The Place Beyond The Fire von Elvea (Dank dir bin ich stärker denn je) ================================================================================ Kapitel 1: Glück und Unglück im ewigen Kreislauf ------------------------------------------------ Ihr Herz pochte schmerzhaft in ihrer Brust, als sie nach dem Anhänger tastete, der in der Mulde ihres Halses ruhte. Sie spürte förmlich, wie das Gift durch ihre Venen gepumpt wurde und sich nach und nach in ihrem Körper ausbreitete und ihn in Besitz nahm. Der nach und nach einsetzende Regen durchnässte ihr kurz geschnittenes Haar, das einst ihr ganzer Stolz gewesen war, jedoch nun keine Rolle mehr spielte, da sie sowieso nicht mehr lang genug am Leben bleiben würde, um je wieder eine Strähne um ihren Finger wickeln zu können. „Du bist sowieso viel zu alt, als dass du dir solche Eitelkeiten noch leisten könntest“, dachte die Frau, als sie mit letzter Kraft den Anhänger von der Kette löste und ihn in ihrer Faust verbarg, die sie kaum noch schließen konnte. „Verzeih mir, Nala… Ich musste es tun“, röchelte sie, bevor sie ihren letzten Atemzug tat und ihr Reich infolge ihres Todes in die Hände ihrer jungen Tochter gab. „Die Regentin von Kusa no Kuni ist gefallen“, eröffnete Tsunade das Gespräch, kaum dass Kakashi an ihren Schreibtisch herangetreten war, nachdem sie ihn zu sich gebeten hatte. „Kusa no Kuni…“, murmelte Kakashi nachdenklich, während die Maske, die einen Großteil seines Gesichtes bedeckte, sämtliche Emotionen vor der Öffentlichkeit verbarg. Tsunade horchte auf, als sie seinen Tonfall vernahm. „Warst du schon einmal dort?“. Kakashi nickte kurz und erklärte: „In meiner Jugend war ich dort einst auf einer Mission“. Die fünfte Herrscherin über Konohagakure lächelte ihn verschmitzt an. „Du steckst doch noch mitten in deiner Jugend. Lass das bloß nicht Gai hören. Sprich nicht so, als wärest du schon ein alter Mann. Aber zurück zu dem Grund, weshalb ich dich herbestellt habe. Die Regentin starb infolge eines starken Giftes, das durch den Angriff eines Nukenins, den sie völlig auf sich allein gestellt in ihre Gewalt bringen wollte, in ihren Blutkreislauf geraten ist. Jegliche Hilfe der Anbu aus Konoha, die sich auf die Suche nach ihr begeben haben, nachdem uns das Land um Hilfe gebeten hatte, kam zu spät. Nun müssen wir der Nachfolgerin die traurige Botschaft überbringen. An dieser Stelle kommst du ins Spiel“. Tsunade ließ einen silbernen Anhänger auf den Tisch zwischen ihnen fallen, in dessen Mitte ein grüner Edelstein funkelte. „Das ist das Herrschaftszeichen dieses Landes. Gib es bitte an ihre Tochter weiter“. „Ihre Tochter?“, fragte Kakashi, während er eine Augenbraue hochzog. „Meinst du nicht, das Mädchen ist noch zu jung für solch eine Verantwortung?“. Tsunade hob die Schultern. „Ich bin nicht in der Lage, das zu beurteilen. Jedenfalls hat ihre Mutter das schon vor ihrem Ableben festgelegt und ich habe nicht vor, ihr diesen Willen zu verweigern. Da ich das Mädchen aber in solch einer Lage nicht völlig sich selbst überlassen will, möchte ich, dass du ihr in der Anfangszeit etwas unter die Arme greifst. Ich bin mir sicher, dass keiner diese Aufgabe besser als du erledigen kann. „Ich kümmere mich darum“, antwortete Kakashi und hob zum Abschiedsgruß die Hand, als er das Zimmer verließ. Seine Vorgesetzte blickte ihm mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck nach, als beschlich sie eine Vorahnung, dass seine Aufgabe nicht nur in der Unterstützung der Regierungsgeschäfte bestand. Das Kunai, das Kakashi entgegengeschleudert wurde, verfehlte ihn nur um Haaresbreite. „Hey, ganz ruhig, ich tue dir doch nichts!“, versuchte er die wild gewordene junge Frau, die sich wie ein Tier auf ihn stürzte, zu beschwichtigen. Er hielt ihre Hände fest, mit denen sie auf ihn einprügeln wollte, und drehte ihr anschließend den Arm auf den Rücken, um sie zu Boden drücken zu können. Erst als sie den Kopf hob, hatte er Gelegenheit, seine Gegnerin näher in den Augenschein zu nehmen. Ihre braunen Haare fielen ihr struppig in die Augen und über die Schultern und schienen mal wieder eine Wäsche vertragen zu können. In ihren klaren, blauen Augen blitzte nichts als Wut auf, obwohl der Griff, mit dem Kakashi sie festhielt, schmerzhaft für sie sein musste. Ihre Gesichtszüge waren zu einer Grimasse verzerrt und ließen nicht erahnen, wie sie wohl aussehen mochten, wenn das Mädchen lächelte. Am Körper trug sie lediglich ein schlichtes, schwarzes Kleid, das sich um ihre Knie bauschte und die ein oder andere Falte zu viel aufwies. „Du bist die Tochter der Herrscherin dieses Landes, habe ich Recht?“, fragte Kakashi, ohne sie zu loszulassen. Die Angesprochene bleckte die Zähne. „Wer will das wissen?“. Er seufzte tief und antwortete: „Ich erkläre es dir, wenn du mir versprichst, dass du dich beruhigt hast“. Auf seinen Stirnprotektor deutend, fuhr er fort: „Ich bin ein Jonin aus Konohagakure und wurde vom Hokage gesandt, um eine Botschaft zu überbringen“. Misstrauisch verengte die Königstochter ihre Augen zu Schlitzen. „Warum wird diese Botschaft nicht auf dem Luftweg versandt wie sonst auch?“. Kakashi lockerte seinen Griff und fuhr sich mit der freien Hand über sein Gesicht. „Weil sie zu wichtig ist und weitere Maßnahmen erfordert, die sich nur vor Ort und persönlich regeln lassen“. Er hielt es für ungefährlich, sie nun loszulassen, und tatsächlich richtete sich das Mädchen auf, ohne zum Angriff überzugehen. Jedoch sprachen ihr feindseliger Blick und ihre vor der Brust verschränkten Arme Bände. Kakashi räusperte sich, sah jedoch keinen Sinn darin, die Hiobsbotschaft weiterhin aufzuschieben. „Ich muss dir leider mitteilen, dass wir deine Mutter gefunden haben und nichts mehr für sie tun konnten. Sie starb im Kampf gegen den Nukenin, der eurem Land mit Krieg gedroht hat“. Ihre Augen weiteten sich, als sie das gewaltige Ausmaß seiner Worte in sich aufnahm. „Das kann nicht sein“, reagierte sie jedoch brüsk. Statt einer Antwort reichte der Jonin ihr den Anhänger als Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner Mitteilung. Entsetzt schüttelte die Waisin, die nach ihrer Großmutter Nala benannt wurde, den Kopf und wich vor dem Mann, der in ihre eigenen Gemächer eingedrungen war, zurück. Mit allem hätte Kakashi gerechnet, jedoch nicht damit, dass Nala ein zorniges „Diese dumme, törichte Frau!“ ausstieß und sie diese mit all den ihr bekannten Worten verfluchte. Tränen traten ihr in die Augen, verließen jedoch nicht ihren Augenwinkel. Kakashi war sich ziemlich sicher, dass es Tränen der Wut und nicht Tränen der Trauer waren. Mit einem tiefen Seufzer wies ihm Nala den Weg in das Teezimmer, den Anhänger in der Faust, bei der die Knöchel weiß hervortraten, weil die Hand einer enormen Kraft ausgesetzt war. „Meine Mutter ist eine verdammte Närrin gewesen“, murmelte Nala und nippte an ihrem Tee. Die Beine an den Körper gezogen hockte sie jegliche Etikette missachtend auf einem mit Gold verzierten Stuhl mit steiler Lehne und unbequemen Sitzkissen. Kakashi saß ihr gegenüber und musterte sie mit wachsendem Interesse. Seine Teetasse stand unberührt auf dem Tischchen mit den schmalen Beinen. Er wurde aus diesem Mädchen nicht schlau. Mittlerweile hatte er erfahren, dass sie in zwei Monaten die Volljährigkeit erreichen würde, ihr Vater bereits gestorben war, als sie noch als junges Mädchen das Leben genossen hatte, und sie nur noch Verachtung gegenüber der Frau, die sie geboren hatte, empfand. In Kakashis Augen las sie die unausgesprochene Frage und sie setzte bereits zu einer Erklärung an. „Sie war eine Närrin, weil sie ihre Liebe einem Mann geschenkt hat, der sie nicht verdient hat. Damit meine ich nicht meinen Vater, sondern diesen Vollidioten, der gedroht hat, unser Land dem Erdboden gleichzumachen. Wie kann sie nur für solch einen Menschen dem Tod entgegengehen?“. Sie strich sich eine verknotete Haarsträhne aus dem Gesicht und schwieg. Kakashi erwiderte ebenfalls nichts und sah sie bloß abwartend an. „Sie wollte diesen Mann zur Umkehr bewegen, obwohl er längst mit dem Leben hier abgeschlossen hatte. Kämpfen bis zum Umfallen nützt nichts, wenn es keinen Effekt erzielt, und ich schätze, eine erwachsene Frau sollte so etwas wissen. Die Liebe zu ihm war ihr wichtiger als ihrer Tochter irgendwann die nötige Unterstützung bei der Besteigung des Throns zu geben. Das sagt schon so einiges über sie aus“, erzählte sie mit einem bitteren Unterton, während sie gedankenverloren den Zucker in ihrem Tee verrührte. „Sag mir nicht, dass ich nicht so hart über sie urteilen sollte. Mütter und Väter, die sich entschieden haben, ein Kind zu bekommen, sollten auch das zu Ende führen, was sie begonnen haben. Sie hat sich in den Tod geflüchtet und mir eine Verantwortung überlassen, die noch viel zu groß für mich ist“. „Deswegen bin ich ja hier“, meinte Kakashi ruhig. Ihr verwahrlostes Äußeres und ihre wohl durchdachten Worte passten für ihn so wenig zusammen, dass es ihm schien, als habe er zwei Personen vor sich. Als könne sie Gedanken lesen, sah Nala verlegen an sich herunter. „Verzeih mir bitte mein Auftreten zu Beginn, aber ich bin ein sehr misstrauischer Mensch und du hast mich ganz schön erschreckt, als du plötzlich hinter mir standest. Vergib mir auch meine ungepflegte Erscheinung, aber die Zeit zwischen dem Verschwinden meiner Mutter und jetzt war wirklich nicht einfach für mich, weshalb körperliche Bedürfnisse in den Hintergrund getreten sind“. Abwehrend schüttelte Kakashi den Kopf zum Zeichen, dass es ihm nichts ausmache, doch die junge Frau schien ihm nicht zu glauben. „Warum siehst du dich nicht ein bisschen in der Stadt um, während ich mich darum kümmere, wieder halbwegs vorzeigbar auszusehen? Schließlich muss ich vor das Volk meiner Mutter… mein Volk treten, um die Neuigkeiten bekannt zu geben“. Erneut mit einem leidenden Seufzer stand sie auf und ließ Kakashi zurück, ohne seine Antwort abzuwarten. Kapitel 2: Die Wahrheit über Kusagakure --------------------------------------- Gedankenverloren streifte Kakashi durch die schmalen Gassen des Dorfes, ohne wirklich darauf zu achten, wohin seine Füße ihn trugen. Er registrierte weder die neugierigen Blicke der Dorfbewohner, noch die zunehmend fortschreitende Verwahrlosung der Gemäuer, die dicht aneinander gedrängt standen und teils von Efeu überwuchert wurden. An vielen Stellen hatte sich die Natur bereits zurückerobert, was ihr gehörte, indem das Gras zwischen den Ritzen der Steine herauswuchs, mit denen die Wege gepflastert waren. Schließlich erregte ein kleiner Imbiss mit ein paar wenigen Sitzgelegenheiten Kakashis Aufmerksamkeit und er ließ sich dort nieder, um etwas zu trinken zu bestellen. „Sie sind wohl nicht von hier?“, stellte der Inhaber beiläufig fest, während er Sake in einen kleinen Becher goss und diesen vor seinem Kunden hinstellte. Kakashi schüttelte den Kopf. „Ich bin nur hier, um jemanden zu besuchen“, sagte er unbestimmt. „Da haben Sie sich aber eine wirklich ungünstige Zeit ausgesucht“, stellte sein Sitznachbar fest, der sich über eine dampfende Schüssel Ramen beugte. „Hier findet nämlich gerade ein Machtwechsel statt und das könnte Chaos geben“. Überrascht stoppte der Jonin aus Konoha ab, als er den Becher gerade zum Mund führte, ließ sich aber ansonsten sein Erstaunen, dass die Neuigkeiten so rasch die Runde machten, nicht anmerken. „Wie meinst du das?“, fragte er stattdessen. Der Angesprochene antwortete nicht gleich, sondern wechselte erst einmal einen bedeutungsvollen Blick mit dem Wirt. Dieser nickte schließlich leicht. „Die Königin ist gestorben und ihre kratzbürstige Tochter übernimmt das Ruder“, antwortete der Mann hinter dem Tresen. „Hm…“, brummte Kakashi. Schweigend löffelte der Dorfbewohner neben ihm seine Suppe, während er sich seinen zweiten Becher einschenken ließ. Eine Weile saßen sie so beisammen, jeder seinen Gedanken nachhängend, bis Kakashi erneut eine Frage stellte. „Sagt mal, gab es hier nicht einst auch einen König?“. Wieder wechselten die beiden Einheimischen einen Blick, diesmal einen Tick länger, bevor der Wirt meinte: „Ja, aber dazu kann ich dir nicht viel sagen. Da solltest du dich lieber an den alten Jo wenden, der in dieser alten, verfallenen Hütte am Rand des Bambushains wohnt. Der weiß alles, was du wissen möchtest“. Mit einer kurzen Verbeugung bedankte Kakashi sich, legte das zu zahlende Geld auf den Tresen und verabschiedete sich, um den Mann aufzusuchen, von dem ihm erzählt worden war. Er wusste nicht weshalb, aber aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, es sei wichtig, sich so viele Informationen wie möglich anzueignen. Schließlich hatte er gelernt, seiner Intuition zu vertrauen. Es war nicht schwer, den gesuchten Alten zu finden. Es gab nur eine, etwas breitere Handelsstraße, die in Schlangenlinien durch den Ort führte. Aus der einen Richtung war Kakashi gekommen, deswegen musste sich dieser Jo in nördlicher Richtung aufhalten. Des Weiteren waren der erwähnte Bambushain nicht zu übersehen, nur das Erkennen der gut getarnten Hütte im Unterholz bereitete ihm kurze Zeit Schwierigkeiten. Entschlossen klopfte er an die morsche, verwitterte Eingangstür und wartete das krächzende „Herein“ nicht einmal ab, bevor er eintrat. „Ah, jaja, ein Ninja aus Konoha…“, murmelte der Alte, der in einem Lehnstuhl in einer Ecke des kleinen Raumes saß und sich die Beine mit einer Decke eingewickelt hatte. Der kleine Raum wurde dominiert von einem riesigen Tisch in der Farbe der Hütte und einem Bett mit einem schmutzigen, leicht ergrauten Laken. Rauch, der von der Pfeife stammte, an der der Bewohner genüsslich zog, nahm Kakashi fast den Atem. Er zupfte kurz an seiner Maske und fragte: „Bin ich hier richtig bei… Jo?“. Sein Gegenüber musterte ihn einen Augenblick, bevor er ihn mit einer ausholenden Geste aufforderte, auf dem einzig freien Stuhl im Raum Platz zu nehmen. „Womit kann ich Ihnen dienen, junger Mann?