Romeo von Shunya (Balkonien und Schulhofromanzen) ================================================================================ Kapitel 2: Liebe ---------------- Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich mal meine Zeit mit meinen Klassenkameraden verbringen würde. Ich meine, normalerweise tun wir das ja sonst nie. Da die anderen Gruppen nicht wissen sollen, was wir planen, haben wir uns heute im Kartenraum verschanzt. Lisa sitzt untätig herum und lackiert sich die Nägel rot. Leander hört Musik und Marius nutzt die Zeit zum pennen. Einzig ich und Vincent versuchen mühevoll etwas auf die Beine zu stellen und ich bin ihm dankbar, dass er mich damit nicht alleine lässt. Ohnehin scheint er wesentlich umgänglicher zu sein, als ich es immer angenommen habe. Mal abgesehen von seinen dummen Sprüchen über Romeo und Julia. Ansonsten ist das Projekt aber ein totaler Reinfall. Wir haben keinen blassen Schimmer womit wir anfangen sollen beziehungsweise wo das ganze überhaupt hinführen soll. Genervt kritzele ich ein paar Ideen in meinen Block. Mein Blick schweift durch den Raum und bleibt unweigerlich an Marius hängen. Er sieht so ruhig und entspannt aus, wenn er schläft. Seufzend wende ich den Blick ab und sehe zu Leander, der genau in diesem Moment die Augen aufschlägt und mich ansieht. Ich schlucke und versuche mich an einem Lächeln. Er zieht lediglich eine Augenbraue hoch und nimmt einen Knopf aus dem Ohr. „Willst du was?“, fragt Leander, woraufhin ich hastig den Kopf schüttele und meinen Blick wieder auf den Block richte. Ich bin so doof. Wieso kann ich nicht mal eine normale Konversation führen? In meinem Kopf klappt das doch auch immer wunderbar, wieso dann nicht auch mit anderen? Worüber soll ich auch mit Leander reden? Über das wechselhafte Wetter? Den Sommer, der kein Ende nimmt? Ich linse wieder zu ihm und bekomme glatt einen Herzinfarkt, als er plötzlich so nahe an meiner Seite sitzt und über meine Schulter guckt. Verlegen spüre ich Leanders Kopf auf meiner Schulter, das Gewicht und seinen warmen Atem an meinem Hals und habe keine Ahnung was ich machen soll. „Die Szene können wir nicht machen oder sollen wir Spielzeugpistolen benutzen?“, murmelt er mir ins Ohr. Ein Schauder rinnt mir über den Rücken. „Na-na ja, a-also, vielleicht kö-können wir welche aus einem Laden ka-kaufen?“, stottere ich und kann kaum klar denken. Die plötzliche Nähe ist so ungewohnt. „Spielzeugwaffen! Das ist doch die Idee! Dann bauen wir Soundwords mit ein, wie im Manga! Wie wäre es mit einem Auftragskiller und der verliebt sich in eine Frau und wir anderen spielen seine Jäger und wollen den Kerl umlegen!“, meint Vincent begeistert und beugt sich über den Tisch. „Gibt es eine Kussszene?“, fragt Lisa und sieht nicht mal von ihren Nägeln auf. „Wenn du unbedingt eine brauchst...“, meint Vincent genervt. „Marius ist unser Protagonist!“ „Wieso ich?!“, meckert dieser schlecht gelaunt. Offensichtlich hat er doch nicht geschlafen. Gereizt sieht er zu uns und steht auf. „Ohne mich, darauf habe ich keinen Bock!“, murrt Marius und will den Kartenraum verlassen, als Vincent ihn einfach zurück hält. Jemand anderes hätte sich das ganz sicher nicht getraut. Ich zum Beispiel. „Lass mich los!“, wettert Marius ihn an. Vincent verzieht mürrisch sein Gesicht und lässt seine Hand sinken. „Und wieso nicht?“ „Weil ich es hasse, wenn andere einfach über meinen Kopf hinweg irgendwelche Sachen entscheiden ohne mich vorher zu fragen!“, erwidert Marius wütend und öffnet die Tür. Er verschwindet und lässt uns allein zurück. „Marius! Warte auf mich!