Secret Santa [Adventskalender] von Minami (NaruSasu [19. Türchen]) ================================================================================ Kapitel 1: Secret Santa ----------------------- Der Himmel war grau und bewölkt. Schneeflocken rieselten von oben herab und gesellten sich zur großen, zum Teil schon leicht matschigen Menge auf den Straßen, während sich andere in seinem schwarzen Haar verfingen.   Es war laut. Überall konnte man glücklich lachende Stimmen hören und aus den knackenden Musikboxen dudelten kitschige Songs über Liebe, Familie und einem fetten Kerl, der ein Faible für rote Klamotten zu haben schien.   Außerdem war es bunt. Sehr bunt. Weihnachtsbäume leuchteten in den verschiedensten, möglichst grellen Farben und auch geschmückte Häuser blendeten ihn mit der Helligkeit ihrer Lichter.   Ein Blumenbogen mit leuchtenden, lateinischen Buchstaben stach ihm ins Auge: „Willkommen zum Weihnachtsmarkt.“   Tsk. Sasuke Uchiha hasste Weihnachten mit einer brennenden Leidenschaft und dennoch war er hier.   Beim deutschen Weihnachtsmarkt in Osaka.   Er war alleine hier. Es gab keine Freundin, die ihn hierhin geschleift hatte. Auch seine Kumpels waren nicht der Grund dafür, warum er in der Kälte stand, sich vom Schnee berieseln ließ und dem Blumenbogen einen so hitzigen Blick zuwarf, dass es ihn wunderte, warum er noch nicht in Flammen aufgegangen war.   Nein. Sasuke war aus freiwilligen Stücken hier …   … Und hatte keinen blassen Schimmer warum.   Einsamkeit. Das hätten einige Menschen vielleicht als Grund vermutet, aber da kannten sie Sasuke schlecht.   Sasuke war nicht einsam.   Er war gern ein Einzelgänger. Er mochte es seine Ruhe zu haben.   … Trotzdem war er auf dem völlig überfüllten Weihnachtsmarkt beim Umeda Sky Building in Osaka.   Sasuke schob die Hände tiefer in die Taschen seines schwarzen Mantels und ballte sie zu Fäusten. Er neigte den Kopf, um seine untere Gesichtshälfte mit Hilfe des Kragens vor der eisigen Kälte zu schützen und setzte sich in Bewegung.   Um den Weihnachtsmarkt zu betreten und sich unter die Menschenmassen zu mischen und nicht, um dem ganzen kitschigen Trubel dem Rücken zu kehren.   Und zwar weil er neugierig und gerade erst vor wenigen Monaten nach Osaka gezogen war und sich dieses Spektakel, von dem seine Kommilitonen schon seit Monaten schwärmten, mit eigenen Augen ansehen wollte und nicht, weil er sich einsam und verlassen in seiner stillen Wohnung fühlte.   Sasuke Uchiha war nicht einsam und hatte überhaupt kein Problem damit, Weihnachten allein zu verbringen.   Eine Tatsache, die man nie oft genug wiederholen konnte.   Dunkle, verengte Augen sahen sich um. Er sah ein bunt erleuchtetes Häuschen mit dem Namen „Lebkuchenhaus“, mehrere Buden die Schmuck für den Weihnachtsbaum anboten und vor allem Fressbuden. Sehr viele Fressbuden.   Es gab Bratwurst, gebrannte Mandeln, Brezeln, Glühwein und noch mehr Dinge, von denen Sasuke nie zuvor gehört hatte. Er hatte absolut keinen Bezug zu Deutschland und dessen Essen und Getränken, also konnte er mit den meisten Begriffen auch nicht allzu viel anfangen.   Das einzige, was er kannte, war Bier. Er hatte zwar noch nie deutsches Bier getrunken, aber Bier war Alkohol und das war in seinen Augen immer gut. Wenn die Schlange nicht so abartig lang gewesen wäre, dann hätte er sich wahrscheinlich auch eins gegönnt, aber so verflog sein Bedürfnis auf Bier so schnell wie es gekommen war.   Sasuke ging weiter und merkte bald, dass er eine der sehr wenigen Personen war, die allein unterwegs waren. Er sah fast nur Paare, die sich mit roten Wangen Lebkuchenherzen schenkten und Familien mit Kindern, die sich ihre Zeit auf dem großen Karussell oder mit Engeln vertrieben.   