmerz, den Scarecrows andere Worte in seiner Brust auslösen, versucht er, einfach zu ignorieren. Er weiß um die Fehler, die er im Umgang mit dem Joker gemacht hat, aber das heißt nicht, dass er sich nicht ändern kann. „Er ist immer noch krank, Scarecrow. Er braucht medizinische Hilfe. Und es ist mir inzwischen egal, ob er sie freiwillig annimmt oder nicht." Scarecrows gehässiges Lachen wirkt wie millionenfache Nadelstiche direkt in seine Seele, und seine Worte sind die Säure, die durch sie hindurchfließen: „Du willst etwas so Wunderbares wie einen evolutionären Quantensprung heilen? Woher nimmst du nur deine Arroganz?" Er sieht, wie der dunkelhaarige Millionär vor ihm in ohnmächtiger Wut die Hände zu Fäusten ballt, sie dann jedoch wieder löst. Und das alles nur innerhalb eines einzigen Atemzuges. Diese Selbstbeherrschung ist wirklich bewundernswert, das muss er ihm widerwillig anerkennen. Und dann erlebt er eine Überraschung. „Bitte." „Was?" Scarecrow glaubt zuerst, sich verhört zu haben, schließlich ist es immer noch sehr laut um sie herum und gerade dieses eine bestimmte Wort schwirrt unablässig in der Luft, hervorgestoßen von Tausenden gequälter Seelen. „Bitte", wiederholt der Millionär da. Seine ernsten, eben noch so verbissenen Züge spiegeln nun nur noch eines wieder: Sorge. „Wenn er dir so viel bedeutet, wie ich annehme, hast du doch mindestens genauso viel Angst um ihn wie ich. Wir wollen doch beide, dass er überlebt. Und ich habe das Labor, die passende medizinische Ausrüstung dafür und ja, wenn es gar nicht anders geht, auch das nötige Kleingeld für die besten Ärzte dieser Welt. Das ist alles, was ich will: er soll überleben. Bitte, Scarecrow, sag mir, wo er ist." Scarecrow zögert. „Bitte", wiederholt Bruce flehentlich und macht einen Schritt auf ihn zu. Die Hand einer älteren Dame, die hilfesuchend an seinem Ärmel zerrt, wischt er dabei achtlos beiseite. Und letztendlich ist es dieses Verhalten, das Scarecrow nachdenklich werden lässt. Wenn die sogenannte dunkle Ritter Gothams plötzlich seine heiß verteidigten „Unschuldigen" links liegen lässt, muss er es wirklich ernst meinen. Und so sehr sich auch alles in ihm dagegen sträubt, Bruce Wayne alias Batman zu helfen, hat er dem Joker ein Verspre-chen gegeben. Außerdem weiß er, dass - egal, was der Joker sich einbildet - das zwischen ihnen beiden noch nicht vorbei ist. Er, Jonathan Crane alias Scarecrow, wird ihn nicht aufgeben, und wenn das erst einmal bedeutet, den Joker ziehen zu lassen, damit dieser später geläutert zu ihm zurückkehrt… nun, dann wird er sich geduldig zeigen. Und großmütig. „Er ist nicht hier." Der Millionär vor ihm schüttelt den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Das hier würde er sich doch kaum entgehen lassen. Es ist das Beste, was er je vollbracht hat." Schmeicheleien anstatt Anschuldigungen - Scarecrow durchschaut seine Taktik. Doch solche Spielchen ziehen bei ihm schon lange nicht mehr. „Er muss nicht mehr im Zentrum des Geschehens sein, um alles sehen zu können", erwidert er belehrend und nicht ohne eine gewisse Schadenfreude. Ha, es gibt so viele Dinge, die Batman nicht weiß. Und tatsächlich steht Bruce Wayne die Neugier ins Gesicht geschrieben, doch er beweist mal wieder, dass sein legendärer Starrsinn nicht unbedingt etwas Schlechtes sein muss und lässt sich nicht von seinem Ziel ablenken. „Wenn er nicht hier ist, wo ist er dann?" Unter seiner Maske beißt sich Jonathan kurz auf die Unterlippe. Er will es ihm nicht sagen, wirklich nicht. Aber ... ver-sprochen ist versprochen. „Am Aquädukt." Bruce Wayne zuckt sichtlich zusammen, hat sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle. „Am Aquädukt?" Er schluckt einmal schwer. „Wieso ausgerechnet da?" Aber Scarecrow zuckt nur mit den Achseln, dreht sich um und geht weiter. Wie betäubt starrt Bruce ihm hinterher. Er sieht, wie Scarecrow durch die Menge der halluzinierenden Opfer schlendert und sich offensichtlich an deren Furcht weidet, ohne es jedoch wirklich zu sehen. Gefangen in seiner ganz eigenen Angst, presst er die rechte Hand auf sein Herz, das ihm plötzlich schmerzhaft gegen die Rippen trommelt. Das Aquädukt. Ausgerechnet. Obwohl es in Gotham mehrere dieser Bauten gibt, zweifelt er keine Sekunde daran, dass nur ein einziges ganz bestimmtes davon gemeint ist. Von einer schlimmen Ahnung geplagt, wirbelt er schließlich herum und rennt davon. *** Mit einer geradezu halsbrecherischen Geschwindigkeit rast der dunkle Porsche an einem guten Dutzend Krankenwagen vorbei, die mit eingeschalteter Sirene Richtung Soccer Stadion jagen. Ihnen folgen mindestens genauso viele Polizeiwagen. Er hat Glück, dass der Einsatz der Ambulanzen absolute Priorität genießt, sonst hätte ihn einer dieser Polizeiwagen gewiss angehalten. So aber prescht er nur weiter die glücklicherweise ziemlich leere Hauptstraße Richtung Westen entlang. Der Porsche ist nicht das Batmobil, daran wird Bruce schnell erinnert, als er eine Kurve zu eng nimmt und der Sportwagen kurz ins Schleudern zu geraten droht. Doch er hat das Fahrzeug schnell wieder unter Kontrolle, schaltet einen Gang zurück und verringert das Tempo etwas. Dass es wieder mal zu regnen beginnt und sich diesmal sogar vereinzelt Schneeflocken daruntermischen, kommt da mehr als ungelegen. Fluchend nimmt er wieder etwas Tempo heraus und tuckert nun mit fast unerträglich langsamen fünfund-vierzig Meilen pro Stunde über den nassen Asphalt. Er zwingt sich, nicht darüber nachzudenken, was es wohl zu bedeuten hat, dass sich der Joker an jenem Ort aufhält, an dem er vor über zwei Wochen beinahe gestorben wäre. Aber so ganz will es ihm nicht gelingen. Die eiserne Klammer um sein Herz wird zunehmend enger. Keine zehn Minuten später hat er sein Ziel erreicht. Mit seinem Porsche kann er das Aquädukt nicht direkt anfahren - zu viele Treppen, und viel zu eng. Er muss den Wagen an der Straße parken - normalerweise ist dies hier keine Gegend, wo er so etwas riskieren würde, doch diesmal verschwen-det er keinen Gedanken daran. Wenn man ihm den Wagen klaut - na und, was soll's? Er hat Wichtigeres im Kopf. Er vergisst sogar, dass das Batman-Kostüm in seinem Kofferraum liegt. Für solche Nebensächlichkeiten hat er jetzt ein-fach keine Zeit mehr, denn er sieht ihn schon vom Auto aus dort stehen. Diese Gestalt ist unverwechselbar. Hundertzwanzig Meter trennen sie. Und eine steile Treppe nach unten. Für Bruce sind es die längsten hundertzwanzig Meter seines Lebens. In seiner Hast wäre er fast ausgerutscht und hingefal-len - seine eleganten Lederhalbschuhe eignen sich eindeutig nicht für einen Spurt im Regen. Doch er achtet kaum darauf, fängt sich schnell wieder und eilt weiter. Der Joker steht mit dem Rücken zu ihm, nahe am Abgrund - viel zu nahe für Bruce' Geschmack - und dreht sich zu ihm herum, als er ihn kommen hört. Da trennen sie immerhin noch zehn Meter. „Hey!" ruft er, mit dem linken Arm winkend. Er hält etwas zwischen den Fingern, etwas, dessen Form Bruce nur allzu bekannt vorkommt. „Joker." Unwillkürlich verlangsamt Bruce seinen Schritt. Als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, war der Joker schon blass gewesen, aber jetzt ist sein Teint schon beinahe grau. Seine Augen liegen tief in den Höhlen, und alles Licht scheint aus ihnen verschwunden. Und klebt da etwa Blut an seinem linken Augenwinkel? Bei den schlechten Lichtverhältnissen ist das kaum zu erkennen, und dann hat der Schneeregen es auch schon verwischt. Schlagartig wird dem Millionär bewusst, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Der Joker ist dem Tode näher als dem Leben. Der Schmerz in seinem Herzen flackert bei diesem Anblick noch stärker auf. Alles in Bruce drängt danach, den anderen in seine Arme zu schließen, doch dessen abweisende Miene hält ihn davon ab. „Wo ist mein Batsy?" Unwillig runzelt Joker die Stirn. Bruce stockt mitten in der Bewegung. Ihm wird erst jetzt bewusst, dass er noch genauso gekleidet ist wie in der V.I.P.-Lounge. Ein scharfer Windhauch lässt ihn frösteln. Sein sündhaft teurer Armani- Anzug ist völlig durchnässt. Genauso wie seine Schuhe. Doch dann macht er nur eine wegwischende Handbewegung. „Ich bin hier", erklärt er - wenn auch vom schnellen Lauf noch etwas atemlos. Inzwischen ist er so nahe, dass er genau erkennen kann, was Joker da in der Hand hält und er schaudert erneut. Doch diesmal ist nicht der Wind daran schuld. Joker, der sein Unbehagen sehr wohl bemerkt, verzieht die Lippen zu seinem typischen Grinsen. „Wie gefällt dir mein großes Finale bisher, Honeycake?" „Umwerfend", lobt ihn der Millionär. Zwei Meter trennen sie nur noch, aber Bruce scheint es, als hätte sich ein tiefer, dunkler Abgrund zwischen ihnen aufgetan. „Aber das war noch nicht alles, oder?" Vielsagend deutet er auf den Fernzün-der in Jokers Hand. Dieser bricht in manisches Gelächter aus. Doch es klingt falsch. Nicht echt. Aufgesetzt. „Oh, du kennst mich doch zu gut, Brucie. Natürlich ist das nicht alles. Wieso sollte ich mich mit 80.000 zufrieden geben, wenn ich leicht das Doppelte haben kann? Ich habe das Coloseum schon immer gehasst." „Du hast vor, das Coloseum in die Luft zu sprengen?" hakt Bruce entsetzt nach. „Da feiern um die Hunderttausend. ich dachte, du wolltest nur die High Society treffen? Im Coloseum sind ganz gewöhnliche Bürger. Die Mittelschicht und die Arbeiterklasse." Ganz bewusst vermeidet er das Wort „Unschuldige" - er will den Joker nicht unnötig provozieren. Der Joker lacht nur noch lauter. Und es klingt immer noch falsch. „Sag, was du meinst, Batsy. Sag, was du immer sagst: Unschuldige. Das meinst du doch, nicht wahr?" Bruce fühlt sich durchschaut, zuckt aber nur mit den Schultern. „Du hast mich gelehrt, dass in deinen Augen niemand unschuldig ist", erwidert er so ruhig wie es ihm möglich ist. Er weiß nicht, worauf das hier hinauslaufen soll - außer auf das Offensichtliche, und das erscheint ihm nun doch viel zu platt. Er sieht nur eine Chance: auf den Joker einzugehen und ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Gott, er hat sich ihr Wiedersehen wirklich anders vorgestellt. „Ich weiß nur nicht, wieso du jetzt wieder etwas in die Luft jagen musst", fährt er leise und bitter fort. „Dir muss doch klar sein: wenn du das hier wirklich tust, zerstörst du alles, was zwischen uns je war. Oder sein könnte", fügt er noch etwas leiser hinzu. Doch er weiß genau, dass der Joker jedes Wort verstehen kann. „Das ist mir durchaus bewusst", erwidert der Joker, plötzlich todernst. Er streckt ihm seinen Arm mit der Fernbedienung entgegen und legt vielsagend seinen Daumen auf den roten Knopf. „Ich bin, was ich bin, Bruce. Und wie immer liegt es an dir, ob all diese Unschuldigen gerettet werden." Wie gebannt starrt Bruce auf diesen Daumen und ist doch unfähig, sich zu bewegen. „Ich will nicht gegen dich kämpfen." Und tatsächlich sträubt sich alles in ihm dagegen. „Wieso legst du nicht einfach die-sen Fernzünder fort und kommst mit mir? Du bist krank. Lass mich dir doch helfen. Bitte." „Nein." Jokers Gesicht verfinstert sich, er zieht seine Hand wieder zurück und macht einen kleinen Schritt nach hinten. Jetzt steht er genau an der Kante. Bruce' blaue Augen weiten sich entsetzt. „Nein, du nimmst mir nicht die Pointe meines Gags. Du wirst dich entscheiden, Bruce. Hunderttausend Leben. Hundert-tausend. Diese Fernzündung hier hat eine besondere Konstruktion. Wenn ich diesen Knopf hier drücke, wird die Zeitbombe aktiviert. Sie ist auf zehn Sekunden eingestellt. Wenn du innerhalb dieser zehn Sekunden den Knopf nochmal drückst, wird die Bombe deaktiviert. Ganz einfach, nicht wahr?" Mit diesen Worten und einem eingefrorenen Grinsen auf den Lippen, drückt er besagten Knopf. „Joker!" japst Bruce schockiert. Er langt nach Jokers Hand mit dem Zünder, doch dieser tänzelt nur geschickt zur Seite aus seiner Reichweite. „Hol's dir!" schreit er und wirft das kleine Gerät über Bruce' Kopf hinweg in die Dunkelheit. Und dann, noch bevor das kleine Gerät scheppernd auf dem nassen Pflaster aufschlägt, wirbelt er herum und springt vom Aquädukt. *** 23. Kapitel Als das Wasser über ihm zusammenschlägt, diese eisigkalte, unappetitlichen Fluten, gibt es einen kurzen Moment, in dem er aufbegehrt, wo er sich an die Oberfläche kämpfen und nach Luft schnappen will, doch er zwingt sich dazu, es nicht zu tun. Stattdessen öffnet er ganz bewusst den Mund und schluckt diese dreckige Brühe. Sein Magen, seine Lunge, sein ge-samter Körper protestiert, und er macht die interessante Erfahrung, dass nichts schwerer ist, als gegen den eigenen Überle-bensinstinkt zu kämpfen. Er spürt, wie er tiefer sinkt, und dann erfasst ihn eine Strömung mit solcher Macht, dass er selbst, wenn er es gewollt hätte, es nicht mehr an die Oberfläche geschafft hätte. Er will nicht sterben, aber er will auch nicht mehr kämpfen. Er ist müde. Er hat keine Kraft mehr dafür übrig. Was auch immer mit seinem Körper geschieht, soll geschehen. Wenn es nach allem noch einen Platz für ihn in dieser Welt gibt, wird er überleben. Wenn nicht - auch gut. Er übergibt sich freiwillig den Elementen; und doch fühlt es sich nicht an wie ein Opfer, sondern wie eine Heimkehr. Und als sein Bewusstsein in Dunkelheit zu versinken droht, lässt er sich freudig hineinfallen. Er weiß nicht, wie lange er in dieser Schwärze verharrt - Zeit spielt keine Rolle, nur dieses angenehme Gefühl der Leich-tigkeit - als ein Geräusch in das sickert, was von seinem Bewusstsein noch übrig ist. irgendwann kristallisiert sich heraus, dass es sich um gar kein Geräusch im üblichen Sinne handelt, sondern um eine Stimme. „...zehn. . .elf. . .zwölf..." Die Stimme wird lauter und deutlicher. Er will sie nicht hören, sie soll weggehen, er will wieder zurück in dieses angenehme Nichts, doch sie ist penetrant und zieht ihn entgegen seinen Willen immer weiter nach oben. „… dreizehn ... vierzehn ... fünfzehn ..." Er wird so plötzlich in die Welt zurückgeschleudert, dass es einem Schock gleichkommt. Plötzlich kann er seinen Körper wieder spüren, und es ist nichts Schönes, was er da spürt: sein Brustkorb fühlt sich an, als würde ein Elefant auf ihm sitzen. „Verdammt, jetzt komm endlich! Atme!" Der Elefant tritt zu, direkt auf seinen Solar Plexus. Unwillkürlich schnappt er nach Luft. Der erste Atemzug ist absoluter Schmerz - reinste Säure, die sich durch seine Atemwege frisst, so unerträglich, dass er auf den nächsten Atemzug gerne verzichten würde. Aber dieser Teil seines Gehirns ist noch viel zu träge und hat keine Chance gegen die unbewussten Be-fehle seines Kleinhirns, das, einmal angeworfen und wieder auf Kurs gebracht, unaufhaltsam seiner Arbeit nachgeht, die da beinhaltet: diesen Körper am Leben zu erhalten. Der zweite Atemzug schmerzt schon etwas weniger, aber dafür befördert er viel dreckige Brühe aus den Tiefen seiner Lungen und seines Magens hervor. Er spürt, wie er auf die Seite gelegt wird und dann existiert für eine geraume Zeit nichts mehr außer Erbrechen und Würgen und immer wieder Erbrechen. Jetzt wünscht er sich, er wäre tot. Irgendwann ist der Anfall vorbei und er hat alles ausgespuckt und fühlt sich matschiger als je zuvor. Die Dunkelheit, die noch immer in seiner Nähe lauert, ist verlockender denn je. „Verdammt! Nein!” Wütend gibt Bruce Wayne dem vor ihm liegenden Mann eine Backpfeife, als dieser wieder in die Bewusstlosigkeit zurückdriftet. Doch dieser reagiert nicht. Er liegt genauso blass und leblos vor ihm, wie er ihn aus dem Wasser gezogen hat. Kein Atemzug hebt oder senkt seine Brust. Ungeduldig und zunehmend frustriert wischt sich Bruce eine nasse, dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht und widersteht dem Drang, noch einmal zuzuschlagen. Hat er sich dafür die ganze Mühe gemacht, ist ihm hinterhergesprungen, hat ihn an Land gezogen und Erste-Hilfe-Maßnahmen ergriffen, ihn zurück ins Leben geholt, nur, damit dieser Mistkerl gleich wieder aufgibt? Kommt ja gar nicht in Frage! Entschlossen beugt sich der junge Millionär weiter nach unten, ignoriert seinen eigenen schmerzenden Körper und das beginnende Schwindelgefühl und presst entschieden seine Lippen auf die des Jokers, beginnt mit der Mund-zu-Mund-Beatmung. Wieder einmal. Er hat zwar schon längst jedes Zeitgefühl verloren, aber wenn er richtig mitgezählt hat, ist dieses hier schon der fünfte Durchgang. Er ist also schon seit mindestens fünf Minuten damit beschäftigt, diesen Idioten ins Leben zurück zu holen. Wenigstens hat sein Körper schon einmal reagiert und das verschluckte und eingeatmete Wasser abgestoßen - immerhin ein Fortschritt. Und den Rest wird er auch noch schaffen. So leicht mache ich es dir nicht! So leicht lasse ich dich nicht davonkommen! Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch - die ihm die nötige Energie liefert - presst er seine Luft in die Atemwege des Jokers, beobachtet zufrieden, wie sich dessen Brustkorb hebt und senkt und hofft gleichzeitig, dass er es möglichst bald von selbst schafft. Trotz allem kann er ihn nicht ewig beatmen. Eigentlich hätte er schon längst einen Krankenwagen rufen müssen, aber das würde bedeuten, dass er hiermit aufhören muss - und sei es nur für eine halbe Minute. Aber genau das traut er sich nicht. Noch nicht. Irgendwann, dessen ist er sich bewusst, wird ihm nichts anderes mehr übrigbleibe. Also atme endlich, verdammt. Du warst doch schon soweit. Was zum Teufel ist nur los mit dir? Und dann, von einer Sekunde auf die andere, spürt er einen Gegendruck an seinen Lippen. Noch bevor er es richtig begrei-fen kann, krallen sich zwei erstaunlich starke Hände in seine Haare und zwingen seinen Kopf noch etwas tiefer. Zwei kalte Lippen bewegen sich gegen seine, und dann … Weder jetzt noch später wird Bruce Wayne es jemals erklären können. Es ist ein Gefühl, als würde irgend etwas aus ihm herausgesogen, etwas so essentielles wie sein Atem, aber nichts, dessen Verlust ihn schwächen würde. Vielleicht dauert es aber auch nicht lange genug. Denn noch bevor seine Selbstverteidigungsreflexe anspringen, ist es auch schon vorbei. Er fühlt sich machtvoll zurückge-stoßen und landet unsanft auf seinem Hintern. Was...? Verdutzt blinzelnd starrt er auf den Mann vor sich, der eben noch dem Tode nahe vor ihm gelegen hat und jetzt versucht, sich unter Keuchen und Ächzen auf Hände und Füße aufzurappeln. Es bleibt bei dem Versuch. Mit einem leisen Wim-mern, die rechte Hand auf seinen Brustkorb gepresst, sackt er wieder in sich zusammen. Bruce hat ihm bei seinen Wiederbelebungsversuchen mehrere Rippen gebrochen. Jetzt kann er einen Krankenwagen rufen. Doch daran denkt der Millionär in diesem Moment gar nicht. In den ersten zwei Sekunden starrt er ihn nur an, zu verdattert, um überhaupt irgendwie reagieren zu können, doch dann, als der Joker zum zweiten Mal vergebens versucht, sich in die Höhe zu quälen, meldet sich sein Helferreflex. Er springt auf. „Nein!“ Es ist nur ein einziges, hastig hervorgestoßenes Wort, doch dies und die abwehrende Geste, der warnend ausge-streckte Arm, lassen ihn mitten in der Bewegung erstarren. „Bleib weg von mir!“ Jokers entsetzte, weit aufgerissene Augen und seine – noch etwas unkoordinierten – Bemühungen, von ihm weg zu kriechen, lassen Bruce irritiert und mißmutig die Stirn runzeln. Nachdenklich leckt er sich über die kribbelnden Lippen. Er zählt eins und eins zusammen – Dank seines didaktischen Talents – und fühlt sich prompt in seinem Stolz gekränkt. Noch zu gut erinnert er sich an Scarecrows Worte: Du wirst ihm nie geben können, was er braucht. Ha! Von wegen! Wie ein Raubtier schnellt Bruce nach vorne und packt den Joker in altbewährter Art und Weise am Kra-gen. Er kann seinen Atem auf seiner Haut fühlen, verdammt, er kann sogar das heftige Pochen seiner Halsschlagader sehen und die Panik in seinen Augen, doch er gibt weder ihm noch sich selbst die Zeit, darüber nachzudenken. Alles andere als sanft drückt er ihre Lippen aufeinander. Wenn Scarecrow denkt, nur er hätte ein Anrecht auf das hier, hat er sich getäuscht! Gnadenlos und wild entschlossen macht er sich seine Erfahrungen als Playboy zunutze, und so wie bisher jeder Frauenkör-per in seinen Armen unter der Überzeugungskraft seiner Zungenfertigkeit zusammengeschmolzen ist, schmilzt auch der Widerstand des Jokers dahin. Sobald er seine Lippen öffnet und zulässt, daß Bruce’ Zunge seinen Mund erobert, ist es wieder da – dieses Gefühl, ausge-saugt zu werden. Doch es fühlt sich nicht schlimm an, nicht beängstigend oder bedrohlich, sondern regelrecht friedlich. Es ist fast ein wenig wie schweben. Da kniet er also, Gothams begehrtester Junggeselle, mitten im Regen af dem Kopfsteinpflaster, in seinem edlen, jetzt aber völlig nassen und verdreckten Anzug, die Frisur hoffnungslos ruiniert und sein After Shave hat den Kampf gegen den Gestank des Gotham Rivers schon längst aufgegeben und er küsst einen nicht weniger durchnässten Mann, dessen Steck-brief sich jedem in dieser Metropole unauslöschbar eingeprägt hat. Würde ihn so jemand sehen, sein Ruf wäre ruiniert. Doch merkwürdigerweise kümmern ihn solche Gedanken gar nicht mehr. Weil das hier sich so verdammt richtig anfühlt, trotz dieses Gefühls, auf eine ungewöhnliche Art ausgesaugt zu werden. Und dann erwacht unter dieser Emotion noch etwas anderes: Lust. Als sich das anfängliche Kribbeln in seinen Lenden zu einer ausgewachsenen Hitze steigert, beendet er den Kuß. Beschämt dreht er seinen Kopf beiseite. Gerade noch rechtzeitig ist ihm eingefallen, daß dies hier weder der richtige Zeitpunkt noch der rechte Ort für so etwas ist. Aber daß es sich hier um den Joker handelt, dem seine Begierde gilt, an diesen Gedanken verschwendet er keine einzige Sekunde. Er zweifelt nicht mehr. Nicht im Geringsten. „Hunderttausend.“ Die uncharakteristisch tonlose Stimme durchbricht seinen Wohlfühl-Kokon und bringt ihn zurück ins Hier und Jetzt. Bruce öffnet die Augen und sieht sich einem Antlitz gegenüber, das er in der letzten Zeit viel zu oft viel zu ernst erlebt hat. Und bis der Joker weiterspricht, kann er mit diesem einen Wort überhaupt nichts anfangen. Doch dann redet der Joker weiter und ihm fällt alles wieder ein. „Du hast hunderttausend Menschenleben geopfert. Um mir hinterher zu springen?“ Er klingt zutiefst erschüttert, als könne er es nicht fassen. Und das macht Bruce unglaublich wütend. „Natürlich! Dachtest du, ich lasse dich ertrinken? Schon wieder?“ fügt er dann etwas leiser hinzu. Für eine unendlich erscheinende Zeitspanne starren sie sich nur an. Zu seiner großen Überraschung muß Bruce, als er tief in sich hineinhorcht, feststellen, daß er vergebens so etwas wie ein Gefühl der Reue oder Schuld wegen dieser hunderttausend Leben verspürt. Er ist völlig mit sich im Reinen. Ob es das ist, was Selina mit diesem sich-nicht-falsch-anfühlen meinte? Plötzlich wird er sich bewusst, daß seine Hände genau wie während des Kusses noch Jokers Gesicht umfassen. Seine Haut fühlt sich kühl an, aber er kann förmlich spüren, wie sie mit jedem Atemzug wärmer wird. Gedankenversunken fährt er diese scharfen Wangenknochen mit seinen Daumen nach, genießt das Gefühl der weichen Haut, weich wie Seide und sie schimmert im Regen. Für einen Moment scheint es sogar, als lehne sich der Joker genüsslich in diese Berührung hinein. Doch dann, mit einer heftigen Bewegung, zieht der Joker seinen Kopf zurück und der Kontakt ist unterbrochen. „Es gab nie eine Bombe!“ spuckt er ihm regelrecht entgegen. Bruce blinzelt nicht einmal. Er sollte überrascht oder doch zumindest erleichtert sein, doch alles, was er fühlt, ist ... Gleichgültigkeit. Dabei kann er nicht behaupten, daß er es gewusst hat. Oder auch nur geahnt. Es ist ihm schlichtweg egal, ob es diese Bombe gab. Solange ... solange nur sein Joker lebendig vor ihm steht. Oder wie jetzt kniet. In einer Pfütze. Im strömenden Regen. Und nass bis auf die Haut. Entschlossen fasst er den Joker an den schmalen Handgelenken und zieht ihn mit sich in die Höhe. Der Joker leistet im ersten Moment instinktiv Widerstand, doch Bruce Wayne ist ihm wie stets körperlich überlegen. Selbst nach der kräftezeh-renden Anstrengung, den Joker aus dem Wasser an Land zu ziehen und zu reanimieren, selbst nach diesem bemerkenswer-ten Energieentzug. „Bruce, hast du mir überhaupt zugehört? Es gab keine Bombe. Ich habe dich verarscht.“ „Ich habe dich gehört“, kommt es gelassen zurück. „Du hast das alles inszeniert, damit ich dir hinterher springe.“ Der absolute Mangel an Wut oder Verachtung irritiert den Joker. „Nein!“ protestiert der Joker reflexartig, zögert dann jedoch und erschauert, als Bruce ihm eine nasse Haarsträhne aus den Augen streicht. Die Zärtlichkeit in dieser Geste verursacht ihm eine Gänsehaut. Das ist alles, was er sich immer gewünscht hat, und er sollte sich darüber freuen, aber als er jetzt den silbernen Spinnenfaden sieht, der ihn und Bruce verbindet, dieser Faden, der vor zweiundsiebzig Stunden noch in Auflösung begriffen war, fühlt er einen Druck auf seiner Brust, der nicht von seinen gebrochenen Rippen stammt. „Nein?“ hakt Bruce ungewohnt sanft nach. „Das war also nicht geplant, daß ich dir hinterher springe?“ Er klingt ent-täuscht. Der Joker starrt ihn für die Dauer einiger Sekunden nur an, bevor er erschöpft den Kopf sinken lässt. Falls er jemals einen Plan hatte, dann ist er nicht aufgegangen. Wenn er nur nicht so müde wäre... Wenn er Bruce` Kraft übertragen bekommt, ist das Ergebnis ganz anders als bei Jonathan. Bruce’ Energie vermag es nur, sein körperliches Befinden zu steigern ... aber war das nicht genau das, was er gerade benötigte? Wenn ... dann war es eindeutig zu wenig. Er fühlt sich, als hätte er fünf Runden mit Batman gekämpft – und verloren. Außerdem ist er völlig durchnässt und friert. „Ich weiß nicht, was ich wollte. Oder was nicht“, entgegnet er schließlich mit einem matten Schulterzucken. „Es erschien mir nur so falsch, daß du dir wegen dem, was damals passiert ist, immer noch Vorwürfe machst. Diese Stadt braucht einen entschlossenen, zielstrebigen Batman, nicht jemanden, der an seinen eigenen Entscheidungen zweifelt. Das ist falsch. Das bist nicht du.