Weltenbummler von lady_j (YuKa) ================================================================================ Kapitel 1: #3 Schreibe eine romantische Szene zwischen ihm und seiner (ihm von Dir zugedachten oder tatsächlichen) personellen Liebe... Teil 1 ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Though the truth may vary this ship will carry our bodies safe to shore. Es war seltsam, Yuriy wiederzusehen. Kai nutzte die Augenblicke, in denen er noch nicht bemerkt wurde, um ihn zu mustern. Yuriy war irgendwann in die Höhe geschossen, die Schultern kamen da noch nicht ganz nach. Und sein Gesicht: Als hätte jemand alle störende Weichheit kurzerhand abgeklopft. Er sah sehr europäisch aus und für Kai, der anderes gewohnt war, beinahe exotisch. Er hatte Japan seit einer halben Ewigkeit nicht mehr verlassen. Während der Überfahrt nach Vladivostok sagte Kai es ihm. Sie standen nebeneinander an der Reling im Dunkeln und blickten auf das aufschäumende Wasser hinab. Die leichte Übelkeit verflog nur langsam. „Du solltest noch was wissen, bevor wir einen auf Team machen“, sagte er. „Na was denn?“, fragte Yuriy, ohne ihn anzusehen. „Ich bin bi.“ Die blauen Augen, die hier im Halbdunkel eine andere, diffuse Farbe hatten, wanderten langsam zu ihm. „Warum erzählst du mir das?“ „Ich habe mir angewöhnt, es gleich zu sagen, anstatt zu warten, bis es irgendwie rauskommt. Das erleichtert vieles.“ Yuriy schwieg nachdenklich, dann: „Hast du einen Freund?“ Das klang neugierig. Er schien sich tatsächlich zu bemühen, etwas Konversation zu betreiben. „Nein“, sagte Kai, „Das heißt…bis vor kurzem gab es diesen Typen. Es war keine Beziehung. Er war eher so was wie…mein Lehrer.“ Noch einmal spürte er Yuriys Blick auf sich. „Du redest ziemlich offen darüber.“ Er hob die Schultern. Weitere Details würde er für sich behalten, und Yuriy konnte eh nicht einschätzen, wann er nun besonders offen war und wann nicht. Dazu waren sie sich zu fremd. Irkutsk. Sie wohnten etwas außerhalb der Stadt am Ufer der Angara. Der Winter blieb bis weit ins Frühjahr hinein in diesem Teil des Landes, und so war das Eis auf dem siebzig Kilometer weit entfernten Baikal noch so dick, dass man mit dem Laster darüber fahren konnte. Kai vermied es so gut es ging, sich die Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen, die ihn selbst mit dem See verbanden. Während sie auf die Ankunft Sergeijs und Boris‘ aus Moskau warteten und Yuriy sich mit dem Verwalter des Gebäudes über den desaströsen Zustand ihrer „Trainingshalle“ stritt, verbrachte er die meiste Zeit in seinem Zimmer. Die Möbel bestanden aus Spanplatten, die mit einer Folie mit Holzmaserung beklebt waren und auf dem Boden lag fleckiges Linoleum. Das alles verströmte einen charakteristischen, abgestandenen Geruch, der sich auch mit frischer Luft nicht gänzlich austreiben ließ. In Japan gab es diesen Geruch nicht. Man hatte natürlich all die großen Männer längst von der Wand genommen. Alle Porträts von Lenin und den anderen waren aus dem Haus verschwunden, bis auf eines: Im Speiseraum hing über den Tischreihen noch immer ein Bild von Juri Gagarin. Kai hatte einige Minuten davor gestanden und es betrachtet. Der Kosmonaut hatte ein breites, freundliches Gesicht. Die Augen waren fast schwarz. Es war irgendwie schwer vorstellbar, dass sein rothaariger Teamchef ausgerechnet diesem Mann seinen Namen zu verdanken hatte. Es war am Abend des dritten oder vierten Tages, als Kai in den Speiseraum kam und Yuriy genau unter dem Bild seines Namensvetters sitzend fand. Der Kosmonaut blickte gelassen über ihre Köpfe hinweg in die Ferne. Kai setzte sich Yuriy gegenüber hin und nahm sich eines der Butterbrote von seinem Teller, die in dem kalten Licht des Raumes eine so unappetitliche Färbung erhielten, dass er nur lustlos darauf herumkaute. Doch seinem Teamchef schien es da nicht anders zu gehen. „Morgen kommen die anderen, dann trainieren wir zusammen“, sagte er schließlich und Kai nickte nur. Es würde ungemütlich werden. Wo Yuriy einen von taktischem Denken begründeten Stoizismus zeigte, war vor allem Boris wütend über Kais Anwesenheit in seinem so hoch geschätzten Team. Es hatte seit Jahren keine Auswechslungen bei Team Borg gegeben, und jetzt platzte er hier herein wie eine Showdiva in ein mittelmäßiges Theaterstück. Wahrscheinlich würden vor Ende der Woche die Fetzen fliegen. Die Fetzen flogen tatsächlich, jedoch ganz anders, als Kai erwartet hatte. Nachdem es Yuriys erste Tat gewesen war, Boris zur Seite zu nehmen und ihm einzuschärfen, sich Kai gegenüber gefälligst zu zügeln, war die Atmosphäre zwischen den beiden zwar kälter als der sibirische Winter, doch immerhin gingen sie sich, bis auf einige Sticheleien hier und da, aus dem Weg. Ganz anders sah es nach den ersten Trainingseinheiten zwischen dem Teamchef selbst und Kai aus. Kai konnte sich einfach nicht an die Trainingsmethoden des anderen gewöhnen. Oder, besser gesagt, er konnte sich nicht daran gewöhnen, dass ihm jemand vorschrieb, wie er zu trainieren hatte. „Hör auf, dich so aufzuspielen, Ivanov!