Ja. Engel. Davon liefen wirklich verdammt viele auf dem Weihnachtsmarkt herum. Sasuke musste sich nur einmal im Halbkreis drehen und konnte sofort vier lächelnde Damen, mit für diese Jahreszeit viel zu kurzen Kleidchen und goldenen Flügeln, zählen.   Aber nicht nur Engel liefen hier herum und verteilten Geschenke an die Besucher, es gab auch als Rentier verkleidete Menschen und andere Wesen, von denen Sasuke keine Ahnung hatte, was sie darstellen sollten.   Er wich elegant einem dieser seltsamen… Gnom… Wesen aus und ging weiter. Irgendwie kam er sich fehl am Platz vor. Hier wimmelte es von Verliebten, was nicht weiter verwunderlich war, Weihnachten war ja schließlich das Fest der Liebe, und dann… Gab es ihn.   Allein, ohne Partner und vor allem ohne blassen Schimmer, was er sich dabei gedacht hatte, hier zum Weihnachtsmarkt zu gehen. Das war doch bescheuert. Er wollte keins von diesen dämlichen Anhängern für seinen nichtvorhandenen Weihnachtsbaum haben, er wollte keine kindischen Spiele spielen, um Plüschtiere zu gewinnen, er wollte-   … Ein Geschenk?   Sasuke blinzelte und betrachtete das rechteckige Päckchen mit einem ekelhaft kitschigen Geschenkpapier, das ihm unter die Nase gehalten wurde.   „Ho, ho, ho“, hörte er jemanden hinter sich sagen. „Fröhliche Weihnachten!“   Sasuke drehte sich um und blickte in die strahlendblauen Augen des… Weihnachtsmannes… ?!   Roter, bescheuerter Anzug mit einem fetten Bauch. Ebenfalls rote Mütze auf einem Kopf voller weißer Locken. Ein langer, weißer und irgendwie sehr verfilzt aussehender Bart und ein brauner Sack.   Ja. Das war tatsächlich der Weihnachtsmann.   Abgesehen davon, dass er gut einen halben Kopf kleiner als Sasuke selbst war und seine faszinierenden, blauen Augen viel zu spitzbübisch und jung für so einen alten Sack wirkten.   Sasuke drückte das Geschenk von sich weg. „Ich bin kein Kind mehr“, sagte er, „und außerdem viel zu alt, um noch etwas vom… Weihnachtsmann anzunehmen.“   Der Kerl grinste. „Geschenke sind nicht nur etwas für Kinder“, meinte er, „aber wenn es dir nicht gefällt, dann kannst du mir gerne an den Sack greifen und dir etwas anderes holen.“   … Moment mal… Hatte Sasuke das gerade richtig verstanden…? Er zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ich glaube du meinst in“, sagte er, „und nicht an.“   „Oh, tut mir leid.“ Der Weihnachtsmann räusperte sich gekünstelt und Sasuke konnte an dem Funkeln in seinen Augen ablesen, dass es ihm überhaupt nicht leid tat. „Natürlich mein ich in.“   Er stellte seinen Sack zwischen ihnen ab und öffnete ihn. „Mein Sack ist leider nicht mehr allzu prall“, meinte er und deutete hinein, „und ich weiß auch nicht, was in den Geschenken ist. Ich weiß nur, dass es welche für Kinder und Erwachsene sind.“   Sasuke öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Typ kam ihm zuvor. Was für eine Quasselstrippe. „Oh, und mit Geschenken für Erwachsene mein ich nicht… Du weißt schon. Den ganzen XXX-Kram.“ Er wackelte mit den Augenbrauen. Sie waren blond, fiel Sasuke auf. Er hatte noch nie zuvor blonde Augenbrauen gesehen. „Wenn du so ein Geschenk haben willst, dann empfehl ich dir den Schwulen- und Lesbenweihnachtsmarkt.“   … Wow. Was für eine… Komplette Fehlbesetzung. Ernsthaft. Wie konnte man so einen perversen Kerl als Weihnachtsmann arbeiten lassen?   „Nein, danke“, sagte Sasuke und musste erneut das Geschenk wegdrücken, das ihm unter die Nase gehalten wurde. „Ich will kein Geschenk haben.