Das Haus Telcontar von DreamerInHeaven ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Wenn Eldarion später an diesen Tag zurückdenken würde, hätte er vermutlich nicht mehr sagen können, wie er nach dem Gespräch mit seiner Mutter und seiner Schwester das Schlafgemach verlassen hatte, aber irgendwann fand er sich an dem Bett seiner jüngsten Schwester wieder. Die Fünfjährige schlief friedlich, die dunklen Locken komplett zerzaust und das kleine Gesicht halb im Kissen vergraben. Ein Teil von ihm beneidete sie; für sie würde sich fast nichts ändern und sie musste erst recht keine zwei Königreiche regieren. Solange sie kandierte Früchte bekam, ihre Lieblingspuppe hatte und jemand mit ihr spielte war sie zufrieden. So leise wie möglich setzte er sich und strich gedankenversunken ihre Bettdecke glatt, was Béleth dazu brachte, im Schlaf die Nase kraus zu ziehen und sich ein wenig mehr zusammenzurollen. Er hörte, wie sich die Tür leise öffnete und drehte sich um. Das Dienstmädchen errötete ertappt, knickste so hastig, dass das dünne, hellbraune Haar ihr ins Gesicht fiel und wollte schon wieder gehen, doch er gebot ihr mit einer Handbewegung, stehen zu bleiben, erhob sich und kam auf sie zu. Das Mädchen knickste erneut, wagte es jedoch nicht aufzublicken. „Ich wollte seine Majestät nicht stören...“ Eldarion unterdrückte ein Schmunzeln. „Weshalb bist du hier?“ Das Mädchen nestelte nervös an dem Ärmel ihres Kleides. „Wenn seine Majestät erlaubt, ich wurde geschickt um Prinzessin Béleth zu wecken. Ihre Lehrerin erwartet sie in einer Stunde.“ Eldarion nickte und wollte dem Mädchen gerade sagen, dass er das heute selbst machen wollte, als ihm einfiel, dass er dafür vermutlich keine Zeit haben würde. Die Abreise seiner Eltern musste geplant und die Berater seines Vaters mussten darüber informiert werden, dass er die nächsten Mondläufe König sein würde. Er spürte, wie alles in ihm sich sträuben wollte – die meisten der Adligen, die sein Vater notgedrungen um sich versammelt hatte, waren Speichellecker und Schleimer, hinter den unterwürfigen und zuvorkommenden Fassaden so intrigant und doppelzüngig, dass Eldarion genauso ungern mit ihnen allein war wie sein Vater. Doch nach Aragorns Krönung hatten sie trotz allem die Unterstützung von Gondors Adel gebraucht und diese Unterstützung bekam man nur im Austausch mit Macht. Sein Vater hatte es einmal in einem Anflug von Zynismus „Blutzoll“ genannt und Eldarion hoffte, dass er sich überhaupt gegen die viel älteren und erfahreneren Männer würde durchsetzen können.   Er seufzte leise, bevor er dem Dienstmädchen mit einer Handgeste bedeutete, ihre Arbeit zu tun, bevor er den Raum verließ und sich auf die Suche nach Melién machte. Er fand sie schlussendlich, wie er es auch ein wenig erwartet hatte, bei Lúthiel und ihrem Tanzlehrer. Die 15-Jährige stand mit verschränkten Armen und unbewegtem Gesichtsausdruck am Rand, während die zwölfjährige Lúthiel mit vor Wut roten Wangen Tanzschritte übte. „Nein, Prinzessin. Links, rechts zwei Schritte nach Links und dann einen Schritt nach rechts, nicht nach links und dann alles wieder von vorne.“ Nach seinem bemüht-geduldigen Tonfall und dem wütenden Aufblitzen in den Augen seiner Schwester war es wohl auch nicht das erste mal, dass er ihr das sagte. Melién runzelte missbilligend die Stirn. „Lúthiel, nimm die Schultern zurück – du bist kein Kartoffelsack.“ Die Angesprochene schnitt eine Grimasse, als sie ihrer Schwester kurz den Rücken zu wandte. Dann jedoch bemerkte sie ihren Bruder, ließ die Tanzstunde Tanzstunde sein und lief auf ihn zu, um ihn zu umarmen. „Rette mich, Eldarion.“, bat sie ihn mit einem schiefen, gequälten Grinsen. Unwillkürlich musste er lachen und strich ihr flüchtig mit der Hand übers Haar, bevor er sich an ihren Tanzlehrer wandte. „Bitte entschuldige uns für einen Augenblick.“ Der alte Mann nickte, verbeugte sich kurz vor Eldarion und seine Schwestern und ging zum anderen Ende des Saales, um sich dort zu setzen und zu warten. Melién kam langsam zu ihnen, den trotzigen Blick ihrer Schwester gekonnt ignorierend. „Hast du es ihr schon gesagt?“, fragte er sie, was ihm einen fragenden Blick von Seiten Lúthiels einbrachte. Melién schüttelte den Kopf, woraufhin er sich seiner anderen Schwester zuwandte. „Mutter und Vater werden für ein paar Mondläufe zu Großvater nach Imladris reisen.