Die Tränen von vergangenen Jahr von Asmodina ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Zwei Monate waren nach Yasus wundersamer Rückkehr vergangen. Maboroshi und er konnten danach wieder nahtlos an ihr Liebesglück anknüpfen; so, als habe es das eine Jahr aus Trauer, Schmerz und Einsamkeit niemals gegeben. Die junge Frau selbst erwachte wieder zum Leben wie eine Blume, welche nach langer Zeit ohne Wasser endlich wieder gegossen wurde. Sie nahm einen neuen Job an, in dem sie ausreichend Geld verdiente, um für sie beide sorgen zu können. Außerdem gelang es Maboroshi nach zwölf Monaten der Isolation endlich, wieder Freundschaften zu schließen. Ein lang vergessenes Gefühl kehrte zurück; Yasu kümmerte sich währenddessen um den Haushalt und er tat dies mit einer Hingabe, welche seine Freundin fast neidisch werden ließ. „Hausmütterchen“ neckte sie ihn oft und zog dabei spielerisch an seinen Haaren, was meist zur Folge hatte, dass ihr eine Ladung Mehl oder etwas Vergleichbares im Gesicht landete. Ihr herzliches Gelächter ließ die Wände des Hauses leicht vibrieren. Alles war perfekt, genau so, wie die junge Frau es sich immer erträumt hatte; sie war entschlossen, niemals wieder in das tiefe Loch der Einsamkeit zu fallen - eher würde sie ihre Seele verkaufen. Aber eine Frage ließ Maboroshi keine Ruhe und besonders nachts beschäftigte sie sich mit ihr; stundenlanges Wachliegen war deswegen nicht selten: Wo war Yasu das ganze letzte Jahr gewesen? Was war an jenem Abend auf der Straße passiert? Und, wie war es ihm ergangen? Am Anfang hatte Maboroshi noch geschwiegen, aus Rücksicht und zum Teil auch aus Angst; welche düsteren Abgründe mochten sich auftun? Sie wusste es nicht, aber mittlerweile war die Qual der Ungewissheit größer als jede Furcht. So setzte sich die junge Frau an einem Nachmittag mit Yasu auf die Couch: „Ich muss mit dir reden“, sagte sie etwas schüchtern und wagte es kaum, ihm in die Augen zu blicken. Ihr Gegenüber lächelte sanft und strich ihr aufmunternd über die Wange, ohne zu sprechen. „Es geht um das letzte Jahr, in dem du…“ Maboroshi stockte; schon die kurze Erinnerung schmerzte, „…verschwunden warst. Ich möchte wissen, was passiert ist und vor allem, wo du gewesen bist! Reflexartig griff die junge Frau nach Yasus Hand und hielt sie fest, Tränen standen in ihren Augen. Ihr Gegenüber nahm sie in die Arme und drückte den zitternden Körper an sich; minutenlang hielten die beiden sich fest umschlungen, ehe Yasu das Schweigen brach: „Die erste Frage lässt sich relativ leicht beantworten: Ich kam von der Straße ab und prallte frontal gegen einen Baum. Der Motor fing sofort Feuer, doch irgendwie gelang es mir trotzdem, mich zu befreien. Ich warf mich in die Böschung… nur leider nicht rechtzeitig; durch die Explosion traf mich ein undefinierbares Teil am Kopf und ich verlor das Bewusstsein. Nachdem ich wieder zu mir kam war mein Kopf wie ein grauer Vorhang. Ich wusste nichts mehr; weder meinen Namen noch wo ich herkam. Tage- oder sogar wochenlang stolperte ich orientierungslos durch die Gegend.“ Yasu unterbrach seine Erzählung und schwieg; Maboroshi ließ seine zitternde Hand nicht eine Sekunde los. „Und was war dann?“, fragte sie und schaute ihn an, „wie hast du die zwölf Monate überlebt?“ Ihr Liebster erwiderte ihren Blick, seinen sinnlichen Mund umspielte ein trauriges Lächeln: „Das ist so schwer zu erklären; wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich mich selbst für verrückt halten“ Seine Hände legten sich auf ihre schmalen Schultern: „Ich werde mit einer einfachen Frage beginnen; glaubst du an…Elfen?