“ Er zögert kurz und ringt nach den richtigen Worten. Es fällt so unglaublich schwer, etwas in Worte zu fassen, was er bisher nur rein gefühlsmäßig erfassen konnte. Aber er weiß, daß Bruce auf eine Erklärung wartet, daß er sie braucht. „Ich glaube, ich dachte, wenn du jetzt vor derselben Entscheidung stehst, an demselben Ort, aber mit einem guten Grund, mir nicht zu helfen...“ Seine Stimme wird zum Ende hin immer leiser und verliert sich schließlich im Plätschern des Regens. Er holt einmal tief Luft, zuckt abermals mit den Schultern und schenkt dem Millionär dann ein schiefes Grinsen. „Tut mir leid, ich glaube, ich habe irgendwann die Pointe dieses Witzes vergessen.“ Unwillkürlich lächelt Bruce zurück, doch genaugenommen ist es nur ein schwaches Zucken um seine Mundwinkel – so typisch Batman – während sich das Blau seiner Augen verdunkelt. Und der Joker erkennt, daß er sich geirrt. Bruce ist wütend und kann sich nur mühsam beherrschen. Eigentlich nicht länger als zwei Sekunden. Dann holt er aus und gibt dem Mann vor sich eine schallende Ohrfeige. Nur, um ihn noch in derselben Bewegung an sich zu ziehen, zu umarmen und ganz fest zu halten. „Du bist ein Idiot.“ Ist das einzige Kommentar, das er jetzt noch zustande bringt. Aber das macht nichts, denn es drückt alles aus, wozu ihm im Moment die Worte fehlen. 24. Kapitel Sobald er den Joker im Arm hält, spielt die Zeit für Bruce keine Rolle mehr. Ihn zu sehen, zu hören, zu riechen und ganz einfach nur zu spüren, versetzt ihn in einen Zustand so tiefer, vollkommener Zufriedenheit, dass er alles um sich herum vergessen kann und einfach nur noch ist. Er selbst – weder Batman noch Bruce Wayne sondern einfach nur er. Hier und Jetzt. In diesem Moment. Noch niemals in seinem Leben hat sich etwas so gut, so richtig angefühlt. Wohltuende Wärme breitet sich in seinem Magen aus und rutscht noch etwas tiefer. Zu tief. Als Bruce die ersten Anzeichen seiner beginnenden Erektion spürt, löst er diese Umarmung peinlich berührt wieder. Doch es ist zu spät. Der Joker hat es schon längst bemerkt. Von daher protestiert der Clown Prince of Crime auch nicht, als er sich plötzlich auf halbe Armeslänge fort geschoben fühlt. Und als Bruce eine spontane Entschuldigung murmelt, die Wangen vor Scham apart gerötet, lacht er nur leise auf, tritt wieder einen Schritt näher und hat – ehe es sich Bruce versieht – ihm die linke Hand mitten in den Schritt gelegt. Zu Jokers großem Entzücken, färben sich jetzt Bruce´ Wangen tiefrot. „Kein Grund, sich zu schämen, Honeycake“, wispert er, mit einem schelmischen Funkeln in den Augen - und japst kurz darauf auf, als ihn Bruce unerwartet an sich reißt, um ihm mit einem wilden Kuß den Atem zu rauben. Abermals fließt diese Energie zwischen ihnen, doch diesmal manifestiert sich dieses Phänomen für Bruce nur in einem anregenden Prickeln, das ihm vom Hinterkopf über die Wirbelsäule direkt in die Lenden fährt. Das ist nicht gut. Nun, eigentlich schon, aber es ist irgendwie unpassend. Sie sind grad erst knapp Gevatter tod entronnen, tropfnass, es regnet und sie stehen hier mitten am Kai – in der Öffentlich-keit. Sogar Bruce Wayne, der Frauenverführer, der beliebteste Junggeselle ganz Gotham Citys hat niemals so wild mit einer seiner Eroberungen in der Öffentlichkeit herumgeknutscht… Aber dann verflüchtigen sich diese Vorbehalte, denn plötzlich ist es wie damals in diesem Zimmer, wo er die Kontrolle über sich verlor, weil sich sein Verstand gänzlich ausschaltete und seine Welt nur noch aus diesen überwältigenden Gefühlen bestand. Jokers Arme um seinen Nacken, die Art, wie sich sein geschmeidiger Körper eng an ihn schmiegt – so perfekt, so solide, so echt – das ist auch keine große Hilfe. Er spürt sehr, sehr nachdrücklich Jokers Erregung – und zwar nicht nur an dessen harter Erektion, die sich da - selbst durch die vielen Stoffschichten deutlich fühlbar - an seine Hüfte drückt, sondern auch an der Art, wie er ihn küsst, so leidenschaftlich, so atemlos, so verzweifelt. Doch dann landen seine Finger in Jokers nassen Dreadlocks und der Zauber verflüchtigt sich. Mit nicht unerheblichem Bedauern beendet Bruce diesen Kuss wieder – nicht jedoch den Körperkontakt. Seufzend legt er sein Kinn auf Jokers rechter Schulter ab, während seine Finger gedankenverloren mit dessen tropfnassen Haaren spielen. Und vielleicht hätten sie noch länger so dagestanden, doch dann spürt er das Zittern, das den Körper in seinen Armen durchläuft. Kaum eine Sekunde später, als wolle sein Körper darauf antworten, beginnt auch er zu zittern. Das sind eindeutige Anzeichen einer Unterkühlung, und wenn sie nicht achtgeben, könnte daraus sogar eine Lungenent-zündung werden. Und das, wo der Joker doch immer noch mit seiner Mutation zu kämpfen hat. „Du … wir müssen ins Trockene“, murmelt er schließlich, bemüht, zu einer gewissen Sachlichkeit zurück zu finden, nur ist das gar nicht so leicht, so, wie sich der Joker noch immer der Länge nach an ihn schmiegt. „Ich rufe Alfred an, er soll uns abholen.“ Etwas umständlich – denn loslassen will er den Joker nun auch wieder nicht – nestelt er sein Handy hervor, nur, um es nach einem Blick aufs tropfnasse Display fluchend wieder sinken zu lassen. Ver-dammt. Das hätte er wissen müssen. Elektrische Geräte und Wasser vertragen sich nicht. In mehr als einer Hinsicht frustriert, steckt er das unbrauchbare Mobiltelefon wieder ein. Während er über diese neue Situation ins Grübeln gerät, löst er sich nun doch aus dieser Umarmung und tritt einen Schritt zurück, um sich zum ersten Mal richtig umzusehen. Vielleicht findet er ja ein öffentliches Telefon oder sogar eine Bushal-testelle. Schon ein Hinweisschild wäre ihm recht. Siedendheiß wird es ihm nämlich bewußt, daß er keinen blassen Schim-mer hat, wo sie hier sind. Aber er sieht nichts außer der Kaimauer, auf der sie stehen und dunkel aufragende Hauswände – schwarz und drohend und hoch unter dem bewölkten Nachthimmel. Okay. Jetzt nur keine Panik. Er atmet einmal tief durch und sieht sich dann noch einmal genauer um. Einen Schritt nach dem anderen. Zuerst müssen sie eine Straße finden. Eine leichte Berührung an seiner rechten Hand reißt ihn aus seinen Gedanken. „Komm“, sagt der Joker leise und zieht ihn behutsam mit sich. „Ich kenne ein trockenes Plätzchen.“ Er hat sich genauso umgesehen wie Bruce, aber im Gegensatz zu diesem kennt er diese Gegend ziemlich gut, wie er jeden Winkel in Gotham City kennt. Beinahe ohne zu zögern läßt sich Bruce mitziehen. Er stellt keine Fragen, dazu ist er zu erschöpft. Der kräftezehrende Kampf gegen die reißenden Wassermassen, gefolgt von der anstrengenden Rettung von Jokers Leben fordern ihren Tribut. Und dem Joker geht es nicht viel besser. Schon bald stützen sie sich gegenseitig. Mehr taumelnd als gehend kämpfen sie sich eine schmale Treppe hinauf, die auf eine kleine, schlecht beleuchtete Straße führt. Trotz seines zunehmend benommenen Zustandes fällt Bruce doch irgendwann auf, dass der Joker ganz genau zu wissen scheint, wohin er sich wenden muss. Doch wirklich Gedanken macht er sich nicht wirklich darüber, auch nicht, als sie von der Straße ab in eine kleine Gasse treten, die links und rechts von gepflegten Mietshäusern gesäumt wird und Joker direkt auf eines davon zuhält. Selbst als sie den dunklen Treppenflur betreten und Joker ihn die Stufen hinaufzieht, dabei zielstrebig eine ganz bestimmte Wohnung in der dritten Etage anpeilt, denkt er sich nichts dabei. Erst als er sieht, wie Joker einen schmalen Draht aus dem Saum seines Mantelärmels zieht und sich damit dann am Schloß zu schaffen macht, schreckt er auf. „Das ist ja gar nicht deine Wohnung!“ stößt er geradezu entsetzt hervor. Gleichzeitig gibt er sich eine gedankliche Kopfnuß. Wie hatte er auch nur ansatzweise annehmen können, daß der Joker, dessen Verstecke doch immer aus verlassenen Lagerräumen und Fabriken bestehen, in einer stinknormalen Wohnung Unterschlupf finden könnte, ja, sie vielleicht sogar rechtmäßig gemietet hat? Er muß wirklich erschöpfter sein als angenommen, wenn er so etwas denkt. „Du kannst hier doch nicht einfach einbrechen!“ Auf diesen gezischten Vorwurf hin wirft ihm der Joker nur einen schrägen Blick zu, bei dem sich Bruce nun absolut lä-cherlich vorkommt. Hat er das eben wirklich gesagt? Zum Joker? Himmel, was stimmt nur nicht mit ihm? „Ich meine…“ beginnt er erneut, kommt dann aber nicht weiter, weil in diesem Moment schon die Tür aufschwingt und Joker ihn einfach an der Hand packt und mit sich in die fremde Wohnung zieht. „Nun entspann dich mal, Brucie.“ Lächelnd schließt er die Tür hinter ihnen wieder. „Erstens müssen wir uns irgendwo aufwärmen, sonst bekommst du noch eine Lungenentzündung und zweitens ist die Besitzerin dieser kleinen Wohnung in Urlaub gefahren und kommt nicht vor nächster Woche zurück. Sie bemerkt gar nicht, dass wir hier waren.“ „Wir“, berichtigt ihn Bruce automatisch und etwas abwesend, während er seine Blicke mit zunehmenden Unbehagen in der fremden Wohnung umherschweifen lässt. Der typische, funktionale Schnitt einer Mittelklasse-Wohnung, wo der Wohnbereich sofort an die Wohnungstür anschließt. Helles Laminat, eine Couchecke, ein Fernseher, ein paar Schränke und Topfpflanzen. Weiter hinten der offene Küchenbereich. Zwei Türen, wovon eine ins Badezimmer und die andere ins Schlafzimmer führt. Klein und fein. Aber der ganze Einrichtungsstil verrät ihm, dass dies die Wohnung einer Frau ist. Single höchstwahrscheinlich – jedenfalls sieht er keine Fotos, auf denen ein Paar abgebildet ist. Nur Landschaften und Tiere. Jokers Stimme reißt ihn aus seinen Betrachtungen. „Was?“ „Wir bekommen eine Lungenentzündung“, erklärt Bruce geduldig. „Wir. Nicht nur ich. Wenn, dann sowieso eher du, schließlich bist du hier derjenige mit dem angegriffenen Immunsystem.“ Joker starrt ihn für einen Moment an, und für den Bruchteil einer Sekunde scheint es, als wolle er lautstark protestieren, doch dann grinst er nur. „Na, dann hast du ja sicher nichts dagegen, wenn ich mir als erster eine heiße Dusche gönne.“ „Du kannst hier doch nicht einfach duschen!“ Doch der Joker überhört ihn einfach und deutet mit einer vielsagenden Geste Richtung Küche. „Und wie wär’s, wenn du schon mal Tee machst? Ach, und sieh an, dort hängt ja auch ein Telefon. Du kannst Alfred anrufen. – Meine Güte“, fügt er dann hinzu, als er sieht, wie Bruce bei diesen Worten das Gesicht verzieht. „Nun hör aber auf mit deinem schlechten Gewissen. Schick ihr später einen Scheck, wenn es dir dann besser geht. Das bißchen Strom, das bißchen Wasser. Ehrlich, wenn wir danach aufräumen, bemerkt sie das nicht einmal.“ Er spricht mit soviel Überzeugung wie jemand, der so etwas schon häufiger gemacht hat. Hat er wahrscheinlich auch. Bei diesem Gedanken unterdrückt Bruce einen kleinen Seufzer. „Du machst das oft, oder?“ Jokers Lippen verziehen sich zu einem kleinen Lächeln. „So oft wie es nötig ist.“ „Und diese Wohnungen sind dann immer so unbewohnt wie diese hier?“ Der Joker zuckt nur schweigend mit den Schultern. Er will den Gleichgültigen spielen, doch so wirklich gelingt es ihm nicht. Er ahnt, worauf diese Fragen hinzielen. Und tatsächlich… „Wie machst du das?“ will da Bruce auch schon wissen. „Wie hast du diese Wohnung gefunden? Und wieso gerade diese hier? Wie ist es dir gelungen, dir unter Hunderten ausgerechnet diese eine auszusuchen, deren Besitzerin verreist ist? Ist es wie mit diesem Zimmer in meinem Manor? Hat diese Wohnung genauso zu dir gesprochen?“ Joker zögert. Er ist überrascht. Jahrelang hat er sich solche oder ähnliche Fragen von Batman gewünscht, aber jetzt, in diesem Moment, fühlt er sich irgendwie … überfordert. Es ist noch keine Stunde her, da war er bereit zu sterben, er hatte die Grenze schon fast überschritten, er hat das alles noch nicht einmal richtig verdaut und ausgerechnet in dieser Situation verlangt Batman von ihm solch persönliche Antworten? Und so ringt er erst einmal verzweifelt nach den richtigen Worten. Es ist immer noch, als wolle er einem Blinden Farben erklären – es wird nicht leichter, egal wie oft man es versucht. Wieso kann er nicht so sein wie Johnny? Wieso muss er immer alles so genau wissen wollen? Und dann kommt ihm ein weiterer, bissiger Gedanke: Nachdem es ihn jahrelang überhaupt nicht interessierte… Aber nach einem Blick in Bruce Waynes ehrliche, so wahnsinnig blaue Augen schiebt er seinen Missmut genauso beiseite wie seine riesige Erschöpfung und versucht sein Bestes. „Ich glaube, es gibt Räume, Wohnungen, ja ganze Gebäude, sogar Fahrzeuge, die wollen nicht ungenutzt bleiben. Es wi-derspricht einfach ihrer Natur. Und dann sehe ich von ihnen ein Bild in meinem Kopf.“ Er hält inne, zögert. Laut ausge-sprochen klingt das alles wirklich lächerlich, aber jetzt hat er einmal davon angefangen, also muß er das auch zu Ende bringen. Und Bruce wollte es ja wissen, oder? „Und das Echo in solchen … Objekten ist sehr schwach, weil die Bewohner sehr ausgeglichen sind. Oder sehr introvertiert. Die Kleine, die hier lebt, ist sogar sehr zufrieden mit ihrem Leben, obwohl sie so hart arbeitet. Ja“, ergänzt er nachdenklich, „wenn du ihr einen Scheck schicken willst, lege ruhig noch ein paar Hunderter dazu. Sie kann es gebrauchen und verdient hat sie es allemal.