Die Wölfe 5 ~Das Blut des Paten~ von Enrico (Teil V) ================================================================================ Kapitel 34: ~Familie~ --------------------- Als ich ankomme, hat Judy das Anwesen längst erreicht. Rene und Amy pflanzen Blumen im Garten, während meine Frau mit ihrem Vater auf der Veranda sitzen. Sie sehen entspannt aus, trotzdem habe ich kein gutes Gefühl. Mein Motorrad parke ich vor dem Haus und versuche vergeblich die Nervosität zu unterdrücken. Das Herz schlägt mir bis zum Hals und meine Hände sind feucht. "Du bist später!", stellt Aaron ohne besondere Betonung fest. "Ich hatte noch etwas zu klären", sage ich und werfe Judy einen grimmigen Blick zu. Sie wendet sich wortlos ab und beobachtet unseren Kindern. Wenn ich doch nur wüsste, was sie ihm erzählt hat. Aaron erhebt sich und sieht mich auffordernd an. Als er geht, weiß ich, dass ich ihm folgen muss. Noch einmal sehe ich meine Frau finster an. Sie hat ihm also wirklich von mir und Toni erzählt? Aaron führt mich ins Wohnzimmer. Als wir es betreten, deutet er auf einen der beiden Sessel und schließt die Tür. Ich komme seiner Aufforderung nach und setze mich. Mir ist, als wenn ich vor Gericht stehe, mit der sicheren Aussicht auf Hinrichtungen. Der Pate setzt sich in den Sessel vor dem Kamin und faltet die Hände. "Es ist eigentlich nicht meine Art, mich einzumischen, aber wenn meine Tochter so unglücklich scheint, kann ich nicht wegsehen." Ich schlucke schwer und warte jeden Moment auf meine Anklage, doch Aaron bleibt ruhig. "Also, was ist los mit euch beiden?" Ich schau ihn ungläubig an. "Sie hat es dir nicht gesagt?", frage ich fassungslos. "Nein, sie meint es ist alles in Ordnung, aber ich bin nicht blind Enrico. Ihr geht einander aus dem Weg und seht euch an, wie Feinde." Ich bin überrascht. Sie hat also nur geblufft? Das erleichtert mich so sehr, dass ich erst einmal durchatmen muss. Doch Aarons fragender Blick wird dadurch nur forschender. Was sag ich ihm am besten? "Judy ist schwanger", scheint mir der plausibelste Grund für einen Streit zu sein, "Und ich habe wohl nicht so reagiert, wie sie sich das gewünscht hat." Aaron runzelt die Stirn und mustert mich kritisch. "Du glaubst, es ist nicht von dir, oder?" "Nein, fürs Kinder machen scheine ich ein Talent zu haben. Ich will einfach nicht noch ein Kind. Ich habe schon bei den anderen Beiden versagt." Aaron schaut nachdenklich und lehnt sich im Sessel zurück, er wirkt gefasst. Ob er über die Schwangerschaft bereits informiert ist? "Judy wird es behalten und ich würde dir raten, sie nicht in eine andere Richtung zu drängen." Seine Worte klingen nach einem Befehl, also erwidere ich schnell: "Ich war einfach nur geschockt, dass ist alles. Das Letzte, was ich will, ist noch ein Kind zu verlieren." "Noch eines?" Verdammt, das weiß er ja noch gar nicht. Ich seufze und gestehe: "Robin war von mir schwanger. Ich sag doch, ich habe ein Talent dafür, Kinder zu zeugen." Ich versuche mich in einem versöhnlichen Lächeln, doch Aarons Mine verdunkelt sich zunehmends. "Warum sagst du mir das erst jetzt?", schnaubt er. "Weil du nicht danach gefragt hast." Der Pate schüttelt abfällig den Kopf, er knirscht mit den Zähnen und bemüht sich, die Fassung nicht zu verlieren. "Zu meiner Verteidigung: Ich wusste nicht, dass Judy und die Kinder noch am Leben sind, als ich mit ihr schlief", versuche ich die Situation zu retten. "Erzähl mir keine Märchen, Enrico! Ich weiß, wie lange das mit dir und Robin schon ging." Ich schaue zur Seite weg. Auch wenn es gestimmt hat und ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste, dass Judy und die Kinder leben, hat Aaron wohl recht, dass mich das Wissen darum, nicht abgehalten hätte. "Geht es jetzt auch wieder um eine deiner Affären?" Ich schlucke schwer und wage nicht ihn anzusehen. Was soll ich ihm antworten? Es geht immerhin um seine Tochter, die ich seit Jahren betrüge. Ich sage nichts und traue mich kaum zu atmen. Irgendwann seufzt Aaron resigniert, seine Stimme bleibt ruhig und freundlich, als er sagt: "Ich hatte auch mehr Frauen, als gut für mich war, glaub mir, darin liegt kein Segen. Sieh dir allein meine Töchter an, Jede von einer anderen Mutter und keine Frau, hat es länger als ein Jahr mit mir ausgehalten. Affären halten nicht mal halb so lange. Am Ende bist du so alt und allein, wie ich." Er lächelt. Ist er denn gar nicht wütend auf mich? Wir schweigen eine Weile und irgendwann gleitet Aarons Blick an mir vorbei, hinaus aus dem Fenster. Ein warmes Lächeln erhellt sein Gesicht. "Steh auf und sieh aus dem Fenster!", fordert er. Ich verstehe nicht, also bleibe ich sitzen. "Jetzt mach schon und sag mir, was du siehst." Bäume, Gras und Blumen, was soll dort schon zu sehen sein? Ich tue ihm widerwillig den Gefallen, stehe auf und lasse meinen Blick durch den Garten schweifen. Rene und Amy pflanzen noch immer Blumen. Sie sind schon ganz dreckig und haben die Erde an der Kleidung und im Haar kleben. Beide strahlen fröhlich und lachen ausgelassen. Jester steht daneben und zeigt ihnen, wo sie das nächste Loch graben müssen. Der Pate ist unterdessen aufgestanden, ich spüre seine Anwesenheit direkt hinter mir und zucke zusammen, als er mir seine Hand auf die Schulter legt. "Familie ist wichtig und das Beste, was einem passieren kann. Du bist ohne Eltern aufgewachsen, gerade du solltest das wissen." Das ist ein leidiges Thema. Meinen Vater kam bei einem Arbeitsunfall an den Docks um, als ich acht war. Meine Mutter verfiel