“ Sofort steht Lisa auf und rennt ihm wie ein Dackel hinterher. Wie gerne wäre ich ihm gefolgt, nur welchen Grund hätte ich schon? Mir fällt nichts ein, womit ich ihn aufhalten könnte. Vincent knabbert auf seiner Unterlippe und seufzt. „Was machen wir jetzt?“ Ich zucke mit den Schultern und sehe ihn ratlos an. Vincent lässt sich im Stuhl zurücksinken und grübelt vor sich hin. „Vielleicht haben wir noch ein paar Waffen im Keller. Mum hat noch ein paar Spielzeugsachen aufgehoben...“, überlegt er laut. „Ich bin dafür, dass wir nach der Stunde zu Romeo gehen und uns das Fotostudio ansehen. Dann können wir auch dort weiter planen und die Stunde ist sowieso gleich zu ende.“ Ich sehe von der Seite zu Leander und mir schnürt es regelrecht die Kehle zu. Hoffentlich wollen die nicht auch noch mein Zimmer sehen! Das sieht aus wie in einem Saustall! „Was ist mit Mr. Drückeberger und seinem Anhängsel? Ich habe keine Lust die beiden zu suchen!“, murrt Vincent. „I-ich kann das machen!“, schlage ich hastig vor und verstehe selber nicht, wieso ich das gerade angeboten habe. „Gut, dann treffen wir uns gleich vor der Schule und gehen zu dir.“ Vincent steht auf, Leander tut es ihm gleich und ich verstaue hastig Block und Stifte in meinem Rucksack. Wir verlassen den Kartenraum und während die Jungs das Gebäude verlassen, bleibe ich zurück und überlege wo Marius stecken könnte. Lisa ist mir ehrlich gesagt herzlich egal, die würde ich auch locker hier lassen und gar nicht erst einweihen. Ich nehme den entgegen gesetzten Weg und beschließe es mal bei der üblichen Raucherecke zu versuchen. So lange sind die beiden ja noch nicht weg. Ich gehe hinaus auf den Schulhof und sehe mich um. Niemand ist zu sehen. Ich laufe weiter und hinter die Toiletten wo sich die älteren Schüler meist aufhalten, doch auch dort ist keiner der beiden zu finden. „Wo stecken die nur?“, murmele ich vor mich hin. Ich schaue in den Toiletten nach, aber auch dort ist niemand. Ratlos bleibe ich stehen. Wo hängt Marius denn sonst immer ab? Zu dumm, dass ich das nicht weiß, dabei ist unser Schulhof doch gar nicht so groß. Ob er bei der Turnhalle steckt? Zielstrebig laufe ich dorthin und steige die drei Stufen zum Eingang hinauf. Ich rüttele an der Tür, doch sie ist verriegelt. Stirnrunzelnd laufe ich um die Ecke und und spitze die Lauscher. Ganz leise vernehme ich Geräusche und Stimmen. Langsam gehe ich näher heran, schleiche an der Mauer der Sporthalle entlang und versuche mir keine Kratzer von den Büschen einzuhandeln. „Ist doch total scheiße! Ich meine, Romeo ist doch eine dämliche Lusche und ich wette der ist noch Jungfrau! Hast du gesehen, wie er immer ganz rot im Gesicht wird und stottert? Wieso müssen wir mit dem in einer Gruppe sein? Der ist echt bescheuert! Wegen dem bekommen wir bestimmt noch eine schlechte Note und weißt du, dass er dich immer anglotzt? Mit dem stimmt doch was nicht!“ Ich spüre wie mir heiß und kalt zugleich wird. Ist es denn so offensichtlich, dass ich Marius immer ansehe? Unbeweglich stehe ich an der Wand und kann mich nicht vom Fleck bewegen. „Halt den Rand und gib mir die Kippe!“, murrt Marius. „Hast du Lust auf ein Date?“, höre ich Lisas Stimme. „Nö...“ „Komm schon, hab dich nicht so! Wir verstehen uns doch prima! Wieso willst du nicht mit mir gehen?“, jammert Lisa. Schadenfroh grinse ich vor mich hin. Wer will auch schon freiwillig mit so einer Trulla zusammen sein?! Die ist einfach nur gehässig und hat nichts im Hirn. Ich höre Schritte und will gerade in Deckung gehen, als Marius um die Ecke biegt. Er bleibt stehen und mustert mich. Ich spüre mal wieder die aufkeimende Hitze in meinem Gesicht und bleibe stocksteif an Ort und Stelle stehen. „Was ist? Wieso gehst du nicht weiter?“, fragt Lisa, die ich dank der Büsche nicht sehen kann. „Mir ist die Kippe runtergefallen...