“ Er zwinkert Bruce noch einmal zu und verschwindet dann schnell im Badezimmer. So, hofft er, ist er erst einmal vor wei-teren Fragen sicher. Auf der anderen Seite der Tür atmet er erst einmal tief durch. Keine neugierigen Fragen mehr, nur noch tiefe, erholsame Stille. Ihm ist kalt, er fängt schon wieder an zu zittern, außerdem riecht er mal wieder nach Gotham River – ja, er freut sich schon auf eine heiße Dusche. Ein Bad wäre ihm zwar lieber, aber – wie er mit einem schnellen Blick feststellt – gibt es so etwas wie eine Badewanne hier nicht. *** Das Telefon hängt neben dem Kühlschrank an der Wand. Aber bevor er dorthin geht, zieht sich Bruce Wayne erst einmal Schuhe und Socken aus. Seine Füße sind zwar auch nicht viel trockener, aber doch etwas sauberer. Schließlich muss in einer fremden Wohnung man nicht mehr Dreck hinterlassen als notwendig – ganz egal, ob man nun später alles wieder wegwischt oder nicht. Und so tapst er vorsichtig zum Telefon, um bei sich Zuhause anzurufen. Er kennt Alfred. Diese gute Seele wird alles in den Nachrichten verfolgt haben und sich jetzt gewiß Sorgen um ihn machen. Und tatsächlich klingt Alfreds Stimme ausgesprochen erleichtert, als er schon nach dem vierten Freizeichen abhebt. Bruce kommt gerade mal dazu, ihm zu sagen, dass er es am anderen Ende dieser unbekannten Nummer ist, da wird er auch schon von besorgten Fragen bombardiert. „Bruce, geht es dir gut? Wo bist du? Es gab einen Anschlag auf das Soccer Stadion. Es kommt auf allen Nachrichtenkanä-len. Irgend ein neues Fear Gas. Scarecrow soll gesehen worden sein. Bruce, was ist passiert?“ Es dauert eine Weile, bis der junge Millionär bei diesem Wortschwall zu Wort kommt. Doch anstatt seinem Ziehvater und Freund zu antworten, stellt er selbst eine Frage, die ihm auf den Nägeln brennt. „Alfred, gibt es viele Verletzte? Oder gar Tote?“ Seine Frage scheint bei Alfred einen Schalter umgelegt zu haben. Jedenfalls klingt er nicht mehr wie ein aufgeregter Vater, sondern wieder wie der beherrschte, britische Butler, als er darauf antwortet. „Bisher wurden keine Todesfälle bekannt.“ Seine Stimme klingt wieder so vornehm und neutral und das ist in Bruce‘ Ohren gleichzeitig so unglaubwürdig, dass es diesem ein kleines Lächeln entlockt. „Das beruhigt mich. Wurde Scarecrow gefasst?“ „Nein, und er wird wohl auch ungeschoren davonkommen. Die Zeugen, die ihn gesehen haben, standen alle unter der Wir-kung des Fear Gases, und ihre Aussagen sind daher ohne handfeste, objektive Beweise nicht vor Gericht zulässig.“ Bruce zuckt nur mit den Achseln, während sein Blick hinüber zu der verschlossenen Badtür rutscht. „Das kennen wir doch schon, Alfred.“ Ehrlich gesagt, hat er diese Frage nur Joker zuliebe gestellt. Und auch im Sinne des Jokers ist er froh darüber, dass Jonathan Crane ungeschoren davonkommen wird. Noch während er das denkt, hört er sich selbst schon sagen: „Ehrlich gesagt, Alfred, das, was ich dort gesehen und gehört habe, reicht mir. So ungern ich es zugebe, aber die haben es alle auch mehr als verdient, was ihnen da passiert ist. Sie haben gedankenlos Leben zerstört, was sind dagegen schon ein paar Stunden Furcht und Panik und Hysterie?“ Er hält kurz inne, für einen Moment selbst überrascht und entsetzt über seine Worte. Ist das wirklich er, der hier spricht? Sind das wirklich seine Gedanken? Ist das seine Einstellung? Oder wurde er irgendwie vom Joker manipuliert? Obwohl Alfred am anderen Ende der Leitung dazu nur schweigt, glaubt er doch, daß diesem dieselben Fragen durch den Kopf gehen müssen, und so beginnt er, als hoffe er, das würde seine harten Worte rechtfertigen, ihm alles zu erzählen, was in den letzten Stunden vorgefallen ist. Na gut, nicht alles. Gewisse, private Dinge wie diesen Kuss zwischen dem Joker und ihm und seine sexuelle Erregung, die ihn allein beim Anblick des Clown Prince of Crime überkommt, behält er lieber für sich. Aber über alles andere berichtet er ihm. Vor allem natürlich über Jokers Drohung und die angebliche Bombe. An diesem Punkt unterbricht ihn Alfred kurz, aber nur, um ihm zu bestätigen, dass es tatsächlich niemals eine Bombe im Coloseum gab. Und Bruce kommen die Tränen vor Erleichterung und Scham (er wollte es, er wollte dem Joker tatsächlich glauben, aber ein Restzweifel blieb, und für dieses fehlende Vertrauen schämt er sich). Alfred am anderen Ende scheint wie stets genau zu wissen, was er gerade durchmacht. „Der Joker hat nicht fair gespielt“, sagt er mit einer gewissen Portion trockenen Humors. „Aber das tut er selten. Du hast dich richtig entschieden, Bruce, indem du das Leben eines einzelnen über das von Hunderttausenden gestellt hast. Jeder Mensch würde das Leben zuerst retten, das für ihn selbst am wichtigsten ist. Das ist weder verwerflich noch falsch, sondern einfach nur menschlich. Und letzten Endes ist Batman genau das: ein Mensch.“ Er hält kurz inne, um seinen Worten Zeit zu geben, richtig zu sacken und fährt dann leise fort: „Ich mache dir deswegen keinen Vorwurf. Und du solltest dir auch keine machen.“ Alfreds Meinung war ihm schon immer und ist ihm auch heute noch wichtig, und daher ist dessen Absolution in diesem Falle beruhigend. Wenn auch nicht wirklich nötig, denn … „Ich mache mir keine Vorwürfe. Nicht deswegen. Mich wurmt eher die Tatsache, dass ich mir keine Vorwürfe mache, wenn du verstehst, was ich meine…“ Alfreds leises Lachen ist wie Balsam für seine Seele. „Ich sehe, für dich besteht noch Hoffnung“, flachst er, wird gleich darauf jedoch wieder ernst. „Bruce? Soll ich euch abho-len?“ Ja, denkt Bruce, doch laut sagt er nur: „Nein danke, ist nicht nötig.“ Wieder lauscht er erstaunt seinen eigenen Worten und weiß doch, daß es die Wahrheit ist. „Ich glaube, noch eine Nacht in der Welt des Jokers zu sein, kann nicht schaden. Es hilft mir, ihn besser zu verstehen.“ Und ihn ungestört zu küssen. „Es geht ihm immer noch nicht besonders gut. Aber es ist nicht so, dass er in ein Krankenhaus müsste.“ Wo ihn andere sehen und berühren und ihn, Bruce Wayne aka Batman nur daran hindern, den anderen zu küssen. „Ich werde mich um ihn kümmern.“ Ja, ihn küssen, streicheln und dann vernaschen. Vorbehaltlos stimmt Alfred ihm zu. Nur sein belustigter Tonfall deutet darauf hin, dass er Bruce sehr wohl durchschaut hat. Bruce beendet das Gespräch mit dem Versprechen, sich am Morgen wieder zu melden. Noch lange nachdem er den Hörer wieder aufgelegt hat, steht Bruce nur da und starrt geistesabwesend auf das Telefon. Schließlich dreht er sich um und geht hinüber zur Badezimmertür, hinter der er das Geräusch der Dusche hören kann. Dort zögert er. Er weiß, wenn er jetzt diese Schwelle übertritt, wird sich alles verändern. Dann gibt es kein Zurück mehr. Er legt die Hand auf die Klinke und drückt sie hinunter. *** Der Joker hört ihn unter dem Wasserrauschen nicht. oder er ignoriert ihn einfach. Mit nachdenklichem Blick steht Bruce in der Mitte des kleinen Badezimmers und entledigt sich zielstrebig, aber nicht hastig, seiner durchnässten Kleidung, läßt sie achtlos neben die des Jokers auf den Boden fallen. Durch das satinierte Glas der Dusche ist der Körper des Jokers nicht mehr als ein heller, verschwommener Schemen. Bruce zögert. Er fühlt sich plötzlich etwas … schüchtern. Er hatte noch niemals etwas mit einem anderen Mann. Und das eine Mal vor einer knappen Woche zählt nicht. da war er nicht ganz bei sich. Das zeigt sich schon daran, daß er sich kaum bis gar nicht daran erinnern kann. Aber anders als damals will er dies hier bei vollem Bewußtsein erleben und vor allem natürlich auskosten. Um sich von solchen und ähnlichen Gedanken abzulenken, beginnt er, die herumliegenden Kleidungsstücke in die Waschmaschine zu stopfen. Wenn der Dreck und der Gestank des Gotham Rivers ausgewaschen ist, kommen die Sachen in den Trockner daneben. Somit dürften sie in zwei bis drei Stunden wieder tragbar sein. Seinen guten Anzug wird er dadurch zwar ruinieren, aber er wird ihn erstmal tragen können, und das alleine ist es, was zählt. Ehe er es sich versieht – nämlich sobald er diesen lila Mantel in die Trommel stopft - kreisen seine Gedanken wieder um sein derzeitiges Hauptproblem. Ob sein guter Wille genügt, seine mangelnde Erfahrung im homosexuellen Bereich auszugleichen? Es wäre viel einfacher, wenn der Joker ebenfalls unerfahren wäre. Ist er aber leider nicht. Wenn Bruce nur daran denkt, wie oft er und Crane … allein der Gedanke läßt ihn erzittern vor Eifersucht. Oder ist es doch nur eine Nachwirkung des Schockzustandes, in dem sich sein Körper noch befindet? Dann sollte er das, was ihn hierher in dieses Badezimmer geführt hat, aber am besten auf einen anderen Zeitpunkt verschieben. Doch da ist dieses wohlbekannte Ziehen in seinem Unterleib. Ein prüfender Blick nach unten zaubert ein selbstzufriedenes Lächeln auf seine Lippen. Es ist wohl doch schlicht und einfach vorfreudige Erregung, die ihn so erzittern läßt. Schwungvoll schließt er die Luke der Waschmaschine, stellt das Programm ein und geht dann hinüber zur Dusche. Ent-schlossen und vom Ehrgeiz gepackt, besser zu sein als Jonathan Crane, schiebt er die Duschtür beiseite. Diesmal hat ihn der Joker gehört. Er dreht sich langsam zu ihm um, die Lippen zu einem herausfordernden Lächeln verzo-gen. Aber noch bevor er irgend etwas sagen kann, presst Bruce ihn schon mit seinem gesamten Körpergewicht an die Flie-sen und bringt ihn mit einem gierigen Kuß vorerst zum Schweigen. Es ist ein sehr dominanter Kuß, von Anfang an will Bruce klarstellen, wer hier die Kontrolle hat. Natürlich leistet der Joker Widerstand – etwas anderes hätte Bruce auch gar nicht erwartet. Aber der Millionär ist massiger und stärker und er schämt sich auch nicht, all das auch einzusetzen. Er will, nein, er muß seine Position beweisen. „Du gehörst mir“, grollt er tief aus seiner Kehle und unterbricht den Kuß nur für dieses Statement, und ehe der andere darauf irgend etwas erwidern kann, fährt er schon wieder damit fort, dessen Mund zu plündern. Auch wenn sich Bruce fest vorgenommen hat, diesmal alles ganz bewußt zu erleben, spürt er schon bald wie die erste heiße Welle der Lust sein Denkvermögen in Mitleidenschaft zieht. Egal wie groß seine Selbstdisziplin auch ist – das hier ist einfach zu viel. Das Gefühl dieses nassen, sehnigen Körpers, hilflos eingeklemmt zwischen ihm und der Wand, die harte, pochende Erek-tion des anderen, die gegen seine eigene reibt und drückt, die Fingernägel, die sich so nachdrücklich in seine Schultermus-keln krallen, dieser heiße, köstliche Mund, aus denen ao anregende, halb erstickte Laute kommen … und über allem hängt dieser Duft nach wilden Beeren, der mit jedem Atemzug intensiver wird … Selbst wenn er es wollte, kann sich Bruce nicht mehr bremsen. Sein Höhepunkt überrollt ihn, noch bevor er zum eigentli-chen Akt gekommen ist – plötzlich und viel zu früh. Doch anstatt sich jetzt beschämt zurück zu ziehen, stachelt dies nur seinen Ehrgeiz noch weiter an. Keine halbe Minute später hat er den Joker aus der Dusche hinüber ins angrenzende Schlafzimmer gezogen, wo er ihn ohne Umschweife und so klitschnass wie sie beide sind aufs Bett stößt, um sich sofort auf ihn zu stürzen und dort weiter-macht, wo er im Badezimmer aufgehört hat. *** Bruce weiß was er will, er war sich dessen noch niemals so sicher wie jetzt, und er hat es noch niemals uneingeladen in einem fremden Bett getrieben. In einer fremden Wohnung. In die er eingebrochen ist. Das ist so verrucht. Er ist so hart, daß es richtiggehend schmerzt und kann seine Ungeduld kaum zügeln. Das unter der Dusche war ja ganz nett, aber nicht mehr als der Aperitif – jetzt ist er bereit für den Hauptgang. „Gott“, keucht er schwer in ein weißes Ohr, die Finger tief in grünem Haar verkrallt. „Ich will dich. So. sehr.