danach in Depression und Drogensucht, die sie mit Prostitution bezahlte. Irgendwann kam sie nicht mehr nach Hause. So lange ich denken kann, sind mein Bruder und ich auf uns allein gestellt. "Wann hast du dir das letzte Mal die Zeit genommen, deinen Kindern beim Spielen zuzusehen?" Gute Frage. Seit ich zurück bin noch nicht. Es ist das erste Mal, dass ich sie wirklich beobachte. Amy fällt einer der Blumentöpfe aus der Hand, erschrocken betrachtet sie die Scherben, die sich auf dem Beet verteilen. Sie verzieht das Gesicht, sicher beginnt sie gleich zu weinen. Ihr Bruder geht zu ihr und bringt sie mit einer Grimasse wieder zum Lachen. "Du siehst nicht hin und deswegen verpasst du alles. Du hast zwei tolle Kinder und eine wunderschöne Frau und alle Drei brauchen dich, mehr als du erahnen kannst. Rene wünscht sich nichts mehr, als von dir beachtet zu werden und Amy strahlt immer, wenn sie ein Bild für dich malt oder wenn Judy ihr erklärt, dass sie zu dir fahren. Das alles ist ein Geschenk, dass nur all zu schnell verloren geht. Genieße es, so lange es währt!" Aarons Stimme wird leidend, er kämpft mit den Tränen. Ob er wohl an seine getötete Frau denkt. Judys Mutter, war die einzige, mit der Aaron ein ganzes Jahr verheiratet war, vielleicht wäre er auch heute noch mit ihr zusammen. Aber das alles hat nichts mit mir zu tun. Bisher ist Familie eher eine Belastung für mich gewesen, etwas mit dem man mich unter Druck setzen und mich angreifen kann. Doch die Kinder so unbeschwert zu sehen, erfüllt mich tatsächlich mit einem unbekannten Gefühl von Glück. Wahrscheinlich hat Aaron recht und ich sehe nicht oft genug hin, nehme mir keine Zeit, dass Familienleben zu genießen. Meine Frau steht auf und geht zu den Kindern, sie putzt ihnen den Dreck aus der Kleidung. Ihre langen, schwarzen Haare werden vom Wind verweht und fallen ihr seidig ins Gesicht. Das dünne Kleid, liegt eng um ihren geschmeidigen Körper. Sie ist wirklich wunderschön. "Sobald du kein Geld mehr hast und deine gelogenen Versprechen nicht halten kannst, ist jede Affäre verschwunden. Wenn es dir wirklich schlecht geht, werden sie es sein, die für dich da sind und niemand sonst", sagt Aaron streng. Ich muss unwillkürlich an die Tage im Bett denken, als ich nicht aufstehen konnte, weil die Schmerzen zu groß und die Verletzungen noch zu schwer waren. Judy ist tatsächlich nicht von meiner Seite gewichen, hat mir beinah jeden Wunsch von den Augen abgelesen und mich gepflegt, während Amy es fertig gebracht hat, dass ich etwas esse. Toni hingegen, hat sich bei der erstbesten Gelegenheit aus dem Staub gemacht. Und trotzdem, das mit ihm ist keine Affäre. Ihm gehört mein Herz, meine ganze Leidenschaft. Wahrscheinlich ist es eher umgekehrt. Judy und Robin sind meine Affären gewesen, aber das ist nichts, was ich vor dem alten Herrn zugeben kann. "Wir lassen deine Lektionen ausfallen. Bis Kenshin heute Nachmittag kommt, möchte ich, dass du dich um deine Familie kümmerst!", bestimmt Aaron, doch dieses Mal fühlt es sich nicht wie ein Befehl, sondern wie eine Bitte an. "Okay!", entgegne ich und kann meinen Blick nicht von den fröhlichen Gesichtern meiner Familie lassen. Ein seltsamer Frieden überkommt mich, je länger ich sie beobachte. Aaron verlässt das Wohnzimmer, er schließt die Tür nach sich. Ich ignoriere, dass er geht. Die Kinder haben die letzte Blume gepflanzt, strahlend betrachten sie ihr Werk. Zur Belohnung bringt Jester gerade ein Tablett mit Kuchen und Süßigkeiten zur Veranda. Die Augen meiner Kinder werden immer größer, beschwingt folgen sie ihrer Mutter und dem Butler zum Tisch. Während sie sich über die Süßspeisen hermachen, knurrt mein Magen. Ich habe wieder nicht gefrühstückt. Das mit den regelmäßigen Mahlzeiten, bekomme ich einfach nicht hin, aber wenn ich mich beeile, kann ich vielleicht noch etwas von dem Kuchen ergattern. Als ich die Veranda erreiche, sind lediglich zwei Stück Apfelkuchen übrigen, eines davon nimmt sich meine Tochter. Ein Schwarm Heuschrecken ist nicht halb so gefräßigen, wie meine Kinder. Als ich zu ihnen gehe und mir das letzte Stück nehme, sehen mich alle böse an. "Das ist unser Kuchen! Den bekommen nur die, die im Garten geholfen haben, hat Jester gesagt", erklärt mein Sohn. Ich schaue zum Butler, er nickt mir zu. Judy hat auch nicht geholfen und bekommt Kuchen, dann darf ich das erst recht. Mit den Schultern zuckend, beiße ich hinein und sehe Rene herausfordernd an. Er zieht einen Schmollmund und schaut grimmig zurück. Das Kind gönnt mit auch nichts, dabei werde ich von dem kleinen Stück nicht mal satt. "Kannst du mir noch was zum Frühstück machen, Jester? Ich bin am Verhungern!", bitte ich den Butler. Er nickt verstehend und geht zurück ins Haus. "Vielfraß!", schimpft Rene. "Selber! Du hast den halben Kuchen noch im Gesicht kleben." Rene fasst sich an Mund und Wangen und verteilt die Kuchenkrümel weiter im Gesicht. Ich schmunzeln. Verschämt wendet er sich ab. Na zumindest ist er mir beim Essen ähnlich, wenn wir auch sonst nichts gemeinsam zu haben scheinen. Von dem Jungen sehe ich zu Judy. Als sie sich meines Blickes bewusst wird, wendet sie sich demonstrativ ab. Ich setze mich in einen der Stühle, direkt neben sie und betrachte sie so lange eindringlich, bis sie mir zumindest einen kurzen Moment ihre Aufmerksamkeit schenkt. "Warum hast du's ihm nicht gesagt?", will ich wissen und bemühe mich um einen freundlichen Ton. Sie lächelt bitter. "Wer sagt denn, dass ich das nicht noch mache?" Sie lügt. Wenn sie