Crystal Riders von Rainblue (Reanimation) ================================================================================ Kapitel 25: Nullte Stunde ------------------------- Moon – Nullte Stunde Most Emotional OSTs Ever: Time Out Manchmal gibt es diese Momente im Leben, in dem die ganze Welt den Atem verloren zu haben scheint. Die Uhren kommen zum Stillstand, der Wind verharrt, Stille wird zu einem Geräusch und zu einer Decke, die sich kalt um schlagende Herzen legt. Aber ebenso plötzlich wie die Betäubung kommt, fangen ihre Fäden wieder an, sich zu lösen. Und mit jedem Riss rückt die Brutalität der Wirklichkeit zurück in den Vordergrund. Ich konnte mir nicht erklären, wieso dicke Tropfen an meinen Wangen herabsausten und auf meinen Händen winzige Pfützen erzeugten. Meine Hände, die klamm um Ambers Arm lagen. Seine Muskeln waren angespannt, unter der Haut schrie es. Äußerlich war er wachsstarr so wie ich, aber innerlich knallten Sicherungen entzwei, begannen Orkane zu wüten und stürzten Gedanken krachend in sich zusammen. Meine schwammige Sicht richtete sich auf Jade, die wie, als hätte sie sich verbrannt, ihre Hände vom Puls der beiden löste und auf die Beine kam. Sie stieß einen Laut aus, der sowohl Schluchzen, als auch Schrei, als auch Wimmern sein konnte, dann stolperte sie blindlings auf Mako zu, packte ihren Arm und zog sie mit sich zur Tür der Aula. „Mach, dass du wegkommst“, herrschte sie sie an, aber es klang nicht wütend, es klang bodenlos verzweifelt. „Sonst kriegen sie dich. Na los!“ Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Mako zögerte, dann jedoch nickte und etwas ungelenk davonlief. In dem Moment regte sich Amber neben mir. Er machte einen Schritt nach vorn, dann noch einen und ich folgte seiner Bewegung. Erst als nur noch wenige Zentimeter zwischen uns und den beiden lagen, stoppten wir und meine Hände fielen wie sinnlose Anhängsel neben meinen Körper. Der Schwung genügte, um auch meine Knie zu lösen. Hart trafen sie auf den Boden, dann folgten meine Hände. Ich konnte nichts erkennen, so dicht waren die Tränen mittlerweile. Aber trotzdem griff ich nach der vagen Silhouette vor mir und zog sie benommen an mich. Ihr Haar streifte meine Wange, ihr Körper war noch warm, aber kein Atem durchwehte die Härchen in meinem Nacken, kein Herzschlag echote an meiner Brust. „Crys…“, hauchte ich. „Crystal…“ Ihr Kopf kippte vornüber und sank auf meine Schulter. Ich hielt sie im Arm wie eine lebensgroße Puppe, wiegte sie und vergrub das Gesicht im Stoff ihrer Jacke, weshalb ich Amber nur hören konnte. „Komm schon, Kumpel, das kann nicht dein Ernst sein“, sagte er, lachte, brach ab, musste sich räuspern, lachte noch einmal… schluchzte. „H-Hör auf mit den Spielchen, Jet!“ Sein Atem setzte aus, dann hörte ich, wie er die Faust auf den Boden donnerte. „Du verdammter Mistkerl, jetzt mach endlich die Augen auf!“ Aber nichts geschah. Es blieb still. Und kalt. „Der Virus“, hörte ich Jades Stimme irgendwo hinter mir wie ein Flammenflackern. „Er ist das Einzige, was ihre Körper jetzt noch am Leben hält. Aber…“ „Aber was?“, presste Amber kraftlos hervor. Ich hob den Blick etwas aus Crystals Haaren und blinzelte die Tränen angestrengt hinfort, um halbwegs klar sehen zu können. „Aber die Chancen stehen sehr gering, dass seine Kraft sie lange genug am Leben hält, um wieder aufzuwachen…“ Kaum hatte sie das gesagt, stürmte eine Gruppe von Schülern in die Aula. Ihnen voraus ging Rosequartz, die oberste Ärztin des Internats. Schräg hinter ihr erkannte ich rotes Haar und war auf einmal nicht mehr in der Lage, meinen Blick von ihr abzuwenden. Mira blieb wie angewurzelt stehen, ihre Augen streiften Crystal, dann Jet, Amber und blieben letztendlich auf mir ruhen. Jemand wollte mir Crystals Körper aus den Armen nehmen, aber ich ließ nicht los, sondern drückte sie nur fester an mich. Meine Kehle schmerzte von dem Knoten, der sich in ihr festgesurrt hatte, daher bestand mein Protest nur aus unverständlichem Gekreische, als Amber meine Arme packte und mich so fixierte, dass sie mir Crystal abnehmen konnten. Zornblind wand ich mich aus seinem Griff, wirbelte herum und schlug mit den Fäusten auf seine Brust ein, bis meine Kraft ruckartig nachließ, von Schluchzern aufgesogen wurde, die mein ganzes Skelett beben ließen. Amber schlang die Arme um mich und weinte hemmungslos in mein Haar, wie der kleine Junge, dem ich einst auf dem Spielplatz begegnet war. Und ich wie das Mädchen, das durchnässt bis auf die Knochen in einem Zirkuskäfig saß. „Das darf nicht geschehen sein…“, wimmerte ich. „Das darf es einfach nicht.