“, fragte Jo und hustete. Sein langer, weißer Bart hüpfte bei jedem Keuchen auf seiner Brust, sein Kopf jedoch war völlig kahl und mit einigen Leberflecken überzogen. „Ich benötige… Antworten“, erwiderte Kakashi knapp. „Vielleicht wird es endlich Zeit, uns mal jemandem von außen anzuvertrauen…“, murmelte Jo leise und ergänzte, bevor Kakashi sich Gedanken zu diesen rätselhaften Worten machen konnte: „Es wird kein Zufall sein, dass Sie hier auftauchen, kurz nachdem unsere Regentin gestorben ist“. „Da haben Sie wohl Recht“, bestätigte Kakashi seine Vermutung förmlich. „Ich bin ein Abgesandter von Konoha, der in Erfahrung bringen soll, wie es in Kusa no Kuni weitergeht, und wenn nötig, beim Aufbau einer stabilen Regierung mit anpacken soll“. „Das wird so einfach nicht sein“. Der Lehnstuhl quietschte, als der alte Mann sein Gewicht verlagerte, um Kakashi besser ansehen zu können. „Rücken Sie mal ein Stück näher, mein Junge, so gut sind meine Augen nicht mehr“. Der maskierte Ninja gehorchte seiner Aufforderung und schob sich etwas näher mit seinem nicht gerade stabil erscheinenden Stuhl heran. „Ja, ich sehe schon, du hast vertrauenswürdige Augen, zumindest das eine, das ich sehen kann… Hier im Dorf wird nicht gern darüber geredet, aber was soll‘s…“, nuschelte Jo und ergriff mit seinen runzeligen, mit deutlich hervortretenden Adern überzogenen Händen nach denen seines Besuchers. „Wollen Sie die traurige Geschichte unseres Dorfes hören? Für die reicht mein Atem noch“. Kakashi nickte und Jo strich sich erfreut über den Bart, bevor er mit dem Erzählen begann. „In Kusagakure regierte seit jeher immer ein Ehepaar und niemals ein Mensch allein. Königin Nala, nach der unsere Königstochter benannt worden ist, und König Tosuke hatten gleichberechtigt das Sagen hier und entschieden niemals, ohne sich mit dem anderen beraten zu haben. Wir glauben an die Macht des Gleichgewichtes, an Ying und Yang, Tag und Nacht, Sonne und Mond und eben Mann und Frau. Dieses Dorf gibt es noch nicht allzu lang, doch seit Nalas und Tosukes Regentschaft wuchs und gedieh es wie jeder andere Ort auch. Das einzige, was ihm fehlte, war ein Nachfolger für das Königspaar. Umso größer war die Freude, als die beiden endlich eine Tochter bekamen, als sie die Blüte ihres Lebens bereits überschritten hatten. Sie nannten sie Rike, und gemäß der Tradition wurde sie mit dem gleichaltrigen Sohn einer Familie verheiratet, die das höchste Ansehen im Dorf genoss, kaum dass Rike alt genug war. Der Fortbestand der glücklichen Herrschaft Kusagakures war gesichert und es begann die Zeit der ausgelassensten Feste, die dieser Ort je gesehen hat. Womit jedoch niemand gerechnet hatte war, dass sich Rike verliebte… Jedoch nicht in ihren rechtmäßigen Ehemann, Takahiro, sondern dessen Bruder Hiroshi. Vorbei war es mit der Idylle, denn die Geschichte Kusagakures sieht eine Liebesheirat nicht vor und erst Recht keine Scheidung, nachdem ein Paar einmal den Bund der Ehe geschlossen hat. Aufgrunddessen geschah etwas Einmaliges – ein Bruder forderte sein eigen Fleisch um Blut zum Kampf um eine Frau auf. Für solch einen Fall existieren keine Gesetze, doch Takahiro sah sich in seinem Stolz beleidigt und willigte ein in der Annahme, dass er gegen seinen kleinen Bruder gar nicht verlieren könnte. Es kam wie es kommen musste und Hiroshi landete entwaffnet mit der Nase voran im Dreck. Auch wenn seine eigene Frau Takahiro nicht die gleichen Gefühle entgegenbrachte, liebte er sie doch von ganzem Herzen und hatte sich deshalb mit all seiner Leidenschaft in den Kampf geworfen. An der Leidenschaft seiner Frau änderte dies jedoch nichts… Zwei Jahre nach diesem Ereignis wurde Rikes Tocher geboren. Der Termin ihrer Zeugung jedoch musste zu einem Zeitpunkt gewesen sein, an dem der König für einige Wochen auf Reisen gewesen war. Zwar sah das Baby ihm ähnlich, dennoch wusste er, was es zu bedeuten hatte – sein Bruder und seine Frau hatten ihre Liebschaft nicht aufgegeben. Takahiro ertrug die Schmach und den Herzschmerz nicht, die ihm zugefügt wurden, und erhängte sich im gemeinsamen Schlafzimmer. Sie müssen wissen, dass die Dorfbewohner von all dem nicht viel mitbekommen haben. Sie wussten von der Liaison zwischen der Königin und ihrem Schwager, hielten jedoch überhaupt nichts von dem Ehebruch. Sie trauten sich allerdings nicht, ihre Regentin öffentlich zu verunglimpfen, und richteten deshalb all ihren Zorn auf ihren Liebhaber Hiroshi. Er habe ihr etwas unter das Essen gemischt, nachdem er von seinem Bruder öffentlich im Kampf besiegt worden war, und sie dadurch verführen können, womöglich hatte er sogar Takahiro umgebracht. Schließlich gelang es ihnen, Hiroshi aus dem Dorf zu vertreiben und zurück blieb die Königin, ein Mensch, der zum ersten Mal in der Geschichte Kusagakures allein regierte. Mit all der Professionalität, die sie aufbringen konnte, nahm sie die Geschäfte in die Hand und verschloss ihren Schmerz in ihrem Herzen. Entgegen aller Erwartung gab es keinen Einbruch in der Wirtschaft und den Einwohnern ging es besser denn je. Hiroshi jedoch konnte seinen ehemaligen Nachbarn, Freunden und allen anderen ihr Verhalten ihm gegenüber nicht verzeihen und schwor deswegen Rache. Worin diese Rache besteht, weiß niemand so genau. Ob er das Dorf zerstören will oder gemeinsam mit Rike verschwinden… Rikes Tod wirft jetzt natürlich neue Fragen auf“. Während der ganzen Geschichte hatte Kakashi sich kaum bewegt, um Jo keinen Anlass zu geben, sich zu unterbrechen. Es würde wirklich nicht mehr allzu lang dauern, bis er seine Augen für immer schloss. Erschöpft ließ sich dieser zurück in seinen Stuhl sinken und zog erneut kräftig an seiner Pfeife. „So ist das also gewesen…“, sagte Kakashi nachdenklich. Der Alte nickte nur erschöpft. „Aber woher wissen Sie das alles?“. Er seufzte tief, bevor er antwortete. „Ich bin der Onkel von Takahiro und Hiroshi“. Die Augen des Besuchers weiteten sich vor Erstaunen. „Und was ist ihre Ansicht zum Verhalten der Dorfbewohner?“. Ein tiefes Grollen erklang aus Jos Kehle, was er kurz danach als Lachen identifizierte. „Ich stehe auf der Seite von Vergebung und Verständnis, mein Junge, merken Sie sich das“. Kapitel 3: Let it be -------------------- Mechanisch bürstete Nala immer wieder durch ihre Haare, ohne darauf zu achten, was sie überhaupt tat. Sie konzentrierte sich zwar penibel darauf, ihre Hände mit irgendetwas zu beschäftigen, um nicht in Versuchung zu kommen, wertvolle Einrichtungsgegenstände in ihre Kleinteile zu zerschlagen, auf mehr aber auch nicht. Statt darüber nachzudenken, wie sie am besten vor das – beziehungsweise jetzt ihr – Volk trat und möglichst vertrauenserweckend und kompetent wirkte, ließ sie die Begegnung mit dem Ninja aus Konoha Revue passieren. Ein Dienstmädchen, das schon seit ihrer Kindheit für die frühere Königstochter zuständig war, hatte ihr zugeraunt, dass sein Name Kakashi Hatake lautete. Sein Name war Nala noch nie zuvor zu Ohren gekommen, im Gegensatz zu dem Ort Konoha, den sie mal besucht hatte, als sie gerade erst laufen konnte. Schließlich warf sie die Bürste beiseite und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Die Wut half ihr, die Trauer aufgrund des Todes ihrer Mutter zu verdrängen, doch sie wusste nicht, wie lang das anhalten würde. Außerdem ärgerte sie sich auch über sich selbst, da sie sich gegenüber einem erwachsenen Mann nicht gerade wie eine würdige Thronfolgerin verhalten hatte. Ihr war das Ganze unfassbar peinlich, aber Scham gehörte eigentlich nicht zu ihrem Gefühlsspektrum – sie war so erzogen worden, dass sie immer zu dem stand, was sie tat. Im Grunde war sie an die Anwesenheit älterer Männer gewöhnt und brachte ihnen den nötigen Respekt entgegen. Zwar konnte ihre Aufregung um das Verschwinden ihrer Mutter eine gute Entschuldigung darstellen, dennoch gab es ihr nicht das Recht, so mit einem Gast umzugehen. Allerdings war es auch nicht die feine englische Art von diesem Kakashi gewesen, sich so an sie heranzuschleichen. Wie konnte sie es nur ohne ihre Mutter schaffen, dieses Land zu regieren, ohne dabei zusammenzubrechen? Was hatte sie dazu gebracht, aus Liebe ihre eigene Tochter zu vernachlässigen? Dabei war der Mann, dem sie wie ein verliebter Teenanger nachgelaufen war, nicht einmal ihr rechtmäßiger Gatte und Nalas Vater! Der unglückliche Unfalltod des Königs verpflichtete sie eigentlich dazu, sich um das Land zu kümmern und nicht an erster Stelle um ihr eigenes Leben und ihre Liebschaften. Nalas Entschlossenheit, besser für das Land und vor allem ihren Heimatort, Kusagakure, zu sorgen, funkelte in ihren Augen, während sie die achtlos beiseite geworfene Bürste langsam aufhob und auf ihre Schlafzimmerkommode legte. Sie rief ihr Dienstmädchen, das ihr dabei helfen sollte, in das schwere, alte Gewand ihrer Mutter zu schlüpfen, das in den Farben des Frühlings gehalten war und das Wappen des Landes auf dem Rücken trug. „Sind Sie wirklich bereit?“, fragte die Frau und musterte Nala besorgt, doch diese winkte nur ab. „Habe ich eine andere Wahl?“. Ihr Gegenüber setzte zu einer Erwiderung an, doch Nala legte ihren Zeigefinger auf die Lippen. „Kein Wort mehr jetzt. Ich muss mich konzentrieren“. Mit einer tiefen Verbeugung zog sich die Zofe zurück und ließ die frischgebackene Königin mit ihren Ängsten allein. Die steile Falte auf ihrer Stirn verriet die Anstrengung, die sie das Nachdenken über die Situation kostete. Das Licht, das durch das hohe Fenster ihres Zimmers hereinfiel, deutete an, dass es noch eine Weile dauern würde, bis die Sonne unterginge. Auf dem Marktplatz musste reges Treiben herrschen, von daher bot sich ihr die ideale Gelegenheit, möglichst viele Menschen mit einer Ansprache zu erreichen. Ihr Blick fiel auf die Kette, die auf ihrem Bett lag, und dort unschuldig vor sich hin schimmerte. Mit einem tiefen Seufzer griff sie danach und legte sie sich um den Hals. Der Anhänger ruhte schwer und kalt in der Mulde in ihrem Hals und fühlte sich wie eine zusätzliche Belastung an. „Es wird Zeit. Vor sich herschieben nützt auch nichts mehr“, murmelte Nala vor sich und klopfte mit den Fingerspitzen an ihre Wangen, um etwas Röte in das ansonsten blutleere Gesicht zu treiben. Gemessenen Schrittes verließ sie anschließend den Raum, um mit aufrechtem Gang und gerecktem Rücken auf den Vorhang, der den Balkon vom Rest des Saales trennte, zuzumaschieren. Mit einem Kopf, der sich wie leer gefegt anfühlte, schob sie den roten Satinstoff beseite und trat hinaus ins Licht, um sich ihrer Verantwortung zu stellen. Nala strich sich mit ihrer zitternden Hand die Haare aus dem Gesicht, als sie kurz von der Sonne geblendet wurde. Danach suchte sie Halt an der Brüstung und nickte dem Glöckner zu, der sich im gegenüberliegenden Turm in Sichtweite befand, damit er an dem Tau zog, das die Glocke in Bewegung setzte. Dieser sah gerade auf das Treiben auf dem Marktplatz hinunter, fing jedoch ihren Blick auf und machte sich sogleich an die Arbeit. Da das Geläut seit jeher eine königliche Botschaft ankündigte, strömten kurz darauf immer mehr Menschen zu dem Fuße des Palastes, um sich anzuhören, was ihr Oberhaupt zu sagen hatte. Nalas Hals fühlte sich so trocken an wie die Wüste Sahara, als sie die riesige Menge sah, und sie wünschte sich, vorher noch etwas zu trinken mitgenommen zu haben. Allerdings war es jetzt wichtig, eine würdevolle Haltung zu bewahren, weswegen sie sich zusammenriss und ihren Blick über die Köpfe schweifen ließ, um etwas zu finden, womit sie sich ablenken konnte, bevor die Glocke verstummte. Instinktiv hielt sie nach Kakashi Ausschau, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken. „Auch egal“, sagte sie sich. „Da muss ich sowieso alleine durch. Auf andere kann man sich sowieso nicht verlassen." Schließlich schwang die Glocke ein letztes Mal hin und her. Der letzte Ton hallte in Nalas Kopf nach, doch endlich fand sie die Worte, die sie an ihr Volk richten wollte. „Liebe Einwohner Kusagakures“, begann die neue Königin mit belegter Stimme und räusperte sich, während sie den Gedanken daran, wie albern sie sicher aussah, zu verdrängen versuchte. „Leider habe ich euch hier zusammenkommen lassen, um euch zuallererst eine traurige Mitteilung zu machen. Unsere vorangegangene Königin, meine Mutter Rike, die schon seit einer halben Woche das Dorf offensichtlich verlassen hatte, wurde von Ninjas aus einem anderen Dorf tot aufgefunden. Natürlich erfüllt mich diese Nachricht selbst mit außerordentlich großer Trauer, jedoch besteht meine Pflicht als ihre Nachfolgerin darin, ihre Regierungsgeschäfte ungeachtet meiner Gefühle in die Hand zu nehmen“. An dieser Stelle holte Nala tief Luft, um neue Kraft zu schöpfen. Sie spürte, dass die Blicke aller Menschen auf sie gerichtet waren, manche bestimmt voller Tränen aufgrund des Verlustes. Ihre Mutter war trotz der Tatsache, dass sie ihr Volk im Grunde im Stich gelassen hatte, sehr beliebt gewesen. „Es werden Boten zu den anderen, kleineren Dörfer von Kusa no Kuni gesendet, welche die Neuigkeit verbreiten sollen. Ich werde mein Bestes tun, dass dieses Land weiterhin blüht und die Einwohner das Glück, hier zu wohnen, genießen. Verlasst euch ruhig auf mich. Ich bedanke mich für euer Vertrauen!“. Ihr Abgang wirkte eher wie eine Flucht, als sie mit wehendem Gewand in das Innere des Palastes verschwand, dennoch wurde er mit aufbrandendem Applaus und Jubel begleitet. Das Mädchen schniefte vor Rührung bei dem Gedanken daran, wie sehr die Menschen ihrem Oberhaupt die Treue hielten, doch als sie sich mit der Hand über die Augen wischte, rannte sie direkt gegen einen Widerstand. „Hey, immer langsam“, sagte jemand und hielt sie fest, damit sie nicht stürzte. „Kakashi Hatake!“, rief Nala überrascht, als sie den hochgewachsenen Mann erkannte und sprang vor Schreck einen Schritt zurück, wobei sie sich aus seinem Griff befreite. „Exakt“, antworte er und reckte den Daumen in die Höhe. „Kurze, aber gute Rede“. In den paar Sekunden hatte sich die blutjunge Königin wieder gesammelt und sah ihn von oben herab an. „Ich weiß. Schließlich kann ich es mir nicht leisten, mich zu blamieren“. Sie zog ein bisschen an ihrem Gewand, damit es Falten an den richtigen Stellen warf, und marschierte direkt an Kakashi vorbei. Als sie schon fast den Raum verlassen hatte und sich noch einmal umdrehte, merkte sie, dass er ihr nachsah. „Ich habe dem Dienstmädchen bereits befohlen, dir ein Zimmer herzurichten!“, teilte sie ihm kühl mit, während sie Halt an dem Türrahmen suchte. Kakashi bedankte sich höflich und wandte sich ebenfalls zum Gehen. „Warum folgst du mir?“, fragte sie entrüstet, als sie beide einträchtig nebeneinander durch den langen Flur liefen. Der Mann sah sie mit hochgezogener Augenbraue an und erwiderte: „Das ist meine Pflicht. Ich bin schließlich hier, um zu helfen“. „Danke für das Angebot, aber ich benötige keine Hilfe“, sagte Nala und beschleunigte ihre Schritte. „Ich habe mich gefangen und kann mit den Ereignissen umgehen. Du bist mein Gast und darfst mich besuchen, wenn du eine Frage hast, aber jetzt brauche ich meine Ruhe!“. Sie wollte ihm geradewegs die Tür des Arbeitszimmers, das nun ebenfalls ihr gehörte, vor der Nase zuschlagen, doch er schob schnell einen Fuß dazwischen. „Nicht so schnell. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dir halbwegs gut geht. Schließlich hast du deine Mutter verloren“. „Woher willst du wissen, dass ich mich verstelle?“, fragte das Mädchen grimmig. „Du weißt nämlich gar nicht, wie unser Verhältnis gewesen ist“. Entschlossen schob Kakashi Nala ins Zimmer und schloss die Tür hinter ihnen. „Hey, wie kannst du es wagen, mich herumzuschubsen? Ich bin die Regentin dieses Landes!“. „Und ich bin jemand, der eine Frage hat, und dich deswegen besuchen darf, wie du gerade selbst gesagt hast“, antwortete Kakashi und sah sich im Raum um. Er war in einem schlichten Beige gestrichen und der dunkle Holzfußboden knarrte jedes Mal, wenn man darauf trat. Ansonsten rahmten die Wände nichts ein bis auf einen Schreibtisch, zwei Stühle und mehrere Regale, in denen sich sorgfältig beschriftete Ordner aneinanderreihten. Kakashi trat ans Fenster und stellte fest, dass man von hier einen schönen Ausblick über die Bambushaine hatte und sogar Berge am Horizont erkennen konnte. „Was meinst du damit?“, riss ihn Nala aus seinen Gedanken, als sie sich mit verschränkten Armen auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch niederließ und wahllos nach ein paar Dokumenten griff, die darauf lagen. Sie begann darin zu lesen, wurde jedoch abgelenkt, als sich Kakashi ihr gegenüber niederließ. „Warum hast du so wenig Respekt vor deiner Mutter?“, fragte er nach ein paar Minuten angespannten Schweigens. „Das habe ich dir doch schon gesagt!