Weltenende von Kadan (Die Legende von Serelia) ================================================================================ Prolog: Teil I -------------- Erhaben, stolz und mit einer Anmut, die nie ein anderes Wesen erreichen könnte, stand er auf der Lichtung, den Kopf gen Sonne erhoben und das prächtige Geweih in drohender Schönheit aufrecht erhalten. Es war kein Wunder, dass er der ‘König des Waldes’ genannt wurde, zumindest just in diesem Moment schien es Treseré nicht abwegig. Doch ein jeder König musste eines Tages stürzen und wie der Hirsch nun seiner Aufgabe, einen Sohn zu setzen, bereits nachgekommen war, so war es nun die Aufgabe des Jägers, das edle Tier zu erlegen. Natürlich nur mit einem Pfeil und einem direkten Schuss, denn der stolze Herrscher des Waldes sollte keine Blutspur durch das Geäst ziehen, wäre es doch weit unter seiner Würde - und unter der des Meisterjägers natürlich auch. Doch das sollte ja, wie dem schwarzhaarigen Mann mit den strengen Gesichtszügen beigebracht worden war, keine Rolle spielen. Die Geschöpfe des Waldes gingen stets vor, es wurde sich nur genommen, was gebraucht wurde und es wurde auch alles verwertet, was der Körper hergab. Ja, der Pfeil selbst, den er nun in die Sehne legte und für den tödlichen Schuss vorbereitete, war aus Knochen gefertigt, vielleicht sogar noch aus den Knochen des letzten Waldkönigs. Treseré wusste es nicht mehr so genau und eigentlich war es auch vollkommen egal. Pfeil war Pfeil, solange er traf und das Ziel tötete. Dann drehte der Wind. Sowohl der König als aus sein Jäger hoben die Köpfe an, Treseré ließ seinen Bogen wieder sinken. Schlagartig hatte sich etwas verändert, ein fremder Geruch, der sofort das Gefühl von Gefahr in den jungen Mann trieb. Doch er stammte nicht von etwas bekannten, nicht von Wölfen und auch nicht von einem Bären. Ja, selbst der faulige Geruch eines Schwefelwurms war es nicht, obwohl die Biester in letzter Zeit häufig aus ihren Gruben krochen. Doch was war es dann? Auch der Hirsch schien mit der Duftnote nichts anfangen zu können, er reckte den Hals weit nach oben und flehmte. Schwere Süße kroch im Wind, zusammen mit dem Geruch faulen Fleisches und einer Note aus verdorbenem Fisch. Noch nie in seinem Leben hatte Treseré etwas derartiges gerochen und es war seiner Ausbildung als Jäger zu verdanken, dass er sich nicht sofort übergab, als ein weiterer Windhauch den Geruch in einer derartigen Konzentration herrüberwehte, dass der Waldkönig fluchtartig zur Seite sprang und von der Lichtung flog. Der Jäger drückte sich den Ärmel gegen die Nase und spürte dennoch, wie sich Speichel in seinem Mund sammelte, wie wenn der Magen kurz davor war, sich zusammen zu krampfen. Was bei La’Faresh war das?! Als der König des Waldes das dichte Grün erreicht hatte und mit einem Satz darin verschwinden wollte, brachen Bäume und der ehemals anmutige Herrscher wurde in die Luft gerissen und mit einem monströsen Brechen von Knochen entzwei geteilt. Ein Maul schob sich hervor, tiefschwarz wie das Schuppenkleid des Sternenbrechers selbst, besetzt mit zwei Reihen dolchlanger Zähne, die mit zermalmender Gewalt auf den Vorderleib des Hirsches niedersanken. Lautes Schmatzen begleitete den Anblick, zwei, dreimal, dann war der Hirsch verschwunden und das Ding, dass sich aus dem Wald schälte, wandte sich dem hinteren Teil zu, der auf dem Grasboden lag und in zuckenden Bewegungen das dunkle Rot auf dem saftigen Grün verteilte. Treseré erbrach sich. Der Geruch war nun so stark, dass es selbst der geschulte Jäger nicht mehr aushielt und der Anblick des Waldkönigs, dessen Umrisse sich in dem gigantischen Hals abzeichnete, wie die Maus in einer Schlange, gab ihm den Rest. Als er den Kopf wieder hob und den Blick hoffnungsvoll auf das Wesen richtete, in einem Stoßgebet zur Sternenschöpferin, dass es ihn nicht gehört hatte, lag bereits ein gräulich-grünes Auge auf ihm, fixierte ihn, fesselte ihn. Treseré wusste, dass es nun zu spät war. Ob er nun fliehen würde oder nicht - er hatte einfach keine Chance. Wie ein Krokodil kroch es hervor, ein massiger, wurmartiger Leib, aufgedunsen wie der einer fetten Made. Sechs Beinpaare trugen ihn, die vordersten viel zu lang für den Leib und die hintersten nicht mehr als winzige Stummel. Eine monströse Bestialität, ein Wesen, von dem der Jäger sich erhofft hatte, es nichteinmal in seinen dunkelsten Alpträumen zu sehen… und dem er doch nun mitten in die Augen sah, in das graue, schleimige Auge, dass nichts als Hass und Hunger erahnen ließ. Unstillbaren, unsagbaren Hunger und das ewig anwährende Verlangen nach Rache. Angstschweiß rann seinen Rücken hinab, verursachte einen eiskalten Schauer und Treseré wollte fliehen, als sich das Maul öffnete, als ihm der faulige, widerliche Atem entgegenschlug, doch sein Körper gehorchte nicht. Kein Muskel ließ sich bewegen, ja selbst der Atem blieb aus seinen Lungen aus, weckte die Panik vor dem Ersticken, die in Anbetracht seines baldigen Endes doch unglaublich irrational war. Sein Tod würde nicht lange dauern, nur ein Biss, ja nur ein einziger Schmerz und der Körper wäre zerschmettert von riesigen Zähnen. Treseré hatte das Gefühl, als verginge die Welt in einer Ewigkeit, als würde alles Leben auf seinen Schultern lasten und durch seine Schuld, seine Unfähigkeit zu fliehen, vernichtet. Wärme breitete sich in seinem Schoß aus, als er sich einnässte vor Angst und er begann zu schluchzen, zu zittern und zu flehen. Stundenlang, Tagelang, Jahrelang. Die Zeit schien nicht vergehen zu wollen, während sich das tiefschwarze, endlose Maul auf ihn zubewegte, sich immer und immer weiter näherte und die dolchlangen Zähne sich in seinen Körper schlugen. Das Licht war fort, gestorben, vernichtet, vertilgt. Gefressen von der Schwärze, gefressen vom Ende aller Dinge. Schwarz und Weiß schufen Grau, Licht und Dunkelheit Dämmerung. Sterne entstanden, Sterne vergingen. Der Weltenfresser vertilgte alles. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)