Utopia von Inzestprodukt (NaNoWriMo-Arbeit) ================================================================================ Kapitel 5: 5 ------------ „Auf welcher Etage sind wir hier eigentlich?“ Setsuna trat gegen ein halbes Bein und schaute sich bei dem kalten Licht misstrauisch um; nun war er doch alleine mit zwei von den Neuen; genau der Umstand, den er und Uriel umgehen wollten. Allerdings waren es genau die, die auch schon vorher drei Tage mit ihnen verbracht hatten. Da wären die anderen schlimmer. „Dritte Etage. Vielleicht sollten wir einfach die Zugänge nach oben dicht machen, was wollen wir mit so viel Platz?“ Raphael hatte sich auf den Boden des Türeingangs ihres Wohnmobils gesetzt, tastete in seiner Jeans und zog dann eine zerknitterte Schachtel Zigaretten hervor, steckte sich eine davon an. Dafür empfing er weitestgehend Missbilligung von Setsuna, zuckte bei dessen finsterem Blick jedoch nur mit den Schultern. „Hast du dich nicht beschwert, dass die anderen auch rauchen?“ „Bin einer davon“, kam es frech von seinen Lippen, zwischen denen der bläuliche Dunst ausgeblasen wurde. Wirklich entspannt schien er nicht, aber die Gründe dafür häuften sich vermutlich. „Wenn sie alle erledigt haben, sollten wir die Leichen zusammentragen… vielleicht kann man ja wirklich erst hier bleiben und haltet mich für verrückt aber ich finde es etwas ekelhaft.“ Setsuna nickte Zaphikel zu, ließ sich dann aber auf den Boden nieder und begann, den Baseballschläger etwas zu säubern – insofern der Müll am Boden es zuließ, an seiner Kleidung würde er ihn entschieden nicht abwischen, das wäre ja noch schöner. „Mal eine bescheidene Frage“, setzte er dabei an, ohne aufzusehen und vergewisserte sich nicht einmal, ob man ihm überhaupt Gehör schenkte. „Wie haben eure Freunde uns so ganz plötzlich gefunden? Und was stimmt nicht mit denen? ich meine… kein Mensch benimmt sich so, auch zu dieser Zeit nicht.“ „Was soll mit ihnen sein? Sind doch ganz nette Jungs“, meinte Zaphikel, doch sein Tonfall verriet auch anderes. Es schien ihm zu missfallen, dass… dass… ja, was eigentlich genau? Direkte Antworten bekamen sie ja kaum. „Ich lass deinen Freund jetzt mal außen vor“, meinte der Jüngste und warf Raphael einen schiefen Blick zu, der das mit einem weiteren Ausatmen des Tabaks beantwortete. „Aber irgendwie… was ist mit diesem Kato? Tickt der noch ganz gerade? Kira wirkt einfach wie das unberechenbare Genie mit Hang zur Psychose. Eigentlich will ich deinen Freund auch nicht außen vor lassen“, schloss er plötzlich auf und schaute noch einmal zu Raphael, dessen Gesichtszüge sich um eine Nuancen verdunkelten. „Schwere Kindheit gehabt oder was soll das alles?“ „Ich bin immer dafür, dass man Menschen selber kennenlernen sollte. Sie sind in Ordnung und haben und beide unabhängig voneinander aus der Scheiße gezogen, mehr musst du nicht wissen, wenn sie nicht dabei sind.“ „Ja, aber…“ Schritte, bei denen er schnell wieder verstummte und dann ihre kleine Sondertruppe ins Auge fasste, kaum dass diese um die Kurve bogen. Kato entließ ein dankbares Stöhnen und eilte auf Raphael zu, der ihm deutlich missgestimmt eine der Zigaretten überließ. Dann stand der ehemalige Student jedoch auf und spähte auf einen Punkt hinter den Dreien, ehe er Kira ins Auge fasste. „Wo ist Mika-Chan?“ Ein Schulterzucken, dann ging alles plötzlich ganz schnell: Mit einem schnellen Ruck zog der blonde Schönling den anderen… äh… Schönling an sich heran und wenn er gekonnt hätte, würde er ihn mit seinen Augen aufspießen. „Du hast ihn ALLEINE gelassen?! Er ist noch…“ „…ein Kind? Dann solltest du deine sexuelle Neigung überdenken.“ Den Streit schien es nicht das erste Mal zwischen ihnen zu geben, doch Raphael stieß den anderen einfach von sich und lief dann einige Schritte auf der „Straße“ herunter, rief nach dem Rotschopf. Zaphikel folgte ihm ein Stück, sprach dann aber in ruhigem Ton mit ihm und appellierte an den letzten Rest Vernunft. „Der tobt sich nur unten aus und steht gleich hier, um was zu futtern wirst schon sehen. Da gab es weitaus schlimmere Momente, meinst du nicht?