“ Und Amber, der immer Worte gefunden hatte, selbst wenn sie nicht klar aus ihm herausgekommen waren, der von Worten lebte, dessen Farben aus Buchstaben gewebt waren – seine Stimme war versiegt. Und mit jedem Atemzug wurde die Welt um uns herum grauer und stiller. Und fror langsam ein. Worlds Most Emotional Music Ever: Lämenta „Moon.“ Etwas berührte mich an der Schulter, schüttelte mich sanft und mein Kopf kullerte träge zur Seite, auf den anderen Arm. Der, auf dem er vorher geruht hatte, war mittlerweile taub. „Warst du schon wieder die ganze Nacht hier?“ „Nicht die ganze“, nuschelte ich, gähnte und streckte mich, dass meine Schultermuskeln sich quietschend beschwerten. Diese verkrampfte Schlafhaltung bekam mir nicht gut, aber es war immer noch tausendmal besser, als stundenlang mit offenen Augen und angespannten Gliedern im Bett zu liegen. „Du solltest etwas essen“, meinte Amber, strich mir noch einmal übers Haar und trat dann hinüber zum Ecktisch, wo er eine frische Blumenvase abstellte. Der Strauß thronte in unaufdringlicher Eleganz darin; winterweiße Rosenblüten und flachsblaue Lilien. Ich wusste nicht, wie Amber auf diese Idee gekommen war, fand jedoch genauso wie er, dass sie zu Crystal und Jet passten. Ich gähnte noch einmal und rieb mir über die Augen. Durch die Fenster fiel grünes Frühlingslicht, es war mittlerweile so warm, dass wir sie sogar schon anklappen konnten. „Wenn die zwei sich nicht beeilen, verpassen sie die Blütestunde der Kirschbäume…“, lächelte Amber, aber seine Mundwinkel zitterten und er senkte rasch den Kopf, bevor ihm das Lachen ganz aus dem Gesicht fiel. Ich nickte mechanisch vor mich hin, während meine Augen hinüber zu Crystals Gesicht wanderten, an deren Bett ich immer noch saß. „Jade schenkt bestimmt wieder selbst gemachten Sake aus“ murmelte ich in ihre Richtung. Sie sah so friedlich aus – wo auch immer ihr Geist gerade war, es musste ein schöner Ort sein. „Und du weißt ja noch gar nicht, wie empfindlich Ambers Nerven auf Sake reagieren.“ „Hey!“, kam es vom Fensterbrett. „Von wegen empfindlich! Ich kann doch nichts dafür, dass Jade ein Originalrezept verwendet – die alten Japaner da drüben sind entweder alkoholresistent oder vollkommen plemplem.“ Er grinste schief und ich musste ebenfalls lachen, aber wieder verlor es sich in der Stille wie ein in die Leere geschossener Pfeil und wir richteten gleichzeitig die Augen zu Boden. „Ich hab dir…“, hörte ich mich plötzlich murmeln und verzog das Gesicht, als mir die Wärme in die Wangen schoss und mein Sichtfeld aufquoll. „Ich hab dir nicht einmal meinen richtigen Namen sagen können!“ Abrupt riss ich den Kopf wieder hoch und tastete mit fliegenden Fingern nach Crystals Hand, die reglos in meine fiel. Schritte klapperten auf dem Laminat. „Hör auf damit, Moon“, raunte Amber und kniete sich neben meinen Stuhl. „Sie werden wieder aufwachen, du wirst schon sehen. Ehe wir es begriffen haben, sitzen sie schon wieder neben uns in der Mensa und haben nur Augen füreinander.“ „Die zwei Turteltauben“, erwiderte ich kopfschüttelnd und die Tränen liefen haltlos über. Amber seufzte mit einem schwachen Grinsen und streichelte mir tröstlich über den Arm. Da klopfte es auf einmal an der Tür. Jade erschien mit einem großen Korb im Arm, den sie vor Crystals Bett auf dem Boden abstellte. Das Aufbegehren eines Lächelns huschte über ihre Lippen, aber etwas war komisch, ich konnte nur nicht sagen, was. „Gibt es schon Neuigkeiten von Mako?“, fragte Amber, indem er vom Boden aufstand, jedoch nah bei mir stehen blieb. Jade trat hinüber ans Kopfende des Bettes und fühlte Crystals Puls, dann schüttelte sie den Kopf. „Sie ist untergetaucht, die Polizei durchkämmt bereits die äußeren Regionen. Dieses Mädchen scheint sich unsichtbar machen zu können.