“, warf er ihm regelmäßig an den Kopf, sobald es wieder mal zu einem verbalen Schlagabtausch kam. Genauso regelmäßig bekam er von Yuriy zu hören: „Ich bin der Teamcaptain, Hiwatari, nicht du!“, was seine Frustration nur noch steigerte. Er brauchte kein Team. Er würde das alles auch allein schaffen, wenn man ihn nur ließe. Irgendwann wurden sie handgreiflich. Es war noch sehr früh am Morgen, daran erinnerte Kai sich, denn er war müde gewesen. Hätte er die Nacht vorher besser geschlafen, wäre Yuriy derjenige gewesen, der mit einem blauen Auge den Ring verließ, ganz sicher. Er stand in dem ranzigen Waschraum und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Einer der rostigen Wasserhähne tropfte, vielleicht war es auch eine der Duschen, jedenfalls machte das Geräusch ihn ganz irre. Als er vorsichtig den dunklen Fleck berührte, der sich auf seinem Wangenknochen ausbreitete, verstärkte er nur noch den dumpfen Schmerz. Wenn das bis zum Beginn der Weltmeisterschaft nicht verschwunden war, musste er sich etwas einfallen lassen. Mit einem Veilchen würde er jedenfalls nicht vor die Kameras treten. „Kai?“ Vielleicht lag es an Yuriys Haaren, dass er bei seinem Anblick sofort wieder gereizt war. Rot provoziert. „Was willst du?“ Kai sah ihn nicht an, sondern drehte den Wasserhahn auf und hielt ein Stück seines Schals unter den kühlen Strahl. Doch bevor er sich den Stoff auf die Wange legen konnte, war Yuriy neben ihm und hielt ihm ein Kühlpad aus dem Eisfach hin. „Zeig mal her.“ Kai tat, als hätte er nichts gehört, aber Yuriy stieß gegen seine Schulter, sodass er sich doch zu ihm umdrehen musste. Der Blick der blauen Augen lag auf seiner Wange und er wusste nicht, wo er hinsehen sollte, also musterte er Yuriys Gesicht, dessen Ausdruck irgendwo zwischen Erstaunen und leichter Belustigung schwankte. „Tut mir leid.“ Das klang nicht überzeugend. Er nahm Yuriy das Pad aus der Hand und trat einen kleinen Schritt zurück. Sie sahen sich an. „Ich hätte es genauso gemacht“, sagte Kai, „Wenn ich Teamchef wäre.“ Diese Worte kosteten ihn weniger Mühe, als er gedacht hatte. Irgendwann in den letzten Minuten musste er akzeptiert haben, dass er Yuriy nicht von seiner Position verdrängen konnte. Im Grunde war das die gesündeste Entscheidung. Auf dem Gesicht seines Gegenübers breitete sich kurz Erstaunen aus, dann spielte er es mit Schulternzucken herunter. „Gut. Wenn du…lieber allein trainieren willst…“ „Sag, wann wir trainieren, und ich bin da“, unterbrach Kai. New York. BBA Revolution vs. Baihuzu Neoborg vs. F-Sangre PPB All Starz vs. Barthez Soldiers Während des Fluges saß er neben Sergeij und fühlte sich die ganze Zeit beobachtet. Dabei sah sein Sitznachbar wahrscheinlich an ihm vorbei aus dem Fenster, anstatt auf sein Handy. Er konnte die japanischen Schriftzeichen ja sowieso nicht lesen, aber Kai war trotzdem nicht wohl dabei. Max hatte ihm geschrieben: Was machst du, Kai, ich habe gehört, du hast Takaos Team verlassen? Woher auch immer er die Infos hatte. Ja, ich bin jetzt bei NeoBorg, schrieb er zurück und plauderte so ein Geheimnis aus, das eigentlich noch mindestens vierundzwanzig Stunden eines bleiben sollte. Max hatte nie Probleme damit, Konkurrenz auszublenden, und das schätze Kai sehr. Er verstand den Zusammenhang zwischen „Team“ und „Freundschaft“ und somit auch den von „kein Team“ und „Feindschaft“ nicht so wirklich. Für ihn waren das zwei verschiedene Paare Schuhe. „Ich muss zu einem Meeting“, sagte Yuriy. „Ich komme mit.“ Sein Teamchef warf ihm einen kurzen Blick zu, als er das Magazin weglegte und vom Bett aufstand. „Wo willst du hin?“ „Ich treffe mich mit Max“, sagte Kai und Yuriy hob billigend die Schultern. Er wusste, dass er ihm nicht einschärfen musste, ja nichts von ihrer Taktik zu verraten. Und Max besaß überdies eine weitere angenehme Eigenschaft: Er blendete das Thema „Beybladen“ in freundschaftlichen Gesprächen vollkommen aus. Wahrscheinlich würde sein Partner, dieser bullige Typ, ihm den Kopf abreißen, wenn er wüsste, dass er sich mit Kai traf –aber Kai blühte das gleiche Schicksal, sollte Boris davon erfahren. „Ich hoffe, ich muss heute Abend nicht um mein Leben fürchten“, sagte er deswegen, als sie nebeneinander die Treppen zum Foyer herunterstiegen. „Nein“, entgegnete Yuriy, „Was Boris nicht weiß, macht ihn nicht heiß, und was deine Alleingänge angeht, halte ich mich so lange da raus, wie ich sicher sein kann, dass du keinen Mist baust.