Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 53: Wieder allein ------------------------- Lucas Beine schienen ihn unbewusst zum Haus seines Vaters getragen zu haben, denn er stand plötzlich vor dem prunkvollen Tor, das die Einfahrt versperrte. Schlimmer kann es nicht mehr werden, dachte sich der Blondhaarige und drückte auf den Klingelknopf. Dann wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht. Mehr als wieder rauswerfen konnte sein Vater ihn nicht. „Hallo?“, vernahm er wenig später eine verschlafen klingende Frauenstimme aus der Sprechanlage. Am liebsten hätte Luca sich geohrfeigt. Es war mitten in der Nacht! Die meisten Menschen schliefen um diese Uhrzeit! Wie es aussah hatte er seinen Vater und dessen Freundin wohl geweckt. Einen Rückzieher konnte er jetzt nicht mehr machen, weshalb er sich zwang, mit ruhiger Stimme zu sprechen: „Ist Peter Mertens da?“ „Einen Moment“, sagte die Frau, „Ich lasse Sie herein. Das ist ja kein Wetter da draußen.“ Ein Surren ertönte und das Tor öffnete sich. Kurz zögerte der Blondhaarige, dann betrat er das Grundstück und lief zur Haustür. Sie befand sich unter einem Vordach, das ihn einigermaßen gut vor dem Schnee schützte. Aber viel brachte es nicht, der Siebzehnjährige war bereits voller Schnee. Wenig später wurde die Tür vor ihm geöffnet und die junge Frau, die ihn eben auch auf das Grundstück gelassen hatte, winkte ihn eilig ins Haus. Das ließ sich Luca natürlich nicht zweimal sagen. Da im Flur das Licht brannte, konnte er die Frau jetzt auch genauer sehen. Er vermutete, es war die, die er letztens mit seinem Vater aus dem Luxuswagen hatte steigen sehen. Sie hatte kurzes, naturblondes Haar, graue Augen und war nur ein kleinwenig größer als Luca. Er schätzte sie auf Ende Zwanzig, was ihn etwas verwunderte. Hatte sein Vater eine so junge Freundin? Hübsch war sie ja, das gab Luca neidlos zu, auch wenn er absolut nichts mit Frauen anfangen konnte. „Peter ist gleich da“, sagte sie. Ihre Stimme hatte einen leicht beruhigenden Klang. „Es tut mir leid, dass ich so spät noch störe“, entschuldigte Luca sich, wie es sich gehörte, ehe er sich die Mütze vom Kopf zog. Er bemerkte seinen Fehler erst, als sich die Augen der Frau weiteten und sie ihn ungläubig anstarrte. „Wie genau stehst du zu Peter“, verlangte sie, plötzlich nicht mehr so freundlich, von ihm zu wissen. „Den genauen Verwandtschaftsgrad weiß ich nicht“, log Luca, „Ich weiß nur, dass wir über ein paar Ecken relativ weit entfernt miteinander sind.“ Die Frau schien sich wieder etwas zu beruhigen. Sie wollte gerade etwas erwidern, als sie Schritte hörten. „Wer ist es denn, Nina?“, erklang eine Männerstimme, sie war also wirklich die Freundin seines Vaters. Gleichzeitig kam Peter Mertens um die Ecke gehastet. „Der Junge möchte dich sprechen. Es scheint dringend zu sein“, meinte die Frau, ehe sie den Flur entlanglief und Luca mit seinem Vater allein ließ, wohl um nicht zu stören. Erst jetzt wagte Luca es, seine Vater genauer zu betrachten. Jetzt, wo er ihn vor sich sah, war die Ähnlichkeit noch größer. Er sah seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Die einzigen Unterschiede in ihrem Aussehen waren das Alter und die leichten Locken im Haar des Siebzehnjährigen. Der Blondhaarige blickte seinen Vater an, wollte ihm erklären, weswegen er ihn aufgesucht hatte. doch kein Wort kam über seine Lippen. Mit Nina hatte er sich eben noch problemlos unterhalten können, doch jetzt war sein Mund wie ausgetrocknet. Peters Augen hatten sich geweitet, als er seinen Sohn erblickt hatte. Der Siebzehnjährige zweifelte keine Sekunde daran, dass er ihn erkannt hatte, obwohl sie sich seit fast siebzehn Jahren nicht mehr gesehen hatten. aber bei ihrer Ähnlichkeit war es auch einfach, die richtigen Schlüsse zu ziehen. „Was willst du?“, fragte Peter mit unterkühlter Stimme. „Ich-“ Luca brach ab. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Dabei war er so oft durchgegangen, was er seinem Vater sagen wollte. Doch sein Kopf schien wie leer gefegt. „Ich hätte es wissen müssen“, schnaubte Peter, „Diese Schlampe hat es noch nie geschafft, ihren Mund zu halten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis du hier auftauchen würdest. Jetzt sag schon endlich, was du von mir willst!“ Unbewusst war Luca einen Schritt zurückgewichen. Das aufbrausende Verhalten seines Vaters machte ihm angst. Für einen Augenblick hatte er sogar geglaubt, Jochen vor sich zu haben, obwohl die beiden Männer sich kein Bisschen ähnelten „Sonja hat mir nichts gesagt. Sie weiß auch nicht, dass ich hier bin“, versuchte Luca, die Situation zu entschärfen. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, dass sein Vater damals nur seine Mutter hatte loswerden wollen, müsste es funktionieren. Sein Vater hob eine Augenbraue, sagte aber nichts. Er schien darauf zu warten, dass der Siebzehnjährige weitersprach. „Sie sind mein Vater, nicht wahr?“, flüsterte Luca. Peter sah ihn abwartend an. Er machte keine Anstalten, die Frage zu beantworten, also fuhr der Siebzehnjährige fort: „Es tut mir leid, dass ich Sie so spät störe. Mir ist kein anderer eingefallen, an den ich mich sonst hätte wenden können. Ich brauche Ihre Hilfe.“ Peters Blick verfinsterte sich. „Willst du Geld? Bist du deswegen hier? Zahle ich noch nicht genug?“, brauste er auf. „Nein“, stotterte Luca, „Ich…“ „Raus!“ Peter schrie nicht. Seine Stimme war ruhig, aber autoritär. Er machte deutlich, dass er keine Widerworte duldete. „Warten Sie“, sagte Luca erschrocken. Er konnte ihn doch nicht einfach rauswerfen. Doch der Mann schien nicht weiter mit ihm sprechen zu wollen. Er ging an ihm vorbei, öffnete die Tür und deutete nach draußen. „Geh“, verlangte er. Als Luca sich nicht rührte, packte er ihn grob am Oberarm und stieß ihn durch die Tür. „Das ist ein Missverständnis“, rief der Siebzehnjährige. „Jetzt hör mir mal gut zu, Junge“, schimpfte Peter und stieß ihn gegen die Wand, auf die das Vordach gestützt war, „Ich will weder mit dir noch mit deiner Mutter etwas zu tun haben!“ Luca versuchte, sich loszureißen, doch sein Vater hielt ihn nur noch kräftiger Fest. Mit einer Hand packte er die Handgelenke des Siebzehnjährigen und presste sie gegen die Mauer. Luca kämpfte weiter gegen ihn an. „Lassen Sie mich los!“, verlangte er. Peter presste seine Handgelenke noch fester gegen die Wand. „Lass dich hier nie wieder blicken! Hast du verstanden?“ Zögerlich nickte Luca. Er wusste, wann er verloren hatte. Als Peter ihn wieder losließ, rannte er an dem Mann vorbei und flog durch das offene Tor vom Grundstück. Er bemerkte nicht, dass sein Armband fehlte. Tränen der Verzweiflung liefen ihm über das Gesicht. Er hatte gehofft, dass wenigstens sein Vater ihm helfen würde. Doch der Mann schien seine Einstellung in den letzten siebzehn Jahren nicht geändert zu haben. Er wollte immer noch nichts von ihm wissen. Ziellos rannte Luca durch die Stadt. Nach einer Weile verlangsamte er sein Tempo, doch er hielt nicht an. Alles in ihm schrie danach, zu fliehen. Er wollte nur noch weg von hier. Weg aus dieser Stadt, in der er niemals glücklich werden konnte. Weg aus seinem Leben. Als er an dem Haus, in dem sich Julians Wohnung befand, vorbeikam, hielt er kurz an. Kurz spielte er mit dem Gedanken, zu klingeln und den Mann zu fragen, ob er bei ihm übernachten könne. Doch so schnell ihm dieser Gedanke gekommen war, so schnell verwarf er ihn wieder. Er kannte Julian nicht. Außerdem war er Nicholas‘ Freund. Schon ein Gedanke an den Schwarzhaarigen genügte und Lucas Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Warum hatte Nicholas das getan? Nicholas hatte ihm die Kraft gegeben, um wieder leben zu wollen. Luca hatte ernsthaft geglaubt, er bedeute dem Schwarzhaarigen etwas. Auch, wenn dieser nie seine Gefühle erwidert hätte, hatte Luca gedacht, dass er ihn wenigstens mochte. Wie hatte er sich nur so in ihm täuschen können? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)