“ Ich atmete ein wenig auf. Ich hatte Mako nicht wirklich gekannt, aber sie hatte ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um an Informationen über Jet zu kommen, auch wenn ich die Zusammenhänge immer noch nicht ganz verstand. Jade war unterdessen zu Jet hinübergegangen, um auch seinen Puls zu prüfen, aber das lau glimmende Seufzen, das folgte, verriet mir, dass alles unverändert war. „Ich bin immer noch verwirrt wegen dem, was Mako gesagt hat“, meldete sich da Amber zu Wort und Jade drehte sich ihm langsam zu. „Jet wird… von jemandem kontrolliert? Und dazu gezwungen, seine Gabe anzuwenden?“ „Ist das der Grund, warum er so oft verschwindet?“, fügte ich stirnrunzelnd hinzu und erhob mich vom Stuhl. Jades Augen wichen nicht aus, aber ihr Gesicht wurde immer neutraler, bis es kaum noch von einer schönen, asiatischen Porzellanmaske zu unterscheiden war und letzten Endes waren wir es, die dem Blickkontakt nicht mehr standhielten. BioShock 2 OST - How She Sees The World „Es stimmt“, erwiderte sie schließlich, ihre Züge unvermindert straff. „Schon als sie ihn damals hierherbrachten, war mir klar, dass sie ihn zu ihrem persönlichen Bluthund abrichten wollten. Ich sollte ihnen dabei sogar helfen, aber ich weigerte mich. Ich brachte ihm im Geheimen Kampftechniken bei, die seinen freien Willen stärkten, die dazu da waren, zu beschützen, nicht zu zerstören, aber…“ Ihre glashellen Augen wanderten über Jets Gesicht. „Es hat niemals genügt. Immer wieder musste ich dabei zusehen, wie seine Augen das Licht verloren und er nur noch die Sprache des Blutes verstand.“ Ihr Blick glitt weiter zu Crystal. „Bis sie hier auftauchte.“ „Crystal?“, fragte ich verwundert. Jade nickte schwer, dann wandte sie sich uns wieder vollständig zu. „Hört zu. Ihr müsst mir versprechen, dass diese Informationen unter uns bleiben. Wenn irgendjemand, sei es hier auf dem Internat oder woanders, davon erfährt, bringt ihr euch in unvorstellbar große Gefahr.“ „Aber…“, setzte Amber an, doch Jade hob die Hand zum Zeichen, dass er nicht weitersprechen sollte. „Vertraut mir. Erzählt niemandem davon, facht keine Gerüchte an. Es ist schlimm genug, dass Mako in die Sache hineingezogen wurde. Mit der Regierung ist nicht zu spaßen, glaubt mir.“ Ich hatte Jade nie zuvor so gesehen. So wie sie jetzt vor uns stand, hatte sie nichts mehr von der anmutigen, liebevollen Direktorin, die mir damals die Hand gereicht und mir den Namen Moonstone gegeben hatte. Nein, was jetzt vor uns stand, war eine von unzähligen Narben gezeichnete Frau, ein viel älterer Geist gefangen in einem blutjungen Körper. Und ich glaubte ihr, ich glaubte jedes einzelne Wort. Denn ihre Augen ließen keinen Zweifel mehr daran, dass sie all die Gräueltaten, die die Regierung zu tun bereit war, gesehen hatte und von ihrer eigenen Ohnmacht an den Rand des Schlachtfeldes gedrängt worden war. Und dennoch, obwohl ich all das in ihrer Miene lesen konnte, stellte ich die Frage. „Mako sprach von einem Yuri Drake. Kennt Ihr ihn?“ Mir stand noch allzu deutlich ihre Reaktion vor Augen, als Mako den Namen in der Aula erwähnt hatte. Aus einem mir unerfindlichen Grund richtete sich Jades Aufmerksamkeit für Sekundenbruchteile auf den Blumenstrauß hinter uns und sprang dann zurück. „Ja“, sagte sie, aber es schwang nichts in ihrem Ton mit, was ich hätte aufgreifen können, um mehr herauszufinden. Es schien, als hätte sie ihre Emotionen samt und sonders mit Asche bedeckt. Während ich noch die Stirn krauste und fühlte, wie Amber unschlüssig das Gewicht verlagerte, durchmaß Jade den Raum und öffnete die Tür. „In dem Korb findet ihr Bastelanleitungen und Rezepte“, bemerkte sie mit einem Nicken darauf. „Ich denke, es tut euch gut, bei den Vorbereitungen für das Kirschblütenfest mitzuhelfen. Dann kommt ihr auf andere Gedanken.“ Damit verließ sie das Zimmer und obwohl sie die Tür behutsam ranzog, zuckte ich beim Einrasten des Schlosses zusammen und hielt mich reflexartig an Amber fest. Einen Moment lang betrachteten wir schweigend den Korb, aber dann holte Amber tief Luft und fasste in Worte, was mir ebenfalls seit Jades Verschwinden im Kopf herumspukte. „Da sie die Direktorin ist, hab ich es irgendwie immer ausgeblendet, aber… welche Gabe hat sie eigentlich, Moon?“ Ich schluckte und es schmerzte, weil sich meine Kehle ausgedörrt und staubig anfühlte. „Ich hab nicht die leiseste Ahnung.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)