“ Ein vorsichtiges Nicken, dann fuhr sich der Blonde durchs Haar und kehrte zum Rest zurück, stierte den großen Bruder unter ihnen allerdings noch einmal bitterböse an. Dieser ignorierte eine neue Anfeindung seiner Person und ließ sich ebenfalls auf den Boden nieder, streckte dann die Beine aus und schien recht zufrieden mit ihrer momentanen Situation zu sein – oder aber er war krank vor Sorge, Uriel konnte es wirklich nicht deuten. „Lasst uns was essen“, kam es diesem deswegen auch unüberlegt über die Lippen und ehe noch Proteste aufflammen konnten, stieg er mit einem Bein in das Wohnmobil und zog einen Rucksack hervor, in dem ein Teil des Proviants gelagert war. „Viel haben wir ja nicht“, gab Setsuna zu bedenken, denn trotz der scheinbaren Masse an Nahrungsmitteln waren sie auch immerhin sieben Leute und die wollten alle für sich etwas zu essen bekommen, da neigte sich ein für heutige Zeiten beachtlicher Anteil schnell dem Ende entgegen. „Zu holen gibt es immer was, wir können morgen in die Stadt aufbrechen und uns wieder eindecken.“ Zaphikel streckte eine Hand aus und ließ sich von Uriel etwas Brot geben, was dann an die anderen verteilt wurde und schließlich auch ein letzter Rest für den fehlenden Michael. Dazu etwas Wasser – es war mehr eine Henkersmahlzeit, doch sie würden vorerst satt werden und ein Feuer ohne entsprechende Utensilien war leider auch nicht machbar; die Gasflaschen im Wohnmobil waren leer. „Wie habt ihr uns gefunden?“, brach es plötzlich aus Uriel hervor, den diese simple Frage einfach nicht loslassen wollte; es war so unwahrscheinlich, ausgerechnet von den drei Personen gefunden zu werden, die sie mehr oder weniger auch gesucht hatten. Und dann gerade rechtzeitig, das hier war kein Actionfilm, in dem in letzter Sekunde die Bombe entschärft und die Menschheit gerettet wurde. Da sich Kato weitestgehend aus dem Gespräch zurückgezogen hatte – und mit Setsuna um ein weiteres Stück Brot rang, so wenig schien er also doch nicht zu essen – fasste er wieder Kira ins Auge, der einen Schluck Wasser trank und den Blick dann ruhig erwiderte. „Wir haben nach euch gesucht. Na ja, nach den anderen beiden aber das hat uns zwangsläufig wieder in diese Richtung verschlagen. Dass ihr die Horde nicht bemerkt hat, kann ich immer noch kaum fassen. Außerdem hat dieser miese Dieb uns einen Großteil unseres Proviants abgenommen, das konnten zwei von uns nicht auf sich sitzen lassen. Dankt ihm.“ Er prostete Uriel mit erhobener Flasche zu, lehnte sich dann nach hinten und stützte sich auf dem Ellenbogen ab. „Kaktus oder wie der hieß? Knast? Katana… irgendwie so…“ „Ja der mit dem weißen Haarschopf.“ „Soll vorerst genügen“, schloss Uriel dennoch unzufrieden und schraubte seine Flasche wieder zu. „Nächste Frage… dein Bruder…“ „Ne…“ Ui, da entwich ihm ein leises, genervtes Stöhnen und Sakuya setzte sich wieder auf. „Lass es doch einfach mal…“ „Es geht um die Augen.“ Man konnte ja viel von ihm verlangen – Fremden vertrauen, die einfach in ihr kleines Duett reinrutschten und dann so viele Dachschäden hatten wie er Blasen an den Füßen, mit einem Wohnmobil durch die Gegend fahren, dessen Gardinen aus Blümchen bestanden – aber garantiert nicht, diese auffallende Tatsache zu ignorieren. „Was soll schon damit sein? Er sieht halt etwas… anders aus, das hat nichts zu bedeuten. Frag ihn selber.“ „Ist ja nun mal nicht da, oder?