It Happened Late One Evening von Puppenspieler (Monster Tamer Tsuna - frei interpretiert) ================================================================================ I - Gokudera Hayato strauchelte, als seine Füße härter als erwartet auf grobem Betonboden aufschlugen, und für einen Moment rang er um sein Gleichgewicht, ehe er sich wieder fing und sicher aufrichten konnte. Um ihn war es dunkel, nur ein paar trübe Leuchtstoffröhren der Nachtbeleuchtung ließen erahnen, dass er sich, ganz wie angekündigt, in einem Parkhaus befand – das zu dieser späten Stunde gespenstig leer war. Er erschauderte, schloss die Augen für einen Moment. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick stur geradeaus gerichtet und mit aller Willenskraft, die er hatte, ignorierte er die Schatten, die bedrohlich in seinem Blickfeld tanzten. Einbildung. Nur Einbildung. „Für Juudaime.“ Es gab keine Geister. Dass der Widerhall seiner Schritte von den Wänden dennoch klang, als würde ihn jemand verfolgen, machte nicht unbedingt etwas besser. Hayato schluckte, ballte die Hände zu Fäusten, ehe er sie hektisch löste und in den Hosentaschen nach einer zerdrückten Packung Zigaretten und einem Feuerzeug wühlte. Er fand beides, doch seine Finger zitterten stark genug, dass er mehrere Versuche brauchte, um das Feuerzeug zu entzünden. Der erste Schwall Zigarettenrauch, der seine Lungen füllte, ließ ihn erleichtert ausseufzen. Er mochte die schlechte Angewohnheit ursprünglich primär wegen seines Kampfstils aufgenommen haben, aber über all die Jahre hinweg hatte der Nikotin doch so etwas wie eine beruhigende Wirkung bekommen; es war etwas Vertrautes, und eine klare Erinnerung daran, dass er nicht wehrlos war. Was auch immer ihm in die Quere kommen würde, würde Bekanntschaft mit seinem Dynamit machen. Es dauerte nicht lange, bis er ein grünleuchtendes Schild zu einem Notausgang fand. Wie zu erwarten war die Tür fest verschlossen, doch es war nichts, das nicht durch eine gut gezielte Explosion geklärt werden konnte. Blind tasteten seine Hände nach dem Vorrat, den er jederzeit an seinem Körper versteckt hielt, glitten über die Konturen der einzelnen Stangen. Es waren genug für einen so einfachen Auftrag. Eine Tageszeitung, eine Uhr, auf der er die Zeit abgleichen konnte, und das war es. Ruhig zog er das Dynamit hervor, trat einige Schritte zurück, während er darauf wartete, dass die glimmende Spitze der Zigarette zwischen seinen Lippen die Lunte entzündete. Zügig warf er den Sprengstoff vor die Tür, und als er sicher aufgekommen war, wandte er sich ab und lief in schnellen Schritten fort. Die Explosion würde zwar nicht groß, aber kraftvoll sein, und er konnte darauf verzichten, von umherfliegenden Trümmern getroffen zu werden. Erst der laute Knall ließ ihn innehalten und sich wieder umdrehen. Die Tür war verbogen, von der Wucht der Explosion nach außen aufgesprungen. Am Boden glomm und schwelte es ein bisschen, doch es schien bei weitem nicht genug brennbares Material für ein Feuer zu geben. Genug Rauch und Hitze aber, dass der Feuermelder einen schrillen Ton von sich gab. Hayato fluchte stumm, doch es war nichts, das er nicht erwartet hätte – wäre der Feuermelder ausgeblieben, hätte er sich wohl eher Sorgen gemacht. Zügigen Schrittes hielt er auf die Tür zu, schob sich sorgsam an ihr vorbei – das verdellte Metall dürfte heiß