Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 60: Eine schreckliche Entdeckung * ------------------------------------------ Nicholas betrachtete das Armband in seiner Hand. Er hatte es gerade von der Reparatur abgeholt. Der Verschluss war kaputt gewesen, deswegen hatte Luca es wahrscheinlich auch verloren. Wie jeden Nachmittag war er auf dem Weg zum Krankenhaus. Ob man ihm diesmal zu seinem Klassenkameraden lassen würde? Bis jetzt hatte man ihn jedes Mal mehr oder weniger freundlich gebeten, wieder zu gehen. Der Schwarzhaarige hatte nicht vor, sich heute wieder an der Rezeption abspeisen zu lassen. Wenn sie ihn heute nicht freiwillig zu Luca ließen, würde er es sich erzwingen. Notfalls schlich er sich eben hinein. Mehr als rauswerfen, falls sie ihn entdeckten, konnten sie eh nicht, nicht bei seinem Vater. Zwar hasste er es, sich auf den Ruf seines Vaters verlassen zu müssen, aber es ging hier nicht um ihn, nicht ausschließlich. Es ging auch um Luca, seinen Freund, bei dem er sich entschuldigen musste. Im Krankenhaus angekommen, bemerkte er, dass die Rezeption gerade nicht besetzt war. Da er dort eh nichts erfahren würde, lief er zielstrebig daran vorbei durch die Cafeteria, zu den Zimmern der Patienten. Und wenn er jedes Türschild lesen musste, er würde Luca finden! Gesagt, getan. Nur hatte das Krankenhaus sehr viele Zimmer und er kam nicht besonders schnell voran, da er immer wieder dem Personal ausweichen musste. Um nicht den Überblick zu verlieren, begann er im Erdgeschoss und arbeitete sich nach oben durch. Draußen wurde es inzwischen dunkel, das sah er durch die Fenster im Flur. In der vierten Etage hörte er dann Stimmen. Normalerweise hätte er sie ignoriert und seine Suche fortgesetzt, doch eine der Stimmen kam ihm bekannt vor. Leise, um nicht gehört zu werden, näherte er sich den sprechenden Personen und war erstaunt, als er Peter Mertens erblickte. Er unterhielt sich gerade mit einem der Ärzte. „Bitte verstehen Sie, dass ich die Informationen nicht einfach jedem geben kann“, versuchte der Arzt gerade zu erklären, während er mit seinen Händen wild gestikulierte. Peter schien verärgert zu sein. „Ich bin nicht irgendwer! Ich bin sein Vater!“, schimpfte er. Nicholas schlich an den beiden vorbei. Glücklicherweise waren sie so sehr miteinander beschäftigt, dass sie ihn nicht bemerkten. Er kontrollierte auch in diesem Gang die Namensschilder, bis er endlich das von Luca fand. Sicherheitshalter warf er noch mal einen Blick in den Gang, um zu überprüfen, ob ihn auch wirklich keiner sah, dann öffnete er leise die Tür und trat ein. Das Zimmer war dunkel. Durch den Lichtstrahl, der durch die geöffnete Tür fiel, konnte Nicholas erkennen, dass das Bett leer war. Er wusste sofort, dass hier etwas nicht stimmte. Luca durfte das Bett noch nicht wieder verlassen! Ein ungutes Gefühl kam in ihm auf. Schnell schaltete er das Licht an, nur um festzustellen, dass Luca nicht im Zimmer war. Was er vielleicht verlegt worden? Der Schwarzhaarige wollte das Zimmer gerade wieder verlassen und seine Suche fortsetzen, als sein Blick auf die Tür zum Bad fiel. Sie stand einen Spalt offen und im Bad brannte Licht. Mit schnellen Schritten durchquerte er das Zimmer und riss die Tür zum Badezimmer auf. Doch was er dort erblickte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren und seinen Körper erstarren. Luca lag auf dem Boden, die Knie angezogen und mit dem Rücke zur Dusche. Um ihn herum befand sich eine dunkelrote Pfütze. Blut, schoss es Nicholas durch den Kopf. Erst danach sah er den Schnitt kurz über Lucas Handgelenk. Obwohl er wusste, dass er etwas tun sollte, dass er Hilfe holen müsste, dauerte es, bis er sich aus der Starre löste. Ohne auf seine Kleidung zu achten kniete er sich neben Luca auf den Boden und fasste ihm mit zwei Fingern an den Hals, prüfte den Puls, wie er es im Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein gelernt hatte. Er war noch da, fühlte sich aber schwächer an, als Nicholas es gewohnt war. Er sah die Male an Lucas Hals, beachtete sie aber nicht weiter. Der Blondhaarige brauchte Hilfe, und zwar schnell. Nicholas sprang auf und stürmte aus dem Zimmer in den Flur, wo er laut rief: „Hilfe! Ein Arzt! Schnell!