“ „Ich baue keinen Mist.“ „Ich weiß.“ Kai hob die Augenbrauen und sah Yuriy an. Für ihn unerwartet trafen sich ihre Blicke, doch es erschien ihm ganz natürlich, dass sie daraufhin ein verschwörerisches Grinsen austauschten. „Mach mir keine Schande vor dem Klassenfeind“, sagte Yuriy noch, dann beschleunigte er seine Schritte und eilte quer durch die Empfangshalle zu einem Gang, der ins Nebengebäude führte. Kai merkte erst, dass er ihm nachsah, als Max plötzlich vor ihm stand. Normalerweise übersah er andere Personen nicht. „Du verstehst dich gut mit Yuriy.“ Das war eine Feststellung. Max schaffte es, dass es klang, als wäre es die normalste Sache der Welt. Er wartete nicht auf Kais Erwiderung, sondern löffelte sofort weiter sein Eis. „Ja, warum nicht?“, entgegnete er. „Naja, man sieht es dir sonst nicht so an, wenn du jemanden sympathisch findest.“ Beinahe ein Viertel der rosa gestreiften Eiskugel verschwand in Max‘ Mund. „Er sieht ziemlich gut aus, findest du nicht?“ Er wusste natürlich von Kais Orientierung. Vor den Bladebreakers hatte er nicht lange hinterm Berg gehalten, da er irgendwie immer mehr Zeit mit ihnen verbracht hatte, als ihm lieb sein konnte und sie ja sowieso irgendwann dahinter gekommen wären. „Also, wenn du meine bescheidene Meinung hören willst. Er sieht jetzt gesünder aus. Ist auch nicht so alt, wie dein letzter.“ „Was willst du mir damit sagen, Max?“, fragte Kai und ließ seelenruhig den Keks in seinem Kaffee schwimmen. Das Grinsen des Blonden konnte er nicht sehen, weil er konzentriert beobachtete, wie das Gebäck sich vollsog und unterging. „Nichts. Ich erläutere nur die Tatsachen.“ „Du willst doch auch nicht gleich etwas von jedem Mädchen, dass dir sympathisch ist“, sagte Kai und sah nun endlich wieder auf. Er war etwas erstaunt darüber, wie klein der Eisberg vor seinem Freund in so kurzer Zeit geworden war. „Doch“, sagte Max, „Eigentlich bin ich in jedes Mädchen ein wenig verknallt. Und weißt du, du merkst es selber vielleicht nicht, aber du hast im letzten halben Jahr wirklich mit jedem gutaussehendem Kerl geflirtet, der älter und größer war als du.“ „Max, was zur- “ „Ich will sagen, er ist genau dein Typ“, unterbrach Max ihn. „Ach. Ist er das, ja?“ Als er den Blick wandern ließ, bemerkte er durch die Glastür des Restaurants hindurch ein paar Gestalten. „Beeil dich ein bisschen, die Reporter sind schon wieder da.“ Sie hatten sich wie Aasgeier auf ihre beiden Teams gestürzt. Auf NeoBorg, weil Kai zu ihnen gewechselt war, und auf die PPB All Starz, weil sie sich so unbeliebt gemacht hatten. Eigentlich hatten sie Hausverbot in ihrem Hotel bekommen, aber irgendwie schafften es immer ein paar von ihnen, hereinzuschleichen, und sie mussten aufpassen, damit sie ihnen nicht vor die Kameras liefen. Max verdrehte die Augen. „Wer von uns verschwindet diesmal?“ „Ich.“ Kai trank seinen Kaffee in wenigen Zügen aus und stand auf, um ein paar Minuten in der Toilette zu verbringen, bis irgendwer die Reporter bemerkte und rauswarf. Ein Blader allein war noch nicht mal halb so interessant, wie zwei. Wenn Kai und Max aber zusammen gesichtet wurden, würde das im Moment wohl einen Skandal auslösen. Rom. Baihuzu vs. Barthez Soldiers BBA Revolution vs. Neoborg PPB All Starz vs. F-Sangre Zum ersten Mal verbrachten sie einen ganzen Tag miteinander. Nicht so, wie im Trainingsquartier, wo sie eher nebeneinanderher gelebt hatten, sondern richtig. Sie hatten noch zu viert trainiert, bis zum Mittag die Hitze so drückend wurde, dass sie es aufgaben. Boris und Sergeij gingen daraufhin in ihr Zimmer zurück, das wunderbar künstlich heruntergekühlt war. Kai und Yuriy beschlossen, stattdessen die Stadt zu erkunden. Yuriy war noch nie in Rom gewesen und bei Kai war es schon so lange her, dass er sich kaum noch an etwas erinnern konnte, außer vielleicht an Giancarlos Kampf gegen Takao. Sie kauften sich Coffee to Go in einem winzigen Laden und schlenderten dann durch die Straßen, machten ein wenig Sightseeing und wichen dann doch in die Nebengassen aus, weil die Hauptstraßen voll von Touristen waren. Auf einer kleinen Piazza entdeckten sie White Tiger X, die auf Stühlen unter einem Schirm saßen und sie neugierig beobachteten, während sie in großen Eisbechern stocherten. Kai tat, als bemerkte er ihre Blicke nicht, doch Yuiry erwiderte sie gereizt. „Ich frage mich wirklich, was so komisch an uns ist“, sagte er, als sie an einem Kiosk hielten, der billige Souvenirs führte. Kai drehte desinteressiert das Gestell mit den Sonnenbrillen, bevor er eine nahm und aufsetzte. „Du benimmst dich normal“, sagte er und betrachtete sich kurz in dem zerkratzten Spiegel, der an der Wand hing, „Im Gegensatz zum letzten Mal.