“   ‚Erst recht nicht von so einem Perversling wie dir‘, fügte er gedanklich hinzu.   „Aber ich will dir eins geben!“, beharrte der Kerl darauf. „Du siehst so traurig aus und das gefällt mir nicht. An Weihnachten sollte niemand traurig aussehen. Ich will dich lächeln sehen!“   Sasuke öffnete seine Lippen einen Spalt breit und sah ihn an, schaute in diese blauen Augen, die ihn entschlossen anblickten. Sasuke war nicht auf den Mund gefallen, wirklich nicht, aber in diesem Moment war er tatsächlich sprachlos…   Er war sprachlos, weil er die Aufrichtigkeit in der Stimme des Kerls heraushörte. Der Typ wollte ihm wirklich eine Freude machen, er wollte ihn tatsächlich lächeln sehen und sagte das nicht einfach so, weil er den Weihnachtsmann mimte.   Es war sein Ernst.   „Du hast doch bestimmt einen Wunsch“, sprach der Kerl weiter und jetzt war es wieder da, dieses Funkeln in seinen blauen Augen, das Sasuke für einen kurzen Moment tatsächlich den Atem stahl. „Also warum setzt du dich nicht auf meinen Schoß und flüsterst ihn mir ins Ohr? Vielleicht kann ich dir ja helfen…“   Sasuke blinzelte. „Wow“, sagte er tonlos. „Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich vom Weihnachtsmann angegraben werde. Und das auch noch so plump und hartnäckig.“   Er war es gewiss gewohnt von Leuten angemacht zu werden, aber vom Weihnachtsmann? Das war selbst für ihn etwas Neues.   Der Kerl lachte. „Du bist mir aufgefallen“, gab er zu. „Ich weiß nicht warum, aber trotz der hundert Menschen um mich herum bist du mir aufgefallen und ich wusste, dass ich dich zum Lächeln bringen wollte. Du sahst so… Einsam aus und ich weiß, wie es sich anfühlt, ganz alleine zu sein, deswegen musste ich einfach…“   Er verstummte leise und kratzte sich mit dem Finger an der Wange. Auf seinen Lippen lag ein warmes Lächeln. „Ich musste dir einfach eine Freude machen.“   Sasuke zog die Schultern in die Höhe; ein Schutzmechanismus. „Ich bin nicht einsam“, sagte er.   Er hatte es schon oft gesagt. Sehr oft. So oft, dass sich die Worte nicht mehr befremdlich auf seiner Zunge anfühlten, sondern inzwischen richtig.   Der Typ sah ihn an. Sasuke konnte den Ausdruck in seinen blauen Augen nicht deuten, wollte ihn nicht deuten. Er kannte ihn nämlich. Genau denselben Ausdruck sah er jedes Mal, wenn er in den Spiegel blickte.   „Ich weiß“, sagte er.   Sasuke brach den Blickkontakt ab und sah zur Seite. Sein Herz pochte in seiner Brust und er hatte keine Ahnung warum.   „Hey“, meinte der Weihnachtsmann und räumte das Geschenk zurück in seinen Sack. Wahrscheinlich hatte er inzwischen eingesehen, dass Sasuke es nicht annehmen würde. „Ich hab gleich eine halbstündige Pause, wenn ich die restlichen Geschenke verteilt habe. Bist du dann noch da? So in einer Viertelstunde?“   „Warum?“, wollte Sasuke wissen.   „Weil ich dich gern kennenlernen will“, war die Antwort.   „Ich steh nicht auf fette, perverse alte Säcke“, sagte Sasuke.   Der Kerl lachte mit einem „Hah!“ auf. „Sei nicht so oberflächlich“, meinte er mit funkelnden Augen. „Ich bin ein guter Kerl, okay? Ich verteil schließlich Geschenke!“   „Die Aufgabe ist dir bestimmt nur aufgedrückt worden, damit du deine Sozialstunden abarbeiten kannst.“   Er lachte abermals. Irgendwie mochte Sasuke sein Lachen und es gefiel ihm, dass er derjenige war, der es ihm entlocken konnte. „Ich bin Santa Claus, zier dich nicht so! Es werden Lieder über mich gesungen von Frauen, die sich wünschen, dass ich ihren Schornstein herunterklettere und sie beglücke… Mit Geschenken natürlich…! Also komm schon.