Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 14: Samuel und Sheila ----------------------------- In der Decke eingewickelt beobachtete Luca das Karatetraining. Ein paar Mal zuckte er zusammen, weil das, was dort getan wurde, gefährlich aussah. Das war es wahrscheinlich auch. Er kam sich seltsam vor, nur mit einer Decke bekleidet in einem Raum voller sich prügelnder Jungs und Männer zu sitzen. Er wollte gar nicht wissen, was sie von ihm dachten. Ihm fiel auf, dass Nicholas einige Jahre jünger war als die anderen, aber trotzdem problemlos mithalten konnte. Er musste schon sehr lange Karate machen. Kein Wunder, dass die anderen Angst vor ihm hatten. Als der Trainer kurz Pause machte, kam Nicholas wieder zur Bank und setzte sich neben ihn. Die anderen beobachteten Luca von ihren Plätzen aus. Nur Andy gesellte sich zu ihnen. „Und, wie findest du uns?", fragte Andy gut gelaunt. „Sieht brutal aus", meinte Luca nur. Daraufhin lachte Andy. „Ist es wohl auch. Ich hab oft blaue Flecke vom Training, vor allem wenn ich mit Nicholas trainiere. Er kann sich einfach nicht zurückhalten." Nicholas schnaubte. „Stell dich nicht so an, du bist schließlich kein Mädchen." „Du hast mir immer noch nicht gesagt, wer der kleine ist", wechselte Andy das Thema. „Ein Klassenkamerad", antwortete Nicholas ihm. Die kurze Pause wurde beendet und es ging weiter. Doch Luca achtete nicht mehr wirklich auf das Training. Seine Gedanken waren bei Nicholas. Vor wenigen Stunden noch hatte er geglaubt, der Schwarzhaarige würde ihn hassen. Das tat er anscheinend nicht, sonst hätte er ihn einfach in der Dusche hängen gelassen. Hatte er mit seinen Worten vielleicht etwas ganz anderes bezweckt? Luca überlegte. Wenn Nicholas ihn nicht fertig machen wollte, wollte er dann vielleicht, dass Luca sich wehrte? Hatte er ihm das sagen wollen, oder interpretierte er zu viel in die Situation hinein? Er wusste nicht mehr, was er von Nicholas halten sollte. War er ein Verbündeter, ein Freund, oder ein Feind? Und warum half er ihm? Aus Mitleid? Luca wollte kein Mitleid, egal von wem! Der Trainer beendete das Training. Während die anderen schnell die Halle verließen, ging Nicholas wieder zu Luca. „Kannst du wieder laufen?", fragte er leise. Zögernd stand Luca auf. Er war noch etwas wackelig auf den Beinen, konnte aber stehen. Nicholas betrachtete ihn skeptisch. „Es geht schon", antwortete Luca, der nicht wieder getragen werden wollte. „Wenn du meinst." Nicholas legte ihm einen Arm um die Schulter, um ihn zu stützen. Gemeinsam liefen sie zurück zur Umkleide. Sie hatten diese kaum betreten, als Andy laut rief: „Nicholas, dein Bruder wartet draußen!" Nicholas setzte Luca auf der Bank ab und verschwand mit einem kurzen „Bin gleich wieder da" aus der Umkleide. Wenig später kam er mit einer Plastiktüte wieder, die er Luca reichte. Sie enthielt die Klamotten, die Nicholas ihm besorgen wollte. Luca wartete, bis die anderen sich fertig umgezogen hatten oder in die Duschen verschwunden waren, ehe er sich Nicholas' Klamotten schnell überzog. Die Jogginghose war ein paar Zentimeter zu lang, also schlug er sie unten um. Dafür rutschte sie aber nicht. Auch das T-Shirt und die Schuhe waren ihm zu groß. Nicholas wartete, bis Luca angezogen war, dann begleitete er ihn nach draußen. Am Ausgang stand ein junger Mann, Luca schätzte ihn auf Mitte zwanzig, mit glattem, hellbraunem Haar, das ihm bis zum Kinn reichte. Er hatte die gleichen grünen Augen wie Nicholas und sah seinem Mitschüler auch so recht ähnlich, nur dass er nicht so viele Muskeln besaß und ein paar Zentimeter größer war. Nicholas nickte dem Mann zu, was dieser erwiderte, ehe er sich an Luca wandte. „Hallo, ich bin Samuel", grüßte der Mann ihn freundlich, „Nicholas' Bruder." Er betrachtete Luca genauer, sagte aber nichts weiter, sondern führte die beiden Klassenkameraden zu seinem Auto. Luca war ihm dankbar, dass er nicht näher fragte, was passiert sei. Er wusste nicht, ob er hätte antworten können. Jetzt, wo er sich wieder halbwegs beruhigt hatte, was es ihm peinlich. So fuhren sie schweigend zu Nicholas nach Hause. Samuel hielt vor einem Einfamilienhaus mit Vorgarten und parkte in der Einfahrt ebenjenes Hauses. Es war nicht so protzig wie die umstehenden Häuser, doch Nicholas' Familie musste viel Geld haben, um sich ein Haus in dieser Gegend leisten zu können. