Die Wölfe 5 ~Das Blut des Paten~ von Enrico (Teil V) ================================================================================ Kapitel 25: ~Zweisamkeit~ ------------------------- Was für eine Bruchbude. Ein Bett mit fleckigen Bezügen, ein kleiner Tisch und ein einzelner Stuhl mit verschieden hohen Beinen. Die Tapete wirft große Blasen, an einigen Stellen ist sie bereits abgerissen und gibt den blanken Putz frei. Auf den Dielen liegt eine dicke Staubschicht ebenso auf dem Regal an der rechten Wand und auf den beiden Nachttischen. "Es ist ja nur für eine Nacht", höre ich Toni hinter mir sagen. Das ist schon eine Nacht zu viel. Während ich mich weigere einzutreten, drängt er sich an mir vorbei und geht zum Bett. Laut gähnend streckt er die Arme weit über den Kopf aus und lässt sich auf die dreckigen Bezüge fallen. Was er wohl die letzten Tage getrieben hat, um so müde zu sein? "Jetzt steh da nicht wie angewurzelt, komm rein und schließe die Tür ab!", brummt er. Abschließen? Was hat er denn vor? In diesem Drecksloch vergeht mir selbst die Lust auf Sex mit ihm. Seufzend komme ich seinem Wunsch nach. Irgendwie habe ich mir das hier ganz anders vorgestellt. Es gibt nicht mal eine Minibar, mit deren Hilfe ich mir das Zimmer schön saufen könnte. Seit wann beschafft uns Aaron eine so miserable Unterkunft? Bin ich in seinem Ansehen bereits so tief gesunken? "Jetzt mach kein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter. Wir haben Urlaub!" Irgendwie fühlt sich das hier nicht so an. Meine Schuhe hinterlassen deutliche Abdrücke in der dicken Staubschicht und was sind das für braune Flecke dort neben dem Bett? Getrocknetes Blut? Sehr beruhigen. Wer weiß, wer hier schon alles abgeschlachtet wurde. Während ich auf das Bett zu halte, gleitet mein kritischer Blick an der offene Tür vorbei ins Badezimmer. Sind das Bartstoppeln dort im Waschbecken? Mir gruselt es bei der Vorstellung, wie wohl die Duschkabine aussehen mag. Tonis warme Hand schließt sich um meinen Arm, mit einem Ruck zieht er mich zu sich aufs Bett. Erschrocken lande ich auf seinem Oberkörper und sehe ihn ungläubig an. Seine smaragdgrünen Augen lächeln versöhnlich. "Ist es nicht egal wo wir sind, so lange wir uns haben? Brauchst du wirklich mehr?" Ich will mit einem entschiedenen -Ja- antworten, doch diese Augen, dieses Lächeln, dieser schöne Mund. Sein warmer Atem legt sich auf mein Gesicht, das dreckige Zimmer ist längst aus meinen Gedanken verschwunden. Er ist hier und ich bin es, wir sind allein, der Rest ist nicht wichtig. Beide Hände vergrabe ich tief in seinen seidigen Haaren und lege meine Lippen fordernd auf seine. Er schmeckt nach mehr, nach unserem wilden Leben, nach Freiheit. Seine Arme legt er über meinen Rücken und und drückt mich fest an sich. Ein jeher Schmerzt zuckt durch meinen Oberkörper und brennt sich durch meine Rippen. Scharf ziehe ich die Luft zwischen den zusammengebissenen Zähnen ein und drücke mich reflexartig von ihm weg. Er mustert mich erschrocken und gibt mich augenblicklich frei. Auf den Knien über ihm hockend, richte ich mich auf und schlinge meine Arme um den Oberkörper. Einige Male atme ich aus und ein, bis es erträglicher wird und das Stechen zu einem steten Pochen abschwächt. Toni mustert mich besorgt, doch ich seufze nur resigniert. Nicht mal der Spaß ist mir vergönnt. "Tut mir leid!", stammelt er, während ich meine Arme vom Oberkörper löse. Da haben wir schon mal Urlaub und Zeit nur für uns und wegen dieser verdammten Verletzung ist an Sex nicht zu denken. Genervt rutsche ich von seinem Schoss und lege mich rücklings aufs Bett. Ich kann das Pochen in meiner Rippe noch immer spüren und lege schützend meinen Arm darüber, den anderen lasse ich auf meine Stirn fallen. Meinen Blick hefte ich an der Decke fest. Scheiß Tag! Toni beugt sich über mich, seine grünen Augen funkeln mich