Asche und Staub von Naenia (Marys Vermächtnis) ================================================================================ Kapitel 7: Johnnys Erinnerung ----------------------------- Einst gab es ein Leben, das voller Erwartungen war und eine leuchtende Zukunft für sie bereithielt, doch Johnny hatte es vor langer Zeit aufgegeben, vorauszuplanen. • Das war der Ort, an dem Mary gestorben war. Das war der See, aus dem sie nicht mehr aufgetaucht war. Hier hatte sich alles geändert. Das war der Moment, in dem er seinen Glauben verloren hatte und seine Freunde verließ. Das war der Teil seines Lebens, den er seither hatte vergessen wollen. „Und wer soll sich diesmal für dich darunter wagen? Wer von uns ist diesmal das Opfer? Vielleicht hätten wir ihr alle schon damals einfach hinterherspringen sollen.“ Er schmeckte die Bitterkeit seiner Worte auf der Zunge und ihm wurde übel. Er wusste nicht einmal, wohin er blicken sollte, denn jeder gottverdammte Stein und jeder beschissene Grashalm barg Erinnerungen an einen Ausflug, der glücklicher hätte enden sollen. Schon der Weg hierher hatte ihm alles abverlangt. Der Geruch der Ledersitze, die abgewetzten Stellen auf den Bezügen, jedes kleine Loch darin und jeder verblichene Fleck erzählte eine Geschichte, an die er sich nicht erinnern wollte. Er hörte das Lachen und die Musik, Jims Flüche, Jacks Summen und Marys gleichmäßige Atemzüge, wenn sie an seiner Schulter eingeschlafen war. Er war nicht bereit hierfür und er würde es niemals sein. Er wollte zurück in dieses Leben, das sieben Jahre lang genug gewesen war und er wollte nicht daran erinnert werden, dass er einmal so viel mehr als die tägliche Routine eines Bürojobs gehabt hatte. Unruhig bewegte er sich hin und her, steckte die Hände in die Hosentaschen, suchte dann nach einer Zigarette, nur um sie im nächsten Moment schon auf dem weichen Boden ausbrennen zu lassen. Er öffnete sein Haar, band es dann erneut zu einem Zopf, strich sich Strähnen, aus der schweißnassen Stirn und verlor in der Hitze fast den Verstand. Das Wasser müsste eigentlich kochen, so verdammt heiß war es. Die Luft fühlte sich elektrisiert an und irgendetwas jagte ihm trotz der Hitze eisige Schauer über den Rücken. Das Donnergrollen wurde lauter und der Himmel über ihnen verlor seine Farbe und verwandelte sich in aschfarbenes Grau. Etwas Seltsames schien mit der Sonne zu geschehen. Es war, als ginge die Hitze nicht von ihr aus, ganz im Gegenteil, Johnny fand, dass sie fast kühl wirkte, wie sie da so unangenehm grell vom Horizont auf sie herab schaute. „Niemand. Ich werde gehen.“ Er nahm Jacks Antwort kaum wahr, während er die Spiegelung der Sonne auf der ruhigen Oberfläche des Sees beobachtete, doch als die Worte sein überanstrengtes Gehirn erreichten, verstand er nicht sofort: „Hä?“ Zugegeben das war sehr unartikuliert und eindeutig nicht sonderlich sinnvoll, aber Jim verlieh seiner verwaschenen Frage Ausdruck: „Bist du verrückt? Willst du vielleicht einfach hinabsinken wie ein Stein? Du kannst nicht schwimmen, hast du das vergessen?“ Danke, dachte Johnny und verschränkte die Arme vor der Brust, während er Jack taxierte. Es sollte mir egal sein, doch musste er einsehen, dass es das nie gewesen war. Tag für Tag hatte er überlegt, dass es besser gewesen wäre, wenn Jack selbst für seine Dummheit bezahlt hätte, doch das war nicht wahr. Es hätte rein gar nichts geändert. Er wäre genauso weggelaufen und hätte statt Jack Mary irgendwo in einer Psychiatrie zurückgelassen und Jim ebenso aus seinem Leben verbannt. Vor ihm zuckte Jack mit den Schultern und fing an, sein Hemd aufzuknöpfen, „Ich muss gehen. Anders geht es nicht. Wir haben keine Zeit. Hast du die Sonne gesehen? Schwarze Schwingen!“ Ganz ehrlich? Ihm war seit der Nacht, in der Jack vor seiner Wohnung aufgetaucht war, klar gewesen, dass etwas mit dessen Verstand nicht stimmte. Früher war dieser Mann genial gewesen. Jetzt war er vermutlich einfach verrückt und er hatte gemeinsam mit Jim dieses lächerliche, vollkommen abgedrehte Spiel mitgespielt, obwohl er es hätte besser wissen müssen. Er hätte wissen müssen, wie das alles enden würde. „Alter, komm mal wieder runter. Das ist nur der Klimawandel oder der Treibhauseffekt oder was auch immer.“ Vielleicht hätte er genau das auch schon damals sagen sollen. Ob sie dann noch leben würde? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)