How to Save a Life von Schangia (Wichtelgeschichte für Puppenspieler) ================================================================================ Kapitel 4: Third quarter ------------------------ Sein erstes Match gegen Seirin lag bereits ein halbes Jahr zurück. Das erste Mal, das Hanamiya vorm Sasaki Krankenhaus gestanden hatte, lag fünf Monate zurück. Mittlerweile war der Winter angebrochen und hatte die Straßen mit kalten Windböen so leergefegt, dass es für ihn weniger unangenehm war, wie gebannt vor dem Eingang zu stehen und dennoch nicht reinzugehen. Als er das erste Mal hier gewesen war – einen Monat, nachdem Kiyoshi eingeliefert worden war –, hatte er zwei Stunden auf der anderen Straßenseite gestanden und sich damit auseinandergesetzt, warum er überhaupt gekommen war. Letzten Endes waren es nur deshalb nicht mehr als zwei Stunden gewesen, weil er einfach nicht schlau aus sich und seinem Verhalten geworden war, ihn das zunehmend irritierte hatte und ihn ohnehin schon genug Passanten mit merkwürdigen Blicken gemustert hatten. Also war er davon gestapft und hatte sich vorgenommen, nie wieder zu kommen. Das hatte nicht funktioniert. Über die letzten Monate hinweg war er immer wieder hier gewesen, hatte sich aber niemals weiter als bis zur Einganghalle gewagt. Aber heute wollte er es anders machen. Dabei wusste Hanamiya nicht einmal genau, warum er überhaupt hier war. Es war nicht so, dass er von Schuldgefühlen geplagt wurde. Zwar lief er wegen seiner Tat auch nicht mit vor Stolz geschwellter Brust umher, aber auf die Frage seiner neuen Teamkameraden – die anderen Schüler in seinem Jahrgang, die erst dann Starter werden würden, wenn die Ältesten im März die Schule verließen – hin hatte er geantwortet, dass er es aus Notwehr heraus getan hatte. Und weil diese Vier ähnlich dachten wie er, hatten sie es akzeptiert. Mittlerweile schaffte er es zumindest mühelos, bis vor die Eingangstür zu kommen. Tatsächlich ins Krankenhaus zu gehen war trotzdem noch immer eine große Überwindung für ihn, was größtenteils auch daran lag, dass er Krankenhäuser als solche hasste. Er hasste das Weiß überall, er hasste den Geruch, er hasste die Atmosphäre – und er hasste die Tatsache, dass selbst kranke Menschen bei ihrer Einlieferung besser aussahen, als nach einer Woche Aufenthalt. Krankenhäuser entzogen Menschen langsam den Lebenswillen, und das machte ihm Angst. Natürlich wusste er schon längst, in welchem Zimmer Kiyoshi lag. Er wusste auch, wie viele Stufen er im Treppenhaus laufen musste und wie viele Schritte es im Durchschnitt bis vor seine Zimmertür waren. Er hatte oft genug zählen können. Jetzt waren es nur noch sieben Schritte bis zur Tür. Beim letzten Mal waren es noch acht gewesen, und obwohl es ein geringer Fortschritt war, freute Hanamiya sich darüber. Vermutlich würde diese Freude nach der ersten halben Stunde, in der er regungslos im Gang stand, abebben, aber daran hatte er sich bereits gewöhnt. »Mako-chan?« Hanamiya zuckte zusammen und drehte sich fast schon panisch nach links, nur um Mibuchi und Hayama zu sehen, die soeben aus dem Fahrstuhl ausgestiegen waren und mit verwunderten Gesichtern auf ihn zugingen – wobei Hayama eher den Anschein machte, als würde er ihn am liebsten vor Wiedersehensfreude zu Boden reißen. Rasch beruhigte er sich und nickt ihnen zu, versuchte sogar, sich zu einem Lächeln zu zwingen. Es gelang ihm vermutlich nicht, denn Mibuchi winkte höflich schmunzelnd ab. »Schön, dich zu sehen. Tecchan freut sich bestimmt über deinen Besuch«, begrüßte Mibuchi ihn, als die beiden bei ihm angekommen waren. Hanamiya verzog das Gesicht. »Als ob.« Darauf lächelte der andere. Es war ein anderes Lächeln als das, mit dem Kiyoshi ihn meistens ansah; Hanamiya verstand sofort, was sich dahinter verbarg. Jetzt wirkte es versöhnlich, wissend. »Er hat nach dir gefragt, weißt du.« Hanamiya konnte das Lachen nicht zurückhalten. »Geht er ernsthaft davon aus, dass ich ihn besuchen würde?« »Schließlich bist du hier«, konterte Mibuchi und stemmte eine Hand in die Hüfte. »Es würde keinen von uns wundern, wenn du ihn besuchen würdest.« »Mich schon.« Seine Stimme war leise, belegt. Für ihn war das ein Thema, über das er gerade mit Mibuchi nicht reden wollte. Dieser kannte sowohl ihn als auch Kiyoshi, und das erlaubte ihm, die Situation besser einzuschätzen als die meisten anderen Menschen. Hayama hatte sich währenddessen erstaunlich ruhig verhalten, und so war Hanamiya ein wenig überrascht, als er ihn plötzlich in die Wange pikste. »Makoto~?