Am Tag ist es leicht von Niekas ================================================================================ Kapitel 2: Enttäuschung ----------------------- Elf Tage, nachdem die Nachricht von Mutters Tod kam, steht Vater wieder vor der Tür der Yamanakas. Er trägt noch seine ANBU-Uniform, ohne die Maske, mit einem unauffälligen grauen Mantel darüber. Sein Gesicht wirkt grimmig, aber so wirkt es ohne sein Zutun immer, wegen dem kantigen Kiefer und dem resoluten Zug um seinen Mund. Ibiki und Ima helfen gerade Frau Yamanaka dabei, einige Blumen zuzuschneiden. Ima jauchzt auf, als sie Vater sieht. „Du bist wieder da!“ Sie lässt die Schere fallen, rennt auf ihn zu und schlingt die Arme um seine Beine. Vater beugt sich herunter, hebt sie hoch und küsst sie auf die Wange. Sein rechter Arm zittert leicht. „Na, meine Prinzessin? Alles in Ordnung?“ „Vater?“, fragt Ima und lehnt sich ein Stück von ihm weg, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Ibiki sagt, Mutter ist tot.“ Vaters Lippen zucken. Er greift nach Imas Nacken und drückt ihren Kopf an seine Brust. „Wir schaffen das“, murmelt er. „Wir schaffen das schon.“ Frau Yamanaka tritt näher und wischt die Hände an ihrer Schürze ab. „Da sind Sie ja wieder, Seigou-san! Gut, Sie wohlbehalten wieder hier zu haben.“ „Vielen Dank, dass Sie auf die Kinder aufgepasst haben“, erwidert Vater. „Wie soll ich das je wieder gutmachen?“ „Ach, was reden Sie da? Das ist doch selbstverständlich in Konoha. Und Sie haben meinem Inoichi schon oft genug aus der Klemme geholfen.“ Vater nickt und sieht Ibiki an, Ima weiterhin auf dem Arm. „Also ... gehen wir nach Hause, Kinder.“ „Ich hab Hunger!“, sagt Ima und kuschelt sich an seine Schulter. „Wir holen uns auf dem Heimweg etwas zum Mitnehmen.“ „Sie können auch hier essen, wenn Sie wollen“, bietet Frau Yamanaka an. „Wir haben Gäste zum Abendessen, auf einen mehr kommt es da wirklich nicht an. Ibiki und Ima haben wir ohnehin eingeplant. Gute Tischmanieren haben Ihre Kinder, wenn ich mir dagegen meine ansehe ...“ „Vielen Dank, aber wir gehen lieber nach Hause. Kommst du, Ibiki?“ Ibiki nickt und legt die Blumen beiseite. Ima klammert sich immer noch an Vater fest, und er trägt sie den ganzen Weg nach Hause, obwohl sein rechter Arm immer stärker zittert. „Stimmt es, dass Mutter jetzt im Himmel ist?“, fragt Ima, als sie in der Küche sitzen und Reis aus Pappschüsseln essen. „Ja, ist sie“, antwortet Vater. „Und sie passt immer auf dich auf.“ „Sieht sie auch, wenn ich mir nicht die Haare kämme?“ „Natürlich.“ Ima seufzt. „Das habe ich Inoko nicht geglaubt. Verdammt.“ Ibiki isst langsam und beobachtet Vater. Er ist blass, seine rechte Hand zittert immer wieder. Den Mantel hat er mittlerweile ausgezogen, unter seinem schwarzen Pullover drückt sich etwas Dickeres an seinem rechten Oberarm ab. Sicher hat er einen Verband an der Stelle. Der Gedanke, dass Vater verletzt wurde, ist seltsam. Er hätte sterben können. Oder der Arm hätte ab sein können, dann wäre Vater vielleicht unfähig gewesen, weiter als Shinobi zu arbeiten. So viele schlimme Dinge hätten passieren können, und dabei haben Ibiki und Ima ja nur noch Vater. Jetzt, da Mutter tot ist. „Bist du schon satt, Ibiki?“ Vaters Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. „Hab nur an was anderes gedacht“, murmelt Ibiki und isst weiter. Ein bisschen schämt er sich dafür, dass er geglaubt hat, Vater wäre ein Feigling. „Du solltest ins Bett gehen“, sagt Vater, als Ima zum ersten Mal gähnt. „Ibiki und ich räumen den Tisch ab.