Weltenbummler von lady_j (YuKa) ================================================================================ Prolog: E-Mails --------------- An: hiwatari.kai@gmail.com 11.05.2003, 15:45 Betreff: Medikamente Nimmst du die Medikamente, die der Therapeut dir verschrieben hat? An: yuriyivanov@mail.ru 12.05.2003, 22:03 Betreff: Re: Medikamente Du kannst Kyrill Pavlowitsch vertrauen. Er hat mir was gegen Schlafstörungen verschrieben, das ist wirklich gut. An: yuriyivanov@mail.ru 03.07.2003, 20:00 Betreff: Prozess Wie läuft die Verhandlung? Man bekommt fast gar keine Informationen. Haben meine Aussagen was gebracht? An: hiwatari.kai@gmail.com 05.07.2003, 9:15 Betreff: Re: Prozess Deine Aussagen und die deines Großvaters haben sehr geholfen. Wir sind hier alle froh, dass er geständig ist. Was machst du jetzt, wo er verurteilt ist? Es zieht sich hin, aber Volkov wird auch langsam mürbe. Wir haben gute Anwälte. Ivan geht es nicht gut, die ganze Sache ist noch zu viel für ihn. Kyrill Pavlowitsch kümmert sich aber sehr gut um uns alle. Yuriy An: yuriyivanov@mail.ru 05.07.2003, 13:57 Betreff: Re: Re: Prozess Danke für die Informationen. Was mich betrifft, so werde ich wohl erst einmal ein Internat besuchen. Die Ferien verbringe ich bei meiner Mutter in Moskau oder in Japan bei Freunden. So genau weiß ich das noch nicht. Wir bringen das Arschloch hinter Gitter. Ganz sicher. An: hiwatari.kai@gmail.com 06.07.2003, 18:30 Betreff: Re:Re:Re: Prozess Es sieht gut aus. Alle Zeugen sind vernommen und Volkov ist auf dünnes Eis geraten. Er sagt jetzt nichts mehr. Das Urteil wird morgen ausgesprochen. Du wirst es dann wohl auch in den Medien sehen. PS: Wenn du in Moskau bist, können wir uns treffen. An: yuriyivanov@mail.ru 07.07.2003, 22:20 Betreff: Re:Re:Re:Re: Prozess Yuriy, ich habe von der Verurteilung gehört. Es ist einfach großartig! Besser hätte es gar nicht laufen können. Kai PS: Ja, können wir. An: hiwatari.kai@gmail.com 01.08.2003, 19:18 Betreff: :/ Sorry, dass sich Boris so aufgespielt hat. Er kann mit der ganzen Sache noch nicht so gut umgehen. Ich mache mir, ehrlich gesagt, schon Sorgen um ihn und frage mich langsam, ob dieses Antiaggressionstraining überhaupt was bringt… An: yuriyivanov@mail.ru 01.08.2003, 19:30 Betreff: Re: :/ Kein Problem. Ich sollte langsam wissen, dass man manche Menschen nicht reizen sollte. Und du hast damit doch gar nichts zu tun. Vielleicht sollten wir uns mal zu zweit treffen oder so. An: hiwatari.kai@gmail.com 01.08.2003, 19:35 Betreff: Re: Re: :/ Gute Idee. Ich könnte etwas Ablenkung gebrauchen. An: yuriyivanov@mail.ru 01.08.2003, 19:59 Betreff: Re: Re: Re: :/ Hast du „Hulk“ schon gesehen? Morgen 20:15. Ich würd ihn noch mal gucken, aber er ist schlecht, aber morgen soll es eh regnen, aber die Karten sind teuer, aber dafür haben sie Karamellpopcorn… An: hiwatari.kai@gmail.com 01.08.2003 Betreff: Re: Re: Re: Re: :/ Hmmmm, Karamellpopcorn. An: yuriyivanov@mail.ru 03.08.2003 Betreff: -kein Betreff- Danke für die bissigen Kommentare. Aber manchmal hätte ich dir gern das Maul mit deinem dummen Popcorn gestopft. Bis zum nächsten Mal. Kai An: hiwatari.kai@gmail.com 16.07.2004 Betreff: -kein Betreff- Kai, wir haben das von Yuuya gehört. Das ganze Team ist geschockt. Was sind das für Typen, für die der Kleine gearbeitet hat? An: yuriyivanov@mail.ru 20.08.2004 Betreff: Re: -kein Betreff- Yuriy, ich war seit einiger Zeit nicht mehr online. Ich habe mich nicht in der Lage gefühlt, mit irgendwem darüber zu reden, zumal auch die Weltmeisterschaft vor der Tür stand. Habe mich vor einer Woche dazu entschlossen, mir wieder von Kyrill Pavlovitsch helfen zu lassen. Er ist wirklich sehr geduldig, auch auf die Entfernung. Ich möchte deswegen nicht nach Russland. Kyrill Pavlovitsch hat angedeutet, dass es bei euch Probleme gibt. Ich weiß, er hätte es nicht tun sollen, aber du weißt ja selbst, dass ich niemandem etwas sagen würde. Was ist da los bei euch? An: yuriyivanov@mail.ru 28.08.2004 Betreff: Yuriy? Jetzt bist du es, der sich nicht meldet. Ich will mir keine Sorgen machen müssen. An: hiwatari.kai@gmail.com 02.03.2005, 10:10 Betreff: Weltmeisterschaft Kai, ich weiß, wir haben mal wieder lange nichts voneinander gehört. Wir hatten hier zwischenzeitlich einige Probleme zu lösen. Inzwischen sind wir aber alle auf dem richtigen Weg, Dank Kyrill Pavlovitsch. Boris, Sergeij und ich fühlen uns bereit, an der Weltmeisterschaft teilzunehmen. Nur Ivan wird wohl keinen Beyblade mehr anfassen. Daher brauchen wir einen vierten Mann. Hast du Interesse? Yuriy An: yuriyivanov@mail.ru 03.03.2005, 12:14 Betreff: Re: Weltmeisterschaft Yuriy, du weißt, dass ich für das japanische Team aufgestellt wurde. Kai An: hiwatari.kai@gmail.com 03.03.2005, 15:09 Betreff: Re:Re: Weltmeisterschaft Das ist ein Grund, aber kein Hindernis. Rei und Max sind auch in anderen Teams. Du willst mir doch nicht weismachen, dass du lieber mit als gegen Kinomiya antrittst? Überleg es dir. An: yuriyivanov@mail.ru 06.03.2005, 23:33 Betreff: Re:Re:Re: Weltmeisterschaft Okay. Ich bin dabei. An: hiwatari.kai@gmail.com 07.03.2005, 00:05 Betreff: Re:Re:Re:Re: Weltmeisterschaft 10. März, 13:00 am Fährhafen. Bring Klamotten und alles mit, wir fahren sofort zurück. Danke. Kapitel 1: #3 Schreibe eine romantische Szene zwischen ihm und seiner (ihm von Dir zugedachten oder tatsächlichen) personellen Liebe... Teil 1 ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Though the truth may vary this ship will carry our bodies safe to shore. Es war seltsam, Yuriy wiederzusehen. Kai nutzte die Augenblicke, in denen er noch nicht bemerkt wurde, um ihn zu mustern. Yuriy war irgendwann in die Höhe geschossen, die Schultern kamen da noch nicht ganz nach. Und sein Gesicht: Als hätte jemand alle störende Weichheit kurzerhand abgeklopft. Er sah sehr europäisch aus und für Kai, der anderes gewohnt war, beinahe exotisch. Er hatte Japan seit einer halben Ewigkeit nicht mehr verlassen. Während der Überfahrt nach Vladivostok sagte Kai es ihm. Sie standen nebeneinander an der Reling im Dunkeln und blickten auf das aufschäumende Wasser hinab. Die leichte Übelkeit verflog nur langsam. „Du solltest noch was wissen, bevor wir einen auf Team machen“, sagte er. „Na was denn?“, fragte Yuriy, ohne ihn anzusehen. „Ich bin bi.“ Die blauen Augen, die hier im Halbdunkel eine andere, diffuse Farbe hatten, wanderten langsam zu ihm. „Warum erzählst du mir das?“ „Ich habe mir angewöhnt, es gleich zu sagen, anstatt zu warten, bis es irgendwie rauskommt. Das erleichtert vieles.“ Yuriy schwieg nachdenklich, dann: „Hast du einen Freund?“ Das klang neugierig. Er schien sich tatsächlich zu bemühen, etwas Konversation zu betreiben. „Nein“, sagte Kai, „Das heißt…bis vor kurzem gab es diesen Typen. Es war keine Beziehung. Er war eher so was wie…mein Lehrer.“ Noch einmal spürte er Yuriys Blick auf sich. „Du redest ziemlich offen darüber.“ Er hob die Schultern. Weitere Details würde er für sich behalten, und Yuriy konnte eh nicht einschätzen, wann er nun besonders offen war und wann nicht. Dazu waren sie sich zu fremd. Irkutsk. Sie wohnten etwas außerhalb der Stadt am Ufer der Angara. Der Winter blieb bis weit ins Frühjahr hinein in diesem Teil des Landes, und so war das Eis auf dem siebzig Kilometer weit entfernten Baikal noch so dick, dass man mit dem Laster darüber fahren konnte. Kai vermied es so gut es ging, sich die Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen, die ihn selbst mit dem See verbanden. Während sie auf die Ankunft Sergeijs und Boris‘ aus Moskau warteten und Yuriy sich mit dem Verwalter des Gebäudes über den desaströsen Zustand ihrer „Trainingshalle“ stritt, verbrachte er die meiste Zeit in seinem Zimmer. Die Möbel bestanden aus Spanplatten, die mit einer Folie mit Holzmaserung beklebt waren und auf dem Boden lag fleckiges Linoleum. Das alles verströmte einen charakteristischen, abgestandenen Geruch, der sich auch mit frischer Luft nicht gänzlich austreiben ließ. In Japan gab es diesen Geruch nicht. Man hatte natürlich all die großen Männer längst von der Wand genommen. Alle Porträts von Lenin und den anderen waren aus dem Haus verschwunden, bis auf eines: Im Speiseraum hing über den Tischreihen noch immer ein Bild von Juri Gagarin. Kai hatte einige Minuten davor gestanden und es betrachtet. Der Kosmonaut hatte ein breites, freundliches Gesicht. Die Augen waren fast schwarz. Es war irgendwie schwer vorstellbar, dass sein rothaariger Teamchef ausgerechnet diesem Mann seinen Namen zu verdanken hatte. Es war am Abend des dritten oder vierten Tages, als Kai in den Speiseraum kam und Yuriy genau unter dem Bild seines Namensvetters sitzend fand. Der Kosmonaut blickte gelassen über ihre Köpfe hinweg in die Ferne. Kai setzte sich Yuriy gegenüber hin und nahm sich eines der Butterbrote von seinem Teller, die in dem kalten Licht des Raumes eine so unappetitliche Färbung erhielten, dass er nur lustlos darauf herumkaute. Doch seinem Teamchef schien es da nicht anders zu gehen. „Morgen kommen die anderen, dann trainieren wir zusammen“, sagte er schließlich und Kai nickte nur. Es würde ungemütlich werden. Wo Yuriy einen von taktischem Denken begründeten Stoizismus zeigte, war vor allem Boris wütend über Kais Anwesenheit in seinem so hoch geschätzten Team. Es hatte seit Jahren keine Auswechslungen bei Team Borg gegeben, und jetzt platzte er hier herein wie eine Showdiva in ein mittelmäßiges Theaterstück. Wahrscheinlich würden vor Ende der Woche die Fetzen fliegen. Die Fetzen flogen tatsächlich, jedoch ganz anders, als Kai erwartet hatte. Nachdem es Yuriys erste Tat gewesen war, Boris zur Seite zu nehmen und ihm einzuschärfen, sich Kai gegenüber gefälligst zu zügeln, war die Atmosphäre zwischen den beiden zwar kälter als der sibirische Winter, doch immerhin gingen sie sich, bis auf einige Sticheleien hier und da, aus dem Weg. Ganz anders sah es nach den ersten Trainingseinheiten zwischen dem Teamchef selbst und Kai aus. Kai konnte sich einfach nicht an die Trainingsmethoden des anderen gewöhnen. Oder, besser gesagt, er konnte sich nicht daran gewöhnen, dass ihm jemand vorschrieb, wie er zu trainieren hatte. „Hör auf, dich so aufzuspielen, Ivanov!“, warf er ihm regelmäßig an den Kopf, sobald es wieder mal zu einem verbalen Schlagabtausch kam. Genauso regelmäßig bekam er von Yuriy zu hören: „Ich bin der Teamcaptain, Hiwatari, nicht du!“, was seine Frustration nur noch steigerte. Er brauchte kein Team. Er würde das alles auch allein schaffen, wenn man ihn nur ließe. Irgendwann wurden sie handgreiflich. Es war noch sehr früh am Morgen, daran erinnerte Kai sich, denn er war müde gewesen. Hätte er die Nacht vorher besser geschlafen, wäre Yuriy derjenige gewesen, der mit einem blauen Auge den Ring verließ, ganz sicher. Er stand in dem ranzigen Waschraum und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Einer der rostigen Wasserhähne tropfte, vielleicht war es auch eine der Duschen, jedenfalls machte das Geräusch ihn ganz irre. Als er vorsichtig den dunklen Fleck berührte, der sich auf seinem Wangenknochen ausbreitete, verstärkte er nur noch den dumpfen Schmerz. Wenn das bis zum Beginn der Weltmeisterschaft nicht verschwunden war, musste er sich etwas einfallen lassen. Mit einem Veilchen würde er jedenfalls nicht vor die Kameras treten. „Kai?