Tal der Tränen von Shunya (Wenn Träume wahr werden) ================================================================================ Kapitel 4: Die Seherin ---------------------- Als ich am Morgen aufwache, liegt Tala noch immer nahe an meinen Körper gepresst und schläft friedlich. Ich höre von draußen Geräusche von Pferden, Hufgetrappel und Stimmen. Müde und gähnend setze ich mich auf. „Kriegen wir Besuch?“, frage ich und kratze mich am Kopf. Ich ziehe mich hastig an und laufe zum Eingang des Innenhofs, wo mein Vater mit einigen Wachen spricht. Fast ein Dutzend Pferde steht dort, wird von Stallburschen entgegen genommen und weggeführt. Einer der Wachen hilft einem jungen Mädchen von einem schneeweißen Pferd herunter. Ihr braunes Haar umspielt sanft ihr Gesicht und ihre intensiven Augen scheinen jeden Winkel abzutasten als würde ihr nichts entgehen. Sie schlägt die blaue Kopfbedeckung ihres Umhanges zurück. Ihre Stirn ziert eine Kette mit zwei bunten sternartigen Anhängern. Ihr Blick streift mich nur kurz, ehe sie wieder herzlich mit meinem Vater spricht. Neugierig trete ich näher heran. „Vater?“ Batu schaut zu mir und winkt mich heran. „Ihr habt euch lange nicht gesehen. Das ist mein Sohn Acavi! Erinnerst du dich noch an die Seherin Mala?“, stellt er uns einander vor. Ich lächele und reiche ihr die Hand, doch Mala nimmt sie nicht an. Sie dreht sich um und wird von meinem Vater, der ihr hinterher eilt, ins Haus geleitet. Einige Wachen folgen ihnen. Wenn die Seherin hier ist, muss es wirklich schlimm um unsere Welt stehen. Ich sehe ihnen nach und als ich den Blick hebe, sehe ich wie Tala von meinem Zimmer aus, herunter schaut. Ich erwidere seinen besorgten Blick hilflos. „Wie steht es um unsere Welt?“, frage ich Mala am späten Nachmittag. Sie seufzt und schaut herunter zum Brunnen. Ich sitze ihr gegenüber auf dem Balkon. Tala leistet uns Gesellschaft und liest wieder in einem meiner magischen Bücher. Die scheinen es ihm wirklich angetan zu haben. Belustigt hält er einen kleinen meckernden Jungen hoch in die Luft, der wild am zappeln ist. „Sie stirbt...“, murmelt Mala und beobachtet Tala einen Moment lang. „Und auch ich sterbe...“ Sie streckt ihren Arm aus, zieht ihren Ärmel zurück und zeigt mir ihre roten Male an den zierlichen Armen. „Sie sind am ganzen Körper. Es fällt mir schwer meine Magie zu benutzen. Der Fluch wird mich töten. Ebenso Egra, der aus einem bestimmten Grund hier zu sein scheint.“ „Also hat Vater dir bereits von ihm erzählt?“ Mala nickt. „Eine umherirrende Seele. Wenn sie niemand auf den richtigen Pfaf führt, leben sie für immer unter uns und sind genauso verloren wie wir.“ Nachdenklich schaue ich hinauf in den Himmel. Die Sterne funkeln und glitzern, wirken so harmlos, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass sie eine Stadt zertrümmern und Menschenleben auslöschen können. Ich halte meine Hand an den Kopf und mal wieder lassen die Schmerzen mich leiden. Ich sehe auf als Tala, in eine Decke eingewickelt, zu mir kommt. Schläfrig setzt er sich zu mir, lehnt sich an mich und ist sofort wieder am einschlafen. Ich fahre ihm durch die blonden Haare. Ob ich jemals herausfinden werde wo er herkommt und wer er ist? Wie er in mein Land gekommen ist und warum er nicht sprechen kann? Ich halte ihn in den Armen, schmiege mich an ihn und schlafe kurz darauf, ermattet von den Schmerzen, ein. Die Sterne funkeln und leuchten am blauen Himmel. Wir befinden uns weit außerhalb der Stadt. Mala entfernt sich langsam von uns, läuft eine Sanddüne hinauf und bleibt dort stehen. Sie hebt langsam beide Arme in die Höhe und vor ihr erscheint ein gleißender Lichtstrahl, scheint mitten aus dem Boden zu kommen und irgendwo weit oben im Himmel zu verschwinden. Es ist uns beinahe unmöglich in dieses helle Licht zu sehen, wo wir doch die Dunkelheit gewöhnt sind. Ich wende den Blick ab und halte mir den Arm vor mein Gesicht. Als ich zu Tala sehe, schaut er fasziniert zu dem Licht. Er wirkt wie in trance. Ich riskiere erneut einen Blick und bemerke, dass sich etwas aus dem Lichtstrahl heraus bewegt. Es ist hell und kaum klar zu erkennen. Fast wie Arme, aber ohne Finger. Mala schließt die Augen und lächelt, als sich das Wesen über sie beugt. Das Licht wirkt wie eine Heilquelle. Heilung für die Seele. Nur am Rande bemerke ich, wie Tala zur ihr geht und von der Lichtquelle angezogen wird, als würde er schlafwandeln. Ich laufe ihm hinterher, umgreife ihn und halte den Jungen zurück. Tala streckt die Hand aus, als würde er danach greifen wollen. Plötzlich löst er sich mitten in meinem Griff auf. Mit aufgerissenen Augen, starre ich auf den Jungen der sich langsam in winzige kleine Lichtpartikel materialisiert. In der Mitte davon schwebt etwas Größeres, entfernt sich rasend schnell von mir, verfolgt von den Lichtpartikeln, ähnlich einer Sternschnuppe und umkreist mehrmals den Lichtstrahl von oben nach unten, als wäre es ein Spiel. Atemlos verfolge ich das Schauspiel, als das Wesen aus dem Lichtstrahl den kleinen verspielten Stern einfängt und ihn Mala überreicht. Ich verstehe nicht, was da vor sich geht, aber der Anblick fasziniert mich ebenso wie meinen Vater, der sprachlos neben mir steht. Ehrfürchtig beobachte ich diesen Moment. Mala hält den Stern fest in einer Umarmung, nahe an ihrem Körper, als wäre er ein Trostspender. Er erleuchtet ihr Gesicht. Dann lässt sie ihn frei und er fliegt in meine Richtung. „Tala?“, flüstere ich staunend. Der Stern umschwirrt mich wie ein Insekt. Ich drehe mich und versuche ihn im Blickfeld zu behalten. „Tala, bist du das?“, frage ich. So wunderschön dieser Anblick auch ist, niemand ahnt welche Katastrophe noch auf uns wartet. Hosted by Animexx e.V. 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