Das Glasherz von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 13: L'épilogue ---------------------- Nocturn erinnerte sich nicht an die Geschehnisse, die stattgefunden hatten, nachdem er sich in dem kleinen Dachzimmer seinem Element hingegeben hatte. Youma entschloss, ihn auch nicht daran zu erinnern. Irgendetwas hatte Nocturn dazu gebracht, all diese schrecklichen Erlebnisse, in die Youma nur einen kleinen Einblick erhalten hatte, zu vergessen - und wahrscheinlich war das sehr gut so. Was auch immer das Zurückerinnern bis zu dem Besuch in dem Haus blockiert hatte, so hatte Nocturns Element dafür gesorgt, dass es wieder tief in seinem Inneren verborgen blieb – jedenfalls war das Youmas Theorie. Es hatte sich also eigentlich nichts durch ihre kleine Reise verändert.   Doch nein, das war nicht ganz wahr. Youma fand, dass Nocturn ausgeglichener wirkte; beim Verlassen des Hauses war ihm aufgefallen, dass alle Nervosität von ihm gefallen war – er hatte sich sogar Zeit gelassen, hatte sich umgesehen und es kam Youma so vor, als würde er wortlos Abschied nehmen von diesem Ort.   Aber das war nicht das einzige, was die Reise bewirkt hatte. Youma hatte ein neues Ziel auf seiner langen Liste der Dinge, die er –sie – noch erreichen mussten: Nathiel musste sterben. Er wollte mit eigenen Augen sehen, wie sie starb, sich in Funken auflöste und nie wieder zurückkehrte, denn er war sich sicher, dass sie nicht verblutet war. Er würde erst an ihren Tod glauben, wenn er ihn selbst sah.   Und da war noch etwas Anderes...   Nocturn warf noch einen letzten Blick über die Schulter, ehe er Youmas Hand nahm und sie nach Paris zurückkehrten.   Dort angekommen nahm dann schnell alles wieder seinen gewohnten Gang; Youma wurde von Arbeit überhäuft und beschloss, dass sie dringend die Dämonenwelt aufsuchen mussten; Nocturn wollte aber lieber Zeit mit Feullé verbringen, von der er meinte, dass sie sich vernachlässigt fühlten würde und ihr gestottertes „A-A-Also e-eigentlich...“ komplett überhörte, während Blue alles nur mit aufmerksamen Augen verfolgte, seinen Kaffee trank und das Ganze unkommentiert ließ.   Doch obwohl alles wieder seinen gewohnten Gang nahm und Youma wieder von seinen politischen Ambitionen verschluckt wurde, war die Erkenntnis klarer denn je, dass er seine Gefühle nicht mehr länger unterdrücken konnte und es auch nicht mehr wollte. Seine Gefühle für Nocturn.    Die Tatsache, dass er sich in ihn verliebt hatte.   Und Youma hatte vor, es ihm zu sagen. Nur zögerte er noch; nicht, weil er fürchtete, dass Nocturn ihn abweisen würde, sondern weil er die Worte nicht fand. Oder die Gelegenheit. Oder den Mut. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass es so schwer gewesen war bei Silence – bei ihnen war es einfach eine Selbstverständlichkeit gewesen…   Knapp eine Woche später – in dieser Zeit hatte Youma weder Worte noch Gelegenheit für eine Liebeserklärung gefunden – hörte er, wie Blue und Nocturn über das Haus in La Roche sprachen. Sie saßen alle drei an der Küchentheke, jeweils über ihre Dinge gebeugt: Youma verarbeitete die neuen Informationen, die er von Lacrimosa bekommen hatte, in Form eines Diagrammes, während Nocturn und Blue über Kontoauszüge und anderen Dokumenten brüteten. Feullé war unterdessen dabei, Weihnachtskekse zu backen, womit ein angenehmer Geruch in der Küche entstand. Zuerst war Youma dem Gespräch von Blue und Nocturn nur mit einem halben Ohr gefolgt – bis er bemerkte, worüber sie eigentlich sprachen.   „Egal, wie wir es drehen und wenden, es ist nicht möglich, das Appartement und das Haus zu behalten, außer Sie machen ernsthafte Abstriche in Ihrem Lebensstil.“ Youma hob den Kopf, als er das von Blue hörte und musste sich natürlich sofort mit Kritik am Gespräch beteiligen, obwohl er nicht gänzlich mitbekommen hatte, worüber sie sprachen: „Du lässt Blue-san deine Finanzen regeln?!“ Von Youma unbemerkt himmelte Blue mit den Augen, aber Nocturn schien das Problem nicht zu sehen: „Ja, das tue ich – ich hatte nie Probleme mit Geld, aber seit der Euro den Franc abgelöst hat…“ Es folgte eine dramatische Schweigesekunde Nocturns: „…habe ich Schwierigkeiten, es zu überschauen – das Umrechnen – und mit Zahlen war ich sowieso nie gut.“ Es war ganz deutlich, dass Youma diese Antwort nicht als gültiges Argument ansah, denn trotz seines mangelnden Wissens über die Welt der Menschen war ihm dennoch aufgefallen, wie überaus wichtig das Geld war – und so etwas überließ er ausgerechnet diesem…   Youma versuchte, sich zu beruhigen und wechselte das Thema: „Ich dachte, du wolltest das Haus verkaufen?“ „Das wollte ich auch. Es ist nur so, dass ich dann nicht mehr bestimmen kann, was mit dem Haus geschieht. Ich habe nichts dagegen, dass dort andere wohnen, aber… ich will nicht, dass es abgerissen wird. Und eigentlich will ich auch nicht, dass es verändert wird…“ „Aber darin wohnen willst du nicht.“ „Nein.“ „Du willst einfach nur, dass es da ist und da bleibt“, schlussfolgerte Youma und Nocturn nickte bejahend. „Das ist aber schwer umzusetzen“, mischte sich Blue ein und zeigte auf ein paar Zahlen, mit denen Youma nichts anfangen konnte: „Das Haus mag abbezahlt sein, aber die monatlichen Kosten sind hoch bei so einem großen Haus… ganz zu schweigen von einer notwendigen Renovierung…“ Wie viel hatte er Blue denn erzählt?! „… bei dem monatlichen Einkommen Nocturn-samas wäre es absolut kein Problem, das Haus zu unterhalten, wenn dieses Appartement verkauft werden würde und wir in das besagte Dorf ziehen würden. Bei den momentanen Wohnungspreisen hier in diesem Departement…“ Blues Finger rasten über den Taschenrechner: „…wäre eine ausgiebige Renovierung des Hauses durchaus möglich.“   Youma wandte seinen immer finsterer werdenden Blick von Blue zu Nocturn, der ihn angrinste, um ihm zu bedeuten, dass er Blue dieses Thema nicht ohne Grund überließ, und bemerkte dabei nicht, dass auch Feullé nun hellhörig geworden war. „U-Umziehen? Wir ziehen…weg?“   Alle Anwesenden schwiegen und sahen Nocturn an. Es war immerhin sein Geld. Sein Appartement, sein Haus. Seine Entscheidung. Aber Nocturn brach die Stille nicht; er hatte die Stirn gerunzelt und schwieg nachdenklich. So wie Youma ihn kannte, konnte es allerdings auch gut sein, dass er über etwas ganz Anderes nachdachte und die angespannten Blicke der anderen nicht bemerkte. Zum Schluss war es Youma, der die Stille brach mit einem ungewöhnlichen Kommentar, womit er nicht nur sofort Nocturns Aufmerksamkeit hatte: „Ich finde nicht, dass wir umziehen sollten. Das hier ist doch unser Zuhause.