Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 92: Ein guter Start --------------------------- Leonie schluckte, zeigte sonst aber keine Regung. „Und wer soll dieser Jemand sein?“ „Lucas Vater“, antwortete Thomas ihr, „Peter Mertens.“ Im Zimmer war es still. Einige konnten mit dem Namen nichts anfangen, das bemerkte Luca sofort. Andere hatten ihn schon einmal gehört, konnten ihn aber nicht zuordnen. Nur die wenigsten wussten, wer sein Vater war, darunter fast nur Mädchen. „Das erklärt die Klamotten“, meinte eine seiner Mitschülerinnen, ehe sie sich wieder ihren Freundinnen zuwandte. Für sie war das Thema erledigt. Leonie dagegen starrte zuerst Thomas dann Luca an. In ihrem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Unglauben und Wut. „Das kann nicht sein! Davon hätte ich gewusst!“, beharrte sie. Luca hob die Schultern, ehe er ihr gespielt gelassen in die Augen sah. Nicholas‘ Hand auf seiner Schulter gab ihm die Kraft, die er brauchte. Er war aufgeregt. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und sein Mund fühlte sich an, als hätte er seit Tagen nichts mehr getrunken. Leise, aber deutlich sagte er: „Ich wiederhole mich nur ungern. Es geht dich nichts an. Halte dich aus meinem Privatleben heraus. Ich schulde dir weder eine Erklärung, noch muss ich mich vor dir rechtfertigen. Du warst diejenige, die nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, nur weil ich schul bin. Dann steh ich eben auf Kerle, na und? Deswegen bin ich noch lange kein anderer Mensch. Das zeigt nur, was du für eine oberflächliche, falsche Schlage bist.“ Leonie errötete. Sie öffnete den Mund, um zu widerspre-chen, brachte aber kein Wort heraus. Fassungslos starrte sie ihn an. Thomas, der ebenfalls überrascht war, sich jedoch schnell wieder gefasst hatte, lachte laut los. „Das hättest du nicht treffender ausdrücken können.“ Die Zwillinge grinsten ebenfalls, ehe sie sich ansahen und begannen, sich gegenseitig wie eine Schlange anzuzischen. „Idioten“, murmelte Rebecka, meinte es aber nicht wirk-lich so. Leonie holte aus, um Luca eine Ohrfeige zu verpassen, doch Nicholas fing ihre Hand ab, bevor sie auch nur in die Nähe des Blonden kam. „Habe ich mich eben nicht klar genug ausgedrückt?“, fragte er. Der Schwarzhaarige griff nach ihrem Handgelenk, umschloss es mit seiner Hand und drückte zu. Der Blondine stiegen die Tränen in die Augen, als sie versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, es aber nicht schaffte. Verzweifelt riss sie an ihrem Arm, aber Nicholas‘ Hand bewegte sich nicht einen Millimeter. „Was glaubst du…“, begann er. Seine Stimme klang be-drohlich und die grünen Augen blitzten gefährlich. Einen Augenblick lang glaubte Luca, ein Raubtier stände an sei-ner Stelle. Nicholas‘ gesamte Körperhaltung hatte etwas gefährliches, raubtierhaftes. Wie eine Raubkatze, die ihre Beute betrachtete, schaute er Leonie an. „Was glaubst du, wie lange würde ich wohl brauchen, um dir jeden deiner jämmerlichen Knochen in deinem Arm zu brechen? Drei Minuten? Fünf?“ Obwohl Luca wusste, dass der Schwarzhaarige nur bluffte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter. Im Augenwinkel sah er, wie Thomas einen Schritt zurückwich. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass Nicholas seine Drohung auch in die Tat umsetzen könnte, wenn er es wollte. Inzwischen liefen Leonie die Tränen ungehemmt übers Gesicht. „Bitte.“ Leise schluchzte sie auf. „Ich tu es auch nie wieder.“ Vor ein paar Wochen hätte Luca noch geglaubt, so etwas wie Genugtuung zu empfinden. Doch da war nichts. Nichts außer Lehre. Er kein Mitleid mit ihr, noch genoss er es, sie leiden zu sehen. Es war ihm schlicht und einfach egal. „Verschwinde“, sagte er leise. Nicholas ließ sie los. Nur leider hatte sie so stark an ihrem Arm gezogen, dass sie das Gleichgewicht verlor und der Länge nach auf den Boden fiel. Schnell sprang sie wieder auf und stürmte aus dem Zimmer. Danach war es still, bis Thomas das Schweigen brach. „Ge-schieht ihr recht“, meinte er leise. Keiner widersprach ihm. Die Tür wurde geöffnet und eine Frau mittleren Alters in Jeans und Bluse betrat das Zimmer. Ihre recht auffälligen, roten Locken hatte sie im Nacken zusammengebunden. Augenblicklich verstummte die Klasse und schaute die Frau an, so auch Luca. Zuerst war er verwundert, da er die Frau nicht kannte. Er beobachtete, wie sie durch das Zim-mer lief und ihre Handtasche auf den Lehrertisch stellte. Dann wandte sie sich an die Klasse: „An alle, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Jessica Spierling. Ich bin ab heute eure Mathelehrerin.