sein, und auch auf Brandblasen konnte er verzichten. Nach dem Geruch von Rauch und Sprengstoff war die kalte Nachtluft, die ihm entgegenschlug, eine merkliche Umstellung, doch nicht unwillkommen. Rauch und Sprengstoff waren Dinge, die er vor allem mit Kämpfen assoziierte, und die konnte er gerade nicht brauchen. Tief durchatmend sah er zum Himmel hinauf. Vollmond. Dünne, schmutzig graue Wolkenfetzen schoben sich immer wieder vor den kalt leuchtenden Kreis, doch es war nie genug, um ihn zu verdecken. Irgendwo erklang ein Heulen, das Hayato nicht einordnen konnte, und in der Ferne schlossen sich Sirenen der Lärmkulisse an. Es wurde Zeit, dass er sich aus dem Staub machte. Es waren nur zehn Jahre – So sehr konnte Namimori sich nicht verändert haben, richtig? Seine Erinnerung trog ihn. Zwar erkannte er die Straßen, erkannte viele der Läden und Gebäude, aber… etwas war anders. Es war gespenstisch still, viel mehr, als die fortgeschrittene Uhrzeit rechtfertigen würde, und bis auf ein paar Schatten im Augenwinkel sah er nichts. Kaum Autos auf den Straßen, keine Menschen, keine Jugendlichen, die tranken und rauchten. Wieder ein Heulen. Er schüttelte den Kopf. Wer wusste, in was für ein Feiertags- oder Ferienloch Giannini ihn da geschickt hatte. Solange er den Supermarkt und die Zeitung fand, und eine Uhr zum Abgleich, konnte es ihm egal sein, was hier los war. Er war nicht deswegen hier. Sie hatten höhere Ziele als dieses. Schnellen Schrittes lief er über die leeren Bürgersteige, an Neonreklamen vorbei, die Waren anpriesen, die teilweise bestimmt nicht einmal mehr in Produktion waren, er sah abgewetzte Plakate, die Bands ankündigten, an die Hayato keine Erinnerungen hatte. Kombiniert mit der Stille ließ der Anblick seinen Nacken prickeln, und in dem seltsamen Gefühl, beobachtet zu werden, sah er mehr als einmal über die Schulter – doch nichts. Natürlich nichts. Er war allein. …und er wusste nicht einmal, ob ihn das wirklich erleichtern sollte. Der nächste Supermarkt war winzig, kaum mehr als ein großer Kiosk. Einer dieser kleinen Läden, die sich zwischen zwei großen Einkaufsparadiesen in eine Lücke kuschelten, in der man sie übersah, solange man nicht gezielt nach ihnen suchte – oder nachts auf den einzigen leuchtenden Fleck ringsum aufmerksam wurde. Eine Oase aus Licht und Leben in einer Wüste aus städtischer Nachtstille. Gegen seinen Willen war Hayato mehr als erleichtert, als er durch die Glastür trat und ein schrilles Klingeln seine Ankunft ankündigte. Er hatte es geschafft. Eine Verkäuferin, die müde und abgespannt aussah, hob fast etwas zu hektisch den Kopf, als er eintrat, und ihre Augen suchten ihn einen Moment lang ab, als erwarte sie, irgendetwas zu finden, dann machte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit. Es erreichte ihre Augen nicht. „Guten Abend! Was kann ich für Sie tun?“ Hayato nickte ihr nur knapp zum Gruße zu. Der Zeitungsständer stand neben der Kasse. Ohne auf das Datum zu gucken – die genauen Zahlen würden ihm ohnehin keine Erleuchtung bringen, im schlimmsten Fall bildete er sich nur etwas ein, das ihn bitter enttäuschen würde –, zog er eine Tageszeitung heraus und legte sie auf den Tresen. Während er in seiner Gesäßtasche nach dem Portemonnaie fischte, sah er sich hinter der Theke um. Die Idee, Zigaretten zu kaufen, verwarf er dann aber doch wieder. „Und wenn sie noch