“ Dann nahm er die Brille wieder ab. Yuriy griff dazwischen, als er sie wieder zurücklegen wollte und setzte sie nun seinerseits auf. „Und?“ „Besser als bei mir“, meinte Kai, „Oh, du hast schon Sonnenbrand auf der Nase.“ Kai hatte sich inzwischen eingestanden, dass er gern mit Yuriy allein war. Er mochte die ruhigen, nichtssagenden Gespräche mit ihm, die manchmal von einer Sekunde auf die andere viel bedeutsamer werden konnten, wenn sie auf ein Thema kamen, dass beide interessierte. Und er mochte Yuriys derben Humor, die sarkastischen Sprüche, die er über andere Blader machte, wenn sie sich die Matches ansahen. All das erinnerte ihn an die kurze Zeit zurück, die er in Moskau verbracht hatte, vor dem Schulwechsel. Es fühlte sich ein wenig so an, als würden sie versuchen, an ihre zwei, vielleicht drei Treffen von damals anzuknüpfen. Dabei hatte sich inzwischen so vieles verändert. Yuriy war jetzt anders, erwachsener (ein viel zu grober Begriff) und strahlte, mehr noch als unter Volkovs Leitung, etwas Alphawölfisches aus. Und auch Kai sah die Welt inzwischen mit anderen Augen, als damals. Im Grunde kamen sie sehr gut miteinander aus. Er musste nur akzeptieren, dass Yuriy letztendlich das Sagen hatte. Bis jetzt war es gut gegangen. Bis zum Abend war Yuriys Sonnenbrand schlimmer geworden. Auf seinen Unterarmen und im Gesicht sah man es deutlich. Als sie nebeneinander im Innenhof des Hotels saßen und eine Zigarette rauchten (immer auf der Hut vor Paparazzi – eine nikotinlastige Schlagzeile wäre nicht sehr imagefördernd), konnte Kai dem Drang nicht widerstehen und drückte seinen Zeigefinger in Yuriys rote Haut. Ein deutlicher weißer Fleck blieb zurück, der sich nur langsam wieder zurückfärbte. „Du brauchst Aprés-Sun“, sagte er. „Ach was.“ Er piekste ihn noch mal, setzte eine Kette heller Punkte auf seinen Arm, bis Yuriy ihn am Handgelenk packte. „Lass das.“ Dann hob er die freie Hand und nahm Kai die Zigarette aus dem Mund, um selbst daran zu ziehen. Kai beobachtete die Bewegungen seiner Lippen und wie seine Augen beim Inhalieren halb zufielen. Erst dann bemerkte er, dass auch Yuriy ihn ansah, dass sie sich schon die ganze Zeit stumm musterten. Und dass er noch immer seine Hand festhielt. Das erste, was Boris sagte, als sie ins Zimmer kamen, war: „Wir bladen gegen die BBA Revolution.“ „Kein Problem“, entgegnete Yuriy, doch Kai seufzte. So hatte er sich das nicht vorgestellt. „Was ist denn?“, fragte Boris daraufhin und klang schon wieder gereizt. Kai winkte ab. Er würde sich heute kein Streitgespräch mehr geben. Entschlossen drehte er sich um und verließ das Zimmer, um in sein eigenes zu gehen, das er mit Yuriy teilte, wie immer. Zum ersten Mal an diesem Tag war ihm wirklich heiß, und das trotz der Klimaanlage. Vielleicht hatte er einen Sonnenstich. Als er unter der Dusche stand, kam Yuriy herein. Sie schlossen fast nie ab, weil es irgendwie schneller ging, das Bad gleichzeitig zu benutzen. Und sie waren alt genug, um sich gegenseitig nichts abzugucken. Jedoch hatte Kai sich inzwischen eingestehen müssen, dass seine Blicke, trotz seiner Erfahrungen, noch immer auf ganz eigentümliche Weise von einem nackten Körper angezogen werden konnten. Durch die milchigen Scheiben der Duschkabine sah er, wie Yuriy seine Zahnbürste nahm und sich auf den Klodeckel setzte. „Machst du dir Sorgen wegen morgen?“, fragte er. „Wieso sollte ich?“, entgegnete Kai. „Du wirkst so.“ Er hob die Schultern und legte den Kopf in den Nacken, um seine Haare zu waschen. „Ich mache mir keine Sorgen“, sagte er, als er wieder in Yuriys Richtung blickte, „Es kommt nur ein wenig zu früh für meinen Geschmack. Du hast ihren letzten Kampf gesehen. Takao ist nicht auf der Höhe. So will ich nicht gegen ihn antreten.“ Kurz fragte er sich, ob der Rothaarige ihn gerade die ganze Zeit über angesehen hatte, weil sich seine Haltung in keinster Weise verändert hatte. „Verstehe“, sagte Yuriy und erhob sich nun doch, um ins Waschbecken zu spucken. „Ich meine, ich verstehe, wenn du dich in deiner Ehre verletzt fühlst. Aber es wäre trotzdem schön, wenn du dich bemühen würdest, zu gewinnen.“ Er warf ihm noch einen Blick zu, den Kai nur kurz erwiderte, bevor er den Kopf wieder unter den Wasserstrahl hielt. Erst als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, begann der Streit. „Verdammt noch mal, Kai!“, rief Yuriy aus, „Es gibt in diesem Team auch Leute, die diese Weltmeisterschaft gewinnen wollen!“ „Ach ja?“, entgegnete Kai, „Das sah aber nicht so aus. Dein Kampf war eine komplette Lachnummer!