Brut der Hölle von abgemeldet (Zwischen Hölle und Hölle III) ================================================================================ | drei | »Verdammte Hacke, wo bleiben die denn?« Reita stand vom Sofa auf, ging einige Schritte hin und her, bevor er sich wieder neben mich setzte. »Erst machen die Druck, dass wir uns beeilen und ausnahmsweise pünktlich sein sollen, und dann brauchen die wieder eine Ewigkeit! Wahrscheinlich pudert der Sack sich den Ausschlag am Hintern weg. Könnte ja sein, dass jemand ihn durch die Hose entdeckt!« Ich griff nach seiner Hand und strich beruhigend darüber, fühlte die Anspannung in den Fingern. Eigentlich war es Reita egal, ob wir pünktlich waren oder nicht, aber heute hatte Kai gerade dann dazu gedrängt, dass wir in die Pötte kommen sollen, als wir uns geküsst hatten. Mit Händen unter den Klamotten und so. Ich war ja gleich dagegen gewesen, aber Reitas Zunge war so … so … »Die kommen bestimmt gleich, vielleicht hat Kai was vergessen und die suchen danach«, flüsterte Ruki auf dem anderen Sofa und schubste Shou von sich, als dieser grinsend an seinem Ohr herumknabbern wollte. Die beiden waren wirklich ein seltsames Paar. Die meiste Zeit kloppten sie sich, außer, es waren nur Kai und ich mit anwesend. Scheinbar wollte Ruki vor den Seme des Hauses nicht zeigen, wie liebevoll er sein konnte. Nun ja, sie erfuhren es trotzdem. Zum Beispiel durch Fotos an der Pinnwand von heimlich versteckten Kameras mit Selbstauslöser. Immer wieder ein Genuss, wenn man sich am nächsten Morgen nackt und in peinlichen Situationen bildlich festgehalten wiederfand. »Vielleicht sollte einer von uns mal gucken gehen und denen helfen. Die suchen schon ziemlich lange«, meinte Shou vorsichtig und sah uns fragend an. »Ja, wie wäre es mit dir? In deren Chaos findet man eh nichts!« »Rei!« Strafend stieß ich ihm den Ellbogen in die Seite. »Shou ist Gast, du kannst doch ihn nicht losschicken. Ich mach das. Wenn ich in zehn Minuten nicht wieder da bin, kommst du nach, okay?« »Sollen wir dir ein Seil um den Bauch binden, damit wir dich wiederfinden?« Reita hatte wirklich kein Vertrauen in die Ordnung der beiden. »Spinner.« Lächelnd drückte ich ihm einen Kuss auf die Stirn und erhob mich. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen und stand im Flur, konnte ich schon leises Rumoren hören. Scheinbar durchwühlten sie tatsächlich das ganze Zimmer. »Kai? Ruha?« Ich klopfte an. Sie schienen mich nicht zu hören, weswegen ich die Klinke hinunterdrückte und in den Raum lugte. Nach dem Umbau hatte sich Kais ursprüngliches Zimmer sehr gewandelt. Uruhas buntes Chaos war langsam hinübergewabert wie zähflüssige Lava und dort erstarrt. Was hieß, dass man praktisch nichts wiederfand, was unter die Sachen geriet. Es war unrettbar verloren. Dafür war es aber auch irgendwie gemütlicher geworden. Vor allem, wenn man hinfiel. Die Schicht am Boden war einige Zentimeter hoch und federte jeden Fall weich ab. Andererseits waren es so viele Farben und Muster und alles wild durcheinander, dass man nicht mal mehr die Bewohner auf Anhieb entdeckte. Das nutzte Kai sehr häufig aus, wenn er mal in Ruhe arbeiten wollte. Aber jetzt gerade war es äußert ungünstig, da wir losmussten. »Kai …? Wo …« »So, du hast dir also gedacht, du könntest mich bestrafen, nur weil ich dich unter dem Tisch mit dem Fuß geärgert habe? Uke, du weiß doch, dass du keine Chance gegen mich hast. Gerade dann nicht, wenn du mich so wütend anfunkelst …« Ich erstarrte. »Ru …« Und jetzt kroch eine Gänsehaut über meinen Nacken. Kais Stimme hatte seltsam geklungen, irgendwie rau und zittrig. Irgendwie … angestrengt. »Ru, bitte …« »Was denn, Honey?