Auf den zweiten Blick von Seira-sempai ================================================================================ Kapitel 76: Telefongespräche * ------------------------------ „Was hat der Mistkerl jetzt schon wieder angestellt?“, wollte René sofort wissen. „Gib mir einfach die Nummer“, meinte Nicholas, „Du hast sie doch, oder?“ René lachte. „Wieso gehst du automatisch davon aus, dass ich sie habe? Was, wenn ich sie nicht habe?“ „Dann wirst du sie dir spätestens in zwanzig Minuten besorgt haben. Ich kenne dich und deine Art, dir Informationen zu beschaffen“, antwortete Nicholas. Kurz ah er zu Luca, um sich zu vergewissern, dass der Blonde immer noch schlief. Er sollte so wenig von den Gesprächen mitbekommen, wie möglich. „Du hast Glück gehabt“, scherzte René, „Ich hab sie wirklich. Warte kurz, dann sende ich sie dir per SMS.“ Er gab Nicholas nicht die Chance, etwas zu erwidern, sondern legte einfach auf. Aber der Schwarzhaarige nahm das nicht übel, weil keine halbe Minute später besagte Kurznachricht bei ihm einging. Er speicherte die Nummer in sein Adressbuch, für den Fall, dass er sie später noch einmal brauchte, dann rief er sie an. Dabei ignorierte, dass es inzwischen kurz vorn Mitternacht war und die meisten keine Nachtmenschen waren, im Gegensatz zu René, der selbst zu dieser Uhrzeit noch putzmunter war. Wie er das schaffte, war ihm ein zweifel. Thomas schien schon geschlafen zu haben, denn er murmelte etwas unverständliches in sein Handy. „Thomas Lange?“, fragte Nicholas, nur um sicher zu gehen, dass er die richtige Nummer hatte. Bis jetzt hatte René ihm zwar noch nie falsche Informationen gegeben, aber auch er konnte sich mal irren. „Ja?“, erklang es immer noch reichlich verschlafen am anderen Ende der Leitung, „Und wer bist du?“ „Nicholas“, sagte der Schwarzhaarige sofort, „Ich rufe wegen Luca an.“ „Was ist mit ihm?“ Thomas schien augenblicklich hellwach. Skeptisch zog Nicholas die Brauen nach oben. Hörte er da etwa Besorgnis? „Was interessiert dich das?“, provozierte er seinen Mitschüler deshalb. Es schien zu funktionieren. Thomas sprang darauf an. „Hör mal, es tut mir wirklich leid, was ich mit ihm gemacht habe. Es war nicht richtig. Ich bin ein Idiot gewesen, mich von Leonie einlullen zu lassen und nicht früher bemerkt zu haben, was ich angestellt habe. Das hab ich auch schon Luca gesagt.“ „So?“, bohrte Nicholas weiter, „Und was hat er dazu gesagt?“ „Wir haben uns normal unterhalten. Er hat zwar etwas Abstand gehalten, schien sich aber nicht unwohl zu fühlen. Er hat es die ganze Zeit gewusst. Dass Leonie mich angestiftet hat, meine ich“, erzählte Thomas. Nicholas schnaubte. „Natürlich hat er das! Hast du ihn schon einmal genau beobachtet? Seine Beobachtungsgabe ist beinahe schon furchterregend! Du glaubst gar nicht, was er alles mitbekommt! Er konnte die Zwillinge von Anfang an auseinanderhalten, wo selbst ihr Vater beide sehen muss, um sagen zu können, wer von ihnen wer ist!“ Darauf erwiderte Thomas nichts. Nicholas hörte ihn nur leise am anderen Ende der Leitung seufzen. „Geht es ihm gut?“, fragte Thomas stattdessen. „Ihr wart heute mit euren Familien gemeinsam essen“, sprach der Schwarzhaarige jetzt dem eigentlichen Grund seines Anrufes an, „Was genau ist zwischen Luca und Peter vorgefallen? Ich möchte jedes noch so kleine Detail, an das du dich noch erinnern kannst, wissen!“ Thomas seufzte erneut, diesmal lauter. „Hätte ich mir auch denken können, dass du deswegen anrufst“, murmelte er leise, wohl eher zu sich selbst, „Wir sind uns zufällig über den Weg gelaufen und unsere Väter haben beschlossen, dass wir auch zusammen essen gehen können. Sie haben dann angefangen, scherzhaft zu versuchen, ihn mit meiner Schwester zu verkuppeln. Zuerst saßen sie nur nebeneinander. Aber Luca war mit der Speisekarte so überfordert, dass ich das als Vorwand genommen habe, um mit meiner Schwester die Plätze zu tauschen, damit ich sie ihm besser erklären konnte. Dann beim essen, sind sie etwas direkter geworden. Luca hast mir leid getan, also hab ich eingeworfen, dass er vergeben ist, was ja auch stimmt. Nur bin ich davon ausgegangen, dass ihr schon länger zusammen seit, nicht erst seit Samstag. Jedenfalls wollte sein Vater dann gleich wissen, wer das Mädchen war.