etwas in die Tat umsetzen will, fackelt sie nie lange. Es muss einen Grund dafür geben, dass sie geschwiegen hat. "Das ist nicht die Antwort auf meine Frage!" Judy sagt nichts. Wie ich es hasse, wenn sie mich ignoriert. Sonst quasselt sie doch auch, wie ein Wasserfall, warum nicht jetzt? Ich will gerade weiter nachhaken, als Amy zwischen uns auftaucht. Ihr großen, dunklen Augen betrachten mich erwartungsvoll, sie streckt die Arme nach mir aus. Ich nehme sie hoch und setzte sie auf meinen Schoß. Das Mädchen strahlt und wippt vergnügt mit den Beinen, während sie sich die letzten Kuchenkrümel vom Tisch fischt. Aaron hat wohl recht, sie ist wirklich immer fröhlich, wenn sie bei mir sein kann und ich bin es auch jedes Mal, wenn ich ihr Lächeln sehe. "Was wollte Vater von dir?", will Judy auf einmal wissen. "Mir ins Gewissen reden." "Und, hat es was gebracht?" "Ich sitze hier bei euch, also muss es das wohl." Judys Augen bekommen ein seltsamen Glanz, ich kann ihren Blick nicht deuten. Jester kommt mit einem Tablett zurück. Es duftet nach Speck und Eiern, selbst eine Karaffe frischen Orangensaft hat er gepresst. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ungeduldig warte ich darauf, dass er es endlich vor mir abstellt. Der Butler hat sich sogar die Mühe gemacht, eine Melone zu vierteln. Um in Ruhe essen zu können, nehme ich Amy von meinem Schoß und setze sie auf einen freien Stuhl. Sie schaut mich vorwurfsvoll an, doch als ich ihr ein Stück der Melone reiche, strahlt sie wieder. Wie gut, dass sie so einfach zu bestechen ist. Mein Sohn hingegen schaut immer wieder grimmig in meine Richtung. Als ich ihm auch ein Stück Melone reiche, dreht er sich nur demonstrativ weg. Schulterzuckend esse ich das Stück selbst und mache mich gierig über das gebrachte Frühstück her. Amy pult aus ihrer Melone jeden einzelnen Kern heraus und häuft sie auf dem Tisch. Erst als sie keinen mehr finden kann, beißt sie hinein. Ganz wie ihre Mutter, ob sie sich das von ihr abgeschaut hat? Mir sind die Kerne egal, die Geduld sie alle heraus zu sammeln bringe ich nicht auf. Amy verschlingt das rote Fruchtfleisch, der Saft läuft ihr rechts und links die Wangen hinab. Bald ist nur noch die grüne Rinde übrig. Sie legt die Überreste mit auf meinen Teller, dann schiebt sie sich die aufgehäuften Kerne in die hohle Hand. Was sie jetzt wohl damit vor hat? Vorsichtig rutscht sie vom Stuhl und legt ihre zweite Hand über die Kerne, dann läuft sie zum Blumenbeet, in dem sie und Rene gepflanzt haben. Mit den Knien voran, wirft sie sich in die feuchte Erde und beginnt ein Loch zu graben. Als es ihr tief genug ist, wirft sie alle Samen hinein und schüttet das Loch wieder zu. Ich muss über ihr Vorhaben lächeln. Demnächst werden wir also Melonen ernten können. Amy betrachtet ihr Werk zufrieden, dann steht sie auf. Ihr weißes Kleid hat nun zwei weitere braune Flecke hinzu bekommen. Ihre Mutter rollt genervt mit den Augen. Warum zieht sie dem Kind auch ein weißes Kleid an? Unser Tochter erhebt sich und kommt zu uns zurück. „Wuuuf!“ Wie angewurzelt bleibt das Mädchen auf halben Wege stehen. Furchtsam schaut sie zum Zwinger. Scotch zwängt seine Schnauze zwischen den Stäben hindurch und knurrt sie an. Amy zuckt zusammen und geht einen großen Bogen um den Käfig herum. Seltsam! Der Hund reagiert, als wenn Amy ein Eindringling wäre, dabei wohnt sie doch schon eine ganze Weile hier. Hat sich eigentlich noch keiner die Mühe gemacht, dem Wachhund klar zu machen, dass die Kinder zur Familie gehören? "Habt ihr Würstchen im Haus?", will ich von Jester wissen. "Bist du denn noch immer nicht satt?" Er betrachtet das leere Tablett, seine Augen weiten sich. "Nein. nicht für mich, für die Hunde." "Die haben doch Futter", stellt meine Frau mit Blick in den Zwinger fest. Tatsächlich stehen dort zwei mit Trockenfutter gefüllter Näpfe und zwei weitere mit Wasser. Beides haben die Hunde bisher noch nicht angerührt. Kein Wunder, Aaron füttert sie immer mit dem selben Futter, das dürfte den Beiden schon zum Hals heraus hängen. "Bring mir einfach etwas Fleisch oder Wurst!", bitte ich den Butler noch einmal. Er zuckt mit den Schultern und geht zurück ins Haus. "Was hast du vor?", will meine Frau wissen und beäugt mich misstrauisch. Ich lächle nur geheimnisvoll und setzte Amy zurück auf meinen Schoß. Vergnügt baumelt sie mit den Beinen. Das Kind ahnt ja auch nicht, was ich gleich mit ihr vor habe. Mit einem falschen Grinsen im Gesicht, streichle ich ihr über die Haare. Judy mustert mich kritisch und auch Rene schaut mich mit einem warnenden Blick an, dabei blüht dem Jungen genau das Selbe. Ich werfe ihm ebenfalls einen aufforderndes Grinsen zu, bis er verwirrt darunter hinweg sieht. Jester kommt mit einer Hand voll Würstchen zurück. Ich nicke ihm dankend zu und setzte Amy ab, um sie entgegen zu nehmen. Meine Tochter schaut mich mit großen Augen fragend an. Ich lächle auffordernd, als ich sich sie an die Hand nehme und auf direktem Wege zum Zwinger führe. Das Kind folgt mir anstandslos, bis uns nur noch zwei Schritte von den Hunden trennen, dann bleibt sie abrupt stehen und sieht mich kopfschüttelnd an. Ich drücke ihre kleine Hand. Sie muss wirklich keine Angst haben. Scotch schnüffelt bereits neugierig und streckt die Schnauze nach ihr aus. Das Kind macht einen Schritt zurück und betrachtet mich zweifelnd. Ich lächle versöhnlich und gebe ihr die Würstchen. Abwehrend schaut mich an. Die Arme streckt sie weit von sich, um sie mir zurück zu geben. Doch anstatt