“ Vielleicht lag es an Yuriys Haaren, dass er bei seinem Anblick sofort wieder gereizt war. Rot provoziert. „Was willst du?“ Kai sah ihn nicht an, sondern drehte den Wasserhahn auf und hielt ein Stück seines Schals unter den kühlen Strahl. Doch bevor er sich den Stoff auf die Wange legen konnte, war Yuriy neben ihm und hielt ihm ein Kühlpad aus dem Eisfach hin. „Zeig mal her.“ Kai tat, als hätte er nichts gehört, aber Yuriy stieß gegen seine Schulter, sodass er sich doch zu ihm umdrehen musste. Der Blick der blauen Augen lag auf seiner Wange und er wusste nicht, wo er hinsehen sollte, also musterte er Yuriys Gesicht, dessen Ausdruck irgendwo zwischen Erstaunen und leichter Belustigung schwankte. „Tut mir leid.“ Das klang nicht überzeugend. Er nahm Yuriy das Pad aus der Hand und trat einen kleinen Schritt zurück. Sie sahen sich an. „Ich hätte es genauso gemacht“, sagte Kai, „Wenn ich Teamchef wäre.“ Diese Worte kosteten ihn weniger Mühe, als er gedacht hatte. Irgendwann in den letzten Minuten musste er akzeptiert haben, dass er Yuriy nicht von seiner Position verdrängen konnte. Im Grunde war das die gesündeste Entscheidung. Auf dem Gesicht seines Gegenübers breitete sich kurz Erstaunen aus, dann spielte er es mit Schulternzucken herunter. „Gut. Wenn du…lieber allein trainieren willst…“ „Sag, wann wir trainieren, und ich bin da“, unterbrach Kai. New York. BBA Revolution vs. Baihuzu Neoborg vs. F-Sangre PPB All Starz vs. Barthez Soldiers Während des Fluges saß er neben Sergeij und fühlte sich die ganze Zeit beobachtet. Dabei sah sein Sitznachbar wahrscheinlich an ihm vorbei aus dem Fenster, anstatt auf sein Handy. Er konnte die japanischen Schriftzeichen ja sowieso nicht lesen, aber Kai war trotzdem nicht wohl dabei. Max hatte ihm geschrieben: Was machst du, Kai, ich habe gehört, du hast Takaos Team verlassen? Woher auch immer er die Infos hatte. Ja, ich bin jetzt bei NeoBorg, schrieb er zurück und plauderte so ein Geheimnis aus, das eigentlich noch mindestens vierundzwanzig Stunden eines bleiben sollte. Max hatte nie Probleme damit, Konkurrenz auszublenden, und das schätze Kai sehr. Er verstand den Zusammenhang zwischen „Team“ und „Freundschaft“ und somit auch den von „kein Team“ und „Feindschaft“ nicht so wirklich. Für ihn waren das zwei verschiedene Paare Schuhe. „Ich muss zu einem Meeting“, sagte Yuriy. „Ich komme mit.“ Sein Teamchef warf ihm einen kurzen Blick zu, als er das Magazin weglegte und vom Bett aufstand. „Wo willst du hin?“ „Ich treffe mich mit Max“, sagte Kai und Yuriy hob billigend die Schultern. Er wusste, dass er ihm nicht einschärfen musste, ja nichts von ihrer Taktik zu verraten. Und Max besaß überdies eine weitere angenehme Eigenschaft: Er blendete das Thema „Beybladen“ in freundschaftlichen Gesprächen vollkommen aus. Wahrscheinlich würde sein Partner, dieser bullige Typ, ihm den Kopf abreißen, wenn er wüsste, dass er sich mit Kai traf –aber Kai blühte das gleiche Schicksal, sollte Boris davon erfahren. „Ich hoffe, ich muss heute Abend nicht um mein Leben fürchten“, sagte er deswegen, als sie nebeneinander die Treppen zum Foyer herunterstiegen. „Nein“, entgegnete Yuriy, „Was Boris nicht weiß, macht ihn nicht heiß, und was deine Alleingänge angeht, halte ich mich so lange da raus, wie ich sicher sein kann, dass du keinen Mist baust.“ „Ich baue keinen Mist.“ „Ich weiß.“ Kai hob die Augenbrauen und sah Yuriy an. Für ihn unerwartet trafen sich ihre Blicke, doch es erschien ihm ganz natürlich, dass sie daraufhin ein verschwörerisches Grinsen austauschten. „Mach mir keine Schande vor dem Klassenfeind“, sagte Yuriy noch, dann beschleunigte er seine Schritte und eilte quer durch die Empfangshalle zu einem Gang, der ins Nebengebäude führte. Kai merkte erst, dass er ihm nachsah, als Max plötzlich vor ihm stand. Normalerweise übersah er andere Personen nicht. „Du verstehst dich gut mit Yuriy.“ Das war eine Feststellung. Max schaffte es, dass es klang, als wäre es die normalste Sache der Welt. Er wartete nicht auf Kais Erwiderung, sondern löffelte sofort weiter sein Eis. „Ja, warum nicht?“, entgegnete er. „Naja, man sieht es dir sonst nicht so an, wenn du jemanden sympathisch findest.“ Beinahe ein Viertel der rosa gestreiften Eiskugel verschwand in Max‘ Mund. „Er sieht ziemlich gut aus, findest du nicht?“ Er wusste natürlich von Kais Orientierung. Vor den Bladebreakers hatte er nicht lange hinterm Berg gehalten, da er irgendwie immer mehr Zeit mit ihnen verbracht hatte, als ihm lieb sein konnte und sie ja sowieso irgendwann dahinter gekommen wären. „Also, wenn du meine bescheidene Meinung hören willst. Er sieht jetzt gesünder aus. Ist auch nicht so alt, wie dein letzter.“ „Was willst du mir damit sagen, Max?“, fragte Kai und ließ seelenruhig den Keks in seinem Kaffee schwimmen. Das Grinsen des Blonden konnte er nicht sehen, weil er konzentriert beobachtete, wie das Gebäck sich vollsog und unterging. „Nichts. Ich erläutere nur die Tatsachen.“ „Du willst doch auch nicht gleich etwas von jedem Mädchen, dass dir sympathisch ist“, sagte Kai und sah nun endlich wieder auf. Er war etwas erstaunt darüber, wie klein der Eisberg vor seinem Freund in so kurzer Zeit geworden war. „Doch“, sagte Max, „Eigentlich bin ich in jedes Mädchen ein wenig verknallt. Und weißt du, du merkst es selber vielleicht nicht, aber du hast im letzten halben Jahr wirklich mit jedem gutaussehendem Kerl geflirtet, der älter und größer war als du.“ „Max, was zur- “ „Ich will sagen, er ist genau dein Typ“, unterbrach Max ihn. „Ach. Ist er das, ja?“ Als er den Blick wandern ließ, bemerkte er durch die Glastür des Restaurants hindurch ein paar Gestalten. „Beeil dich ein bisschen, die Reporter sind schon wieder da.“ Sie hatten sich wie Aasgeier auf ihre beiden Teams gestürzt. Auf NeoBorg, weil Kai zu ihnen gewechselt war, und auf die PPB All Starz, weil sie sich so unbeliebt gemacht hatten. Eigentlich hatten sie Hausverbot in ihrem Hotel bekommen, aber irgendwie schafften es immer ein paar von ihnen, hereinzuschleichen, und sie mussten aufpassen, damit sie ihnen nicht vor die Kameras liefen. Max verdrehte die Augen. „Wer von uns verschwindet diesmal?“ „Ich.“ Kai trank seinen Kaffee in wenigen Zügen aus und stand auf, um ein paar Minuten in der Toilette zu verbringen, bis irgendwer die Reporter bemerkte und rauswarf. Ein Blader allein war noch nicht mal halb so interessant, wie zwei. Wenn Kai und Max aber zusammen gesichtet wurden, würde das im Moment wohl einen Skandal auslösen. Rom. Baihuzu vs. Barthez Soldiers BBA Revolution vs. Neoborg PPB All Starz vs. F-Sangre Zum ersten Mal verbrachten sie einen ganzen Tag miteinander. Nicht so, wie im Trainingsquartier, wo sie eher nebeneinanderher gelebt hatten, sondern richtig. Sie hatten noch zu viert trainiert, bis zum Mittag die Hitze so drückend wurde, dass sie es aufgaben. Boris und Sergeij gingen daraufhin in ihr Zimmer zurück, das wunderbar künstlich heruntergekühlt war. Kai und Yuriy beschlossen, stattdessen die Stadt zu erkunden. Yuriy war noch nie in Rom gewesen und bei Kai war es schon so lange her, dass er sich kaum noch an etwas erinnern konnte, außer vielleicht an Giancarlos Kampf gegen Takao. Sie kauften sich Coffee to Go in einem winzigen Laden und schlenderten dann durch die Straßen, machten ein wenig Sightseeing und wichen dann doch in die Nebengassen aus, weil die Hauptstraßen voll von Touristen waren. Auf einer kleinen Piazza entdeckten sie White Tiger X, die auf Stühlen unter einem Schirm saßen und sie neugierig beobachteten, während sie in großen Eisbechern stocherten. Kai tat, als bemerkte er ihre Blicke nicht, doch Yuiry erwiderte sie gereizt. „Ich frage mich wirklich, was so komisch an uns ist“, sagte er, als sie an einem Kiosk hielten, der billige Souvenirs führte. Kai drehte desinteressiert das Gestell mit den Sonnenbrillen, bevor er eine nahm und aufsetzte. „Du benimmst dich normal“, sagte er und betrachtete sich kurz in dem zerkratzten Spiegel, der an der Wand hing, „Im Gegensatz zum letzten Mal.“ Dann nahm er die Brille wieder ab. Yuriy griff dazwischen, als er sie wieder zurücklegen wollte und setzte sie nun seinerseits auf. „Und?“ „Besser als bei mir“, meinte Kai, „Oh, du hast schon Sonnenbrand auf der Nase.“ Kai hatte sich inzwischen eingestanden, dass er gern mit Yuriy allein war. Er mochte die ruhigen, nichtssagenden Gespräche mit ihm, die manchmal von einer Sekunde auf die andere viel bedeutsamer werden konnten, wenn sie auf ein Thema kamen, dass beide interessierte. Und er mochte Yuriys derben Humor, die sarkastischen Sprüche, die er über andere Blader machte, wenn sie sich die Matches ansahen. All das erinnerte ihn an die kurze Zeit zurück, die er in Moskau verbracht hatte, vor dem Schulwechsel. Es fühlte sich ein wenig so an, als würden sie versuchen, an ihre zwei, vielleicht drei Treffen von damals anzuknüpfen. Dabei hatte sich inzwischen so vieles verändert. Yuriy war jetzt anders, erwachsener (ein viel zu grober Begriff) und strahlte, mehr noch als unter Volkovs Leitung, etwas Alphawölfisches aus. Und auch Kai sah die Welt inzwischen mit anderen Augen, als damals. Im Grunde kamen sie sehr gut miteinander aus. Er musste nur akzeptieren, dass Yuriy letztendlich das Sagen hatte. Bis jetzt war es gut gegangen. Bis zum Abend war Yuriys Sonnenbrand schlimmer geworden. Auf seinen Unterarmen und im Gesicht sah man es deutlich. Als sie nebeneinander im Innenhof des Hotels saßen und eine Zigarette rauchten (immer auf der Hut vor Paparazzi – eine nikotinlastige Schlagzeile wäre nicht sehr imagefördernd), konnte Kai dem Drang nicht widerstehen und drückte seinen Zeigefinger in Yuriys rote Haut. Ein deutlicher weißer Fleck blieb zurück, der sich nur langsam wieder zurückfärbte. „Du brauchst Aprés-Sun“, sagte er. „Ach was.“ Er piekste ihn noch mal, setzte eine Kette heller Punkte auf seinen Arm, bis Yuriy ihn am Handgelenk packte. „Lass das.“ Dann hob er die freie Hand und nahm Kai die Zigarette aus dem Mund, um selbst daran zu ziehen. Kai beobachtete die Bewegungen seiner Lippen und wie seine Augen beim Inhalieren halb zufielen. Erst dann bemerkte er, dass auch Yuriy ihn ansah, dass sie sich schon die ganze Zeit stumm musterten. Und dass er noch immer seine Hand festhielt. Das erste, was Boris sagte, als sie ins Zimmer kamen, war: „Wir bladen gegen die BBA Revolution.“ „Kein Problem“, entgegnete Yuriy, doch Kai seufzte. So hatte er sich das nicht vorgestellt. „Was ist denn?“, fragte Boris daraufhin und klang schon wieder gereizt. Kai winkte ab. Er würde sich heute kein Streitgespräch mehr geben. Entschlossen drehte er sich um und verließ das Zimmer, um in sein eigenes zu gehen, das er mit Yuriy teilte, wie immer. Zum ersten Mal an diesem Tag war ihm wirklich heiß, und das trotz der Klimaanlage. Vielleicht hatte er einen Sonnenstich. Als er unter der Dusche stand, kam Yuriy herein. Sie schlossen fast nie ab, weil es irgendwie schneller ging, das Bad gleichzeitig zu benutzen. Und sie waren alt genug, um sich gegenseitig nichts abzugucken. Jedoch hatte Kai sich inzwischen eingestehen müssen, dass seine Blicke, trotz seiner Erfahrungen, noch immer auf ganz eigentümliche Weise von einem nackten Körper angezogen werden konnten. Durch die milchigen Scheiben der Duschkabine sah er, wie Yuriy seine Zahnbürste nahm und sich auf den Klodeckel setzte. „Machst du dir Sorgen wegen morgen?