« »Mach … Wir müssen … nhh …« Panisch fuhr ich bei dem Laut zurück und lehnte mich mit bollerndem Herzen an die Wand neben der Tür. Ach du heiliges Häufchen. Wieso immer ich?! »Mhh …« Ich begann zu schwitzen. Drüben warteten drei darauf, dass ich den beiden hier Bescheid gab und wir endlich losfuhren, damit wir doch noch pünktlich waren. Sollte ich zurückgehen und einfach behaupten, ich hätte sie nicht entdecken können? Hatte ich bisher ja auch nicht und es wäre nicht das erste Mal gewesen. Kai war so ruhig, den übersah man schnell. Aber wenn sie wieder so laut werden würden wie heute Morgen – und wieso überhaupt schon wieder, das war doch höchstens fünf Stunden her! –, dann wussten auch die anderen bald, was dort vor sich ging. Also musste ich mir die Peinlichkeit geben und hineingehen. »Mann, Ru! Willst du warten, bis dein Massagestab Rost ansetzt?! Mach endlich, der tropft alles voll!« »Sei nicht so ungeduldig. Und außerdem würde nur dein Kochlöffel Rost ansetzen, mein Massagestab Gold!« »So tief, wie du schon drin bist, könnte man wirklich davon ausgehen, dass du nach Gold suchst!« »Soll ich? Wer weiß, was wir noch alles bei dir finden.« Finden?! Oh Gott, oh Gott. Ganz falsche Bilder. »Seid zwei Tagen such ich einen Dildo, hast du den vielleicht noch irgendwo im …?« »URUHA!«, riefen Kai und ich gleichzeitig empört. Das war ja wohl die Höhe! »Oh«, hörte ich Uruha begeistert quietschen. »Wir haben einen Zuhörer! Na los, Uke, gib dir gefälligst mehr Mühe und stöhn lauter!« »Hnn … Ich geb dir gleich …!« Mein Kopf musste jeden Moment platzen. Ich konnte nicht länger warten. Wir musste los und solche Situationen hab es doch tagtäglich, die waren fast schon zur Gewohnheit geworden. Aber nur fast! Noch einmal tief durchatmend schob ich mich wieder durch die Tür, ließ meinen Blick schweifen – und erstarrte. »Guck dir das an, Uke. Schatz hat wirklich gedacht, wir würden hier sonst was veranstalten. So ein versautes Kerlchen.« Uruha stand breit grinsend, nass und nur mit einem Handtuch um die Hüfte gewickelt neben dem Kleiderschrank, in dem Kai herumwühlte. Angezogen. Offenbar hatte da jemand geduscht und fand nun keine passende Kleidung; der Berg, den unser Leader vermutlich gerade eben unter Stöhnen zur Seite geschoben hatte, war augenscheinlich aussortiert worden. »Ru, wir müssen wirklich los! Und lass Aoi in Ruhe. Guck lieber selbst noch mal nach und such dir endlich was raus, das ist nur ein Meeting!«, schimpfte Kai in den halbleeren Schrank und kam mit wirrer Frisur wieder zum Vorschein. »Aber da sind alle Manager und Alice Nine dabei! Da kann ich doch so nicht hingehen!« »Stimmt, am Ende werden alle scharf auf dich, wenn du da nur im Handtuch erscheinst.« »Oh.« »Hör auf, so zu strahlen! Mach lieber!« »Ja, ja.