sie ihr abzunehmen, fische ich den Schlüssel vom Zwingerdach. Brandy läuft aufgeregt vor der Tür hin und her und drängt Scotch schwanzwedelnd zur Seite. Ihr Interesse gilt mir. Sie wuft vor Vorfreude auf eine Streicheleinheit. Scotchs Blick hingegen ist an den Würstchen festgeheftet, seine Zunge hängt weit aus dem Maul heraus und ein langer Sabberfaden läuft an ihr hinab. Seine Aufgabe als Wachhund, hat er bereits vergessen. Mit ihm werden wir anfangen. Ich schließe den Zwinger auf und trete ein. Amy, geht einen weiteren Schritt zurück und schaut mich ängstlich an. Brandy kreist mir sofort um die Beine und schiebt ihren Kopf unter meinen Arm. Immer wieder stupst sie mich mit der Schnauze an. Scotch hingegen versucht sich an mir vorbei und hinaus aus dem Zwinger zu schieben. "Enrico, lass den Mist! Das sind Wachhunde!", mahnt Judy. Sie richtet sich auf und durchbohrt mich, mit einem drohenden Blick. Ich ignoriere ihren Protest. „Ab!“, mit ausgestreckten Zeigefinger, schicke ich Brandy in eine Ecke des Zwingers. Sie geht gehorsam dort hin und setzt sich. Bevor sich Scotch an mir vorbei zwängen kann, packe ich ihn am Halsband und ziehe ihn daran ins Freie. Der Hund hat nur ein Ziel, die Würstchen in den Händen meiner Tochter. Er drängt in ihre Richtung. "Sitz!", weiße ich ihn streng an. Er reagiert nicht. "Sitz!", sage ich lauter. Der Rüde sieht erschrocken zu mir und setzt sich. Als er endlich Ruhe gibt, schließe ich den Zwinger. Amy ist noch einen weiteren Schritt zurückgewichen und betrachtet den Hund ängstlich. Ich strecke meine Hand nach ihre aus und winke sie zu mir, doch das Mädchen bleibt wie angewurzelt stehen. "Du musst keine Angst haben. Scotch liebt Würstchen und Menschen die ihn damit füttern. Komm her!", rufe ich ihr zu. Judy kommt energisch einen Schritt näher: "Enrico, das ist ein Wachhund, mit dem ist nicht zu spaßen. Sperr ihn ein! Sofort!" "Was macht er denn da?" Aaron tritt auf die Veranda. Er pafft an einer Zigarre und betrachtet mich kritisch. "Sag was, Vater!" "Enrico, die Hunde sind nicht zum Spielen da!" Das ist mir klar. Das hier wird auch kein Spiel, sondern eine lebenswichtige Lektion. "Wenn die Kindern hier wohnen, müssen sie lernen, mit den Hunden umzugehen!", entscheide ich und sehe ihn und meine Frau streng an. Was wenn jemand mal vergisst die Hunde einzusperren und Amy und Rene sorglos in den Garten gehen? "Platz und bleib!", weise ich Scotch an, der schon wieder an seinem Halsband zieht. Gehorsam legt sich der Rüde ins Gras und betrachtet mich aufmerksam. Ich wage es sein Halsband loszulassen und kann das erschrockene Stöhnen von Judy und Aaron hören. Der Rüde rührt sich nicht vom Fleck und auch die Würste scheint aus seinen Gedanken verschwunden zu sein. Die Ohren gespitzt, lässt er mich nicht aus den Augen und wartet, so wie ich es ihm befohlen habe. Er ist zwar verfressen, aber gut erzogen, es wird schon klappen. Langsam entferne ich mich von ihm. Ich lasse den Hund keinen Moment aus den Augen, während ich zu meiner Tochter gehe. Er rührt sich nicht, seine Ruhte liegt flach auf dem Boden, die Ohren zucken aufmerksam. Solange ich ihm keinen neuen Befehl gebe, wird Scotch seine Position nicht verlassen. Als ich Amy erreiche, steht sie noch immer, wie angewurzelt da. Ihre dunklen Mandelaugen, mustern den Hund wild, ihre kleinen Hände zittern. Die Würstchen hält sie weit von sich weg, bereit sie im Notfall sofort fallen zu lassen. Ich nehme sie ihr ab und greife ihre kalte Hand. Mit einem warmen Lächeln betrachte ich sie. „Er wird dir nichts tun, ich verspreche es dir“, versuche ich ihr Mut zu machen. Das Kind schluckt schwer und nickt vorsichtig. Gemeinsam gehen wir einen ersten Schritt auf den Hund zu. Scotch hält die Nase in den Wind, sein Blick wandert auf die Würstchen in meiner Hand. Er robbt ungeduldig eine Fußlänge auf uns zu. Ernst sehe ich den Rüden an und warne ihn laut: „Bleib!“ Er leckt sich über die Lefzen und rutscht zurück. Sein Schwanz zuckt ungeduldig und fegt die Grashalme von einer auf die andere Seite. „Rawuff!“, bellt er, als wir einen weiteren Schritt näher kommen. Amy zuckt zusammen und versteckt sich hinter meinem Rücken, ihre kleinen Finger krallen sich in mein Hosenbein. "Siehst du nicht, dass sie Angst hat?", ruft Judy und dreht sich zu ihrem Vater, "Mach doch was!" "Lass ihn machen!" "Was?" Sie sieht ihren Vater entsetzt an. Der Pate lässt sich in einen der Stühle nieder und lehnt sich gelassen zurück. "Wir hätten die Kinder längst an die Hunde gewöhnen sollen." Mein Reden! Amys Angst ist ihr sicher von ihrer Mutter eingeredet wurden, damit sie nicht allein in den Garten geht. Dabei liebt meine Tochter Hunde über alles. Wir haben früher selbst zwei Schäferhunde gehabt, die den Hof der Fabrik bewachten. Wenn wir Amy nicht finden konnten, lag sie meist in der Hundehütte, auf einem der zwei Rüden und ließ sich das Gesicht und die Ohren sauber lecken. Judy sieht zwischen mir und ihrem Vater hin und her, schließlich verschränkt sie genervt die Arme. „Na schön, macht doch was ihr wollt!“ Dafür brauche ich ihre Erlaubnis nicht. Als wir den Rüden endlich erreichen, krallen sich die Finger meiner Tochter, noch tiefer in mein Hosenbein. Wild mustert sie die Schnauze des Rüden, der uns mit schief gelegtem Kopf betrachtet. Ich gehe vor ihm in die Hocke und streiche ihm über den Kopf. „Guter Junge!