“   „Ich hab kein Interesse an einem Sugar-Daddy“, erwiderte Sasuke und konnte sich das Schmunzeln diesmal nicht verkneifen.   Der Typ erwiderte es mit einem Grinsen. „Hmmm, okay. Eigentlich dürfte ich das jetzt nicht sagen, weil ich als Weihnachtsmann immer In-Character sein muss-“   „Ich denke nicht, dass es für den Weihnachtsmann In-Character ist, Kerle anzugraben“, unterbrach Sasuke ihn.   „- Ssh, Klappe, ich werd dir jetzt ein Geheimnis verraten, also pssst.“ Der Kerl winkte Sasuke mit seinem Zeigefinger näher an sich heran. Sasuke zögerte für einen Moment, lehnte sich dann aber doch näher an ihn heran.   „Ich bin gar nicht der echte Weihnachtsmann“, flüsterte der Typ. „Der Bart? Nicht echt. Die weißen Haare? Auch nicht echt. Der dicke Bauch? Vor allem nicht echt.“   Er legte die Finger auf seine Wampe. „Das ist nur ein Kissen. Glaub mir, unter diesen Klamotten versteckt sich ein durchtrainierter Traumbody.“   Sasuke wartete, bis er die Finger wegnahm, und boxte ihm in den Bauch.   Der Typ starrte ihn fassungslos an. „Hey…! Was zur Hölle?“   „Ich wollte überprüfen, ob du nur Reden schwingst oder dein fetter Bauch tatsächlich künstlich ist“, erwiderte Sasuke und zuckte mit den Schultern.   „Ah ja… Und? Wie ist deine Expertenmeinung?“   „Kissen.“   „Sagte ich doch.“ Der Weihnachtsmann grinste ihn an. „Also, wie lange bleibst du noch?“   Sasuke presste die Lippen zusammen. „Ich wollte mir eine Tüte gebrannte Mandeln kaufen“, sagte er langsam und ohne zu wissen, wieso er das dem Typen überhaupt mitteilte, weil er natürlich überhaupt kein Interesse hatte, so einen komischen Kauz näher kennenzulernen. „Wenn ich sie aufgegessen hab, geh ich.“   Blaue Augen fingen an zu leuchten. „Cool“, sagte er. „Die Mandeln sind echt lecker. Bleibst du dann in der Nähe vom Mandel-Stand? Dann such ich dich da auf, wenn ich Pause hab.“   „Hn“, machte Sasuke nur.   „Ich nehm das mal als Ja, heh.“ Der Weihnachtsmann schlang den Sack um seine Schulter und salutierte ihm mit Zeige- und Mittelfinger zu. „Ich werd jetzt wieder ein paar Menschen glücklich machen, dann komm ich zu dir.“   Sasuke gab nur ein undefinierbares Geräusch von sich und beobachtete, wie sich der Kerl umdrehte und zielstrebig auf eine Familie mit zwei kleinen Kindern zubewegte.   „Ho, ho, ho!“, konnte er ihn lachen hören, gefolgt von dem aufgeregten Gequietsche der Kinder.   Tsk. Was für ein Spinner.   Sasuke schnaubte, versteckte sein Gesicht halb hinterm Mantel und bewegte sich auf den Mandel-Stand zu. Er blieb bei seinen Worten. Er würde sich jetzt ein paar Mandeln kaufen, sie essen und dann würde er abzischen. Er war schon viel zu lange auf diesem blöden Weihnachtsmarkt und freute sich schon auf seine gemütliche, kleine Dreizimmerwohnung.   Er wollte so schnell wie möglich nach Hause, wirklich, deswegen irritierte ihn seine Verärgerung wegen der kaum vorhandenen Schlange beim Mandel-Stand umso mehr.   Der Preis war relativ teuer, aber ertragbar. Sasuke wollte den Weihnachtsmarkt nicht verlassen, ohne etwas gekauft zu haben und außerdem hatte der Geruch ihn neugierig gemacht, ob Mandeln wirklich so köstlich schmeckten, wie sie rochen.   Die Mandeln wurden in kleiner und in großer Menge angeboten. Sasuke kaufte die große Portion, weil… Er Hunger hatte und nicht, weil er Zeit schinden wollte oder so. Tsk. Natürlich nicht.   Er suchte sich eine Parkbank in der Nähe des Mandel-Stands, die glücklicherweise überdacht und somit vom Schnee verschont geblieben war. Seufzend setzte sich Sasuke hin und machte es sich gemütlich.   