“ „Ja, deiner etwa nicht? Ich bitte dich, dein Stolz in allen Ehren, aber das war einfach nur lächerlich! Ich war ja geneigt, deine Allüren zu akzeptieren…“ „…so lange, bis du selbst verloren hast, nicht wahr?“, unterbrach Kai ihn, „Wie kann man nur so blöd sein und zweimal die gleiche Strategie fahren? Du konntest dir doch ausrechnen, dass Kyouyju deine Attacke durchschaut!“ „Ach, konnte ich das?“, sagte Yuriy, „Nun, offensichtlich bin ich nicht allwissend. Aber da du ja so schlau bist, hättest du auch mal ein Wörtchen sagen können!“ „Seit wann nimmst du meine Hilfe an?“ „Verdammt noch mal, wir sind ein Team!“, rief Yuriy, „Wie oft muss ich dir das denn noch sagen?“ Kai verstummte. Es hatte keinen Sinn. Er ließ sich auf das kleine Sofa fallen und spürte die Erschöpfung seine Beine hochkriechen, obwohl er gar nicht gekämpft hatte. Dieser Tag war nervenaufreibend gewesen. Yuriy stieß die Luft aus und ging auf den Balkon hinaus. Nach ein paar Minuten hob Kai den Kopf und sah zu ihm. Er lehnte an der Brüstung und rauchte. Kai musterte seinen Rücken, seine absolut symmetrischen Schulterblätter, sein rotes Haar. Verdammt. Er hätte den Kampf mit Daichi nicht abbrechen sollen. Wie hatte er sich so verschätzen können? Klar, er wusste, dass man Kyouyjus Fähigkeiten nicht ignorieren durfte, wollte man ein Match gewinnen. Aber nicht einmal er hatte zuvor bemerkt, wie groß die Schwachstelle in Yuriys Novae Rogue wirklich war. Er war sich sicher, so sicher gewesen, dass Yuriy Daichi in die Tasche stecken würde, erst recht nach den mickrigen Matches, die er bisher von diesem Team gesehen hatte. Dabei wusste er doch ganz genau, dass gerade die BBA Revolution immer irgendein Ass im Ärmel hatte… Er biss sich auf die Lippe. Das konnte er jetzt hin- und herdrehen, wie er wollte, sie hatten verloren. Und es war zu einem nicht unbeträchtlichen Teil seine eigene Schuld. Sein verdammter Stolz. Weil er wieder mal nur sein eigenes Ding durchgezogen hatte, anstatt auf das zu achten, was die anderen machten. Hatte auch alles schon mal besser geklappt. Aber diese Zeiten lagen schon sehr weit zurück. Seit der letzten Weltmeisterschaft mit den Bladebreakers hatte er allein für das, was er tat, geradestehen müssen. Das hatte sich nun erneut geändert. Er hatte jetzt einen Partner. Kai stand auf und ging zu Yuriy. Schob die Hände in die Taschen und musterte ihn von der Seite. „Okay. Ich geb’s zu, ich habe Mist gebaut.“, sagte er. Yuriy stieß seelenruhig einen langen Strom Rauch aus, bevor er den Kopf in seine Richtung drehte. Er musterte ihn eingehend und Kai begriff, dass er auf etwas wartete. Und er wusste auch, auf was. „Ich, hn…“ Er räusperte sich und kam sich reichlich dämlich dabei vor. „Also…es tut mir…leid?“ Sein Gesicht wurde plötzlich heiß, so unangenehm war diese ganze Situation für ihn. Weil er einen Fehler gemacht hatte. Weil er sich dafür entschuldigen musste. Doch Yuriy nickte nur und er konnte endlich wieder ausatmen. „Wir müssen uns in Zukunft besser absprechen“, sagte Yuriy, „Und wir sollten uns etwas ausdenken, was wir der Presse sagen.“ „Das mache ich“, sagte Kai. „Nein. Ich habe keine Lust, zuzusehen, wie du von den Pressegeiern zerrissen wirst. Ich mache ein Statement.“ Erstaunt sah Kai ihn an. So etwas hatte noch keiner für ihn getan. Er selbst für andere, klar, für die Bladebreakers, weil es einfach selbstverständlich war als Teamleader… Ah, das musste es sein. „Wow“, sagte er und wandte den Blick wieder ab, „Es ist seltsam, einen Captain zu haben.“ „Auch mal ganz angenehm, nicht wahr?“ Yuriy schmunzelte und drückte die Kippe aus. „Versprich mir, dass das nicht noch mal vorkommt.“ „Natürlich“, sagte Kai. Er drehte sich um und lehnte sich an die Brüstung. Dabei war er Yuriy näher gekommen. Ihre Schultern berührten sich. „Kannst du mir Feuer geben?“ Kai holte nun seinerseits eine Packung Zigaretten aus der Gesäßtasche. Nach dem Stress konnte er eine vertragen. Yuriy knipste sein Feuerzeug an und hielt es ihm hin, doch es wurde vom Wind ausgeblasen. Sie seufzten beide, Kai hob eine Hand vor die Flamme und spürte auf einmal, wie Yuriy einen Arm um seine Schultern legte. Vielleicht nur, um noch mehr Windschutz zu bieten. Er atmete ein und roch das Haarspray, das Yuriy benutzte. In diesem Augenblick fing die Zigarette Feuer, er inhalierte automatisch und alle Düfte wurden vom Geschmack des Rauches überdeckt. Madrid. Baihuzu vs. F-Sangre Neoborg vs. PPB All Starz BBA Revolution vs. Barthez Soldiers Die Vorhänge waren zugezogen, als Kai das Hotelzimmer betrat. Er wusste instinktiv, dass etwas nicht stimmte. „Yuriy?“, fragte er leise in den Raum herein und erhielt eine Antwort aus Richtung des Bettes seines Teamchefs. „Alles in Ordnung?“ Rascheln von Laken. „Nein.