“ Er legt die Stirn in meine Hand. Sein Hals wird immer länger, die Schnauze streckt er nach den Würstchen aus. Er hat wirklich lange genug darauf gewartet. Ich halte ihm eine vor die Nase. Ganz vorsichtig, nur mit zwei Schneidezähnen, zieht er sie mir aus den Fingern. Erst als ich sie nicht mehr berühre, saugt er sie gleich einem Staubsauger auf, kaut hastig und würgt sie hinunter, als wenn es die letzte Mahlzeit in seinem Leben wäre. Amy beobachtet uns aufgeregt, immer wieder schielt sie um meine Beine herum. „Er ist ganz lieb, wirklich“, lasse ich sie wissen und kraule den Rüden hinter den Ohren. Scotch beachtet das Kind nicht, seine Nase streckt er in Richtung der Würstchen. Ich gebe ihm noch eines und wieder greift er es vorsichtig mit den Eckzähnen. Die Angst in den Augen meiner Tochter weicht kindlicher Neugier. Sie kommt einen Schritt um mich herum. Ihre Finger wandern meinen Arm hinauf, bis sie die Hand mit den Würstchen erreicht. Ich gebe ihr eine ab und schaue sie auffordernd an. Wie beiläufig greife ich nach dem Halsband des Hundes. Sollte Scotch doch auf dumme Ideen kommen, kann ich ihn so direkt wegziehen. „Braves Hundi“, flüstert meine Tochter und schwenkt das Würstchen vor Scotchs Nase. Der Rüde schnüffelt daran und sieht mich dann fragend an. Eigentlich darf Scotch kein Futter von Fremden annehmen. Lediglich Aaron, Jester und ich, können ihn aus der Hand füttern. So bleibt gewährleistet, dass keiner den Hunden Giftköder unterjubeln kann. Amy streckt ihre Hand weiter aus, legt die Wurst dem Hund an die Nase. Scotch schnüffelt und leckt sich immer wieder über die Schnauze. Ein langer Sabberfaden fließt in die grüne Wiese, doch er wagt nicht hinein zu beißen. Guter Hund! Erst als ich meine Hand über die meiner Tochter lege und mit ihr Scotch präsentiere, wagt er es, sie zu nehmen. Er ist noch behutsamer, greift sie kaum merklich. Als Amy sie loslässt, gibt auch er sie frei. Sie landet im Gras, vor den Pfoten des Hundes. Mit einer Kralle zieht Scotch sie zu sich und frisst sie erst, als sie außer Reichweite der Kinderhand ist. Während er sie genüsslich zerkaut, nehme ich Amys Hand und lege sie auf den Kopf des Hundes. Gemeinsam kraulen wird den Rüden hinter den Ohren. Ich lege ihm die restlichen Würstchen zwischen die Pfoten. Sein Schwanz wedelt freudig. Die kleinen Finger an seinem Kopf stört ihn nicht, auch nicht Amys freudiges Quietschen, als sie die zweite Hand in seinem glatten Rückenfell vergräbt. Er schaut noch nicht einmal auf. Trotzdem behalte ich sein Halsband sicher im Griff. Bisher habe ich Aarons Wachhunde noch nicht im Umgang mit Kindern erlebt. Meine Hunde sind damit aufgewachsen. Scotch und Brandy hingegen kennen keine groben Kinderhände, die ihnen das Fell raufen. Als der Rüde den letzten Wurstzipfel gefressen und das Grass um seine Pfoten noch einmal gründlich abgesucht hat, dreht er den Kopf und betrachtet die kleinen Hände kritisch. Amy löst sich von mir und reibt dem Hund fröhlich strahlend den ganzen Rücken ab. Kleine Fellbüschel loser Haare rollen sich darüber hinweg. Die Muskeln des Rüden spannen sich an. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich. Mein Griff um das Halsband wird fester. Ich will Amy gerade von ihm wegziehen, als sich Scotch zur Seite dreht und auf den Rücken fallen lässt. Er streckt die Pfoten in die Höhe und präsentiert meiner Tochter seinen hellen Bauch. Amy quietscht vergnügt, sie kennt diese Aufforderung und massiert den dargebotenen Brustkorb des Hundes. Scotch wälzt sich auf der Wiese, sein rechter Hinterlauf zuckt, er genießt die Streicheleinheiten. Offensichtlich habe ich mir völlig zu unrecht Sorgen gemacht. Ich gebe das Halsband frei und kraule Scotch beide Ohren. „Du bist eben doch ein zu groß geratenes Kuscheltier“, necke ich ihn, während er versucht mir das Gesicht zu lecken. Seine raue Schlabberzunge berührt mich an Nase und Wange. So viel Aufmerksamkeit auf einmal, ist er nicht gewöhnt. Sein Hinterlauf dreht bereits durch, sein Schweif mäht den Rassen, während seine Zunge große Pfützen bildet. Schließlich windet er sich unter uns heraus und springt auf die Beine. Für einen Moment bin ich versucht nach Amy zu greifen und sie hinter mich zu ziehen, doch der Rüde prescht davon. Er steuert zielsicher einen nahen Stock an, den er unter einer Fischte hervor zieht und läuft damit fröhlich bellend davon. Ich atme erleichtert durch. Er will nur spielen, keinen Moment lang ist er aggressiv gewesen. Alles ist gut. Amy versteht die Aufforderung sofort. Als sie dem Hund nachjagt lasse ich sie gehen. Das Kind ist mit Hunden aufgewachsen, sie kennt ihre Körpersprache. Während ich mich erhebe, hat Amy den Rüden eingeholt. Sie bleiben voreinander stehen und betrachten sich argwöhnisch. Ich halte den Atem an. War das wirklich klug von mir? Auch Aaron und Judy beobachten das Geschehen besorgt. Beide drücken sich aus ihrem Stuhl. Scotch macht einen Schritt auf das Kind zu. Ich hole Luft, um den Hund zurückzurufen. Der Rüde legt den Stock im Gras ab und tritt einige Schritte zurück. Auffordernd legt er den Oberkörper ins Grass und wackelt mit dem Hinterteil. Immer wieder wuft er freundlich. Amy nimmt den Stock. „Wuhhff!