« Grummelnd beugte Uruha sich vor und verschwand nun selbst fast komplett zwischen den wenigen Sachen, die noch im Kleiderschrank hingen. »Sei lieber still, sonst ziehe ich die Strafe vor, weil es so unheimlich heiß finde, wenn du wütend wirst.« Kai verdrehte die Augen. »Wir warten unten auf dich. Du hast zehn Minuten! Dann kannst du mit der Bahn nachkommen. Du weißt, wie das Ekel auf Verspätung reagiert! – Komm, Aoi. Wir gehen schon mal.« ›Das Ekel‹ war der heimliche Spitzname unseres neuen Managers. Wir mochten ihn alle nicht, der Typ war viel zu selbstgefällig und aufgeblasen. Angeblich war er durch einen normalen Personalwechsel zu uns gekommen – so wie Sakai damals –, aber seltsamerweise waren wir die einzige Band gewesen, bei der sich etwas geändert hatte. Ich vermutete schon länger, dass da irgendetwas nicht stimmte, aber gegen die ganzen hohen Chefs der PSC kamen wir eh nicht an. Kai hatte schon mal nachgefragt, ob das nicht rückgängig gemacht werden konnte. Aber wir hatten ja keine Ahnung vom Geschäft und sollten uns nicht einmischen, hieß es daraufhin. Alles fiese Fieslinge, die unseren Sakai gekidnappt hatten. Die wollten ihn nur für sich haben, ganz bestimmt! »Aoi?«, riss Kais Stimme mich aus den Gedanken. Er sah mich mit diesem widerlich nachsichtigen Lächeln an. Und als ich mich umschaute, sah ich, dass Uruha bereits angezogen war und mich spöttisch angrinste. Nicht schon wieder. »Da Schatz jetzt auch wieder komplett bei uns ist, können wir ja los.« Uruha schob Kai und mich fröhlich vor sich her aus dem Zimmer und brüllte: »Ey! Es geht los! Bewegt eure faulen Hintern vom Sofa hoch, sonst kommen wir noch zu spät wegen euch!« Kurz darauf saßen wir im Van. Kai fuhr, neben ihm saß Ruki und starrte stur geradeaus, ignorierte uns alle. In der zweiten Reihe saßen Uruha, Shou und Reita; Uruha links, damit Kai in Ruhe fahren konnte, und Shou in der Mitte. Ich hatte mich ganz hinten reingequetscht, zwischen die Kisten und den ganzen Kram, den wir immer hier drin lagerten. Die scharfen Ecken und Kanten malträtierten zwar äußerst schmerzhaft meine Rippen, aber wenigstens saß ich direkt hinter Reita. Das war doch schon mal etwas Positives. Bei den Gesprächsthemen brauchte man auch etwas Positives, um die Fahrt quer durch die Stadt zu überstehen. »Im Kühlschrank leben aber noch mehr Keime als auf einer Tastatur!«, behauptete Uruha gerade und verschränkte die Arme vor der Brust, als Reita nur schnaubte. »Glaubst du mir etwa nicht?« »Wo hast du die Weisheit denn diesmal her? Wieder aus einer dieser Weiberzeitschriften?« »Was heißt hier ›Weiberzeitschrift‹? Und was soll überhaupt dieser abfällige Ton, Penner? Da stehen nützliche Dinge drin! Wenigstens würde ich mir nie nach heißem Essen Salbe in den Mund schmieren!« »Jetzt wirst aber du fies!« »Der Idiot macht was?«, fragte Ruki spöttelnd nach und drehte sich um. »Was soll das denn bringen?« »Hey! Wenigstens les ich keine Frauenzeitschriften!« »Aber du schmierst dir Salbe in den Mund!« »Aber er liest …« »Du schmierst dir Salbe in den Mund!« Reita drehte sich mit riesigen Augen zu mir um. »Der Giftzwerg ist gemein!« Mein Herz begann zu ziehen bei diesem Blick. Schluckend streckte ich meine Hand aus und strich tröstend durch seine Haare. »Das meint er nicht so.« »Tu ich wohl!« »Jungs, seid friedlich!