« »Hn?« Er hatte schon vor langer Zeit aufgegeben, Hayama zu untersagen, ihn anzufassen oder generell in seine persönliche Distanzzone einzudringen. Es half ja am Ende des Tages ohnehin nicht. Hayama sah ihn aus großen Augen neugierig an. »Warum gehst du nicht rein?« Fast schon amüsiert schüttelte Hanamiya den Kopf. Bei jedem anderen hätte er böse Absicht hinter dieser Frage vermutet, aber nicht bei ihm. Dafür war er viel zu einfach gestrickt. Dennoch konnte er sich nicht davon abhalten, eine Gegenfrage zu stellen. »Wir sehen uns das erste Mal seit Monaten, und das ist deine erste Frage?« Hayama schien darüber ehrlich erstaunt und legte den Kopf schief. »Was soll ich denn sonst fragen?« »Das, was mich jeder bisher gefragt hat.« Es lag nicht an Hayama, dass seine Stimmung sank, aber er hatte diese Frage so oft gehört in den letzten Monaten – oft auch nur in seinem Kopf – und war es allmählich leid. Mibuchi schien das zu verstehen und antwortete anstelle von Hayama. »Du meinst, warum du es getan hast?« Hanamiya nickte stumm. Als Mibuchi sah, wie sich sein Kiefer verkrampfte, lächelte er sanft. »Das ist etwas, dass nur dich und ihn betrifft. Wir haben uns da nicht einzumischen.« Was er darauf antworten sollte, wusste Hanamiya nicht. Sein erster Impuls war zu lachen, tonlos und bitter, aber gleichzeitig wollte er sich für so viel Rücksichtnahme und Verständnis bedanken. Doch er konnte nicht, hatte nie gelernt, wie man sich bei anderen bedankte und hatte das auch nicht vor. »Nee, Mako-chan…« Der Angesprochene war froh über die Ablenkung, auch wenn ihm Mibuchis Bemerkung missfiel. »Tecchan sagt immer geradeheraus, was er fühlt. Du kannst das nicht.« Bevor er jedoch darauf antworten konnte, schaltete auch Hayama sich wieder ein. »Aber das ist nicht schlimm! Wir wissen trotzdem meistens, was du uns sagen willst.« Breit grinsend verschränkte er die Arme hinter seinem Kopf und schloss die Augen. »Und Teppei weiß das ganz besonders gut.« »Du bist ein Spinner, Hayama.« Sein Lachen klang fast befreit. Das war etwas, zu dem bisher nur Hayama fähig gewesen war, und das wusste dieser auch. Er grinste Hanamiya frech an und streckte ihm die Zunge raus. Mibuchi räusperte sich und warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. »So, wir müssen dann aber auch mal. Er soll ja nicht zu lange warten.« Hanamiya nickte verständnisvoll und winkte ihnen kurz zum Abschied. Bevor er sich jedoch umwand und das Krankenhaus wieder verlassen wollte, kam ihm etwas in den Sinn. »Oi.« Er drehte sich zurück zu Mibuchi und Hayama und sah lange auf die Hände der beiden. »Seit wann? Irgendwo war es offensichtlich, aber wie lange ist es schon offiziell?« Für ihn sah es so aus, als würde sich Mibuchis Griff um Hayamas Hand festigen, während er verschmitzt lächelte und den Zeigefinger an seine Lippen legte. »Es ist noch gar nicht offiziell«, lächelnd sah er erst Hayama, dann Hanamiya an, »Aber inoffiziell seit etwa vier Monaten.« Auch wenn er nie etwas für verliebte Pärchen übrig hatte, freute er sich für die beiden. So sehr, dass in seinem Grinsen weder Hohn, noch Arroganz, noch irgendein anderes negatives Gefühl lag. »Glückwunsch. Wurde auch Zeit.« Nachdem die beiden sich bedankt hatten, lief Hanamiya langsam auf das Treppenhaus zu. Ehe er es erreichte, blieb er noch einmal stehen. »Ach, und Leute?« »Ja?« Mibuchis Stimme klang so, als hätte er auf seine Worte gewartet. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, genauso wie auf Hanamiyas, auch wenn dieser das niemals zugegeben hätte. »Danke.« Hanamiya erschien eine halbe Stunde zu spät zum Nachmittagstraining, aber das war nichts Ungewöhnliches für ihn. Die ältesten Spieler hatten sich schnell damit abgefunden, dass er eine Sonderbehandlung für sich in Anspruch nahm – wäre er nicht ein so herausragender Spieler gewesen, hätten sie es ganz gewiss nicht geduldet – und ließen ihn gewähren. Dasselbe galt für die vier anderen Spieler im ersten Jahr, die bereits vollständig umgezogen auf Hanamiya warteten, als er die Umkleide betrat. »Wo warst du so lange?