Er ließ seinen Blick umher schweifen, bis er bemerkte, dass er die Menschenmenge unbewusst nach der Farbe Rot abgesucht hatte…   „Verdammt“, brummte er und schob sich eine Handvoll Mandeln in den Mund. Er kaute, langsam und austestend, und zog die Augenbrauen zusammen.   Süß. Süßer, als er gedacht hatte. Er war kein großer Fan von Süßem, überhaupt nicht, aber irgendetwas hatten die Mandeln an sich, um ihm trotzdem zu schmecken. Also schob er sich nach dem Herunterschlucken noch eine in den Mund.   Eine Zeit lang saß Sasuke da, der Blick auf die Tüte in seiner Hand gerichtet, deren Inhalt immer weniger und weniger wurde. Sasuke war ein Genießer, immer schon gewesen, und genau das war auch der Grund dafür, warum er die Mandeln langsam aß.   Das war der einzige Grund, warum er sie langsam aß.   Sasuke wusste nicht, wann und warum er angefangen hatte, die verbliebenden Mandeln in der Tüte zu zählen, aber als nur noch sieben von den Steinfrüchten übrig waren, knarzte die Bank, auf der er saß, und er hörte ein langgezogenes Seufzen.   „Entweder du bist ein sehr langsamer Esser“, hörte er eine Stimme rechts von sich sagen, „oder du hast auf mich gewartet.“   „Tsk.“ Sasuke schnaubte und drehte den Kopf zur Seite, um in ein amüsiertes Gesicht mit blauen Augen und weißem Bart zu blicken. „Bild dir nicht zu viel ein. Essen sollte man nicht herunter schlingen, sondern genießen.“   Der Kerl, immer noch komplett als Weihnachtsmann gekleidet, biss in ein braunes Gebäck, das wie eine Acht geformt war. „Ist klar“, sagte er mit vollem Mund.   Sasuke schubste ihn mit verengten Augen und beobachtete, wie er noch einen herzhaften Biss von dem seltsamen Gebäck nahm. „Was ist das?“, wollte er wissen.   „Eine Brezel.“   Sasuke hob beide Augenbrauen. „Brezel“, versuchte er zu sagen, was ihm wegen der seltsamen Aussprache dieses Wortes aber nicht ganz gelingen wollte.   Der Kerl lächelte ihn an. „Fast“, sagte er und wiederholte es nochmal, diesmal ein wenig langsamer.   Diesmal schaffte auch Sasuke es richtig auszusprechen und reckte das Kinn ein wenig in die Höhe. „Deutsch ist eine wirklich seltsame und vor allem schwierige Sprache“, meinte er. „Deswegen verwundert es mich, dass du überhaupt keine Probleme bei der Aussprache hast.“   „Das ist ein deutscher Weihnachtsmarkt, also ist es ein Muss, ein paar Wörter Deutsch zu sprechen“, meinte der Typ und zuckte mit den Schultern. „Die meisten müssen es vor ihrer Arbeit auf dem Markt lernen, aber ich kannte vorher schon ein paar Wörter, heh.“   „Wieso das?“ Sasuke sah ihn überrascht an.   „Ich hab deutsches Blut in mir, aber frag mich bitte nicht wie viel, ich bin schlecht in Mathe. Ich weiß nur, dass mein Dad Deutsche in seiner Verwandtschaft hat.“   „Hm“, machte Sasuke. Das würden die blonden Augenbrauen erklären, soweit er wusste war Blond in Deutschland eine relativ weit verbreitete Haarfarbe.   Er beobachtete, wie der Kerl sich den letzten Rest Brezel in den Mund schob und runzelte die Stirn. „Du krümelst alles voll“, brummte er und strich ihm die Krümel aus dem langen Bart. Er war ein Ordnungsfanatiker, er konnte Schmutz überhaupt nicht haben. „Ich dachte du hast Pause, wieso bist du überhaupt immer noch als Weihnachtsmann verkleidet?“   Er hatte eigentlich erwartet, die Person unter dem Kostüm neben sich sitzen zu haben, und war dementsprechend enttäuscht. Der dämliche Bart verdeckte den Großteil seines Gesichts, weswegen Sasuke nur grob erahnen konnte, wie es ohne die weißen Zottel aussehen würde.   „Weil ich noch lange nicht Schluss habe“, erwiderte der Kerl. „Ich mach nur eine kleine Pause und dann geht’s direkt weiter mit dem Geschenke verteilen. Der Tag ist schließlich noch jung!