«, ging Kai scharf dazwischen und hielt an einer roten Ampel, drehte sich um. »Wir werden wahrscheinlich zehn Minuten zu spät da sein, also versucht wenigstens nicht allzu schlechte Laune zu haben, wenn wir ankommen, okay? Wir haben uns schon oft genug blamiert.« »Aber nur wegen dem Penner!« »Was?!« »Wohl eher wegen dir, Diva.« »Da hat der Giftzwerg recht, Sack! Ausnahmsweise!« »Wer fängt denn immer an zu schimpfen?« »Du, du doofer Sack!« »Vorlauter Penner!« »Dummsack!« »Stinkmorchel!« »Blödiot!« »RUHE!« Eingeschüchtert schreckte ich zusammen und sank wie automatisch hinter Reita ein paar gefühlte Meter in mich zusammen, obwohl ich gar nicht gemeint gewesen war. Kai warf den drei Streithähnen durch den Rückspiegel ein paar scharfe Blicke zu und fuhr schweigend wieder an. Es war nun vollkommen still im Van. Aber nicht lange. »Darf ich jetzt weitererzählen?«, wagte Uruha es, seine Stimme zu erheben. Kai nickte gnädig. »Also. Im Kühlschrank leben mehr Keime als auf der Toilette.« »Ich dachte auf der Tastatur.« »Da auch, Penner.« »Fängst du schon wieder an, Sack?« Hastig beugte ich mich vor und kraulte Reitas Nacken. Seufzend ließ er seinen Kopf nach vorne fallen und Uruha konnte in Ruhe weiterreden. Damit bekam man ihn immer ruhig und entspannt. Na gut, nicht nur damit … »Wie gesagt, im Kühlschrank leben mehr Keime als auf dem Klo«, versuchte unser Leadgitarrist es noch einmal, da meldete Ruki sich wieder zu Wort. »Willst du damit sagen, dass unserer zu dreckig ist? Kai-chan putzt doch ordentlich!« Kai nickte. »Wenn es dir nicht passt, kannst du das ja mal machen«, knurrte er nach hinten in Uruhas Richtung. Erschreckend, wie schnell er dominanter sein konnte als sein Partner. »Aber theoretisch«, versuchte dieser nun abzulenken, »heißt das doch auch, dass es im Kühlschrank schmutziger ist. Sollte man dort dann auch besser Kondome benutzen wie auf öffentlichen Toiletten?« Reita stöhnte auf und Shou lief rot an, als Uruha fragend alle ansah. Ruki lachte schallend. »Sag mir nicht, dass ihr im Kühlschrank vög…« »Ruki!« Kais Blick wurde schmaler. »Im … Im Kühlschrank Spaß habt«, beendete er flüsternd seinen Satz. »Nein, aber wenn. Vielleicht sollten wir das mal ausprobieren«, überlegte Uruha und schielte zum Leader. »Natürlich nicht unbedingt wir selbst. Dafür sind wir zu groß. Aber zwei Zwerge müssten doch aufzutreiben sein. Wir steuern den Giftzwerg bei. Shou, können wir uns vielleicht Hiroto mal ausleihen? Zu rein wissenschaftlichen Zwecken, natürlich.« »Bitte?!« »Du meine Güte, lass den Kleinen in Frieden, du verscheuchst ihn noch.« Ruki sah grinsend aus dem Fenster und streckte seinen Arm nach hinten, tätschelte Shous Knie. Der Arme zuckte zusammen und sah etwas blass aus. In Gedanken verfluchte er garantiert den Moment, in dem er beschlossen hatte, mit uns mitzufahren. Kais Ausbruch beim Frühstück war wohl gerechtfertigt gewesen; unser Image wurde mit jedem Tag schlechter. Nur wegen denen! Vielleicht brauchten Alice Nine noch einen Gitarristen …? Die erschienen immer so harmlos und unschuldig … »Hast du eigentlich noch mehr bizarre Weisheiten aus deinen Zeitschriften?«, versuchte Kai abzulenken, verschlimmerte es dadurch aber nur noch. Uruha nickte strahlend. »Ich hab gelesen, dass ein Erwachsener etwa sechshundertmal am Tag schluckt.