“, fragte er. „Wieso sollte ich?“, entgegnete Kai. „Du wirkst so.“ Er hob die Schultern und legte den Kopf in den Nacken, um seine Haare zu waschen. „Ich mache mir keine Sorgen“, sagte er, als er wieder in Yuriys Richtung blickte, „Es kommt nur ein wenig zu früh für meinen Geschmack. Du hast ihren letzten Kampf gesehen. Takao ist nicht auf der Höhe. So will ich nicht gegen ihn antreten.“ Kurz fragte er sich, ob der Rothaarige ihn gerade die ganze Zeit über angesehen hatte, weil sich seine Haltung in keinster Weise verändert hatte. „Verstehe“, sagte Yuriy und erhob sich nun doch, um ins Waschbecken zu spucken. „Ich meine, ich verstehe, wenn du dich in deiner Ehre verletzt fühlst. Aber es wäre trotzdem schön, wenn du dich bemühen würdest, zu gewinnen.“ Er warf ihm noch einen Blick zu, den Kai nur kurz erwiderte, bevor er den Kopf wieder unter den Wasserstrahl hielt. Erst als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, begann der Streit. „Verdammt noch mal, Kai!“, rief Yuriy aus, „Es gibt in diesem Team auch Leute, die diese Weltmeisterschaft gewinnen wollen!“ „Ach ja?“, entgegnete Kai, „Das sah aber nicht so aus. Dein Kampf war eine komplette Lachnummer!“ „Ja, deiner etwa nicht? Ich bitte dich, dein Stolz in allen Ehren, aber das war einfach nur lächerlich! Ich war ja geneigt, deine Allüren zu akzeptieren…“ „…so lange, bis du selbst verloren hast, nicht wahr?“, unterbrach Kai ihn, „Wie kann man nur so blöd sein und zweimal die gleiche Strategie fahren? Du konntest dir doch ausrechnen, dass Kyouyju deine Attacke durchschaut!“ „Ach, konnte ich das?“, sagte Yuriy, „Nun, offensichtlich bin ich nicht allwissend. Aber da du ja so schlau bist, hättest du auch mal ein Wörtchen sagen können!“ „Seit wann nimmst du meine Hilfe an?“ „Verdammt noch mal, wir sind ein Team!“, rief Yuriy, „Wie oft muss ich dir das denn noch sagen?“ Kai verstummte. Es hatte keinen Sinn. Er ließ sich auf das kleine Sofa fallen und spürte die Erschöpfung seine Beine hochkriechen, obwohl er gar nicht gekämpft hatte. Dieser Tag war nervenaufreibend gewesen. Yuriy stieß die Luft aus und ging auf den Balkon hinaus. Nach ein paar Minuten hob Kai den Kopf und sah zu ihm. Er lehnte an der Brüstung und rauchte. Kai musterte seinen Rücken, seine absolut symmetrischen Schulterblätter, sein rotes Haar. Verdammt. Er hätte den Kampf mit Daichi nicht abbrechen sollen. Wie hatte er sich so verschätzen können? Klar, er wusste, dass man Kyouyjus Fähigkeiten nicht ignorieren durfte, wollte man ein Match gewinnen. Aber nicht einmal er hatte zuvor bemerkt, wie groß die Schwachstelle in Yuriys Novae Rogue wirklich war. Er war sich sicher, so sicher gewesen, dass Yuriy Daichi in die Tasche stecken würde, erst recht nach den mickrigen Matches, die er bisher von diesem Team gesehen hatte. Dabei wusste er doch ganz genau, dass gerade die BBA Revolution immer irgendein Ass im Ärmel hatte… Er biss sich auf die Lippe. Das konnte er jetzt hin- und herdrehen, wie er wollte, sie hatten verloren. Und es war zu einem nicht unbeträchtlichen Teil seine eigene Schuld. Sein verdammter Stolz. Weil er wieder mal nur sein eigenes Ding durchgezogen hatte, anstatt auf das zu achten, was die anderen machten. Hatte auch alles schon mal besser geklappt. Aber diese Zeiten lagen schon sehr weit zurück. Seit der letzten Weltmeisterschaft mit den Bladebreakers hatte er allein für das, was er tat, geradestehen müssen. Das hatte sich nun erneut geändert. Er hatte jetzt einen Partner. Kai stand auf und ging zu Yuriy. Schob die Hände in die Taschen und musterte ihn von der Seite. „Okay. Ich geb’s zu, ich habe Mist gebaut.“, sagte er. Yuriy stieß seelenruhig einen langen Strom Rauch aus, bevor er den Kopf in seine Richtung drehte. Er musterte ihn eingehend und Kai begriff, dass er auf etwas wartete. Und er wusste auch, auf was. „Ich, hn…“ Er räusperte sich und kam sich reichlich dämlich dabei vor. „Also…es tut mir…leid?“ Sein Gesicht wurde plötzlich heiß, so unangenehm war diese ganze Situation für ihn. Weil er einen Fehler gemacht hatte. Weil er sich dafür entschuldigen musste. Doch Yuriy nickte nur und er konnte endlich wieder ausatmen. „Wir müssen uns in Zukunft besser absprechen“, sagte Yuriy, „Und wir sollten uns etwas ausdenken, was wir der Presse sagen.“ „Das mache ich“, sagte Kai. „Nein. Ich habe keine Lust, zuzusehen, wie du von den Pressegeiern zerrissen wirst. Ich mache ein Statement.“ Erstaunt sah Kai ihn an. So etwas hatte noch keiner für ihn getan. Er selbst für andere, klar, für die Bladebreakers, weil es einfach selbstverständlich war als Teamleader… Ah, das musste es sein. „Wow“, sagte er und wandte den Blick wieder ab, „Es ist seltsam, einen Captain zu haben.“ „Auch mal ganz angenehm, nicht wahr?“ Yuriy schmunzelte und drückte die Kippe aus. „Versprich mir, dass das nicht noch mal vorkommt.“ „Natürlich“, sagte Kai. Er drehte sich um und lehnte sich an die Brüstung. Dabei war er Yuriy näher gekommen. Ihre Schultern berührten sich. „Kannst du mir Feuer geben?“ Kai holte nun seinerseits eine Packung Zigaretten aus der Gesäßtasche. Nach dem Stress konnte er eine vertragen. Yuriy knipste sein Feuerzeug an und hielt es ihm hin, doch es wurde vom Wind ausgeblasen. Sie seufzten beide, Kai hob eine Hand vor die Flamme und spürte auf einmal, wie Yuriy einen Arm um seine Schultern legte. Vielleicht nur, um noch mehr Windschutz zu bieten. Er atmete ein und roch das Haarspray, das Yuriy benutzte. In diesem Augenblick fing die Zigarette Feuer, er inhalierte automatisch und alle Düfte wurden vom Geschmack des Rauches überdeckt. Madrid. Baihuzu vs. F-Sangre Neoborg vs. PPB All Starz BBA Revolution vs. Barthez Soldiers Die Vorhänge waren zugezogen, als Kai das Hotelzimmer betrat. Er wusste instinktiv, dass etwas nicht stimmte. „Yuriy?“, fragte er leise in den Raum herein und erhielt eine Antwort aus Richtung des Bettes seines Teamchefs. „Alles in Ordnung?“ Rascheln von Laken. „Nein.“ „Was ist los?“ Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. Selbst im Halbdunkel sah Yuriy furchtbar aus. „Hast du was Falsches gegessen?“, fragte er, versuchte, belustigt zu klingen und scheiterte, weil er ahnte, dass es so einfach nicht war. „Nein, das ist…eine Art Migräne.“ „Aber du hattest nie Migräne!“, sagte er und merkte selbst, wie dumm das klang. Auf Yuriys Gesicht breitete sich ein müdes Lächeln aus. „Eine Erinnerung an Volkov“, sagte er, „Irgendeins seiner Mittel hatte Nebenwirkungen… Es ist schon ewig nichts mehr passiert, ich hatte gehofft, dass es vielleicht von allein weggegangen ist.“ Bei Volkovs Namen war Kai hellhörig geworden. Automatisch legte er dem Rothaarigen eine Hand auf die Stirn, doch statt Fieber spürte er kalten Schweiß. „Wie lange dauert es, bis es vorbei ist?“, fragte er. Obwohl es ihm offensichtlich ziemlich schlecht ging, brachte Yuriy ein trockenes Lachen zustande. „Es hat noch gar nicht richtig angefangen.“ Die nächsten vierundzwanzig Stunden waren grausam. Kai konnte nicht viel tun. Am Anfang saß er nur da und redete mit Yuriy, doch er merkte, dass es dem anderen immer schlechter ging. Seine kläglichen Versuche, etwas für den Rothaarigen zu tun scheiterten an seinem mickrigen Wissen über Hausmittel und an Yuriys Zynismus. Es hilft doch sowieso nicht. Mach dir nicht die Mühe. Irgendwann hörte er, dass Boris und Sergeij wieder in ihr Zimmer kamen, das gleich nebenan lag, also ging er zu ihnen, wiederwillig, doch die beiden wussten mit Sicherheit eher, was nun zu tun war. Boris kam auch sofort, wühlte ein wenig in Yuriys Sachen herum und hielt plötzlich die stärksten Schmerztabletten in der Hand, die Kai je gesehen hatte. „Vielleicht helfen sie ja wieder ein bisschen“, brummte er, „Es ist ja lange nichts mehr passiert.“ Dann brauchte er jedoch noch ein paar Minuten, um ihren Teamchef davon zu überzeugen, sie wirklich zu nehmen. Yuriy schien einen ausgewachsenen Ekel gegen diese Tabletten zu hegen. Es war das erste Mal, dass sie nicht stritten, nicht einmal stichelten. Boris und Kai saßen auf dem Sofa, hielten Yuriy im Blick und sagten gar nichts. Der Rothaarige schlief eine Weile, eingelullt von den Tabletten, dann stand er plötzlich auf, stürzte ins Bad und erbrach sich heftig. Kai und Boris sprangen auf, doch Boris hielt ihn davon ab, zu Yuriy zu gehen. „Es ist spät“, sagte er, und tatsächlich, es war inzwischen nach Mitternacht, „Geh rüber und sag Sergeij, er soll herkommen. Morgen früh ist ein Meeting. Da musst du hingehen. Wir kümmern uns um Yuriy.“ Er machte eine kleine Pause. „Du kannst in meinem Bett schlafen.“ Doch Kai schlief nicht. Er lag auf dem Rücken auf dem Sofa in Boris‘ und Sergeijs Zimmer und starrte die Decke an, aber aus dem Nebenzimmer war nichts mehr zu hören. Am nächsten Morgen ging er zu dem Meeting, müde, gereizt. Die anderen Manager und Mr. Dickinson sahen ihn besorgt an, aber er behauptete, Yuriy arbeitete an einem neuen Blade und brauche die Zeit. Er nickte nur, als ihm mitgeteilt wurde, dass sie gegen die PPB All Starz antreten würden und wich Judys mütterlichen Fragen aus. Dann ging er zurück und löste Boris und Sergeij ab. Er musste seine ganze Autorität aufbringen, um sie davon zu überzeugen, ebenfalls ein paar Stunden zu schlafen. Yuriy döste. Seine Erschöpfung war ihm deutlich anzusehen. Unter Kais Blick wurde er wach. Er drehte den Kopf und sah ihn müde an. „Wie…ist es?“, fragte Kai. Er konnte es einfach nicht zurückhalten. „Weißt du, eigentlich…ist es erstaunlich, wie man sich daran gewöhnen kann“, sagte Yuriy leise, rau, „An den Schmerz, meine ich. Es fängt im Kopf an, dann ist es überall. Aber irgendwie…übersteht man es. Es wird langsam besser.“ Kai spürte den tiefen Hass auf Volkov wieder in sich aufwallen. Gott, wie unmenschlich konnte ein einzelner Mann nur sein? Vermutlich hatte er Yuriy ein weiteres gefährliches Präparat verabreicht, um diese Nebenwirkungen zu unterdrücken. Kein Wunder, dass er wie gesteuert gewesen war. Benebelt von all den Giften. In diesem Moment stiegen so viele Erinnerungen in ihm auf, Erinnerungen an seine Kindheit und an die Weltmeisterschaft in Russland. Bis heute wusste er nicht, ob sein Gedächtnis vollständig wiederhergestellt war. Was wusste Yuriy, das er nicht wusste? Was hatten sie zusammen gesehen, das er vergessen hatte? Er war wütend, so unglaublich wütend, dass er kurz die Augen schließen und sich zusammennehmen musste. Doch er konnte immer noch nichts sagen. Seine Hand griff automatisch nach Yuriys. Der Rothaarige blickte ihn verwirrt an. „Frag nicht“, brachte Kai hervor. Und dann fühlte er, wie Yuriys Finger sich um seine schlossen. In der zweiten Nacht kamen die Schmerzen in Intervallen. Kai sah es daran, wie Yuriy sich verkrampfte und wieder entspannte. Der Rothaarige war in einem Delirium aus Müdigkeit und Erschöpfung. Er war eigentlich kaum wach, aber Schlaf konnte man das auch nicht nennen. Kai wagte es nicht, von seiner Seite zu weichen, er konnte ihn einfach nicht aus den Augen lassen. Die meiste Zeit leisteten Boris und Sergeij ihm Gesellschaft. Sie sprachen über das bevorstehende Match. Boris schlug vor, dass weder Yuriy, noch Kai antreten sollten, doch Kai schüttelte nur den Kopf. „Er wird kämpfen wollen“, sagte er und nickte in Yuriys Richtung. Boris seufzte. „Ja, das befürchte ich auch.