“   „Klingt nach viel Arbeit“, meinte Sasuke. „Wirst du dafür wenigstens gut bezahlt?“   Ein Lächeln schlich sich auf die Lippen des Kerls. „Ja“, sagte er. „Sehr gut.“   Ungläubig zog Sasuke eine Augenbraue in die Höhe. „Wie viel?“, wollte er wissen.   „Ah, mit Geld werd ich nicht bezahlt“, sagte der Typ schnell, was Sasuke dazu veranlasste, auch die andere Augenbraue hoch zu ziehen. „Die Arbeit ist ehrenamtlich, aber das heißt nicht, dass ich nichts als Belohnung kriege. Das Lächeln, das ich den Menschen und vor allem den Kindern aufs Gesicht zaubern kann, ist viel mehr wert als alles Geld in der Welt.“   Er lächelte und neigte den Kopf mehr in Sasukes Richtung. „Außerdem lern ich dabei so interessante Menschen wie dich kennen.“   Sasuke schluckte. Sein Hals fühlte sich auf einmal staubtrocken an und er bereute es, sich doch kein Bier gekauft zu haben. „Ich bin nicht interessant“, sagte er. „Ich bin nichts weiter als ein einfacher Medizinstudent.“   Wirklich. Er war nicht interessant. Er war nicht besonders gesprächig und verbrachte den Großteil seiner Freizeit zuhause und mit lernen. Also nichts, was Sasukes Definition von dem Wort „interessant“ entsprach.   „Ich find dich interessant“, beharrte der Kerl und stupste ihn sanft mit seiner Schulter an. Er stibitzte sich eine Mandel und schob sie sich in den Mund. „Du kommst nicht von hier, oder? Dir fehlt unser sexy Kansai-Dialekt.“   „Nein, ich bin hergezogen“, bestätigte Sasuke und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich komm ursprünglich aus Tokio.“   „Ah, Tokio, unsere schöne Hauptstadt. Ich bin mir sicher, dass es dort einige gute Unis gibt, an denen man Medizin studieren kann. Wieso hat es dich da nach Osaka verschlagen?“   Sasuke hatte sich sein Leben lang für wortkarg gehalten und jetzt, 22 Jahre später, erfuhr er, dass er durchaus viel reden konnte… Wenn er den richtigen Gesprächspartner hatte und das… Das war dieser seltsame Kauz in dem Weihnachtsmann-Kostüm definitiv.   Er hatte eine unglaublich lockere, offene und vor allem warmherzige Art an sich, die Sasuke so sehr faszinierte, dass er nicht anders konnte als an seinen Lippen zu hängen und mehr von dieser angenehmen Stimme hören zu wollen.   Zwischenzeitlich hatte es aufgehört zu schneien, aber inzwischen rieselten wieder die ersten Flocken vom Himmel, während sich der Kerl mit einem Stöhnen streckte.   „Ich denke, es wird langsam wieder Zeit, mich an die Arbeit zu machen“, sagte er und streichelte sich durch den weißen Zottelbart.   Die Sätze „Nein“ und „Bleib hier“ lagen Sasuke auf der Zunge, doch er sprach sie nicht aus und schluckte sie stattdessen mit dem letzten Bissen Mandeln herunter.   Der Kerl richtete seine Weihnachtsmütze und sah ihm in die Augen. „Hast du nachher noch etwas vor?“   „Nein“, antwortete Sasuke und legte eine Hand auf seinen Bauch, als sich dort alles zusammenzog. „Warum?“   „Ich muss bis 20 Uhr arbeiten und hab danach immer tierischen Kohldampf, deswegen dachte ich, dass wir uns danach vielleicht zum Essen treffen könnten“, meinte der Typ mit einem Lächeln. „Wie wär’s mit dem Umeda Hagakure hier in der Nähe? Da gibt es wirklich köstliche Nudelsuppe!“   Sasuke leckte sich die trockenen Lippen. „Du lädst mich zu einem Date ein“, sprach er langsam. „An Weihnachten…“   „Ich denke, das hab ich gerade gemacht, jepp.“ Der Kerl kratzte sich an der Wange. „Ist das schlimm für dich?“   ‚Ja‘, wollte Sasuke sagen. ‚Es ist sehr schlimm.‘ Wusste der Typ denn nicht, was es hieß, wenn man jemanden an Weihnachten um ein Date bat?   