“, reagierte sie brüsk. „Ich kann nicht verstehen, wie man seine eigene Tochter und die Pflichten des Regierens für einen Mann, der nichts als ein schändlicher Verbrecher ist, vernachlässigen kann“. „Bist du dir denn sicher, dass sie dich wirklich vernachlässigt hat und nicht andere Gründe sie zu dazu bewogen haben?“. Mit einem lauten Knall ließ das Mädchen den Papierstapel auf den Tisch fallen und zischte: „Was denn sonst? Sie ist schließlich nicht hier, um mir einen anderen Grund zu liefern!“. „Ich kann verstehen, dass es leichter ist, wütend als traurig zu sein“, meinte Kakashi, unbeeindruckt von ihrem Verhalten, und schlug die Beine übereinander. „Ist es nicht trotzdem besser, seine Gefühle zuzulassen, um sie irgendwann überwinden zu können?“. „Jetzt hör mir mal gut zu! Du weißt nichts, überhaupt gar nichts über meine Mutter und mich und wagst es, dich hier einzumischen? Sind alle Ninjas in Konoha so ungehobelt?“. Nala hatte sich von ihrem Stuhl erhoben und stemmte die Hände in die Hüften. In ihr brodelte es und es kostete sie viel Mühe, sich zu zügeln. „Beruhige dich. Ich behaupte ja gar nicht, alles zu wissen, deshalb frage ich dich ja. Warum bist du so außer dir?“. Er sah ihr unbeirrt in die Augen und langsam ließ sie sich wieder auf ihren Platz sinken, ohne ihrerseits den Blick abzuwenden. Doch danach legte sie ihre Arme auf den Schreibtisch und bettete ihren Kopf darauf, der sich nach diesem anstrengenden Tag unangenehm schwer anfühlte. Hinter ihrer Stirn pochte der Schmerz und sie spürte, wie sich etwas in ihrem Körper ausbreitete, das sie am liebsten verdrängen würde. Ehe sie sich versah, tropften Tränen erst langsam und dann immer schneller auf ihre Schreibtischunterlage. Nala wischte sie nicht weg, sondern schaute nur mit verzerrten Gesichtszügen, die den Kampf in ihr veranschaulichten, an die Wand. Kakashi streckte lediglich einen Arm aus, um ihr die Hand auf die Schulter zu legen. „Es ist okay. Lass es zu“, sagte er. „Lass mich einfach allein“, bat sie mit brüchiger Stimme und er gehorchte ihr. Das warme Gewicht auf ihrer Schulter verschwand und sie hörte die Tür ins Schloss fallen. Erst dann konnte sie ungehemmt ihrer Trauer freien Lauf lassen. Kapitel 4: Reden kann auch Gold sein ------------------------------------ Der Mond schien durch die breite Fensterfront, ließ das Bett, auf dem Kakashi mit hinter dem Kopf verschränkten Armen lag, jedoch völlig im Dunkeln. Er starrte den Baldachin des Himmelbetts an und ließ seine Gedanken in der Stille der Nacht kreisen. Hin und wieder war ein Eulenschrei zu hören, den er jedoch kaum wahrnahm. Er wurde nach wie vor nicht schlau aus der jungen Königin. Als er sie das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte, hielt er sie für ein nahezu verwahrlostes Mädchen, das für ihre Pflichten noch nicht alt genug war, und mit dem er viel Arbeit haben würde, was das Beibringen des Regierungsgeschäfts anging. Doch nach der Rede, die er vom Inneren des Saals aus verfolgt hatte, konnte er mehr Zutrauen zu ihr gewinnen, auch wenn ihr Verhalten sie wie ein arrogantes, verwöhntes Gör wirken ließ. Kurz darauf war ihm klar geworden, wie viel von dem Fassade war, was Nala den Menschen darbot. Sie war weder verwahrlost noch verwöhnt oder arrogant, die Unsicherheit und eine tiefe Traurigkeit hatten sie bloß fest im Griff. Die Ablehnung von Hilfe bewies nur ihren Stolz und ihren Drang nach Unabhängigkeit. Vielleicht fühlte sie sich aber auch einfach nur einsam und verhielt sich deshalb so abweisend, weil sie anderen Menschen nicht traute. Es war nichts Ungewöhnliches in der Ninja-Welt, früh erwachsen werden zu müssen, weshalb er kein Mitleid mit ihr hatte, aber ihre Art faszinierte ihn, auch wenn sie in dem einen oder anderen Gebiet sicherlich noch etwas Nachhilfe benötigte. Derlei Gedanken nachhängend riss ihn erst das leise Geräusch der Tür aus seiner Starre und er richtete sich sofort auf. Aus Reflex griff er gleich nach dem Kunai in seiner seitlichen Hosentasche, doch es war nur Nala, die wie eine Geistererscheinung auf der Schwelle stand und leicht verstört wirkte. Ohne ein Wort zu sagen, ließ sie sich auf dem in Mondlicht getauchten Fußboden nieder und sah ihn an. „Kann ich mit dir reden?“. Auf einen Schlag hellwach, nickte Kakashi und setzte sich neben sie in den Schneidersitz. Ohne Umschweife begann sie zu erzählen. Über ihren Schmerz, ohne Vater aufgewachsen zu sein, über ihre dennoch glücklich verlaufene Kindheit, über ihr Gefühl der Einsamkeit, darüber, ihrer Mutter nicht gut genug gewesen zu sein, über ihre Angst, ihrem Amt nicht gewachsen zu sein und über die Trauer, nicht ein letztes Gespräch mit Rike führen zu können. Nala redete ohne Unterlass und Kakashi hörte ihr zu, ohne ein Wort zu sagen. Es musste ihr viel Kraft gekostet haben, all das loszuwerden, worüber sie offenbar noch nie gesprochen hatte, und irgendwann schlief sie mitten im Wort ein, während sie sich auf dem Fußboden ausstreckte. Eine Weile beobachtete Kakashi ihre ruhigen Atemzüge und die langen Wimpern, die dunkle Schatten auf ihre bleichen Wangen warfen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich unter dem Gewand vom Tage, das sie offensichtlich nicht abgelegt hatte, was bedeutete, dass sie sich gar nicht erst zum Schlafen hinlegen wollte. Einige Haarsträhnen wiesen ein dunkleres Braun auf als die anderen, was daraufhin wies, dass sie feucht aufgrund der Tränen waren. Kurz entschlossen schob er einen Arm unter ihre Knie und mit dem anderen stützte er ihren Rücken, um sie hochzuheben und in sein Bett zu legen. Nachdem er sie zugedeckt hatte, zog er sich einen Stuhl heran und nickte kurz darauf ebenfalls ein. Am nächsten Morgen erwachte Nala als erste. Ihr war schummerig und sie hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Wo war sie? Wie war sie in dieses Bett gekommen? Dann erst erkannte sie Kakashi, der auf dem Stuhl saß und anscheinend noch schlief. Zumindest war sein Kopf auf die Brust gesunken. Sie sah an sich herunter und stellte fest, dass sie unter ihrem Gewand und der Decke in der Nacht ziemlich stark geschwitzt hatte. So leise wie möglich glitt sie unter dem Bettzeug hervor und machte sich auf den Weg ins Bad. Sanft schloss sie die Tür hinter sich und merkte nicht, dass Kakashi sie unter halb geschlossenen Lidern beobachtet hatte. „Verdammt, verdammt, verdammt“, fluchte sie, als sie sich im Spiegel betrachtete. Ihr Haar stand wie wild vom Kopf an und die verquollenen Augen sprachen Bände. So schnell sie konnte sprang sie unter die Dusche und stellte das heiße Wasser an, was ihr eine ideale Gelegenheit verschaffte, zu rekapitulieren, was letzte Nacht geschehen war. Deutlich erinnern konnte sie sich vor allem daran, wie sie unaufhaltsam von ihren Gefühlen überflutet wurde, als hätten Kakashis Fragen, die sowieso schon einen wunden Punkt getroffen hatten, die Schleusen bei ihr geöffnet. Bis tief in die Nacht hatte sie sich in ihrem Büro zusammengekauert und wie ein Schlosshund geheult, während sie fest der Meinung gewesen war, keine Gesellschaft zu wollen. Erst dann war ihr aufgefallen, wie sehr sie einen Gesprächspartner brauchte – es fühlte sich fast so an, als würde sie implodieren, wenn das so weiter ging. Deswegen hatte sie Kakashi aufgesucht. Offenbar tat es gut, sich alles von der Seele zu reden, denn trotz allem fühlte sich sich merkwürdig frisch und ausgeruht. Nachdenklich shampoonierte sie sich die Haare. Trotzdem musste sie heute die liegengebliebene Arbeit in Angriff nehmen. Vielleicht war es gar nicht so übel, eine erfahrene Hilfe zu haben, die ihr über den Anfang hinweghalf. Trotzdem widerstrebte es ihr, sich von jemandem unterstützen zu lassen, auch wenn ihr derzeitiger Zustand ihr deutlich aufzeigte, wie gut es ihr tat. In ein flauschiges, blaues Handtuch gehüllt und von dem Wasserdampf aus der Dusche umgeben kehrte sie in das Gästezimmer zurück. Kakashi saß nach wie vor auf dem Stuhl, las jedoch nun in einem orangenen Buch, dessen Titel Nala von ihrem Standort aus nicht erkennen konnte. Er schien ziemlich darin vertieft zu sein, denn ihr Eintreten hatte er gar nicht bemerkt. Was jemand wie er wohl las? Sicherlich keine leichte Lektüre. Erst als sie ihm forsch einen guten Morgen wünschte, sah er auf und ließ prompt sein Buch fallen. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte sie ernst und lief durch das Zimmer, eine Tropfspur hinterlassend, ohne sich von seiner Anwesenheit stören zu lassen. Sich am Hinterkopf kratzend hob der Ninja das Buch auf und murmelte etwas vor sich hin. Erst da konnte sie einen Blick auf den Titel erhaschen. „Flirtparadies?!“, fragte sie irritiert und zupfte an dem Handtuch. Er musste sich räuspern, bevor er ihr antworten konnte. „Äh… Ja, eins meiner Lieblingsbücher. Ich habe es schon einmal gelesen“. Angewidert rümpfte Nala die Nase. „Bist du etwa auch so ein Perversling? Ich habe schon von solchem Schund gehört." „Quatsch. Ist bloß gut geschrieben“, erwidert er und packte das Buch weg. Trotzdem schien er immer noch etwas zerstreut zu sein. „Ist was?“, fragte sie, die Hand auf dem Türgriff. Vehement schüttelte Kakashi den Kopf und hustete. „Na dann. Wir sollten am besten gleich loslegen“. Sein sichtbares Auge weitete sich und eine leichte Röte überzog den Teil seines Gesichts, der zu erkennen war. Mittlerweile hatte er sich erhoben und ließ seinen Blick ziellos durch den Raum schweifen, tunlichst vermeidend, sie anzusehen. „Womit?!“. „Na, mit der Arbeit, womit sonst? Ich gehe mir nur schnell etwas anziehen. Wir treffen uns gleich in meinem Büro“. Mit diesen Worten verschwand sie und ließ mit einem lauten Knall die Tür zufallen. Vielleicht würde das Kakashi endlich mal aus seiner Lethargie reißen, die ihn offenbar an diesem Morgen befallen hatte. Mit einem Schulterzucken suchte Nala ihr eigenes Schlafgemach auf und wühlte sich durch ihren Kleiderschrank, bis sie etwas Bequemes gefunden hatte. Heute würde sie die meiste Zeit in ihrem Arbeitszimmer verbringen, da konnte sie ruhig diese Aufmachung tragen. Sie band sich noch schnell die Haare zu einem Knoten zusammen und ließ das Handtuch über einem Stuhl hängen, damit es die Zofe nachher waschen konnte. Als die beiden sich erneut trafen, hatte Kakashi sich offensichtlich wieder gefasst. Jedenfalls wirkte er wieder so kompetent am Tag zuvor. Immer noch hatte keiner von ihnen Nalas Gefühlsausbruch und Rededrang erwähnt, aber die Arbeit hatte für sie momentan wirklich Vorrang. Sie musste ausnutzen, dass sie sich halbwegs ausgeglichen fühlte, und Kakashi schien sowieso nicht der Gesprächigste zu sein. Den ganzen Tag verbrachten die Königin und ihr Helfer damit, sich einen Überblick über die Akten zu verschaffen. Zwar hatten Rike und ihr Schriftführer keine Unordnung hinterlassen, dennoch war es nicht gerade leicht, sich durch all diese Dokumente zu wühlen. Die Sonne vollzog ihre Bahn über den Himmel und sie machten nur Pause, um etwas zu essen und zu trinken. Als schließlich der Abend hereinbrach, verabschiedete sich Kakashi mit dem Versprechen, ihr am nächsten Tag etwas über Organisation und Aufbau eines Landes beizubringen. Ohne noch viele Worte zu verlieren, verschwand Nala in ihr eigenes Zimmer und sogleich unter die Decke ihres weichen Betts. Es dauerte keine zehn Sekunden, da war sie vor Erschöpfung bereits eingeschlafen. Kakashi, der sich am anderen Ende des Flurs in dem Gästezimmer aufhielt, fand jedoch noch bis spät in die Nacht keinen Schlaf. Er wälzte sich hin und her und kam einfach nicht zur Ruhe, ohne den Grund dafür zu wissen. Weit und breit war keine Wolke zu sehen, nur die Sonne schien herab und wärmte alle, die sich draußen aufhielten, angenehm. Kakashi hielt sich bereits einen Monat in Kusagakure auf und hatte sich mittlerweile an seinen Alltag gewöhnt. Hin und wieder schickte er Botschaften an Tsunade und berichtete ihr, wie er mit seiner Arbeit vorankam. An diesem Tag überzeugte ihn Nala zu einem Spaziergang in der freien Natur, um ihm einen Ort zu zeigen, an dem sie als Kind oft gespielt hatte. Nach den ganzen Aufgaben und der Lernerei, die sie zu erledigen hatte, gönnte er ihr eine Pause und willigte ein. Kakashi hatte seine Weste abgelegt, weil die Wärme ihm sonst eher unangenehm erschien. Er streckte die Arme, bis es knackte, während er vor dem Palasteingang auf Nala wartete, die sich etwas Leichteres anziehen wollte. Aus den Augenwinkeln nahm er einen jungen Mann war, der mit undurchdringlicher Miene an einer Mauer lehnte. Das braunrote Haar fiel ihm in die Stirn und eine Nase war mit Sommersprossen gesprenkelt, was ihm ein offenes, freundliches Aussehen verliehen hätte, wären da nicht seine dunkle Augen gewesen, die einen hasserfüllten Ausdruck zur Schau trugen. Der Kerl wäre Kakashi überhaupt nicht aufgefallen, wenn er ihn nicht unverwandt mit einer spürbaren Intensität angestarrt hätte. Als Nala die Treppe hinuntergelaufen kam, war er für kurze Zeit abgelenkt, und als er wieder zur Mauer sah, war der Unbekannte verschwunden, so dass er die Königin nicht einmal fragen konnte, wer das gewesen sei. Kapitel 5: Dunkle Wolken am blauen Himmel ----------------------------------------- Eigentlich hätte sie das, was Kakashi ihr ankündigte, nicht überraschen dürfen. Dennoch hatte Nala sich derart an seine Anwesenheit gewöhnt, dass ihr die Nachricht seiner baldigen Abreise einen Schock versetzte. Zwar hatte sie sich von außen nichts anmerken lassen und bloß genickt, aber es kam ihr so vor, als hätte sich in dem Moment eine kalte Faust um ihr Herz geschlossen. Zweifel beschlichen die junge Frau, ob sie ohne seine Hilfe überhaupt auskommen würde, doch sie versuchte sich immer wieder einzureden, dass sie eigentlich von Anfang an auf sich allein gestellt sein wollte. Waren es wirklich nur Zweifel, die das Regieren betrafen? Sie konnte sich das andere unangenehme Gefühl nicht erklären und stürzte sich umso mehr in die Arbeit, um sich abzulenken. Bald spürte sie jedoch, dass sie sich nicht einmal konzentrieren konnte, während ihr die Dorfbewohner in Einzelgesprächen von ihren Problemen berichteten. Die Gedanken der Königin wanderten nämlich ständig zum vorherigen Tag, an dem sie mit dem Ninja aus Konoha einen Spaziergang unternommen hatte. Das Gluckern einer Quelle war das einzige Geräusch, das die beiden auf der Lichtung im Bambushain vernehmen konnten. Die meterhohen Pflanzen ließen das Sonnenlicht nur spärlich durch und zauberten riesige Schatten auf den staubtrockenen Boden. Nur am Rand der Quelle spross saftiges Gras, das mit größerem Abstand nur noch vereinzelt wuchs. Kein Lüftchen wehte an diesem heißen Tag, weswegen Nala und Kakashi die Kühle des Schattens genossen und sich im weichen Grün niederließen. Das war der Ort, an dem sie als kleines Kind immer mit anderen Mädchen aus dem Dorf gespielt und langsam, aber sicher ihre Ninjakünste ausprobiert hatte. Ihr ganzes Leben war sie im Grunde nur mit weiblichen Menschen in Kontakt gekommen, von den Dorfältesten mal abgesehen, fiel ihr in dem Moment auf, als sie Kakashi davon erzählte, der seine Arme gerade in das Wasser hielt. Doch jetzt hatte sie für Freundschaften sowieso keine Zeit mehr. Sie wollte ihr Leben dem Land widmen und alles andere dafür aufgeben. Wenn sie das Opfer brachte, war sie zumindest auch auf niemand anderen angewiesen. Schweigend, wie in jener Nacht vor ein paar Wochen, als sie ihm ihr Herz geöffnet hatte, hörte sich Kakashi das an. Erst nachdem sie mit einem tiefen Seufzer und entschlossenem Blick geendet hatte, erwiderte er: „Das halte ich für Schwachsinn“. Betroffen zuckte Nala zusammen. „Warum hältst du das für Schwachsinn? Es gibt nichts Ehrenwerteres als alles für das Volk zu geben!