Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 82: Luca und Leonie --------------------------- „Was hat sie vor?“, fragte Nicholas. Er deutete der Gruppe an, ihm zu folgen. Sie verließen den Weihnachtsmarkt und blieben in einer Nebenstraße wenige Meter von ihm entfernt stehen. Sofort kuschelte Luca sich wieder an den Schwarzhaarigen. Er brauchte dessen Nähe jetzt, sonst würde er durchdrehen. Nicholas Blick blieb an Jens hängen, die unausgesprochene Frage, was er hier machte, in seinem Blick. „Jens hat mitgehört, was ich über Leonie erfahren habe. Er weiß es also schon“, erklärte Thomas. Dann erzählte er, was er erfahren hatte. „So genau weiß ich es auch nicht, aber ich befürchte, sie will es an die Öffentlichkeit bringen. Nur leider habe ich keine Ahnung, wie. Jetzt, wo wir zerstritten sind, sagt sie mir nichts mehr. Ich habe es über eine Freundin von ihr erfahren, die von unserem Streit noch nichts weiß. Wahrscheinlich werde ich diesbezüglich auch nichts mehr rausbekommen.“ „Auch das noch!“, schimpfte Nicholas, „René hat sie sich vor einer Weile unter die Lupe genommen und einige beunruhigende Dinge erfahren.“ Luca drückte sich näher an seinen Freund. Ihm war nicht wohl bei der Sache. Wenn Leonie so etwas geplant hatte, dann würde sie es auch umsetzen, das wusste er. „Wäre ich nur damals nicht so leichtgläubig gewesen“, murmelte er. „Was genau ist damals passiert?“, verlangte der Schwarzhaarige, zu wissen. Die Art, wie er es ruhig und beherrscht aussprach, verriet Luca, dass er wohl schon davon gewusst hatte, wohl aber nicht alles. „Woher? Wer hat es dir gesagt?“, kam es ihm über die Lippen, bevor er Zeit hatte, darüber nachzudenken. Zuerst schien es, als könne Nicholas ihm nicht folgen. Sein Spiegelbild in dem Fenster auf der anderen Seite der Straße schaute ihn verwirrt an, dann bildete sich ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht. „Wie hast du das jetzt schon wieder rausbekommen? Ich kann mich nicht erinnern, dir davon erzählt zu haben.“ Der Blonde seufzte. „Ich hasse es, wenn man mich anlügt, mir Dinge verschweigt oder man mich mit Halbwahrheiten abspeist. Das gilt auch für dich!“, stellte er klar. Jens musterte ihn mit kraus gezogener Stirn und nachdenklichem Ausdruck. Auch Thomas schien leicht überrascht, hatte sich aber schnell wieder gefasst. „Er hat sich ziemlich verändert, was?“ „Du hast zu ruhig reagiert“, antwortete Luca auf Nicholas‘ Frage, als er bemerkte, dass sein Freund wohl nichts mehr sagen würde. Nicholas fuhr ihm mit der Hand durch sein blondes Haar. „Habe ich dir schon gesagt, dass deine Beobachtungsgabe gruselig ist?“ Es war eine rhetorische Frage, die musste er nicht beantworten, weswegen er sie einfach ignorierte und mit dem eigentlichen Problem fortfuhr. „Wir waren mal Freunde, aber das ist jetzt schon Jahre her. Es begann im Kindergarten, als Leonie hier her zog. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, irgendwann haben wir uns dann angefreundet. Ich war oft bei ihr. Damals wusste ich noch nicht, was ich anderen Leute sagen durfte und was nicht. Was genau ich ihr alles erzählt habe, kann ich jetzt nicht mehr nachvollziehen, aber es muss eine Menge gewesen sein. Als Sonja Jochen mitgebracht hat, habe ich die blauen Flecke nicht von Anfang an vor ihr versteckt. Das habe ich erst gemacht, als sie angefangen hat, mich seltsam anzusehen und mir Fragen zu stellen.“ Nicholas drückte ihn an sich, fast so als wolle er ihn trösten. „Es ist alles gut. Er wird nie wieder seine Hand an dich legen“, flüsterte er ihm leise ins Ohr. „Das weiß ich“, sagte Luca, „Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, ist mir schleierhaft, wie ich damals so blind sein konnte. Ich habe sie gekannt. Ich wusste, wie sie tickt, dass sie oberflächlich und voreingenommen ist. Vermutlich habe ich einfach nicht geglaubt, dass es unsere Freundschaft zerstören könnte. Als ich begonnen habe, mich für Jungs zu interessieren, wo jeder andere Junge den Mädchen hinterher sah, habe ich es ihr gesagt. Sie ist, wie nicht anders zu erwarten war, ausgerastet und hat mich beschimpft. Den Rest dürftest du kennen. Jetzt sagst du mir, woher du davon wusstest!