“, bellt Scotch lauter und springt in die Luft. Mein Herz setzt einen Schlag lang aus. Wenn er sie jetzt anspringt, werde ich nicht mehr schnell genug dazwischen gehen können. Der Hund landet butterweich, auf genau der selben Stelle, von der er abgesprungen ist. Er macht keinen Schritt nach vorn. Selbst als Amy ausholt und den Stock ungeschickter Weiße, nur wenige Zentimeter vor sich fallen lässt, bleibt er auf Abstand. Erst bei Amys zweitem Versuch, fliegt er weit genug, das der Rüde es wagt, ihm nach zu jagen. Ich atme erleichtert durch und greife mir an mein bebendes Herz. Von der Veranda aus, kann ich die mahnenden Blicke Judys und Aarons auf mir spüren. Mit einem verlegenen Grinsen schaue ich zu ihnen, und kratze mich am Hinterkopf. Das hätte schief gehen können. Der Pate schüttelt nur mit dem Kopf und macht es sich in seinem Stuhl gemütlich. Meine Frau betrachtet mich noch eine ganze Weile mahnend und auch Rene sieht finster drein. Ich ignoriere ihre Blicke und schaue meinen Sohn auffordernd an. Amy hat ihre Aufgabe gut gemeistert, nun ist er an der Reihe. Mein Junge ahnt was ihm blüht. Er greift nach seinem Glas Limonade und setzt sich demonstrativ auf einen der Stühle. Als ich auf die Veranda zuhalte und ihn noch immer ansehe, meint er ernst: „Vergiss es! Ich fasse die Viecher nicht an!“ Mit Hunden hat sich mein Sohn schon immer schwer getan. Tonis weißer Perser, war ihm lieber. Der Kater verfolgte ihn auf Schritt und Tritt und ließ sich von ihm durch die Fabrikhallen tragen. Ich hingegen konnte das Katzenvieh nicht mal streicheln, ohne angefallen zu werden. Dafür machten die Schäferhunde einen großen Bogen um meinen Sohn. Na das kann etwas werden. Als ich den Tisch erreiche, sehe ich ihn noch immer auffordern an. „Los komm! Wir holen Brandy auch noch aus dem Zwinger!“, fordere ich ihn auf. Rene schaut nicht auf, er nippt an seinem Glas und bleibt demonstrativ sitzen. „Nein!“ „Komm schon, sie müssen auch auf dich hören!“ „Nein, lass mich in Ruhe! Ich mag keine Hunde!“ Ich rolle mit den Augen. Hat dieses Kind denn gar nichts von mir? „Du musst sie nicht mögen, nur mit ihnen umgehen können“, sage ich streng. Er schüttelt mit dem Kopf und klammert sich an seinem Glas fest, seine Füße harkt er hinter den Stuhlbeinen ein. Ich werde eine Brechstange brauchen, um ihn von dort loszubekommen. Seufzend umrunde ich den Tisch und ziehe ihm das Glas aus der Hand. „Ich will nicht!“, schreit er bedrohlich, als ich es auf dem Tisch abstelle. Seine Mutter packt mich am Handgelenk, sie sieht mich eindringlich an. „Lass ihn doch!“ „Nein!“, entgegne ich und greife mir Rene samt Stuhl. Als er wild zu zappeln beginnt, ziehe ich ihm den Stuhl unter dem Hintern weg und stelle ihn wieder an seinen Platz. Mit dem strampelnden Kind unter dem Arm, verlasse ich die Veranda. „Lass mich los! Du bist gemein! Ich will nicht!“ Seine Stimme wird immer bedrohlicher, je näher wir dem Zwinger kommen. Er tritt nach mir, immer wieder, bis er mich am Oberschenkel und zwischen die Rippen trifft. Ein jeher Schmerz zuckt durch meinen Oberkörper, reflexartig lasse ich ihn los. Unsanft landet der Junge im Gras, auf allen Vieren hockend sieht er zu mir auf. Seine eisblauen Augen funkeln mich wütend an. „Ich hasse dich!“, schreit er und rennt davon. Zurück zur Veranda, unter den Tisch hindurch, und durch die Glastür ins Haus. Nach ihm kracht sie ins Schloss. Seufzend sehe ich ihm nach. So schnell werde ich den nicht wieder sehen. Den Jungen zu seinem Glück zu zwingen, war wohl keine gute Idee gewesen. Amy hätte sicher gelacht und vor Freude gequietscht, wenn ich sie einfach wegtrage, aber er. „Das hast du nun davon!“, lacht Judy und gießt sich in aller Ruhe ein Glas Limonade ein. Aaron zuckt mit den Schultern und Schmatzt abwertend, dann nimmt er sich eine Zeitung vom Tisch und schlägt sie auf. Ich sehe schon, sie werden mir mit Rene nicht helfen. Was mache ich nur mit diesem Kind, wenn ich es nicht mal schaffe, ihn mit den Wachhunden vertraut zu machen? Während Amy mit Scotch durch den Garten tobt und beide schon längst ein Herz und eine Seele sind, muss ich mir eingestehen, dass sich Rene und ich einmal mehr voneinander entfernt haben. Resigniert laufe ich zur Veranda und um den Tisch herum. Ich schiebe die Glastür auf und schaue mich im Wohnzimmer um. Der Raum ist leer, ich kann keinen blonden Haarschopf erkennen. Das Anwesen hat gut zwei dutzend Zimmer, alle groß genug, um einen Siebenjährigen zu verschlucken. Wo soll ich mit der Suche anfangen? Leises Schluchzen dringt vom Flur herein. Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals. Ich wollte den Jungen nicht zum Weinen bringen. Mit langsamen Schritten folge dem Geräusch, hinaus aus dem Wohnzimmer, bis hin zur großen Treppe, die in den erste Stock führt. Rene sitzt auf der vierten Stufe, den Kopf hat er auf die Knie gebettet. Mit jedem Schritt, den ich näher komme, wird sein Schluchzen lauter und herzzerreißender. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter und setze mich zu ihm. Sein blonder Wuschelkopf hebt sich, erschrocken schaut er mich an und rutscht von mir weg. Ich sehe unter seinem anklagenden Blick hinweg und falte die Hände. „Es tut mir leid“, zwinge ich mich zu sagen, auch wenn es nicht stimmt. Es war doch nichts schlimmes, was ich mit ihm vor hatte. Er soll sich hier doch einfach nur frei bewegen können. Wie mache ich ihm das nur klar? „Wieso bist du immer so fies zu mir?“ Keine Ahnung? Vielleicht weil er mich mit seiner Art bis aufs Blut reizt? Weil er ungehorsam ist und nicht tut, was ich ihm sage? Schon bei dem Gedanken daran, steigt neue Wut in mir auf. Manchmal möchte ich ihm einfach nur den Hintern versohlen. Ich verdränge den Gedanken und die Antworten auf seine Frage. Was genau macht mich nur so schrecklich wütend? „Ich habe Angst um dich!“, sage ich und sehe meinen Sohn von unten herauf an. Er dreht sich weg. „Ja, schon klar! Deswegen willst du mich auch den Hunden zum Fraß vorwerfen!