“ Für dem Bruchteil einer Sekunde zuckte Maboroshi zusammen; Elfen? Ob sie an Elfen glaubte? Eine wirkliche Antwort konnte die junge Frau darauf nicht geben, da sie sich noch nie wirklich mit dem Thema auseinander gesetzt hatte. Natürlich wusste Maboroshi, was Elfen waren; als Liebhaberin von Büchern jeglicher Art kam man um dieses Thema nicht herum. Aber die Frage nach ihrer tatsächlichen Existenz hatte sie sich nie gestellt. „Ich… ich weiß nicht“ Unsicher schaute Maboroshi aus dem Fenster, „warum fragst du?“ „Weil ich dort war“, erwiderte Yasu mit vollkommen ruhiger Stimme und in seinen Augen funkelte ein leidenschaftlicher Glanz, „ich war an jenem Ort, wo nichts so ist wie hier; ich ritt auf weißen Einhörnern und speiste mit der Elfenprinzessin.“ Die unverholende Freude versetzte ihr einen Stich ins Herz; wäre ihr Geliebter lieber dort geblieben anstatt zu ihr zurückzukehren? Sie schluckte, wagte es jedoch nicht, ihre Zweifel auszusprechen: Nahm sie, Maboroshi, Yasu diese unglaubliche Geschichte überhaupt ab? Ihre Vernunft verneinte dies entschieden; auf der anderen Seite machte er nicht den Eindruck eines Geisteskranken. Dafür waren seine Ausführungen zu präzise, zu detailliert und in gewissem Sinne auch nachvollziehbar. Zumal bewusstes Lügen noch nie Yasus Art gewesen war. „Wie kann man dorthin gelangen?“, fragte sie mit einem selbst in ihren Ohren ungewohnten Ernst in der Stimme. Auch Yasu blickte seine Liebste einen Augenblick lang irritiert an, ehe er sanft ihre Hände nahm „Willst du wirklich dorthin?“, auch Yasu klang verunsichert, „du wirst Wesen und Dingen begegnen, die dein bekanntes Weltbild drehen und dich selbst verändern werden, so wie mich.“ Maboroshi erschrak leicht; Yasu hatte sich verändert? Er war nicht mehr derselbe wie vor einem Jahr? Natürlich war es in gewisser Weise logisch, denn in dieser Zeit konnte viel passieren, gerade wenn man erst nur knapp dem Tode entronnen war und dann fernab von den Menschen gelebt hatte. „In welchem Sinne hast du dich verändert?“, erkundigte sie sich vorsichtig und gegen ihren Willen stiegen Tränen in ihre Augen; warum war es ihr, Maboroshi, nicht aufgefallen? Ihr Liebster bemerkte ihre Trauer und schloss sie fest in seine Arme. „Es ist keine Veränderung, die man sofort sehen kann“, flüsterte er in ihr Haar, während die Hände tröstend über ihren Rücken strichen, „ich bin nur zu der Erkenntnis gelangt, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt als unser bloßes Auge erfassen kann. Außerdem, dass wir Menschen das Verständnis von wahrer Schönheit zum großen Teil verloren haben“ Sein Tonfall hatte eine Spur von Bitterkeit, „und dass die Kinder gar nicht unrecht haben, wenn sie von ihren Phantasiewelten erzählen!“ Maboroshi räusperte sich; war die menschliche Welt und in gewisser Weise auch sie selbst, nicht mehr gut genug für Yasu? Obwohl es nur eine sehr grobe Erzählung gewesen war hatte die junge Frau doch eine schemenhafte Vorstellung davon, wie die Elfenwelt aussehen mochte; ein Ort, an dem es keine Grenzen gab, wo Träume im wahrsten Sinne des Wortes fliegen lernen und die alten Wesen aus längst vergangenen Zeiten noch lebendig waren. Zu behaupten, dass sie sich nie nach einer solchen Welt sehnte, wäre eine geradezu strafbare Lüge; gerade nach einem besonders stressigen Arbeitstag wünschte sie sich oft weit fort. Dennoch wuchs die Angst, Yasu erneut und diesmal für immer zu verlieren; ein Teil von ihr wollte laut aufschreien und ihn anflehen zu bleiben, während der andere einfach nur sterben wollte. Die junge Frau erinnerte sich nur vage an das vergangene Jahr voller Tränen, Schmerz und Hilflosigkeit, jedoch reichten diese zum Teil sehr undeutlichen Fetzen zur Erkenntnis, dass sie so etwas nie wieder erleben wollte. Maboroshi zitterte am ganzen Körper und Yasus sanfte Hand auf ihrer Wange brachte sie in die Realität zurück. „Nicht weinen“, flüsterte er und verschloss die Lippen mit einem Kuss. Erst da spürte sie, dass ihre Wangen feucht waren; unzählige Tränen waren unbemerkt über sie gelaufen. Beinahe ärgerlich wischte Maboroshi die Reste fort und blickte ihrem Liebsten geradezu kämpferisch in die Augen, doch dieser ließ sich nicht täuschen; Yasu hatte ihren Kummer sofort erkannt und auch der Grund war mehr als offensichtlich. Trotz relativ massiven Sträubens seitens der jungen Frau schloss er sie erneut in die Arme. „Ich werde nicht wieder dorthin zurückkehren“, hauchte der Schwarzhaarige und knabberte wie zur Bestätigung verspielt an ihrem Ohrläppchen, was Maboroshi augenblicklich einen Schauer über den Rücken jagte. „Wirklich nicht?