Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 30: Pizzaabend * ------------------------ „Versteh mich nicht falsch. Ich bin dir wirklich dankbar, für alles, was du für mich getan hast. Aber ich will kein Mitleid. Ich will nicht nur geduldet werden, ich will dein Freund sein!“ Nicholas war sprachlos, aber nicht im positiven Sinne. Geschockt beschrieb es schon eher. Wovon redete Luca da? Wie kam er auf die Idee, es wäre alles nur Mitleid gewesen? Der Schwarzhaarige hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu erwidern, als er die Tränen bemerkte, die über Lucas Gesicht liefen. Er schloss seinen Mund wieder und schluckte. Er hasste Tränen. Das lag nicht daran, dass er Leute, die weinten für schwach hielt, oder so. Er hatte kein Problem mit schwachen Leuten, in Grenzen, versteht sich. Der Grund, warum er es nicht ausstehen konnte, wenn jemand weinte, war ein anderer: Nicholas konnte nicht damit umgehen. Er wusste dann nicht, was er tun oder sagen sollte. So war es auch jetzt, mit der Ausnahme, dass ihn Lucas Tränen noch stärker trafen. Vielleicht lag es daran, dass er wusste, dass das Leben des Blondhaarigen einfach nur scheiße war. Oft genug hatte er die blauen Flecken auf dem Körper seines Gegenübers gesehen. Luca versuchte zwar, es zu verbergen, weswegen Nicholas ihn noch nicht wieder darauf angesprochen hatte, trotzdem waren sie ihm aufgefallen. Luca war anders. Nicholas hatte noch nie jemanden getroffen, der ein so geringes Selbstbewusstsein besaß. Dazu kamen noch die Berührungsängste. Es war nicht so, dass Luca sich gar nicht anfassen ließ, er war nur extrem schreckhaft. Außerdem mochte er es nicht, wenn ihm jemand zu nahe kam. Er versuchte zwar, es zu überspielen, aber Nicholas war es trotzdem aufgefallen. Der Schwarzhaarige wusste einfach nicht, wie er mit ihm umgehen sollte. Lucas Schluchzen riss ihn aus seinen Gedanken. „Was bin ich für dich?“, fragte er. Nicholas seufzte. Er hasste es, sich erklären zu müssen. Aber Luca hatte diese Erklärung wohl verdient. Auch wenn er die Gründe, warum er ihm geholfen hatte, selbst noch nicht ganz verstanden hatte: „Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, kein Mitleid mit dir gehabt zu haben.“ Obwohl die Worte leise gesprochen waren, fuhr Luca zusammen. Er versuchte, sich aus dem Griff seines Klassenkameraden zu befreien, was Nicholas schnell unterband, indem er dein Blondhaarigen in eine Umarmung zog. Luca wehrte sich halbherzig gegen ihn, doch Nicholas ließ nicht locker. Er war noch nicht fertig. „Aber das ist nicht alles“, fuhr Nicholas schnell fort. Er hatte die Worte kaum zu Ende gesprochen, da spürte er, wie Luca langsam ruhiger wurde. Er ließ die Umarmung zu. Gleichzeitig spürte Nicholas, dass Luca sich nicht entspannte. Der blondhaarige blieb steif in seinen Armen stehen. „Ich weiß, ich habe mich dir gegenüber nicht immer richtig verhalten und das tut mir leid. Aber ich hatte nie die Absicht, dir das Gefühl zu geben, unerwünscht zu sein“, flüsterte Nicholas. „Bitte, was bin ich für dich?“, wiederholte Luca seine Frage. „Das weiß ich selbst nicht so richtig“, antwortete Nicholas ehrlich. Das war das mindeste, was er tun konnte, nachdem er Luca wieder zum Weinen gebracht hatte. „Ich weiß auch nicht, warum ich dir geholfen habe. Ich weiß nur, dass ich nicht länger zusehen konnte. Noch nie habe ich einen Menschen gesehen, der so am Boden war, wie du. Du warst am Boden und sie haben trotzdem weiter nach dir getreten. Das hat mich unglaublich wütend gemacht. Ich konnte nicht länger zusehen. Anfangs hatte ich vor, mir die vier vorzuknöpfen, damit sie dich in Ruhe ließen und dich dann links liegen zu lassen. Dann habe ich begonnen, dich näher kennen zu lernen, und fing an, dich zu mögen. Wie du sicher schon festgestellt hast, tu ich mich unglaublich schwer darin, neue Freunde zu finden. Aber du bist irgendwie anders als die anderen. Du drängst dich nicht auf, bist aber trotzdem da. Ich habe begonnen, mich an dich zu gewöhnen.“ Er hielt kurz inne, bevor er mit zuversichtlich klingender Stimme weitersprach: „Als Freunde würde ich uns noch nicht bezeichnen, aber wir sind auf dem besten Weg, welche zu werden.“ Nicholas blickte auf den blonden Haarschopf, der still an seiner Schulter lehnte. Selten hatte er so viel geredet, wie eben, aber als er spürte, wie Luca sich langsam entspannte, war er sicher, dass es das wert gewesen war. „Findest du es so schlimm, was Benni und Julian tun?