“ Als es langsam hell wurde, schlief Yuriy für zwei, vielleicht drei Stunden tief und fest. Boris und Sergeij waren auf dem Sofa ebenfalls eingenickt. Als Kai bemerkte, dass die Krämpfe aufgehört hatten, spürte er das erste Mal seine eigene Müdigkeit. Es wurde Zeit, einen Kaffee zu machen, sonst würde er das Match heute nicht überstehen. Doch es blieb bei dem Gedanken. Ohne dass er es wirklich bemerkte, sank sein Kopf auf seine verschränkten Arme. Er erwachte, als ihn jemand an der Schulter berührte. Das grelle Tageslicht blendete ihn, als er nach oben blinzelte, doch er erkannte Yuriy sofort, der über ihn gebeugt stand. In seinem Gesicht waren deutlich die Spuren der vergangenen Tage und Nächte zu sehen. Er war so blass, dass selbst sein Sonnenbrand nicht mehr bemerkbar war. „Oh Gott, du lebst wieder!“, stellte Kai fest und konnte nicht verhindern, dass er erleichtert klang. Yuriy lächelte. „Just in time“, sagte er. Kai fuhr sich durch die Haare und stand langsam von seinem Stuhl auf. „Du willst also bladen“, sagte er dann, „Dir ist klar, dass wir das nicht zulassen werden? Boris wird für dich antreten…“ „Kai…“ „Ich will keinen Einwand hören. Du bladest heute nicht.“ „Kai.“ „Nein!“ Yuriy umarmte ihn. Einfach so. Vielleicht hielt er sich auch nur an ihm fest, denn Kai spürte, wie wackelig er auf den Beinen war. Doch es war, wie es war, Yuriy drückte ihn an sich und er bemerkte, dass er seine Hand in das Shirt des Rothaarigen gekrallt hatte. Er hielt ihn fest. Es war seltsam, ihm so nahe zu sein, seinen Körper zu fühlen, seinen Duft einzuatmen. Das waren Dinge, die er bisher nur ansatzweise bemerkt hatte. „Ich bin der Teamchef, Kai“, sagte Yuriy leise, „Respektiere meine Entscheidungen.“ „Irgendwann wirst du an deinen Entscheidungen draufgehen.“ „Sagt der Richtige.“ Natürlich verlor Yuriy sein Match. Er war einfach zu geschwächt. Und Rick…Rick war einfach zu aggressiv. So etwas hatte selbst Kai in seiner langen Laufbahn noch nicht gesehen. Der Hüne fegte Yuriy praktisch aus der Arena. Als sie sich unterhalb des Podestes trafen, konnte Kai seinem Teamchef die Erschöpfung genauso deutlich ansehen, wie die Fassungslosigkeit über diese schnelle Niederlage. „Scheiße“, murmelte Yuriy, „Ich bin einfach unkonzentriert gewesen.“ „Geh, leg dich hin“, entgegnete Kai, „Ich mach das.“ Jetzt würde er zumindest seinen Fehler aus Rom wieder gut machen können. Entschlossen blickte er zu Rick, der noch an der Arena stand und überheblich auf sie herab grinste. Sein rücksichtsloses Verhalten würde ihm noch leidtun. „Wenn du nicht gewinnst“, sagte Yuriy, „Dann gnade dir Gott.“ „Jaja“, sagte Kai und grinste süffisant, „Onkel Kai wird’s schon zurechtbiegen. Mach dir keine Sorgen, Chef.“ „Deinen Galgenhumor möchte ich haben…“ Kai drehte noch einmal den Kopf und zeigte ihm sein Grinsen. Yuriy hob die Augenbrauen und einen Mundwinkel. Er stellte sich skeptisch. Als Kai seinen Weg fortsetzte, berührten sich ihre Hände flüchtig. Sie verloren kein Wort mehr über Yuriys Niederlage, aber Kai wusste, dass mit dem nächsten Tag ein noch härteres Training beginnen würde. Es war ihm nur Recht. Yuriy erholte sich beinahe genauso schnell von seiner „Migräne“, wie sie gekommen war. Es ging ihm zusehends besser. Wenn sie ihr Match noch einen Tag später ausgetragen hätten, hätten sie vermutlich kein Entscheidungsbattle nötig gehabt. Aber es war egal, sie hatten gewonnen und es ging wieder bergauf. Ihren letzten Abend in Madrid verbrachten sie vor dem Fernseher. Nach dem Stress der letzten Tage hatten sie wenig Lust, sich überhaupt zu bewegen. Boris und Sergeij hingegen hatten tatsächlich beschlossen, sich auch einmal in der Stadt umzusehen, wenn sie schon mal hier waren. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa, die Füße auf den niedrigen Tisch gelegt, und sahen englischsprachige Programme. Irgendwelche historischen Dokumentationen. Alles Weitere passierte, als wäre es das Natürlichste der Welt. Als Kais Kopf schwer wurde, lehnte er sich an Yuriy. Er spürte, wie der andere sich bewegte, wie sein Kinn seinen Scheitel berührte. Yuriy schüttelte ihn nicht ab. Kai wusste, dass er selbst es oft nicht bemerkte, wenn er von einem normalen Gespräch in einen Flirt abdriftete, besonders bei Männern. Er fragte sich, ob ihm in letzter Zeit etwas herausgerutscht war, ob er mit Yuriy geflirtet hatte. Vielleicht. Wenn, dann hatte er nichts dagegen gesagt. Ich will sagen, er ist genau dein Typ. Das Sofa war klein. Sie saßen so dicht beieinander, dass sie sich berührten: Die Schultern, die Arme, die Hände, die Hüften, die Beine. Kai schloss die Augen und konzentrierte sich auf das Gefühl, doch auf einmal zog Yuriy den Arm weg. Kai blinzelte überrascht. In diesem Moment legte sich Yuriys Arm um seine Schultern. Seine Hand strich über Kais Haut, vorsichtig und doch selbstverständlich. Kai nahm die Füße vom Tisch und setzte sich auf, blickte auf Yuriy hinab, dessen Hand auf seine Taille gerutscht war. Er betrachtete sein Gesicht, das eine eigentümliche Ruhe ausstrahlte. Dieses schöne Gesicht. Yuriys Griff verstärkte sich. Er zog Kai zu sich heran, bis sich ihre Körper wieder berührten, Beine, Hüfte, Bauch, Brust, Kai legte eine Hand auf Yuriys Schulter und dann berührten sich auch ihre Lippen. Langsam. Neugierig. Ausgiebig. Und Yuriys Hände, die ganz ungeniert seinen Körper erkundeten. Am nächsten Morgen wusste Kai nicht, was er sagen sollte. Er stand auf und merkte, dass Yuriy ihn beobachtete, obwohl er auf der anderen Seite des Zimmers in seinem Bett lag und sich bislang nicht geregt hatte. Seine Blicke waren spürbar. Als er endlich im Bad ankam, verschwand das Gefühl und er schlug sich kaltes Wasser ins Gesicht, weil er nicht wusste, was er ansonsten machen sollte. Nach dem Kuss hatten sie nicht mehr viel gesagt. Kais Kopf war wie leergefegt gewesen, also hatte er einfach zugelassen, dass Yuriy mit den Fingern die Konturen seines Gesichts nachzog und ihn ausgiebig musterte, als sähe er ihn zum ersten Mal. Irgendwann hatten sie sich noch einmal federleicht geküsst und waren dann, wie in einem stillen Einverständnis, aufgestanden und in ihre Betten gegangen. Und jetzt bereute Kai es. Seine heimlichen Ängste waren wahr geworden: Er war einem Freund zu nahe gekommen, und jetzt hatte sich zwischen ihnen alles verändert. Womöglich zum Schlechten. Er kannte solche Geschichten von anderen. So etwas ging praktisch nie gut aus. Kai hatte geahnt, dass ihm so etwas auch passierte, nicht aber, dass es dann so schwer werden würde, die Sache irgendwie zu bereinigen. Yuriy war sein Teamchef. Sie mussten zusammenarbeiten können. Die Tür ging auf. „Kai?“ Er wich automatisch vor Yuriy zurück und fühlte sich seltsam schutzlos, als hätte er zu wenig an. „Das gestern war keine gute Idee, oder?“, fragte er. Yuriy konnte seinen Blick nicht halten, er biss sich auf die Lippe und sah zur Seite. Schien es ihm nur so, oder war der Rothaarige verlegen? „Findest du?“, fragte er leise und sprach dabei die Wand an. „Denn für mich war es… Ich hatte es mir schon überlegt, weißt du“ Yuriys Blick wanderte wieder auf ihn zu, schwenkte dann aber nach unten. Kai war heiß vor Scham. Er musste sich auf die gemurmelten Worte konzentrieren, damit er nichts überhörte. „Ich, ähm, ich glaube, der Gedanke war etwas verrückt“, sagte Yuriy, „Aber ich bin ihn nicht losgeworden. Seit Vladivostok. Ich hab mir immer, ich weiß nicht, warum, also, ich hab dich immer vor mir gesehen“ Und er hob den Blick und sah Kai mit einem entwaffnenden Kleinjungenlächeln in die Augen, „Mit einem anderen Mann, meine ich.“ Kai stand, an das Waschbecken gedrückt wie gegen eine feste Wand bei Erdbeben, einfach nur da und starrte ihn an. Als er merkte, dass sein Mund geöffnet war, schloss er ihn, aber mehr brachte er nicht fertig. Yuriy biss sich schon wieder auf die Lippe und ihn so nervös zu sehen löste in Kai kleine, in dieser Situation völlig unpassende Sensationen aus. „Willst du denn nichts sagen?“, fragte Yuriy. „Ich, ähm…Ich…“, stotterte er, „Ich bin etwas…verwirrt…“ Und brach hilflos ab. „Okay…“ Yuriy schien kurz mit sich zu ringen, dann streckte er die Arme langsam zu ihm aus. „Dann komm doch einfach mal her zu mir…oder?“ Es war eigentlich nur ein Schritt. Yuriys Arme schlossen sich um Kai und sie umarmten sich unbeholfen, als hätten sie es noch nie zuvor getan. So standen sie eine Weile einfach da. Kai starrte den Kragen von Yuriys Shirt an und hob schließlich langsam den Kopf. Wer wusste schon, was daraus wurde… Natürlich wurde es ein Kuss, und mit ihm verschwand die Anspannung. Kai presste sich an Yuriy und spürte, wie der andere sich mit ihm drehte. Dann wurde er gegen die Wand der Duschkabine gedrückt. Kapitel 2: ----------- Kairo Neoborg vs. Barthez Soldiers Baihuzu vs. PPB All Starz BBA Revolution vs. F-Sangre Yuriy stand in Shorts im Zimmer und suchte in seiner Reisetasche nach Klamotten. Die Vorhänge waren offen, sodass hinter ihm die Stadt und die Wüste am Horizont zu sehen waren, wo gerade die Sonne aufging. Kai lag auf seinem Bett und tat so, als würde er lesen, doch in Wirklichkeit betrachtete er Yuriy: Groß. Schlank. Starke Arme. Lange, helle Wimpern. Ein schöner Mann. „Bleib doch einfach so“, schlug er vor, als er merkte, dass der Rothaarige noch immer nicht das Richtige gefunden hatte. Yuriy hielt inne und schenkte ihm ein schiefes Grinsen, als er langsam auf ihn zukam. Kai bewunderte die Natürlichkeit seiner Bewegungen, obwohl diese Situation neu für ihn sein musste. Er setzte sich auf, als Yuriy sich auf der Bettkannte niederließ. Er betrachtete Kais Gesicht eine Weile, bevor er sagte: „Seltsam, diesen Blick an dir zu sehen.“ „Warum?“, fragte Kai und ging vorsichtshalber dazu über, Yuriys Hände zu mustern, anstatt seines Gesichtes. Doch diese blieben nicht auf ihrem Platz sondern hoben sich, um über seine Unterarme zu streichen. „Du siehst hungrig aus“, meinte der Rothaarige und über Kais Rücken lief ein Schauer. Mit einer geschickten Bewegung setzte er sich auf Yuriys Schoß. Sofort fanden ihre Lippen sich und sie versanken in einem Kuss, der länger zu werden versprach. Kai genoss die nackte Haut unter seinen Fingerkuppen, mit denen er wirre Linien malte. Yuriys Hände lagen an seiner Taille und schoben sich langsam unter sein Shirt. Doch plötzlich hielt er inne und sie lösten sich. „Das ist so verdammt seltsam“, sagte Yuriy belustigt. Gleich darauf küssten sie sich wieder. „Aber gut. Gut seltsam… Ich rede nur Müll.“ „Tust du“, bestätigte Kai und zog dann an den roten Haaren, damit Yuriy den Kopf in den Nacken legte und er an seinen Hals herankam. Die Hände unter seinem Shirt wanderten höher, tasteten nach allem, was bis jetzt nur vom Sehen bekannt war. Er vergrub die Hände in Yuriys Mähne. „Nicht, Kai, meine Haare…Argh…Du…bist scheiße… Ist das dein Handy?“ Kai richtete sich auf und drehte den Kopf. „Nein“, sagte er, „Das ist deins.“ Plötzlich griff Yuriy in seine Seiten und schmiss ihn von sich runter auf die Matratze. „Scheiße!“, rief er und rannte schon zu seiner Tasche zurück, um hektisch in ihr zu wühlen, „Die Pressekonferenz! Die haben wir total vergessen!“ „Barthez“, grollte Boris beim Essen, „Erinnert er euch nicht an jemanden?