“, flüsterte sie erstickt, ohne sich jedoch den Berührungen zu entziehen. Yasus Haarpracht kitzelte an ihrem Schlüsselbein als er den Kopf schüttelte: „Nein, wirklich nicht; auch wenn es dort zweifelsohne wunderschön und völlig anders war als hier, so habe ich dich niemals vergessen!“ Ihre von Liebe getränkten Blicke trafen sich. „Ich liebe dich, Maboroshi und werde dich nie, nie mehr verlassen. Aber ich möchte trotzdem, dass du selbst deine Augen für diese fremdartige Welt öffnest, die ich ein Jahr lang mein Zuhause nannte und mich somit verstehen lernst!“ Die junge Frau löste sich abrupt aus der Umarmung, jedoch nicht aus Zorn, sondern weil ihre Gedanken sich wie ein Wirbelsturm im Kreise drehten; es war Yasus Herzenswunsch, dass sie diese Welt aus Phantasie betrat, um ihn besser zu verstehen? Gab es einen dunklen Fleck auf seiner Seele, welcher ihr selbst noch unbekannt war und wenn es sich tatsächlich so verhielt; hatte dieses fremde Dunkel schon immer existiert? Oder war es erst in diesem einen Jahr entstanden? Im Bruchteil von Sekunden wuchs in der jungen Frau die Erkenntnis, dass wenn sie es erfahren wollte sie über ihren Schatten springen und den letzten Schritt ins Unbekannte wagen musste; auch auf die Gefahr hin, dort Dinge zu sehen und zu erfahren, welche tiefe Narben in ihrer Seele hinterlassen konnten. Doch das war gleichgültig, Maboroshis schweißnasse Hand ballte sich zur Faust; sie würde es riskieren! Mit diesem Wissen erwachte ein starker Schwindel hinter ihrer Stirn, der aus dem Nichts zu kommen schien. Dennoch war die junge Frau entschlossen: „Wann können wir gehen?“, fragte sie und machte Anstalten, ihren Mantel von der Garderobe zu nehmen. Trotz der ernsten Situation grinste Yasu belustigt: „Jetzt geht es nicht“, sagte er und warf einen Blick auf den Kalender, „um ein Tor zwischen den Welten zu öffnen, muss der Mond sein vollständiges Gesicht zeigen; wir müssen also noch drei Tage warten!“ Leicht frustriert biss sich Maboroshi auf die Unterlippe, sagte jedoch nichts; egal, was passierte, sie würde mit Yasu dorthin gehen. Während der nächsten Tage versuchte die junge Frau, ihre Beziehung so normal wie möglich weitergehen zu lassen, was jedoch nicht einfach war - besonders, wenn Yasu einen heimlichen, sehnsuchtsvollen Blick aus dem Fenster warf loderte der Schmerz in ihrem Innern. Doch Maboroshi hielt sich tapfer; sie durfte jetzt nicht verrückt werden. Endlich kam die Nacht des dritten Tages: Die junge Frau trug ein langes Samtkleid in den Farben rostbraun, grün und schwarz, welche fließend ineinander übergingen. An den Armen waren altmodische, keltisch angehauchte Ornamente aufgestickt, und Maboroshi fühlte Yasus bewundernden Blick im Nacken; doch sie fragte sich, ob dieser wirklich ihrer Person oder nur dem Kleid galt. Schweigend und dennoch Hand in Hand machten die Zwei sich auf den Weg, welcher sie in den finsteren Wald führte. Das fahle Mondlicht zeichnete die Umrisse der zahlreichen und augenscheinlich sehr alten Bäume nach und ließ sie wie tote Gebeine wirken. Ab und zu zerriss der Schrei einer Eule die unheimliche Stille während das halbgefrorene Laub regelrecht unter ihren Füßen knackte. Mehr als einmal musste Maboroshi einen Schrei unterdrücken und sie war normalerweise alles andere als schreckhaft. Jedes Mal klammerte sie sich an Yasus Rücken während dieser selbst eine nahezu gespenstische Ruhe ausstrahlte. ‚Als könnte ihm das Ganze überhaupt nichts anhaben’, schoss es ihr durch den Kopf, „alles hier ist ihm so vertraut, als würde er nach Hause kommen!