“, erklärte er sanft, „Ich muss in Vaters Abwesenheit das Königreich regieren und du musst Melién so gut helfen wie du kannst, ja?  Sei brav und hör immer auf das, was sie dir sagt.“ Lúthiel verzog das Gesicht und sie zwirbelte beinahe trotzig eine ihrer Haarsträhnen auf. „Kann ich nicht mit Mutter und Vater Großvater besuchen? Das wäre sicher viel spannender.“, murrte sie und erwiderte den Blick ihrer älteren Schwester trotzig. „Nein, du wirst genau wie Mélien und ich hier gebraucht.“, mischte Eldarion sich bestimmt ein und irgend etwas in seinem Tonfall hielt seine Schwester offenbar davon ab, ihm zu widersprechen. „Gut. Lúthiel, ich möchte, dass du dich ab sofort um Béleth kümmerst. Über alles weitere werden wir später reden..“ Er hatte doch wegen irgend etwas mit Melién reden wollen...aber so sehr er sich auch konzentrierte – es fiel ihm einfach nicht ein. Innerlich zuckte er mit den Schultern; wenn es ihm nicht mehr einfiel würde es schon nicht besonders wichtig gewesen sein. In der Küche herrschte, wie im Rest des Schlosses, emsige Geschäftigkeit. Neben den üblichen täglichen Aufgaben zur Verköstigung und Versorgung der königlichen Familie kam die Abreise des Königs und der Königin dazu und nun war die gefühlte Hälfte der Dienerschaft damit beschäftigt, Truhe für die Reise zu packen und Proviant zu kochen. Und in all diesem Trubel huschte Niâll hin und her, auf der Suche nach den kandierten Früchten, die Prinzessin Béleth haben wollte. Ungeduldig pustete sie sich eine Strähne des dünnen, hellbraunen Haares aus der Stirn und ein Lächeln stahl sich auf ihre schmalen Lippen, als sie die gewünschten Früchte schließlich entdeckte. Schnell schlängelte sie sich zwischen zwei Küchenmädchen hindurch, was ihr aufgrund ihres drahtigen Körperbaus leicht fiel, und wollte gerade nach den Früchten greifen, als sie einen kurzen, schmerzhaften Schlag auf die Hand bekam. Im nächsten Moment stand der Koch mit vor Wut rotem Gesicht vor ihr, die dunklen Augen funkelten gefährlich. „Willste dir was klauen, du kleine Ratte?“, schnarrte er und Niâll zuckte unwillkürlich zusammen, auch wenn sie wusste, dass sein Ton nichts mit ihr zu tun hatte. Kordir war zu jedem unfreundlich und harsch, abgesehen von den hohen Herrschaften selbstverständlich. „Nein, Herr. Prinzessin Béleth wünscht kandierte Früchte.“, erklärte sie unterwürfig; jeder wusste, dass es gesünder war, dem Koch zu schmeicheln, wenn man keine Schläge wollte. Kordir schnaubte, wandte sich jedoch ab und Niâll nahm sich schnell die Früchte und verschwand wieder, bevor der Schwarzhaarige es sich womöglich anders überlegte und sie doch für einen angeblichen Diebstahl schlug. Flink huschte sie aus der Küche und verlangsamte ihre Schritte erst, als sie wieder auf dem Gang war, wo sie sich beim Gehen möglichst unauffällig umsah. Seit ihr Vater sie zum Arbeiten nach Minas Tirith geschickt hatte, waren fünf Jahre vergangen und von jedem Lohn schickte sie pflichtbewusst einen Teil nach Hause zu ihren Eltern und ihren Schwestern. Darüber, zurück in das kleine Dorf zu gehen, hatte sie nie nachgedacht. Hier hatte sie immer einen warmen Platz zum schlafen, mehr Nahrung als zu Hause, sie konnte ihre Familie unterstützen... Und sie durfte im Schloss herumlaufen, bei Festen das Essen servieren und dabei hin und wieder einen verstohlenen Blick auf den schönen jungen Prinzen werfen. Natürlich machte sie sich keinerlei Illusion. Sie war die Tochter eines verarmten Bürgermeisters eines kleinen Fischerdorfes; zu mager und unscheinbar um aufzufallen und eigentlich mochte sie das auch. Sie mochte es, unsichtbar zu sein, denn so wurde man nicht in Streitigkeiten oder Probleme verwickelt. Und sie kam nicht, wie einige der anderen, hübscheren, Dienstmädchen, in den zweifelhaften Genuss der Aufmerksamkeit einiger Männer. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte. Sie hatte noch keine Erfahrungen mit so etwas gemacht, aber sie kannte Mädchen, denen so etwas passiert war und... Sie schüttelte leicht den Kopf und bog um die nächste Ecke auf dem Weg zu Prinzessin Béleths Schlafgemach. Sie hatte keine Zeit, um sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen – sie musste arbeiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)