“   Nocturn sagte nichts, starrte ihn nur an. Blues Augen hoben sich mit größter Skepsis und Widerwillen. Feullé war gerührt: „D-Das haben Sie aber sehr schön gesagt, Y-Youma-sama.“   Nachdem Nocturn den ersten Schrecken über Youmas Kommentar überstanden hatte, sorgte er schnell dafür, dass Youma seine Worte bereute. Denn seine Worte hatten für viele, viele Kommentare gesorgt, Kommentare wie: „Ich wusste, du würdest dich in Paris verlieben, ich wusste es!“ „Die romantische Magie Paris‘ lässt sogar dich nicht kalt…“ „Und du sagst, die Stadt sei nur dreckig und schmutzig, ha!“ Und noch viele andere Varianten dieser Liebesbekundungen an Paris.     Natürlich war es Nocturn nicht möglich, diese wunderbare Gelegenheit Youma aufzuziehen zu ignorieren – aber das bedeutete nicht, dass er sich der Tragweite von Youmas wahrscheinlich unüberlegten Worten nicht bewusst war. Immerhin... immerhin war es Youma gewesen, der diese Worte gesagt hatte und ihm war der Begriff „Zuhause“ sehr wichtig, das wusste Nocturn... aber was... was bedeutete das? Was bedeutete es, dass Youma dieses Appartement als das „Zuhause“, nein „deren Zuhause“, betitelte? Bedeutete es mehr, als dass Youma angefangen hatte, sich gegen seinen Willen an diesem Ort wohlzufühlen? Nocturn war verwirrt, aber nicht auf eine schlechte Art. Es war in Ordnung, dass es keine konkrete Antwort gab; es war auch in Ordnung, wenn er sie nie bekam. Er war zufrieden. Er war im Allgemeinen zufrieden. So zufrieden und... ruhig war er schon lange nicht mehr gewesen.   Dennoch gab es Dinge, die ihn wunderten. Er konnte sich zum Beispiel keinen Reim daraus machen, warum Youma ihn öfter fragte, ob es ihm gut ginge – warum sollte es ihm denn schlecht gehen? Und warum fragte er ihn, ob er gut geschlafen habe? Seitdem sie wieder zurückgekehrt waren, war er ein wenig eigenartig geworden; eigenartiger als vorher. Aber Nocturn machte sich normal keine Gedanken darüber – er machte sich erst dann Gedanken, wenn Youma am eigenartigsten war.   Abends, nach dem Essen, wenn die Stube nur noch von Youma und dem schlafenden Nocturn bewohnt war, hatte Youma eine neue... Angewohnheit entwickelt. Zuerst hatte Nocturn geglaubt, er hätte es sich eingebildet oder vielleicht nur geträumt, aber nachdem er es sich mehrere Male „eingebildet“ hatte, wurde ihm klar, dass es alles andere als eine Einbildung war: Youma hatte angefangen, ihn beim Schlafen zu beobachten. Manchmal setzte er sich sogar zu ihm hin, ganz nah, als wolle er überprüfen, dass er noch atmete. Es war nicht so, dass Nocturn sich unwohl fühlte, es war nur... warum? Warum tat er das, wenn er sich doch lieber seiner Arbeit widmen sollte? Er hatte viel zu tun, warum also arbeitete er nicht, anstatt Nocturn beim Schlafen zuzusehen?   An diesem Abend bemerkte Nocturn, unter den größten Anstrengungen sich wirklich schlafend zu stellen, dass Youma ihm näher kam als bei den anderen Malen. Sein Haar streifte sogar kurz Nocturns Wange, ehe Youma es sich hastig hinters Ohr strich. Was war nur in ihn gefahren? Nein, was war nur schon wieder in ihn gefahren? Das, was er da tat... war das... wollte er das gleiche tun? Wollte er ihn – warum auch immer?! – wieder küssen? Nocturn sollte so tun, als würde er aufwachen, damit Youma sich ihm nicht weiter näherte, aber eigentlich... eigentlich... warum sollte er? Er mochte es doch...   