“ „Dann geh doch suchen“, seufzte er auf und schraubte nun ebenfalls seine Wasserflasche zu, erhob sich und kramte nach einem Stift; die waren in der Tat nützlicher, als man in so einer Situation meinen sollte. Ein Permanentmaker, mit dem er seinen Namen auf die Flasche schrieb und dann einfach ganz ungefragt auch nach denen der anderen griff, diese bekritzelte. „Mich hätte es nun nicht übermäßig gestört“, kam es vom erfolglosen Setsuna, der auch seine Portion mit Kato teilen musste, als dieser ihm mit einem erschrockenen bis angeekeltem Ausruf ein paar Brotstückchen ins Gesicht spuckte: „Mich aber!“ „Meinst du nicht, wir haben größere Probleme?“ „Bäh Bazillen von anderen! Eher verdurste ich!“ „Ist ja gut, man kann sich auch anstellen, oder nicht?“ Es schüttelte den anderen Blonden regelrecht und wie ein Ertrinkender klammerte er sich an die Flasche, die in diesem Ozean aus Sonderheiten seinen rettenden Pol bildete. Setsuna rollte mit den Augen, doch ließ ihn mit sich und seiner Speichelphobie alleine, denn auch ein Streit über beschriftete Wasserflaschen gehörte zur Kategorie „Wir haben größere Probleme.“ - Als Michael dann auch nach geschätzt zwei Stunden nicht zurückkam, lief Raphael beinahe Amok. Wie ein eingesperrter Tiger lief er in einer Spanne von drei Metern immer die gleiche Strecke auf und ab, hatte die Hände in seinen Gesäßtaschen sitzen und setzte sich nur manchmal hin, weil Zaphikel ihm sonst die Knieschreiben rausgetreten hatte; so zumindest dessen Ausführung, was ebenfalls mit einem gereizten Blick beantwortet wurde. Uriel beobachtete das Schauspiel mit gemischten Gefühlen und war sich wieder einmal mehr sicher, dass der angeblich pazifistische Raphael zu einem sehr gefährlichen Mann werden konnte, wenn er es denn wollte. Er hatte bisher nichts unternommen und man könnte nun darüber diskutieren, ob seine sorgenvolle Reaktion nicht eher „verweichlicht“ auszufassen war, aber entweder lag es an seinem allseits beliebtem Misstrauen oder etwas in der Körpersprache des Studenten verriet es Uriel: Dieser Mann war zu vielem fähig, wenn die Entlohnung dahinter stimmte. Und momentan bestand diese aus nichts Geringerem als dem seltsamen, rothaarigen Jungen. „Raphael, setzt dich endlich hin. Davon kommt er auch nicht schneller zurück.“ Schon durchbohrten die kühlen, blauen Augen Zaphikel wie ein Diamantbohrer, was diesen dann letzten Endes seufzen und die Schultern zucken ließ. Im Begriff sich zu erheben stoppte er jedoch, denn nun erhob Sakuya sich, griff nach seinem Eisenrohr und schulterte es wortlos. Der erste Gedanke, der sich in Uriels Kopf Platz schaffen konnte, war: Damit stellt er Raphael nun ruhig. Doch in ihm lebte der Wunsch nach einem sich sorgenden, großen Bruder. Familie war doch so wichtig, gerade in diesen Zeiten und wie es aussah, würde er sich wirklich auf den Weg machen und nach ihm suchen, schaute allerdings noch immer schrecklich neutral, wenn nicht sogar gelangweilt „Freiwillige?“, erklang dann auch schon die Stimme seinerseits und sowohl Raphael wie auch Uriel waren die ersten, die einen entschiedenen Schritt nach vorne taten. Nicht, weil sich der Mann mit der langen Haarpracht um den in seinen Augen psychisch nicht ganz richtigen sorgen würde, aber Kira erschien ihm eine Spur zu desinteressiert und… das war doch noch ein Kind, meine Güte. Setsuna winkte ab, auch Zaphikel und Kato würden sich nicht erheben. Jemand musste schließlich beim Wohnmobil bleiben, doch so untereinander aufgeteilt wuchs das Misstrauen gegenüber dem Rest der Welt wieder; auch sie hatten ihre improvisierten Waffen nahe bei sich liegen. „Wir machen das nur, damit ihr Ruhe gebt“, hörte man dann auch schon Kira einige Meter weiter sagen und in Uriel zerbröckelte die neu gewonnene, positive Kraft, dass die Familienbande etwas zu bedeuten schien. Als er den Mund aufmachen und sich wieder darüber beschweren sollte, drehte sich der andere plötzlich um und schaute ihn an, lächelte auf eine entwaffnende Art und Weise. „Versteh mich nicht falsch. Es ist mir nicht egal. Ich bin mir nur ganz sicher, dass nichts passiert.“ „Und wie kannst du das sein? Überall Untote, kein Lebenszeichen von ihm.