“ Jokers Antwort besteht aus einem tonlosen Wimmern, das schnell zu einem unterdrückten Schrei wird, als sich Bruce mit einem einzigen schnellen Stoß bis zum Anschlag in ihm versenkt. Joker kann ein überraschtes, schmerzerfülltes Luftschnappen nicht unterdrücken und zuckt instinktiv zusammen. Bruce‘ stürmische, ja geradezu brutale Art irritiert ihn. Er hat ihn sich immer als gefühlvollen, zärtlichen Liebhaber vorgestellt, nie hätte er sich vorstellen können, daß das Tem-perament, das er damals im Manor, bei ihrem ersten Mal, unter Beweis gestellt hat, zu seinem normalen Gebaren gehört. Er ist so ... dominant. Der Joker weiß nicht, ob ihm das gefällt. Aber er wehrt sich auch nicht. Das nächste Mal, ja, da wird er nicht zulassen, sich in dieser Position wieder zu finden – so hilflos, so ausgeliefert fühlt er sich nicht wohl. Aber diesmal will er es Bruce noch durchgehen lassen. Schön blöd wäre er, jetzt, wo er endlich das bekommt, wovon er schon seit Jahren träumt, sich durch seinen Stolz zu rui-nieren. Und die paar Schmerzen hält er aus. Obwohl Sex nicht schmerzen sollte – jedenfalls nicht so sehr. Zuerst versucht er, aktiv mit zu arbeiten, doch ihm geht schnell die Luft aus. Vor allem, als Bruce damit aufhört, seinen Mund zu plündern und sich stattdessen an der empfindlichen Stelle zwischen Hals und Schulter festsaugt, auf diese Art den Energieaustausch zwischen ihnen abbricht. Während Bruce gar nichts davon mitbekommen zu haben scheint, fehlt dem Joker diese Energie beinahe sofort. Schlaff und passiv liegt er da, schafft es gerade noch, sich an Bruce’ Schultern festzuklammern, während ihn dieser mit jedem Stoß tiefer in die Matratze drückt. Dann verändert Bruce den Winkel und trifft diesen einen bestimmten Punkt in seinem Inneren. Immer wieder und wieder. Aus Schmerz wird Lust. Seine Welt zerfasert, sein Denken löst sich auf und in seinen Ohren beginnt es zu klingeln. Aus dem Klingeln wird eine ihm wohlbekannte Melodie. Sie ist so laut, sie übertönt sogar Bruce` Stöhnen. Nun ist dieser starke, muskelprotzende Körper auf ihm das einzige, was ihn in dieser Welt noch hält. Bruce seinerseits findet Gefallen daran zuzusehen, wie der Körper unter ihm mit jedem Stoß erzittert, wie sich seine Miene lustvoll verzieht, wie er den Kopf zurückwirft und atemlos aufstöhnt, wie die Hände – die sich eben noch schmerzhaft in seine Schultern krallten – plötzlich kraftlos in die Laken rutschen und sich dort in rührender Hilflosigkeit in den Stoff klammern. Es ist ihm ein wahres Vergnügen, diese Hände einzufangen und über Jokers Kopf in die Kissen gepresst festzuhalten. Wie hilflos er unter ihm liegt. Wie ausgeliefert und wehrlos. Und wie widerspruchslos er sich ihm ergibt. All das steigert seine Erregung ins geradezu Unermessliche. Er spürt, wie er in Jokers Inneren anschwillt und zu zucken beginnt, und wie dessen Erektion an seinem Bauch auf dieselbe Art zu antworten scheint. Das will er auskosten, genauer studieren. Mühsam verringert er sein Tempo, obwohl alles in ihm nach dem Gegenteil drängt. Doch irgend wann kann auch der noch so gut trainierte Liebhaber seinen Höhepunkt nicht mehr länger herauszögern, schon gar nicht, wenn der Anblick und die Nähe des Partners wie ein Aphrodisiakum auf einen wirkt. Die Handgelenke des Jokers fest umklammernd und den Blick starr auf dessen blasses Antlitz gerichtet, um nur ja keine Gefühlsregung zu verpassen, kommt er mit einem letzten, tiefen Stoß, der nicht nur ihn aufschreien lässt. Er sieht und fühlt, wie er den anderen mit in den Abgrund reißt. Stolz, befriedigt und hinlänglich erschöpft, zieht er sich zurück und rollt von ihm herunter, legt sich neben ihn. Langsam, genüsslich lässt er seine Blick über den schweratmenden Körper neben sich gleiten, ergötzt sich an jedem Mus-kel, jeder feinen Kurve, jedem einzelnen Schweißtropfen. Besondere Aufmerksamkeit gönnt er Jokers intimsten Stellen. Der Penis eines anderen Mannes hat ihn seit seiner Jugend nicht mehr interessiert – und damals ging es nur um die übli-chen, typischen Teenager-Schwanzvergleiche. Aber diesmal fühlt er sich von diesem Anblick genauso angezogen wie sonst von den Brüsten einer Frau. Aber nicht nur das – ungewohnterweise verspürt er diesmal auch so etwas wie Stolz. Das dort – gedankenverloren taucht er seinen Zeige-finger in das Sperma auf Jokers Bauch und führt den Finger dann zu seinem Mund – ist seins. Vor kurzem war es noch hart und groß, und das lag ganz allein an ihm. Hm, denkt er schläfrig, während er dem nussigen Geschmack auf seiner Zunge nachspürt, ob die Frauen, die er bisher beglückt hatte, ähnliche Gedanken beim Anblick seines besten Stücks hatten wie er jetzt? Ob Harley Quinn wohl so dachte und fühlte, wenn der Joker mit ihr Sex hatte? Doch der Gedanke an die quirlige Blondine streift ihn nur ganz flüchtig, so kurz nach dem Orgasmus ist er viel zu träge um Eifersucht zu empfinden. Außerdem sieht der Joker einfach nur bezaubernd aus, wenn er sich von seinem Höhepunkt erholt, wieso sollte er sich da mit unnützem Zeug belasten? Doch dann fällt ihm etwas an dem anderen auf und Ernüchterung stellt sich ein. Derselbe Zeigefinger, den er eben noch abgeleckt hat, legt sich nun auf Jokers Unterlippe und wischt einen verirrten Blutstropfen beiseite. „Warum?“ murmelt er leise, beinahe unhörbar. Nur zu gut erinnert er sich an die andere Gelegenheit, wo sich der Joker die Unterlippe zerbissen hatte. „Wieso machst du das? Ist da irgend etwas, was ich nicht hören soll?“ Der Joker, noch immer ganz benommen und eindeutig noch nicht in dieser Welt angekommen, macht etwas völlig überra-schendes: er rollt sich an Bruce` Seite zusammen und legt seinen Kopf auf dessen breite Brust. Während er so daliegt und Bruce` Herzschlag lauscht, entspannt er sich zunehmend. „Ich liebe dich“, murmelt er plötzlich und schläft dann sofort ein. Bruce allerdings liegt noch lange wach und starrt blicklos an die Zimmerdecke. Doch irgendwann trifft ihn die Erkenntnis mit der Wucht eines Vorschlaghammers. „Bei Gott“, flüstert er ergriffen und zieht den Schlafenden in eine feste Umarmung. „Ich dich auch.“ *** Kapitel 12: Kapitel 25-27 ------------------------- 25. Kapitel Selina Kyle kann nicht anders. Sie muss einfach bis über beide Ohren grinsen, als sie das sieht: Bruce Wayne, berühmtester Millionär von Gotham City mit dem Ruf eines Playboys, steht im Armani-Anzug in einem fremden Schlafzimmer und bezieht das Bett mit frisch gewaschenen Laken. Und seine sonst immer so makellos frisierten Haare sehen aus, als hätte noch vor Kurzem jemand begeistert darin herumgewuschelt. Und sie könnte schwören, dass es genau so war. Der unverwechselbare Geruch nach Sex, der noch in dem Zimmer hängt und den sie Dank ihrer feinen Katzensinne deutlich wahrnehmen kann – da helfen auch keine noch so weit und lange aufgerissenen Fenster – spricht für sich. Er bemerkt sie natürlich und wirft ihr prompt einen ungehaltenen Blick zu. „Hast du nichts Besseres zu tun?“ „Nein“, erwidert sie fröhlich und wahrheitsgemäß. Er grummelt leise vor sich hin und gibt sich alle Mühe, sie zu ignorieren. Sie sieht ihm noch eine Weile interessiert zu, wie er das Kopfkissen aufschüttelt und erkundigt sich schließlich süffisant: „Habt ihr so viel herumgesaut, dass du dich bemüßigt fühlst, die Wäsche zu waschen und alles neu zu beziehen?“ Er gibt zwar keinen Ton von sich, aber die Art, wie sich seine Wangenmuskeln verspannen, spricht Bände. Ihr Grinsen wächst in die Breite. „Schäm dich, Bruce Wayne.“ Kichernd weicht sie dem Kissen aus, das nach ihr geworfen wird, beschließt dann aber doch, das Zimmer und somit Bruce Waynes Reichweite zu verlassen. Für den Moment hat sie ihn genug geärgert. Tatsächlich lässt sie einen ausgesprochen vergrätzten Millionär zurück. Ausgerechnet Selina! Warum musste Alfred sie mitbringen, wieso konnte er sie nicht alleine abholen kommen? Obwohl … so, wie er Catwoman kennt, hat diese seinem alten Freund einfach keine andere Wahl gelassen. Jedem Mann fällt es schwer, ihr etwas abzuschlagen, wenn sie verführerisch mit den Wimpern klimpert. Erst recht, wenn man(n) dann auch noch zärtliche Gefühle für sie hegt. Die Tatsache, dass sie und Alfred so offensichtlich ein Paar sind, trifft ihn dabei nicht halb so schwer wie die Erkenntnis, dass Alfred das vor ihm geheim gehalten hat. Aber er ist fair genug, das gut zu verstehen, immerhin weiß Alfred von den inzwischen schon traditionsreichen, aber dafür absolut harmlosen Flirts zwischen Batman und Catwoman. Wirklich ernst war es zwar nie zwischen ihnen gewesen, aber der Mann, der ihn nach dem Tod seiner Eltern so selbstlos aufgezogen hat, ist eben durch und durch ein wohlerzogener Brite und sehr diskret in Liebesangelegenheiten. Bruce weiß, dass er bei Alfred immer an erster Stelle stehen wird – eben wie ein richtiger Sohn. Ob ihm das nun paßt oder nicht. Und er weiß auch – ein einziges Wort von ihm gegen diese Verbindung und Alfred würde Selina in die Wüste schi-cken. Zu Alfreds und Selinas Glück ist Bruce jedoch kein verzogenes Kind mehr. Selbst wenn er zärtliche Gefühle für Selina hegen würde, wäre das für ihn kein Grund, sich zwischen die beiden zu stellen. Und wer weiß – um Bruce‘ Lippen zuckt bei diesem Gedanken ein kleines Lächeln – vielleicht ist Alfred genau das, was diese Frau braucht, um etwas weniger Catwoman und mehr Selina Kyle zu sein? Und während in dem einen Zimmer also ein dunkelhaariger, gutaussehender Millionär über das heimliche Liebesglück zweier ihm nahestehenden Personen nachgrübelt, schlendert die schöne Selina durch das andere Zimmer, und zwar schnurstracks hinüber zur offenen Küche. Um ihre Lippen zuckt dabei noch immer dieses fröhliche Lächeln. Doch es wird merklich angestrengter, je näher sie der Küchenbar kommt, an der niemand geringerer als der Joker höchstpersönlich sitzt. Obwohl… sitzen kann man das nicht nennen. Hängen trifft es wohl eher. Er sieht aus, als könnte er jede Sekunde zur Seite hin wegsacken. Aus diesem Grunde steht wohl auch Alfred kaum eine Armlänge von ihm entfernt. Auf diesen Anblick war Selina wirklich nicht vorbereitet, und obwohl sie es nicht will, zieht sich ihr Herz vor Mitleid zusammen, sobald sie den ehemals stolzen Clown Prince of Crime so sieht. Sie weiß nicht, was sie erwartet hat, als Alfred sich vor zwei Stunden von ihr verabschieden wollte, um die beiden hier abzuholen und sie sich ihm einfach anschloss, aber definitiv nicht das. Sicher, sie weiß, dass der Joker derzeit unpässlich ist, aber so schlimm hat sie es sich nun doch nicht vorgestellt. Sogar seine wahnwitzig langen Dreadlocks, um die sie ihn immer so beneidet hat, hängen stumpf und glanzlos an ihm herab. Jede Leiche sieht gesünder aus als er. Schwer vorstellbar, dass er in diesem Zustand überhaupt zu amourösen Aktivitäten mit Bruce imstande war. Aber ihre Nase hat sich in solchen Dingen nicht getäuscht. Sie hatten vor kurzem noch Sex. Dann muss der Joker aber unten gelegen haben. Pfui, Selina, schimpft sie mit sich selbst wegen dieses Gedankens. Nicht darüber nachdenken. Bloß nicht genauer darüber nachdenken. Aber es ist schon längst zu spät. Ihr Kopfkino läuft auf vollen Touren. Nur zwei Sekunden später hat sie sich wieder im Griff. Dass sich dennoch in ihren Tonfall eine gewisse Anzüglichkeit schleicht, kann sie allerdings nicht vermeiden. „Ich habe noch nie gesehen, dass Bruce die Betten macht. Ich wusste gar nicht, dass er das überhaupt kann.“ Betont beschwingt schlendert sie hinüber zur Anrichte, wo die Kaffeemaschine mit frisch aufgebrühtem Kaffee lockt. Ohne jede falsche Scheu sucht sie in den fremden Schränken nach einer geeigneten Tasse. „Nicht nur das“, sagt der Joker und klammert sich dabei an seiner eigenen Tasse fest. „Er hat sich auch um unsere Klamot-ten gekümmert und das Bad geputzt. Er konnte nicht schlafen. Er dachte wohl, ich merke das nicht.“ Selina und Alfred wechseln hinter seinem Rücken einen schnellen Blick. Die ungewöhnliche Ausdruckslosigkeit in Jokers Stimme beunruhigt sie beide gleichermaßen. „Das war gestern für euch wohl ein anstrengender Abend“, wagt Selina dann einen vorsichtigen Vorstoß, wobei sie sich bemüht, ihre Gedanken nicht in eine unanständige Richtung abgleiten zu lassen. „War ja ganz schön was los im Soccer Stadion“, setzt sie dann hauptsächlich für sich selbst erklärend hinzu. So ganz will es ihr aber nicht gelingen. Ihre Gedanken scheinen Gefallen an der Vorstellung von Bruce und Joker im Bett gefunden zu haben. „Das war wirklich eine Glanzleistung“, lobt sie, als der Joker immer noch nicht reagiert. Doch auch darauf erhält sie keine Antwort. Der Joker starrt weiterhin vor sich hin ins Leere. Mit einer gewissen Besorgnis erkennt Selina, dass er diesmal nicht wie so oft nur etwas anderes zu sehen scheint, sondern tatsächlich so stumpfsinnig und blicklos Löcher in die Luft starrt wie das normale Menschen so oft und gerne tun. Er ist fertig, erkennt sie. Absolut am Ende. Schließlich spottet er nicht einmal über ihre neue Haarfarbe. Sie wirft Alfred einen schnellen, hilfesuchenden Blick zu, doch er scheint genauso ratlos zu sein wie sie, denn er zuckt nur mit den Schultern. Es kommt ausgesprochen selten vor, dass er nicht weiter weiß, und nichts verrät ihr mehr, wie ernst diese Sache hier ist. Die Stille, die sich zwischen ihnen ausbreitet, ist unangenehm und verursacht bei ihr den Drang, irgend etwas zu sagen, sei es auch noch so belanglos. Nur – ihre Kehle fühlt sich an wie zugeschnürt. Nicht einmal ein Räuspern will ihr gelingen. Daher nimmt sie erst einmal einen kräftigen Schluck von ihrem Kaffee. Vielleicht kann sie den Kloß in ihrer Kehle ja einfach hinunterspülen… Doch dann findet der Joker seine Stimme wieder, und zwar so plötzlich, dass sich Selina fast verschluckt. „Du und Alfred?“ Er hebt den Kopf und starrt sie beide abwechselnd an. In seinem Blick liegt so etwas wie … Freude? Überrascht hält Selina die Luft an. Er ist wieder da, von einem Moment auf den anderen, und zwar auf eine Weise, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Er freut sich für sie? Wirklich? Sie ist so verblüfft, dass sie seine folgenden Worte beinahe überhört hätte. „Ich gratuliere euch. Das ist wirklich eine gute Entwicklung. Ihr paßt zusammen.