eine Uhr hätten? Und damit die Uhrzeit? Ich muss einen Nachtzug erwischen und meine ist stehengeblieben“, log er selbstverständlich und bemühte all seinen italienischen Charme um ein ansprechendes Lächeln, während an seinem Inneren die Nervosität nagte, die sich aus der Wichtigkeit seiner Aufgabe und der ungewohnten Stille einer gut belebten Stadt zusammensetzte. Der Blick der Kassiererin flackerte kurz, sie schien ein Problem mit Nachtzügen zu haben oder so etwas. „Sie wollen wirklich zum Bahnhof? Allein?“ Wieso klang sie so unwohl dabei? Es war nur ein Bahnhof! Hayato zuckte nur mit den Schultern, sah sie abwartend an. Sie blinzelte, dann hob sie entschuldigend die Schultern. „Entschuldigung, jedenfalls, ich habe leider keine Uhr hier. Ich habe sie beim Herkommen zuhause liegen lassen.“ Es kostete Hayato einige Mühe, sich seine Enttäuschung nicht ansehen zu lassen, und er nickte steif, während er ihr einige Münzen auf den Tresen warf. Es war mehr, als die Zeitung wert war, aber so entrückt, wie die Frau auf ihn wirkte, würde es ewig dauern, bis er sein Wechselgeld bekommen würde. Die Zeitung klemmte er sich unter den Arm, dann verließ er den Laden wieder, ignorierte ihre „Warten Sie doch kurz-!“-Rufe nur. Die zufallende Tür brachte sie auch schnell genug zum Verstummen. „Merda!“, fluchte er, trat frustriert nach einem Mülleimer neben dem Laden. In was für einem Zeitalter lebten sie, dass diese Frau keine Uhr hatte? Es war wichtig! Hayato musste zurück. Wer wusste schon, wie unglaublich falsch Gianninis Berechnungen wieder sein konnten. Jede Minute, die er hier verbrachte, konnte seine Rückkehr dramatisch verschieben, und am Ende kam er Stunden später an als er sollte, und er würde Juudaime gar nicht erst wieder finden und– Nicht darüber nachdenken. Er holte tief, zitternd Luft und schob das gedankliche Bild von einem blutüberströmten Juudaime wieder von sich. In Ermangelung einer besseren spontanen Idee steuerte er tatsächlich auf den nächsten Bahnhof zu. Was auch immer damit nicht in Ordnung sein sollte, es war der einzige Ort, der Hayato einfiel, an dem er sicher eine Uhr finden würde. Passanten sah er immer noch keine, was blieb ihm also sonst übrig? Es war nicht weit, und obwohl der Weg ihn durch prinzipiell belebte Straßen führte, war es still. Gelegentliche Windstöße rauschten durch die zur Deko gepflanzten Bäume am Straßenrand, ließen Papiermüll am Boden rascheln, und gelegentlich ertönte wieder das seltsame Heulen – eine unangenehme Art von Sirene, vermutete Hayato. Vielleicht ein Trend? Es war ihm egal, was auch immer es war ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, wollte sich auch nicht abschütteln lassen. Die Treppen zur U-Bahn waren schwarze Abgründe in der diesigen Nacht. Von unten hörte Hayato leise Geräusche heraufdringen. Stimmen, sie klangen hektisch. Späte Pendler, die sich in ihre letzte Bahn quetschen wollten? Immer zwei Stufen auf einmal nehmend hastete er die Treppe hinunter, übersprang die letzten fünf Stufen komplett und folgte der Kakophonie an menschlicher Fehlkommunikation, bis er den Abgang zu einem der Gleise als Quelle des Lärms ausmachen konnte. Die Rolltreppe war abgeschaltet, Stromsparmaßnahmen wohl, aber es störte Hayato nicht; ohne genau darauf zu achten, was unter ihm war – sein Blick war auf seine Füße gerichtet, auf dass er nicht auf