“ Eine Antwort blieb er ihm schuldig und drehte sich wieder um, rief dann vermutlich einfach, weil Raphael ihm sonst bald den Hals umdrehen würde, den Namen des begehrten Objektes. Keine Antwort, dabei war die Kabine, in der Strom und Tor geregelt wurden, nur eine Etage unter ihnen. Das Parkhaus war still wie ein Friedhof. Streng genommen hatten sie es auch zu einem gemacht; Leichen türmten sich in Ecken, Körper an Körper. Sicher war auch, dass einige von ihnen nicht die Handschrift der Neuankömmlinge trugen, sondern schon zuvor ihr Leben gelassen hatten. Meine Güte, sie waren eben keine Helden, das ging zumindest Uriel ziemlich an die Substanz. Konnte man hier noch von Mord sprechen? Raphael mobilisierte sich und lief durch einige der Reihen geparkter Autos; zog man die Zombiequote ab, wäre dies hier wohl einer der Orte, an dem noch etwas wie Ordnung bestand. Es sah einfach nicht nach Armageddon aus und wenn sie sich lange genug belogen, würden sie es sicherlich noch selber glauben. Wieder hörte Uriel den Blonden diesen Spitznamen rufen, aber selbst darauf folgte keine Antwort – was ihn in Alarmbereitschaft versetzte, denn nachdem im Auto ein paar Mal diese Bezeichnung gefallen war, hatte Michael ernsthafte Absichten bezogen, Raphael mit dem Sicherheitsgurt zu strangulieren, von seinem tobenden Geschrei mal ganz zu schweigen. „Ruhig jetzt“, erklang Kiras Stimme, als sie sich dem Erdgeschoss näherten. Aus der Ferne sah man bereits den oberen Teil des herabgelassenen Gitters, wobei es einige Schwierigkeiten gegeben zu haben schien; grob geschätzt zwanzig Untote türmten sich vor und hinter dem Gitter, unbeweglich und zu erschreckend hohen Anteilen kopflos. Das konnte er doch nicht alleine geschafft haben, oder? Zumindest musste er noch drinnen sein, er hatte sie wohl kaum von außen erledigt und da dies die letzte Etage war, konnten sie gar nicht anders als fündig werden. Zu ihrem Glück standen dort keine geifernden Gestalten mehr, die schienen sich bei der Aussicht auf leere Bäuche verzogen zu haben – nachdem eben ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Kontrahenten abgestochen worden waren. Kira schlich näher und spähte noch einmal in die Ferne, doch niemand war zu sehen. „Michael!“ Damit hatte Uriel nicht gerechnet, denn auch die Stimme des jungen Mannes hatte nun einen gereizten bis minder besorgten Tonfall angenommen; war er sich nun also doch nicht mehr so sicher, ja? „Hör auf mit uns zu spielen und komm raus!“ Wie Raphael zuvor machte Uriel sich daran, die verschiedenen Reihen an Autos zu durchkämmen und vorerst nur darauf zu achten, ob unter ihnen jemand lag. Raphael war in die kleine Kontrollkabine gestürzt, schien aber auch dort nicht fündig geworden zu sein und trat dann in einem kurzen Wutanfall gegen den hiesigen Drehstuhl. Sakuya – Entschuldigung, Kira – suchte nun wie auch Uriel in den Autoreihen und wenn nicht alles täuschte, war der ewig desinteressierte Ausdruck auf seinem Gesicht verschwunden und machte tiefster Anspannung Platz; malmte er mit seinen Kiefern oder lag das am kalten Halogenlicht? „Hier“, hörte Uriel sich plötzlich selber sagen und war selbst erschrocken, wie gedankenlos er durch diese Gänge schlich; es wäre nicht das erste Mal, dass ein Infizierter scheinbar tot herumsaß und plötzlich aufstand, weil die Aussicht auf Futter an ihm vorbeilief. Schnelle Schritte, das war Raphael, der an seine Seite prang und dann in das Fahrzeug blickte; auf einem Sitz eingerollt war der rote Haarschopf das Erste, was von dem Jungen zu erkennen war. Auch Sakuya trat an sie heran, öffnete dann mit einem entschiedenen Ruck die Tür und fasste nach dem Bein des Jungen, um ihn wach zu rütteln. Keine Reaktion und in Uriel leuchtete diese kleine, rote Alarmleuchte auf, die ihn auf etwas Dramatisches vorbereiten wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)