“. Nachdenklich schüttelte er seine Arme ab, sodass die Tropfen nur so umher flogen. „Ohne Freunde kommst du nicht weit. Irgendwann wirst du nichts mehr haben, was du für das Volk geben kannst, weil du nämlich völlig leer sein wirst“. „Ich brauche niemanden!“, rief Nala entschieden. „Das macht nur schwach. Ich merke es doch, nachdem ich meine Mutter verloren habe und im Grunde niemals einen Vater besessen habe!“. An dieser Stelle überlegte Kakashi, ob er ihr erzählen sollte, was er von dem Alten gehört hatte, doch er zögerte. Er wollte zuerst persönlich mit dem aus dem Dorf Verstoßenen reden, bevor er etwas in der Richtung unternahm. Des Weiteren war noch nicht geklärt, weshalb gerade ihm, einem Fremden, diese Geschichte preisgegeben wurde. Außerdem wirkte Nala zurzeit so gestärkt, dass er sie nicht unnötig verunsichern wollte. Stattdessen berichtete er ihr von der Zeit, als er mit seinen früheren Kameraden Rin und Obito durch solch einen Bambushain gereist war und dort angegriffen wurde. Aufmerksam sah ihn Nala währenddessen an, den Kopf auf die Hände gestützt. „Du vermisst sie sehr?“, fragte sie leise. Das Gesicht des Ninjas verriet keine Regung, lediglich das leichte Wippen seines Fußes sagte etwas über seine Gefühle aus. „Natürlich. Aber mein Leben geht weiter und die beiden hätten nicht gewollt, dass ich es mit Trauern verbringe. Ich habe weitere Menschen gefunden, die mir wichtig geworden sind, und genau so wird es dir auch gehen“. An dieser Stelle konnte sie ein Lächeln unter seiner Maske erahnen und ihre Wangen begannen zu glühen. Sie waren sicher scharlachrot angelaufen. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, schlug sie vor, einen kleinen Übungskampf auszutragen. Bereitwilig stimmte er zu und sprang sofort auf die Beine. Der Mann und die beinahe um einen Kopf kleinere Frau rangen noch bis das Abendrot den Himmel überzog und kehrten erst dann erhitzt, aber zufrieden zum Palast zurück. Nala presste Daumen und Zeigefinger an der Nasenwurzel zusammen, um sich zur Vernunft zu rufen. Sie war einen Blick auf die große, mit römischen Zahlen bedeckte Uhr, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Vorher hatte sie im Elternschlafzimmer gehangen, doch ihrer Meinung nach passte sie besser an den Ort, wo sie arbeitete. Einen Bewohner musste sie noch empfangen, dann konnte sie mit Kakashi, der sich wohl noch im Dorf rumtrieb, zu Abend essen. „Herein!“, rief sie und richtete sich auf, um Haltung zu bewahren und aufmerksam zu wirken. Das Erste, was ihr auffiel, war ein dichter, roter Haarschopf. Er leuchtete geradezu im warmen Licht der Deckenlampe und zog ihren Blick fast schon magisch an. Sanft schloss der Mann, der wohl höchstens ein paar Jahre älter war als sie, die Tür hinter sich. Irgendwie gelang es ihm trotz seiner Schlaksigkeit Anmut auszustrahlen, während er nach einer tiefen Verbeugung vor ihr Platz nahm, ohne sie aus den Augen zu lassen. Auch wenn er einen betont offenen Ausdruck zur Schau trug, erreichte die Wärme, die sein Lächeln ausstrahlte, nicht seinen Blick. „Hallo Nala. Schön dich wiederzusehen“, begrüßte er sie mit leiser Stimme. Ein wenig aus der Fassung geraten zupfte die Angesprochene an einer ihrer Haarsträhnen. „Entschuldigen Sie, kennen wir uns?“. „Natürlich. Erkennst du deinen Verlobten nicht mehr?“. Beinahe wäre ihr die Kinnlade heruntergeklappt, so geschockt war sie von seiner Antwort. Rechtzeitig riss sie sich zusammen und atmete erst einmal tief durch. „Wie kommen Sie denn auf solch eine Idee?“. Dass er sie duzte, überging sie geflissentlich. Er lachte, jedoch hatte es rein gar nichts Fröhliches an sich. „Ich bin Azu. Derjenige, dem du schon versprochen warst, als du noch in den Windeln lagst“. Angestrengt kramte die Königin in ihrem Gedächtnis, doch sie fand immer noch keine Verbindung zu ihm. „Tut mir leid, ich erinnere mich nicht an dich. Wenn es da irgendwann eine Abmachung getroffen worden ist, dann gewiss nicht mit meinem Einverständnis“, antwortete sie schließlich mit einem leicht scharfen Unterton. „Das ist eine Abmachung, die schon länger existiert als dieses Dorf“, betonte er mit immer noch gefährlich leiser Stimme. Seine dunklen Augen ließen nach wie vor kein Gefühl erkennen. Nachdem sie bloß ratlos dreinblickte, fuhr er, schon etwas ungeduldiger, fort: „Die Königin heiratet den Spross des einflussreichsten Clans des Dorfes. Das wäre dann wohl ich, da mein Vater Oberhaupt der reichsten und angesehensten Familie hier ist. Schließlich ist er Inhaber der meisten Geschäfte. Deine Mutter hat das so gewollt“. „Von dieser Abmachung habe ich noch nie gehört und solange ich lebe wird sie auch keine Geltung erlangen. Schließlich habe ich jetzt hier das Sagen!“, erwiderte sie zornig, doch er zuckte bloß mit den Schultern. „Du bist mein. Das Hinauszögern wird auch nichts mehr helfen. Wir sehen uns bald wieder“. Ehe Nala sich versah, war sie auch schon wieder allein im Raum. Lediglich die ins Schloss fallende Tür verriet, dass eben noch eine zweite Person dort gewesen war – eine, die etwas Diabolisches an sich hatte. Draußen knallte der Mann, der sich Azu nannte, mit dem Kopf gegen die Wand, bevor er überhaupt nur einen klaren Gedanken fassen konnte. Über seinen Hals strich die Klinge eines Kunais, das von einer Hand gehalten wurde, die einem maskierten Mann gehörte. Überrascht zog der Rothaarige die Augenbrauen hoch. Es war der, den er bereits vor dem Palast gesehen hatte. „Du liegst falsch, wenn du glaubst, irgendein Anrecht auf sie zu haben“, murmelte der Ninja in sein Ohr. „Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst oder sie zu irgendetwas zwingen willst, drehe ich dir den Hals höchstpersönlich um, klar?“. Hasserfüllt starrte Azu ihn an und presste die Lippen zusammen. Einen Herzschlag später war die Erscheinung schon wieder verschwunden und einen Moment lang fragte er sich, ob er nicht vielleicht doch bloß geträumt hatte. Doch der Kratzer, aus dem ein einsamer Blutstropfen rann, sprach Bände. Mit einer energischen Handbewegung wischte er ihn weg. Zurück in seinem Schlafzimmer ballte Kakashi seine Hände zu Fäusten. Er konnte sich nicht erklären, weshalb er derart die Beherrschung verloren hatte und sich in Angelegenheiten einmischen musste, die ihn gar nichts angingen. Allerdings spürte er, dass von diesem Kerl eine Gefahr ausging, die er nicht genauer bestimmen konnte. Langsam löste er die verkrampften Finger und beruhigte sich mit einer Methode, die man als Akademieschüler bereits beigebracht bekam. Nachdem er ein paar Mal tief durchgeatmet hatte und wieder klar denken konnte, versuchte er die Situation neutral zu analysieren. Er schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Diese Tradition, von dem dieser Typ namens Azu gesprochen hatte, gab es wirklich, schließlich war ihm das selbst bereits zu Ohren gekommen. Wenn Nala ihn zum Mann nehmen möchte, machte er sich gerade unnötig Gedanken. Da sie allerdings ihre Ablehnung bereits kundgetan hatte, war es seine Aufgabe als ihr Helfer, ihre Entscheidung durchzusetzen, wenn derjenige es nicht akzeptieren wollte. Oder etwa nicht? Ging das über seine Verpflichtung hinaus? Er fand auf seine Fragen keine Antworten. Egal wie er es drehte und wendete, sein für ihn untypischer Gefühlsaufbruch ließ sich nicht rational erklären. Zum Glück würde er diese Mission bald abschließen und zu seiner täglichen Routine zurückkehren. Trotz dieser scheinbar zufriedenstellenden Aussicht fühlte er sich unwohl, als Nalas Stimme an sein Ohr drang, weil sie ihn zum Essen rief. Kapitel 6: Aus der Ferne ------------------------ Wie alles, was man so lange wie möglich hinauszögern möchte, kam der Zeitpunkt des Abschieds recht schnell. Wirtschaft und Politik des Landes standen auf soliden Füßen, obwohl Nalas mangelnde Erfahrung in manchen Bereichen noch deutlich zu Tage trat. Dennoch traute Kakashi ihr zu, von nun an allein zu agieren, wobei ihr das Wohlwollen der Dorfbewohner sicherlich half. Die Verabschiedung fiel trotz der vielen Tage, die sie miteinander verbracht hatten, ziemlich kühl aus. Keiner von beiden schien so recht zu wissen, was er sagen sollte, deswegen beließen sie es bei einem Händedruck, Dankesworten und Erfolgswünschen. Nachdem Nala mit gemischten Gefühlen und betrübtem Gesichtsausdruck in ihren Palast zurückgekehrt war, suchte Kakashi schnurstracks den Imbiss auf, bei dem er zu Beginn seiner Mission einen Sake getrunken hatte. Den Gast, der bereitwillig Informationen preisgegeben hatte, fand er dort nicht vor, aber derselbe Wirt stand wieder hinter dem Tresen. An diesem Tag bestellte der Ninja nichts, stattdessen wandte er sich direkt an den Mann, der gerade Schüsseln in das Spülwasser tauchte. „Entschuldigen Sie“, begann Kakashi und der Wirt drehte sich um. „Ah, Sie sind es. Na, Sie scheinen Ihren Freund wohl länger besucht zu haben? Oder sind Sie zwischendurch nach Hause gereist?“. „Ersteres. Aber ich bin eigentlich nur noch einmal hierhergekommen, um Sie zu fragen, weshalb Sie einem Fremden so bereitwillig interne Informationen anvertraut haben“. Erst blickte der Angesprochene verwirrt drein, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Ach, das meinen Sie! Im Grunde haben wir Ihnen doch gar nichts erzählt. Wir haben Ihnen eigentlich nur beschrieben, wie Sie Jo finden können“. Rasch rutschte der Ninja auf einen der freien Hocker. „Aber schließlich hätte ich diese Information auch zu Ihrem Nachteil verwenden können“. Der nahezu glatzköpfige Mann ließ ein grollendes Lachen ertönen. „Dieser Verbrecher, der offenbar unsere vorherige Königin getötet hat, ist unser Nachteil. Ich glaube nicht, dass Sie uns noch etwas Schlimmeres antun können“. „Aber wenn Ihnen die Geschichte von Jo bekannt ist, weshalb bezeichnen Sie den Mann dann noch als Verbrecher? Für mich klingt es eher unwahrscheinlich, dass er seine Geliebte töten würde“. Abwehrend schüttelte der Einwohner seinen Kopf. „Der Alte kann erzählen, was er will, der ist verrückt. Ihm glaubt doch keiner. Außerdem dachte ich, dass Sie selbst den Schluss daraus ziehen würden, dass seine Version der Geschichte eher nach einem Märchen klingt“. „Warum haben Sie mir dann Ihre Version nicht selbst erzählt?“, fragte Kakashi interessiert, ohne sich von den Zweifeln seines Gegenübers beeindrucken zu lassen. Gleichgültig zuckte dieser mit den Schultern. „Die Grundzüge stimmen ja. Bloß seine Deutung der Ereignisse nicht. Er ist eigentlich der einzige, der noch darüber spricht, die negativen Seiten packt man hier nicht so gern aus. Natürlich kocht es jetzt wieder hoch, da unsere Königin ermordet wurde, aber das wird eher in kleinen Grüppchen diskutiert und nicht groß aufgezogen“. „Aber es heißt doch, dass ihre Mutter in den hier Ausgestoßenen verliebt war und von ihm getötet wurde? Dann muss an Jos Version doch etwas Wahres dran sein – nämlich die Liebe der Königin zu einem anderen.“ „Nein, nein, da liegen Sie falsch mein Junge. Wo haben Sie das denn gehört? Die Königin ist ihm gefolgt, um ihn zur Strecke zu bringen und endgültig Rache zu nehmen für den Tod ihres Mannes. Ich bin mir sicher, dass dieser Nukenin gedroht hat, selbst das Ruder hier übernehmen zu wollen. Wer weiß, was in dessen Kopf vorgeht“. Nachdenklich bedankte sich der Bewohner Konohas für die Informationen und wollte schon gehen, da fiel ihm noch etwas ein. „Warum sagt ihr Königin Nala eigentlich nichts davon?“. „Wir wollen Unglück von dem Mädchen fernhalten“, erwiderte der Wirt und stellte die abgewaschenen Schüsseln in das Regal, während er ihm den Rücken zukehrte. „Sie mag zwar etwas kratzbürstig sein, aber noch mehr Verwicklungen kann sie sicher nicht gebrauchen, sonst wird alles noch schlimmer. Das ist alles zum Wohle des Landes. Außerdem dachten wir, dass ihre Mutter es erklären würde, aber da sie es nicht getan hat, hatte sie bestimmt ihre Gründe“. Kakashi bedankte sich erneut und ließ den Mann allein mit seiner Arbeit zurück. Die Nacht war hereingebrochen, als er durch die Bambushaine lief und Meter um Meter des Rückwegs nach Konoha zurücklegte. Fast schon mechanisch wich der den Pflanzen aus, die seinen Weg kreuzten. Seine Gedanken kreisten immer noch um Nala, doch er hatte beschlossen, dass ihn das Ganze nichts anging. Seine Mission war beendet und mit allem, was noch kommen würde und möglicherweise ungeklärt war, würde die Königin selbst zurechtkommen. Während ihrer Lernzeit hatte sie sich zusammengerissen und das Beste aus sich herausgeholt. Ihre Allüren, vor allem was Arroganz betraf, konnte sie weitgehend ablegen, während sie sich um die täglichen Aufgaben kümmerte und dabei mit anderen Menschen in Kontakt kam. Kakashi konnte ziemlich zufrieden mit dem sein, was sie geleistet hatte. Sicher würde das Mädchen einmal eine anständige Königin abgeben. An den Mann namens Azu hatte er seit ihrer damaligen Begegnung vor Nalas Arbeitszimmer kaum noch einen Gedanken verschwendet. Wenn er ihn auf der Straße gesehen hatte, hielt er sich immer ziemlich bedeckt und erweckte nicht den Anschein, etwas anderes im Sinn zu haben als seinem Vater bei dessen Geschäften zu helfen. Trotzdem machte es ihm zu schaffen, dass sich Nala insbesondere im Umgang mit Männern noch viel zu naiv verhielt. Der Abend, an dem sie wieder einmal ungeniert im Handtuch vor ihm rumspaziert war, kam ihm in den Sinn. Kakashi schlenderte gerade durch den Korridor, um draußen ein paar Übungen durchzuführen und seinen Puls ein bisschen hochzutreiben, da passierte Letzteres schon aus einem ganz anderen Grund, als er um die Ecke kam. Die Königin stolzierte ein paar Meter vor ihm herum, genau wie an jenem Morgen mit nichts als einem Handtuch bekleidet. Sie schien ein anderes Bad benutzt haben als das, was an ihr Schlafzimmer angrenzte. Ein Räuspern des Ninjas ließ sie erschrocken zusammenzucken, sodass sie ihr Handtuch festhalten musste, damit es nicht herunterrutschte. Dennoch drehte sie sich ohne rot zu werden herum und warf ihm bloß einen überraschten Blick zu. „Oh, Kakashi. Jetzt hast du mir aber einen Schrecken eingejagt“. „Bist du dir sicher, dass es eine gute Idee ist, hier fast nackt entlang zu laufen?“, fragte er, während er sich Hilfe suchend umsah. Ihre braunen Haare lagen schwer auf ihren Schultern und sonderten Tropfen ab, die ihren Rücken herunterliefen. Die kurzen Zehen an ihren schmalen Füßen wirkten kindlich und gruben sich in den Teppichboden. Hätte Kakashi den Blick nicht betont abgewendet, wären ihm vereinzelte Sommersprossen auf ihrer Nase aufgefallen, ganz zu schweigen die langen Wimpern. Allerdings bemühte er sich, all das nicht wahrzunehmen. „Ist dir nicht bewusst, dass das manche Menschen… äh… aufreizend finden und ausnutzen könnten?