“ „Lass mich überlegen“, sagte Kai sarkastisch, „Lila Haare, hässliche Fratze, ein Faible für autoritäre Erziehung…hm, nein, noch nie gesehen.“ „Halt die Fresse, Hiwatari.“ „Willst du mich provozieren, Kusnetzov?“ „Hört auf“, ging Yuriy dazwischen, doch er machte sich nicht einmal die Mühe, die Stimme zu heben, „Wir brauchen einen Plan für das Match. Irgendwelche neuen Ideen?“ „Barthez schickt meistens den Schwächeren zuerst raus“, sagte Sergeij. „Und dann Miguel“, ergänzte Boris, „Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Kai nickte versonnen und spähte an Yuriys Kopf vorbei zum Tisch des gegnerischen Teams. Es wirkte, als wäre die Stimmung dort drüben recht trüb. Es wurde nicht geredet und sie sahen sich nicht an. Barthez saß am Tischende und las die Zeitung. Doch dann wandte Miguel sich halb um und sein Blick traf den Kais. Sie musterten sich stumm. „Ich nehme Miguel“, sagte er. „Aber nur, wenn du ihm ordentlich seinen Betrügerarsch versohlen kannst!“ Ihre Blicke hoben sich, denn niemand von Neoborg hatte gesprochen. Es war Max, der zu ihnen herüber gekommen war. Boris verzog missbilligend das Gesicht, doch Kai ignorierte ihn und bot dem Amerikaner einen Stuhl an. Dieser steckte aber nur die Hände in die Taschen und lächelte auf sie hinab. „Ich hatte gehofft, ich könnte dich für eine Stunde oder so entführen, Kai“, sagte er. Kai und Yuriy sahen sich an. Eigentlich hatten sie vor dem Match noch ein wenig Zeit miteinander verbringen wollen. Aber der Rothaarige hob herausfordernd die Augenbrauen und grinste ihn kaum merklich an. „Ich wollte sowieso noch einen Kaffee trinken. Wir bleiben hier noch eine Weile.“ So wurde die Zweisamkeit stillschweigend auf den Abend verschoben. Max zog zwei Dosen Cola aus dem Automaten, mit denen sie sich nach draußen in den Schatten einer Palme setzten. „Barthez Soldies…“, meinte er und kassierte einen Seitenblick von Kai, der dem seltsamen Umstand galt, dass sie plötzlich über das Bladen sprachen. „Ihr wisst über alles Bescheid? Habt ihr die Aufnahmen von Kyouyu gesehen?“ „Ja“, sagte Kai, „Er hat sie jedem geschickt. Aber ich weiß nicht, ob es etwas nützen wird. Takao hat sie gestern ganz schön aus dem Konzept gebracht.“ „Glaubst du, sie ändern ihre Taktik?“ Kai hob die Schultern. „Könnte doch sein, oder? Ich hoffe nur, dass Miguel trotzdem antritt. Alle anderen in diesem Team sind nicht zu gebrauchen.“ „Zu viele technische Patzer“, sagte Max nickend, „Zu unerfahren. Mit Fairplay hätten sie nicht die geringste Chance.“ „Dafür sind sie der Publikumsliebling“, meinte Kai und deutete zum Eingang des Stadions, der sich in ihrer Sichtweite befand. Dort tummelte sich bereits eine bunte Masse. „Sind das Cosplayer?“ Max kicherte nur ungläubig und nahm einen Zug aus seiner Dose. Kai musterte ihn von der Seite. Der Blonde benahm sich vielleicht wie immer, sah aber nicht so aus. „Du hast zu wenig geschlafen“, stellte er fest. „Ich schlafe seit Tagen zu wenig“, entgegnete Max, sein Lächeln verschwand beinahe gänzlich. „Es ist ziemlich tough dieses Jahr. Habe ich dir eigentlich jemals dafür gedankt, dass du den Leuten gesagt hast, sie sollen das Maul halten?“ „Hast du nicht, aber ein Kaffee wäre nett“, sagte Kai und bekam einen Klaps gegen den Oberarm. Wieder ließ er den Blick zu der Masse von Cosplayern wandern. Barthez Soldies waren, zugegeben mit mehr als ein wenig Zutun von Rick, am schlechten Ruf des amerikanischen Teams Schuld. Sobald die PPB das Stadion betrat, wurden sie verbal von den Menschen zerpflückt. Natürlich ging das einem sonnigen Gemüt wie Max mit der Zeit unter die Haut. Kai erinnerte sich an die Atmosphäre purer Feindseligkeit, die ihr Match überschattet hatte. Nach den durchwachten Nächten wegen Yuriys Zusammenbruch waren seine Nerven zu gespannt gewesen, um auch noch ein schwieriges Publikum, das die ganze Zeit schimpfte, aushalten zu können. Später hatte Boris gemeint, dass er ein ziemlich beeindruckendes Volumen hatte für jemanden, der so wenig sprach. Max neben ihm rutschte ein wenig hin und her und holte sich so seine Aufmerksamkeit wieder zurück. „Ich weiß, es geht mich nichts an, aber ich bin neugierig…“, sagte er. „Du und Yuriy? Na?“ Es war klar gewesen, dass er früher oder später nachhaken würde. „Ich weiß nicht, was du meinst…“, behauptete Kai, musste jedoch ein Schmunzeln unterdrücken. „Komm schon! Sag mir bitte, dass da was läuft und du ihn nicht von weitem anschmachtest!“ „Ich schmachte niemanden an!“, sagte Kai entrüstet. „Oh, come on, ich hab dich schon schmachten sehen. Also?“ Kai warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Als Max daraufhin einen kurzen Jubel ausstieß, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Du bist peinlich.“ „Egal“, sagte Max, „Na los, lass mal ein paar schmutzige Details springen!“ Er stützte den Kopf in die Hand wie ein Kind in Erwartung einer Geschichte. „Niemals“, sagte Kai. Als sie wieder in den Speisesaal kamen, konnten sie gerade noch beobachten, wie Rick mit großen Schritten auf Team NeoBorg zuging, sich schwerfällig auf dem Tisch abstützte und irgendetwas Bedrohliches in die Runde zu grollen schien. Max machte ein alarmiertes Geräusch und eilte zu ihm; Kai blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen. „…nicht besser als Barthez‘ Hunde!“, hörten sie Rick noch sagen, als sie beim Tisch angelangten. Die Mienen der NeoBorgs waren wie versteinert. Boris‘ Hände hatten sich um die Tischkante gekrallt und Sergeij war auf beunruhigende Weise erbleicht. Max berührte Rick am Arm. „Lass sie in Ruhe…“ Doch seine Hand wurde weggeschlagen. „Seid ihr denn alle blind?“, sagte Rick laut, „Dieses Team“ und damit zeigte er mit einer großen Geste auf die Russen, „hat vor zwei Jahren alle von euch der Nase lang verarscht! Und jetzt vertraut ihr ihnen so einfach? Ich sage, es kann doch kein Zufall sein, dass sie in dieser WM die meisten Punkte gemacht haben, ich sage, sie verarschen uns schon wieder!“ Kai konnte nicht anders, als Rick fassungslos anzustarren, genau wie alle anderen, die im Saal versammelt waren. Wieso kam der Amerikaner plötzlich auf die alte Geschichte zu sprechen? Hatte er zuvor nicht davon gewusst? Am Rande seines Blickfelds sah er, wie Judy aufstand und zu ihnen eilte, doch eine weitaus bedrohlichere Bewegung vollzog sich zu seiner Rechten: Yuriy erhob sich, und obwohl er äußerlich ruhig wirkte umstrahlte eine Aura aus Wut ihn weit. Noch ehe jemand etwas hätte einwenden können hatte er Rick am Kragen gepackt und zog ihn zu sich herunter, sodass sie sich direkt in die Augen sahen. Der Hüne schien von Yuriys zornvollem Blick so eingenommen zu sein, dass er völlig vergaß, sich gegen seinen Griff zu wehren. Yuriy hingegen war aufs äußerste angespannt. Als er sprach, klang seine Stimme gepresst, als fiele es ihm sehr schwer, sich unter Kontrolle zu halten. „Du weißt gar nichts“, zischte er, „Nichts über uns und nichts über das Team! Du bist nur ein beleidigter kleiner Amerikaner, der zu beschränkt ist, um zu erkennen, dass er einfach nicht gut genug für diesen Wettbewerb ist…“ „Wie hast du mich genannt, du kleine Kommunistenratte?“ Rick hatte sich scheinbar wieder gefangen und versuchte sich aus Yuriys Griff zu winden, doch in dessen Händen schien mehr Kraft zu stecken, als er für möglich gehalten hatte. Vergeblich umklammerte er seine Handgelenke. „Ihr seid nichts weiter als mutierte Genexperimente…!“ „Was hast du gesagt?“ Yuriys Stimme war kaum noch zu hören und hatte eine Färbung angenommen, die Kai aufs Höchste alarmierte. In den nächsten Momenten würde er einfach zuschlagen. Und alle sahen zu, ebenso überrascht wie er. Das könnte sie die Meisterschaft kosten. Kai wechselte einen Blick mit Boris, der ihm mit einem kurzen Handzeichen bedeutete, sich zurückzuhalten. Und ausnahmsweise hörte Kai auf ihn. Auch Judy hatte sie inzwischen erreicht, begleitet von Hitoshi. „Jungs, eine Prügelei können wir hier nicht dulden“, sagte dieser, „Wenn ihr euch schlagt, wird das Konsequenzen haben.“ „Halt’s Maul!“, zischte Boris und es war sein Glück, dass er erstens Russisch gesprochen hatte und, zweitens, die Worte gar nicht bei Yuriy oder Rick anzukommen schienen. Der Amerikaner hatte die Zähne so fest zusammengebissen, dass man seine Gesichtsmuskeln deutlich arbeiten sah, doch er blieb stumm. Yuriys Fingerknöchel waren weiß und wenn man ganz genau hinsah, konnte man seine Hände zittern sehen. Kinomiya blickte nun Kai an und öffnete den Mund, doch Kai schnitt ihm das Wort ab: „Sei ruhig.“ „Yuriy“, sagte Boris nun leise. Sie standen so dicht hinter ihm, dass sie ihn hätten berühren können, doch weder Kai noch Boris wagten sich, die Hand auszustrecken. „Halt dich da raus!“, entgegnete Yuriy. „Nein, das werde ich nicht“, fuhr Boris fort. In so einer ruhigen Stimmlage hörte man ihn selten reden. Er schien auf jedes Wort bedacht zu sein. „Vergiss nicht, Yuriy, du bist unser Teamchef. Du handelst verantwortungslos. Wenn du ihn zusammenschlägst werden wir disqualifiziert.“ Yuriy atmete aus. „Hör auf“, sagte nun auch Kai und versuchte, denselben Ton anzuschlagen, wie Boris. Und tatsächlich schienen ihrer beider Stimmen den Rothaarigen endlich zur Besinnung zu bringen. Kai beobachtete, wie seine Schultern sich entspannten und die Hände entkrampften. Er stieß noch einmal verächtlich die Luft aus und wandte sich dann ab, warf noch einen flüchtigen Blick auf Kai und ging dann an ihm vorbei auf den Ausgang zu. Sämtliche Augen im Saal waren auf ihn gerichtet und flogen zurück zu seinem Team, als er weg war. Rick starrte sie verständnislos an. „Du hast keine Ahnung, welches Glück du hast“, sagte Kai, bevor auch er sich umdrehte und Yuriy folgte. „Warte, bleib hier! Lass ihn in Ruhe!“, rief Boris ihm hinterher, doch er beachtete ihn nicht. Er fand Yuriy im Treppenhaus an der Wand gegenüber einem Fenster lehnend. „Alles okay?“, fragte Kai unbeholfen und er nickte. „Danke“, sagte er, „Ich hätte ihn weich geschlagen, wenn ihr nicht dazwischen gegangen wäret.“ Kai machte eine fahrige Bewegung mit den Schultern und musterte seinen Teamchef. In ihm arbeitete es wohl immer noch. Er war angespannt, sein Blick irrte hin und her und heftete sich dann an Kai. Wollte sein Gesicht nicht mehr loslassen. Kai konnte seine Augen nicht vor Yuriys verschließen. „Ich hätte beinahe die Beherrschung verloren“, sagte der Rothaarige, „Ironisch, oder? Ausgerechnet bei einer falschen Bemerkung über die Abtei raste ich aus. Das ist mir…seit einer Ewigkeit nicht mehr passiert. Nicht einmal in Irkutsk, als wir uns geschlagen haben.“ Er konnte seine Hände nicht stillhalten. Obwohl er die Arme verschränkt hatte, krochen seine Finger stetig über seinen Pullover. Sie schienen immer noch zu zittern. „Es ist ja nichts passiert“, sagte Kai. „Weil ihr da wart, Kai“, entgegnete Yuriy, „Was, wenn ihr nicht dagewesen wäret? Oder wenn ich auf euch losgegangen wäre? Auf Boris? Auf dich? Du verstehst nicht, wie das ist. Manchmal ist mein Körper stärker als mein Geist. So tief steckt die Abtei in mir drin.“ „Aber du gehst nicht auf Boris los. Er ist dein bester Freund“, unterbrach Kai, „Und ich… In Irkutsk hast du auch nur einmal zugeschlagen. Das war nicht schlimm.