Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 20: Erste Enthüllungen ------------------------------ Luca schien Glück zu haben. Als er nach Hause kam, war Jochen bei einem seiner Kollegen und demzufolge war nur seine Mutter zu Hause. Er war schnell in sein Zimmer gegangen, schloss es auf, der Schlüssel steckte von außen, und ließ sich auf sein Bett fallen. Er erledigte die restlichen Hausaufgaben und packte seine Schultasche, danach schloss er sich in seinem Zimmer ein und ließ sich ins Bett fallen. Wenig später war er eingeschlafen. Sein Glück schien allerdings nicht lange zu halten. Als Luca am nächsten Morgen aufstand, um sich, seine übliche Trainingsjacke über dem T-Shirt tragend, heimlich aus dem Haus zu stehlen, lief er Jochen im Flur über den Weg. Sein Stiefvater trug zwar noch seinen Schlafanzug, schien aber wach zu sein. „Wo willst du hin?", fuhr er Luca an. Er stank nach Alkohol. „In die Schule", antwortete Luca leise, in der Hoffnung, dass Jochen ihn in Ruhe ließ. Er wusste, der Mann wollte nicht das Aufsehen der anderen Leute erregen, weshalb er ihn auch noch fast nie an Stellen geschlagen hatte, die sich nicht verdecken ließen. Allerdings nur, wenn er nicht zu betrunken war. Und normalerweise war Jochen, wenn er am Vorabend bei einem seiner Kollegen war, sehr betrunken. „Vergiss die dämliche Schule", bellte Jochen und baute sich vor Luca auf, „Geh gefälligst arbeiten. Ich hab keine Lust, dich noch länger durchzufüttern." Er verpasste Luca eine Ohrfeige. „Elender Schmarotzer!" Luca schluckte. Jochen schien zwar noch einigermaßen nüchtern, dafür aber extrem schlecht gelaunt zu sein. Das war schlecht, noch schlechter, als wenn er betrunken wäre. „Hörst du mich?", brüllte Jochen und stieß Luca gegen die Brust. Der Sechzehnjährige verlor das Gleichgewicht und stürzte rückwärts die Treppe hinunter. Das Schlimmste war zwar durch seine Schultasche abgefangen worden, aber es tat trotzdem weh und würde einige blaue Flecken hinterlassen, doch daran dachte Luca im Moment nicht. Er nutzte Jochens kurze Verwirrung, um aus dem Haus zu fliehen. So schnell er konnte, hinkte er die Straße entlang, bis er sicher war, nicht verfolgt zu werden. Dann verlangsamte er seine Schritte. Er holte sich sein übliches Brötchen vom Bäcker und wartete an der Haltestelle auf den Bus. Erst jetzt begriff er, was er gerade getan hatte. Scheiße! Er war vor Jochen geflüchtet. Das bedeutete Ärger. Jochen würde ihn fertig machen, wenn er wieder nach Hause kam. Der Sechzehnjährige bekam nicht mit, wie er in den Bus stieg, zur Schule fuhr und das Schulgelände betrat. Erst als er im Flur gegen jemanden stieß, erwachte er aus seiner Trance. Alarmiert sah er sein Gegenüber an und blickte in die wütenden Augen Nicholas'. „Pass doch auf!", zischte der Schwarzhaarige. Luca zuckte zusammen und wich einige Schritte zurück, bis er mit dem Rücken an einer Wand anstieß. „Hast du keine Augen im Kopf?", schimpfte Nicholas weiter. Er ging auf Luca zu und baute sich vor dem Blonden auf. „I- Ich... Es t- tut mir leid", stotterte Luca. Nicholas hob seine Hand, kam aber nicht mehr dazu, die geplante Handlung durchzuführen. Als Luca die erhobene Hand sah, kniff er die Augen zusammen und hob seine Arme schützend vor den Kopf, wie er es immer tat, wenn Jochen kurz davor war, ihn zu schlagen. Er bekam nicht mit, wie Nicholas erschrocken nach Luft schnappte. Auch den geschockten Blick des Schwarzhaarigen bemerkte er nicht. Als er dann plötzlich Nicholas' Hand auf seiner Schulter spürte, zuckte er zusammen, als sei er geschlagen worden. Sein gesamter Körper verkrampfte sich und er begann gleichzeitig, zu zittern, während er auf die Schläge wartete, von denen er dachte, dass sie kommen. „Hey, ganz ruhig...", flüsterte Nicholas und streichelte vorsichtig den Arm, „Ich tu dir nichts..." Als das nichts brachte, zog er Luca vorsichtig in eine Umarmung. Zuerst wehrte der Blonde sich dagegen, doch je länger Nicholas ihn hielt, desto mehr entspannte er sich. Auch das Zittern wurde wieder weniger, bis es ganz aufhörte. Leise schluchzte Luca auf, bevor er sich an Nicholas festkrallte und begann, hemmungslos zu weinen. Nicholas fuhr ihm tröstend mit einer Hand über den Rücken und wartete geduldig, bis