“ Sie weiß nicht, was sie darauf antworten soll und ist im ersten Moment erst einmal sprachlos. Alfred allerdings, der mit dem in den letzten Tagen zunehmend merkwürdigeren Benehmen des Jokers schon etwas Erfahrung aufweist, nickt ihm einmal kurz zu und lächelt. „Danke.“ Es beinhaltet mehr als bloße Höflichkeit. Selina kennt wirklich niemanden, dem es gelingt, in ein simples Wort so viel Respekt zu legen wie ihrem Alfred, und dafür – und das schämt sie sich nicht zuzugeben – bewundert sie ihn sehr. Der Joker gibt nur einen Ton von sich, der wie eine seltsame Mischung aus Seufzen und Schnaufen klingt und starrt weiter vor sich hin. Doch diesmal hat sich ein völlig anderer Glanz in seine Augen geschlichen. Von einem plötzlichen Verdacht geleitet, stößt sich Selina von der Anrichte ab und stellt sich vor ihn. Direkt – wie sie hofft, vor das, was auch immer er dort sieht. Dann beugt sie sich etwas nach vorne, bis ihre Augen auf gleicher Höhe sind und mustert ihn durchdringend. „Was siehst du?“ fragt sie ihn leise und vorsichtig. „Ich weiß, dass du etwas siehst. Du und ich, wir sind nicht so wie die normalen Menschen. Wir nehmen die Welt anders wahr. Ich weiß, dass meine Sinne denen einer Katze ähneln und manchmal sehe ich …Dinge. Paranormale Dinge. Ich weiß, dass du noch viel mehr siehst. Du bist nicht verrückt, nur an-ders. Es hat mich bisher nicht interessiert, das gebe ich zu. Und was gestern im Soccer Stadion passiert ist, welchen Grund du dafür hattest, was du gesehen hast, um diese Menschen so zu strafen – es ist mir gleich. Aber es interessiert mich, was du jetzt siehst. Was siehst du da zwischen mir und Alfred? Ich muss es wissen, Joker.“ Ihre Stimme wird immer eindringli-cher. Ohne dass sie es selbst bemerkt, hat sie Jokers Gesicht in beide Hände genommen, genau wie sie es immer bei ihren Katzen macht und starrt ihn auch genauso eindringlich an. Erst das drohende Aufblitzen in Jokers roten Augen erinnert sie daran, wie gefährlich es sein kann, den Joker auf diese Weise zu behandeln. Doch irgend etwas in ihr weigert sich, jetzt klein beizugeben. Und so starrt sie ihn weiter an. Das kann sie genauso gut wie jede Katze. Aber er auch. Doch er ist wirklich erschöpft, denn er hält dieses Blickduell gerade mal fünf zehn Sekunden durch, bevor er blinzelt. „Okay“, gibt er sich geschlagen, und sie lässt ihn sofort los. Der Joker holt einmal tief Luft und stößt sie dann mit einem kleinen Seufzer wieder aus. Selina geht ihm auf die Nerven und ihre Fragen erst recht. Daher hat er beschlossen, sie ehrlich zu beantworten. „Ich sehe neuerdings tatsächlich etwas. Silbrige Spinnenfäden, die die Menschen miteinander verbinden. Und das zwi-schen euch beiden ist sehr stark. Sehr glänzend. Und was siehst du, Kätzchen?“ Um Selinas Lippen zuckt es kurz. Sie durchschaut diese Taktik: einschmeicheln, beschwichtigen und von sich ablenken, indem der Ball sofort weitergereicht wird. Aber gut, sie spielt das Spiel gerne mit. Er war schließlich ehrlich zu ihr und das, was er ihr sagte, freut sie aufrichtig. Auch wenn ihre Wahrheit für ihn weniger erfreulich sein wird. So, wie sie ihn kennt, sagt sie ihm da aber wohl nichts Neues. Unwillkürlich beugt sie sich wieder etwas vor und ergreift seine Hände, drückt sie sanft. Die Haut seiner Finger ist genauso beunruhigend klamm und kühl wie die seiner Wangen. „Ich sehe einen sehr, sehr kranken Mann. Du bist fertig, Joker. Absolut am Ende. Lass dich von Brucie gesund pflegen, das wird euch beiden gut tun.“ „Oh, keine Sorge, das mache ich.“ Mit dem breitesten Grinsen dies- und jenseits der Galaxis durcheilt Bruce Wayne den Raum. Beim Joker angekommen, bleibt er stehen, wo er sich zu ihm hinüberbeugt und ihm einen Kuss auf die Wange drückt. Doch das reicht dem Joker ganz offensichtlich nicht. Zielstrebig packt er Bruce am Hemdkragen und zieht ihn dann näher zu sich heran, um sich einen richtigen Kuss zu stehlen. Doch es sieht sehr verzweifelt und hungrig aus. Irgend etwas passiert zwischen den beiden, das spürt Selina ganz deutlich. Und wenn man ganz genau aufpasst, kann man es auch sehen. Der Joker scheint regelrecht aufzublühen. Sein Teint erscheint ihr plötzlich nicht mehr ganz so fahl und seine gesamte Haltung scheint sich gestrafft zu haben. Als würde das Leben in ihn zurückkehren. Das ist … faszinierend. „Master Bruce‘ Küsse scheinen Ihnen wirklich gut zu tun“, bemerkt Alfred trocken und beweist Selina, dass sie keiner Einbildung erlegen ist. Bruce blinzelt ihnen einmal verschwörerisch zu und um seine Mundwinkel zuckt kurz ein kleines Grinsen. Für eine aus-führlichere oder gar verbale Antwort bleibt ihm weder ausreichend Luft noch Gelegenheit, so sehr hat ihn der Joker jetzt in Beschlag genommen. Er fordert seine gesamte Aufmerksamkeit. Inzwischen hat er sich erhoben und ihn in eine fest Umarmung gezogen, schmiegt sich so eng an ihn, als wolle er mit ihm regelrecht verschmelzen, während sich ihre Münder zu einem wahrhaft verschlingendem Kuss aufeinanderpressen. Um Alfreds Lippen spielt ein versonnenes Lächeln, erinnert ihn dieser Anblick doch an den ersten Kuss zwischen den beiden in der Bathöhle. Damals klammerte sich der Joker genauso an Bruce, als wäre er das einzige auf dieser Welt, als wäre er sein ganz persönlicher Felsen in der Brandung. Und – wie Alfred ganz genau weiß – fühlt sich Bruce in dieser Rolle absolut wohl, schließlich ist er nicht umsonst Batman. Andere zu beschützen ist für ihn eine Herzensangelegenheit. Umso mehr, wenn er denjenigen, der seinen Schutz sucht, so sehr liebt und so sehr braucht wie den Joker. Diese beiden sind wirklich zwei Seiten einer Medaille. Sie gehören zusammen, das ist jetzt mehr als offensichtlich. Für die Dauer einiger Sekunden sieht er den beiden noch gedankenverloren zu, bis er sich schließlich an seine guten Ma-nieren erinnert und sich taktvoll abwendet. Er schnappt sich das benutzte Geschirr und macht sich an den Abwasch. Selina beobachtet die zwei Verliebten noch etwas länger, doch schließlich gesellt sie sich, mit einem Geschirrtuch bewaff-net, an seine Seite. „Ich glaube“, wispert sie in Alfreds Ohr, während sie einen sichernden Blick über ihre Schulter zu den so unterschiedlichen und doch so ähnlichen Männern zurückwirft, „der Joker ist immer noch ein Vampir. Nur saugt er jetzt kein Blut, sondern irgend etwas anderes.“ Nun schielt auch Alfred zu den beiden hinüber, doch die sind so sehr miteinander beschäftigt, dass eine Bombe neben ihnen explodieren könnte und sie würden es nicht einmal bemerken. „Er hat als Vampir niemals jemandem geschadet. Und er wird jetzt nicht mit Bruce anfangen“, flüstert er genauso leise zurück. Er ist sich darüber bewusst, dass er so etwas vor drei Wochen noch nicht gesagt hätte, aber inzwischen hat er den Joker besser kennen- und verstehengelernt. Und Selina, die all das, was er hier in so wenige Worte verpackt hat, schon vor Jahren begriffen hat, lächelt nur und gibt ihrem schlauen Freund einen kleinen Kuss. Aus dem sehr schnell ein etwas längerer wird. *** Es fühlt sich an wie Nach-hause-Kommen: weich und behaglich. Das Anwesen selbst begrüßt ihn mit dieser kribbligen Wärme und die Geister von Bruce‘ toten Eltern sehen mit einem milden Lächeln auf ihn herab. Er bekommt dasselbe Zimmer wie zuvor, das der ehemaligen Gouvernante. Bruce‘ Zimmer wäre ihm zwar lieber gewesen, aber er muss Alfred zustimmen: in Anbetracht der vielen Frauen, die dort schon mit Bruce das Bett geteilt haben, ist es wirklich besser, wenn er sich wieder hier einrichtet. Wenn Alfred ihm weiterhin so viel Rücksicht und Respekt entgegen-bringt, wird Joker ihn irgendwann noch einmal küssen. Der Mann ist wirklich wunderbar. So einen Vater hätte er auch gerne gehabt. Das heißt, wenn er sich an seinen Vater erinnern könnte … vielleicht war sein Vater ja auch so ein Glücks-griff … vielleicht aber auch nicht. Für einen kurzen, melancholischen Moment bedauert er es, sich nicht daran zu erinnern. So fügt sich alles zusammen, nicht wahr? schießt es ihm zusammenhanglos durch den Kopf. Wären Bruce Waynes Eltern nie gestorben, hätte Alfred ihn nicht aufgezogen und Bruce wäre nie zu diesem rechtschaffenen, anständigen Mann geworden, der er ist. Und dann gäbe es keinen Batman. Und keinen Joker. Das nennt man Schicksal. Er sieht das alles ganz klar vor sich. Sehr schnell aber verschwimmen seine Gedanken wieder. Müde sinkt er auf sein Bett und noch bevor sein Kopf das Kissen berührt, ist er schon eingeschlafen. Sorgsam legt Bruce eine Decke über ihn, streicht ihm noch einmal durch das dicke, grüne Haar und gibt ihm einen kleinen Abschiedskuss auf die Stirn, bevor er leise das Zimmer verlässt. Es gibt noch viel zu tun. Er hat nämlich beschlossen, aus seinem bisherigen Schlafzimmer auszuziehen. Er wird mit Alfreds Hilfe eines der vielen leerstehenden Zimmer gemütlich herrichten, damit er die Gesellschaft des Jokers zukünftig genießen kann ohne ständig befürchten zu müssen, dass dessen Gefühle von den Echos vergangener Liebschaften beeinflusst werden. An die Krankheit des Jokers verschwendet er keine großartigen Gedanken mehr – mit der richtigen Pflege, bestehend aus vielen Küssen inklusive der nötigen Energieübertragung wird seine ewige Nemesis das alles schnell überstehen, das weiß er ganz einfach. *** 26. Kapitel Das Batmobil beschreibt einen eleganten Bogen, bevor es schlitternd zum Stehen kommt. Es hat kaum angehalten, da springt Batman schon heraus. „Erfolg gehabt, Sir?“ erkundigt sich Alfred höflich, während er seine Blicke geübt über den Körper seines jungen Arbeitgebers wandern lässt. Zu seiner unendlichen Erleichterung kann er keine größeren Schäden am Kostüm erkennen – das heißt dann wohl, er kann den erste-Hilfe-Koffer heute beruhigt wieder zurückstellen. „Nicht wirklich“, erwidert der dunkle Ritter Gothams und sieht sich suchend um. „Er ist oben“, beantwortet Alfred die noch nicht gestellte Frage. „Er sah müde aus. Ich habe ihn ins Bett geschickt.“ „Danke.“ Mit großen Schritten und wehendem Cape durchquert er die Bathöhle und nimmt einen der verborgenen Aufgänge nach oben, während ihm Alfred nur mit einem leisen Lächeln hinterherblickt. *** Er nimmt sich nicht erst die Zeit, sich umzuziehen und stürmt mit raumgreifenden Schritten durch die Bibliothek und nimmt dann die Treppe nach oben in den Westflügel, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Er hat einige wirklich frustrierende Stunden hinter sich und will jetzt nur noch eines: in den Armen seines Liebsten Vergessen finden. Ungeduldig schiebt er sich die Maske in den Nacken, reißt sich die Handschuhe herunter und lässt sie achtlos fallen. Hoffentlich schläft er noch nicht. und wenn doch, wecke ich ihn. Wäre ja nicht das erste Mal. Und bisher hat er sich noch nie beschwert. Nicht gerade sehr leise poltert er in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Vor drei Wochen noch war ein leerer Raum von vielen. Ein Raum ohne neuere Vorgeschichte. Genau wie die Möbel. Alle brandneu. Nur das Beste, damit sein Joker sich ganz allein auf ihn konzentrieren kann. Von dem Lärm aus dem Schlaf gerissen, schreckt der Joker hoch. Verschlafen blinzelt er die muskelstrotzende Gestalt an, die sich da vor ihm im Türrahmen aufbaut. Als ihm das zum ersten Mal passierte, hatte er ganz instinktiv reagiert und war schon am Fenster, hatte es schon geöffnet, um hinaus zu springen, bis er begriff, um wen es sich da handelte. Inzwischen weiß er es besser, aber ein Teil von ihm wird sich wohl niemals daran gewöhnen. Er fühlt sich unwohl bei diesen Überfällen. Harley hatte so etwas auch immer gerne versucht, ganz egal, wie oft er ihr dafür eine geknallt hat. Sie war eben unbelehrbar. Wieso er sich das jetzt von Bruce gefallen lässt, ist ihm selbst schleierhaft. Genauso wie so vieles andere auch. Viel Zeit um richtig wach zu werden bleibt ihm nicht, da ist Bruce schon mit blitzenden blauen Augen über ihn. Während er ihm einen harten, besitzergreifenden Kuss aufdrückt, lässt er seine rechte Hand unter die Decke und über diesen vielversprechenden Körper wandern. Er spürt, wie der Joker unter der Berührung seiner Finger erschauert und grinst in sich hinein. Er ist nackt, wie schön. Anscheinend hat er auf ihn gewartet. Sein Kuss wird tiefer, verlangender, ihre Zungen duellieren sich und wie stets gewinnt Batman. Gierig plündert er jeden Winkel dieser Mundhöhle. Er schmeckt so gut! Und er riecht noch besser. Inzwischen hat sich seine freche Hand schon bis zu seinem Schritt vorgearbeitet. Er spürt, wie er unter seinen Fingern hart wird. Irgendwo tief in seinem Inneren erinnert er sich an das erste Mal, wo er ihn so ihn der Hand hielt und wie peinlich ihm das war. Jetzt ist es ihm nicht mehr peinlich. Jetzt fühlt es sich einfach nur noch gut und richtig an. Und je öfter er das hier macht, desto besser wird es. Es dauert nicht lange, bis sich der Joker ihm verlangend entgegendrückt. Ihre Münder kleben