« Reita sah mich empört an. »Und du beschwerst dich immer schon beim dritten Mal!« ♦ »Schön, dass Sie es alle recht pünktlich hierher geschafft haben.« Ein strenger Blick wanderte den großen, runden Tisch entlang. Nishikido, das Ekel, stand am anderen Ende und schenkte jedem von uns kurz seine unerwünschte Aufmerksamkeit, damit der Rest der sich im Raum befindlichen Personen auch ja mitbekam, wer sich hier alles um läppische fünf Minuten verspätet hatte. Kai hatte auf die Tube gedrückt und uns durchs Treppenhaus gejagt; fünf Minuten waren in der PSC wirklich nicht besonders viel. »Zuerst möchte ich natürlich wie immer eine Zusammenfassung von den Leadern hören, was in den vergangenen Tagen so passiert ist und was Sie geschafft haben.« Natürlich. Anstatt sich selbst mal zum Proberaum zu bemühen oder zu Hause vorbeizukommen, musste Kai regelmäßig einen Bericht abgeben. Der Kerl dachte sowieso, dass wir den ganzen Tag nur faul herumlagen, so wie der uns immer misstrauisch anstarrte. Die anderen Manager waren irgendwie netter – und lustiger, wenn man an Sakai oder die Puddingkriege dachte –, der von Alice Nine allerdings ließ sich unterdrücken und von dem Ekel einlullen. Wahrscheinlich waren wir deshalb alle heute zusammen hier. Während Kai damit begann, in kurzen Sätzen zusammenzufassen, was wir getan hatten in der letzten Woche, ließ ich meinen Blick schweifen. Rechts und links neben Nishikido saßen andere Manager und Leiter oder Chefs, so genau kannte ich die alle gar nicht. Eigentlich nur die paar Manager, mit denen wir häufiger zu tun hatten. Noch ein Grund mehr, sich zu wundern. Was wollten die alle hier? Musste ja wirklich etwas Wichtiges sein. Auf ›unserer‹ Seite des ovalen Konferenztisches ging es recht gelangweilt zu. Ganz links saß Kai, schön nah an den Bossen, damit die nicht näherkamen, weil sie nichts verstanden. Neben ihm saß ein fast schlafender Ruki, um ihn als kleines Hindernis vor Uruha zu schützen, der links von mir saß. Rechts besetzte Reita gähnend den Stuhl, dann kamen Shou und der Rest von Alice Nine, ebenfalls mit Nao ganz außen Richtung Tischmitte. Shou und Tora starrten irgendeinen Punkt in der Luft an, Nao lächelte mich an und Saga bohrte konzentriert in seiner Nase, während Hiroto hastig meinem Blick auswich, als ich ihn ansah, und stattdessen Saga beobachtete. Der Finger rutschte immer weiter hinein, drehte sich leicht. Dann grunzte der Bassist komisch und zog ihn wieder heraus. Schnell sah ich weg. Und genauso unpassend wie störend begann nun mein Magen zu grummeln. Bisher unhörbar, ich spürte nur, dass es bald so weit war. Verdammt, ausgerechnet jetzt! »Verstehe ich das richtig und Sie haben die letzten Tage nur ein paar alte Songs wiederholt?«, fragte das Ekel und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Das ist ja nicht besonders viel.« Kai zog die Augenbrauen zusammen. »Nein, wir haben auch an einem neuen Song gesessen. Das habe ich gerade noch gesagt.« »Ach ja, die Notizen von Uruha-san und Aoi-san.