begierig an. Hat er nicht begriffen, ich kann nicht. Als ich ihn warnend ansehe, ziert seine Lippen ein breites Grinsen. "Ich kann dir doch trotzdem was Gutes tun." "Und du?", kommt mir spontan über die Lippen. Seit wann will er auf sein eigenes Vergnügen verzichten? Er lächelt nur, seine Finger wandern in meine Mitte, behände öffnen er den Gürtel und Reißverschluss. Erstaunt beobachte ich, wie seine Hand in meine Unterhose gleitet und er sich nah an mich schmiegt. Seine Lippen berühren meine, er küsst zärtlich, fast behutsam. Auch seine Hand in meinem Schritt ist sanft, nicht schnell und fordernd, wie sonst. Das ist neue und treibt eine Unruhe in mein Herz, die es immer schneller schlagen lässt. Toni und zärtlicher, uneigennütziger Blümchensex? Hat er so ein schlechtes Gewissen? Ich denke zu viel nach. Verdammtes Kopfradio! Aber ich kann es nicht abstellen: Ob er es irgendwann bereuen wird, für das hier, für mich, seine Familie verlassen zu haben? Ob er dann wieder verschwindet? Spätestens nach dem Urlaub, wird ihn das schlechte Gewissen einholen und Judy und Raphael werden das ihrige dazu beitragen, dass er erneut aus meinem Leben verschwindet. Ich greife Tonis Hand und ziehe sie aus meiner Mitte. "Hör auf!", bitte ich ihn. "Warum?" "Ich hab einfach keinen Kopf dafür." Toni mustert mich skeptisch, eine Mischung aus Enttäuschung und Sorge spiegelt sich in seinen Augen. "Du hast schon die Nutte bei Erik abblitzen lassen und jetzt auch noch mich? Bist du krank?" Das hat er mitbekommen? "Seit wann schleichst du mir denn schon nach?" "Ist das wichtig?", entgegnet er trocken. "Ja!" Ich habe die ganze Zeit geglaubt, ihn nie wieder zu sehen, dabei schleicht er mir schon ewig hinterher, ohne sich zu erkennen zu geben. Zu welchem Sinn und Zweck? "Was glaubst du denn, dass ich dir nachspioniere? Ich war oben beim Pokern und dachte du kommst zu uns, ich kann doch nichts dafür, wenn du mal wieder mit einer Nutte abziehst." "Ach, jetzt ist es auch noch meine Schuld, dass du einfach abgehauen bist und Wochenlang nichts von dir hören lässt?" "Verdammt Enrico! Wo ist denn dein Problem? Ich habe Anette und Kira verlassen, ich will mit dir wegfahren. Was willst du denn noch?" Zornig erhebt er sich und rutscht zum Bettrand. "Wer sagt mir denn, dass du dir's im nächsten Moment nicht anderes überlegst?", entgegne ich angriffslustig und erhebe mich ebenfalls. Toni verschränkt die Arme vor der Brust und tritt ans Fenster. Er atmet hörbar durch und sieht hinaus auf die Straße. Muss er über diese Möglichkeit etwa nachdenken? Wütend starre ich ihn an und warte noch immer auf eine Antwort, doch er schweigt. Ich hasse es wenn er das tut. "Jetzt sag gefälligst was dazu!", fordere ich. Wieder nichts, nur ein leiser Seufzer. Toni löst seine verschränkten Arme und sieht mich entschuldigend an. "Es tut mir leid okay? Ich weiß doch selbst nicht, was mit mir nicht stimmt. Das mit uns wollte ich so nie. Ich bin Vater und irgendwann wollte ich auch mal heiraten und ein guter Ehemann sein, aber ..." Wieder spricht er es nicht aus. Er sieht mich einfach nur an, als wenn er in mir etwas sehen kann, das nicht da ist. Es muss etwas schönes sein, denn er lächelt vorsichtig. "Ich musste einfach ständig an dich denken. Ich fühle mich nur wohl, wenn ich bei dir sein kann." Seine Worte lassen mich schwer Schlucken. Ist das sein Ernst? Ein Sturm an Gefühlen, die ich unter Kontrolle gebracht zu haben glaubte, bricht auf einmal über mich herein. Mir geht es doch nicht anders, wenn er nicht da ist, verlieren alle meine Bemühungen ihren Sinn. Aber dieses ständige hin und her mit ihm ... "Ich hätte dich nach diesem ganzen Scheiß gebraucht, verdammt!", fluche ich und wende meinen Blick von ihm ab. Hat er überhaupt eine Ahnung davon, wie es sich angefühlt hat, nach seinem Verrat, noch einmal von ihm verlassen zu werden. "Enrico ...", beginnt er beschwichtigend, doch ich bin noch nicht fertig. "Dieses verdammte Leben ist ohne dich nicht zu ertragen. Ich habe einfach nur Angst, dass du im nächsten Moment verschwunden bist oder mich wegstößt, weil dir Anette und Kira wieder einfallen. Ich brauche dich, du verdammter Idiot! Merkst du das nicht?", schreie ich ihn an, doch er lächelt nur versöhnlich und kommt die wenigen Schritte, die uns trennen, zu mir. Er nimmt mein Gesicht in beide Hände, sein Blick richtet er voller Zuneigung auf mich. "Ich liebe dich!", haucht er mir auf die Lippen und küsst sie. Dieser verfluchte Drecksack! Wie soll ich ihm denn jetzt noch böse sein? Ich kann einfach nicht anders, als seine Nähe zu genießen, seinen wilden Duft, die weichen Lippen. Mein Magen knurrt laut. Das Geräusch schreckt uns gleichermaßen auf und lässt uns den Kuss unterbrechen. Tonis sieht mich erst fragend, dann vorwurfsvoll an. "Wie lange hast du schon nichts gegessen?", will er ernst wissen. Ich weiche seinem mahnenden Blick aus und antworte verlegen: "Seit Gestern früh?" Die Kekse bei Raphael waren meine letzte Mahlzeit gewesen. Toni schüttelt resigniert mit dem Kopf. "Dann lass uns was essen gehen", schlägt er vor. Ich nicke zustimmend und folge ihm, als er sich in Bewegung setzt. Die Tür unserer heruntergekommen Unterkunft werfe ich nach uns in Schloss. Bleibt zu hoffen, dass wir auf den Bahamas eine besseres Zimmer haben werden. Für den schnellen Hunger reichen mir Hotdogs. Der Verkäufer ist der Selbe, bei dem wir waren, bevor wir Vincent umlegten. Er strahlt uns fröhlich an und verstaut das Kleingeld in seiner großen Geldbörse. Scheinbar sind wir seine besten Kunden, den er freut sich immer, wenn er uns sieht. Was sicher auch an dem einen Doller Trinkgeld liegt, den er immer von mir bekommt, aber seine Hotdogs sind nun mal die besten in ganz New York. Abseits des Standes und aus Hörweite des Mannes, lasse ich mich auf einer Parkbank nieder und vertilge gierig meinen zweiten Hotdog. Mir wird erst jetzt bewusst, wie hungrig ich die ganze Zeit gewesen bin. Das hier wird sicher nicht mein letzter Hotdog bleiben. Toni setzt sich auf die Lehne der Bank, mit den Füßen auf der Sitzfläche. Er hat sich nur einen Hotdog geholt und beißt gerade zum ersten Mal in das Würstchen. Wenn er sich nicht beeilt, werde ich ihm den noch vor der Nase weg klauen. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln. Doch Toni bemerkt meinen gierigen Blick nicht, er sieht in die fernen Baumkronen und scheint über irgendetwas nachzudenken. Er vergisst sogar das Essen dabei und merkt noch nicht einmal, dass ich ihm das Hotdog aus der Hand nehme. Als ich ihn genussvoll verschlinge, warte ich die ganze Zeit auf ein mahnendes Wort von ihm, doch er brauch eine gefühlte Ewigkeit, den Diebstahl zu bemerken. Erst als ich mir den letzten Bissen des Brötchens in den Mund schiebe, sieht er auf seine leere Hand und von ihr zu mir. Sein Gesicht verzieht sich zu einem grimmigen Ausdruck. Während ich ihn frech ansehe, holt er aus und gibt mir einen Klaps auf den Hinterkopf. Ich brumme in mich hinein und reibe über die getroffene Stelle, dann müssen wir beide lachen. So lange war ich nicht mehr fröhlich und ausgelassen, dass es sich irgendwie ungewohnt anfühlt. Meine Wangen schmerzen von dem Dauergrinsen, das ich seit Tonis Rückkehr im Gesicht trage und mein voller Magen rumort beim Lachen. Doch als wir uns wieder beruhigt haben, betrachte ich ihn kritisch. "Worüber hast du nachgedacht?", will ich wissen. Er leckt sich den Ketchup von den Fingern und versinkt wieder in Gedanken. Es braucht ewig, bis er mir antwortet: "Aaron ist richtig sauer auf dich. Er hat irgendwas wegen Giovanni erzählt, aber ich bin nicht schlau daraus geworden. Was hast du ausgefressen?" Mit seinem letzten Satz, sieht er mich mahnend an. Ich rolle mit den Augen