Aber Youma tat es nicht. Er stand hastig auf und da Nocturn, nun da Youma ihm den Rücken zugekehrt hatte, die Augen öffnete, sah er auch, wie sein Partner sich frustriert die Haare raufte. Nocturn sollte wahrscheinlich einfach weiterhin so tun als würde er schlafen, aber der Drang eine Aufklärung zu bekommen war zu stark. „Warum wolltest du mich schon wieder küssen?“   Augenblicklich blieb Youma stehen, sich allerdings nicht zu ihm herumdrehend, weshalb Nocturn, während er sich nun aufrichtete, andere Worte wählte, um seiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen: „Ich hätte dich nicht wieder angegriffen, es ist nur so, dass mich dein Verhalten momentan ziemlich verwirrt. Ich verstehe nicht, warum du mich küssen willst; wir haben doch schon letztes Mal geklärt, dass du nicht nach mir verlangst...“   „Doch.“ Nocturns Augen weiteten sich vor Überraschung und seine immer größer werdenden Augen trafen Youmas entschlossene Augen, als er sich mit leicht roten Wangen herumdrehte: „Doch, das tue ich.“   Nocturn starrte ihn einfach nur an, nicht in der Lage, etwas zu erwidern und auch als Youma langsam wieder auf ihn zu ging, rührte er sich nicht. „Ich würde es zwar lieber so formulieren, dass ich dich liebe, aber mit deinen Worten gesagt... ja, dann verlange ich nach dir.“   Youma stand nun vor ihm mit einem seltsamen, erwartungsvollen Leuchten in den Augen, die Hände leicht angehoben, ein wenig nach ihm ausgestreckt: „Also, Nocturn... darf ich?“ „Ehhhh, was, ja – warte – was?“   Aber Youma hörte alles, was nach dem „ja“ kam, schon nicht mehr und die Hände, die eben noch nach Nocturn ausgestreckt waren, legten sich nun sanft, aber auch ein wenig stürmisch, um ihn, drückten den verwirrten Flötenspieler an sich. Tatsächlich verstand er immer noch nicht, was gerade geschah, doch als er Youmas Lippen auf seinen spürte, war das auch eigentlich vollkommen egal. Dieses herrliche Gefühl, diese unglaublich starke Wärme – Nocturn hatte geglaubt, dass das eine Mal genug für sein gesamtes, restliches Leben gewesen war, aber jetzt spüre er deutlich, dass er es vermisst hatte... dass er Youmas Nähe vermisst hatte. Youma, der nach ihm... der nach ihm... warte---   Nocturn zog den Kopf zurück und stemmte seine Hände gegen Youmas Oberkörper, um ihn von sich wegzudrücken. Verwirrt, aber auch ein wenig verletzt, sah Youma ihn an – und kam dann auf Gedanken, die Nocturn überhaupt nicht nachvollziehen konnte: „Entschuldige bitte, ich war zu voreilig... habe ich dich erschreckt?“ „...Was?“ Nocturn schüttelte ärgerlich den Kopf: „Nein, hast du nicht – wie kommst du überhaupt---- egal. Du meinst das nicht ernst, oder? Du... du verlangst nicht nach mir, oder?“ „Warum sollte ich dich denn sonst küssen wollen? Warum hätte ich dich jetzt küssen sollen und wie sonst hätte die eine Nacht vor vier Monaten möglich sein sollen?“ Nocturn erwiderte Youmas ernsthaften Gesichtsausdruck verdutzt: „Ich dachte... du hast es aus Mitleid getan.“ „Aus... Mitleid?!“ „Ja, um mir zu zeigen, wie es ist, geküsst zu werden.“ Die Hand gegen die Stirn schlagend schien Youma sich abwenden zu wollen, doch nach einigen Sekunden, in denen er sich die Finger gegen die Stirn getrommelt hatte, wandte er sich halb grinsend wieder Nocturn zu: „Deswegen hast du das Thema danach nie wieder angesprochen?