« Notizen?! Das war fast ein kompletter Song, viel fehlte nicht mehr! Reita griff nach meiner Hand und strich sanft darüber. Ich krallte mich wütend hinein und hörte ihn aufkeuchen. Hastig lockerte ich meinen Griff und lächelte entschuldigend. Die Diskussion ging noch eine Weile weiter, danach ging man zu Alice Nine über und wollte wissen, was bei ihnen so in letzter Zeit entstanden war. Nao hatte leider die Angewohnheit, sich manchmal in seinen Erzählungen so zu verlieren, dass man erst am Ende bemerkte, wie lange er immer wieder dasselbe – nur in andere Worte verpackt – sagte. Ich nutzte die Zeit und spannte meinen Bauch an. Konnte ja nicht angehen, dass der meinte, sich auch zu Wort melden zu müssen! Wenn man es rechtzeitig und noch vor dem ersten lauten Ausbruch tat, konnte man manchmal Schlimmeres noch verhindern. Und ich hatte mich schon viel zu oft in solchen Situationen blamiert. »… aber die Katze hat sich auf den Notenblättern erleichtert. Ich hab Tora ja gesagt, er soll sie nicht so herumliegen lassen, dass seine Katze drankommt. Auch wenn er behauptet, dass es gar nicht seine gewesen ist, sondern eine von Shou. Aber wir wissen ja alle …« Angestrengt krümmte ich mich leicht zusammen und verkrampfte mich noch etwas mehr. Das Grummeln wanderte langsam höher und in den Bereich, in dem man es nicht mehr abdämpfen konnte. Blöder Hunger. Unglücklich drückte ich gegen meinen Magen und versuchte nicht allzu rot im Gesicht zu werden, als das erste leise Gluckern zu hören war. »Was ist los?«, flüsterte Reita in meine Richtung. »Hast du Bauchweh?« »Nein, schon in Ordnung.« »Wir können kurz rausgehen, wenn es dir nicht gut geht.« Nishikido sah in unsere Richtung. »Nein, alles gut!«, zischte ich zurück und sah möglichst aufmerksam zu Nao hinüber. »… und die Katzen machen wirklich gerne auf Papier. Deswegen benutzen wir meistens auch alte Notenblätter als Unterlage in den Katzenklos, damit das beschmutzte Streu nicht so am Boden festklebt. Es gibt ja so Sorten, die ganz fies daran festpappen, wenn Katze sich erleichtert. Mit den Notenblättern können wir einfach die Brocken raussfischen und die festgeklebte Schicht wegschmeißen, dann nur neue drunter und fertig. Dasselbe ist mit Sagas Noten passiert. Er hatte sie in Toras Zimmer liegen gelassen und dessen Katze hat dann darauf …« Er war also immer noch bei den Katzen. Das hieß, ich konnte noch lange darauf warten, dass wir hier rauskamen. Mühsam zog ich den Bauch ein und spannte alles an, verhinderte in letzter Sekunde ein lautes Knurren. Da kam schon das nächste. Mein Oberkörper war schon leicht schief und ich saß vermutlich ziemlich verkrampft da, aber was tat man nicht alles für Stille. »… jedenfalls hat Hiroto dann Toras Katze nicht gesehen, die einfach auf die Blätter gemacht hat. Also in Toras Zimmer, da haben wir die liegen gelassen und …« Mein böser Blick bohrte sich in Naos Stirn. Langsam traten mir die Schweißperlen auf die Stirn, und das nur, weil mein Magen mitreden wollte. Wenigstens nicht so peinlich wie Reitas lautes Aufstoßen kürzlich, als der Manager uns mal wieder vor einem Interview eingetrichert hatte, wie wir uns vor der Fernsehkamera zu verhalten hätten, aber trotzdem. Hatte mein Großvater früher nicht immer gesagt, der leere Magen wäre wie ein Dudelsack, wenn er die Luft in den Darm transportiert? Na toll. Es gab Stellen an meinem Körper, da störte mich die Musikalität wirklich gewaltig! »… die Notenblätter. Toras Katze