“ „Was ist los?“ Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. Selbst im Halbdunkel sah Yuriy furchtbar aus. „Hast du was Falsches gegessen?“, fragte er, versuchte, belustigt zu klingen und scheiterte, weil er ahnte, dass es so einfach nicht war. „Nein, das ist…eine Art Migräne.“ „Aber du hattest nie Migräne!“, sagte er und merkte selbst, wie dumm das klang. Auf Yuriys Gesicht breitete sich ein müdes Lächeln aus. „Eine Erinnerung an Volkov“, sagte er, „Irgendeins seiner Mittel hatte Nebenwirkungen… Es ist schon ewig nichts mehr passiert, ich hatte gehofft, dass es vielleicht von allein weggegangen ist.“ Bei Volkovs Namen war Kai hellhörig geworden. Automatisch legte er dem Rothaarigen eine Hand auf die Stirn, doch statt Fieber spürte er kalten Schweiß. „Wie lange dauert es, bis es vorbei ist?“, fragte er. Obwohl es ihm offensichtlich ziemlich schlecht ging, brachte Yuriy ein trockenes Lachen zustande. „Es hat noch gar nicht richtig angefangen.“ Die nächsten vierundzwanzig Stunden waren grausam. Kai konnte nicht viel tun. Am Anfang saß er nur da und redete mit Yuriy, doch er merkte, dass es dem anderen immer schlechter ging. Seine kläglichen Versuche, etwas für den Rothaarigen zu tun scheiterten an seinem mickrigen Wissen über Hausmittel und an Yuriys Zynismus. Es hilft doch sowieso nicht. Mach dir nicht die Mühe. Irgendwann hörte er, dass Boris und Sergeij wieder in ihr Zimmer kamen, das gleich nebenan lag, also ging er zu ihnen, wiederwillig, doch die beiden wussten mit Sicherheit eher, was nun zu tun war. Boris kam auch sofort, wühlte ein wenig in Yuriys Sachen herum und hielt plötzlich die stärksten Schmerztabletten in der Hand, die Kai je gesehen hatte. „Vielleicht helfen sie ja wieder ein bisschen“, brummte er, „Es ist ja lange nichts mehr passiert.“ Dann brauchte er jedoch noch ein paar Minuten, um ihren Teamchef davon zu überzeugen, sie wirklich zu nehmen. Yuriy schien einen ausgewachsenen Ekel gegen diese Tabletten zu hegen. Es war das erste Mal, dass sie nicht stritten, nicht einmal stichelten. Boris und Kai saßen auf dem Sofa, hielten Yuriy im Blick und sagten gar nichts. Der Rothaarige schlief eine Weile, eingelullt von den Tabletten, dann stand er plötzlich auf, stürzte ins Bad und erbrach sich heftig. Kai und Boris sprangen auf, doch Boris hielt ihn davon ab, zu Yuriy zu gehen. „Es ist spät“, sagte er, und tatsächlich, es war inzwischen nach Mitternacht, „Geh rüber und sag Sergeij, er soll herkommen. Morgen früh ist ein Meeting. Da musst du hingehen. Wir kümmern uns um Yuriy.“ Er machte eine kleine Pause. „Du kannst in meinem Bett schlafen.“ Doch Kai schlief nicht. Er lag auf dem Rücken auf dem Sofa in Boris‘ und Sergeijs Zimmer und starrte die Decke an, aber aus dem Nebenzimmer war nichts mehr zu hören. Am nächsten Morgen ging er zu dem Meeting, müde, gereizt. Die anderen Manager und Mr. Dickinson sahen ihn besorgt an, aber er behauptete, Yuriy arbeitete an einem neuen Blade und brauche die Zeit. Er nickte nur, als ihm mitgeteilt wurde, dass sie gegen die PPB All Starz antreten würden und wich Judys mütterlichen Fragen aus. Dann ging er zurück und löste Boris und Sergeij ab. Er musste seine ganze Autorität aufbringen, um sie davon zu überzeugen, ebenfalls ein paar Stunden zu schlafen. Yuriy döste. Seine Erschöpfung war ihm deutlich anzusehen. Unter Kais Blick wurde er wach. Er drehte den Kopf und sah ihn müde an. „Wie…ist es?“, fragte Kai. Er konnte es einfach nicht zurückhalten. „Weißt du, eigentlich…ist es erstaunlich, wie man sich daran gewöhnen kann“, sagte Yuriy leise, rau, „An den Schmerz, meine ich. Es fängt im Kopf an, dann ist es überall. Aber irgendwie…übersteht man es. Es wird langsam besser.“ Kai spürte den tiefen Hass auf Volkov wieder in sich aufwallen. Gott, wie unmenschlich konnte ein einzelner Mann nur sein? Vermutlich hatte er Yuriy ein weiteres gefährliches Präparat verabreicht, um diese Nebenwirkungen zu unterdrücken. Kein Wunder, dass er wie gesteuert gewesen war. Benebelt von all den Giften. In diesem Moment stiegen so viele Erinnerungen in ihm auf, Erinnerungen an seine Kindheit und an die Weltmeisterschaft in Russland. Bis heute wusste er nicht, ob sein Gedächtnis vollständig wiederhergestellt war. Was wusste Yuriy, das er nicht wusste? Was hatten sie zusammen gesehen, das er vergessen hatte? Er war wütend, so unglaublich wütend, dass er kurz die Augen schließen und sich zusammennehmen musste. Doch er konnte immer noch nichts sagen. Seine Hand griff automatisch nach Yuriys. Der Rothaarige blickte ihn verwirrt an. „Frag nicht“, brachte Kai hervor. Und dann fühlte er, wie Yuriys Finger sich um seine schlossen. In der zweiten Nacht kamen die Schmerzen in Intervallen. Kai sah es daran, wie Yuriy sich verkrampfte und wieder entspannte. Der Rothaarige war in einem Delirium aus Müdigkeit und Erschöpfung. Er war eigentlich kaum wach, aber Schlaf konnte man das auch nicht nennen. Kai wagte es nicht, von seiner Seite zu weichen, er konnte ihn einfach nicht aus den Augen lassen. Die meiste Zeit leisteten Boris und Sergeij ihm Gesellschaft. Sie sprachen über das bevorstehende Match. Boris schlug vor, dass weder Yuriy, noch Kai antreten sollten, doch Kai schüttelte nur den Kopf. „Er wird kämpfen wollen“, sagte er und nickte in Yuriys Richtung. Boris seufzte. „Ja, das befürchte ich auch.