“ Wie ein brennendes Schwert drang diese Erkenntnis in ihre Seele und sie schwankte wie unter Schock; selbst ihr Verstand warnte davor, diesen Pfad weiterzugehen. Doch Yasu stoppte sie: „Es ist nicht mehr weit; hinter dieser Weggabelung liegt der Eingang!“ Wie in Trance blickte Maboroshi zu der besagten Stelle: Tatsächlich stand dort eine Eiche, welche aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen schien. Ihr vom Alter gezeichneter, aber dennoch sehr fester Stamm hatte eine sonderbare Form, welche man mit ein bisschen Phantasie durchaus als Tor interpretieren konnte. Die junge Frau atmete tief durch; die kurzen, blau-schwarzen Haare hingen strähnig in ihrer Stirn. „Und?“, fragte sie mühsam beherrscht, „Was tun wir jetzt?“ Yasu antwortete nicht, wie hypnotisiert schritt er auf das Tor zu und in seinen Augen lag ein eigenartiger Friede. „Gleich ist es soweit“, hauchte er und wollte gerade den Baum berühren, als ein weiß-goldenes Licht ihre Augen blendete. Maboroshi schrie auf und bedeckte ihr Gesicht, auch Yasu wandte den Blick ab. „Seid mir gegrüßt“, drang eine liebliche Stimme durch die Finsternis; der Schwarzhaarige löste sich sofort aus seiner Erstarrung. Auf einem gefallenen, längst im Sterben liegenden Baum saß eine weibliche Gestalt mit hellbraunen Haaren, welche ihr bis zur Hüfte reichten. Ihre Statur war schlank, ohne knochig zu wirken und wurde von einem langen, weißen Kleid mit dezentem V-Ausschnitt bedeckt. Zum Schutz gegen die Kälte hatte sie einen weißen Umhang über ihre Schultern gelegt, der bis zum Boden reichte. An ihrem Rücken prangten durchsichtige Libellenflügel, bei deren Anblick Maboroshi der Atem stockte; war das etwa…? „Linnea“, sagte Yasu freudig und schloss die Elfe in eine herzliche Umarmung, welche sogleich erwidert wurde. Der jungen Frau schien es, als würde man ihr einen Dolch ins Herz stoßen; jene Harmonie, die zwischen ihrem Liebsten und der Elfenprinzessin herrschte, war regelrecht greifbar; hatte etwas Derartiges jemals zwischen ihnen gegeben? Maboroshi wusste es nicht; am liebsten wäre sie auf die Knie gesunken und hätte nur noch geweint. Aber genau in diesem Moment löste sich Linnea aus Yasus Armen und blickte der jungen Frau tief in die Augen; es schien fast, als könnte die Elfenprinzessin bis auf den Grund ihrer Seele schauen. „Das ist also deine Liebste“ In ihrer Stimme lag weder Spott noch Kälte. Ehe Maboroshi reagieren konnte, hatte Linnea die Hände auf ihre Schultern gelegt; sie glitten langsam nach oben, umfassten ihr Gesicht. Die junge Frau wollte zurückweichen, doch die Güte, welche die Elfenprinzessin umgab, hinderte sie daran. „Ich spüre deine unendliche Liebe und das gute Herz in dir“, Linneas Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen, „jedoch wächst die Eifersucht wie ein tödliches Geschwür in ihm“, der Blick wanderte viel zu tief, „Yasu hat mein Königreich aus freiem Willen verlassen, weil er dich liebt und bei dir sein wollte. Dennoch wird diese für einen Menschen ungewöhnliche Erfahrung und somit auch ich auf ewig ein Teil von ihm sein. Ganz egal, wie sehr du es dir wünschst; das letzte Jahr kann man nicht ungeschehen machen noch könnt ihr die verlorene Zeit zurückholen!“ Maboroshi schaute ihren Liebsten schuldbewusst an und Tränen brannten in ihren Augen; wie hatte die Eifersucht ihr Denken nur so beherrschen können, auch wenn sie nach außen hin nichts offenbart hatte? Doch Yasu schüttelte nur den Kopf und lächelte. „Ich liebe dich“, hauchte er, ehe sich ihre Lippen zum Kuss trafen. In dieser Sekunde verschwand Linnea und die Sonne erschien am Horizont. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)