aneinander, sie atmen dieselbe Luft und zwischen ihnen fließt wieder diese gewisse Energie. Seit einer Woche ist daraus nur ein kleiner, träge fließender Strom geworden, nicht mehr so viel wie in dieser schicksalsträchtigen Nacht, und das ist wirklich gut, bedeutet es doch, dass seine Heilung abgeschlossen ist. „Dreh dich um“, befiehlt Bruce mit vor Erregung heiserer Stimme. Der Joker gehorcht, doch als er sich sicher ist, dass Bruce seine Miene nicht sehen kann, schneidet er eine Grimasse. Beschämt und verstört zugleich presst er sein Gesicht in die weichen Kissen. Beschämt, weil dies hier nicht unbedingt seine Lieblingsposition ist und verstört, weil er sich nicht erklären kann, wieso er sich nicht aufraffen kann, zu protestieren. Bruce kniet sich hinter ihm und nestelt ungeduldig an seinem Gürtel herum, um seine heftig pochend nach ihrem Recht verlangende Erektion endlich zu befreien. Er hält sich nicht damit auf, sich zu entkleiden, das kann er später immer noch nachholen. Wenn er die zweite Runde einläutet. Und vielleicht schafft er heute sogar eine dritte. Besitzerstolz wallt in ihm auf, als er seinen Blick noch einmal über diesen Körper vor sich wandern lässt. Der Joker, vor ihm auf allen Vieren … sein Atem wird schwer. Beinahe grob packt er zu, krallt seine Finger in diese schmalen Hüften, wo schon viele blaue Flecken unterschiedlichster Färbung von ähnlichen Behandlungen zeugen und schiebt sich stöhnend in ihn hinein. Zuerst langsam und genüsslich, doch dann, als er es kaum noch aushalten kann, beendet er es mit einem einzigen, ungeduldigen Stoß. Dem viele weiter folgen. Und wieder stellt er fest, dass dies hier besser ist als jede Frau, die er jemals hatte. Besser noch als jede Jungfrau. Egal wie oft sie das hier machen, der Joker ist jedes Mal so eng, dass es ihn beinahe schmerzt. Nur beinahe. Und nie hätte er gedacht, dass dieses Gefühl seine Lust auf diese Weise steigern könnte. Sein gutturales Stöhnen vermischt sich mit dem des Jokers, als er seine rechte Hand von dessen Hüfte nimmt, sie nach vorne führt und sie fest um dessen schändlich vernachlässigte Erektion schließt. Er massiert ihn im Takt seiner Stöße und berauscht sich an den flehentlichen Tönen, die der Joker schließlich von sich gibt, nichtsahnend, wie sehr sich der Joker in diesem Moment dafür selbst hasst. *** Träge fällt ein tiefrotes Blatt zu Boden, vermischt sich dort mit dem anderen Laub, das zwischen den Wurzeln der knorrigen Eiche liegt. Ein heftiger Windstoß fährt durch seine Dreadlocks und durch das Laub gleichermaßen, lässt die Blätter kurz auftanzen. Er riecht nach Regen. Und nach dem nahendem Winter. Der Joker atmet einmal tief durch, doch der merkwürdige Druck auf seiner Brust will nicht weichen. Seltsam, dabei sind seine Rippen doch schon längst verheilt… Von hier aus kann er das große Tor sehen, das das Wayne Anwesen von der Straße trennt. Hundert Schritte trennen ihn davon. Hundert Schritte und er könnte all das hier hinter sich lassen. Aber so groß auch der Wunsch ist zu gehen, so groß ist auch der Wunsch zu bleiben. Bruce … Batman … er liebt ihn. Aber manchmal hat er das Gefühl, dass es nicht ausreicht, dass ihm irgend etwas Entscheidendes fehlt, vor allem nach Nächten wie diesen. Er kennt dieses Gefühl, und er fürchtet es. Es ähnelt zu sehr dem, das er Harleen zum Ende hin entgegenbrachte. „Was soll ich nur tun?“ murmelt er gequält, hebt beide Hände und vergräbt sie in seinen Haaren. Verzweifelt zieht er daran, bis ihm der Schmerz heiß und scharf in die Kopfhaut sticht. Doch dieser Schmerz vermag es nur kurzfristig, den in seiner Brust zu ersetzen. Tief in ihm heult etwas auf wie ein gefangenes Tier. Eine hauchzarte Berührung an der Schläfe lässt ihn aufblicken. Er starrt direkt in ein besorgtes, helles Augenpaar. Dunkle Haare umhüllen ein aristokratisch geschnittenes Gesicht und rote Lippen formen stumme Worte. Er erkennt sie sofort. Es ist der Geist von Martha Wayne, und sie ist längst nicht mehr so substanzlos wie früher. Wieder sagt sie etwas, doch er kann nichts hören. Das muss er aber auch nicht. Ihr mitfühlender Gesichtsausdruck ist deutlich genug. „Geh weg!“ flüstert er mit zunehmendem Entsetzen, während sich seine Finger noch fester in seinen Haaren verkrallen, noch heftiger daran ziehen, so fest, bis ihm die Tränen in die Augen schießen. „Hau ab!“ Ein Augenblinzeln später ist sie tatsächlich verschwunden, doch er ist alles andere als erleichtert. *** „Sir?“ entschlüpft es Alfred besorgt, als er das Arbeitszimmer betritt und dort Bruce am Fenster stehen und hinausstarren sieht. Er muss die Sorgenfalten nicht sehen, um zu wissen, dass sie sich wieder tief ins Gesicht des jungen Mannes gegraben haben. Seine Haltung, seine gesamte Ausstrahlung verrät es ihm. Alfred seufzt innerlich einmal tief auf. Es war ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Bruce ist und bleibt nun einmal ein Grübler. Bruce dreht sich nicht zu ihm um, aber er bedeutet ihm, sich neben ihn zu stellen. „Da“, sagt er dann nur und tippt vielsagend ans Fensterglas. Gehorsam folgt Alfred der Richtung, in die der Finger weist und seufzt diesmal wirklich laut auf, als er sieht, was oder genauer gesagt, wer dort draußen Bruce‘ Aufmerksamkeit fesselt. Dort, mitten im verblühten Azaleengarten, steht der Joker. Er ist mal wieder barfuß, wie Alfred ungnädig bemerkt. Aber wenigstens trägt er seinen Mantel. Es ist immerhin schon empfindlich kalt da draußen und obwohl es mit seiner Genesung ständig bergauf geht, macht sich Alfred Sorgen um ihn. Eine Erkältung kann er bestimmt nicht gebrauchen. Er steht mit dem Rücken zu ihnen, die Hände in den Haaren verkrallt. Etwas, was Alfred hoffte, nie wieder bei ihm sehen zu müssen. Er wundert sich nur, dass Bruce noch hier oben steht. „Ist irgend etwas zwischen euch vorgefallen, Bruce?“ Dieser denkt kurz darüber nach und zuckt dann mit den Schultern. „Nichts anderes als sonst auch.“ Alfred verbeißt sich ein Grinsen. Die Beziehung zwischen den beiden ist nicht unkompliziert, laustarke Streitereien sind immer noch an der Tagesordnung. Streitereien, die sie spätestens nachts im Bett hinter sich lassen. Oder auf dem Sofa. Oder unten in der Bathöhle. Sogar das Batmobil ist nicht vor ihnen sicher. Und das sind nur die Orte, von denen Alfred weiß. Aber er beschwert sich nicht. er ist einfach nur froh, dass die beiden zu ihrem alten Temperament zurückgefunden haben. Die erste Woche war es nicht leicht, in diesem Haus zu leben. Der Joker erholte sich nur langsam. Bruce wurde aus Sorge schon ganz schwermütig. Außerdem hatte er schwer mit seinem schlechten Gewissen zu kämpfen. Der Anschlag im Soccer Stadion und dessen Folgen beherrschten tagelang die Medien. Polizei und Staatsanwaltschaft brachen fast zusammen unter den Tausenden von Selbstanzeigen und die Börse entging nur knapp einem Crash - schließlich handelte es sich dabei hauptsächlich um einflussreiche Personen in Wirtschaft und Politik. Nicht einmal Wayne Enterprises blieb verschont. Beinahe der gesamte Vorstand musste ausgetauscht werden. Zum Glück ist die Firma solide und übersteht so manchen Sturm. Leider konnte Bruce es sich einfach nicht verzeihen, dass er kein Mitleid für diese Männer und Frauen aufbringen konnte. Aber das alles trat in den Hintergrund, sobald sich der Joker auf dem Weg der Genesung befand. Und eigentlich dachte Alfred, es hätte sich alles eingependelt. Der Joker benimmt sich zwar immer noch untypisch, aber er schleicht nicht mehr nur wie ein Schatten seiner selbst durchs Haus. Das ist Alfreds Meinung nach immerhin ein Fortschritt. Er beschwert sich nicht einmal, wenn Batman auf Patrouille geht und teilt sich dann mit Alfred wie selbstverständlich die Schicht an der Einsatzzentrale in der Bathöhle. Außerdem haben Jokers neue Fähigkeiten, seinen „Batsy-Honeycake“ auch aus der Ferne beobachten zu können, diesen erst vorletzte Nacht vor einem Angriff aus dem Hinterhalt bewahrt. „Irgend etwas fehlt ihm, Alfred. Er versucht es zu kaschieren, aber er ist nicht glücklich hier.“ „Hast du ihn schon gefragt?“ „Nein. Ich fürchte mich vor der Antwort.“ Alfred nickt schweigend und starrt weiterhin aus dem Fenster, genau wie Bruce neben ihm. Der Joker hat sich nicht um einen Zentimeter gerührt. Er rauft sich im wahrsten Sinne des Wortes immer noch die Haare. „Vielleicht“, setzt Bruce leise an, „liegt es an mir. Vielleicht kann ich meinem Inkubus nicht genug geben. Scarecrow deutete so etwas an. Damals, im Soccer Stadion.“ Alfreds Miene verzerrt sich kurz, als er diese Bezeichnung hört. Er hält den Joker nicht für einen Inkubus, auch, wenn er widerstrebend zugeben muss, dass einige Charakteristika durchaus zutreffen mögen. Er ist eher wie Selina der Meinung, dass er viel von einem Energievampir an sich hat. Aber egal, wie man es nennen mag: es ist verstörend, unheimlich und faszinierend zugleich. „Bruce, rede mit ihm. Mach nicht dieselben Fehler wie früher.“ „Ich weiß.“ Aufseufzend lehnt der junge Millionär seine Stirn gegen die Fensterscheibe, während sein Blick wie festgefroren auf dem Joker dort draußen verharrt. „Aber da muss er erst einmal alleine durch. Er muss selbst begreifen, was er will, was ihm fehlt und wie er es bekommt. Und wenn“, er zögert und schließt ergeben die Augen, „das bedeutet, dass ich ihn mit Scarecrow teilen muss, dann soll es eben so sein.“ „Bruce…“ „Alfred, ich liebe ihn. Ich tue alles, damit er glücklich ist.“ *** 27. Kapitel Halloween. Die Nacht der Geister. Eine Nacht voller Furcht und Schrecken. Die Nacht von trick or treat. Halloween. Dies ist seine Nacht. Halloween. Die Nacht des Schreckens. Denn unter all den kindischen Kostümierungen, dem lauten Lachen und all der Kommerzialisierung liegt noch immer dieselbe abergläubische Furcht, wie sie die Vorfahren dieser Menschen schon vor tausend Jahren empfanden. Die Angst vor den Geistern der Toten. Und – noch viel, viel schlichter: Die Angst vor der Dunkelheit. Scarecrow kann sie riechen, diese Angst. Scharf und beißend steigt sie ihm in die Nase. Sie lauert in jedem Haus, vor dem einer dieser Kürbisse steht und in jedem maskiertem Gesicht, das ihm begegnet. Halloween. Eine mystische Nacht. Geradezu magisch. Kein Vollmond, nicht so wie letztes Jahr, aber die schmale Sichel des abnehmenden Mondes ist eigentlich auch ganz schön. Hier im exklusiven Somerset kann man – anders als in der Stadt selbst – sogar einzelne Sterne erkennen. Absolut perfekt. Geradezu berauscht von der Perfektion dieser Nacht schlendert Scarecrow in voller Montur – es ist herrlich, sich nicht verstecken zu müssen – durch die geraden, sauberen Straßen dieses Vorortes von Gotham City. In unregelmäßigen Abständen setzt er dabei Portionen seines Fear Gases frei. Nur kleine, damit es nicht so auffällt. Plötzlich erstarrt er mitten im Schritt. Schwarz und groß ragt es vor ihm auf. Giebeldach und Türmchen, eine verwitterte Freitreppe und ein schmiedeeiserner Zaun. Wie von einer fremden Macht gelenkt, drückt er das Tor auf und folgt dem gewundenen Kiesweg die kleine Anhöhe hinauf. Vielleicht ist es nur ein sentimentales Gefühl der Nostalgie, das ihn zurück in diese Gegend, zurück in dieses Haus führt. Es ist noch immer unbewohnt, aber kein Drogenumschlagplatz mehr. Ganz offensichtlich hat es endlich einen Käufer gefunden, der jetzt endlich die notwendigen Renovierungsarbeiten durchführt. Natürlich sind die Arbeiter um diese Zeit schon längst verschwunden, aber überall hängen Plastikplanen, stehen Leitern und liegt Werkzeug herum. Das hintere Fenster, durch das er letztes Jahr hier hereinkam, wurde zwar inzwischen repariert, aber dafür ist die Hintertür nicht abgeschlossen. Ohne zu zögern drückt er sie auf und schleicht sich hinein. Neuer Besitzer hin oder her, es ist genauso verlassen wie vor einem Jahr. Und diesmal erwartet ihn ihm Wohnzimmer keine Überraschung. Er hat nichts anderes erwartet, und doch fühlt er einen leisen Stich der Enttäuschung und schimpft sich einen Narren. Und trotzdem … er setzt sich auf das verzogene, angesengte Parkett vor dem erloschenen Kamin und erlaubt sich, ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen. Nur ganz kurz, schließlich wird eine kleine Ruhepause ja wohl erlaubt sein, bevor er sich wieder in die Nacht stürzt, oder? *** Tief zieht der hochgewachsene Mann die kühle, schneegeschwängerte Nachtluft in seine Lungen und wickelt sich enger in seinen lilafarbenen Mantel. Zum ersten Mal seit dreiundzwanzig Tagen fühlt sich der Joker wieder frei. Nicht, dass er wirklich ein Gefangener ist oder war. Nein, es stand und steht ihm zwar frei zu gehen wohin er will, und Wayne Manor ist bestimmt alles andere als ein Käfig, aber dort war und ist er niemals wirklich für sich. Wenn nicht Brucies oder Alfreds besorgte Blicke auf ihm ruhen, dann die der Geister. Vor allem diese Geister… beim Gedanken daran vergräbt er sich nur noch tiefer in seinem Mantel. Früher sah er sie nur – gelegentlich – aber jetzt scheinen sie mit jedem Tag präsenter zu werden. Er befürchtet ernsthaft, dass sie ihn irgendwann sogar