Mainachmittag von kikidergecko ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich befand mich in der Küche und war im Begriff, den Tee vorzubereiten, da hallte ein markerschütternder Schrei durch das Haus. "Alexander!" Ich vergaß umsehens den Tee und eilte in das Zimmer der Lady, die soeben nach mir verlangt hatte. "Lady Barmore?" Sie saß auf der Bettkante und trug lediglich ihr Unterkleid. Die Haare waren wild und ungekämmt, das Zimmer sah unordentlich aus. Überall lagen Döschen, Kleider, Laken und allerlei Tand verstreut. Und obwohl sie doch soeben meinen Namen gerufen hatte, schien sie nun erstaunt, wenn gar erschrocken über mein Eintreffen. Doch im nächsten Augenblick hatte sie sich wieder gefasst. "Alexander!", ließ sie sich nun genüsslich auf der Zunge zergehen, während sie mit ausgebreiteten Armen auf ich zukam. "Komm her mein Täubchen, setz dich zu mir!" Und damit griff sie mich am Arm, ihre schlanken Finger zogen sich wie ein Schraubstock zusammen. Ich vermied ihr in die Augen zu sehen, als sie mich auf den kleinen Hocker vor ihrem Schminktisch zerrte. Dann stellte sie sich hinter mich und beugte sich vor. Ihr Busen drückte unangenehm in meinen Nacken, ihr wirres Gesicht erschien auf einmal vor mir im Spiegel. Ihre Pupillen waren unnatürlich groß und schwarz wie die Nacht. Genau in diesem Moment wusste ich, dass ich einen schweren Fehler begangen hatte. Ich hätte mich aus dieser Sache herauswinden sollen, als ich es noch konnte. Doch nun war es zu spät, die Lady hatte wieder einen ihrer Anfälle. Ich war ihr ausgeliefert. "Nun mein kleiner, wie geht es dir heute?", säuselte sie und drückte mir einen dicken Kuss aus rotem Lippenstift auf die Wange. Ich zögerte einen Augenblick zu lange und brachte selbst dann nur ein gepresstes "Gut, Lady." heraus. Ein giftiges Funkeln war ihre Antwort, doch statt mich wie befürchtet zu ohrfeigen, langte sie mit ihrer kalten Hand in meinen Schritt und zog die Finger erneut etwas zu fest zusammen. Nur mühsam unterdrückte ich ein Stöhnen. "Und wie läuft es mit den Mädchen, Alexander? Naa?", kicherte sie und zog ihren Mund zu einer Fratze, die unter normalen Umständen wohl ein wildes Lächeln sein sollte. "Nun, Lady Barmore. Die Mädchen in dieser Gegend sind ganz vorzüglich, doch ich lasse mich lieber nicht von meinen häuslichen Pflichten ablenken." Das entsprach der Wahrheit, doch vermutlich wollte sie etwas ganz Anderes hören. Ich erwartete erneute Schmerzen, doch zu meiner Überraschung passierte nichts. Statt dessen schien sie einen anderen Gedanken gefangen zu haben und begann im Tand zu wühlen, der den Schminktisch bedeckte. Nachdem sie einige Tiegel und Döschen in meinen Schoß und noch viele weitere auf den Fußboden gestoßen hatte, fand sie endlich was sie suchte: Ein Puderdöschen aus Perlmutt und einen passenden, bauschigen Pinsel. Die Dose war schlicht, aber von einer eingängigen Schönheit, ohne Schmuck oder Perlenbesatz, dafür mit der feinen Gravur eines Rankenmusters. Ich hätte sie gern angefasst und die kleinen Rillen mit meinen Fingerspitzenn nachgefahren, doch jäh wurde ich am Kinn gepackt und wieder in den Spiegel gedreht. Dann begann die Lady emsig, meine Wangen mit dem anstrengend parfümierten Puder zu bestäuben. "So mein Täubchen, schon viel besser. Jetzt werden dich die Mädchen auch mögen! Ahahahaha! Sag mein Püppchen, wie gefällt es dir?" Dann brach sie wieder in