“ Meine Hände balle ich zu Fäusten, heißer Zorn steigt in mir auf. Ich schütte ihm hier mein Herz aus und er reagiert immer noch abweisend. Tief atme ich durch und versuche mir meine Wut nicht anmerken zu lassen. „Ich will dass sie dich beschützen! Du sollst mit ihnen umgehen können!“ „Mhm!“ Rene zuckt mit den Schultern. Mit dem Handrücken wischt er sich die Tränen von den Wangen und zieht die Nase hoch. Ich betrachte den Jungen lange, ohne ein Wort zu sagen. Seine abgewandte Haltung, der verstohlene Blick, den er mir immer wieder zwischen seinen blonden Haaren hindurch zuwirft. „Du hasst mich wirklich, oder?“ Resigniert wende ich mich von ihm ab. „Du mich doch auch“, murrt er kleinlaut. Ich lächle bitter. So denkt er also von mir? „Du gehst mir schon manchmal ganz schön auf die Nerven, du Rotzlöffel!“, sage ich mit gespielter Ernsthaftigkeit. Mit einem fiesen Grinsen im Gesicht, betrachte ich meinen Sohn. Er schaut verwirrt und ängstlich zurück. Mein Grinsen wird breiter. Bevor er aufspringen und wegrennen kann, lege ich ihm den Arm um die Schulter und ziehe ihn zu mir. Die Knöchel meiner Faust, reibe ich durch seine blonden Haare. Der Junge versucht sich von mir wegzudrücken, er dreht und windet sich. „Ahh nein! Lass das!“ Er strampelt noch mehr. Um ihn besser festhalten zu können, hebe ich ihn hoch, klemme ihn mir unter den Arm und stehe auf. Er quietscht erschrocken und wirft mir einen finstersten Blicke zu. „Weißt du, was ich wirklich hasse? Dass du immer ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter machst. Lach doch mal!“, rate ich ihm und drehe ihn auf den Kopf. Sein Shirt rutscht ihm vom Bauch und verfängt sich zwischen seinen Achseln. Seine Arme baumeln nutzlos darin herum. So bewegungsunfähig gefällt er mir. Ich nutze die Gunst der Stunde, um ihn mal ordentlich durch zu kitzeln. Vielleicht entlocke ich ihm ja damit ein Lächeln? Rene zappelt und quietscht. Ich bin mir nicht sicher, ob er das aus Vergnügen tut, oder weil er mich jetzt noch mehr hasst. „Nein, nicht! Aufhören!“ „Wirst du jetzt ein braver Junge sein und tun, was man dir sagt?“, will ich wissen und kitzel ihn besonders intensiv an den Seiten, wo er es am wenigsten leiden kann. Er quietscht und strampelt, ich muss mich anstrengen ihn nicht los und auf die Stufen fallenzulassen. „Nein!“, brummt er und unterdrückt mit aller Kraft das Lachen. Trotzdem kann ich den Ansatz eines Lächelns auf seinem Gesicht erkennen. „Wirklich nicht?“ „Nein, niemals!“ Sturer Hund! Ich muss wohl härter Geschütze auffahren. „Wie du willst!“ Ich hole tief Luft und Puste ihm auf den nackten Bauch. Als Baby hat er sich dabei immer kaputtgelacht und auch jetzt kann er es sich nicht verkneifen. „Nein, haahh hhaaa! Das ist gemein!“ Vergeblich versucht er ernst zu bleiben. Noch einmal hole ich Luft und puste sie ihm ungebremst auf den Bauch. Er quietscht hell und laut, sein Lachen erfüllt die ganze Empfangshalle. Zufrieden sehe ich ihm dabei zu und puste noch mal. „Hhaaa haa! Okay, okay, ich bin lieb! Lass mich runter“, keucht er atemlos. Geht doch! „Bist du dir sicher?“, frage ich vorsichtshalber und kitzel ihn noch einmal durch. „Jaahhh! Bitte! Gnade!“ Na gut, dann will ich mal nicht so sein. Ich gehe die vier Stufen hinab und setzte ihn auf der letzten ab. Keuchend sieht er mich an, er runzelt die Stirn, der finstre Blick kehrt in seine Mundwinkel zurück. Er streift sich das Shirt wieder über, dann grinst er gehässig. „Reingefallen!“ Der Junge streckt mir die Zunge raus und flüchtet. Ich schaue ihm verwirrt nach. Die kleine Mistkröte hat mich verarscht? Aber nicht mit mir. Ich setze ihm nach. Rene dreht sich immer wieder nach mir um. Sein vergnügtes Lachen verschwindet hinter der Tür zum Wohnzimmer, die er mir vor der Nase zuwirft. Diese Ratte! Als ich das Zimmer öffne, ist er bereits im Garten verschwunden. Auch die Verandatür hat er zugeschlagen. Während ich sie aufschiebe und ins Freie trete, suche ich den Garten nach ihm ab, doch ich kann das Kind nirgendwo sehen. Wohin hat er sich nur so schnell verkrochen? Ich mache einen weiteren Schritt ins Freie, als mich etwas eisiges am Kopf erwischt. Erschrocken fahre ich zusammen. Kalte Limonade läuft mir ins Gesicht, zwei Eiswürfel verfangen sich in meiner Kleidung und lassen mich erschaudern. Rene steht auf der weißen Holzbank, direkt neben mir. Er grinst breit und hält eine leere Glaskaraffe in der Hand. Frech grinst er mich an. Dieser kleine Teufelsbraten! Mein Blick streift den grünen Gartenschlauch, direkt unter der Bank. Was er kann, kann ich besser. Ich erwidere seinen fiesen Blick. „Lauf!“, rate ich ihm und bücke mich nach dem Schlauch. Seine eisblauen Augen folgen mir. Als er mein Vorhaben erkennt, drückt er die Glaskaraffe seiner Mutter in die Hand und ergreift die Flucht. Laut lachend flüchtet er von der Veranda. Mit zwei schnellen Handgriffen, drehe ich den Hahn an der Wand auf und setze ihm nach. Das Wasser strömt in einem weiten Strahl auf den Rasen. Ich klemme das Ende eng zusammen, um die Reichweite zu erhöhen. Obwohl Rene ein ganz schönes Tempo vorlegt und uns gut drei Schrittlängen trennen, treffe ich ihn im Rücken. „Ahhh! Das ist unfair!“, kreischt er. „Ja? Sagt wer?