zurückgelassenem Müll ausrutschen möge – preschte er die Treppe hinab, bis er schließlich an deren Fuß schlitternd zum Stehen kam. Ein lautes Geräusch, Lärm, der alles andere übertünchte, verkündete das Abfahren der Bahn. Hayatos Kopf ruckte hoch. Er hätte nicht aufsehen sollen. Einige Menschen in dunkler Kleidung mit schweren Kapuzen, die entfernt an die Tarnmuster der Armee erinnerte, standen auf der Plattform, weit genug vom Gleis entfernt, dass genug Raum war, die Bahn zu betreten. Mit ihren erhobenen Schlagwaffen sahen sie aus, als hätten sie die wohl vorhin eingestiegenen Passagiere vor irgendetwas beschützt, doch wovor, das entzog sich Hayatos Blickfeld – die Männer hatten etwas eingekesselt, das ihre Gestalten vor seinen Blicken verbargen. „Wir haben es geschafft“, kommentierte eine rauchige, eher geschlechtsneutrale Stimme. In den weiten, figurverbergenden Kleidern hätte ihr Urheber gut ein Mann sein können, doch das seltsame Krampfen, das Hayato bei ihrem Klang überkam, suggerierte definitiv etwas anderes. Das kann nicht… Eine andere Gestalt, etwas kleiner, nickte. Hayato bemerkte, dass die Hände, die sich um eine Art Brecheisen klammerten, unnatürlich blass im künstlichen Licht des Bahngleises wirkten. „Bringen wir es hinter uns, zurück zur Basis.“ Noch eine Frauenstimme. Vage vertraut, aber Hayato konnte sie nicht zuordnen. Vermutlich nur eine Allerweltsstimme. Er beobachtete fasziniert-alarmiert, wie die Gestalten ihre Waffen fester packten, in Angriffsposition gingen, jede Sehne ihrer Körper schien gespannt zu sein. „JETZT!“ Sie stoben auf Kommando auseinander, die sichere Wand ihrer Verteidigung zerrissen, und zwischen den dunklen Gliedern, die sich schnell bewegten, erkannte Hayato etwas, das ihn entfernt an struppiges Fell erinnerte. Er kam nicht dazu, es zu verarbeiten, da durchbrach eines der vagen Fellknäuel das Chaos an Gliedmaßen. „Hahii?!“ Über den schrillen Schrei der nur zu vertrauten Stimme hörte er das Knurren des verfilzten Fells kaum. Es war ein Wolf. Und er kam genau auf ihn zu. Hayato griff reflexartig nach seinem Dynamit, führte die Stange zum Mund, um sie an der Zigarette zu entzünden, die er… nicht hatte. Mit einem Ruck landete der Wolf auf ihm, schwere Pfoten auf seinen Schultern und ein übler, metallischer Mundgeruch waberte mit seinem Atem über Hayato hinweg. Er knurrte, rammte die ungezündete Dynamitstange verzweifelt in die Flanke des Dings, das vor Schmerzen aufjaulte. Es war groß, wuchtig, und zu schwer! So sehr Hayato es versuchte, selbst in dem Schock des unerwarteten Angriffs war das Vieh nicht von ihm runterzukriegen. Hinter ihm schrien Leute sich Anweisungen zu, die er kaum verstand. Die Haru-Stimme kam kreischend näher. Der Wolf knurrte, Speichel troff von seinen Lefzen. Hayato brüllte, stemmte seine Knie mit aller Kraft in den Bauch der Bestie. Haru schrie. Der Wolf – was macht ein Wolf in der U-Bahn, verdammt?! – riss das Maul weit auf. Hayatos Herz setzte einen Schlag aus. Das scharfe Gebiss senkte sich genau in Richtung seiner Kehle. Er wusste, was passieren würde. Und er musste es verhindern. „Juudaimeeeeeee!“ Beißender Schmerz explodierte in seiner Schulter, als er sie in das Maul des Wolfes rammte. Das letzte, das er hörte, bevor er ohnmächtig wurde, war der vertraute Klang von Juudaimes Stimme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)