Luca sich wieder beruhigt hatte. Es schien ihn nicht zu stören, dass der Blonde gerade sein Shirt nassweinte. Erst als der Blonde sich wieder von ihm löste, mit dem Ärmel dir Tränen aus dem Gesicht wischte und verlegen auf den Boden blickte, ließ er ihn wieder los. Luca, der inzwischen realisiert hatte, was da gerade passiert war, traute sich nicht, Nicholas ins Gesicht zu sehen. Schon wieder war er vor seinem Klassenkameraden zusammengebrochen. Außerdem war es ihm peinlich. Kleine Kinder heulten, und manchmal auch Mädchen. Er war weder das eine noch das andere. Nicholas griff nach seinem Arm. Diesmal zuckte Luca nicht zusammen. Widerstandslos ließ er sich von dem Schwarzhaarigen ins Klassenzimmer ziehen. „Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, das du wärst in die Kloschüssel gefallen!", rief René, der sich als einziges im Zimmer befand, als er sie erblickte. Luca zuckte zusammen und rückte näher an Nicholas, der seufzte, ihm aber einen Arm um die Schulter legte. René schien jetzt auch bemerkt zu haben, dass sein bester Freund nicht allein war. Er brachte ein intelligentes „Oh..." heraus. Nicholas dirigierte Luca auf den Stuhl, auf dem er normalerweise saß. Durch einen sanften Druck auf die Schultern, brachte er den Blonden dazu, sich hinzusetzen. Luca tat, was Nicholas von ihm verlangte, ohne sich zu wehren. Er hatte begonnen, dem Schwarzhaarigen zu vertrauen. „Zieh deine Jacke aus", verlangte Nicholas nachdrücklich. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Kurz zögerte, dann kam er mit zitternden Fingern der Aufforderung nach. René keuchte auf, als er die vielen blauen Flecken erblickte, während Nicholas' Blick sich verdunkelte. Aus seinen stechend grünen Augen heraus betrachtete er Luca nachdenklich. „Das T-Shirt auch!" Wieder tat Luca, was von ihm verlangt wurde. Jetzt saß er oben ohne vor seinen beiden Klassenkameraden. Nachdenklich betrachtete Nicholas seinen geschundenen Oberkörper. „Da sind Neue hinzugekommen", stellte er fest, „So schlimm sahst du am Mittwoch noch nicht aus. Außerdem sind einige ziemlich frisch." Luca wich seinem Blick aus und starrte auf den Boden. Als Nicholas sich vor ihm hinhockte, blickte er zur Seite. „Schau mich an." Nicholas legte ihm die Hand ans Kinn und zwang ihn sanft aber bestimmt, ihm in die Augen zu sehen. „Wer hat dich so zugerichtet?" Luca befreite sich aus seinem Griff und zog sich schnell das T-Shirt und seine Jacke wieder an. Auf die Frage antwortete er nicht. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Einerseits wollte er Nicholas nicht belügen, andererseits konnte er nicht sagen, dass Jochen ihn verprügelte. Was würde Nicholas von ihm denken, wenn er davon erfuhr? Wahrscheinlich würde er ihn hassen, Luca verabscheute sich ja selbst, dass er so schwach war. Deshalb schüttelte er einfach nur seinen Kopf. Ohne dass er es wollte, stiegen ihm wieder die Tränen in die Augen. „Hey, nicht weinen", tröstete Nicholas ihn sofort und zog ihn wieder in eine Umarmung, „Ich will dir doch nur helfen. Aber das kann ich nicht, wenn du mir nicht sagst, wer das war." Doch Luca schüttelte wieder nur seinen Kopf. Es war besser, wenn er schwieg. Dann würde Nicholas es nicht erfahren und ihn nicht hassen. Er wollte nicht, dass Nicholas ihn hasste. Nicholas war nicht der Freundlichste, aber er hatte mehr für Luca getan, als alle anderen. Er war derjenige, der eingegriffen hatte, als Thomas und dessen Freunde ihn fertiggemacht hatten. Er war derjenige, der ihm geholfen hatte. Er war derjenige, der ihn jemals umarmt oder getröstet hatte. Luca wollte ihn nicht verlieren. Dazu fühlten sich Nicholas' Nähe und tröstende Worte viel zu gut an. Er hatte das Gefühl, dass, wenn Nicholas da war, keiner mehr ihm etwas tun würde. Luca schloss die Augen und lehnte sich vollständig gegen seinen schwarzhaarigen Klassenkameraden. Er hatte längst aufgehört, zu weinen. Aber er löste sich nicht von Nicholas. Dazu fühlte er sich in dessen Umarmung viel zu wohl. Außerdem musste er so nicht die Gesichter von Nicholas und René sehen. Solange Nicholas ihn hielt, war es, als würde die Außenwelt nicht existieren. Solange Nicholas ihn hielt, war alles in Ordnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)