ansprechen werden. Von all seinen neuen Fähigkeiten ist dies die einzige, die ihm wirklich Angst macht. Er braucht jetzt einfach Ruhe, er muss den Kopf frei bekommen. Es gibt zu viel anderes – außer diesen Geistergeschichten – was ihn beschäftigt. Ablenkung tut jetzt wirklich Not. Und Halloween ist dafür wie geschaffen. Wenn er jetzt Geistern begegnet, kann er sie nicht von den kostümierten Menschen unterscheiden – jedenfalls nicht, solange er nicht allzu genau hinsieht. Irgendwie beruhigt ihn das. Außerdem ist Halloween die einzige Nacht, in der er ganz unbekümmert durch die Straßen streichen kann. Da er naturgemäß nicht der einzige Superkriminelle von Gotham ist, der diese Tatsache weidlich ausnutzt, hat Batman diese Nacht wieder viel zu tun. Mal ganz davon abgesehen, dass Ethan Bennett aka Clayface vor achtundvierzig Stunden aus seiner Zelle ausgebrochen ist. Das beschäftigt seinen Batsy natürlich zusätzlich und mehr, als er sich und ihm eingestehen will. Natürlich gibt sich Bruce alle Mühe, aber er wird wohl niemals aufhören, Ethan Bennett als Opfer zu sehen. Als Freund, dem er helfen und nicht als ehemaligen Freund, den er aufhalten muss. Merkwürdigerweise stört das den Joker gar nicht mehr so sehr. Er hält kurz inne, um eine kleine Gruppe Kinder vorbeizulassen, die ihm ausgelassen ein „cooles Kostüm, Alter, sieht voll echt aus“ über die Schulter zurufen. Er hält kurz inne und streicht sich grinsend eine widerspenstige grüne Strähne aus den Augen. Normalerweise hätte er sich einen Spaß daraus gemacht, ihnen hinterher zu rennen und sie mächtig zu erschrecken und ihnen ihre Süßigkeiten geklaut, aber heute … Er hat nicht mehr das Bedürfnis, überhaupt irgend etwas zu machen. Er hat sein Ziel nicht verloren, er hat es erreicht, und jetzt ist nichts mehr übrig. Er treibt sich einfach nur noch herum, und das ist langsam deprimierend. Dabei sollte er doch glücklich sein, oder? Plötzlich flimmert es vor seinen Augen und die Melodie, dieses penetrante Hintergrundrauschen, drängt sich wieder in den Vordergrund. Er stockt und blinzelt mehrmals. Es dauert eine Weile, bis er begreift, worum es sich bei diesem silbernen Glitzern handelt, dem er anscheinend schon eine ganze Weile unbewusst gefolgt ist. Langsam hebt er den Blick und fühlt sich plötzlich zurückversetzt in eine ähnliche Nacht vor genau dreihundertfünfundsechzig Tagen. Er zögert, doch dann gibt er sich einen Ruck, hebt die rechte Hand und berührt kaltes Eisen. Noch ein kurzes Zaudern, aber schließlich stößt er das schmiedeeiserne Tor entschlossen zurück. Das Herz klopft ihm bis zum Halse, als er dem spinnwebartigen Faden hinein in das alte Gebäude folgt. *** Jonathan muss tatsächlich eingenickt sein, denn ein leiser Lufthauch läßt ihn plötzlich aufschrecken. Er starrt direkt in rote, schwarz umrandete Augen. Im ersten Moment hält er ihn für ein Trugbild, eine Manifestation heimlicher Sehnsucht, und selbst dann, als ihm diese weißen Finger Scarecrows Gesicht in die Stirn schieben, hält er ihn noch für einen Traum. Erst, als seine Lippen sich auf seine eigenen legen und ihn zu küssen beginnen, begreift er, dass dies hier wirklich geschieht. Wie von selbst landen seine Hände in diesen wilden, grünen Dreadlocks und ziehen ihn noch näher zu sich heran, um diesen Kuss zu vertiefen. Der Geruch von wilden Beeren kitzelt ihn in der Nase und lässt ihn aufseufzen. Bereitwillig öffnet er seine Lippen, und als sich ihre Zungen begegnen, voneinander kosten, beginnt es wieder zwischen ihnen zu fließen, als wäre er nie fortgewesen. Der Kuss dauert eine berauschende Ewigkeit und lässt sie beide ziemlich atemlos zurück. Obwohl Jonathan tausend Fragen auf der Zunge brennen, sagt er kein einziges Wort. Der Joker schweigt ebenfalls und starrt ihn nur an, und in diesem Blick liegt alles, was Jonathan wissen muss. Ohne Worte verwickelt Jonathan ihn in einen weiteren Kuss und zieht ihn mit sich hinunter auf den staubigen Boden. Unter mit jeder Sekunde feuriger werdenden Küssen befreien sie sich gegenseitig aus ihren störenden Klamotten, wälzen sich schließlich nackt vor dem kalten Kamin, ignorieren Staub, Dreck und Holzsplitter genauso wie vor einem Jahr. Seufzer werden zu Stöhnen und Stöhnen zu Keuchen und wieder zu Stöhnen, dunkel, langgezogen und lustgetränkt, als sich ihre hitzigen Körper aneinander reiben. Als daraus dann die ersten fordernden Hüftstöße werden, schleichen sich wimmernde Töne zwischen sie, das atemlose Betteln nach mehr und nach Erlösung. Jonathan kann sich einen leisen Triumphschrei kaum verbeißen, als sich der andere tief in ihm versenkt und sich Lust und der kurze Schmerz der Penetration zu einem heißen Ball in seinem Unterleib vermischen, ihn so hart werden lassen, dass er glaubt, gleich platzen zu müssen. Es war andersherum, letztes Jahr, aber das waren viele Kleinigkeiten letztes Jahr. Letztes Jahr gab es Vollmond, glimmende Holzkohle und einen Joker im Crackrausch. Das hier ist besser, weil das zwischen ihnen besser geworden ist. Sanfter. Zärtlicher. Egal, wie hart sie jedes Mal aufeinanderprallen. Jonathan braucht nicht mehr lange, eine Berührung dort, ein hungriger Kuss hier und ein paar tiefe Stöße und seine Welt explodiert. Das letzte, was er deutlich spürt, ist, wie er den anderen mit sich zieht, und als der Joker auf ihm kollabiert, erschöpft, ausgelaugt und befriedigt, schleicht sich ein triumphierendes Lächeln auf Jonathans Züge. Es gibt mehr als eine Art, jemanden wie den Joker zu besitzen – und sei es auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Und als er jetzt so mit seinem ganzen Gewicht auf ihm liegt, zitternd, nach Atem ringend, nass vor Schweiß, so völlig und absolut verausgabt, ist es fast noch schöner als wenn es anders herum wäre, als wenn er oben liegen würde. Zufrieden schließt er seine Arme um ihn, hält ihn fest, solange er kann und darf. So liegen sie vielleicht eine Minute, bis Jonathan spürt, wie der Mann in seinen Armen plötzlich zu zittern beginnt. Aber noch bevor er seiner Besorgnis Ausdruck verleihen kann, hört er ein lang vermisstes, aber wohlbekanntes Geräusch. Glucksend und kichernd richtet sich der Joker auf und löst sich behutsam von ihm, nur, um sich dann zu ihm hinab zu beugen und ihn in einen süßen, aber viel zu kurzen Kuss zu verwickeln. „Das ist es. Du bist der fehlende Teil.“ „Was?“ verständnislos runzelt Jonathan die Stirn. „Ich liebe dich.“ „Was?!“ „Und ich brauche dich.“ „O-okay??“ „Aber ich liebe auch Brucie-Schrägstrich-Batsy. Kommst du damit zurecht?“ Jonathan zögert und versucht zu begreifen, was hier gerade passiert. Er fühlt sich gerade leicht überfordert. Doch wenn er rekapituliert, was hier eben geschehen ist, wie verzweifelt der Joker war und wie kompromisslos … das sah verdammt nach sexueller Frustration aus. -Ha-, kichert Scarecrow in seinem Hinterstübchen. -Wusste ich es doch. Wetten, er lässt ihn nicht an seinen Arsch?- Ja, das könnte passen. Und es wäre auch nicht weiter verwunderlich. Es benötigt wirklich eine gehörige Portion Waghalsigkeit und Verrücktheit, um jemanden wie den Joker so nahe an sich heran zu lassen. Und man muss imstande sein, seinen Stolz hinunter zu schlucken. Mal ganz davon abgesehen, dass Batman viel zu dominant ist, um sich problemlos unter zu ordnen. -Und der Joker ist auch sehr stolz, vergiss das nicht. Nicht jeder kann ihn so überraschen wie du vor einem Jahr. Nicht jeder hat das Glück, ihn in einem ungeschützten Moment an zu treffen. DU hast den Anfang gemacht.- -Nicht ich. DU.- -Na gut, WIR. Fakt ist doch: Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als sich zu rächen. Und dann haben wir uns zurückgerächt. Und so ging es immer weiter, nicht wahr?- „Little crow? Hallo?“ Der Joker hat dessen innerem Monolog geduldig zugesehen und bringt sich jetzt wieder in Erinnerung. „Ich hab dich was gefragt. Kommst du damit zurecht?“ „Muss ich wohl“, murmelt Jonathan schließlich und zuckt dann mit den Schultern. „Ich hab dich doch schon vorher mit ihm geteilt. Er war immer in deinem Kopf und später habt ihr es miteinander getrieben. Es ist in Ordnung, weil ich der erste war, der dich um den Verstand gevögelt hat. Und ich bin derjenige, der dir das gibt, was du brauchst. Aber was ist mit deinem Schönling? Glaubst du, er kommt damit klar? Ich hab keine Lust auf Eifersuchtsszenen. Der Typ kann mich ruinieren, wenn er es darauf anlegt.“ „Das werde ich ganz gewiß nicht tun!“ Aus den Schatten hinter ihnen löst sich eine große, beeindruckende Gestalt. Er trägt zwar nur eine schlichte, gefütterte Jacke, Pullover und Jeans, aber auch in zivil ist er einfach nur bemerkenswert eindrucksvoll. „Bruce!“ japst der Joker und erstarrt regelrecht. „Oh, Scheiße!“ stöhnt Jonathan zur selben Zeit, während Scarecrow in seinem Hinterkopf einen hysterischen Lachanfall bekommt. „Was machst du hier?“ bringt der Joker schließlich heraus. Er klingt ziemlich schuldbewusst. „Ich bin dem Signal gefolgt.“ Vielsagend deutet Bruce hinüber zu dem Kleiderhaufen und unwillkürlich huschen sowohl ein rotes wie auch ein blaugraues Augenpaar in die angegebene Richtung. „Oh“, macht der Joker betreten, als er begreift, dass irgendwo dort in seiner Kleidung gut versteckt eine kleine Wanze angebracht wurde. Schon wieder. Jonathan, der denselben Schluss gezogen hat, straft den Clown Prince of Crime mit einem wahren Todesblick. „Keine böse Absicht“, versichert Bruce schnell, bevor die Stimmung endgültig kippt. „Ich wollte dich nur im Auge behalten.“ „Du warst doch auf Patrouille“, beginnt der Joker vorwurfsvoll, wird jedoch von Jonathan harsch unterbrochen. „Hast du uns etwa beobachtet?“ herrscht er den Millionär mit blitzenden Augen an. Auch wenn ihm diese Macke mit der Wanze echt gegen den Strich geht, findet er diese Vorstellung wesentlich beunruhigender. Sich seiner Nacktheit plötzlich nur allzu bewusst werdend, langt er zum Kleiderhaufen – dafür muss er sich leider etwas strecken und präsentiert sich ihm dadurch nur noch mehr – und zieht sich das erstbeste heraus, was in diesen schlechten Lichtverhältnissen nach seinem Eigentum aussieht. Glücklicherweise handelt es sich dabei um seinen Mantel. Schnell bedeckt er damit seine Blöße. Zu seinem großen Leidwesen spürt er dabei, wie ihm das Blut ins Gesicht schießt. Und er wird noch röter, als er Bruce sagen hört: „Ehrlich gesagt, ja. Ich konnte nicht wegsehen.“ Er klingt nur ein kleines bisschen schuldbewusst. „Aber das ist ja schließlich nicht das erste Mal. Ich habe da ein paar sehr schöne Aufzeichnungen von den Überwachungskameras im Wayne Tower.“ Jonathan verschlägt es glatt die Sprache. „Voyeur“, kichert der Joker. Um Bruce‘ Lippen zuckt ein schmales Grinsen. Er würde es nie im Leben laut zugeben, aber diese kleine Liveshow eben hat ihn alles andere als kalt gelassen. Er spürte zwar diesen kleinen Stich der Eifersucht – und wenn er ehrlich sein soll, spürt er ihn immer noch – aber die Erregung, in die ihn der Anblick dieser zweier ineinander verschlungener Körper versetzte, war viel stärker. Er benötigte sogar etwas Zeit, um sich wieder abzukühlen, ansonsten hätte er sich schon früher bemerkbar gemacht. „Ich werde nichts tun, was dir schadet“, verspricht er Crane, während er langsam auf die beiden zugeht. Und er meint es ernst. Etwas anderes würde ihm der Joker auch niemals verzeihen. „Mir ist nicht entgangen, dass dir irgend etwas gefehlt hat.“ Er lässt sich vor dem Joker auf ein Knie sinken und streicht ihm mit einem seltsam wehmütigen Lächeln eine feuchte Strähne seines grünen Haares zurück hinters Ohr. „Normalerweise bin ich ganz schlecht im Teilen, und es wird mir bestimmt nicht leicht fallen, und wärst du ein ganz normaler Mensch, würde ich mit Zähnen und Klauen um dich kämpfen. Aber das bist du nun einmal nicht…“ Sekundenlang starrt er nur selbstvergessen in dieses weiße Gesicht und in diese faszinierenden roten Augen mit diesen unmenschlichen Pupillen, dann wendet er sich abrupt an Jonathan, der ihn nach dieser Ansprache nur mit offenem Mund anstarrt und streckt ihm die Hand entgegen. „Fair play, abgemacht?“ Jonathan betrachtet diese Hand nachdenklich und schlägt dann ein. „Abgemacht.“ In seine Augen tritt ein verräterisches Glitzern, als er seinen Griff um Bruce‘ Hand verstärkt und diesen mit einem Ruck an sich heranzieht. Er weiß nicht, was in ihn gefahren ist – außer Scarecrow, aber der ist genauso verblüfft – vielleicht ist er übergeschnappt, vielleicht liegt es an der sexuellen Spannung, die immer noch in der Luft liegt, aber die Vorstellung, dass Batman sie bei ihrem Liebesspiel beobachtet hat, törnt ihn an. Ohne wirklich darüber nachzudenken, gibt er ihm einen Kuss. Direkt auf den Mund. Und er ist gar nicht überrascht, als dieser, nachdem er die erste Schrecksekunde überwunden hat, seinen Kuss vorsichtig erwidert. Der Joker sitzt daneben und beobachtet das Ganze mit einem stetig breiter werdenden Grinsen, das schließlich zu einem leisen Kichern wird. Diese Nacht scheint doch noch sehr lustig zu werden. - ENDE - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)