“. Daraufhin lachte Nala nur ungläubig. „Als ob mich jemand auf diese Art und Weise ansieht. Schließlich bin ich nicht so gut ausgestattet wie andere Frauen. Nicht, dass mir das was ausmachen würde, ich möchte dir bloß verdeutlichen, dass du dir unbegründet Sorgen machst“. Sie winkte bloß ab und setzte ihren Weg fort, ohne ihm eine Möglichkeit zu geben, etwas darauf zu antworten. Kakashi schüttelte über ihre Unbedarfheit und ihr Selbstbild nur den Kopf. Er konnte nicht übersehen, wie grazil ihre Bewegungen wirkten und welch entspannten und gelösten Eindruck sie machte. Ein Bild, das er mit ihrer ersten Begegnung nicht in Einklang bringen konnte. Es wurde langsam gefährlich. Man durfte sich in nichts verwickeln lassen, was keine Zukunft hatte, und er war auf dem besten Weg dahin. Prompt verschluckte er sich als Reaktion auf das Bild, das vor seinem geistigen Auge erschien, und bekam einen Hustenanfall. Nach Atem ringend blieb er stehen und stütze sich mit den Händen auf seinen Knien ab. Die Rückkehr nach Konoha war wirklich längst überfällig. Als er sich wieder aufrichtete, war er plötzlich nicht mehr allein. Jemand hatte sich aus der Dunkelheit geschält und war quasi aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht. Zum Zeichen, dass sie unbewaffnet war, hob die Person die Hände. Schon allein aus Reflexgründen aktivierte Kakashi sein Raikiri. In dessen strahlend blauweißem Licht konnte er die Gestalt besser erkennen. Ein Mann mit markanten Gesichtszügen, deren Mitte eine Hakennase bildete, stand vor ihm und fixierte ihn. Am Leib trug er lediglich ein graues Hemd und eine weite, braune Hose, die er mit einem Seil um seine Hüften befestigt hatte. „Kakashi… Hatake?“, fragte er mit rauchiger Stimme. Der Ninja aus Konoha ließ die Hand nicht sinken. „Wer will das wissen?“. „Mein Name ist Hiroshi. Ich komme in friedlicher Absicht“, erklärte er mit besorgtem Blick auf das Raikiri. „Es heißt, du hast die vorherige Königin dieses Landes umgebracht. Dann soll ich dir wirklich glauben, dass du nicht feindlich gesinnt bist?“. Kakashis Augen verengten sich zu Schlitzen. Er provozierte ihn absichtlich, um ihm die Wahrheit zu entlocken, doch anscheinend war das überhaupt nicht nötig. „Genau deswegen möchte ich mit dir sprechen“. Der maskierte Mann nickte langsam und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, voraus zu laufen. Dicht hintereinander rasten sie durch die Dunkelheit, bis sie an einen Ort gelangten, wo das Mondlicht ungehindert die Erdoberfläche erreichte. Währenddessen wechselten sie kein einziges Wort und Kakashi achtete nach wie vor auf jede geringe Bewegung, die der Mann, der sich Hiroshi nannte, machte. Nur weil er nicht glaubte, dass derjenige Böses will, hieß das nicht, dass er ihm bedingungsloses Vertrauen entgegenbrachte. Erst nachdem Hiroshi Platz genommen hatte, folgte er seinem Beispiel. Kaum hatte er eine bequeme Stellung eingenommen, begann der Geliebte von Nalas Mutter wie ein Wasserfall zu reden. Seine Stimme kratzte ein wenig, als hätte er sie länger nicht benutzt – was vermutlich auch der Fall war. „Ich habe dich die ganze Zeit beobachtet, schon seitdem du deine Mission in Kusagakure angefangen hattest. Nachdem dir mein Onkel die Geschichte des Dorfes erzählt hatte, war ich bei ihm zu Besuch gewesen. Selbstverständlich heimlich und in tiefster Nacht. Ich erläuterte ihm die Umstände, wie Rike gestorben ist, und er erwähnte daraufhin dich, weil er in dir eine Möglichkeit gesehen hatte, eine Verbindung zu meiner Tochter herzustellen. Es treibt mich fast in den Wahnsinn, dass ich mich ihr nicht offenbaren kann. Natürlich ist mir bewusst, was die Menschen über mich reden, und dass sie meinen Bruder immer noch für ihren Vater hält. Ich bin nicht dumm, sie würde mir bestimmt nicht glauben, wenn ich versuchen würde, ihr alles zu erklären. Aber wenn du mir hilfst…“. Die Pause, die Hiroshi zum Atem holen brauchte, nutzte Kakashi aus. „So einfach ist das nicht. Warum glaubt Jo, also dein Onkel, überhaupt, dass ausgerechnet ich dir behilflich sein könnte?“. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute den verwahrlost wirkenden Mann abwartend an. „Dein Ruf ist weithin bekannt, Kopierninja aus Konoha. Natürlich haben Jo und ich schon von dir gehört. Du bist ein verantwortungsbewusster und intelligenter Mensch und, was am allerwichtigsten ist, du hast einen guten Draht zu Nala“. „Was nicht heißt, dass ich diesen Draht ausnutzen werde, um mich in Angelegenheiten einzumischen, die für mich nicht von Belang sind. Meine Mission ist beendet und ich muss zurück, um für andere Aufgaben bereit zu stehen“. Hiroshi warf sich vor ihm in den Staub, was in Kakashi jedoch keinerlei Gefühlsregung auslöste. „Ich flehe dich an, bitte hilf mir!“. „Setz dich auf. Verrat mir lieber, was du mit Rike angestellt hast. Nala ist übrigens ziemlich enttäuscht von ihrer Mutter“. Eine Weile sagte keiner von ihnen etwas. Der Bruder des Königs blieb stumm, aber Tränen tropften ihm aus den Augen und er wischte sie mit dem Ärmel seines schmutzigen Hemdes weg. Erst dann begann er mit brüchiger Stimme zu erzählen. „Rike ist eine schwache Frau. Ganz anders als Nala. Sie hat es damals schon nicht geschafft, den Kampf aufzunehmen und auf unserer Beziehung zu bestehen, und jetzt hat sie es nicht mehr durchgehalten, auf diese Weise weiterzuleben. Sie konnte sich einfach nicht durchsetzen und ertrug den Schmerz nicht mehr, den sie anderen Menschen angetan hat – ihren Eltern, ihrem rechtmäßigen Gatten und auch mir. Im Grunde litt sie schon, seitdem Takahiro sich umgebracht hatte, doch sie konnte es zum Wohle des Volkes gut verbergen. Innerlich zerbrach sie allerdings daran, vor allem als ich das Ganze büßen musste, da ich zum Sündenbock gemacht wurde. Als Nala alt und reif genug war, ihre Nachfolgerin zu werden, beschlossen wir beide, gemeinsam Suizid zu begehen, um unser Leid zu beenden und gleichzeitig mit der Regel zu brechen, dass die Eltern das Kind dazu verpflichten, den angesehensten Spross im Dorf zu heiraten. Doch das Ganze ging schief“. Hiroshi zog kräftig die Nase hoch. Seine Hände fingen an zu zittern, als er an jenen Tag dachte. „Sie hat mir ein falsches Mittel gegeben! Rike selbst nahm das Gift ein, um diese Welt zu verlassen, und mir gab sie eine komplett harmlose Flüssigkeit, die sich äußerlich rein gar nicht von der tödlichen unterschied! Ehe das Gift seine Wirkung entfaltete, gestand sie mir, was sie getan hatte…“. Sein Blick verschwamm, als wäre sein Körper nicht in der Gegenwart, sondern kniete wieder vor seiner Geliebten, die ihn schwach anlächelte. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du mit mir stirbst, sagte sie mir. Ich solle stattdessen die Pflicht erfüllen, die eigentlich ihr zugedacht war, indem ich, wenigstens aus der Ferne, über unsere Tochter wache. Ich sei der Starke von uns beiden. Dann sollte ich sie allein lassen und mich so weit wie möglich von dem Ort entfernen, damit man mich nicht erwischte und verdächtigte, ihren Tod aktiv verursacht zu haben.“. Eine Wolke schob sich vor den Mond und verbarg Hiroshis von Leid und Schmerz gezeichnetes Gesicht vor Kakashi. Er hörte nur vereinzelte Schluchzer und spürte, wie ihn Mitleid überkam. Allerdings nicht für Hiroshi und Rike. „Wie könnt ihr Nala nur ihrem Schicksal überlassen? Erst die Mutter, die es nicht einmal für ihre eigene Tochter schafft, ihr Leben in den Griff zu bekommen oder zumindest mit ihr darüber zu reden, und dann der Vater, der ebenfalls nicht seinem Natur gegebenen Auftrag nachkommt, nämlich dann wenigstens die Rolle des Elternteils zu übernehmen! Wie kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren, hier draußen herumzuschleichen, während Nala mit ihrem Kummer in diesem für sie viel zu großen Palast allein ist und nichts von allem weiß? Für sie bist du bloß ein Nukenin, dem ihre liebestolle Mutter nachgelaufen ist und der sie dann ermordet hat, weil er selbst die Herrschaft des Landes an sich reißen wollte! Die anderen Dorfbewohner hingegen glauben, Rike wollte dich zur Strecke bringen und du hättest sie erwischt! Klär das doch endlich auf, ein für alle Mal!“. Bestürzt erhob sich Nalas Vater bei diesen Vorwürfen. Wild gestikulierte er mit den Händen, während die Tränen immer noch ungehindert über sein Gesicht liefen. „Ich weiß, dass ich mich falsch verhalten habe. Ich kann es nicht wieder gutmachen, aber ich habe es einfach nicht geschafft, mich aufzuraffen, nachdem Rike dorthin gegangen ist, wohin sie mich ihr nicht folgen ließ. Natürlich hätte ich mich auf eine andere Art und Weise töten können, aber schließlich habe ich ihr versprochen, unsere Tochter aus der Ferne zu beobachten! Ich habe eine Weile gebraucht, um den Willen dazu zu entwickeln“. „Außer der Ferne beobachten?“. Kakashi schnaubte, nachdem er ebenfalls aufgestanden war. „Aus der Ferne beobachten hilft Nala nicht weiter. Sie braucht jemanden, der sie mit seiner körperlichen Anwesenheit unterstützt“. „Deswegen bitte ich dich, mir zu helfen, meinen Auftrag auszuführen“. Eine letzte Träne fiel zu Boden und Hiroshi biss sich fest auf die Lippen. „Gut“, willigte Kakashi ein. „Ich tue es jedoch weder für dich noch für Rike, sondern für Nala“. Kapitel 7: Ein Schritt in die andere Richtung --------------------------------------------- Trotz seines Versprechens, bei der Vermittlung zwischen Hiroshi und Nala zu helfen, kehrte Kakashi erst einmal nach Konoha zurück, um sich das Einverständnis der Godaime zu holen und noch eine Nacht über seine Entscheidung zu schlafen. Als er Tsunade in ihrem Büro aufsuchte und den Abschlussbericht seiner Mission abgab, bat er sie sogleich, noch einmal in eigener Sache (bzw. Hiroshis) nach Kusagakure zurückzukehren, nachdem er sie über die Situation aufgeklärt hatte. Das Oberhaupt Konohagakures hatte nichts dagegen einzuwenden, musterte ihn jedoch erst einmal von oben bis unten, den rechten Zeigefinger nachdenklich gegen ihr Kinn tippend. „Irgendetwas ist doch bei dir im Busch… Aber was?“, murmelte sie schließlich, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Durch ihre eingehende Betrachtung in Verlegenheit gebracht, rieb sich Kakashi den Nacken. „Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen“, wehrte er ab, doch Tsunades Gesicht hellte sich plötzlich auf und sie schnippte mit den Fingern. „Ich hab’s! An dem Mädchen liegt dir wirklich etwas, habe ich Recht?“ Ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen, ließ der ihr unterstehende Ninja die Hand sinken. „Wie kommen Sie denn auf diese Idee?“ „Weibliche Intuition!“, erwiderte die Hokage grinsend und scheuchte ihn mit einer Handbewegung aus dem Raum. „Nun geh schon, aber überlege dir bitte vorher genau, was du erreichen möchtest!“ Mit dieser rätselhaften Aussage in den Ohren machte sich Kakashi endlich auf den Weg. Mittags traf er, kurz bevor er die Hauptstraße betrat, die direkt in das Dorf führte, auf Hiroshi, der ihn dort wie verabredet erwartete, um Anweisungen entgegen zu nehmen. Der Sommer hatte die Gegend fest im Griff und Kakashi musste sich immer wieder den Schweiß von der Stirn wischen. Seinem Gegenüber ging es in der Hinsicht allerdings nicht besser, insbesondere weil er immer noch die Kleidung trug, die er bereits bei ihrem ersten Treffen angehabt hatte, die da schon vor Schmutz gestarrt hatte. Ohne viele Worte zu verlieren wies er Nalas Vater an, im Hain zu warten, bis er ihn abholte, was sich möglicherweise bis zum Abend hinzog, je nachdem, wie die frischgebackene Königin die Neuigkeit aufnehmen würde. Eifrig nickte Hiroshi – man sah ihm an, dass er für diese Chance wohl alles getan hätte. In der Nacht, in der Kakashi zum ersten Mal nach längerer Zeit wieder in seinem eigenen Bett übernachtete, kniete Nala auf ihrem und starrte wie hypnotisiert auf die Holztür, als erwarte sie, dass sie sich jeden Moment öffnen könnte. Sie wollte es sich nicht so richtig eingestehen, aber sie vermisste ihren Helfer fürchterlich. Ihre Zofe schien das gemerkt zu haben, denn sie schlich beinahe rund um die Uhr geduckt um ihre Herrin herum, als erwarte sie einen Gefühlsausbruch oder etwas Ähnliches. Die junge Frau, die nach ihrer Großmutter benannt worden war, trug ein berüschtes, weißes Nachthemd, das sich um ihre Knie bauschte. Das Kleidungsstück lief in die Gefahr, von ein paar Blutstropfen befleckt zu werden, weil sie sich mit größter Anstrengung auf die Lippen biss, um die Tränen zu unterdrücken, die sich ihr aufdrängten. Wie einfältig sie doch war und wie lächerlich ihre Gefühle! Kakashi kehrte sicher zu seiner Freundin in seine Heimat zurück und verschwendete keinen weiteren Gedanken an das kleine, dumme Mädchen, welches er während seiner Mission aufgedrückt bekommen hatte. Die Gedanken, die sie hegte, erschraken sie, da sie normalerweise keine geringe Meinung von sich hatte und sonst vor Selbstvertrauen strotzte, zumindest in der Gegenwart anderer. Wieder einmal musste sie die Erfahrung machen, dass sie möglicherweise doch nicht so stark und unabhängig war, wie sie sich das vielleicht wünschte. „Ich bin so furchtbar allein“, dachte sie und ihr Schluchzen, das sich nicht mehr länger zurückhalten ließ, hallte in der Stille in dem spärlich möblierten Raum. „Komm zurück…“, flüstert sie mit erstickter Stimme in dem Bewusstsein, dass sie sowieso niemand hören würde und sie sich somit diesen kleinen Schwächeanfall erlauben konnte. Doch sie ahnte nicht, dass draußen ihr Dienstmädchen an der Wand lehnte und mit betrübtem Gesicht ihrem Kummer lauschte, bis das Weinen verstummte und Nala endlich eingeschlafen war. Kaum hatte sie am nächsten Morgen mit wenig Elan angefangen, in ihrem Arbeitszimmer über einem Fehler in der Buchhaltung zu brüten, klopfte auch schon jemand laut an. Eine Gänsehaut überzog auf einen Schlag Nalas Arme, ohne dass sie sich die Ursache dafür erklären konnte, doch sie entschloss sich, die Tür lieber persönlich zu öffnen, statt die Person einfach so hereinzubitten. Ein ungutes Gefühl beschlich sie und fand seine Bestätigung darin, dass dieser Azu vor ihrer Tür stand, allerdings mit einem riesigen Strauß gelber Rosen. „Darf ich hereinkommen?