Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 86: Streit am Esstisch ------------------------------ Um Luca herum schnappten die Leute nach Luft, geschockt über Nicholas‘ Aussage. „Bitte was?“, rief Wagners Frau. Sichtbar gereizt schaute Nicholas sie an. „Spreche ich chinesisch?“ Er hatte schon angesetzt, noch mehr zu sagen, doch Luca hinderte ihn daran. Er schlang seine Arme um den Oberkörper seines Freundes und bettete seinen Kopf auf dessen Rücken. „Hör auf“, bat er ihn leise. Er wusste, wenn Nicholas so weitermachte, würde es nicht bei diesem Wortgefecht bleiben, sondern früher oder später auch zu Handgreiflichkeiten kommen. Das versuchte er, zu verhindern. Außerdem wollte er seinem Vater nicht das Weihnachtsfest ruinieren. Nicholas drehte sich zu ihm um und erwiderte die Umarmung. Allerdings machte die Art, wie er seine Arme schützend um ihn legte, Luca klar, dass er noch nicht fertig war. „Hast du keinen Anstand, Junge?“, schimpfte Wagner weiter mit dem Schwarzhaarigen. Doch diesen schien das nicht weiter zu stören. Er ignorierte den Lehrer und wandte sich an Peter. „Du tust gut daran, alles zu hinterfragen, was er dir über Luca erzählt.“ Peter seufzte. „So hatte ich mir den Abend nicht vorgestellt.“ Er sprach Wagner zwar nicht gezielt an, doch die indirekte Warnung hatte wohl jeder verstanden. Langsam löste Luca sich von seinem Freund und schaute in die Runde. Die Gäste schauten sich missmutig an, die Stimmung war ruiniert. „Du solltest besser aufpassen, mit welchen Leuten dein Sohn sich abgibt“, wandte Wagner sich an den Vater des Siebzehnjährigen. Dabei klang er so falsch, dass es Luca eiskalt dem Rücken herunterlief. „Dieser Nicholas ist kein guter Umgang.“ Außerdem hatte er Peters indirekte Bitte, die Sache doch auf sich beruhen zu lassen und den Abend zu genießen, komplett ignoriert. Luca wollte widersprechen, aber sein Vater war schneller. „Ich wäre dir dankbar, wenn du dich aus der Erziehung meines Sohnes heraushalten würdest. Ob jemand ein schlechter Umgang ist, entscheide immer noch ich und Nicholas ist das sicher nicht. Ich arbeite seit Jahren eng mit seinem Vater zusammen und kenne ihn und seine Familie.“ Damit hatte der Blonde nicht gerechnet. Natürlich hatte er gewusst, dass Peter ihm den Kontakt zu seinem Freund nicht verbieten würde. Aber dass er Nicholas so sehr verteidigte. Ihm wurde warm ums Herz und er lächelte seinen Vater dankbar an. Wagner wollte etwas erwidern, doch seine Tochter fiel ihm ins Wort: „Jetzt setz dich endlich hin, sonst wird das Essen kalt.“ Sei deutete auf den bereits seit einer Weile gedeckten Tisch. „Ich habe mir so viel Mühe beim Kochen gegeben. Es wäre wirklich schade, wenn wir es kalt werden lassen.“ Für einen Augenblick glaubte Luca, dass sie ihrem Vater damit den Wind aus den Segeln genommen hatte, doch diesen schien das gar nicht zu interessieren. Ihre Mutter warf einen skeptischen Blick auf den Tisch. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“, wollte sie wissen. Nina hob ihre Schultern. „Ich weiß nicht, was du hast. Ich mag Luca. Und Nicholas auch.“ „So haben wir dich nicht erzogen!“ Ihre Mutter schien regelrecht entrüstet zu sein. Dabei hatte Nina gar nichts getan. Sie hatte noch nicht einmal wirklich Partei für Luca und Nicholas ergriffen. Der Blonde rutschte näher an seinen Freund heran, woraufhin dieser ihn noch fester umarmte. Der Schwarzhaarige seufzte. „So langsam frage ich mich, wie aus Nina eine so nette Frau werden konnte, wenn sie solche ignoranten Arschlöcher als Eltern hat.“ Wagner blickte ihn wütend an. „Und ich frage mich, ob meine Tochter so blind vor Liebe ist, dass sie nicht sieht, dass der Sohn ihres Lebenspartners nur Ärger macht und sein Freund ein Krimineller!“ Peters Eltern starrten ihn erschrocken an, während Nina empört die Hände in die Hüften stemmte. „Kannst du das auch beweisen? Oder ist das wieder nur ein Gerücht, dass du irgendwo aufgeschnappt hast?“ Es schien wohl schon ein paar ähnliche Vorfälle gegeben zu haben. „Natürlich!“, schimpfte Wagner, „Der Junge ist vorbestraft!