“ Thomas Stimme klang gequält, als er weitersprach. „Ich hab mich verplappert und Luca gefragt, ob es sein kann, dass sein Vater es nicht wisse. Zwar leise, aber Peter muss es trotzdem gehört und die richtigen Schlüsse gezogen haben. Er ist wütend geworden und hat Luca zur Rede gestellt, aber Luca ist es wohl zu viel geworden, er ist aufgestanden und wollte gehen. Peter ist ihm hinterher und hat geschimpft, er sei abartig und er würde es ihm verbieten. Luca hat ihm ein paar fiese Dinge an den Kopf geworfen und ist gegangen. Ich bin ihm hinterher und hab ihn nach Hause gebracht.“ Als er geendet hatte, war es erst einmal kurz ruhig. Nicholas dachte über das eben erfahrene nach. So etwas in der Art hatte er bereits vermutet. Aber da musste noch mehr gewesen sein, sonst wäre Luca niemals so aufgelöst zu ihm gekommen. Das würde ihm aber nur Luca selbst sagen können. „Eine Sache solltest du vielleicht noch wissen“, meinte Thomas dann, „Ich weiß nicht, ob Luca es dir gesagt hat, aber ich vermute eher nicht, weil es schon lange zurückliegt. Es gab eine Zeit, in der er und Leonie richtig gute Freunde waren.“ „Willst du mich verarschen?“, entgegnete Nicholas, der sich das gar nicht vorstellen konnte. „Wir sind auf die gleiche Realschule gegangen und waren auch in einer Klasse“, fuhr Thomas fort, „Sie waren jahrelang richtig gute Freunde. Aber dann in der siebten Klasse wollte Leonie von einem Tag auf den anderen nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sie hat begonnen, Lügen über ihn zu erzählen und so. Vor einer Weile hab ich dann zufällig den Grund für ihr Verhalten erfahren: Sie hatte ein Problem damit, dass er schwul ist.“ Das klang schon denkbarer. Aber trotzdem würde er Thomas nicht alles glauben, ohne es vorher überprüft zu haben. „Warum erzählst du mir das?“, fragte er. „Es könnte wichtig sein“, antwortete Thomas, „Luca hat schon einmal jemanden verloren, der ihm wichtig war, nur weil dieser nicht mit seiner Sexualität umgehen konnte. Es könnte Gemeinsamkeiten zu seinem Vater geben. Sagst du mir jetzt endlich, was mit ihm los ist? Mich würde auch interessieren, wie du an meine Nummer gekommen bist, ich hab sie dir nämlich definitiv nicht gegeben.“ „René hatte sie. Er hat die Angewohnheit, von jedem, mit denen er zu tun hat, Informationen zu sammeln“, beantwortete Nicholas die zweite Frage. Es war schließlich kein Geheimnis, dass René diese Sachen bunkerte. Nur bei der ersten Frage zögerte er. Wie viel konnte er Thomas sagen, ohne zu viel zu verraten. Thomas schien sein Zögern bemerkt zu haben, denn er nahm ihm die Entscheidung ab: „Ich will nur wissen, wie es ihm geht, nicht mehr.“ „Er schläft“, sagte Nicholas, „Wie es ihm geht, kann ich erst morgen sagen, wenn er wieder aufgewacht ist. Aber die Sache mit seinem Vater scheint ihn ziemlich mitgenommen zu haben, sonst wäre er nicht zu dieser Uhrzeit zu mir gekommen.“ „Kann ich euch morgen Vormittag besuchen kommen?“, kam es nach kurzem Zögern von Thomas. Nicholas schnaubte. „Nur weil du plötzlich beschlossen hast, Luca nichts mehr zu tun, heißt das noch lange nicht, dass er sofort darüber hinweg ist! Du hast schon genug angerichtet!“ „Schon gut“, unterbrach Thomas ihn, „Aber schreib mir wenigstens eine SMS. Ich mache mir hier ernsthaft Sorgen!“ Dem hatte Nicholas nichts mehr entgegenzusetzen, weswegen er zustimmte. Allerdings würde er das nur tun, wenn Luca damit einverstanden war. Hatte sein Freund etwas dagegen, konnte Thomas lange auf seine Nachricht warten. „Ich mach dann Schluss, wenn du sonst nichts mehr willst. Es ist schon spät“, meinte Thomas. „Ok“, sagte Nicholas und legte auf. Er warf sein Handy auf den flauschigen Teppich, suchte sich eine bequeme Position zum Schlafen und schloss die Augen. Wenig später war er eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)