Weihnachten war das Fest der Verliebten und um ein Date bat man zu dieser Zeit nur einen Menschen, an dem man ernsthaftes Interesse hatte…   Hieß das, dass…   Dass…   Sasuke wurde warm.   „Weißt du, was du damit gerade implizierst?“, fragte Sasuke ihn. Seine Stimme war viel standhafter, als er sich in diesem Moment fühlte.   „Ich weiß“, war die entschlossene Antwort, „und mein Angebot bleibt. Ich würde dich wirklich gern zum Essen einladen.“   „Du weißt doch nicht einmal meinen Namen“, erwiderte Sasuke. Ein schwacher Protest.   Ein Funkeln schlich sich in diese atemberaubenden blauen Augen. „Muss ich das, um dich nach einer Verabredung zu bitten? Namen sind doch nur Schall und Rauch.“   Sasuke bohrte die Zähne in seine Unterlippe und sah ihn an. Sah die grenzenlose Entschlossenheit in diesem Gesicht, die ihn von innen heraus wärmte. „Sasuke“, sagte er, fast schon atemlos.   Er wusste nicht einmal, wie der Typ aussah. Er wusste nur, dass er blonde Haare und die wunderschönsten blauen Augen hatte, die er jemals gesehen hatte.   Eine völlig fremde Person fragte ihn an Weihnachten tatsächlich nach einem Date…   Und anstatt abgeschreckt zu sein, überkam Sasuke eine so heftige Aufregung, dass ihm für einen kurzen Moment wahrhaftig schwindelig wurde.   „Sasuke“, wiederholte der Kerl. Der Dunkelhaarige stellte sich vor, wie es sich anfühlen würde, wenn diese vollen Lippen auf seinen Körper gepresst waren und seinen Namen gegen seine Haut wisperten.   „Sasuke… Jetzt weiß ich deinen Namen, also steht einem Date doch eigentlich nichts mehr im Wege, oder?“, fragte der Kerl mit einem frechen Lächeln nach.   Sasuke wollte so viel sagen, aber stattdessen verließ nur ein mickriges „Okay“ seine Lippen. Es war so leise gesprochen, dass es fast komplett übertönt wurde von dem lauten Geräusch seines pochenden Herzens.   Er fragte sich, ob er trotzdem gehört wurde und betete, dass er sich nicht wiederholen musste. Seine Knie fühlten sich weich an und er war heilfroh, dass er saß und sich so nicht zum Deppen machen konnte.   „Wie klingt, mhh… 21 Uhr vor dem Umeda Hagakure?“   ‚Wie das Schönste, was ich jemals gehört habe‘, dachte Sasuke und sagte stattdessen ein: „Gut.“   „Heh, gut“, wiederholte der Typ und lehnte sich näher an ihn heran.   Sasuke stoppte der Atem, als der Kerl seinen Bart bis zu seinem Kinn herunterzog und seine Lippen federleicht auf Sasukes presste.   Die Berührung war so zart wie die Schneeflocken, die weiterhin vom Himmel rieselten.   Bevor er auch nur irgendwie auf diesen Kuss reagieren konnte, hatte sich der Andere schon wieder zurückgelehnt, der Bart erneut ins Gesicht gezogen. „Ich werd auf dich warten, Sasuke“, murmelte er und strich ihm sanft eine Haarsträhne hinters Ohr.   „Wie werd ich dich erkennen?“, hauchte Sasuke, komplett atemlos von ihrem Kuss.    „Du wirst mich schon erkennen, keine Sorge“, war die kryptische Antwort. Dann stand er auch schon auf und setzte sich in Bewegung.   Sasuke sah ihm fassungslos nach, mit einem feinen Rotschleier auf den Wangen und kribbelnden Lippen.   „Oh, ach übrigens!“, sagte der Kerl und drehte sich um, als er schon fast in der Menge verschwunden war. Ein spitzbübisches Grinsen zierte seine Lippen. „Ich bin Naruto! Freut mich, dich kennenzulernen, Sasuke!“   Er zwinkerte ihn an und dann tauchte er endgültig in den Menschenmassen unter.   Sasuke legte sich eine Hand ins Gesicht, um das Lächeln auf seinen Lippen zu verstecken. „Naruto“, murmelte er.   Sah so aus, als würde er dieses Weihnachten doch nicht allein verbringen.   Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)