“ Luca beobachtete, wie Klara und Georg zwischen Nicholas und seinem Lehrer hin und her sahen. Zuerst schien es noch, als glaubten sie dem Mann nicht. Doch keiner stritt es ab. Das konnten sie auch nicht, sonst würden sie lügen. Peter seufzte und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Ist das wahr?“, fragte Georg. „Es haben so gut wie alle Medien darüber berichtet“, antwortete Lucas Vater, „Allerding sehe ich nicht, wie das einen Einfluss auf meinen Sohn haben soll. Damals haben sie sich noch nicht einmal gekannt. Das war ein einzelner Vorfall. Nicholas hat sich danach nichts mehr zuschulden kommen lassen.“ „Und was sagst du dazu, dass die zwei sich auf dem Schulgelände mit ihren Mitschülern geprügelt haben?“ Triumphierend sah er Lucas Vater an. Nina schnaubte: „Nicholas ist ein normaler, siebzehnjähriger Junge. Natürlich prügelt er sich mal oder macht anderweitig Ärger. Das macht ihn noch lange nicht zu einem schlechten Umgang. Ich meine, welcher Junge tut das nicht?“ Sie legte sich richtig ins Zeug, wie sie den Schwarzhaarigen verteidigte. Peter zog die Stirn kraus, wie er es immer tat, wenn er nachdachte. Dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder neutral, erweckte allerdings den Anschein, aufgesetzt zu sein. Zu spät bemerkte der Blonde, was sein Vater plante. „Und mit wem, wenn ich fragen darf?“, kam es auch schon von Peter. „Nein!“, rief der Siebzehnjährige, doch da war es schon zu spät. Wagner grinste ihn an, sicher, gewonnen zu haben. Er merkte nicht, dass Peter ihm eine Falle gestellt hatte, in die er geradezu hineingesprungen war, und vorher noch ordentlich Anlauf genommen hatte. Sein Vater wollte die Namen derjenigen, die außer Leonie noch am Mobbing beteiligt gewesen waren. Luca hatte sie ihm nicht gegeben, also holte er sich woanders her. „Wenn ich mich richtig erinnere, sind das Martin Lindner, Jan Baumann, Thomas Lange und Leonie Koch gewesen“, sagte Wagner, sich seines Fehlers noch nicht bewusst, „Nicholas hat das arme Mädchen in den Springbrunnen geworfen.“ Peter nickte. „Davon habe ich gehört.“ Dann wandte er sich an seinen Sohn. „Ist die Liste jetzt vollständig?“ Während Wagner sichtbar verwirrt war, wurde Luca wütend. Nicholas schien es bemerkt zu haben, denn er strich ihm beruhigend über den Rücken und warf Peter einen warnenden Blick zu. „Ich hatte meine Gründe, warum ich sie dir nicht genannt habe!“, sagte Luca. „Indem du die Sache totschweigst?“, entgegnete sein Vater. Luca schüttelte den Kopf. „Das ist doch alles schon lange geklärt. Da gibt es nichts mehr totzuschweigen. Die Sache ist vorbei. Wir haben uns ausgesprochen.“ Entschlossen sah er seinen Vater an. „Ich werde dir weder weitere Namen nennen, noch in irgendeiner Weise bestätigen, ob Wagner dir die Wahrheit gesagt hat.“ „Jetzt werd mal nicht frech“, rief Ninas Mutter. Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und blickte ihn belehrend an. Ihr Mann nickte zustimmend, sagte aber nichts. Peter schien erschrocken. „Vertraust du mir nicht?“ „Das hat doch nichts mit Vertrauen zu tun“, antwortete Luca, „Mir geht es darum, dass du Thomas kennst und jetzt, wo dir sein Name genannt wurde, wirst du dich ihm gegenüber anders verhalten. Egal ob er etwas getan hat, oder nicht. Das wollte ich verhindern.“ „Können wir uns jetzt bitte an den Tisch setzen und essen?“, unterbrach Nina sie, ehe sie sich an ihre Eltern wandte, „Und ihr lasst Luca in Ruhe. Es ist Weihnachten und ich will mir den Abend nicht von eurer miesen Laune verderben lassen. Entweder ihr benehmt euch, oder ihr geht.“ Wagner nickte und nahm, wenn auch widerwillig, am Tisch Platz. Die anderen taten es ihm gleich und Nina konnte endlich das Essen austeilen. Nur ihre Mutter blieb stehen. „Das kann nicht euer ernst sein“, schimpfte sie. Dabei schaute sie nicht zu ihrer Tochter, sondern zu Peter. Der Mann erwiderte ihren Blick. „Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum Luca nicht bei mir wohnen kann. Er ist mein Sohn. Außerdem verstehen er und Nina sich ziemlich gut. Luca bleibt. Das ist mein letztes Wort.“ Die Aussage hatte etwas finales, endgültiges. Es war eindeutig, dass die Diskussion damit beendet war und Peter nichts mehr darüber hören wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)