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim", scherzte Samuel als er die Haustür aufschloss. Die drei traten ein. Im Flur wurden sie von einer jungen Frau mit dunkelblondem Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte, der ihr bis zum Po reichte. Sie lächelte freundlich und als sie Luca erblickte, wie er sich unsicher und in Nicholas zu großen Klamotten umsah, begannen ihre bernsteinfarbenen Augen zu strahlen. „Der ist ja knuffig", rief sie begeistert, rannte auf Luca zu und streichelte ihm über das Haar. Dann sah sie zu Samuel. „Können wir ihn behalten?" Sie wollte ihn in eine Umarmung ziehen, aber Luca wich zurück und versteckte sich hinter Nicholas. Er war es nicht gewohnt, dass sich Leute ihm gegenüber so offen verhielten. Samuel, der hinter ihm stand, lachte. „Das ist Sheila, meine Freundin. Nimm sie nicht so ernst, das fragt sie immer, wenn sie etwas süß findet." Sheila zog einen Schmollmund. „Mach dich nicht über mich lustig." „Ruf uns, wenn das Essen fertig ist", meinte Nicholas. Er packte Luca am Arm und zog ihn durch den Flur, die Treppe hinauf in ein gut eingerichtetes Jungenzimmer, wahrscheinlich sein Zimmer. Dort ließ er sich auf das Bett fallen. Luca setzte sich auf den Drehstuhl, unsicher, was er sonst tun sollte und sah sich um. Neben einem Doppelbett befanden sich ein Schreibtisch, drei große Schränke und ein gut gefülltes Bücherregal im Zimmer. Über dem Bett war ein großes Fenster, darunter eine Heizung, an der das Bett mit wenigen Zentimetern Abstand stand. Die Wände waren in einem hellen Gelbton gestrichen und ein dunkelgrüner, flauschiger Teppich lag im Zimmer. Alle Möbel waren neu und schienen nicht die billigsten gewesen zu sein. Das Zimmer war gemütlich eingerichtet, fand Luca, viel besser als seines. „Sagst du mir jetzt, was heute Morgen passiert ist?", erkundigte sich Nicholas, nachdem sie sich eine Weile angeschwiegen hatten. Zuerst wollte Luca ihm nicht antworten. Das Ganze war ihm peinlich. Aber Nicholas hatte schon genug gesehen, um es sich auch so zusammenreimen zu können, weswegen es keinen großen Unterschied mehr machte. Leise begann er zu erzählen: „Ich wollte nach dem Unterricht noch zu Neumann. Thomas fand das nicht so toll..." „Das kann ich mir denken", meinte Nicholas, „Er hat die vier Montag ganz schön fertig gemacht." Erstaunt blickte Luca ihn an. Vielleicht hatte er sich doch nicht in Neumann getäuscht. Es klopfte an der Tür und Sheila lugte in das Zimmer. „Kommt runter. Das Essen ist gleich fertig." Nicholas erhob sich und folgte ihr in die Küche. Luca tat es ihm gleich. Samuel stand eine Schürze und eine Kochmütze tragend in der Küche und deckte gerade den Tisch, für vier Personen. „Setzt euch", meinte er. Sheila und Nicholas ließen sich auf zwei der Stühle nieder. Luca zögerte kurz, ehe er sich neben Nicholas setzte. Samuel wollte bestimmt neben seiner Freundin sitzen. Ein wenig wunderte es ihn, dass sie nur zu viert waren. Wo waren Nicholas' Eltern? Sheila schien erraten zu haben, was er dachte, denn sie begann zu erklären: „Nicholas' und Samuels Eltern sind viel beruflich unterwegs und nur selten zu Hause. Deswegen ist Nicholas, als Samuel ausgezogen ist, mit zu ihm gezogen. Er wollte nicht die ganze Zeit allein sein." Luca nickte. Das klang logisch. Samuel stellte das Essen auf den Tisch, es gab Spagetti mit selbstgemachter Tomatensoße und Käse. Er nahm Lucas Teller und füllte ihn reichlich, eher er auch den anderen und zum Schluss sich selbst den Teller füllte. Dann wurde begonnen, zu Essen. Während des Essens führten Sheila und Samuel höflichen Smalltalk mit Luca, wo er wohnte, woher er Nicholas kannte und was er später mal für einen Beruf lernen oder ob er studieren wollte. Als jedoch nach einer Weile die Frage fiel, ob er mit Nicholas zusammen sei, wurde er verlegen. Wieso dachte jeder, dass er etwas mit Nicholas hatte? „Wir gehen nur in die selbe Klasse", antwortete Luca. Samuel hob die Augenbrauen, erwiderte aber nichts. „Wo wohnst du?", fragte Nicholas als sie aufgegessen hatten und Sheila Samuel gerade beim abspülen half, „Ich bring dich nach Hause." Luca lächelte ihn dankbar an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)