“ Als es langsam hell wurde, schlief Yuriy für zwei, vielleicht drei Stunden tief und fest. Boris und Sergeij waren auf dem Sofa ebenfalls eingenickt. Als Kai bemerkte, dass die Krämpfe aufgehört hatten, spürte er das erste Mal seine eigene Müdigkeit. Es wurde Zeit, einen Kaffee zu machen, sonst würde er das Match heute nicht überstehen. Doch es blieb bei dem Gedanken. Ohne dass er es wirklich bemerkte, sank sein Kopf auf seine verschränkten Arme. Er erwachte, als ihn jemand an der Schulter berührte. Das grelle Tageslicht blendete ihn, als er nach oben blinzelte, doch er erkannte Yuriy sofort, der über ihn gebeugt stand. In seinem Gesicht waren deutlich die Spuren der vergangenen Tage und Nächte zu sehen. Er war so blass, dass selbst sein Sonnenbrand nicht mehr bemerkbar war. „Oh Gott, du lebst wieder!“, stellte Kai fest und konnte nicht verhindern, dass er erleichtert klang. Yuriy lächelte. „Just in time“, sagte er. Kai fuhr sich durch die Haare und stand langsam von seinem Stuhl auf. „Du willst also bladen“, sagte er dann, „Dir ist klar, dass wir das nicht zulassen werden? Boris wird für dich antreten…“ „Kai…“ „Ich will keinen Einwand hören. Du bladest heute nicht.“ „Kai.“ „Nein!“ Yuriy umarmte ihn. Einfach so. Vielleicht hielt er sich auch nur an ihm fest, denn Kai spürte, wie wackelig er auf den Beinen war. Doch es war, wie es war, Yuriy drückte ihn an sich und er bemerkte, dass er seine Hand in das Shirt des Rothaarigen gekrallt hatte. Er hielt ihn fest. Es war seltsam, ihm so nahe zu sein, seinen Körper zu fühlen, seinen Duft einzuatmen. Das waren Dinge, die er bisher nur ansatzweise bemerkt hatte. „Ich bin der Teamchef, Kai“, sagte Yuriy leise, „Respektiere meine Entscheidungen.“ „Irgendwann wirst du an deinen Entscheidungen draufgehen.“ „Sagt der Richtige.“ Natürlich verlor Yuriy sein Match. Er war einfach zu geschwächt. Und Rick…Rick war einfach zu aggressiv. So etwas hatte selbst Kai in seiner langen Laufbahn noch nicht gesehen. Der Hüne fegte Yuriy praktisch aus der Arena. Als sie sich unterhalb des Podestes trafen, konnte Kai seinem Teamchef die Erschöpfung genauso deutlich ansehen, wie die Fassungslosigkeit über diese schnelle Niederlage. „Scheiße“, murmelte Yuriy, „Ich bin einfach unkonzentriert gewesen.“ „Geh, leg dich hin“, entgegnete Kai, „Ich mach das.“ Jetzt würde er zumindest seinen Fehler aus Rom wieder gut machen können. Entschlossen blickte er zu Rick, der noch an der Arena stand und überheblich auf sie herab grinste. Sein rücksichtsloses Verhalten würde ihm noch leidtun. „Wenn du nicht gewinnst“, sagte Yuriy, „Dann gnade dir Gott.“ „Jaja“, sagte Kai und grinste süffisant, „Onkel Kai wird’s schon zurechtbiegen. Mach dir keine Sorgen, Chef.“ „Deinen Galgenhumor möchte ich haben…“ Kai drehte noch einmal den Kopf und zeigte ihm sein Grinsen. Yuriy hob die Augenbrauen und einen Mundwinkel. Er stellte sich skeptisch. Als Kai seinen Weg fortsetzte, berührten sich ihre Hände flüchtig. Sie verloren kein Wort mehr über Yuriys Niederlage, aber Kai wusste, dass mit dem nächsten Tag ein noch härteres Training beginnen würde. Es war ihm nur Recht. Yuriy erholte sich beinahe genauso schnell von seiner „Migräne“, wie sie gekommen war. Es ging ihm zusehends besser. Wenn sie ihr Match noch einen Tag später ausgetragen hätten, hätten sie vermutlich kein Entscheidungsbattle nötig gehabt. Aber es war egal, sie hatten gewonnen und es ging wieder bergauf. Ihren letzten Abend in Madrid verbrachten sie vor dem Fernseher. Nach dem Stress der letzten Tage hatten sie wenig Lust, sich überhaupt zu bewegen. Boris und Sergeij hingegen hatten tatsächlich beschlossen, sich auch einmal in der Stadt umzusehen, wenn sie schon mal hier waren. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa, die Füße auf den niedrigen Tisch gelegt, und sahen englischsprachige Programme. Irgendwelche historischen Dokumentationen. Alles Weitere passierte, als wäre es das Natürlichste der Welt. Als Kais Kopf schwer wurde, lehnte er sich an Yuriy. Er spürte, wie der andere sich bewegte, wie sein Kinn seinen Scheitel berührte. Yuriy schüttelte ihn nicht ab. Kai wusste, dass er selbst es oft nicht bemerkte, wenn er von einem normalen Gespräch in einen Flirt abdriftete, besonders bei Männern. Er fragte sich, ob ihm in letzter Zeit etwas herausgerutscht war, ob er mit Yuriy geflirtet hatte. Vielleicht. Wenn, dann hatte er nichts dagegen gesagt. Ich will sagen, er ist genau dein Typ. Das Sofa war klein. Sie saßen so dicht beieinander, dass sie sich berührten: Die Schultern, die Arme, die Hände, die Hüften, die Beine. Kai schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Gefühl, doch auf einmal zog Yuriy den Arm weg. Kai blinzelte überrascht. In diesem Moment legte sich Yuriys Arm um seine Schultern. Seine Hand strich über Kais Haut, vorsichtig und doch selbstverständlich. Kai nahm die Füße vom Tisch und setzte sich auf, blickte auf Yuriy hinab, dessen Hand auf seine Taille gerutscht war. Er betrachtete sein Gesicht, das eine eigentümliche Ruhe ausstrahlte. Dieses schöne Gesicht. Yuriys Griff verstärkte sich. Er zog Kai zu sich heran, bis sich ihre Körper wieder berührten, Beine, Hüfte, Bauch, Brust, Kai legte eine Hand auf Yuriys Schulter und dann berührten sich auch ihre Lippen. Langsam. Neugierig. Ausgiebig. Und Yuriys Hände, die ganz ungeniert seinen Körper erkundeten. Am nächsten Morgen wusste Kai nicht, was er sagen sollte. Er stand auf und merkte, dass Yuriy ihn beobachtete, obwohl er auf der anderen Seite des Zimmers in seinem Bett lag und sich bislang nicht geregt hatte. Seine Blicke waren spürbar. Als er endlich im Bad ankam, verschwand das Gefühl und er schlug sich kaltes Wasser ins Gesicht, weil er nicht wusste, was er ansonsten machen sollte. Nach dem Kuss hatten sie nicht mehr viel gesagt. Kais Kopf war wie leergefegt gewesen, also hatte er einfach zugelassen, dass Yuriy mit den Fingern die Konturen seines Gesichts nachzog und ihn ausgiebig musterte, als sähe er ihn zum ersten Mal. Irgendwann hatten sie sich noch einmal federleicht geküsst und waren dann, wie in einem stillen Einverständnis, aufgestanden und in ihre Betten gegangen. Und jetzt bereute Kai es. Seine heimlichen Ängste waren wahr geworden: Er war einem Freund zu nahe gekommen, und jetzt hatte sich zwischen ihnen alles verändert. Womöglich zum Schlechten. Er kannte solche Geschichten von anderen. So etwas ging praktisch nie gut aus. Kai hatte geahnt, dass ihm so etwas auch passierte, nicht aber, dass es dann so schwer werden würde, die Sache irgendwie zu bereinigen. Yuriy war sein Teamchef. Sie mussten zusammenarbeiten können. Die Tür ging auf. „Kai?“ Er wich automatisch vor Yuriy zurück und fühlte sich seltsam schutzlos, als hätte er zu wenig an. „Das gestern war keine gute Idee, oder?“, fragte er. Yuriy konnte seinen Blick nicht halten, er biss sich auf die Lippe und sah zur Seite. Schien es ihm nur so, oder war der Rothaarige verlegen? „Findest du?“, fragte er leise und sprach dabei die Wand an. „Denn für mich war es… Ich hatte es mir schon überlegt, weißt du“ Yuriys Blick wanderte wieder auf ihn zu, schwenkte dann aber nach unten. Kai war heiß vor Scham. Er musste sich auf die gemurmelten Worte konzentrieren, damit er nichts überhörte. „Ich, ähm, ich glaube, der Gedanke war etwas verrückt“, sagte Yuriy, „Aber ich bin ihn nicht losgeworden. Seit Vladivostok. Ich hab mir immer, ich weiß nicht, warum, also, ich hab dich immer vor mir gesehen“ Und er hob den Blick und sah Kai mit einem entwaffnenden Kleinjungenlächeln in die Augen, „Mit einem anderen Mann, meine ich.“ Kai stand, an das Waschbecken gedrückt wie gegen eine feste Wand bei Erdbeben, einfach nur da und starrte ihn an. Als er merkte, dass sein Mund geöffnet war, schloss er ihn, aber mehr brachte er nicht fertig. Yuriy biss sich schon wieder auf die Lippe und ihn so nervös zu sehen löste in Kai kleine, in dieser Situation völlig unpassende Sensationen aus. „Willst du denn nichts sagen?“, fragte Yuriy. „Ich, ähm…Ich…“, stotterte er, „Ich bin etwas…verwirrt…“ Und brach hilflos ab. „Okay…“ Yuriy schien kurz mit sich zu ringen, dann streckte er die Arme langsam zu ihm aus. „Dann komm doch einfach mal her zu mir…oder?“ Es war eigentlich nur ein Schritt. Yuriys Arme schlossen sich um Kai und sie umarmten sich unbeholfen, als hätten sie es noch nie zuvor getan. So standen sie eine Weile einfach da. Kai starrte den Kragen von Yuriys Shirt an und hob schließlich langsam den Kopf. Wer wusste schon, was daraus wurde… Natürlich wurde es ein Kuss, und mit ihm verschwand die Anspannung. Kai presste sich an Yuriy und spürte, wie der andere sich mit ihm drehte. Dann wurde er gegen die Wand der Duschkabine gedrückt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)