schrilles Gelächter aus und warf sich auf den Fußboden, um einen weiteren Gegenstand hervorzukramen. Ich versäumte zu antworten, doch die Antwort wäre sowieso nicht von Bedeutung gewesen. Statt dessen betrachtete ich mein Gesicht im Spiegel. Wie jeden Morgen hatte ich die braunen Haare ordentlich zurückgeämmt, doch einige Strähnen fielen jetzt ungeordnet in die Stirn. Auf der Wange sah man noch den Schatten eines Lippenstiftes, doch dicke Schichten hellen Puders ließen mein Gesicht nun tatsächlich etwas puppenhaft wirken. Auch meine Lippen hatten davon abbekommen und sahen nun seltsam blass aus, fast wie die einer Leiche. Dieser Gedanke gruselte mich, doch in jenem Augenblick erschien auch die Lady wieder im Spiegelbild. Sie hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte und hielt mir mehrere bunte Seidentücher ins Gesicht. "Mein Täubchen, du braucht etwas Farbe um die jungen Dinger zu überzeugen! Wie wäre es mit rot?" Mit diesen Worten band sie mir ein rotes Seidentuch mit Blumenmustern um den Hals und schnürte mir damit den Atem ab. Nur um im nächsten Moment den umständlichen Knoten wieder zu lösen und dabei den Kopf zu schütteln. "Nein nein, Alexander. Rot ist nicht deine Farbe. Aber dabei ist sie doch so schön! Rot wie die Liebe, rot wie das Blut...", und damit begann sie wieder ihr schrilles Lachen. Ich bekam Angst, nein ich wurde sogar panisch. Irgendetwas Schreckliches wird geschehen, spukte es mir in meinem Kopf. Es kam öfter vor, dass die Lady etwas zu sich nahm, dass ihren Geist benebelte, doch so schlimm wie in diesem Moment war es noch nie gewesen. Ich wollte hinaus stürzen, doch mein Körper war wie gelähmt. Wie durch ein Schaufenster beobachtete ich meinen Hals, dem ein Halstuch nach dem anderen umgebunden wurde, jedes noch einen Ruck fester als das vorige. Dabei wurde sie immer von ihrem eigenen irren Lachen unterbrochen, das jedes Mal kaum enden wollte und ihren Blick noch weiter entrückte. Als sie schließlich begann, die Tücher zu einem langen Tuchstrang zu verknoten, überkam es mich erneut. Ich stand energisch auf und wandte mich der Lady selbst zu anstatt ihrem Spiegelbild. Ich sagte bestimmt: "Lady Barmore, ich muss jetzt gehen. Der Tee..." Doch weiter kam ich nicht, denn mit voller Kraft hatte sie mir ihr Knie in den Schoß gestoßen. Es wurde schwarz vor meinen Augen, ich konnte nicht anders als mich zu krümmen und meinen Körper um diese eine unendlich schmerzende Stelle zusammenzuziehen. Nur abwesend merkte ich, wie ich zu Boden fiel. Sie schien mich zu ignorieren und knotete weiter Tücher zusammen. Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos war, doch als ich zu mir kam, lag ich nicht mehr im Schlafgemach der Dame, sondern auf dem kleinen Balkon, der aus dem Zimmer zur Straße zeigte. Es war ein sonniger Tag im Mai, die Bäume waren in ein frisches Grün getaucht und die Vögel zwitscherten heiter. Obwohl es sehr kühl war, sah man doch hier und dort einige Bienen auf der Suche nach den ersten Blüten. Es war ein wirklich schöner Tag, schoss es mir ein letztes Mal durch den Kopf. Viele Leute erzählen, dass die letzten Gedanken immer der eigenen Vergangenheit, dem bisherigen Leben gelten. Doch bei mir war es anders, ich bewunderte nur die Schönheit der Natur an diesem sonnigen Mainachmittag. Ein lautes Knacken bescherte diesem Gedanken ein Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)