“, entgegne ich gelassen und spritze ihm den Wasserstrahl so lange in den Rücken, bis sich seine ganze Kleidung voll gesaugt hat. Es ist ein heißer Sommertag und die Abkühlung wird seinem Hitzkopf sicher gut tun. Rene schlägt Hacken und flüchtet weiter, doch bei diesem Spiel bin ich schneller. Egal wohin er läuft, ich bleibe ihm dicht auf den Fersen und der Wasserstrahl in seinem Rücken. Erst ein heftiger Ruck lässt mich inne halten. Der Schlauch flutscht mir aus den Händen, verwirrt drehe ich mich um. Amy grinst mich breit an, sie hält das Ende in der Hand und richtet es direkt auf mein Gesicht. Bevor ich reagieren kann, strömt mir das eisige Nass in die Haare, in die Augen und den Hals hinab. Rene kommt zurück, er hilft seiner Schwester und beide drehen den Spieß um. Bald klebt mir die Kleidung eng am Körper, Wasser sammelt sich in meinen Schuhen und ist einfach über all. Ich schaffe es gerade so, meine Hand zwischen den Strahl und mein Gesicht zu bringen, um atmen zu können. „Wuff!“, bellt es neben mir. Scotch springt in den Wasserstrahl und versucht ihn mit denn Zähnen zu fangen. Gemeinsam mit den Kindern umkreist er mich. Ihr helles Lachen und sein Gebell sind überall. Der grüne Schlauch, ziehen sie hinter sich her, gleich einer Schlange windet er sich an mir vorbei. Ich lächle siegessicher und trete einfach darauf. Das Wasser staut sich, der Strahl schwächt ab und endet in einem Tröpfeln. Ratlos sehen die Kinder in das Ende. Wie dumm von ihnen! Ich nehme den Fuß vom Schlau, das Wasser sprudelt wieder ungehindert und den Beiden direkt ins Gesicht. Erschrocken weichen sie zurück. Ich kann nicht anders, ich muss einfach herzhaft lachen. Selbst als sie mich wieder unter Beschuss nehmen, kann ich nicht damit aufhören. Ihre erschrockenen Gesichter sind einfach zu köstlich gewesen. Bis zum Mittagessen toben wir durch den Garten und merken den wachsenden Hunger erst, als Jester auf der Veranda aufzutischen beginnt. Rene und Amy lassen alles stehen und liegen und laufen dem duftenden Schweinebraten entgegen. Die Haare hängen ihnen glatt vom Kopf, ihre Kleidung tropft. Als sie sich setzen, bildet sich schnell, eine immer größer werdende Pfütze unter ihren Stühlen. Mir selbst geht es ähnlich: Von den Haaren läuft mir das Wasser ins Gesicht. Ich wische mir die nassen Strähnen aus den Augen. Den Schlauch haben die Kinder im Gras liegen gelassen. Scotch sitzt davor und schlabbert das Wasser auf, das noch immer aus ihm läuft, doch ganz langsam wird es weniger. Als ich zur Veranda sehe, dreht Aaron den Hahn gerade zu. Den Garten haben wir inzwischen ausreichend gegossen. Das saftig grüne Grase gurgelt unter meinen Schritten. Was für eine Sauerei. Ich bin von Kopf bis Fuß klitschnass. Die Abkühlung tut zwar gut, aber die Klamotten sind nun schwer und reiben auf der Haut. Dafür strahlen meine Kinder über beide Ohren. So ausgelassen, habe ich sie seit meiner Rückkehr nicht mehr erlebt. Als ich auf die Veranda trete, mustert mich Judy amüsiert. Sie lächelt mich an. Das hat sie schon lange nicht mehr getan. Ich schaue verlegen unter ihrem Blick hinweg und setze mich zu ihnen. „Vielleicht ist bei dir ja doch noch nicht Hopfen und Malz verloren“, neckt Aaron mich. Ich bin mir nicht sicher, ob seine Worte ernst gemeint sind und sehe unter seinem Blick hinweg, zum gedeckten Tisch. Das Fleisch ist bereits in handliche Scheiben geschnitten, Soße und Klöße auf den Tellern verteilt. Jester hat neue Limonade gebracht und jedem bereits ein Glas eingeschenkt. Es durftet alles köstlich und mir knurrt der Magen, doch ich kann mich nicht vom Anblick meiner Familie losreißen. Rene und Amy fallen wie ausgehungerte Tiere über ihr Stück Fleisch her. Mein Sohn macht sich nicht mal die Mühe es klein zu schneiden. Er hat es mit der Gabel aufgespießt und beißt große Stücke vom Ganzen ab. Meine Tochter ist nicht viel gesitteter. Auf ihrer Gabel steckt ein Klos, den sie sich versucht im Ganzen in den Mund zu schieben. Judy hingegen sitzt aufrecht und teilt alles in mundgerechte Portionen, die sie langsam aber genüsslich zu verspeisen beginnt. In ihren schwarzen Haaren steckt ein silberner Kamm, mit einer eingearbeiteten Lotusblume aus Edelsteine. Heute trägt sie einen Zopf, der ihr zur rechten Seite über die Brust fällt. Ich erwische mich dabei, wie mein Blick in den Ausschnitt ihres Samtkleides wandert. Ihr großer Bussen wölbt sich daraus hervor. Wie gern würde ich ihr jetzt unter den Stoff fahren und sie von ihrem BH befreien. Judy wird sich meines Blickes bewusst und sieht mich fragend an. „Du siehst hübsch aus“, entgegne ich und sehe ihr schnell wieder ins Gesicht. Sie zieht die Augenbrauen kraus und betrachtet mich argwöhnisch. Ein verlegenes Lächeln huscht ihr in die Mundwinkel, bevor sie sich kopfschüttelnd abwendet. Meinem Kompliment scheint sie nicht über den Weg zu trauen. Ich wundere mich selbst über meine Worte. Bisher habe ich solche Gedanken vermieden, doch sie strahlt heute eine Fröhlichkeit aus, die ihre ganzes Gesicht erhellt. Sie ist wirklich hübsch. Immer wieder streift mich ihr verlegener Blick, der heute etwas liebevolles an sich hat. „Enrico! Dein Essen wird kalt!“, mahnt der Pate und sieht mich streng an. Das er bei uns sitzt, habe ich fast vergessen. Ob er meinen Blick auf Judys Oberweite bemerkt hat? Ich räuspere mich und wende mich der Mahlzeit auf dem Teller zu. Während ich zu essen beginne, beugt er sich zu mir und flüstert mir zu „Komm ja nicht auf die Idee, an Kind Nummer Vier zu arbeiten. Drei Enkelkinder sind mehr als genug.“ Ich verschlucke mich an dem Bissen, denn ich nehme und muss heftig husten. Der alte Mann ist aufmerksamer, als gut für mich ist. Röchelnd greife ich nach meinem Glas und trinke es in einem Zug leer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)