“, murrt Marius. Langsam gehe ich ein paar Schritte rückwärts und suche eilig das Weite. Mir klopft das Herz bis zum Hals und erleichtert atme ich tief durch, als ich den Schulhof erreiche. Ich drehe mich um und kann es immer noch nicht fassen, dass Marius mir gerade aus der Patsche geholfen hat. Marius und Lisa kommen aus ihrem Versteck und angesäuert schaut Lisa zu mir. „Was willst du?!“ „Di-die Jungs meinten, wir gehen jetzt zu mir und... ähm, wir wollten zum Fotostudio meines Vaters...“, stammele ich hastig. „Was? Darauf habe ich echt keine Lust!“, meint Lisa mürrisch und stemmt die Hände in die Hüften. Ich knabbere auf meiner Unterlippe und werfe Marius einen kurzen Blick zu. Der steht ziemlich unbeteiligt neben ihr und sagt kein Wort. Marius raucht seine Kippe zu ende, wirft sie achtlos zu Boden und setzt sich träge in Bewegung. „Dann mal los...“, murmelt er. Lisa sieht ihm entsetzt hinterher. „Das ist nicht dein Ernst?! Willst du echt zu dem da nach Hause?!“ Marius geht stur weiter und hastig laufe ich ihm nach. Kann mir doch egal sein, wenn Lisa nicht mitkommen will, umso mehr freut es mich, dass Marius uns begleitet. Zu blöd, dass ich mein Zimmer heute nicht aufgeräumt habe... „Hey! Marius, warte auf mich!“, schreit Lisa und rennt uns hinterher. Wir laufen durch das Schulgebäude hindurch zum Eingang und hinaus. Vorne an der Straße warten Vincent und Leander bereits auf uns. Wir schlagen den Weg rechts ein und gehen an der Bushaltestelle vorbei, passieren die Fahrradständer und Parkplätze der Lehrer. Daneben befindet sich das kleine Schwimmbad und an der Kreuzung gehen wir kurzerhand noch mal in den Supermarkt und kaufen uns Süßigkeiten und Eis. An der Kasse stelle ich entsetzt fest, dass ich meinen Geldbeutel nicht dabei habe. Unruhig wühle ich in meinen Taschen, während die anderen längst den Laden verlassen haben. „Und das hier auch.“ Ich sehe auf und erblicke Leander, der sein Zeug einfach zu meinen Sachen legt. „Wie viel macht das?“, fragt er. Die Kassiererin nennt ihm den Preis, Leander zahlt für uns beide und reicht mir die Tüte mit unseren Leckereien. „Danke! Ich zahle dir das zurück!“ Leander winkt ab und geht an mir vorbei. Hastig folge ich ihm nach draußen und laufe beinahe in ihn hinein, als er vor den anderen stehen bleibt. „Wohin geht’s jetzt?“, fragt Vincent. „Ähm, da lang!“ Ich zeige mit der Hand nach rechts und so setzen wir uns alle wieder in Bewegung. Erneut staune ich nicht schlecht, als Leander mir die Tüte abnimmt und sie trägt. Er ist wirklich ein echter Kavalier! Schweigend laufen wir nebeneinander. Ich würde ja zu gerne mit ihm reden, aber mir will mal wieder nichts einfallen. Die anderen drei laufen vor uns und unterhalten sich angeregt. Wieso kann ich das nicht? Wieso kann ich nicht so locker vom Hocker mit anderen sprechen? Ich sehe zur Seite als Leander eine Tüte mit roten Schnüren herausholt, sie öffnet und sich eine Schnur in den Mund schiebt. Er bemerkt meinen Blick und schiebt mir einfach eine Schnur in den Mund. Lächelnd knabbere ich daran herum. „Da vorne ist es!“, meine ich, als die anderen an einer Seitenstraße stehen bleiben und zu uns zurück schauen. Wir gehen zu dem weißen Gebäude, von dem man bereits unten durch ein großes Schaufenster in den Laden hinein sehen kann. In der Auslage stehen Bilderrahmen als Dekorationen und einige Kameras. Vor der Tür bleibe ich stehen und krame in meiner Tasche nach den Schlüsseln. Wir betreten den Laden und während die anderen sich neugierig umsehen, gehe ich hinten die Treppe hinauf in unseren Wohnbereich und laufe schnell in mein Zimmer. Dort schiebe ich flink alles unter mein Bett was nicht niet- und nagelfest ist und verstecke ein paar Sachen, die vor allem Marius nicht sehen darf. „So sieht dein Zimmer also aus...