“ „Ich habe gehört, sie ist die richtige Lehrerin“, flüsterte René leise zu Rebecka, war aber so laut, dass Luca es pro-blemlos verstehen konnte, „Sie hat ein Kind bekomme, weswegen Peters für sie eingesprungen ist.“ „Ihr hattet es nicht ganz einfach, immerhin musstet ihr schon einmal den Lehrer wechseln. Ich hoffe, das hat sich nicht allzu sehr auf den Zeitplan ausgewirkt.“ Frau Spier-ling schlug das Klassenbuch auf und nahm den Sitzplan heraus, den sie kurz studierte. „Ich bitte euch, die Sitzordnung beizubehalten, bis ich mir eure Namen gemerkt habe. Dann könnt ihr euch setzen, wie ihr wollt.“ Ein kleinwenig verwunderte Luca diese Aussage. Bis jetzt hatte jeder seiner Lehrer darauf bestanden, dass sie sich an den Sitzplan hielten, aber wenn die Frau meinte… Nachdem die Lehrerin die Anwesenheit mithilfe des Sitz-planes überprüft hatte, wandte sie sich wieder an die Klasse. „Da wir uns noch nicht kennen, habe ich eine Kleinigkeit mitgebracht.“ Sie hielt einen Stapel kleiner Kärtchen hoch. „Hier sind einige Aufgaben aus den Abiturprüfungen der letzten Jahre, die schon beherrschen müsstet, immerhin habe ihr alles schon behandelt.“ Die Klasse stöhnte auf. Einige der Mitschüler verzogen sogar ihre Gesichter. Doch das schien Frau Spierling nicht weiter zu stören. Munter und gut gelaunt schaute sie in die Klasse. „Es kommt immer ein Schüler an die Tafel und löst eine Auf-gabe. Gibt es Freiwillige?“ „Die hat wohl zu viel Kaffee getrunken“, maulte Florian, woraufhin sein Bruder lachte, „Wie kann man so früh schon so drauf sein?“ Wie erwartet meldete sich keiner. Die Frau nahm das Locker. „Wer ist der oder die Beste hier?“, fragte sie. „Luca“, riefen die Zwillinge synchron. Einige der Mitschüler nickten zustimmend. Der Blonde seufzte. Irgendwie war ihm klar gewesen, dass es dazu kommen würde. Das Glück stand schließlich nur sehr selten auf seiner Seite. Frau Spierling wies mit einem Lächeln auf die Tafel. „Dann kommt Luca jetzt vor und löst die erste Aufgabe.“ Seufzend erhob Luca sich, griff nach seinen Krücken und humpelte zur Tafel. „Was ist denn mit Ihnen passiert?“, fragte die Frau als er neben ihr stand und die Aufgabe entgegennehmen sollte. „Autounfall“, antwortete Luca knapp. Alles andere ging sie nichts an. Die Lehrerin nickte, ehe sie die Kärtchen in ihrer Hand aufreihte wie einen Fächer und ihm mit der Rückseite nach oben hinhielt. „Dann ziehen Sie mal eine Aufgabe.“ Luca tat wie geheißen und zog eines der Kärtchen, was sich mit den Krücken als gar nicht so einfach herausstellte, und warf einen kurzen Blick darauf. Frau Spierling sah es sich ebenfalls an. „Die ist ziemlich schwer. Wenn Sie wol-len, können Sie noch mal ziehen“, meinte sie. „Passt schon“, entgegnete der Blonde. So schwer war die Aufgabe auch wieder nicht. Er würde es schon irgendwie hinbekommen. Er wandte sich zur Tafel, lehnte seinen Krücken dagegen, immerhin brauchte er sie nicht mehr zu Stehen, und begann, zu schreiben. Wie die Frau schon gesagt hatte, war die Aufgabe nicht gerade leicht. Dazu kam, dass er keinen Taschenrechner benutzen durfte, also alles im Kopf machen musste. Trotzdem schaffte er es, sie zu lösen. Er brauchte zwar deutlich länger als bei den Aufgaben, di er gewohnt war, und notierte sich mehr Zwischenschritte als sonst, aber er schaffte es. Frau Spierling klatschte in die Hände. „Nicht schlecht.“ Sie reichte ihm das nächste Kärtchen. Sollten sie nicht jeder eine Aufgabe lösen, wunderte Luca sich, sagte aber nichts. Er nahm das zweite Kärtchen ent-gegen und machte sich ans Rechnen. So ging es weiter, bis es klingelte. „Sie haben nicht zufällig Interesse am Leistungskurs, oder?“, erkundigte Frau Spierling sich mit offener Neugier. Luca hob die Schultern. Darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht. In letzter Zeit waren immer andere Dinge wichtiger gewesen. Er wollte gerade zurück an sei-nen Platz humpeln, da sah er im Augenwinkel, wie die Frau ihm eine Eins eintrug. Da er nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte, tat er, als hätte er es nicht bemerkt. Das war vielleicht auch besser so. Er wollte nicht, dass die Anderen unnötig neidisch auf ihn waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)