“ „Ja, es war ja abgeschlossen.“ „Also, Nocturn, man küsst niemanden aus Mitleid. Das tut man nicht.“ „Ja, aber, warum hättest du es denn sonst tun sollen?“ „Das habe ich dir doch gerade gesagt?!“   Youma löste seine Hand von seiner Stirn und atmete tief durch, Nocturns verwirrten Gesichtsausdruck ein wenig belächelnd und es dann anders formulierend: „Nocturn, das, was du dir immer von White-san erhofft hast... das empfinde ich für dich. Verstehst du?“   Nocturn sah immer noch heillos verwirrt aus, aber langsam lichtete sich dieses Chaos; er begann es zu verstehen, zu verstehen, was im Begriff war, zu geschehen, auch noch bevor Youma seine Hände nahm und sie fest in seinen hielt, ihn wieder erwartungsvoll ansehend. Als Nocturn jedoch nichts sagte, was dieser Erwartung gerecht wurde, hielt Youma es nicht länger aus: „Nocturn – wie lautet deine Antwort?“ „Meine... Antwort?“ Youma deutete ein leicht ungeduldiges Nicken an, Nocturns Finger dabei ein wenig fester drückend und da wusste Nocturn, was er meinte; was er hören wollte... aber Nocturn wusste nicht, was er antworten sollte. Das Verlangen für White... das war so einfach in Worten auszudrücken; so einfach auszusprechen und so einfach zu beschreiben... und Youma behauptete, dass er genau so für ihn empfand? Nein, das war nicht wahr, es war... anders. Es konnte nicht mit den gleichen Adjektiven beschrieben werden, es konnte nicht verglichen werden... aber war es dann überhaupt das gleiche? War es das gleiche Gefühl? Gab es so viele verschiedene Facetten dieses Wortes, so viele Möglichkeiten, eine Relation zwischen zwei Individuen zu beschreiben...   „Wir sind Partner“, antwortete Nocturn, nicht auf Youmas missverstehendes Gesicht achtend – er dachte an den Moment zurück, in welchem Nocturn von ihm wiederbelebt worden war, deren ersten Kampf, deren erstes Gespräch in diesem Appartement, welches Youma mittlerweile sein Zuhause nannte... und den Moment, in welchem Youma ihm erklärt hatte, dass er ihn wiederbelebt hatte, um ihn zu seinem Partner zu machen. Sein Lebenszweck, sein Wiederbelebungszweck, bestand also daraus, eine Relation mit jemandem einzugehen. Wie eigenartig, wie komisch, wie absolut nicht Nocturn-mäßig. Aber so andersartig es auch gewesen war... es war toll. Das Gefühl, dass jemand ihn brauchte, ihn – nicht jemand anderes, sondern ihn. Dass sein Dasein erwünscht war, seine Meinung gefragt wurde, dass sich jemand auf ihn einließ... mit jemandem reden zu können, ohne dass er denjenigen mit einer Geisel dazu erpressen musste. „... und wir sind... Freunde.“ Das brachte Youma dann doch dazu, zu lächeln und auch Nocturn lächelte, denn sie waren sich beide bewusst, wie untypisch und neu es für sie war, jemanden als einen „Freund“ betiteln zu können. „Und...“ Da verlor Nocturn jedoch den Mut für das Fortsetzen seiner kleinen Rede; das Lächeln schwand und er schien sich kurzzeitig in seinem Rollkragenpullover verstecken zu wollen, bis er sich dann ganz plötzlich zusammenriss und Youmas Finger fest drückte, ihn wieder ansehend: „Ich weiß nicht, was nach diesem „und“ kommt! Ich habe doch eigentlich überhaupt keine Ahnung! Was lernt man über solche Gefühle schon in den großen Meisterwerken; es ist leicht, sie zu besingen, aber schwerer, viel schwerer, sie zu erklären. Ich weiß es nicht, Youma! Das ist meine Antwort! Jetzt bin ich es, der diese dumme Antwort gibt und nicht du... ich weiß, dass ich nicht das gleiche für dich empfinde, wie ich für White empfinde. Ist das... normal? Gibt es so viele Facetten des Verlangens? Müsste ich das nicht eigentlich wissen, so viele Gedanken wie ich schon gelesen habe? Aber jetzt verwirrt es mich; jetzt verstehe ich... gar nichts mehr. Ich kenne doch nur diese eine Facette.