“, fragte er mit betont freundlicher Stimme, doch sie fühlte sich trotzdem auf unbestimmte Weise bedroht. Da sie jedoch keinen rationalen Grund fand, ihm den Eintritt zu verweigern, willigte sie ein. „Die sind für dich“, sagte Azu überflüssigerweise und reichte ihr die Rosen, kaum als sie sich gesetzt hatten. „Das ist… sehr nett von dir, vielen Dank“, erwiderte sie und verfluchte sich, dass sie das Zittern in ihrer Stimme nicht abstellen konnte. Während sie den Strauß auf den Tisch zwischen ihnen legte, fiel ihr auf, welch ein selbstgefälliges Grinsen über sein Gesicht huschte und ihr wurde noch unwohler zumute. Trotzdem musste sie sich zusammenreißen, schließich regierte sie ein ganzes Land – da würde sie doch mit einem einzelnen Einwohner zurechtkommen! „Ich habe gehört, dass dieser Kerl aus Konoha abgereist ist. Deswegen dachte ich mir, dass sich jetzt vielleicht eher die Möglichkeit bietet, noch einmal auf das Thema Heirat zurückzukommen." Die indirekte Erwähnung Kakashis versetzte Nala einen Stich im Herzen, doch sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Entschlossen hielt sie seinem Blick stand und antwortete: „Ich weiß nicht, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist." Kurz verengten sich die Augen des Rothaarigen, doch im nächsten Augenblick schaute er bereits wieder übertrieben heiter drein. „Ich will dich zu nichts drängen, momentan hast du es schließlich nicht leicht. Ich möchte mich auch eigentlich erst einmal für mein Auftreten bei unserer letzten Begegnung entschuldigen." Überrascht von der Wendung des Gesprächs hielt die Königin inne. Hatte sie sich möglicherweise in diesem Mann getäuscht? War er vielleicht doch nicht so ein übler Kerl? „Schon in Ordnung“, winkte sie ab und spielte zerstreut mit den Rosenblättern. Im Grunde hatte sie sich noch gar keine richtigen Gedanken darüber gemacht, was einen Partner betraf. Eigentlich war sie in ihren Augen für so etwas immer noch zu jung und in der letzten Zeit hatten die Tage, die sie mit Kakashi genießen durfte, alles Weitere aus ihrem Kopf gestrichen. War es aber nicht eigentlich ihre Pflicht als Oberhaupt, mit jemandem Seite an Seite zu regieren? Möglicherweise hatte sie Azu zu früh einen Korb gegeben, da das, was sie für den Ninja aus Konoha empfand, sowieso völlig albern und unrealistisch war. Eine Beziehung zwischen ihnen war unmöglich – immerhin war er ein ganzes Stück älter als sie und konnte viel reifere, erfahrene Frauen mit richtigen Kurven haben! Ihn musste sie sich aus dem Kopf schlagen und eigentlich konnte sie froh sein, dass jemand wie Azu, der aus einer einflussreichen Familie stammte, sie überhaupt wollte – schließlich war sie lange nicht so hübsch wie ihre Mutter. „Lass mir bitte etwas Entscheidungszeit und komme heute Mittag wieder, dann sehen wir weiter“, bat sie ihn also und er nickte. Sein selbstzufriedenes Lächeln übersah sie dabei. Mit einem abwesenden Blick und wie leergefegten Kopf starrte Nala auf ihre gefalteten Hände, als ihre Zofe kurze Zeit später nach viel sanfterem Klopfen als Azus eintrat und eine Teekanne mit zugehöriger Tasse auf den Schreibtisch stellte. Mit einem ruckartigen Kopfnicken bedankte sich die junge Frau in der Erwartung, dass sie gleich wieder allein gelassen werden würde. Doch die weiße Schürze, die von rauen Händen geknetet wurde, blieb nach wie vor in ihrem Blickfeld. „Entschuldigen Sie meine Anmaßung, Herrin, aber Sie denken wohl immer noch an ihn?“ Natürlich wusste Nala sofort, wen sie meinte, doch entschieden sagte sie: „Nein, auf gar keinen Fall. Ich mache mir Gedanken darüber, ob ich Azus Heiratsangebot annehme. Schließlich ist das nicht ohne Grund eine Tradition hier." Traurig sah die um einiges ältere Bedienstete sie an. „Wären Sie denn auch glücklich damit?" "Das ist egal." Die Tochter Rikes lächelte zaghaft, doch es kam eindeutig nicht von Herzen. „Das finde ich nicht, wenn Sie mir meine Meinung verzeihen. Schließlich sind Sie jetzt die Person, die regiert, somit haben Sie auch die Entscheidungsgewalt." Die Zofe goss den dampfenden grünen Tee in die Tasse und schob sie ihrer Vorgesetzten zu, die diese Bewegung überhaupt nicht zu registrieren schien. „Ich habe gesehen, wie Sie Kakashi Hatake angeschaut haben“, fuhr die Frau, bei der sich bereits die ersten grauen Haare zeigten, vorsichtig fort. „Außerdem habe ich Sie noch nie so entspannt und fröhlich erlebt wie in der Zeit, als er bei Ihnen war. Mir erschien es so, als wäre das zwischen Ihnen und diesem Mann mehr als ein Arbeitsverhältnis." Nala zuckte nur mit den Schultern, trotzdem riefen diese Worte etwas in ihr wach, was sie rasch wieder in ihrem Innersten zu verschließen versuchte. „Selbst wenn das von meiner Seite aus so war, ist er jetzt wieder zurück in Konohagakure und ich gehe nicht davon aus, dass wir uns je wiedersehen. Schließlich war es bloß eine Mission und er muss jetzt andere übernehmen." Es war das erste Mal, das die Königin von ihrer Untergebenen aus rein psychischen Gründen berührt wurde, als diese ihr die Hand auf die Schulter legte, genau wie es Kakashi einmal getan hatte. „Lassen Sie sich Zeit. Die Entscheidung muss gut durchdacht werden“, bat sie ruhig. Kurz verstärkte sie den Druck auf der Schulter der jungen Frau, dann verließ sie leise den Raum. Kapitel 8: Die Rettung ---------------------- Kakashi konnte das Gefühl, das ihn beim Anblick des im Sonnenlicht glitzernden Palastes überkam, nur schwer beschreiben. Unwillkürlich kamen ihm Tsunades Worte in den Sinn, doch er scheuchte sie mit einem Kopfschütteln fort. Hier ging es bloß um Nala und nicht um ihn. Energischen Schrittes, als wäre es sein Zuhause, strebte er auf die Eingangstore zu. Die Wachen erkannten ihn und konnten ihre Wiedersehensfreude nicht verhehlen. Sie winkten ihn durch, nachdem ihm der Größere von den beiden mit einem Zwinkern zugeflüstert hatte, wie glücklich Nala sein würde ihn wiederzusehen. Kakashi bezweifelte dies, da sie bestimmt vom Regierungsgeschäft beansprucht wurde und er ziemlich schwierige Neuigkeiten zu übermitteln hatte, doch er wollte ihm nicht widersprechen und schritt stattdessen bloß mit einem Nicken an den beiden vorbei. Er konnte kaum ein Blick in das Innere werfen, da raubte ihm bereits eine Flut aus Pastellfarben und Braun die Sicht und er spürte, wie sich jemand an ihn klammerte. Ehe der verwirrte Mann auch nur einen klaren Gedanken fassen, geschweige denn die Arme heben konnte, wurde er losgelassen und eine strahlende, aber von ihrem eigenen Verhalten peinlich berührte Nala sah mit hochrotem Gesicht zu ihm hoch. „Ähm, hallo Kakashi, dich hätte ich hier am wenigsten erwartet“, murmelte sie und strich ihr fliederfarbenes Kleid, das mit weißen Schleifen bestückt war, glatt. Kakashi musste daran denken, wie sie ihn bei ihrer ersten Begegnung angegriffen hatte, und lächelte über den großen Unterschied zu ihrer jetzigen Begrüßung. „Hallo, Nala. Ich bin noch einmal hier, weil ich mit dir über etwas sehr Wichtiges reden musst. Hast du Zeit?“. Sie steckte sich das zerzauste Haar hinter das Ohr und sah absichtlich an ihm vorbei. Ihr Herz klopfte wie wild bei dem Gedanken daran, dass sie sich vielleicht doch getäuscht hatte und er nun gestehen würde, dass er mehr für sie empfand. Für diese Idee schalt sie sich in Gedanken, während sie hoffte, dass Kakashi ihre Aufregung nicht allzu deutlich wahrnahm. „Natürlich. Komm mit, wir gehen in das Teezimmer“. Sie setzten sich an denselben Tisch wie an ihrem ersten Tag und tauschten einige Höflichkeiten über das Wetter und Kakashis Reise aus, sodass sich Nalas Puls langsam wieder normalisierte. Irrte sie sich oder sah er irgendwie bedrückt aus? Ehe sie ihn darauf ansprechen konnte, kam er bereits auf den Punkt zu sprechen, weshalb er bereits nach so kurzer Zeit wieder auftauchte. Die Königin konnte nicht fassen, was ihr da erzählt wurde. Es kam ihr so vor, als hätte ihr jemand mit einem riesigen Hammer gegen den Kopf geschlagen und alles ausgelöscht, was vorher darin gespeichert gewesen war. Im ersten Moment, der Ruhe vor dem Sturm, kauerte sie bloß regungslos auf ihrem Stuhl. Dann warf sie plötzlich in einer fließenden Bewegung den Tisch um und mit ihm das ganze Gedeck, das am Boden zerschellte. Wieder lief sie rot an, diesmal jedoch vor Zorn, und ehe sie sich versah, war sie schon auf den Beinen und suchte etwas, vorauf sie einschlagen konnte. Sie krempelte die weiten Ärmel ihres Gewandes hoch und hatte gerade ein Gemälde als günstiges Ziel ins Auge gefasst, da drückte sie jemand wie ein Schraubstock an sich. Das Gesicht an Kakashis Brust gepresst, konnte sie sich in seinen Armen nicht rühren. Es fühlte sich allerdings nicht wie eine liebliche Umarmung an, sondern wie ein Klammergriff, doch das war ihr in dem Moment sowieso egal. „Lass mich los!“, brüllte sie und wandt sich hin und her, doch er rückte keinen Zentimeter von ihr ab. „Ganz ruhig“, murmelte er und rieb ihre Oberarme. „Ich verstehe ja deinen Zorn, aber du musst lernen, ihn zu beherrschen“. „Und was ist, wenn ich das gar nicht will?“, zischte sie, während sie ihm nach wie vor zu entschlüpfen versuchte, was er jedoch immer noch nicht zuließ. „Du wirst es müssen. Denk daran, wer du bist. Ich bin ja bei dir“, versuchte Kakashi sie zu besänftigen. „Wie kann… man… nur… so… schwach… sein… wie…sie“, sagte sie mit abgehackter Stimme und gab endlich ihren Widerstand auf. „Ich weiß. Sie haben dir die ganze Last aufgehalst“. Endlich löste sich ihre Wut auf und verwandelte sich in Tränen, die das Oberteil des Ninjas durchnässten. Sein Griff wurde sanfter und sie ließ sich einfach fallen. Als die Königin später erwachte, fand sie sich in ihrem Bett vor. Es schien immer noch helllichter Tag zu sein und nach und nach erinnerte sie sich wieder an das Geschehene. Dennoch hatte der Schlaf wohl zu ihrer Beruhigung beigetragen und sie spürte langsam, aber sicher ihre Kraft zurückkehren. Als sie sich streckte und überlegte, wie sie nun mit ihrem Vater verfahren sollte, entdeckte sie einen Notizzettel auf ihrem Schreibtisch. „Ich lasse dir ein bisschen Zeit zum Nachdenken. Gib Bescheid, wenn du mich brauchst. Ich halte mich in dem Zimmer auf, in dem ich sonst immer geschlafen habe“. Trotz der aufwühlenden Neuigkeiten, die er überbracht hatte, musste Nala bei diesen Zeilen lächeln. Als erstes stand sie auf und zog sich etwas anderes an. Gerade als sie sich auf den Weg machen wollte, um Kakashi aufzusuchen, stieß sie mit jemandem auf der Schwelle nach draußen zusammen. „Kaka-“, begann sie, doch vor ihr stand Azu und lächelte kühl. „Nein, ich bin’s“, unterbrach er sie. „Der Ninja hat sicherlich anderes zu tun, als auf einen Besuch vorbeizukommen“. Er weiß nicht, dass Kakashi wieder hier ist, dachte Nala. Allerdings war dieser Heiratskandidat auf ihre Aufforderung hier erschienen, dementsprechend musste sie ihn auch behandeln. „Gut, also… Dann komm mal hinein“, sagte sie, immer noch überrumpelt, und bat ihn in ihre persönlichen Gemächer. Wie undurchdacht dieses Angebot war, fiel ihr erst auf, als es schon zu spät war. Wie in früheren Zeiten ging Kakashi in dem Gästezimmer auf und ab, ohne seine Umgebung wirklich wahrzunehmen. Nala hatte reagiert, wie er es von ihr erwartet hatte. Dementsprechend konnte er sich auch so gut wie möglich um sie kümmern. Hiroshi hatte Recht gehabt, er war der ideale Mann dafür, zwischen den beiden den Kontakt herzustellen. Trotz des anfänglichen Ärgers der jungen Frau war er davon überzeugt, dass sie sich fangen würde. Bis sie irgendwann klopfend an seiner Tür erschiene, konnte er auch noch genausogut selbst ein Schläfchen machen. Schließlich hatte er die letzten Nächte kaum geschlafen. Kaum hatte er sich hingelegt, sank er auch schon in einen tiefen Schlaf. „Was soll das heißen, deine Antwort lautet ‚nein‘?“, fragte der Rothaarige mit gefährlich leiser Stimme und trat einen Schritt auf Nala zu, die am Fenster stand. „Das heißt, dass ich mich entschieden habe, dass ich dich nicht heiraten kann“, antwortete sie entschlossen. „Es wird aus vielerlei Gründen nicht funktionieren, die ich dir nicht alle erläutern möchte, aber der Wichtigste besteht darin, dass meine Eltern gewollt haben, dass ich aus Liebe und nicht aus Verpflichtung heirate“, fuhr sie fort, denn das, was Kakashi erzählt hatte, festigte ihren Entschluss, den sie nach dem Aufwachen gerfasst hatte. „Du hast doch keine Ahnung, was Liebe ist und was deine Eltern wollten!“, fauchte Azu mit wutverzerrtem Gesicht. Dass er mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte, war offensichtlich. „Ich möchte, dass du jetzt gehst“, forderte Nala ihn ungerührt auf, ohne sich zu ihm umzudrehen. Sie sah immer noch aus dem Fenster in Richtung des entfernten Bambushains, in dem ihr Vater wohl wartete. Aus ihren Gedanken wurde sie erst gerissen, als sie grob an den Armen gepackt und mit einem Ruck auf den Boden geschleudert wurde. Ehe sie auch nur einen Laut ausstoßen konnte, stopfte der Rothaarige ihr ein Stück der Gardine, das er abgerissen hatte, in den Mund und kniete über ihr. „Du meinst also, mein Angebot einfach ablehnen zu können? Was ist aber, wenn es nun kein Angebot, sondern eine Aufforderung war, bei der es die Antwort ‚nein‘ nicht gibt?“. Sie zappelte wie wild und versuchte, ihn von sich herunterzustoßen, doch er war kräftig. Sein Haar fiel ihm ins Gesicht, als er sich über sie beugte und mit dem Mund ihrem Hals näherte. Sie hatte schon die ganze Zeit geahnt, dass er etwas Teuflisches an sich hatte, und trotzdem war sie nun in diese Situation geraten. Tränen schossen ihr in die Augen und sie wusste nicht, zum wievielten Mal das nun in den letzten Tagen schon der Fall gewesen war. Sie schimpfte sich für ihre Dummheit und schiere Verzweiflung übermannte sie, als sie daran dachte, dass Kakashi in seinem Zimmer auf sie wartete. „Kakashi!“, schrie sie, doch das Knäul verhinderte, dass sie sich bemerkbar machen konnte. Ohne, dass sie in der Lage war sich zu wehren, spürte sie Azus Lippen an ihrem Hals, nachdem er ihr ins Ohr geflüstert hatte: „Das hast du nun davon. Ich werde dir schon beweisen, dass man jemandem wie mir keinen Korb gibt“. Das nächste, was Nala wahrnehmen konnte, war die Zimmertür, die mit lautem Getöse an die Wand knallte. Im nächsten Moment wurde Azu von ihr weggestoßen und ein Reflex brachte sie dazu, sogleich zitternd in eine Ecke des Zimmers zu kriechen, wo sie sich den Knebel herausholte. Erst dann schenkte sie dem Geschehen vor ihren Augen wirklich Beachtung. Wie hätte es anders sein können? Kakashi war ihr Retter in der Not und ihre geschwollenen Lippen bebten vor Erleichterung. Erst als ihr klarwurde, dass er nicht aufhörte, auf den Mistkerl einzuschlagen, obwohl er schon blutete, wurde sie aus ihrer Erstarrung gerissen. Sie wollte Kakashi von weiterer Gewalt abhalten, doch ihre schwachen Beine verweigerten ihr den Dienst. Nala brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um sich zu erheben. Der Ninja hatte ihr immer noch den Rücken zugewandt und denjenigen, der ihr etwas antun wollte, an der Kehle gepackt, als sie ihn von hinten umarmte. Er ließ den Rohaarigen einfach zu Boden fallen und sah sich nach ihr um. Mit aller Kraft, die sie noch in den Armen hatte, hielt sie ihn fest. Sein hasserfüllter Gesichtsausdruck jagte ihr Furcht ein –sie hätte nie gedacht, dass er so impulsiv sein könnte. „Es ist okay“, flüsterte sie. „Ganz ruhig“. Langsam erlosch die rasende Wut in Kakashis Augen. Erst dann erkannte sie, dass zum ersten Mal auch sein linkes Auge zu sehen war. Es leuchtete rot und wirkte immer noch angsteinflößend, obwohl sein Blick sanfter geworden war. Ein Sharingan, dachte sie überrascht, denn von diesem Kekkei Genkei hatte man sogar in ihrem Land schon gehört. Da bedarf es wohl noch einigen Informationen, die Kakashi ihr noch nicht offenbart hatte. Endlich merkte Kakashi, in welcher Situation er sich befand, und legte leicht die Arme um ihre Taille. Das konnte man als ihre erste, wirkliche Umarmung betrachten. Dass Nalas Untergebene im Flur stand und ihnen einen gerührten Blick zuwarf, merkte in dem Moment keiner von beiden. Kapitel 9: Lautes Wiedersehen und stummer Abschied -------------------------------------------------- „Das kann doch mal vorkommen. Du bist auch nur ein Mensch.“ „Ja.“ „Außerdem geht es ihm doch wieder halbwegs gut.“ „Ja.“ „Er hatte es verdient.“ „Ja.