“ Daraufhin schnaubte Yuriy und ließ sich an der Wand hinabgleiten. Er wirkte auf einmal sehr erschöpft. „Diese Weltmeisterschaft bringt alles Schlechte in uns hervor. Erst die Migräne…jetzt das…“ Kai war sich nicht sicher, ob er sich neben ihn setzen sollte, also blieb er, wo er war. „Das stimmt nicht“, sagte er, „Wir spielen fair, Yuriy. Und alle wissen es. Rick ist nur zu dumm, es auch zu akzeptieren. Wir sind nicht diejenigen, die betrügen. Yuriy…“, wiederholte er, „Du bist Kapitän des besten Teams dieser Weltmeisterschaft, und du machst deine Sache verdammt gut.“ Doch diese Worte schienen an seinem Teamchef abzuprallen. Von irgendwoher zog Yuriy eine Schachtel Zigaretten und machte Anstalten, eine herauszunehmen, doch seine Finger zitterten. „Nicht hier“, sagte Kai und trat einen Schritt auf ihn zu, um ihn am Oberarm zu packen. „Lass uns aufs Zimmer gehen.“ Er deutete auf den Fahrstuhl am Fuße der Treppe und stieß Yuriy sanft in seine Richtung. Während sie nach oben fuhren, lehnten sie gegenüber an den kalten Stahlwänden und musterten sich. „Es ist gut, dass du hier bist“, sagte Yuriy auf einmal, „Ich war mir anfangs nicht sicher, was es bedeuten würde, dich im Team zu haben, aber die Entscheidung war richtig.“ „Naja, wir machen miteinander rum“, fügte Kai trocken hinzu, und endlich schlich sich ein ernstzunehmendes Grinsen auf Yuriys Züge. „Auch das war eine gute Entscheidung“, meinte er. Der leise Gong des Fahrstuhls unterbrach das Gespräch. Schweigend betraten sie ihr Zimmer, Yuriy ging zum Rauchen auf den Balkon und Kai ließ sich auf sein Bett fallen. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie sehr sich Hotelzimmer ähnelten. In seinen Erinnerungen verwischten die letzten Tage zu einem diffusen Ereignisstrom. Die Meisterschaftskämpfe waren an ihm vorbeigezogen, denn außerhalb der Arena war so viel mehr passiert. Und trotzdem erschöpften gerade die Matches ihn am Meisten. „Also nimmst du Miguel“, rief Yuriy von draußen, als hätte er Kais Gedanken erahnt. „Wenn es dir nichts ausmacht.“ „Natürlich nicht.“ Der Rothaarige kam zu ihm. Er brachte einen ganz leichten Hauch von Tabakgeruch mit sich, der am intensivsten wurde, als er sich neben ihn setzte. „Geht es dir jetzt besser?“, fragte Kai, doch er konnte schon sehen, dass Yuriy sich endlich wieder entspannt hatte. Die Müdigkeit war noch da, aber sie zehrte nicht mehr an ihm. „Du solltest noch ein wenig schlafen, bevor wir losgehen.“ „Hm, ja…“ Yuriy rührte sich nicht vom Fleck. Er hatte begonnen, Kais Hand zu streicheln, und seine Finger tasteten sich schon an seinem Arm hinauf. „Wir könnten aber auch noch ein bisschen rummachen“, meinte Kai. Sie fielen erst übereinander her, als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. Der Sieg über Barthez machte sie euphorisch. Yuriy drückte ihn gleich im Eingangsbereich gegen die Wand und presste sich fest an ihn, ungeachtet der Tatsache, dass sie noch total verschwitzt waren. „Halbfinale, Baby“, flüsterte er nach einem Kuss gegen seine Lippen und wurde gleich wieder von Kai nach unten gezogen. Sich weiter küssend stolperten sie durch den Raum und fanden irgendwie mit verschlungenen Gliedern auf dem Sofa Platz. Schließlich ließ Kai sich auf den Rücken sinken und atmete tief durch. Erst jetzt merkte er, wie erschöpft er war. Diese Weltmeisterschaft zerrte ungewöhnlich an ihm. Er spürte, wie Yuriys Hand über sein Bein strich, langsam, einschläfernd. Es war entspannend, sich nur auf dieses Gefühl zu konzentrieren. Irgendwann hielt er ihn jedoch am Gelenk fest. „Komm her“, sagte er mit geschlossenen Augen, „Leg dich auf mich. Mach dich schwer.“ Und dann war Yuriy über ihm, beruhigend schwer, und drückte ihn weiter in das Polster. Er schlang die Arme um seine Taille und tastete über seinen Rücken. Der Rothaarige stützte sich auf die Ellenbogen und strich über sein Gesicht. „Du fühlst dich gut an, Kai…“ „Das hört sich an, als wärst du erstaunt.“ „Ich dachte immer, auf Männern liegt man härter.“ „Du provozierst mich gerade dazu, alle meine Wortwitze zum Begriff „hart“ aus dem Hut zu zaubern“, sagte Kai, „Aber das wäre ein ziemlicher Stimmungskiller, also lasse ich es.“ „Ich höre sie mir gerne an“, meinte Yuriy und kam ihm wieder näher, „Später.“ Während der Rothaarige daraufhin das Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub und dort leichte Küsse verteilte, starrte Kai mit weit geöffneten Augen die Decke an. Seine Hand tastete blind über den warmen Körper über ihm. Seine Gedanken rasten, kreisten um Freundschaft, Sex, Schuld, Genuss… Und als Yuriy sanft in seine Haut biss, fielen seine Lider wie auf Knopfdruck zu. Sydney. F-Sangre vs. Barthez Soldiers Neoborg vs. Baihuzu BBA Revolution vs. PPB All Starz „Leute, ganz ehrlich, macht was ihr wollt, aber ohne mich!“ Boris gähnte. „Ich habe einen Jetlag. Sergeij auch.“ Er deutete mit dem Daumen hinter sich in das dunkle Zimmer hinein, aus dem leises Schnarchen bis zu ihnen drang. Kai und Yuriy warfen sich einen kurzen Blick zu. „Also schön“, meinte Yuriy, „Geh schlafen. Wenn ihr dann morgen zum Training wieder fit seid, soll’s mir recht sein. Aber heult nachher bloß nicht rum, weil ihr nicht dabei wart.“ Boris erwiderte etwas Unverständliches und machte die Tür wieder zu. Kai erlaubte sich ein Grinsen: Es war wirklich alles nach Plan verlaufen. Auch Yuriy verzog zufrieden den Mund und legte Kai einen Arm um die Schultern, während sie sich auf den Weg zur Tiefgarage des Hotels machten. Es war eine augenscheinlich freundschaftliche Geste, die bei niemandem Verdacht erregen würde; aber als sie im Fahrstuhl standen streiften Yuriys Lippen kurz seine Schläfe und Kais Gedankenfluss wurde für eine Sekunde gestoppt. „Welches ist es?“, fragte Kai. Yuriy nannte ihm das Kennzeichen und er sah sich um. „Da hinten“, sagte er dann, „Oh wie geil.“ Vor ihnen stand ein schwarzer Land Rover. Genau das richtige für einen Ausflug in den Outback. „Wann musst du am Ayers Rock sein?“, fragte Yuriy, dessen Augen eigentümlich leuchteten, seitdem er das Auto gesehen hatte. „Irgendwann am späten Nachmittag.“ „Wunderbar. Genug Zeit, um das Baby durchzutesten. Hüpf rein, Prinzessin.“ Kai überging die Spitze geflissentlich. Er würde noch Gelegenheit zur Rache bekommen. Gott, es war seltsam, Yuriy fahren zu sehen. Seltsam auf eine Art und Weise, bei der Kai sehr, sehr warm wurde. Dieser Anblick machte ihren kleinen, durch solche Sachen wie legales Autofahren aber sehr deutlich werdenden, Altersunterschied wieder bemerkbar. Er setzte sich seine Sonnenbrille auf, während Yuriy ihr großes Gefährt in den Straßenverkehr einreihte, der aus der Stadt strömte. Sie hatten die Fenster geöffnet, anstatt die Klimaanlage einzuschalten, und das Radio ziemlich laut aufgedreht. Wahrscheinlich wirkten sie wie die letzten Checker. Als sie in einem kurzen Stau steckenblieben, zündete Yuriy sich eine Zigarette an und stützte den Ellenbogen an der Tür auf. Kai rutschte in seinem Sitz nach unten und presste die Knie ans Armaturenbrett. „Da sind wir ja richtig weit gekommen“, murmelte er. Yuriy grinste und nahm die Hand vom Lenkrad, um sie wie selbstverständlich auf seinen Oberschenkel zu legen. Wieder einmal ließ Kai es einfach geschehen. Eigentlich ließ er sich nur hinter verschlossenen Türen anfassen. Er war kein Typ, der eine Beziehung in der Öffentlichkeit ausleben musste. Aber diese Sache, die hier gerade mit Yuriy lief, war in Vielem anders als die anderen. Er wusste wirklich nicht, wie er damit umgehen sollte. Normalerweise gab es nicht viel zu überlegen: Man wurde von Typen angequatscht und bekam ziemlich schnell mit, ob sie nur Sex wollten oder Sex mit Beziehung. Zu beidem sagte er normalerweise nein. Das heißt, bis er sich vor kurzem zum ersten Mal auf jemanden eingelassen hatte. Er bereute es bis heute nicht. Er beobachtete, wie Yuriys heller Daumen auf seiner Jeans hin und her strich, bis die Hand von seinem Bein verschwand, als der Verkehr wieder stockend in Bewegung kam. Kai ertappte sich dabei, wie er die Berührung vermisste. Kurz darauf löste sich der Stau auf und sie fuhren auf beinahe freier Straße in Richtung Outback. Sie waren die ersten am Ayers Rock. Von den anderen ehemaligen Bladebreakers war noch nichts zu sehen. Der tägliche Touristenstrom war für heute versiegt, denn er wurde schon Abend. Auf dem kleinen Parkplatz stand kein Auto außer ihrem. „Ich denke, es wird nicht lange dauern“, sagte Kai, „Wir waschen Takao den Kopf und kommen wieder. Wartest du?“ „Ja. Was anderes lohnt sich ja nicht.“ „Stimmt.“ Kai machte keine Anstalten, auszusteigen. Im Auto war es kühl; sie hatten tatsächlich doch noch die Klimaanlage eingeschaltet. Außerdem hatte er das Bedürfnis, Yuriy zu küssen, allein, weil diese Situation eigentlich schon zum Rummachen verpflichtete. Er zog Yuriy am Shirt zu sich und verschloss seinen Mund und augenblicklich fühlte er Yuriys Hand in seinem Nacken. Seine eigenen Finger tasteten sich am Körper des anderen hinab, fanden den Saum seines Oberteils und legten sich auf die Haut darunter. Es dauerte nicht lange, bis Yuriys Lippen sich von seinen lösten und an seiner Wange entlang bis zu seinem Ohr wanderten. „Überlass es doch den anderen, Takao den Kopf zu waschen. Wir fahren zurück und machen es uns gemütlich…“ „Das geht nicht und das weißt du auch“, murmelte Kai halbherzig. Er knabberte noch ein wenig an Yuriys Unterlippe, bevor er wieder in seinen Sitz zurück sank. „Wenn wir Takao heute nicht davon überzeugen, sich zusammenzureißen, wird das nichts. Und ich habe einfach keine Lust auf dieses Turnier, wenn es sich nicht lohnt“, fügte er hinzu. „Verstehe“, sagte Yuriy nur und Kai sah ihn von der Seite an. „Bereust du es?“, fragte er, „Dem Team wäre einiges Erspart geblieben, wenn ihr noch ein wenig gewartet hättet.“ „Du meinst, weil uns die Abtei immer noch belastet? – Ist es denn bei dir nicht so?“, entgegnete der Rothaarige. Kai schwieg. Wie hätte er sich erklären können? Für ihn war die Abtei ein Problem, mit dem er allein fertig werden musste. Die Öffentlichkeit ließ ihn damit in Ruhe, im Gegensatz zu den anderen, die immer noch mit dem Skandal von vor zwei Jahren in Verbindung gebracht wurden. Kai konnte nicht behaupten, dass die ganze Sache nach einem Jahr Therapie für ihn erledigt war, aber er konnte damit leben – eben weil er nicht täglich daran erinnert wurde. Yuriy neben ihm seufzte. „Ich hätte vielleicht sogar noch gewartet, aber dann fingen die Vorrunden an und ich habe festgestellt, dass die Blader immer jünger werden…Wir waren am Anfang auch nicht älter, das weiß ich, aber überleg mal, selbst in diesem Turnier sind wir unter den ältesten. Ich weiß nicht, ob wir noch ein Jahr hätten warten können.“ „…Weißt du, wovor ich Angst habe?“, fragte Kai nach einer kleinen Pause, „Davor, dass das hier meine letzte Chance sein könnte, Takao zu schlagen. Und gegen die anderen zu bladen. Ich glaube nicht, dass es nach diesem Turnier noch viele solche Gelegenheiten geben wird. Ich will jetzt gewinnen und meinen Frieden machen. Ich will nicht nach dem Turnier jeder anderen Chance hinterherrennen müssen. Das würde nur wieder zu Unstimmigkeiten zwischen uns allen führen. Und es ist gerade so angenehm.“ „Wenn du Takao besiegen willst, musst du dich gegen ihn wenden“, resümierte Yuriy, „Und das würde er immer wieder falsch verstehen.