“ Ibiki sagt nichts dazu. Ima rutscht von ihrem Stuhl, klettert auf Vaters Schoß und schlingt ihm die Arme um den Hals. „Gute Nacht, Vater.“ „Gute Nacht, Prinzessin.“ „Du kommst doch zum Gute-Nacht-sagen, oder?“ „Natürlich. Wenn du die Zähne geputzt hast und im Schlafanzug im Bett liegst.“ Sie saust hinaus, und Ibiki beginnt damit, den Tisch abzuräumen. „Ibiki“, sagt Vater. „Ich brauche kurz deine Hilfe.“ „Ja, Vater.“ „Der Arm muss neu verbunden werden, das dauert nicht lange. Komm mit.“ Ibiki nickt, und Vater geht voraus ins Badezimmer und holt den Verbandskasten aus dem Schrank. Er nimmt eine Rolle Mullverband hervor und zieht den Pullover aus. Sein rechter Oberarm ist dick in Bandagen gewickelt. „Hier. Du musst einfach nur den alten Verband abmachen und einen neuen anlegen. Ich helfe dir, so gut ich kann. Es ist nur etwas schwierig mit einer Hand.“ Noch einmal nickt Ibiki, ihm fällt nichts zu sagen ein. Vorsichtig schneidet er den Verband neben dem Knoten auf und beginnt, ihn abzuwickeln. Je mehr Lagen des weißen Stoffes verschwinden, desto deutlicher drückt sich ein rot-brauner Fleck hindurch. „Unser Iryonin hat die Verletzung versorgt. Vielleicht gehe ich morgen ins Krankenhaus, wenn es dann noch nicht besser sein sollte.“ Mittlerweile ist Ibiki bei den untersten Bandagen angekommen, die komplett mit Blut getränkt sind. Mit spitzen Fingern versucht er, das widerspenstige, steif gewordene Material zu entfernen. Der muffige Gestank des Blutes wird immer aufdringlicher, ihm wird beinahe schlecht. Und seine Finger kleben. „Kein Grund, die Nase zu rümpfen. Das ist doch nur Blut.“ Ibiki beißt die Zähne zusammen und zieht die letzte Schicht besudelten Stoffes beiseite. Er sieht verschmierte Haut, unter der sich die Muskeln des Oberarms wölben. Quer darüber klafft ein fingerbreiter Schnitt mit ausgefransten, dunklen Rändern. Er sieht Haut und rohes Fleisch und Eiter und Blut. Im letzten Moment kann er den Würgereiz unterdrücken. „Nimm die sauberen Bandagen und wickle sie einfach drum.“ Vater klingt müde. „Ich muss wohl wirklich morgen ins Krankenhaus gehen, aber für die Nacht wird es in Ordnung sein.“ Ibiki beißt sich auf die Unterlippe. „Mach schon. Worauf wartest du?“ Er gibt sich einen Ruck, fingert die weiche Verbandsrolle auf und legt den Anfang behutsam über die Wunde. Ängstlich schielt er zu Vaters Gesicht, aber der zuckt mit keiner Wimper. Angespannt rollt Ibiki den Verband weiter aus, aber das erste Stück rutscht gleich wieder weg. Er zupft es zurecht, aber es will nicht wie er, und er weiß nicht, was er machen soll. „Ich kann das nicht“, murmelt er. „Es ist nur ein bisschen Blut“, erwidert Vater stirnrunzelnd. „Wie willst du ein anständiger Shinobi werden, wenn du davon schon weiche Knie bekommst?“ Ibiki will sagen, dass er erst sieben Jahre alt ist, aber er tut es nicht. Stattdessen wickelt er den Verband um die Wunde, so schnell er kann. Es gerät krumm und schief, aber es ist ihm egal. Als die Bandagenrolle endlich aufgebraucht ist, reißt er das Ende ein und verknotet es. Erst danach sieht er auf und bemerkt Vaters fassungslosen Blick. „Weinst du?“ Nervös wendet Ibiki den Kopf ab und zieht die Nase hoch. Draußen vor dem Fenster wird es schon dunkel. „Es ist nur eine Fleischwunde, Ibiki. Ich habe schon schlimmere Verletzungen gehabt.“ Ibiki schluchzt auf und beißt sich auf die Lippe, um es nicht noch einmal tun zu müssen. Vater greift nach seinem Arm und schüttelt ihn. „Du willst doch ein Shinobi werden, oder nicht? Ibiki?