“ Besorgt tupfte Nala eine Schnittwunde an Kakashis Schläfe ab, die ihm Azu blind um sich schlagend zugefügt hatte. Ihr Retter wirkte seitdem völlig neben der Spur. Nachdem derjenige, an den sie nie wieder denken wollte, sein Bewusstsein wiedererlangt und seine Beine in die Hand genommen hatte, schien Kakashi zwischen ihr und allen anderen eine unsichtbare Mauer hochgezogen haben. Er ließ sich, nachdem er sich für ihren Geschmack viel zu schnell aus ihrer Umarmung gelöst hatte, widerstandslos von ihr in eins der Badezimmer führen, in dem sie Verbandszeug aufbewahrte, doch verlor dabei nicht viele Worte. Obwohl ihr selbst der Schock noch tief in den Knochen saß und widersprüchliche Gefühle in ihr kämpften, konnte sie nicht anders als die Stille mit Geplapper füllen. Zärtlichkeit lag in ihrem Blick, als sie ein Stück zurückwich, um den Schnitt zu begutachten. „Jetzt kann es sich jedenfalls nicht mehr entzünden“, stellte sie zufrieden fest und warf den Tupfer in den Abfalleimer. Kakashi erwiderte nichts. In seinem sichtbaren Auge war jegliches Feuer, was zuvor darin gelodert hatte, erloschen. Nala beschlich das leise Gefühl, dass er nichts von dem, was sie von sich gegeben hatte, in irgendeiner Form zur Kenntnis nehmen konnte oder wollte. Mit den Händen in den Hüften bezog sie direkt vor seinem Gesicht Stellung und fragte laut: „Woher hast du das Sharingan?“. Beinahe unmerklich huschte ein schmerzhafter Ausdruck über sein Gesicht, als er zur Seite sah. „Das ist eine lange Geschichte“, wehrte er ab. Entschlossen hockte sie sich ihm gegenüber auf den Badewannenrand und schlug betont abwartend die Beine übereinander. Kakashi seufzte tief und erzählte ihr von dem, was seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft so sehr prägte. Nämlich seine tiefen Freundschaft zu Rin und Obito, sein Respekt vor seinem Meister Minato und das schlechte Gewissen, das auch heute noch an ihm klebte wie eine zweite Haut. Stumm hörte Nala ihm zu, die Ohren gespitzt, um kein einziges Wort zu verpassen. Nur hin und wieder schlug sie die Hände vor den Mund oder knabberte an ihren Fingernägeln. „Mir sagst du also, ich solle mich nicht von der Trauer gefangen nehmen lassen, aber du selbst darfst das, oder wie soll ich das verstehen?“, meinte sie schließlich bitter, nachdem er geendet hatte. „Du bist ein junges Mädchen und ich ein erwachsener Mann. Darin besteht ein Unterschied.“ Er versuchte sich an einem Lächeln, was jedoch kläglich misslang. „Ein junges Mädchen?“, wiederholte Nala zornig. „Ich führe ein ganzes Land, da kannst du mich nicht mehr so bezeichnen!“ „Das war überhaupt nicht abwertend gemeint“, versuchte der Ninja sie zu beschwichtigen. „Damit wollte ich nur sagen, dass du noch so viel vor dir hast und noch so viel erleben wirst.“ „Und du etwa nicht?“ Die Königin bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust. „Tu bitte nicht so, als wäre dein Leben schon halb vorbei. Im Grunde unterscheidet sich das, was wir erlebt haben, in ihrem Einfluss nicht groß voneinander. Wir beide haben Verluste erlitten und können an diesem oder jenen Punkt ansetzen, uns Vorwürfe deswegen zu machen. Du solltest lieber anfangen, deine eigenen Ratschläge zu befolgen!“, fuhr sie fort, ohne von ihm abzulassen. Eine Weile erwiderte er ihren empörten Blick, schien jedoch durch sie durchzusehen, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. „Die Rolle des Lehrers ist mir auf den Leib geschneidert. Für einen Lehrer ist es normal, Ratschläge zu verteilen. Ob er sie selbst befolgt, ist etwas ganz anderes.“ Schnaubend wandte sich Nala zum Gehen. „Ich dachte immer, dass ich keinen Lehrer nötig hätte. Aber gerade du hast mir beigebracht, dass jeder immer gleichzeitig Lehrer und Schüler ist. Das muss dann wohl auch für dich gelten!“ Fast wäre sie in ihre Zofe hineingerannt, die vor der Tür auf sie gewartet hatte. Trotz all der Wut, die in ihr kochte, rang sich Nala ein Lächeln ab. „Du hast ihm verraten, dass Azu gekommen ist, habe ich Recht?“. Sie glaubte nicht an Zufälle, und tatsächlich nickte das Dienstmädchen langsam. „Kaum war dieser Mann aufgetaucht, bin ich zum Gästezimmer geeilt, um Kakashi Hatake um Hilfe zu bitten. Mir kam dieser Azu nicht ganz koscher vor.“ Voller Dankbarkeit drückte sie die Hände ihrer Untergebenen und wollte gerade ihren Weg fortsetzen, da tauchte ihr maskierter Helfer hinter ihr auf. „Warte, Nala. Denk daran, dein Vater wartet auf dich“, erinnerte er sie, während er sich an den Türrahmen lehnte. „Lass das mal meine Sorge sein“, giftete die Angesprochene zurück. Erst nach ein paar Metern, die sie mit staksigen Schritten zurückgelegt hatte, hielt sie noch einmal inne. „Ich bin dir sehr dankbar dafür, dass du mich gerettet hast. Wirklich. Aber sehr wütend bin ich jetzt darüber, dass du dich so verhältst, als würdest du es bereuen oder zumindest dich selbst dafür zu verurteilen, endlich mal Leidenschaft gezeigt zu haben. Außerdem tust du offenbar immer alles für andere und gibst vor, als sei alles in Ordnung, dabei lässt du dich völlig außer Acht und gibst nicht zu, wenn es in dir drinnen ganz anders aussieht. Das nenne ich einfach nur unehrlich!“ Mit diesen Worten stürmte sie davon und ließ einen verdutzen Kakashi zurück, der jedoch keine Anstalten machte, sie noch einmal zurückzuhalten. Die Nacht ergriff vom Land Besitz, als sich zwei wesentliche Dinge ereigneten, die für die Zukunft von Kakashi und Nala von Bedeutung sein würden. Während die Eulen auf der Jagd heisere Schreie ertönen ließen und sich auf hoppelnde Mäuse stürzten, führten die Königin und ihr leiblicher Vater ein langes Gespräch mitten im größten Bambushain der Umgebung. Es wäre untertrieben zu sagen, dass es schwierig ablief, aber zum Schluss kamen sie zu einer lockeren Einigung, die beinhaltete, sich auf jeden Fall wiederzusehen. Wie beinahe schon vorhersehbar schaffte Nala es nicht, das Ganze ohne Zornestränen hinter sich zu bringen, doch Hiroshi nahm die Vorwürfe an, ohne sich zu verteidigen. Er wusste, dass seine Tochter mit allem Recht hatte und wollte sie nicht mit billigen Ausreden abspeisen. Er bat sie lediglich um Verzeihung. Zur gleichen Zeit hielt sich Kakashi in Sicht-, aber nicht in Hörweite auf. Vater und Tochter waren viel zu vertieft in das, was sie zu besprechen hatten, als dass sie ihn bemerken konnten. Schließlich griff Hiroshi liebevoll nach Nalas Händen, als der Mond schon hoch am Himmel stand, und das zweite wichtige Ereignis in dieser Nacht nahm seinen Lauf. Kakashi trat den Rückweg an, ohne sich Nala noch einmal zu stellen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer schmerzhaften Maske, als er an die Worte dachte, die ihm die Zofe mitgegeben hatte, doch das hinderte ihn nicht an seiner Flucht aus Kusagakure. „Nala ist Ihnen völlig verfallen, Kakashi“, sagte die Frau, die sich schon um die Königin gekümmert hatte, als Rike noch am Leben war. Überrascht drehte sich der Einwohner Konohas um, denn er hatte nicht gehört, dass sie ihm gefolgt war. „Sie dürfen sie nicht allein lassen.“ „Doch“, setzte er ihr entgegen, während er einen Blick auf das Abendrot warf, das den Vorhof des Palastes in grelles Licht tauchte. Die aufgeheizte Luft hatte sich endlich abgekühlt und man konnte wieder freier atmen. „Ich muss sie sogar allein lassen. Sie ist die Königin dieses Landes und muss für ihr Volk da sein. Wenn es ihr einmal nicht gut geht, bist du für sie da und ab jetzt sogar ihr Vater, wenn die beiden sich einig werden.“ „Sie liebt Sie“, sagte das Dienstmädchen laut, ohne auf ihn einzugehen und sich die Mühe zu machen, ihren vorwurfsvollen Unterton zu unterdrücken. „Sie ist jung“, wiederholte er mechanisch. „Sie wird darüber hinwegkommen.“ „Und was ist, wenn nicht? Ich glaube, Sie unterschätzen ihre Gefühle. Seitdem Sie nach Konohagakure zurückgekehrt waren, weinte sie nachts stundenlang, ohne sich den Grund dafür erklären zu können oder ihn wahrhaben zu wollen. Jedem außer ihr ist klar, dass es die Liebe ist, die sie leiden lässt.“ Nervös fuhr sie sich durch ihr am Ansatz schon leicht ergrautes Haar. Normalerweise traute sie sich nicht, auf solch eine Art und Weise mit jemandem wie Kakashi Hatake zu reden, aber für das Wohl ihrer Herrin würde sie alles tun. „Empfinden Sie denn gar nichts für Nala?“, schob sie leicht panisch hinterher, als er nicht antwortete. Erst dann wandte Kakashi leicht den Kopf und im Licht der untergehenden Sonne konnte sie sein trauriges Lächeln sehen. „Genau deswegen muss ich gehen. Es ist das Beste für uns beide. Ich bitte Sie, meine Aufgabe zu übernehmen und sie zu trösten.“ Kaum war diese letzte Anweisung ausgesprochen worden, verschwand er so schnell, dass die Zofe die Bewegung nicht einmal wahrnehmen konnte. Ihr Herz zog sich schmerzhaft bei dem Gedanken zusammen, wie sie Nala Kakashis Flucht beibringen sollte. Sie redete sich ein, dass ihre tränenden Augen davon kamen, dass sie geblendet wurde, doch tief im Inneren wusste sie, dass das nicht stimmte. Kapitel 10: Vollendung ---------------------- Fast ein ganzes Jahr war ins Land gegangen, seitdem Kakashi an jenem Tag Nala ohne ein weiteres Wort verlassen hatte. Herbst, Winter, Frühling und erneut der Sommer folgten einander im natürlichen Kreislauf, bis etwas geschah, das seine Routine ein weiteres Mal durchbrach. Die ganze Zeit hatte sich der Ninja größtmögliche Mühe gegeben, jeden Gedanken aus seinem Kopf, der auch nur im Entferntesten mit Kusa no Kuni zu tun hatte, zu verbannen, was nicht immer von Erfolg gekrönt war. Allerdings wäre er nicht Kakashi, wenn es ihm nicht gelingen würde, sich davon nicht beeinträchtigen zu lassen. Dabei half ihm die Tatsache, dass ihm Tsunade nie von den Neuigkeiten erzählte, die sie aus besagtem Land erreichten, und es vermied, ob absichtlich oder nicht, ihn dorthin auf eine weitere Mission zu schicken. Bei seiner damaligen Rückkehr nach Konohagakure hatte er bereits vorhergesehen, dass sie ihn löchern würde, und war dementsprechend darauf vorbereitet. Zwar stand ihr der Zweifel geradezu ins Gesicht geschrieben, als er ihr mit neutraler Stimme von der Vater-und-Tochter-Zusammenführung berichtete und verdeutlichte, dass ihn von nun an nichts mehr an Kusa no Kuni band und er ihr wieder frei zur Verfügung stehen würde, doch das war für ihn nicht von Bedeutung. Kakashi hatte eine Entscheidung gefällt, die niemand anderen etwas anging, und seine Absicht bestand nicht gerade darin, irgendjemandem davon zu erzählen. Da andere Menschen seine Verschwiegenheit, was persönliche Angelegenheiten betraf, gewöhnt waren, fiel ihnen nichts Besonderes an ihm auf. Nur Tsunade musterte ihn bei jeder Begegnung immer wieder misstrauisch, als ahne sie etwas. Jedoch ging sie nicht weiter auf ihren Verdacht ein und er würde einen Teufel tun und sie dazu verleiten. Das Thema Nala wurde also totgeschwiegen, ohne dass jemand außer Kakashi überhaupt wusste, dass es etwas totzuschweigen gab. Trotzdem gelang es ihm nicht, die Stimme in seinem Kopf zu verdrängen, die ihn immer wieder daran erinnerte, was Tsunade ihm einst mit auf den Weg gegeben hatte. Überlege dir bitte genau, was du erreichen möchtest. Er sagte sich zwar immer wieder, dass er genau dort war, wo er sein wollte, doch tief in seinem Inneren wehrte sich etwas gegen diese Aussage. Insbesondere die Dämmerung versetzte ihn in eine Stimmung, die sich nur schwer beschreiben ließ. Manchmal saß er um diese Zeit hoch oben am Rande der Felsklippe, an der die Köpfe der verschiedenen Hokage prangten, und ließ seinen Blick über das Dorf schweifen. An einem dieser Abende geschah etwas Unerwartetes. Ein Jonin, den er nur flüchtig kannte, suchte ihn dort oben auf und teilte ihm mit, dass die Godaime ihn unverzüglich zu sehen wünscht. Ehe Kakashi ihn um ausführlichere Auskunft bitten konnte, war dieser schon wieder verschwunden. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend machte sich der maskierte Ninja sofort auf dem Weg, als ahne er, dass sich etwas anbahnen würde, was ihm nicht gefiel. Mit einem todernsten Gesichtsausdruck, was seine üble Vorahnung noch verstärkte, empfing ihn Tsunade in ihrem Zimmer und kam ohne einleitende Höflichkeiten sogleich zur Sache. „Ich habe eine Mission für dich. Du musst sofort abreisen.“ Kakashi nickte daraufhin. „Wohin?“ „Nach Kusa no Kuni, genauer gesagt zum Dorf Kusagakure, wo du schon einmal gewesen bist“, erklärte sie rasch und rollte eine Karte auf ihrem Schreibtisch aus. Er erstarrte, als er das Ausmaß ihrer Worte nach kurzer Verzögerung erfasste. Dennoch konnte er der Logik nicht widersprechen, dass er dorthin geschickt wurde. Immerhin kannte er sich in der Umgebung gut aus. „Worum geht es?“ Die blonde Frau deutete auf einen Punkt auf der Karte, der den größten Bambushain in der Gegend um Kusagakure markierte, den Ort, an dem er einst Hiroshi getroffen hatte. „Die Königin, der du vor einiger Zeit beim Einstieg in das Regieren geholfen hast, wurde entführt. Da will wohl jemand die Macht über dieses Land für sich haben.“ „Das kann nicht sein“, entgegnete er sofort, um dem Schock, der ihm in die Glieder fuhr, gar keine Chance zu lassen sich auszubreiten. „Leider doch. Ihr Vater, der wohl vor einem halben Jahr in den Palast im Dorf eingezogen ist, nachdem er sich seiner Tochter angenähert hatte, schickte uns einen Falken mit einer Eilbotschaft. Das Ganze passierte wohl in der vergangenen Nacht und wir nehmen an, dass sich der Entführer in die dichten Bambushaine zurückgezogen hat, um sich in deren Schutz verstecken zu können. Schließlich muss er für Verhandlungen über ihre Freilassung in der Nähe bleiben, darf aber gleichzeitig nicht erwischt werden. Ich möchte, dass du dich sofort dorthin begibst und die Geschichte klärst. Ich glaube, dieser Azu, dem du damals schon begegnet bist, ist darin verwickelt.“ Ehe Tsunade sich versah, war sie bereits wieder allein in ihrem Zimmer. Nachdenklich, aber zufrieden rollte sie die Karte zusammen und verstaute sie wieder in dem Schrank, aus dem sie sie genommen hatte. Es wurde endlich Zeit, dass Kakashi die Sache regelte. Der sichelförmige Mond stand hoch am dunklen, sternlosen Himmel. An ihm zogen immer wieder Wolken vorbei, die das wenige Licht, was er zur Erde sandte, noch zusätzlich verdunkelten. Doch Kakashi war nicht auf Helligkeit angewiesen. Schon längst hatte er seinen Stirnprotektor hochgeschoben und das Sharingan entblößt, um für alles gewappnet zu sein. Während er in einer rasenden Geschwindigkeit einen Fuß vor den anderen setzte, waren seine Gedanken kristallklar. Er drängte seine Gefühle beiseite und hatte nur eines im Sinn: ihr zur Hilfe zu eilen. Und diesem rothaarigen Mistkerl die Leviten zu lesen. Endlich hatte er das Gebiet, in dem Nala gefangen gehalten werden musste, erreicht und er mahnte sich zur Vorsicht. Da er nicht wusste, ob er es wirklich nur mit Azu zu tun hatte, durfte er nicht einfach losstürmen. Schließlich blieb er stehen und wandte den Kopf nach links und rechts wie ein horchender Hund. Nicht einmal das Zirpen von Insekten oder das Rauschen von Blättern störte die Stille. Auf diese Weise müsste er im Grunde auch Geräusche wahrnehmen können, die weiter entfernt waren und möglicherweise auf den Entführer hinwiesen. Trotz seiner geschärften Sinne spürte er die Anwesenheit einer anderen Person erst als es schon zu spät war. Ein Geruch, der ihm auf merkwürdige Weise bekannt vorkam, den er jedoch nicht näher einordnen konnte, lenkte ihn ab, während sich jemand von hinten auf ihn stürzte und ihn umriss. In einer fließenden Bewegung drehte er sich im Fallen um und packte den Angreifer an den Schultern, um mit ihm die Position zu tauschen und ihn unter sich zu ziehen. Erst als er die Person mit einer Hand am Hals zu Boden drückte und mit der anderen ein Kunai zog, fiel ihm auf, dass etwas nicht stimmte. Derjenige, den er unter sich begraben hatte, lächelte aus vollem Herzen. Dann registrierte er das lange braune Haar und die zarte Gestalt Nalas, die ihn unverwandt ansah und nicht zu grinsen aufhörte. „Hab‘ ich dich“, meinte sie und nahm seine Hände in ihre. Kakashi kniete immer noch über ihr und schaffte es nicht, sich zu rühren, so überrascht war er. „Was? Wo ist der andere?