“ „Ja“, sagte Kai, „Obwohl ich mich manchmal frage, ob nicht ich derjenige bin, der alles falsch versteht.“ „Ich glaube, wir sind nicht die Menschen, die dazu bestimmt sind, Takao Kinomiya zu verstehen“, meinte Yuriy und deutete auf das Armaturenbrett, wo eine Digitaluhr eingebaut war. „Du musst langsam los.“ Sie erlaubten sich noch einen etwas längeren Kuss, dann stieg Kai aus dem Auto. Er musste nicht lang allein warten. Nachdem er ein paar Minuten an der Sonnenuhr gelehnt hatte, stieß Rei zu ihm. „Kai?“, sprach er ihn an, „Bist du wegen Takao hier?“ „Ich glaube nicht“, entgegnete Kai zerstreut. Er war in Gedanken noch Bei Yuiry. Sein Sarkasmus funktionierte trotzdem tadellos. Rei lächelte müde. „Wie geht’s dir so?“, fragte er dann, „Ich meine, mit NeoBorg. War ziemlich…überraschend. Gelinde gesagt. Du solltest dir wirklich mal angewöhnen, den Leuten Bescheid zu sagen, bevor du das Team verlässt.“ Stirnrunzelnd drehte Kai sich zu ihm. Er hatte jetzt wirklich keine Lust, diese ganze Geschichte noch einmal durchzukauen. Er wollte das hier einfach schnell hinter sich bringen und wieder zurück zum Auto gehen. „Beim nächsten Mal“, sagte er knapp, woraufhin er sich einen forschenden Blick von Rei einfing. „Was ist los mit dir?“ „Nichts.“ „Soso.“ Aus einem ihm nicht ersichtlichen Grund wurde aus Reis Lächeln ein Grinsen. Innerlich verfluchte er das Feingefühl des Chinesen und seine Unfähigkeit, zu verbergen, dass er gedanklich ganz woanders war. „Weißt du, egal was das Halbfinale bringt, wir sollten uns danach treffen“, sagte Rei, „Mit den Teams, meine ich. Lass uns irgendwas machen. Es ist dann aus sportlicher Sicht sowieso alles geklärt zwischen uns. Und, ganz ehrlich, in einem Team, wo dir jeder stundenlang in den Ohren liegen kann, vermisse ich die Gespräche, pardon, die Monologe, die ich in deiner Anwesenheit halten kann.“ Kai zuckte die Schultern. Seine Mundwinkel hatten sich bei Reis letztem Satz ein Stück gehoben. „Okay.“ Am nächsten Morgen wachte er zum ersten Mal neben Yuriy auf. Sie hatten am Abend noch lange über das bevorstehende Match geredet, während sie halb nebeneinander, halb aufeinander in dem schmalen Bett gelegen hatten. So waren sie auch eingeschlafen, und es wurde eine unbequeme Nacht. Doch so oft sie auch aufgewacht waren, weil sich einer von ihnen plötzlich umgedreht hatte – weder Kai noch Yuriy hatte das Bett verlassen. Jetzt war der Arm des Rothaarigen um ihn geschlungen und wärmte sein Atem ihm den Nacken. Einen kurzen Augenblick fragte er sich, was in aller Welt ihn geweckt hatte, denn er hätte gut und gerne noch eine Weile so liegenbleiben können. Dann kam sein Gehirn langsam in Schwung. Ach Gott. Der Wecker. Er stieß Yuriy unsanft mit dem Ellenbogen in die Brust und erntete einen protestierenden Laut. „Wach auf, Mann“, sagte er, „Heute ist Halbfinale.“ „Nee, oder?!“ Yuriy vergrub das Gesicht in seinen Haaren. Er hörte sich nicht so an, als hätte er auch nur die geringste Lust, sich aus dem Bett zu bewegen. „Doch“, sagte Kai, „Und davor ist das Match zwischen Barthez Soldiers und F-Sangre. Und du hast zu Boris und Sergeij gesagt, dass wir uns das ansehen. Nach dem Training.“ „Ich habe für heute ein Training angesetzt?“, fragte Yuriy. Kai warf ihm über die Schulter einen vielsagenden Blick zu. „Ist ja gut.“ Yuriy ließ ihn los. Er schwang sich aus dem Bett und ging ins Bad, drehte sich im Türrahmen jedoch noch einmal um. Sein Blick traf den des Rothaarigen, der sich noch einmal in die Decke gewickelt hatte. „Was ist denn jetzt noch?“, fragte Yuriy. „Oh, nichts“, sagte Kai, „Ich habe mich nur gefragt, ob du mich vielleicht begleiten willst…“ Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Dusche. Das ließ Yuriy sich nicht zweimal sagen. Kai nutzte die Trainingseinheit, um seinem neuen Dranzer den letzten Feinschliff zu verpassen. In den letzten Tagen hatte er in jeder freien Minute (gemeint ist ohne Yuriy) damit verbracht, seine Blazing-Gig-Tempest-Attacke zu perfektionieren. Ihre schiere Kraft musste vollständig unter Kontrolle gebracht werden, erst recht, wenn auf so engem Raum wie in einer Beyarena gekämpft wurde. Die seltsame Glückseligkeit, die jeder noch so flüchtige Gedanke an Yuriy neuerdings in ihm auslöste, erleichterte vieles. Das Training verlief viel geordneter und es gab weniger Streitereien zwischen ihm und Boris. Das Kriegsbeil hatten sie sowieso in stillem Einverständnis bereits in Madrid begraben. Jedoch fragte Kai sich langsam, ob Boris und Sergeij nicht doch bemerkten, dass sich etwas zwischen Yuriy und ihm verändert hatte. Ihre Meinung war etwas, dem sie sich früher oder später stellen mussten. Er konnte beim besten Willen nicht sagen, was in dieser Situation schwerer wog: Die Treue zu ihrem Teamchef oder doch Vorurteile? – Nun, aber womöglich machte er sich schon zu viele Gedanken darüber. Immerhin war die Weltmeisterschaft nun beinahe vorüber, und niemand konnte sagen, wie es danach weitergehen sollte. „Yuriy sagt, du sollst eine Pause machen, sonst bist du nicht fit für das Match.“ Sergeijs Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er nickte nur und fing Dranzer auf. „Nette Attacke“, sagte Sergeij, als er an ihm vorbeiging. Kai war kurz verwirrt, weil der Blonde kaum jemals das Wort an ihn richtete. Dann ging ihm auf, dass dies wohl das größte Zeichen der Anerkennung war, das er von Sergeij erwarten konnte, und sah zu ihm zurück. „Danke. Wollen wir hoffen, dass sie reicht, um Rei aus dem Stadium zu werfen.“ Sie sollte reichen, jedoch knapper als erwartet. Kai musste sich an der Wand abstützen. Ein hohes Rauschen breitete sich in seinem Kopf aus und überdeckte alle anderen Geräusche. Vor seinen Augen verschwamm der Korridor. Es war wohl doch ein wenig zu viel gewesen… Unruhig tastete er sich weiter vor, immer in der Hoffnung, nicht zu straucheln. Er musste es nur sicher bis ins Hotelzimmer schaffen, dort konnte er liegen und schlafen, lange schlafen. Danach würde er seinen Blade erneuern müssen. Reis Attacken hatten Dranzer übel zugerichtet. Im Angriffsring konnte er deutlich tiefe Furchen fühlen, wenn er mit dem Daumen darüber strich. Doch er war ganz geblieben, auch dann noch, als er den übermächtigen Blazing-Gig-Tempest tatsächlich eingesetzt hatte. Er konnte mit Recht stolz auf sich sein. Später. Nach ein paar Schritten blieb er wieder schwer atmend stehen. Er war viel zu langsam; so würde er es nie ins Hotel schaffen, erst recht nicht, ohne auf halbem Weg von Paparazzi oder Fans oder anderen Bladern erwischt zu werden. Wahrscheinlich wäre es klüger, wenn er sich erst einmal in die Teamkabine verzog und wartete, bis sein Kreislauf wieder einigermaßen hergestellt war – „Du Sturkopf.“ Jemand legte einen Arm um seine Taille und stützte ihn. „Sergeij und Boris kümmern sich um die Presse, also tu mir einen Gefallen und brech‘ erst im Zimmer zusammen!“ Er hatte ihn gar nicht herankommen hören, denn das Blut rauschte immer noch in seinen Ohren. Doch natürlich war es Yuriy, der ihm nachgelaufen war. Kais erster Impuls war, seinen Arm sofort abzuschütteln, doch er zwang ihn nieder. Es war Yuriy. Es war okay. Also sagte er nichts und gemeinsam nahmen sie den Weg wieder auf und kamen tatsächlich ohne jegliche Behelligung durch Reporter ins Hotel. Dort ließ Yuriy Kai aufs Bett sinken, wo er ausgestreckt liegenblieb und einen Arm über seine Augen legte. Sehr langsam verklang der Schwindel. Yuriy setzte sich neben ihn und blickte auf ihn herab. „Brauchst du irgendwas?“ Kai schüttelte den Kopf. „Das war ein ziemlich heftiger Kampf“, fuhr der Rothaarige fort, „Und du siehst, gelinde gesagt, angeschlagen aus. Nicht nur ich habe das bemerkt, Kai“ Sein Ton wurde eindringlicher. „Rei ist auch zusammengebrochen, aber er hat verloren, er muss nicht noch ein Finale überstehen – Dickinson ist beunruhigt. Er will nicht, dass du zu Schaden kommst.“ „Seit wann hörst du auf Dickinson?“ „Ich bin seiner Meinung“, entgegnete Yuriy heftig, sodass Kai den Arm vom Gesicht nahm und ihn verwundert ansah. „Du? Du bist halb an deiner…Migräne verreckt und am nächsten Tag angetreten.“ „Das heißt nicht, dass ich mir dasselbe für dich wünsche! Ich bin dein Teamchef…“ „…und ich dein bester Mann im Team“, sagte Kai. „Im Ernst, mit wem willst du im Finale antreten? Boris?“ Sein Teamchef schürzte die Lippen und schwieg, auch als sich Kais Blick immer weiter in seinen Körper bohrte. „Was ist los, Yuriy?“, fragte er schließlich. „Ich frage mich, ob so ein Finale es wert ist, so viel dafür zu riskieren. Willst du das wirklich?“ Kai wandte den Blick ab und schloss die Augen. „Ja, das tue ich“, antwortete er und spürte, wie Yuriy sich bewegte. „Dann werden wir antreten.“ Ein Klopfen riss ihn aus dem Schlaf. Müde blinzelte Kai gegen die Dunkelheit an, doch sie verschwand nicht. Es war Nacht geworden und Yuriy war nicht da. Wieder ein Klopfen. Schwerfällig richtete er sich auf, stieg aus dem Bett und ging, unsicher vor Müdigkeit, zur Tür. Als er öffnete, stand Boris vor ihm. „Ich muss mit dir reden“, sagte er und Kai ließ ihn ein, schaltete nebenbei auch gleich das Licht an. „Hast du Yuriy gesehen?“, fragte er und rieb sich noch einmal die Augen. In seinem Körper breitete sich langsam der dumpfe Schmerz aus, den das Match gegen Rei hinterlassen hatte. „Yuriy und Sergeij arbeiten an Wolborg“, entgegnete Boris, der sich inzwischen in einen der Sessel gesetzt hatte und auffordernd zu Kai hochsah. „Ich habe mich neulich mit Yuriy unterhalten. Über euch.“ Diese Worte ließen Kai seine Müdigkeit vergessen. Schnell suchte er Boris‘ Mimik und Körperhaltung nach Anzeichen für Aggression ab, doch er fand keine. „Er…hat dir alles erzählt?“, fragte er zögernd und nahm wieder auf seinem Bett Platz. „Ja“, antwortete Boris, „Zumindest alles Nötige, denke ich. Nicht, dass ich Details wissen will. Die Sache ist die, Kai…ich bin nicht wirklich verwundert. Um ehrlich zu sein mache ich mir schon länger Gedanken darüber, warum er sich so wenig für…Frauen interessiert.“ „Tut er nicht?“, fragte Kai, denn er hatte ihren Teamchef noch gar nicht darauf angesprochen. „Ich weiß nicht“, sagte Boris und blickte ihn nachdenklich an. „Er ist mein bester Freund, wir kennen uns seit wir klein sind. Wir sind oft ausgegangen, auch mit Mädchen, aber es war nie…es war ihm nie ernst, denke ich. Jedenfalls hat er Frauen nie so hinterhergesehen, wie dir. Und als er dich nicht umgebracht hat, als du ihm nach der Sache mit Rick hinterhergelaufen bist, wurde mir einiges klar.“ An seinen Nasenflügeln entstanden kleine Falten; er wirkte befremdet, aber nicht angeekelt. „Ich, ähm…“, setzte Kai an, doch er wusste eigentlich gar nicht, was er sagen sollte. Zum Glück schnitt Boris ihm das Wort ab: „Ganz ehrlich, Hiwatari, ich kann mir absolut nicht vorstellen, was er an dir findet. Wenn du ihn da irgendwie…reingezogen hättest, hätte ich dir gehörig die Fresse poliert. Das Problem ist nur, dass Yuriy scheinbar bei klarem Verstand ist und weiß, was er tut. Also will ich eigentlich nur sagen…“ „…Dass du mir alle Knochen brichst, wenn ich Yuriy das Herz breche, alles klar“, beendete Kai für ihn und konnte sich einen sarkastischen Kommentar nicht verkneifen: „Du bist ja so fürsorglich.“ „Komm mir jetzt nicht so!