“   Der plötzliche Drang zu fliehen überkam Nocturn; das Ganze war ihm auf einmal unangenehm und peinlich – aber da löste Youma seine rechte Hand von Nocturns Finger und legte diese sanft an sein Gesicht.   Sofort war alle Unsicherheit verschwunden; sofort fühlte Nocturn sich wieder sicher und er wollte nirgendwo mehr hin. Er wollte einfach nur noch an diesem Punkt stehen bleiben und von Youma berührt werden.   „Wir müssen nichts überstürzen, Nocturn. Du brauchst jetzt keine Antwort zu finden“, flüsterte Youma behutsam, nachdem Nocturn seine nun freie Hand auf Youmas gelegt hatte, um ihn davon abzuhalten, seine so wärmende Hand von seinem Gesicht zu entfernen. „Das ist dir gegenüber nicht sonderlich fair, oder?“, flüsterte Nocturn, Youmas Hand an seiner Wange genießend.   „Gut“, lachte Youma sein zurückhaltendes Lachen: „Dann machen wir es anders. Beantworte mir einfach ein paar Fragen... wäre das für dich in Ordnung?“ Nocturn deutete ein leichtes Nicken an, sich lächelnd an Youmas Hand schmiegend.   „Magst du es, wenn wir uns wie jetzt berühren?“ „Ja.“ „Ist es dir wichtig, dass ich es bin, der dich so berührt?“ „Wer sollte mich auch sonst so berühren wollen?“ „Nocturn, die Frage war ernst gemeint.“ „Meine Antwort auch.“ Aber da öffnete er die Augen wieder und Youma war überrascht wie unverbannt er ihn plötzlich ansah: „Ja, es ist mir wichtig. Nur du darfst das.“ Jetzt war es Youma, der überrascht war und er spürte, dass sein erwärmtes Gesicht im Takt seines beschleunigten Herzens errötete.   „Gut, dann... kommen wir zur letzten Frage.“ Sein eigenes pochendes Herz und die gespannten Augen Nocturns brachten ihn allerdings dazu, zu zögern. „Ja?“  „Würdest du gerne... also... öfter von mir...?“ Ein wenig grinsend kam Nocturn ihm jetzt entgegen: „...du meinst geküsst werden? Ja, das will ich.“   Als hätten sie es abgesprochen, lösten sie gleichzeitig die Finger voneinander und während Nocturn die nun frei gewordene Hand um Youma schlang, hob dieser Nocturns Gesicht mit seinen an – doch ehe sich ihre Lippen abermals berühren konnten, drangen noch einmal Nocturns Zweifel an die Oberfläche: „Aber ich weiß gar nicht, wie es ist ein... also, ein Paar zu sein.“ Diese Worte brachten Youma zu einem glücklichen Lächeln, denn obwohl Nocturn noch Schwierigkeiten hatte, seine Gefühle für ihn in Worte zu fassen, nannte er sie ein „Paar“ – genau das, was Youma sich so lange unwissend erhofft hatte. „Keine Sorge, das werde ich dir schon beibringen...“ Youma hatte schon den lächelnden Mund geöffnet, war im Begriff seine Augen zu schließen, als Nocturn ihn tatsächlich noch einmal unterbrach: „So wie ich dir das ordentliche Töten beibringe?“ „Nocturn... Über sowas redet man doch nicht in einem solchen...“        Und dann küsste Nocturn ihn. ♥                       Fin Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)