“, fragte Luca leise, „Ich finde es auch nicht besonders toll, aber meinst du nicht, dass sie aufgeben, wenn sie sehen, dass es nichts bringt?“ Der Schwarzhaarige wusste nicht, wie er darauf antworten sollte. Natürlich hatte Luca mit seiner Aussage recht. Wo keine Gefühle waren, konnten die anderen kuppeln, wie sie wollten, es würde nichts passieren. „Es tut mir leid“, flüsterte er, „Ich habe meine Wut auf die zwei Idioten an dir ausgelassen und das war nicht richtig. Nur in einer Sache täuschst du dich. So schnell werden sie nicht aufgeben. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, dann kann sie nichts und niemand mehr davon abbringen. Und aus irgendeinem Grund meinen sie, dass wir gut zusammenpassen.“ Luca lachte leise. „Nichts gegen dich, du siehst gut aus und bist mit Sicherheit auch ein guter Freund, aber ich bin nicht in dich verliebt. Ich mag dich nur irgendwie...“ Den letzten Satz nuschelte er gegen Nicholas‘ Oberteil, so dass dieser Schwierigkeiten hatte, ihn zu verstehen. Nicholas war erleichtert. Luca liebte ihn nicht. Wenn er ehrlich war, hatte er keine Ahnung, wie er reagiert hätte, hätte Luca irgendwelche Gefühle gehabt, die über normale Freundschaft hinausgingen. Wahrscheinlich hätte er ihn abgewiesen. Aber damit hätte er Luca auch verloren, wahrscheinlich für immer, und je länger er darüber nachdachte, desto unwohler wurde ihm bei dem Gedanken, Luca nicht mehr in seiner Nähe zu haben. Ohne Luca würde ihm etwas fehlen. Aber ob er deswegen bereit war, eine Beziehung einzugehen? Konnte eine Beziehung, in der er seinen Partner nicht liebte überhaupt funktionieren? Deshalb war er so erleichtert darüber, dass Luca keine solchen Gefühle für ihn hegte und ihn somit nicht in diese Zwickmühle brachte. „Lass und zurück zu den anderen gehen“, meinte er nach einer Weile. Luca nickte, löste sich von ihm und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Auf seinem Gesicht bildete sich ein schwaches Lächeln. Auch Nicholas lächelte, als sie zurück zu den anderen gingen. Dort wurden sie gemustert, Luca länger als Nicholas. Der Schwarzhaarige sah, dass es seinem Klassenkameraden unangenehm war, so viel Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu haben, weswegen er mit dem Kopf schüttelte und seinen Freunden durch ein Zeichen vermittelte, dass sie den Blondhaarigen nicht auf sein verheultes Gesicht ansprechen sollten. Sie blieben noch bis nach der Siegerehrung, dann stiegen sie in ihre Autos, Andy war ebenfalls mit seinem Auto da. Nicholas und Luca fuhren bei ihm mit, während René zu Julian und Benni stieg. Nicholas hatte ihn darum gebeten, die zwei zu ermahnen, Luca nicht mehr in ihre blöden Spielchen mit hineinzuziehen, was René ihm auch sofort versprach. Es schien fast, als hätte sein bester Freund das schon vorgehabt. „Bring ihn nicht wieder zum Weinen“, hatte René ihm noch schnell zugeflüstert. Die Fahrt verlief ruhig, wenn man von Andys dummen Kommentaren bezüglich der Wette mal absah. Aber Nicholas würde nicht nachgeben. Wenn er es nicht vertrug, zu verlieren, hätte er eben nicht wetten dürfen. Obwohl Nicholas natürlich wusste, dass es ein teurer Spaß werden würde, für die gesamte Gruppe das Abendessen inklusive Getränken zu bezahlen. Aus Kostengründen hatten sie sich darauf geeinigt, dass es nur das Getränk zum Essen gab. Den Rest musste jeder selbst bezahlen. In der Pizzeria angekommen, suchten sie sich einen großen Tisch und warteten, bis ihnen die Bedienung die Karten brachte, bevor sie ihre Getränke bestellten. Wie immer bestellte keiner ein alkoholisches Getränk, aber Benni war auch der einzige, der das gekonnt hätte. Julian und Andy mussten fahren und waren beide noch nicht Einundzwanzig, weswegen sie nichts trinken durften. Und Benni hielt sich wahrscheinlich zurück, weil es sonst unfair wäre. Nicholas beobachtete, wie Luca unsicher durch die Karte blätterte. Er war schon beim bestellen seiner Cole nervös gewesen. „Geht das wirklich in Ordnung?“, fragte der Blondhaarige Andy wenig später? Der Angesprochene lachte. „Wettschulden sind Ehrenschulden. Und ich habe verloren, also such dir was aus.“ Dann sah er zu seinem Wettgegner. „Nächstes Mal bist du dran, da verliere ich nicht wieder.“ Nicholas hob die Brauen. „An deiner Stelle wäre ich mir da nicht so sicher...“ Er duckte sich unter der Hand hinweg, mit der Andy nach ihm ausholte, als Luca neben ihm erstarrte. „Scheiße“, schimpfte Nicholas. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)