“ „Schon.“ „Na also. Und wie willst du das tun? Hast du vor, bei jedem kleinen Kratzer umzufallen und dich tot zu stellen?“ Ibiki starrt auf den Boden, durch die Tränen kann er ihn kaum noch sehen. Vater atmet einige Male schwer. „Wie konnte ich eine solche Enttäuschung von Sohn in die Welt setzen?“ Er würde gerne sagen, dass er auch Mutters Sohn war und sie nie enttäuscht von ihm war, dass sie immer gesagt hat, was Ibiki für ein kluger und vernünftiger Junge ist, der so verlässlich auf seine Schwester achtgibt, der niemals lügt. Als er den Mund öffnet, muss er wieder weinen. Die schmutzigen Bandagen liegen auf dem Boden und stinken nach Blut. „Sieh mich an, Ibiki!“ Vater schüttelt ihn. „Sieh mich an und verteidige dich, anstatt zu weinen wie ein Baby! Soll so die Zukunft Konohas aussehen?“ „Du tust mir weh!“, heult Ibiki und wehrt sich halbherzig. „Lass mich los!“ Vater stößt ihn weg, und Ibiki verliert das Gleichgewicht und landet auf den Fliesen des Badezimmers. Sein Kopf stößt gegen die Ecke des Schrankes, er kreischt auf und versteckt das Gesicht in den Armen. „Tu mir nicht weh! Bitte!“ „So etwas sagt ein Shinobi nicht!“, donnert Vater. „Und so etwas will ich von dir nicht hören! Wenn du dich nicht verteidigen kannst, habe wenigstens genug Würde, nicht zu winseln wie ein Hund!“ Ein dumpfes Geräusch erklingt aus einiger Entfernung, und beide halten inne. Im Nebenzimmer hat Ima zu weinen angefangen. „Jetzt hast du sie geweckt mit deinem dummen Geschrei“, zischt Vater. „Was für ein Shinobi willst du werden?“ Er steht auf, streicht flüchtig über den unordentlichen Verband an seinem Arm und verlässt das Badezimmer, ohne Ibiki eines Blickes zu würdigen. Ibiki bleibt auf den Fliesen liegen und tastet vorsichtig nach der schmerzenden Stelle über seinem Auge, wo er sich den Kopf gestoßen hat. Er verbeißt sich das Weinen. Im Stillen schwört er sich, beim nächsten Mal keinen Laut von sich zu geben. Er wartet, bis er Vaters Schlafzimmertür gehört hat, und schleicht sich dann im Dunkeln ins Kinderzimmer. Ima ist noch wach. „Vater hat gesagt, ihr habt über Mutter geredet.“ „Hmm“, macht Ibiki und zieht seinen Schlafanzug unter dem Kopfkissen hervor. „Ihr habt gestritten, sagt er. Aber ihr habt euch wieder vertragen und euch entschuldigt.“ „Stimmt.“ „Ich will nicht, dass ihr euch streitet“, sagt Ima leise. „Machen wir jetzt auch nicht mehr“, antwortet Ibiki. „Nie wieder.“ In Zukunft wird er dafür sorgen, dass Ima nichts hört. Am nächsten Tag geht Vater mit ihnen auf den Markt und kauft ihnen ein Eis, und als Ima die Windräder am Nebenstand bewundert, kauft er ihr davon auch eins. „Was ist mit dir, Ibiki?“ „Ich möchte keins, danke, Vater“, antwortet Ibiki. Vater wirft ihm einen flüchtigen Seitenblick zu, und Ibiki sieht seine Fassungslosigkeit, seine Angst, seine Reue. „Wenn du ... irgendetwas anderes haben willst, sag es nur. Egal, was du willst.“ „Das werde ich, Vater“, sagt Ibiki lächelnd und weiß, dass er die jämmerliche Entschuldigung nicht annehmen wird. Er ist eine Enttäuschung, hat Vater gestern noch gesagt. „Na, da hast du aber ein ganz schönes blaues Auge“, sagt die Verkäuferin zu Ibiki, als sie Ima das bunte Windrädchen reicht. „Was hast du denn da gemacht?“ Vater sieht auf den Boden. „Mich auf dem Schulhof geprügelt“, sagt Ibiki und ballt die Faust. „Aber ich habe gewonnen!“ Er lacht, die Verkäuferin lacht, und Vater kitzelt Ima auf seinem Arm, damit sie nicht weint. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)