“ „Yuriy ist erwachsen, Boris“, sagte Kai, „Er weiß, was er tut. Wenn es dich interessiert, er war derjenige, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hat.“ Boris hob abwehrend die Hände. „Spar dir die Details! Es ist mir egal. Es ist mir genau solange egal, bis er Ärger wegen dir hat, verstanden?!“ „Verstanden“, wiederholte Kai und schnaubte. „Okay.“ Boris drehte den Kopf, als wollte er den Nacken entspannen. „Gut. Ich werde euch keine Fragen stellen und ich möchte von der Sache nichts mitbekommen. Der einzige Grund, warum ich es dulde, ist Yuriy. Du kümmerst mich einen Dreck, Hiwatari, klar, einen Scheißdreck!“ Mit diesen Worten stand er auf. „Ich hoffe, dass Yuriy nach dieser verdammten Meisterschaft wieder zu Verstand kommt.“ Und ließ ihn zurück. Als sich die Tür hinter Boris schloss, erlaubte Kai, dass sich auf seinem Gesicht das Erstaunen wiederspiegelte. Kai hatte Rei immer für einen ziemlichen Beau gehalten, beinahe schon für eine ästhetische Erscheinung, der kein äußerer Umwelteinfluss etwas zuleide tun konnte. Er hatte sich wohl geirrt. Als sie sich ihm und dem Team näherten, erkannte Kai deutlich die kleinen Blessuren, die ihr Kampf auch auf dem Chinesen hinterlassen hatte. Rei war außerdem noch recht blass, so wie er selbst, nur dass es bei ihm aufgrund seiner normalerweise sonnengeküssten Haut gleich noch ein wenig ungesünder aussah. Trotzdem lächelte er ihnen fröhlich entgegen, ganz so, wie Kai ihn kannte, nicht, wie er sich den Kameras während der letzten Wochen präsentiert hatte. Unerbittlich und stark. Jetzt schien ihm die sprichwörtliche Last des Turnieres von den Schultern genommen worden zu sein. Unwillkürlich fühlte Kai leisen Neid in sich aufsteigen. „Wie geht es dir?“, fragte er unverbindlich nach einer kurzen Begrüßung und Rei tat alles mit einem Wink ab, erzählte stattdessen, dass es Lai weitaus schlimmer getroffen hatte und er froh war, dass dieser sich nun endlich eine längere Pause gönnen durfte. Dieses Turnier zehrte an ihnen, auch wenn sie nicht direkt an den Battles beteiligt waren: Ein kurzer Blick auf Mao verriet Kai, dass auch sie Nächte durchwacht haben musste, genauso wie Gao und Kiki, die permanent zwischen Ärgerlichkeit und Zufriedenheit schwankten. Schließlich war die Weltmeisterschaft nun für sie vorbei. Da die meisten von ihnen noch zu jung waren, um das Nachtleben auszukosten, beschlossen sie, in einen nahegelegenen Park zu gehen und sich dort einen Platz im Gras zu suchen. Während die Baihuzus vorauseilten, schlenderten die NeoBorgs ein wenig hinterher. Allerdings fanden Lai und Mao sich irgendwann bei den Russen ein, während Kai und Rei in der Mitte liefen und sich leise unterhielten. „War es für dich auch so schwer, Teamchef zu sein?“, fragte Rei, „Manchmal denke ich, die Verantwortung ist zu groß, und das trotz Taos, der uns ja schon viel von dem organisatorischen Kram abnimmt.“ „Ihr wart schwerer zu hüten als ein Sack Mücken“, sagte Kai, „Aber man konnte sich daran gewöhnen. Und ich hab euch ja auch immer etwas stiefmütterlich behandelt.“ „Untertreib nicht; du warst eine ziemliche Rabenmutter.“ „Ja, weil ihr es auch jedes Mal sofort geschafft habt, irgendwie Mist zu bauen, sobald ich euch aus den Augen gelassen hab!“ Rei lachte, doch als er „Das stimmt!“ hinzufügte, sah er etwas trübsinnig aus. Kai sprach ihn nicht darauf an, er konnte sich denken, woran der Chinese gerade dachte. „Es war vieles leichter damals“, sagte Rei schließlich. „Das kommt dir nur so vor, weil du nicht Teamchef warst.“ „Wirklich?“ Kai hob die Schultern. „Nein. Das war nicht ernst gemeint“, sagte er, „Für mich macht es keinen Unterschied. Es gibt Dinge, die waren damals besser und Dinge, die sind heute besser.“ Aus den Augenwinkeln sah er, wie Rei einen Blick zurück warf. „Du bist zufrieden mit deinem Team, oder?“, stellte der Schwarzhaarige fest, „Mit NeoBorg. Yuriy ist ein guter Tagteampartner für dich. Das sieht man an euren Battles.“ „Ja, weil wir nie im Tagteam spielen“, entgegnete Kai belustigt, „Und nicht viel reden. Zumindest nicht während der Matches.“ „Aber ihr streitet auch nicht.“ Darauf erwiderte Kai nichts. Er wusste, dass Rei und Lai Schwierigkeiten gehabt hatten – jeder wusste das. Es lag wohl auch an den Rängen, die sie im Team Baihuzu einnahmen und vielleicht auch an der veränderten Hierarchie. Schließlich war auch Lai Teamchef gewesen. „Yuriy und ich haben oft gestritten“, sagte Kai leise, „Am Anfang. Er hat mir eins aufs Maul gegeben.“ „Uh, was?“ Das Geräusch, das von Rei kam, schien ein mühsam in Schnaufen umgewandeltes Auflachen zu sein. „Ich hatte ein Veilchen“, ergänzte Kai. Jetzt lachte Rei wirklich. Ein paar Minuten später fanden sie einen Platz auf der Wiese im Park, der groß genug für sie alle war. Es stellte sich heraus, dass beide Teams zuvor für Kekse und andere Snacks gesorgt hatten, sodass ein großer Haufen knisternder Tüten in der Mitte ihres Kreises entstand; doch als Boris eine Plastikflasche hervorzauberte, die, wie er kurz darauf gestand, Wodka enthielt, wurde er von Mao mit einem bösen Blick gestraft und empfing die pflichtschuldig von Yuriy ausgesprochene Rüge mit theatralisch zwischen die Schultern eingezogenem Kopf. Die Flasche wurde trotzdem kurze Zeit später geöffnet und machte die Runde. Die aufkommende Dunkelheit wurde mit Kerzen verscheucht. Sobald Team Baihuzu bemerkte, dass die Russen ihnen nicht bei jeden zu laut gesprochenem Wort den Kopf abreißen würden und tatsächlich über Gesichtsmuskulatur verfügten, taute es merklich auf. Rei erzählte ein paar Anekdoten aus dem Turnier im China Tower von vor zwei Jahren. Spätestens, nachdem er detailverliebt erläuterte, wie er Takao eines schönen Tages mit einer Chilischote geweckt hatte, war jede Anspannung verflogen. Irgendwann stieß Boris Yuriy und Kai an und deutete verstohlen auf Sergeij, der sich tatsächlich mit Mao über Gemüsepfannenrezepte unterhielt. „Mao hat einen Draht zu Beyblade-Schwarzeneggern, glaub ich“, meinte Rei, der Boris‘ Fingerzeig ebenfalls bemerkt hatte, zu Kai gewandt. „Neulich haben wir sie bei einem Gespräch mit Rick von den All Starz erwischt.“ „Behalt sie bloß im Auge, Rei!“, entgegnete Kai, während Yuriy die Nase rümpfte. Er hatte eine recht leidenschaftliche Abneigung gegen Rick entwickelt, was Kai ihm nicht verübelte. Er war nur froh, dass die beiden sich so gut wie nie über den Weg liefen. „Wie ist das jetzt eigentlich“, sagte er leise zu Rei, während sie ganz automatisch die Köpfe zusammensteckten, „Läuft da jetzt was ernstes?“ Er kannte eigentlich die ganze Geschichte von Rei und Mao. Es hatte damit angefangen, dass er Rei eines Tages wegen mangelnder Konzentration beim Training zur Seite genommen hatte. Bei einer Tasse Tee hatte der Schwarzhaarige ihm lang und breit von einer Beziehung, die keine sein konnte, erzählt – und Kai war irgendwie froh gewesen, dass sein einziges Problem zu diesem Zeitpunkt die Balance seines Blades war. Rei seufzte. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie kompliziert Frauen sind“, meinte er, „Ja, irgendwie läuft was, irgendwie aber auch nicht. Ich glaube, sie hat ein wenig Angst vor Lais Reaktionen.“ „Wieso das denn; ihr Bruder weiß doch seit Jahren, dass sie in dich verschossen ist. Und du in sie.“ „Keine Ahnung… Ich denk mal, sie hat Angst, dass meine Freundschaft zu Lai unter einer Beziehung mit ihr leidet.“ „Naja, Bruder vor Luder geht bei euch ja schlecht…“, meinte Kai, woraufhin Rei urplötzlich in schallendes Gelächter ausbracht. „Bruder vor…Bruder vor was bitte?“, japste er. „Mann, ganz ruhig!“, sagte Kai laut, aber das würde noch eine Weile dauern und inzwischen wollten die anderen wissen, warum Rei sie alle mit seinem Ausbruch erschreckt hatte. Während es um sie herum lauter wurde, beugte sich Yuriy auf einmal zu seinem Ohr und raunte: „Lass uns ein Stück spazieren gehen.“ Kai war nur zu bereit, die Gunst der Stunde zu nutzen. Sie erhoben sich und verschwanden schnell in der Dunkelheit. Selbst die Parkwege waren nur mit wenigen Laternen erhellt. Sie waren nicht die einzigen hier, denn man hörte ab und zu Stimmengewirr von kleinen Gruppen auf dem Rasen. Hier und da leuchtete Glut in einem Grill. Nach einer Weile fanden sie einen schmaleren Weg, auf den sie einbogen. Es wurde immer ruhiger, und zu beiden Seiten wuchs nun dichtes Gebüsch. Kai griff nach Yuriys Hand und ging so dicht neben ihm, dass sich ihre Arme berührten. „Hat Boris mit dir gesprochen?“, fragte Yuriy unvermittelt. „Ja. Gestern Abend. Wieso?“ „Weil Sergeij gestern auch mit mir gesprochen hat.“ „Oh“, machte Kai überrascht. Er hatte sich schon gefragt, ob Sergeij der einzige nicht-eingeweihte war. „Was hat er gesagt?“ „Er…ist nur mäßig begeistert, sagen wir’s so“, sagte Yuriy. „Aber er akzeptiert es?“ Yuriys Mundwinkel hoben sich freudlos, während sie unter einer Laterne hindurchschritten. „Es ist nicht ganz so einfach, Kai. Du kannst die Leute nicht mit so etwas konfrontieren und erwarten, dass sie sich nur für oder gegen dich entscheiden. Dass du da mit deinen BBA-Leuten so viel Glück hattest, ist schön, aber nicht selbstverständlich.“ „Das ist mir klar“, sagte Kai, „Aber es hätte ja sein können. Ich weiß nicht, wie Sergeij tickt.“ „Nicht so, wie wir es vielleicht gerne hätten“, entgegnete Yuriy, „Er kann es vielleicht tolerieren, aber er ist weit entfernt von Akzeptanz. Er scheint davon auszugehen, dass sich die Sache nach der Weltmeisterschaft sowieso im Nichts verliert.“ „Hm“, machte Kai, „Ich glaube, Boris sieht das genauso.“ „Es wäre auf jeden Fall kompliziert.“ Kai nickte in die Dunkelheit. „Ich könnte so schnell nicht wieder aus Russland raus. Es war ja schon ein kleines Wunder, dass wir das Visum für die Weltmeisterschaft bekommen haben, mit der Reputation, die wir haben“, setzte Yuriy hinzu. „Und ich gehe noch zur Schule“, ergänzte Kai. „Auf ein Internat.“ „Auf ein verdammtes aristokratisches Jungeninternat.“ „Aber es ist in Russland.“ „Einen Besuchstag im Monat.“ „Woah“, machte Yuriy und Kai nickte noch einmal ungesehen. „Das heißt, du kannst mich besuchen, aber ich darf nicht weg“, sagte er. „Das würde verdammt teuer werden“, sagte Yuriy. Kai verbiss sich, zu ergänzen, dass es wohl zu teuer wäre. Natürlich hatte Yuriy kein Geld – gut, vielleicht das Geld aus dem Prozess gegen die Abtei. Kai kannte die Summen, sie reichten aus für ein gutes Leben in Moskau und eine ordentliche Ausbildung. Darüber hinaus waren aber keine weiten Sprünge möglich. Durch den Sport ließ sich auch nichts verdienen, sie waren nur Amateure. Mit dem Geld für Interviews finanzierte die BBA einen Teil ihrer Reisekosten. Das war der Deal. Kai schüttelte den Kopf. Warum dachte er überhaupt darüber nach? Yuriy hatte die ganze Zeit von einem „Hätte, würde, könnte“ gesprochen. Sie schwiegen, und es war ein unangenehmes Schweigen. Kai hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Yuriys Hand in seiner erschien ihm auf einmal wie ein Fremdkörper. Doch als er seine Finger lösen wollte, verstärkte sich der Griff des anderen. „Was ist?“, fragte er. Kai öffnete den Mund, besann sich jedoch. Er sollte keine Antwort geben. Yuriy fragte auch nicht noch einmal nach. Er zog Kai zu sich und küsste ihn. Sein Griff war noch immer fest, doch seine Lippen tasteten wirr über Kais Mund. Hosted by Animexx e.V. 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