“ Der Schwarzhaarige seufzte. „Thomas hat es mir gesagt, als du nach dem Streit mit deinem Vater bei mir geschlafen hast. Ich habe ihn angerufen, um herauszubekommen, was passiert ist.“ „Mitten in der Nacht“, ergänzte Thomas gespielt verärgert, dann lächelte er freundlich, „Hat sich dein Vater eigentlich wieder beruhigt? Ihr habt euch ja ziemlich in die Haare gekriegt.“ „Er akzeptiert es“, antwortete Luca ausweichend, „Aber nur, weil es Nicholas ist.“ Er hatte immer noch mit dem Grund für Peters plötzliche Meinungsänderung zu kämpfen. „Das ist doch gut, oder?“, erwiderte Thomas verwirrt, „Stell dir mal vor, er hätte dir den Kontakt verboten…“ „Das hätte er nicht gekonnt“, warf Nicholas ein. „Wie meinst du das? Natürlich hätte er das, er ist sein Vater!“ Thomas schien verwirrt. „Peter hat nicht das Sorgerecht für Luca. Das hat momentan das Jugendamt und ohne Lucas Zustimmung wird er es nicht bekommen. Rechtlich gesehen hätte er also nichts unternehmen können. Aber ich denke, er hat sich nur Sorgen gemacht, denn als er erfahren hat, dass Luca mit mir zusammen ist, hat er erstaunlich schnell klein beigegeben“, meinte Nicholas. Daran hatte Luca auch schon gedacht. Inzwischen war er sich sicher, dass es dazu beigetragen hatte, dass sein Vater der Beziehung zugstimmt hatte. Aber da war noch mehr. Peter wusste, wie sehr er an Nicholas hing und dass es ihn verletzen würde, wenn er ihm den Schwarzhaarigen wegnahm. Thomas grinste. „Ich geh mal davon aus, dass ihr gegen Leonie vorgehen werdet?“ Nicholas nickte. „Darauf kannst du Gift nehmen. Sie hat sich eindeutig mit den Falschen angelegt. Wenn wir mit ihr fertig sind, wird sie sich wünschen, Luca nie über den Weg gelaufen zu sein.“ „Schon praktisch, einen Anwalt zum Vater zu haben, was?“, neckte Thomas. „Tu nicht so. Du hast auch schon mit ihm Bekanntschaft gemacht“, warf Nicholas ein. „Lasst mich wissen, wenn ihr Hilfe braucht. Ich hab mit ihr auch noch ein Hühnchen zu rupfen“, wechselte Thomas das Thema. Er wandte sich zum Gehen. „Dann will ich euch mal nicht weiter stören. Ihr habt sicher noch etwas vor.“ „Warte“, rief Luca ihm hinterher. Überrascht blieb sein Klassenkamerad stehen und sah ihn an. „Ich hab ihm deinen Namen nicht gesagt“, kam es von Luca. Er wusste nicht, warum er das tat, aber er fand, Thomas hatte ein Recht darauf, es zu erfahren. „Als mein Vater mich gefragt hat, hab ich ihm nur Leonie genannt.“ Thomas, der ihn einen Augenblick lang verwirrt angesehen hatte, schien zu verstehen. Seine Augen weiteten sich und ein ungläubiger Ausdruck bildete sich auf seinem Gesicht. „Bist du sicher?“ Der Blonde nickte. „Die Sache ist abgeschlossen, oder?“ „Ja, ist sie“, meinte Thomas. Dann wandte er sich wieder seinem besten Freund zu. Wenig später waren die beiden in den Menschenmassen verschwunden. Nicholas zog ihn an sich und küsste ihn kurz auf den Mund. „Ich hoffe für dich, dass du diese Entscheidung nicht bereuen wirst. “ Luca kuschelte sich an ihn und schloss die Augen. „Danke“, flüsterte er, „dafür, dass du mir vertraust und meine Entscheidung nicht hinterfragst.“ Es bedeutete ihm eine Menge, dass der Schwarzhaarige sich nicht einmischte, obwohl er offensichtlich anderer Meinung war. „Und danke, dass du dich eben in Ruhe mit Thomas unterhalten hast. Ich weiß, du kannst ihn nicht leiden.“ „Ich hasse ihn“, stellte Nicholas richtig, „Für das, was er jahrelang mit dir gemacht hat.“ Luca löste sich von ihm, griff nach seiner Hand und zog ihn zurück auf den Weihnachtsmarkt. „Dann mal los. Ich hab noch zwanzig Minuten, um Geschenke für die anderen zu finden.“ Nicholas lachte leise und ließ sich widerstandslos mitziehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)