und weiche seinem Blick aus. Nun bin ich es, der zu den fernen Baumkronen stiert. Wo soll ich bloß anfangen. Seit er verschwunden ist, haben sich die Ereignisse einmal mehr überschlagen. "Ich bin mir sicher, das Giovanni der wahre Drahtzieher hinter dem Anschlag vor fünf Jahren ist und auch die beiden Attentate der letzten Tage gehen auf sein Konto. Ich kann es nur nicht beweisen." "Hast du Aaron das so gesagt?" Ich werfe einen flüchtigen Blick zur Seite. "Ja!" "Idiot! Jetzt ist Giovanni gewarnt." Ich atme hörbar durch. Toni hat ja Recht, aber ich war so sauer, als Aaron den Dreckskerl in Schutz genommen hat. "Ich weiß, das war dumm von mir", murre ich kleinlaut. Toni seufzt und lehnt sich ein Stück zurück. Sein Blick geht in den dunklen Himmel. Kein einziger Stern ist heute Nacht zu sehen. "Manchmal intervenierst du noch immer, wie ein Grünschnabel. Du lässt dich viel zu sehr von deinen Gefühlen leiten. Lass dir nicht immer so viel in die Karten schauen!" "Tze...", brumme ich abschätzig und kann meinen Blick dabei nicht von ihm lassen. Von meinen Gefühlen leiten, ja, besonders wenn es um ihn geht. "Was schaust du denn so?", will er verwirrt wissen, als er sich meines eindringlichen Blickes bewusst wird. "Sei doch froh, dass ich meinem Herzen viel öfters nachgebe, als meinem Verstand!" Ich lege etwas herausforderndes in meinen Blick, doch Toni rollt nur mit den Augen und wendet sich ab. "Idiot!", murrt er, doch ich kann die Ansätze eines Lächeln in seinen Mundwinkeln aufblitzen sehen. "Bist du jetzt satt? Können wir zurück? Ich wollte noch ein paar Stunden pennen, bevor das Schiff morgen ausläuft", lenkt er schließlich vom Thema ab. Das Stechen in meinem Magen ist tatsächlich verschwunden und nachdem ich auch noch Tonis Hotdog verdrückt habe, bin ich voll bis obenhin. Dann eben zurück in diese Drecksunterkunft, ein bisschen Schlaf nachholen, kann nicht schaden. Als wir eine halbe Stunde später im Bett liegen und ich mich bereits unter meiner Decke eingerollt habe und kurz davor bin einzudösen, scheint Toni noch immer hell wach zu sein. Sein Blick ruht unentwegt auf mir, immer wieder höre ich ihn leise seufzen. Ich bin mir nicht sicher, ob er das aus Erleichterung tut, oder weil ihm etwas zu schaffen macht, also öffne ich meine müden Augen, um nach ihm zu sehen. Er liegt auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Sein Blick wandert von mir an die Zimmerdecke, doch es ist zu dunkel, um seine Gesichtszüge erkennen zu können. "Was hast du?" "Ich dachte du schläfst schon", entgegnet er leise. "Was ist los?" "Es ist seltsam ..." "Was denn?" "Wenn ich mit Anette in einem Bett liege, bin ich froh, wenn sie eingeschlafen ist und mich in Ruhe lässt. Manchmal geh ich schon früher ins Bett, damit ich eingeschlafen bin, bevor sie dazu kommt, oder später, damit sie schon schläft. Am Morgen muss mich dazu zwingen, nicht sofort aufzustehen, wenn wir wachen werden und sie kuscheln will. Bei dir ist das anders. Ich seh dir gern beim Schlafen zu, dann ist alles so still und friedlich in mir. Ich hab mir nie die Zeit dazu genommen, das zu genießen, weil ich ständig Angst hatte, jemand kommt ins Zimmer und merkt etwas davon." Wusste ich es doch, dass er das Fenster mit voller Absicht stets offen gelassen hat. Er wollte das ich zu ihm komme. Idiot! Mit der Hand fahre ich unter seine Decke und lege meinen Arm auf seinen Brustkorb, mit dem Kopf auf seiner Schulter schließe ich wieder die Augen. Er umarmt mich, seine Lippen berühren meine Stirn. Ganz egal das uns dutzende Mörder im Nacken sitzen, das Aaron sauer auf mich ist und das Zimmer eine einzige Katastrophe: Ich fühle mich so geborgen und sicher, dass ich nicht mehr gegen die Müdigkeit ankomme. "Ich liebe dich", haucht er mir in die Haare, bevor ich in einen tiefen Schlaf falle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)