“ Überrascht drehe ich mich um und sehe zu Leander auf, der das Zimmer betritt und sich umsieht. „Äh, ja. Ich habe nicht mit Besuch gerechnet. Das kommt alles ein bisschen plötzlich!“, entschuldige ich mich und schiebe mit dem Fuß ein paar Klamotten unter das Bett. Leander grinst und kommt zu mir ans Bett. Er stellt die Tüte mit den Süßigkeiten ab und holt das Eis heraus. „Mir gefällt es hier.“ Er reicht mir mein Eis und öffnet von seinem die Verpackung. Lächelnd reiße ich meine Eistüte auf und knabbere an der Schokoladenschicht unter der sich das kalte und süße Vanilleeis verbirgt. Leander setzt sich neben mich und schweigend vertilgen wir unser Eis. „Hier seid ihr!“, höre ich Vincents fröhliche Stimme und sofort kommt er zu uns ins Zimmer und sieht sich um. „Ihr habt so geile Kameras da unten! Können wir nicht eine von denen benutzen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Ich müsste meinen Vater fragen.“ Marius und Lisa gesellen sich ebenfalls zu uns und mein Herz macht Purzelbäume. Marius ist das erste Mal in meinem Zimmer! Diesen Moment werde ich bestimmt nie wieder vergessen! „Meine Güte, sehen Jungenzimmer echt so versifft aus?“, fragt Lisa entsetzt. Marius setzt sich neben mir auf das Bett und holt seine Kippen aus der Hosentasche. Meine Mutter bringt mich um, wenn sie den Rauch riecht! „Ähm...ka-kannst du draußen rauchen?“, frage ich ihn zaghaft. Marius sieht mich mürrisch an. Verschreckt halte ich den Atem an. „Meine Mum hasst Zigarettenrauch.“ „Super...“ Angepisst steckt Marius seine Schachtel zurück in die Hosentasche. Lisa setzt sich auf meinen Drehstuhl, während Vincent meine CD Sammlung durchstöbert. „Hier, lasst uns das hier hören! Imagine Dragons, die Songs sind gut!“, meint Vincent und schiebt das Album in meinen CD Player. Die Musik schallt aus den Boxen und sofort dreht Vincent den Bass auf. Ich knabbere weiter an meinem Eis und linse zu meinem Arm, den Marius' Arm berührt. Seine Haut ist angenehm warm. Im Moment wünschte ich, ich wäre alleine hier mit ihm im Raum und könnte ihn küssen und berühren. Lisa murrt gelangweilt und dreht sich auf dem Stuhl im Kreis. „Was ist denn jetzt mit dem Projekt? Wie geht’s weiter?“, fragt sie. „Ich würde sagen, ich und Romeo schreiben die Story. Vincent guckt nach, ob er Zuhause noch die Spielzeugpistolen hat. Ihr bekommt dann eure Rollen zugeteilt und dann suchen wir uns ein paar Orte, wo wir die Fotos machen können!“, meint Leander. Ich sehe zu ihm und bin überrascht wie er einfach die Führung übernimmt. Leanders Idee gefällt mir aber ganz gut. „Okay, dann treffen wir uns morgen nach der Schule wieder hier!“, meint Vincent und kratzt sich am Kopf. „Frag mal wegen der Kameras!“, fordert er mich auf. Zögernd nicke ich. Versprechungen machen kann ich schlecht, wenn mein Vater die Kameras selber benutzt, aber einen Versuch ist es wert. Marius steht auf und als seine Finger kurz meinen Handrücken berühren, kribbelt es angenehm. Ich schaue zu ihm auf, doch Marius sieht mich nicht an. Ich schaue auf meine Hand und unterdrücke ein Lächeln. Die anderen stehen auf und verlassen mein Zimmer. „Bleibst du hier?“, fragt Vincent Leander, der neben mir sitzen bleibt. Er nickt und wirft mir einen kurzen Blick zu. Als wir alleine im Zimmer sitzen, herrscht Stille. Ich futtere gemächlich mein Eis auf und Leander sucht in meiner Tasche nach meinem Block. „Und seit wann stehst du schon auf Marius?“, murmelt er. „Wa-was?“, frage ich ihn überrascht. Leander findet den Block, legt ihn auf seinen Schoß und sieht zu mir. „Seit wann bist du in Marius verknallt?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)