“ Die Sekunden, die es dauerte, bis jemand auf seinen Hilferuf reagierte, fühlten sich endlos lang an. Dann, endlich, kam er Arzt den Gang entlanggeeilt. Bei genauerem Hinsehen erkannte der Schwarzhaarigen ihn als denjenigen, der zuvor mit Lucas Vater diskutiert hatte. Peter Mertens folgte ihm mit einigen Schritten Abstand. „Schneller!“, rief Nicholas. Er wartete nicht, bis die Männer bei ihm waren, sondern eilte ins Zimmer zurück. Die Tür ließ er offen. Er kniete sich neben Luca auf den Boden, packte den Blondhaarigen vorsichtig an und hob ihn dann in die Mitte es kleines Badezimmers, damit der Arzt ihn gleich besser behandeln konnte. Er war kaum damit fertig, da kam er Mediziner schon ins Zimmer gestürmt. „Was ist pas-“ Der Arzt brach an. Scheinbar hatte er Luca entdeckt. Er kniete sich neben den Blondhaarigen auf den Boden und überprüfte ebenfalls den Puls, eher er sowohl Nicholas als auch Peter aus dem Zimmer scheuchte. Vom Flur aus beobachtete Nicholas, wie einige Krankenschwester und Ärzte in das Zimmer eilten und es auch wieder verließen. Die ganze Zeit über hatte er Angst um Luca. Peter versuchte, das Personal anzusprechen, um von ihm Informationen bezüglich seines Sohnes zu erfahren, doch er wurde einfach ignoriert. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, verließ er Arzt, der als erstes erschienen war, endlich das Zimmer und kam auf sie zu. „Wie geht es ihm?“, rief Peter mit besorgt klingender Stimme noch bevor der Mann sie erreicht hatte. „Wir haben ihn soweit stabilisieren können. Er braucht noch eine Bluttransfusion, dann können Sie zu ihm.“ Der Arzt wandte sich an Nicholas. „Und du erklärst mir jetzt mal, was du in dem Zimmer des Patienten zu suchen hattest?“ „Luca ist mein Freund. Ich musste mit ihm sprechen“, antwortete der Schwarzhaarige, „Bevor er etwas Dummes tut. Aber wie es aussieht, war ich zu spät.“ „Du weißt etwas, habe ich recht?“, verlangte der Arzt zu wissen. Nicholas nickte, fügte aber gleich hinzu: „Was wollen Sie wissen? Was ich beobachtet habe oder meine Vermutung?“ Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, etwas zu sagen, aber die Situation ließ ihm keine andere Wahl. Er konnte nicht länger schweigen, nicht, wenn er Luca helfen wollte. „Beides“, antwortete Peter und schaute ihm ernst an. „Alles, was du mir Vorgestern verschwiegen hast.“ Der Schwarzhaarige seufzte, dann deutete er auf Lucas Zimmer. „Können wir reingehen? Ich will nicht, dass jemand mithört.“ Außerdem wollte er Luca sehen. Der Arzt hob die Schultern und führte sie in das Zimmer. Sowohl Nicholas als auch Peter gingen auf das Bett zu und sahen nach dem blondhaarigen Jungen, der friedlich darin lag, die Decke bis zum Hals gezogen, und zu schlafen schien. Wäre er nur nicht so blass und hinge er nur nicht an einer Blutkonserve. Nicholas nahm das obere Ende der Decke und schlug sie ein Stück zurück, genau so viel, dass die Würgemale an Lucas Hals sichtbar waren. „Sie haben bestimmt schon eine Vermutung“, meinte er an den Arzt gewandt. Peter, der neben ihm stand, schnappte erschrocken nach Luft. Er hatte sie wohl noch nicht bemerkt. „Rede“, fuhr er Nicholas an, „Was wird hier gespielt?“ Der Schwarzhaarige deckte Lucas Hals wieder zu, ehe er ihm vorsichtig mit einer Hand durchs Haar fuhr. Die beiden Männer beäugten ihn skeptisch, unternehmen aber nichts. „Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, aber Luca und ich gehen seit Sommer in die selbe Klasse. Er kam fast jeden Tag mit neuen blauen Flecken in die Schule. Er hat zwar versucht, sie zu verdecken und nie kurze Sachen angezogen, egal, wie warm es war, er hat immer lange Kleidung getragen, aber ich habe es trotzdem gesehen. Außerdem zuckt er jedes Mal, wenn sich jemand in seiner Nähe ruckartig bewegt hat oder es etwas lauter geworden ist, zusammen. Wenn ihm jemand zu nahe kommt, weicht er zurück und anfassen lässt er sich nur widerwillig. Ich habe mehrmals versucht, ihn darauf anzusprechen, ihn irgendwie zum Reden zu bringen, aber er weigert sich, darüber zu sprechen. Das einzige, was ich erreicht habe, ist, dass er mich nicht mehr anlügt und dass er mich manchmal die Verletzungen behandeln lässt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)