« Yamazaki lehnte sich ein wenig mehr auf der Bank zurück, auf der er saß, und sah ihn mit einer gehörigen Portion Spott in den Augen an. »Krankenhaus«, antwortete Hanamiya knapp, stellte seine Tasche ab und begann damit, sich auszukleiden. Dabei versuchte er, das freche Grinsen des anderen auszublenden, was ihm auch nach all den Monaten, die sie sich schon kannten, noch schwer fiel. »Willst du die Ärzte verklagen, weil sie deinen Alten nicht wieder haben zusammenflicken können?« »Mach dich nicht lächerlich, Hiroshi.« Alle Anwesenden lachten, selbst Hanamiya. Es war ein unbeschwertes, wenn auch hämisches Lachen, denn sie alle wussten, worauf ihr Freund anspielte. Es war ein Lachen, das nur von ihnen geteilt werden konnte. Mit der Zeit hatte er festgestellt, dass solche Gespräche mit seinen Teamkameraden weitaus weniger produktiv waren als Gespräche mit Imayoshi oder Mibuchi. Dafür waren sie sich viel zu ähnlich, waren viel zu schlechte Menschen. Aber er würde sogar soweit gehen zu sagen, dass er die Vier mochte, also beschwerte er sich nicht. »Da hätten selbst die besten Ärzte nichts mehr machen können.« Hara lehnte rechts von Hanamiya an einem der Spinde und verschränkte verschmitzt grinsend die Arme vor der Brust, während Yamazaki nur rau auflachte. »So war es ja auch geplant gewesen.« Furuhashi – er saß neben Seto, der es sich auf der Bank bequem gemacht hatte und ein Nickerchen hielt – schaute mit mäßigem Interesse auf seine Fingernägel. Im Gegensatz zu den anderen beiden zeichneten sich auf seinem Gesicht keine Emotionen ab, als er seine Frage an Hanamiya richtete. »Zwei Monate ist es jetzt her, oder?« »M-hmm«, murmelte er ein wenig abwesend und zog sich sein Trainingsshirt an. Einmal mehr lachte Yamazaki auf. »Das haben wir echt gut hingekriegt.« Darauf konnte Hanamiya nur schmunzeln. Er erinnerte sich gerne an das zurück, was sie getan hatten – was die vier anderen bereit gewesen waren zu tun, obwohl sie einander kaum kannten. Das hatte ihn in seiner Annahme bestätigt, dass sie die Teamkameraden waren, mit denen er seine Pläne verwirklichen konnte. Dennoch konnte er nicht zulassen, dass ihnen ihr Erfolg zu Kopf stieg. »Lobt euch ruhig in den Himmel.« »Das fasse ich mal als ›Danke, ohne euch wäre ich total aufgeschmissen gewesen‹ auf«, meinte Yamazaki und streckte sich ausgiebig. »Fass es auf, als was du willst.« Etwas weiter hinten im Raum hörten sie es rascheln; Seto hatte sich umgedreht und hob seine Schlafmaske mit einer Hand an. Der Blick, den er Hanamiya zuwarf, verriet nichts davon, dass er bis eben noch gedöst hatte. »Hast du wieder versucht, Tesshin zu besuchen?« Es störte Hanamiya, dass Seto in einer Tonlage von Kiyoshi sprach, als würde er ihn schon ewig kennen, aber er wollte es sich nicht anmerken lassen. Seinen Spind konnte er noch ruhig schließen, doch seine Antwort war schärfer als beabsichtigt. »Wenn du es ohnehin weißt, wieso fragst du dann?« Rechts neben ihm kicherte Hara amüsiert. »Na na, Hanamiya, nun sei nicht gleich so bissig.« »Genau. Bei allem, was wir schon miteinander durchgestanden haben, wirst du uns nicht mehr so schnell los«, merkte Furuhashi an, ohne sonderlich überzeugt von seinem Argument zu klingen. »Und deswegen sollte ich nett zu euch sein, oder was willst du mir damit sagen?« »Du hast es erfasst«, grinste Yamazaki provozierend und nickte zufrieden, als Hanamiya sein Grinsen erwiderte. »Ich werde es mir überlegen.« Mit diesen Worten ging er auf Seto zu und schüttelte ihn sacht an der Schulter, um ihn endgültig aufzuwecken. Auch die anderen machten sich bereit, sich endlich dem Training anzuschließen. »Sag uns doch geradeheraus, dass wir lange darauf warten werden müssen.« Yamazaki ließ seinen Arm kreisen und warf dem anderen einen auffordernden Blick zu, doch Hanamiya lächelte darauf nur vielsagend. »Dann folgt ihr mir doch nicht mehr.« In seiner Stimme lag eine selbstironische Selbstverständlichkeit, die von seinen Freunden nur mit amüsiertem Kopfschütteln quittiert wurde. Seto fuhr sich gähnend durch die Haare und streckte sich. »Da kennst du uns aber schlecht, Hanamiya.« Darauf lachte dieser nur und öffnete die Tür zur Sporthalle. »Entschuldigt bitte.« Hätten die Vier ihn nur ein bisschen besser gekannt, hätten sie die Dankbarkeit in seinen nächsten Worten herausgehört. »Es ist ja nicht so, dass wir gemeinsam einen Mord begangen hätten, der uns zusammenschweißt.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)