kann man aber wirklich nicht die Schuld geben, es ist doch nur ein Tier …« Vielleicht sollten wir Keiji und Osuka auch mal öfter frei herumfliegen lassen und darauf hoffen, dass sie sich die wichtigen Papiere aussuchten, um ausnahmsweise mal ein größeres Häufchen zu machen. Oder Koron-chan. Falls der jemals sichtbare Häufchen machen sollte. Warum hatten wir eigentlich keine Katze?! Plötzlich wurde mir bewusst, dass nicht aufgepasst hatte. Ein erschreckend lautes Grummeln erklang, jaulte sich quer durch alle Tonhöhen und ließ mein Gesicht fröhlich erblühen. Es hörte sich nicht wirklich nach einem normalen Magenknurren an. Alle starrten auch entgeistert in unsere Richtung. »Ich war's nicht!«, rief Reita sofort und starrte an mir vorbei zu Uruha. »Ja, ich auch nicht!« »Ach nein? Du hast doch gestern so viel gefressen, das konnte ja nicht gut gehen, Sack!« »Was?! Als ob ich hier wild herum…« »Stopp! Wehe, ihr fangt jetzt wieder an!«, ging Kai sofort dazwischen. Das Ekel grinste eklig. »Und schon sehen wir wieder, dass langsam wirklich etwas getan werden muss. Sie alle haben in letzter Zeit erheblich nachgelassen.« »Und ich war es nicht!«, zischte Uruha über meinen verschämt gesenkten Kopf hinweg zu Reita. »Ich aber auch nicht!« »Wer denn dann?« »Ist das so wichtig?!« »Bestimmt Saga.« »Oh ja.« »Muss wohl«, nuschelte ich leise und kämpfte mit meiner Gesichtsfarbe. »Ruhe, bitte! Wenn die Herren … und Damen« – Nishikido sah zu Uruha, der grinsend mit seiner Nagelfeile herumspielte – »wieder zuhören könnten? Danke.« »Damen?!«, grunzte Uruha dazwischen und wurde wieder still, als Kai ihn streng ansah. »Wie gesagt, es ist in letzter Zeit auffällig, dass Sie nachgelassen haben. Die wenigen Songs, die sie zustande gebracht haben, klingen alle so … gleich und langweilig. Nichts Neues mehr dabei.« »Wir haben gerade erst eine Tour hinter uns und mit Sakai-sans Einverständnis das Release-Datum des Albums nach hinten geschoben«, entgegnete Kai ruhig. »Das mag sein, aber Sakai-san ist bedauerlicherweise nicht mehr ihr Manager. Ich denke, dass Sie sehr wohl bereits im Herbst ein Album herausbringen sollten, so langsam müssen Sie also wirklich Songs schreiben, sonst wird es eng mit dem Zeitfenster. In wenigen Wochen sollten die stehen und die Arbeit dann im Tonstudio fortgesetzt werden. Ebenso bei Alice Nine. Seit ich GazettE betreue und auch einen Großteil der Arbeit von Alice Nine, haben Sie alle die Sache etwas schleifen lassen. Deswegen sind wir zu dem Entschluss gekommen, etwas dagegen zu tun. Wenn sich in den nächsten Wochen nichts ändert, werden wir Konsequenzen daraus ziehen müssen; immerhin ist es unser Geld, dass dadurch verlorengeht, wie Sie wissen.« Das Ekel grinste schmierig und sah kurz jeden einzelnen von uns an, begegnete nur misstrauischen Blicken. »Wir haben uns entschlossen, Ihnen die Möglichkeit zum musikalischen Austausch zu geben. Sie werden aufgeteilt und in WGs zusammenwohnen. Passenderweise befindet sich gegenüber der Wohnung von Kai-san ein passendes Objekt, sodass wir zügig damit beginnen können. Richten Sie sich darauf ein, dass wir bereits in der nächsten Woche mit dem Projekt beginnen können.« Stumm starrten wir alle ihn an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)