“, murmelte er und schaute sich um. „Der Entführer? Das bist hoffentlich du“. Endlich ließ er sie frei, damit sie sich den Staub abklopfen konnte, doch ehe er auch nur in irgendeiner Art und Weise reagieren konnte, knallte er selbst mit dem Kopf auf den Untergrund und schmale, mit Chakra verstärkte Messer bohrten sich in seine Kleidung, um ihn dort festzutackern. „Und jetzt, mein Lieber, hörst du mir erst einmal zu“, entschied Nala, während sie erfreut in die Hände klatschte und sich drohend über ihm aufbaute. Kakashi unternahm überhaupt keine Gegenwehr und überlegte stattdessen, was ihm anders vorkam an der jungen Frau, die er vor knapp einem Jahr noch jeden Tag gesehen hatte. Sie schien zwar größer und ihre Haare länger geworden zu sein, dennoch wurde all das von etwas anderem überlagert. Sie strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das ihn erschrak. Jegliche Unsicherheit hatte sie wohl aus ihrem Gefühlsrepertoire gestrichen zu haben, so wie sie ihn mit blitzenden Augen anstarrte. Sie trug einen schwarzen, zweckmäßig wirkenden Ninja-Overall und ein rotes Tuch um den Hals. Dieses nahm sie ab und band ihm mit einem absichtlich besonders fest gezogenen Knoten um den Mund, der ohnehin schon von der Maske verborgen wurde. „Wir wollen ja sichergehen, dass ich ausreden kann, stimmt’s?“, sagte sie gespielt fröhlich. Erst dann setzte sie sich auf seinen Bauch und legte die Stirn in Falten, die von ihrem Zorn zeugten. „Was fiel dir eigentlich ein, mich wortlos zu verlassen? Du hast zwar alles getan, wozu dich deine Mission verpflichtet hat, doch allein die Höflichkeit gebietet es ja wohl, sich angemessen zu verabschieden! War es dir völlig egal, dass ich dir eigentlich noch etwas zu sagen hatte? Ich habe dich eigentlich die ganze Zeit für einen der mutigsten Männer gehalten, die ich kenne, aber deine Flucht hat dich eher zu einem Feigling gemacht. Ich – war – wirklich – enttäuscht – von – dir!“. Bei den letzten Worten trommelte sie zur Betonung mit den Fäusten auf seiner Brust. Kakashi ließ es geschehen, ohne sich zu rühren. „Nur weil ich mich bereiterklärt hatte, meinen Vater zu treffen, hieß das nicht, dass damit alles im Butter war. Ich habe ganz schön mit ihm gestritten, hörst du? Da wäre dein ruhiges Naturell nicht gerade fehl am Platz gewesen. Du hast damit angefangen, dann hättest du es auch ruhig beenden können. Warst du etwa so in Eile? Das glaube ich nicht. Jedenfalls habe ich hinterher mit deiner Vorgesetzten, also der Godaime Hokage, gesprochen, die nichts von einer anschließenden dringenden Mission wusste, die dich zu einem überstürzten Aufbruch genötigt hätte. Da fragte ich mich natürlich: Was war dann der Grund?“. Nala schien durch ihn hindurchzusehen, als sie sich daran erinnerte, wie ihr Dienstmädchen ihr die Neuigkeit von Kakashis Abreise überbracht hatte. Anstatt tobend irgendetwas zerschlagen, wie sie es sonst getan hätte, war sie einfach an Ort und Stelle zusammengesunken und fortan zu nichts in der Lage. Nicht zum Weinen, nicht zum Lachen – einfach zu gar nichts. Sie hatte sich völlig leblos gefühlt. „Aber ich will ehrlich zu dir sein. Eigentlich spielt es keine Rolle mehr, weshalb du abgehauen bist. Dennoch fühle ich mich dazu verpflichtet, das zu vollenden, was ich damals begonnen habe, anders als du.“ Sie richtete ihre Konzentration wieder auf den Mann, der sie entgeistert ansah. Die Regentin, die nun offensichtlich endgültig zur Frau herangewachsen war, krallte ihre Hände in seine Weste und sagte atemlos: „Ich liebe dich, Kakashi Hatake aus Konoha. Du hast mir völlig den Kopf verdreht, ich habe nur lange gebraucht, um das zu kapieren.“ Kapitel 11: Die Entscheidung ---------------------------- Ich liebe dich, Kakashi Hatake aus Konoha. Du hast mir völlig den Kopf verdreht, ich habe nur lange gebraucht, um das zu kapieren. Trotz aller Entschlossenheit, die sie in diese Worte legte, klopfte Nalas Herz wie wild dabei. Dennoch brach sie den intensiven Blickkontakt nicht ab, auch wenn sie das leuchtende Rot seines rechten Auges ablenkte. Sie ließ seine Weste nicht los und einige Zeit verharrten sie in dieser Stellung, ohne dass einer von ihnen etwas sagte. Tage, an denen sie sich nur auf dieses eine Gespräch vorbereitet hatte, zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Nächte, in denen sie, von Zweifeln geplagt, nicht glaubte, je zu so etwas den Mut zu haben. Unterhaltungen mit ihrer Zofe, die immer wieder aus ihr herauskitzelte, was sie empfand, ohne dass sie zu dem Zeitpunkt wusste, dass es Liebe war. Längst hatte sie beschlossen, sich nicht von der Möglichkeit beirren zu lassen, dass er sie vielleicht bereits vergessen hatte oder bereits vergeben war. Sie musste es für sich tun, da sie sich sicher war, es ansonsten irgendwann zu bereuen, die Wahrheit verschwiegen zu haben. Sie kam sich bei der ganzen Sache zwar kindisch und lächerlich vor, doch tief im Inneren wusste sie, dass es keine pubertäre Verliebtheit war, die sie übermannt hatte. Der Altersunterschied verunsicherte sie, aber eher in Bezug auf die Tatsache, dass Kakashi sie für viel zu jung hielt und dementsprechend behandelte. Es blieb nur die Möglichkeit, ihn damit zu konfrontieren, und sich seine Meinung dazu anzuhören. Doch sie war noch nicht fertig und nahm ihm deshalb das Tuch noch nicht ab. „Ich möchte jetzt nichts davon hören, dass ‚so etwas schon wieder vergeht‘ oder ich ‚bestimmt noch jemanden in meinem Alter finden werde‘. Du hast mich lange genug unterschätzt und ich meine das, was ich sage, verdammt ernst. Ich habe beinahe die ganze Zeit nachgedacht und gelitten, um zu dieser Erkenntnis zu kommen, und wehe, du willst sie herunterspielen. Als ich mich endlich bereit dazu gefühlt und meine anderen Angelegenheiten geklärt hatte, bat ich die Anführerin von deinem Heimatort um Hilfe, da ich nicht wusste, wie ich sonst eine Situation schaffen konnte, in der du mir erst einmal zuhörst, ohne wieder abzuhauen oder abzuwinken. Seit damals bist du ziemlich unberechenbar für mich geworden.“ Endlich ließ Nala ihn los und löste den Knoten des Tuches in seinem Nacken. Die Messer, die ihn am Boden festhielten, ließ sie allerdings stecken. Den Platz auf seinem Bauch verließ sie ebenfalls nicht, weil sie nicht riskieren wollte, dass er sie abfertigte und verschwand. Mittlerweile traute sie ihm alles zu. Ruhig schob Kakashi den Stirnprotektor wieder vor sein Sharingan, ohne dass sich sein freies Auge bewegte. „Du hast mich erst unberechenbar gemacht“, sagte er schließlich leise. „Wie meinst du das?“, fragte Nala scharf und er holte tief Luft. „Seitdem ich dich in all deinen Facetten erlebt habe, bist du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Vorher habe ich nie etwas Derartiges empfunden oder überhaupt nur in Erwägung gezogen. Für mich gibt es meine Freunde, meine Missionen und meine Hobbys und das alles füllt mich im Grunde schon zur Genüge aus. Zumindest habe ich noch nie darüber nachgedacht, ob mir vielleicht etwas fehlt. Jedenfalls nicht, seit ich erwachsen bin. Und dann kamst du daher und bist wie ein Wirbelwind in mein Leben geraten. Wenn ich allerdings zulasse, was sich seitdem verändert hat, bereitet uns beiden das nur Schmerz und Schwierigkeiten. Ich bin nicht gut für dich. Natürlich willst du nicht hören, dass wir altersmäßig weit auseinander liegen, aber diese Tatsache lässt sich nicht ignorieren.“ Kaum hatte er den letzten Satz ausgesprochen, traf ihn eine Ohrfeige mitten im Gesicht. Sein Auge weitete sich vor Überraschung, als seine Wange anfing zu brennen, doch dann spürte er die Tränen, die auf seinen ausgestreckten Hals tropften. „Warum bist du, was Gefühle betrifft, so ein Feigling?“, schrie sie und durchschnitt mit ihrer Stimme die Stelle wie ein scharfes Schwert. „Warum kannst du nicht einfach mal etwas zulassen? Ist das der Grund, weshalb du damals abgehauen bist?“. Die Tränen liefen Nala über das Gesicht, während sie sich die Hand hielt, mit der sie zugeschlagen hatte. „Warum musst du immer solch eine Distanz wahren, meinst aber gleichzeitig zu wissen, was gut für mich ist und was nicht?“ „Es geht mir um dein Wohlergehen. Du musst dich auf wichtigere Dinge konzentrieren.“ „Das sind doch alles fadenscheinige Ausreden! Was ist wichtiger, als mein Glück im Leben zu finden? Und wenn dieses Glück eben du bist, dann habe ich ja wohl das Recht dazu, mich darum zu bemühen!“ „Verstehst du denn nicht, dass es nur Probleme schaffen würde? Du bist kaum 18 und ich schon fast 30. Außerdem bist du die Königin eines ganzen Landes und ich ein Jonin aus einem anderen Land!“, versuchte er verzweifelt, aber trotzdem mit ruhiger Stimme auf sie einzuwirken. Der Mond trat hinter den Wolken hervor und tauchte die Szene in schwaches Licht. Der Tränenstrom Nalas versiegte und machte erneut der Entschlossenheit Platz, die sie bereits zu Beginn ausgestrahlt hatte. „Ich bin keine Königin mehr.“ „Was?“, fragte Kakashi, das erste Mal wirklich gänzlich aus der Fassung geraten. Sie schlang die Arme um den Körper, als friere sie, und sah mit zusammengebissenen Zähnen zur Seite. „Gemeinsam mit meinem Vater habe ich ein neues System eingeführt. Es hat mir Spaß gemacht, für mein Land da zu sein, doch auf Dauer würde es mir alle Kräfte rauben. Trotz aller Stärke, die man mir zuschreibt, bin ich trotzdem das Kind meiner Mutter. Außerdem war ich es leid, dass Verwandtschaft und Reichtum die Macht des Einzelnen festlegen. Aus diesen Gründen haben wir die Monarchie in Kusa no Kuni abgeschafft, was natürlich erst einmal für Unmut beim Volk gesorgt hat, genau wie die Tatsache, dass mein Vater zurückgekehrt ist, den sie immer noch für das Unglück der Königsfamilie verantwortlich gemacht haben. Mittlerweile akzeptieren sie allerdings die Tatsachen wie sie sind, nicht zuletzt, weil ich mich mit all meiner Kraft für Hiroshi eingesetzt habe und sie endlich eingesehen haben, dass Vorurteile zu nichts führen. Selbstverständlich gibt es noch den ein oder anderen, der mit der Entwicklung nicht einverstanden ist, doch ich hoffe, dass sich das mit der Zeit legt. Es wird vom Dorf ein Rat gewählt, der wiederum den Anführer bestimmt, also so ähnlich wie in Hi no Kuni und den anderen größeren Ländern. Die Menschen sind es nicht gewohnt, Entscheidungskraft zu haben, und müssen erst lernen, damit umzugehen, doch es wird mit jedem Tag besser. Es gefällt immer mehr Leuten, auch etwas zur Politik beitragen zu können, auch wenn es ungewohnt ist. Es wurde mir angetragen, einen Posten im Rat zu besetzen, doch ich habe beschlossen, mich gänzlich aus der Politik zurückzuziehen. Die Einwohner von Kusa no Kuni sind mir nicht egal, aber mein Herz hängt noch an anderen Dingen. Das habe ich gelernt, seitdem du weg warst. Nicht nur an dir hängt es, sondern auch am Reisen, am Kennenlernen neuer Menschen und am Aneignen neuer Künste. Mein Amt hat mich eingeengt und ich habe es abgelegt, auch wenn das vielleicht etwas egoistisch von mir war. Allerdings lasse ich Kusa no Kuni nicht ganz allein. Mein Vater bleibt dort wohnen, wenn auch nicht im Palast, und ich werde ihn natürlich besuchen.“ Der Ninja aus Konoha konnte nicht fassen, was er da hörte. Diese Frau sprengte immer wieder das Bild, was er sich von ihr machte. Die ganze Zeit war er fest der Überzeugung, dass es für Nala nichts Wichtigeres gab als das Volk zu führen und jetzt stürzte sie plötzlich die Verhältnisse um? Das wollte ihm nicht in den Kopf. Doch gerade ihre Unberechenbarkeit in manchen Dingen hatte ihn von Beginn an so fasziniert, wie er sich eingestehen musste. Nicht zuletzt hatte das dafür gesorgt, dass er sich diese Unberechenbarkeit in der einen oder anderen Situation ebenfalls angeeignet hatte, auch wenn er es nicht zulassen wollte. „Unglaublich!“, brachte er nun heraus. Ohne darauf zu antworten zog die einstige Herrscherin nacheinander und mit größter Sorgfalt jedes einzelne Messer, das Kakashi zurückhielt, aus dem Boden. „Du bist frei“, murmelte sie, als sie damit fertig war. „Ich habe dir gesagt, was ich sagen wollte, also kannst du jetzt gehen.“ Nala ließ ihn ihr Gesicht nicht sehen, doch er war sich ziemlich sicher, dass ihre Augen wieder voller Tränen waren. „Das mit uns geht nicht“, wiederholte Kakashi tonlos und richtete sich langsam auf. „Ich bin zu alt…“ Endlich hob sie den Kopf und ließ ihn alles sehen, was ihr Gesicht widerspiegelte. Trauer, Zorn, Enttäuschung… „Red dir das nur ein“, antwortete sie ebenso leise. „Aber der wahre Grund besteht darin, dass du Angst hast, dich in unbekanntes Gewässer zu begeben. Seit damals, seit der Geschichte mit Obito und Rin, scheinst du vollkommen auf Sicherheit und klare Verhältnisse zu bestehen. Ich kann verstehen, dass es so für dich einfacher ist, aber die einfache Wahl ist nicht immer die richtige. Das habe ich mittlerweile gelernt. Du weißt nicht mehr, wie es ist, Dinge einfach zuzulassen. Ich wünsche mir, dass dir das irgendwann mit einer anderen Person gelingt und du nicht noch mehr Menschen verletzt, auch wenn das nicht deine Absicht sein mag.“ Ein letztes Mal wischte sich die junge Frau über das Gesicht und ließ die Messer einfach zu Boden fallen. Mit hängendem Kopf, aber zu Fäusten geballten Händen kehrte sie ihm den Rücken zu und machte sich auf den Weg durch den dicht bewachsenen Hain. „Überlege dir bitte vorher genau, was du erreichen möchtest.“ Wie paralysiert blieb er an Ort und Stelle stehen und sah ihr nach. „Sie unterschätzen ihre Gefühle.“ Er bedeckte sein Gesicht mit der linken Hand. „Ich liebe dich Kakashi Hatake aus Konoha!“ Seine Zähne rissen seine Lippen auf, so fest biss er auf sie. „Du bist ein Feigling!“ Langsam verschwamm ihr Umriss in der Dunkelheit. „Ich wünsche mir, dass dir das irgendwann mit einer anderen Person gelingt und du nicht noch mehr Menschen verletzt, auch wenn das nicht deine Absicht sein mag.“ „Verdammt!“. Kakashi riss die Hand herunter und raufte sich stattdessen die Haare. Es ist kalt geworden, dachte Nala zerstreut, als sie immer weiter den Bambushain durchlief. Vielleicht sollte ich mich hier einfach irgendwo hinlegen und das Schicksal seinen Lauf nehmen lassen. In diesem Moment hielt sie jemand am Arm fest. Sie drehte sich nicht um, sondern holte nur Luft. Ein. Aus. Ein. Aus. Dann spürte sie Kakashis Wange an ihrer und seinen Atmen an ihrem Ohr, als er flüsterte: „Ich bin nicht gut in so etwas. Sei geduldig mit mir.“ Erst daraufhin wandte sie sich mit einem ungläubigen, sich langsam ausbreitendes Lächeln um und starrte ihn an. „Ich auch nicht, was Gefühlsdinge angeht. Aber es ist schön zu hören, dass der große Kakashi Hatake auch mal nicht gut in etwas ist“, murmelte sie mit verlegenem Gesichtsausdruck, woraufhin er grinsen musste. Sich auf die Zehenspitzen stellend legte sie ihm nach kurzem Zögern eine Hand in den Nacken und schob mit der anderen seine Maske ein Stück herunter. Einen Augenblick hielt sie inne, wie um Erlaubnis zu bitten, doch Kakashi beantwortete die unausgesprochene Frage, indem er sich zu ihr hinunterbeugte und sie küsste. Auch wenn es länger gedauert hatte als nötig, war er endlich dort, wo er sein wollte. Er spürte, dass diese starke, aber gleichzeitig auch zerbrechliche Frau sein Zuhause war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)